Alle Artikel von Susanne Mierau

Warum Selbstfürsorge gerade für Eltern wichtig ist

Kinder im Wachsen zu begleiten, ist nicht immer einfach: Es gibt viele Handgriffe und Kraftanstrengung durch das Heben und Tragen und Rennen und die vielen anderen Tätigkeiten des Umsorgens und Spielens. Es ist emotional oft herausfordernd, Kinder zu begleiten in ihren Emotionen, sie zu regulieren und dabei noch mit den eigenen Empfindungen umzugehen, die dabei entstehen. Es ist belastend, an all die vielen Dinge zu denken, die wir erledigen müssen wie die nächste U-Untersuchung, neue Gummistiefel und den richtigen Sonnenschutz für den Sommer, während wir gleichzeitig so viele andere Dinge in unserem oft hektischen Alltag erledigen sollen. Viele Eltern fühlen sich überlastet von einem so vollen Alltag. Es fällt schwer, zwischen all den Aufgaben noch Zeit für sich und die eigenen Bedürfnisse zu finden.

Mangelnde Bedürfniserfüllung tut uns nicht gut

Für alle Menschen ist es wichtig, dass sie ihre eigenen Bedürfnisse erfüllen können, damit es ihnen gut geht. Wenn wir zu wenig schlafen oder zu wenig essen, merken wir oft direkt, dass es uns nicht gut geht. Aber auch wenn andere Bereiche unserer Bedürfnisse vernachlässigt werden, spüren wir das: Wenn wir uns eingeschränkt fühlen in unserer Selbstwirksamkeit oder weniger Sozialkontakte haben, als wir eigentlich benötigen, geht es uns nicht gut: Wir fühlen uns unausgeglichen, unser Wohlbefinden leidet darunter. Es geht uns nicht gut. Dieses Unwohlsein kann sich auch auf unsere Beziehungen auswirken: wir sind angespannter, vielleicht auch gereizter. Ausreichend Schlaf, Nahrung, Bewegung, Sozialkontakte und das Gefühl, etwas bewirken zu können, sind wichtig für Menschen.

Besonders nachteilig ist die fehlende Möglichkeit, die eigenen Bedürfnisse zu erfüllen, da, wo sich Menschen um andere Menschen kümmern müssen: Gerade junge Kinder sind darauf angewiesen, dass ihre Bezugspersonen ihre Signale wahrnehmen, sie richtig interpretieren und ausreichend zeitnah passend beantworten. Zudem benötigen sie eine angemessene Begleitung in ihren eigenen Gefühlen, damit sie zunehmend lernen können, gut mit ihnen umzugehen. Wenn diese Bezugspersonen allerdings gestresst sind oder zu müde, zu angespannt, fällt diese angemessene Begleitung schwerer.

Schlafmangel macht es schwer, Kinder angemessen zu begleiten

Blicken wir beispielsweise auf den Schlafmangel, wissen wir, dass dieser zahlreiche negative psychische und körperliche Folgen haben kann. In Bezug auf Elternschaft kann sich dieser negativ auswirken auf die Feinfühligkeit gegenüber den Bedürfnissen des Kindes und die Wahrnehmung dieser verzerren: Wer sehr müde ist, deutet das Quengeln des Kindes vielleicht auch als Müdigkeit, obwohl es einen anderen Grund hat. Bei eine Studie aus dem Jahr 2006 wurde festgestellt, dass emotionale Reize unterschiedlich auf das ausgeschlafene oder unausgeschlafene Gehirn wirken: Starke Gefühle wie Zorn, Wut, Kampf-oder-Flucht wurden bei Personen mit Schlafmangel um über 60 Prozent verstärkt, während ausgeschlafene Personen kontrollierter und gemäßigter reagierten.

