Bindungsstress – Von der Angst, keine sichere Bindung aufzubauen

Eltern stehen wegen vielen Dingen heute unter Druck: Wie sie den Alltag gestalten sollen, wie sie arbeiten oder nicht und Zeit mit den Kindern verbringen sollen. Wie Kinder gefördert werden sollen oder gerade nicht, aber dennoch frei lernen können und wie sie welche Werte mitgeben. Aber neben und über all diesen Anforderungen macht sich noch ein ganz besonderer Druck bemerkbar: Die Angst davor, dass das Kind keine sichere Bindung aufbauen könnte.

Viele Eltern wissen heute, wie wichtig die sichere Bindung ist. Sie bildet die Basis für so viele andere Dinge: Wie das Kind die Welt wahrnimmt, wie es Beziehungen darin eingeht, Freundschaften findet, lernt, gestärkt ist für das Leben. Mit einer sicheren Bindung können wir unseren Kindern viel mitgeben für das Leben und sie im Jetzt gut und sicher begleiten.

Hilfsmittel sind kein Garant

Und weil das heute so wichtig ist, wollen wir unseren Kindern unbedingt dieses große Geschenk mit auf den Weg geben: eine sichere Bindung, die sie schützt und bestärkt. Wir erfahren, wie eine solche Bindung auf einen guten Weg gebracht werden kann: durch das Bonding nach der Geburt, durch viel Zeit und Nähe – und vor allem eins: Feinfühligkeit und promptes Reagieren auf kindliche Bedürfnisse. Wir erfahren, dass es Hilfsmittel gibt, die darin unterstützen können, dass wir Zeit, Nähe und Feinfühligkeit haben oder entwickeln: Das Tragen des Kindes, das Co-Sleeping, vielleicht auch Stoffwindeln oder Windelfrei. ABER: Diese Hilfsmittel bilden von sich aus keine sichere Bindung aus. Sie sind kein Garant, kein Erfolgsfaktor. Sie können uns nur darin unterstützen, die Bedürfnisse des Kindes gut wahrzunehmen und zu befriedigen. So kommt das Tragen dem Bedürfnis nach Körperkontakt und Schutz nach und umhüllt das neugeborene Baby gebärmutterähnlich und schafft Vertrautheit und sanftes Ankommen. Co-Sleeping ermöglicht, nachts schnell auf die Bedürfnisse des Kindes eingehen zu können. Aber die Bedürfnisbefriedigung ist meist auf verschiedene Arten möglich. Die Aufgabe von Eltern ist es, die jeweils passende Möglichkeit für diese eine Familie auszuwählen – nicht die, die gerade besonders populär ist. Sie müssen auch nicht alle Trends ausprobieren in der Hoffnung, die Bindung dadurch zu unterstützen.

Eine sichere Bindung entsteht da, wo wir den kleinen Menschen uns gegenüber wirklich wahrnehmen, ihn in den ganz persönlichen Eigenschaften wahr- und annehmen und diesen Menschen dazu passend begleiten: Manche Kinder brauchen mehr Körperkontakt als andere, manche Kinder sind lauter oder schüchterner. Wir müssen nicht unter Druck ausprobieren, was vielleicht andere tun, sondern das finden, was zu uns und genau diesem Kind passt. Und wenn das Kind vielleicht eine bestimmte Sache nicht mag, obwohl wir doch gelesen haben, dass das so wertvoll sein soll, dann machen wir das eben nicht und finden für unsere Beziehung bestimmt etwas anderes wertvolles.

Die Panik, etwas zu verpassen

Es passiert schnell zu denken: „Oh nein! Hier steht, dass Elimination Communication oder Babyzeichensprache die Bindung unterstützt. Das habe ich versäumt, was kann ich nun nur tun!“ Glücklicherweise ist Bindungsentwicklung keine To-Do-Liste. Wir können entspannt sein: Es kommt nicht auf das einzelne Angebot an, sondern die Grundstimmung, die Art des Umgangs: Es kommt darauf an, prinzipiell die Bedürfnisse des Kindes wahrzunehmen und darauf angemessen zu reagieren.

