„Beruhig dich doch mal!“ – Ein Satz, der sowohl bei kindlicher Wut als auch beim Weinen so einigen Eltern schnell über die Lippen kommt. Neben dem Aspekt, dass es für Kinder wichtig ist, alle Gefühle der breiten Gefühlspalette zeigen zu dürfen (von Freude über Wut bis Trauer und alle Abstufungen dazwischen), ist dieses „einfach beruhigen“ auch leichter gesagt als getan, denn Kinder erwerben die Fähigkeit, sich selbst eigenständig zu beruhigen, erst mit der Zeit.
Was Babys mitbringen
Schon Babys verfügen über die Möglichkeit, in einem gewissen Rahmen bestimmte innere Zustände zu regulieren und ihre angeborenen Fähigkeiten zu nutzen, um sich selbst zu beruhigen. Zu vielen Teilen sind sie aber noch darauf angewiesen, dass Erwachsene sie begleiten und ihnen die Möglichkeiten zur Regulation zeigen und sie darin unterstützen. Besonders für die Regulation von Schlafen und Wachen, Aktivität, Aufmerksamkeit und Gefühlsregulation benötigen Kinder Bezugspersonen. Sie zeigen den Kindern, wie diese Zustände reguliert werden können.
Warum die Bezugspersonen so wichtig sind für die Regulation
Notwendig ist es dafür, dass die Bezugspersonen die Signale des Kindes wahrnehmen, richtig interpretieren und dann angemessen darauf reagieren – kurz gesagt: dass auf die Bedürfnisse feinfühlig reagiert wird. Hierdurch erfahren Kinder, welche Strategien angewendet werden können, um bestimmte Zustände entweder zu verstärken oder abzuschwächen. Sie lernen zunehmend, flexibel mit Situationen umzugehen und die jeweils passenden Strategien anzuwenden. So kommt es, dass Kinder ab dem 5. Lebensjahr ihre Gefühle schon wesentlich besser selbst regulieren können als in der Kleinkindzeit. Ohne die feinfühlige Begleitung von Bezugspersonen fällt es Kindern jedoch schwerer, die Selbstregulation zu erlernen. Der Spruch „Nimm es doch nicht bei jedem Mucks hoch!“ ist ein Ammenmärchen: Kinder brauchen tatsächlich in den ersten Jahren unsere Begleitung und Unterstützung, um dann immer besser zu lernen, sich selbst zu beruhigen.
Wie wir die Ausbildung der Selbstregulation unterstützen können
Wichtig dafür ist jedoch, dass wir sie auf dem Weg dorthin angemessen begleiten und ihnen die Möglichkeiten zur Regulation aufzeigen und sie in der Anwendung unterstützen. Dies erreichen wir durch folgende Aspekte:
- Ein generell offener Umgang mit Gefühlen: Alle Gefühle sind erlaubt, keine Gefühle dürfen nicht sein oder müssen ganz schnell behoben werden. Auch das Weinen von Kindern ist wichtig und braucht Begleitung, statt Verbote.
- Auch als Eltern sind wir im Umgang mit unseren eigenen Gefühlen Vorbilder: Auch wir dürfen alles fühlen und auch zeigen (dabei jedoch angemessen in Bezug auf die Kinder reagieren, wenn wir beispielsweise in Familiensituationen wütend sind) und geben durch unseren Umgang mit Selbstregulation von Zuständen und Gefühlen ein Beispiel.
- Gefühle werden nicht abgesprochen wie „Das hat ja gar nicht weh getan!“ Auch das so verbreitete „Ist ja nicht so schlimm!“ ist unpassend, wenn ein Kind sich augenscheinlich verletzt hat oder traurig ist, weil es beispielsweise von anderen Kindern ausgeschlossen wurde.
- Gefühle werden benannt, damit sie auch vom Kind unterschieden werden können: Kinder werden dazu angeregt, zu beschreiben, ob sie wütend, traurig, verärgert oder enttäuscht sind – und alle anderen möglichen Empfindungen. Auch Bücher oder passende Spiele können das Benennen unterschiedlicher Gefühle unterstützen.
- In bestimmten Situationen können die Gefühle des Kindes gespiegelt werden: „Du bist jetzt ganz schön traurig/wütend/überschwänglich/…“ So lernt das Kind, den aktuellen Empfindungen Worte zuzuordnen.
- Das Kind wird gefragt, wie es sich fühlt – nicht nur in Konfliktsituationen, sondern auch im Alltag. So lernt es, sich zu beobachten und auch zu spüren, wann Gefühle sich ändern. Durch die Selbstbeobachtung lernt das Kind zunehmend, rechtzeitig aktiv zu werden für die Selbstregulation: Wird es müde, zieht es sich zurück. Spürt es Wut aufsteigen in einem Konflikt, lernt es, sich zurück zu ziehen bevor die Situation eskaliert, wenn es frühzeitig das Gefühl einordnen kann. Das ist allerdings erst im fortgeschrittenen Grundschulalter möglich. Die Grundlagen legen wir jedoch schon früher dafür.
- Gefühle werden so lange und oft begleitet, wie das Kind das benötigt.
- Gemeinsam werden für das Kind passende Regulationsstrategien ausprobiert: Mag es in den Arm genommen werden, mag es gewiegt werden, wenn es traurig ist? Was braucht es, wenn es müde ist? Was braucht es, um morgens in Schwung zu kommen?
Durch Begleitung statt Erwartung können wir unsere Kinder auf den Weg zur Selbstregulation bringen und sie darin Stück für Stück unterstützen.
Eure
Weiterführende Literatur:
Mierau, Susanne (2017): Geborgene Kindheit. Kinder vertrauensvoll und entspannt begleiten. – München: Kösel.
Mierau, Susanne (2017): Ich! Will! Aber! Nicht! Die Trotzphase verstehen und begleiten. München: GU.
Fröhlich-Gildhoff, Klaus/Rönnau-Böse, Maike (2019): Resilienz. – München: Ernst Reinhardt Verlag.
Zur Autorin:
Susanne Mierau ist Diplom-Pädagogin (Schwerpunkt Kleinkindpädagogik) und Familienbegleiterin. Sie arbeitete an der FU Berlin in Forschung und Lehre, bevor sie sich 2011 im Bereich bedürfnisorientierte Elternberatung selbständig machte. Ihr 2012 gegründetes Blog geborgen-wachsen.de und ihre Social Media Kanäle sind wichtige und viel genutzte freie Informationsportale für bedürfnisorientierte Elternschaft und kindliche Entwicklung. Susanne Mierau gibt Workshops für Eltern und Fachpersonal und spricht auf Konferenzen und Tagungen über kindliche Entwicklung, Elternschaft und Familienrollen.
Foto: Ronja Jung für geborgen-wachsen.de