Auch zu hohe Ansprüche an uns selbst machen Selbstsorge schwerer

Viele Überlastungen von Eltern, die zu wenig Raum für die Selbstsorge lassen, hängen auch mit den umgebenden Strukturen zusammen, die politisch und gesellschaftlich geändert werden müssen – hier haben Eltern zeitnah wenig Möglichkeiten, darauf einzuwirken. Gleichzeitig ist es aber auch wichtig, sich von unnötigen Lasten zu befreien, beispielsweise von zu hohen Ansprüchen an sich und den Haushalt, um Freiräume zu erlangen für die Selbstsorge und ein entlastendes Netz aufzubauen. In den Blick genommen werden sollten daher die eigenen Ansprüche, die Aufgabenverteilung innerhalb der Familie, aber auch Rollenvorstellungen. Diese Fragen können ggf. dabei helfen, das eigene Mindset in Bezug auf Selbstsorge zu hinterfragen:

  • Wenn ich Zeit habe, um auszuruhen und etwas für mich zu tun, habe ich dabei ein schlechtes Gewissen?
  • Habe ich Schuldgefühle gegenüber meinem Kind oder anderen Familienmitgliedern, wenn ich etwas für mich tue? Wenn ja: Woher kommen diese Schulgefühle und haben sie eine reale Ursache, oder ist es ein zu hoher kritischer Anspruch an mich?
  • Wenn sich eine befreundete Person in derselben Situation befinden würde wie du, was würdest du ihr raten zu tun? Unterscheidet sich dieser Rat von dem, was du dir selbst zugestehst?
  • Hattest du in deiner Kindheit/Jugend oder jetzt Vorbilder für Selbstfürsorge und Entspannung?
  • Welche Bedeutung hat das Thema Selbstfürsorge in der Erziehung deines Kindes? Siehst du einen Unterschied darin, was du für dein Kind wünschst und ihm empfiehlst und dem, was du selbst lebst und als Vorbild anbietest?
  • Gibt es einen Unterschied in dem Umfang und der Art, wie der andere Elternteil Selbstfürsorge lebt? Wenn ja: Warum gibt es diesen Unterschied? Welche Gefühle hat die andere Person in Bezug auf die eigene Bedürfniserfüllung?

Aufgaben streichen und gerecht verteilen

Selbstfürsorge ist nicht mit Egoismus gleich zu setzen, auch wenn wir selbst oder andere das gelegentlich tun und gerade das überhöhte Mutterbild schnell zu Verurteilungen führt. Doch Selbstfürsorge ermöglicht, seelisch und körperlich gesund zu bleiben bzw. hilft ggf. dabei, es wieder zu werden. Manchmal ist es gar nicht so einfach, die eigenen Bedürfnisse überhaupt (wieder) in den Blick zu nehmen. Hilfreich kann es sein, sich erst einmal Zeit zum Nachdenken zu nehmen: Wie fühle ich mich und was fehlt mir gerade? Und dann zu überlegen, durch welche Strategien für diese Dinge Platz geschaffen werden kann. Eine Not-to-do-List kann hier beispielsweise helfen: Schreibe die Dinge auf, die du eigentlich ungern erledigst und die vielleicht gar nicht wirklich wichtig sind und dir Zeit und Energie rauben. Versuche, diese Dinge nachhaltig aus dem Alltag zu streichen. Manchmal ist es auch möglich, mehr Freiräume zu erlangen, indem die Familienaufgaben gerechter verteilt werden. Eine wöchentliche Familienkonferenz kann hier helfen, bei der alle Aufgaben aufgeführt und gerecht verteilt werden.

Selbstfürsorge ist für Eltern kein Nice-to-Have, sondern eine grundlegende Voraussetzung, um selbst körperlich und psychisch gesund zu bleiben und darüber hinaus für andere sorgen zu können.