Manchmal gelingt das besser, manchmal schlechter. Manche Familien haben einen schweren Start und die Beziehung kann erst später richtig starten. Andere Familien haben zwischendurch mal schlechte Phasen, in denen es einfach nicht rund läuft. All das ist kein Anlass zur Panik. Glücklicherweise hat die Natur es eingerechnet, dass das Leben ist, wie das Leben eben ist: Mal ist es super, dann mal schlecht. Bindungsmuster entwickeln sich über einen langen Zeitraum, zu den Hauptbindungspersonen in den ersten drei Jahren. Und sie sind immer wieder veränderbar. Unsere Kinder können verschiedene Muster zu verschiedenen Menschen aufbauen. Ja, die ersten Jahre sind wichtig. Aber wenn es auch in dieser Zeit anstrengende Tage gibt oder Wochen, in denen es mal nicht rund läuft, haben wir nicht für immer alles verloren.

Gerade rund um die Geburt haben viele Eltern Sorgen, dass sie ein Fenster verpasst haben, wenn die Geburt anders lief als geplant, wenn es Interventionen gab, wenn das Baby nicht nach der Geburt auf die Brust genommen werden konnte. Das frühe Bonding, lesen wir so oft, ist so wichtig. Ja, es ist wichtig, es ist gut und es ist eine Zeit, in der gut die Weichen gestellt werden können für den Anfang einer Beziehung. Aber manchmal müssen diese Weichen auch erst später gestellt werden und der Zug fährt dann darauf ebenso gut und gleichmäßig. Wichtig ist dann, dass wir entspannte und liebevolle Menschen haben, die uns würden zweiten Start gut unterstützen und Rahmenbedingungen geboten werden, die dies erleichtern.

Bleib entspannt!

Wir müssen uns keinen Stress machen: Wir haben Zeit, um Beziehung aufzubauen und selbst wenn es mal zwischendurch nicht gut läuft, sind unsere Kinder wesentlich robuster als wir manchmal denken und unsere Beziehung ist nicht zerstört, weil wir mal eine schlechte Zeit haben. Wir müssen uns zu dem Stress, den Familien ohnehin heute haben, nicht noch unter zusätzlichen Bindungsstress setzen und krampfhaft versuchen, alles ganz richtig zu machen. Denn Stress und Anspannung verhindern genau das, worum es wirklich geht. Nämlich nicht um einzelne Angebote, nicht um Lernstunden in sozialem Miteinander, sondern um eine Haltung des Mitgefühls und der Empathie.

Und wenn wir merken, dass es gerade mal nicht rund läuft, zeigt das auch, wie gut wir nachspüren können, wie es eigentlich sein sollte. Nur dann, wenn es wirklich über einen längeren Zeitraum Probleme gibt, brauchen wir vielleicht professionelle Unterstützung. Aber selbst dabei gilt: Es ist nicht zu spät, um mit einem liebevollen Miteinander anzufangen. Sehen wir unserer Beziehung positiv entgegen und fokussieren wir nicht, was wir vielleicht nicht tun oder andere besser oder was wir noch ausprobieren könnten, um… Sehen wir, was wir tun und was uns wirklich gut tut. Denn Entspannung ist eine ganz besonders gute Grundzutat für das Bindungsrezept.

Eure

6 Kommentare

  1. Wie immer schön geschrieben ♡. Was ich mir für mich wünsche: ergänzend auch einzugestehen oder zu schlussfolgern, wenn es für die Mutter nicht passt, gibt es etwas anderes, was eben passt.
    Dahin muss ich noch kommen und werde auch die nächsten Nächte weiterhin nur 3 Stunden insgesamt schlafen, weil die Tochter (knapp 16 Monate) meine Brüste zum nuckeln will. 2 mal rechts, 3 mal links, einmal rechts, dann Empörung darüber, wieso ich nur zwei Brüste besitze, dann wieder links, dann links wegkneten, dann 5 mal rechts nuckeln… usw.
    Ich denke mir: ich kann nicht mehr, aber sie brauch es eben und weint jedes Mal so schrecklich verzweifelt, wenn ich doch mal Nein sage. Sodass ich nach 5 Minuten doch wieder mitmache, um ihr nicht „zu schaden“…

    Dass das doof ist, weiß ich selbst. Vor allem, wenn mein (gefühlsstarker) gerade 5jähriger dann nicht genug liebevolle Empathie und Geduld bekommt, da ich nach dauerhaft 3 Stunden Schlaf (oder mal 1,5…) einfach am untersten Limit bin.