Eure

Zur Autorin:
Susanne Mierau ist Diplom-Pädagogin (Schwerpunkt Kleinkindpädagogik) und Familienbegleiterin. Sie arbeitete an der FU Berlin in Forschung und Lehre, bevor sie sich 2011 im Bereich bedürfnisorientierte Elternberatung selbständig machte. Ihr 2012 gegründetes Blog geborgen-wachsen.de und ihre Social Media Kanäle sind wichtige und viel genutzte freie Informationsportale für bedürfnisorientierte Elternschaft und tragen seit über 10 Jahren maßgeblich zur Verbreitung bedürfnisorientierter Erziehung bei. Susanne Mierau gibt Workshops für Eltern und Fachpersonal und spricht auf Konferenzen und Tagungen über kindliche Entwicklung, Elternschaft und Familienrollen.

Foto: Ronja Jung für geborgen-wachsen.de

Emotionally overtouched – Wenn es zu viel wird mit den Gefühlen

Viele Eltern kennen das Gefühl, wenn sie durch Körperkontakt und Nähe überreizt sind: Zu viel an Körperkontakt, gerade in der Zeit mit Baby oder Kleinkind, wenn das Kind quasi auf oder am Körper der Bezugsperson wohnt, weil es jetzt gerade oder generell besonders viel Nähe braucht. Die eigene körperliche Grenze scheint nicht eingehalten werden zu können und jede weitere Berührung, auch durch andere Erwachsene, wird zu viel. Wir sehnen uns nach Zeit für uns allein ohne körperliche Überstimulation. Doch nicht nur unser Körper kann überreizt sein, auch unsere Gefühlswelt.

Das Begleiten von Kindern benötigt Kraft: auf körperlicher Ebene für all die vielen Handgriffe, das Hochheben und Absetzen, das Tragen im Tuch, das Wickeln, das Füttern und insbesondere Stillen. Auch für die emotionale Begleitung von Kindern benötigen wir Kraft: für das Wahrnehmen, Verstehen und Begleiten von Gefühlen. Wir brauchen Kraft, um die noch unmittelbar und oft auch körperlich oder stimmlich ausgedrückten Gefühle auszuhalten, zu regulieren und dabei auch unsere eigenen aufsteigenden Emotionen im Zaum zu halten. Gerade um mit Ärger/Wut/Enttäuschung von Kindern umgehen zu können, muss es uns selbst gut genug gehen.

In kaum einem der vielen Bücher über den richtigen Umgang mit elterlicher Wut und dem Vermeiden von körperlicher und psychischer Gewalt ist der so bedeutende wie einfache Hinweis zu finden, dass wir für unsere eigene emotionale Ausgeglichenheit eben nicht nur beständig uns selbst reflektieren und mehr an uns arbeiten müssen, sondern dass wir nicht minder bedeutend vor allem auch Schlaf und Entspannung brauchen, damit wir gelassen mit all den Herausforderungen des Begleitens von Kindern umgehen können. In einer Studie aus dem Jahr 2006 wurde die emotionale Wirkung bestimmter Reize auf das ausgeschlafene und unausgeschlafene Gehirn untersucht. Es zeigt sich, dass genau dieselben Reize im Mandelkern des Gehirns, dem Zentrum für die Entstehung von Gefühlen, eine ganz unterschiedliche Wirkung hervorrufen, je nach Ausgeschlafenheit der Person: Starke Gefühle wie Zorn, Wut, Kampf-oder-Flucht wurden bei den Personen mit Schlafmangel um über 60 Prozent verstärkt, während die ausgeschlafenen Personen kontrollierter und gemäßigter reagierten. Vielleicht kommt es in Bezug auf das gewaltfreie Begleiten von Kindern also viel mehr darauf an, dass wir ausgeschlafen sein können, als uns bisher bewusst war.

Susanne Mierau (2024): Das Schlafbuch für die ganze Familie, S.65

„Das empathische Geschlecht“ – von Anfang an zuständig für Emotionen

Gerade weiblich sozialisierte Menschen erfahren schon in der Kindheit, dass sie in besonderer Weise für die Emotionen anderer zuständig sein sollen: „das empathische Geschlecht“, „du musst verstehen…“, „nun stell dich mal nicht so an…“, „tröste mal und sei nicht zickig“. Die emotionale Zuständigkeit für das Wohlergehen anderer wird schon früh auf die Schultern gelegt und bleibt dort über die weiteren Jahre liegen, wenn schon in der Schule mehr Empathie erwartet wird, aber auch später im Job, man im Büro zuständig dafür ist, dass die anderen ihre Problem loswerden können oder man auf andere Weise dafür sorgt, dass es einen emotional gutes Klima bei der Arbeit gibt, beispielsweise dadurch, dass man für die Geburtstagsgeschenke zuständig ist, selbstgebackene Kekse und Kuchen mitbringt etc. Emotionen, das ist Frauensache – gilt noch immer an vielen Stellen.

Wer Sorgearbeit leistet, kümmert sich viel um Emotionen

Zu all diesen vielen ohnehin bestehenden Emotionsaufgaben in Job und Partnerschaft kommen dann im Falle der Elternschaft auch noch die Emotionen der Kinder. Wer mehr Care-Arbeit vollbringt, ist auch mehr mit den Emotionen der anderen Menschen beschäftigt. Eltern tragen nicht nur „Mental Load“, sondern auch „Emotional Load“. Gerade bei viel weinenden Babys sind begleitende Eltern besonders gefordert, aber auch in der Begleitung neurodiverser Kinder und/oder in der Kleinkindzeit, in der alle Empfindungen noch so unmittelbar und direkt mitgeteilt werden und es notwendig ist, dass Kinder durch ihre nahen Bezugspersonen erfahren, wie Gefühle benannt und ausgedrückt werden können, sind Eltern – und besonders die häufiger zuständigen Mütter – sehr gefordert. Neben der Co-Regulation des Kindes ist manchmal auch noch die Selbstregulation notwendig – gerade dann, wenn man selbst nicht lernen konnte, gesund mit den eigenen Gefühlen umzugehen und nun wütend wird, weil das Kind wütend ist.

Wenn zu wenig Kraft dazu führt, dass wir kindlichen Gefühlen aus dem Weg gehen

So, wie es ein Zuviel an Körperkontakt geben kann, können wir auch erschöpft sein von der Zuständigkeit für Emotionen. Gerade dann, wenn wir zu wenig Zeit haben, um unsere Kräfte aufzufüllen oder die Rahmenbedingungen für Familienleben uns keine Möglichkeiten lassen, uns auch gut um uns selbst zu kümmern, wird das Begleiten der Emotionen von Kindern manchmal zur Herausforderung. Schnell ist man verleitet, den kindlichen Emotionen aus dem Weg zu gehen: lieber nachgeben, lieber mehr Medien, als jetzt noch ein Wutanfall, lieber ein zweites Eis als Diskussionen… Was gelegentlich kein Problem ist, kann aber auf Dauer nachteilig werden, wenn Eltern aus Erschöpfung immer mehr versuchen, Diskussionen, Gefühlsausbrüchen und einem klaren Nein aus dem Weg zu gehen. Auch wenn es anstrengend ist, brauchen Kinder die Gefühlsbegleitung und müssen lernen, wie sie mit ihren Gefühlen gut und sozial umgehen können. Dies lernen sie, weil es eben auch Reibungspunkte im Alltag gibt, anhand derer Eltern aufzeigen können, wie mit Wut, Trauer, Ekel etc. umgegangen werden kann.

Emotionale Überlastung ernst nehmen

Dass wir durch all die Zuständigkeit für Gefühle (gleichzeitig mit vielen anderen Aufgaben parallel) überlastet sind, ist also nachvollziehbar. Gleichzeitig brauchen Kinder aber emotionale Begleitung und ein dauerhaftes Aus-dem-Weg-Gehen ist nicht zielführend. Wenn wir merken, dass wir dauerhaft „emotional overtouched“ sind (oder es uns aus anderen Gründen schwer fällt, Emotionen von Kindern zu begleiten), brauchen wir also Hilfe: Zeit, um zur Kraft zu kommen, ausreichend Schlaf und vor allem: langfristig nicht allein für zu viele Emotionen zuständig sein zu müssen.