    Und dann: was mache ich bloß mit seiner Bindung, wenn ich so schrecklich drauf bin… aber ich kann auch die Kleine nicht Abstillen… Und Zeit für mich hab ich ja auch nicht… Und beim Papa weinen/protestieten/motzen/triggern sie, sodass ich mich dann nach 20 min. Geschrei doch kümmern muss, denn was macht das mit der Bindung, wenn Mama sich verweigert?
    Und dann aber bin ich wieder genervt und motzig, ungeduldig etc.
    So ein blöder Kreislauf.

    Also: irgendwas finden, was für alle (!!!) passt.

  2. Sehr schön geschrieben, ich bin zum ersten Mal Mutter geworden und im Krankenhaus lief es etwas drunter und drüber. Das Bonding hat nicht wirklich stattgefunden und aufgrund meiner Unerfahrenheit ist es mir erst im Nachhinein aufgefallen, theoretisch wäre es möglich gewesen. Mein Kind kam gesund zur Welt – nur war leider das Krankenhauspersonal überrascht, dass mein Kind es plötzlich eilig hatte und ich musste im normalen Krankenzimmer entbinden. Ich mache mir heute (mein Kind ist 11 Monate alt) noch Vorwürfe deswegen. Vorallem Frage ich mich oft, ob es anders gekommen wäre, hätte man sich mehr Zeit für mich genommen. Stillen hat auch nicht funktioniert. Dein Beitrag beruhigt mich ein wenig – so habe ich die Weichen zu Hause gestellt und den Zug fahren lassen. Ich hoffe, er fährt in die richtige Richtung, es sieht aber auf jeden Fall danach aus 🙂

  3. Liebe Ssusanne
    Danke für diesen schönen Text und deine Mut gebenden Worte. Mein Kind und auch ich hatten einen schwierigen gemeinsamen Start. Lange plagten mich Schuldgefühle deswegen, da ich überall las, was alles schlecht gelaufen ist. Mit der Zeit konnte ich die Schuldgefühle loslassen und akzeptieren, dass das Leben eben ist, wie es ist und ich konnte auch erfahren, dass unsere Bindung stark und wunderschön ist. Doch deshalb finde ich deinen Text so wertvoll, so entlastend und unterstützend.

  4. Caroline

    Liebe Susanne,

    oh wie sehr ich jetzt diesen Beitrag von Dir gebraucht habe. Mein Sohn ist sieben Monate alt. Ich habe das Gefühl, dass ich eine sehr gute Mutter bin. Ich lasse den kleinen Mann nie schreien, reagiere immer sehr schnell, wir kuscheln viel, er schläft in der Nacht eng an mich gekuschelt, wir spielen und lachen viel gemeinsam. Er ist generell so ein aufgewecktes, fröhliches Kerlchen.

    Nur ist mir eben aufgefallen, dass er viel alleine spielt und er keine Mühe damit hat, wenn ich mal weg bin. Wenn ich wiederkomme, dann beachtet er mich auch nicht immer im selben Ausmaß. Das verunsichert mich so sehr… ich denke, dass dies ein wenig auf die Corona-Zeit zurückzuführen ist, da in dieser Zeit meine Schwester bei uns gewohnt hat und ich ein wenig zurückgetreten bin, damit die zwei eine gute Beziehung aufbauen können. Ich habe nicht daran gedacht, dass das die Beziehung zu uns beiden beeinträchtigen kann. Ich bin die letzte Zeit sehr verzweifelt deswegen und sehr unsicher. Ich habe jetzt allerdings wieder Hoffnung, dass sich dies bessert. Immerhin stehe ich immer an seiner Seite und es erfüllt mich mit so großer Freude, ihn zu begleiten. Dein Beitrag lässt mich wieder etwas durchatmen…

  5. Danke für den Text. Ich habe ihn zufällig gefunden, weil ich nach Lösungen dafür gesucht habe, dass ich mich ständig unter Druck fühle, alles richtig zu machen. Oft grüble ich, wenn ich nicht weiß, wieso mein Sohn weint oder zu langsam reagiere. Ist die Bindung nun beschädigt? Wie oft darf das vorkommen? Überall liest man, man soll prompt und feinfühlig reagieren und am besten gleich alles richtig machen, wenn das Kind etwas hat. Ich bin aber keine sonderlich feinfühlige Person. Kann ich so überhaupt je eine sichere Bindung mit ihm haben? Usw usf. Das Wissen um Bindung ist gut, gleichzeitig macht es mir Angst und Druck, dass ich dem Ideal nicht entsprechen kann und mein Kind deshalb ein Leben lang an Lebensqualität einbüßt, weil ich falsch getröstet habe oder zu langsam reagiert habe…

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