Eure

Zur Autorin:
Susanne Mierau ist Diplom-Pädagogin (Schwerpunkt Kleinkindpädagogik) und Familienbegleiterin. Sie arbeitete an der FU Berlin in Forschung und Lehre, bevor sie sich 2011 im Bereich bedürfnisorientierte Elternberatung selbständig machte. Ihr 2012 gegründetes Blog geborgen-wachsen.de und ihre Social Media Kanäle sind wichtige und viel genutzte freie Informationsportale für bedürfnisorientierte Elternschaft und tragen seit über 10 Jahren maßgeblich zur Verbreitung bedürfnisorientierter Erziehung bei. Susanne Mierau gibt Workshops für Eltern und Fachpersonal und spricht auf Konferenzen und Tagungen über kindliche Entwicklung, Elternschaft und Familienrollen.

Foto: Ronja Jung für geborgen-wachsen.de

Wie lange darf mein Kind im Elternbett schlafen?

Die Frage danach, wie lange denn nun ein Kind im Elternbett schlafen dürfe, bewegt Eltern von der Baby- bis in die Grundschulzeit: Muss es jetzt nicht langsam ausziehen? Wie lange ist ausreichend lang, wie lang ist zu lang? Und was, wenn das Kleinkind- oder Grundschulkind noch immer nachts ins Bett der Eltern kommt? Wie viele andere Fragen des Familienlebens gibt es auch auf diese Frage keine so richtig abschließende und pauschale Antwort, die zu allen passt. Aber es gibt eine Antwort, die ziemlich gut auf verschiedenste Modelle zutrifft: Solange es für alle Beteiligten angenehm ist und das Kind nicht erwachsene Nähebedürfnisse erfüllen muss.

Solange es für alle passt…

Vielleicht kennst du die WHO Empfehlung zur Stillzeit, in der es heißt, dass das Stillen fortgeführt werden kann, solange es für Stillende und Kind in Ordnung ist. – Ganz ähnlich können wir es auch in Bezug auf das Schlafen handhaben: Dass Menschen eine Tendenz dazu haben, beeinander schlafen zu wollen, ist weit verbreitet und ziemlich normal, schließlich sind wir gut geschützt, wenn wir in Gruppen schlafen, weil wir uns gegenseitig wärmen können und aufeinander achten. Während es bei erwachsenen Paaren sogar als Selbstverständlichkeit betrachtet wird, dass sie das Bett teilen und ein getrenntes Schlafen kritisch beäugt wird (obwohl auch Paare individuelle Schlafentscheidungen treffen sollten und es keinesfalls einen Zwang zum geteilten Bett geben sollte), wird der Schlaf von Kindern im Eltern- oder Familienbett recht häufig schon in jungen Jahren kritisiert. Dabei wünschen sich gerade Kinder die Schutzfunktion der Nähe im Elternbett.

Der Aspekt, dass sich alle mit dem gemeinsamen Schlaf wohl fühlen sollten, ist auf emotionaler Ebener bedeutsam („Fühlt es sich wirklich angenehm an für uns alle?“), aber auch auf konkret räumlicher Ebene („Haben wir alle genug Platz?“). Denn tatsächlich sollte es nicht nur darum gehen, dass der Schlaf im Elternbett gemütlich ist für das Kind, sondern auch die Erwachsenen sollten ausreichend Platz haben und es sich gemütlich machen können. Im Elternbett, das vielleicht nur auf ein bis zwei Personen ausgelegt ist, ist das nicht immer der Fall: Für Babys kann zu wenig Platz im gemeinsam geteilten Bett gefährlich werden, wenn beispielsweise Atemwege verdeckt werden können, für größere Kinder und ihre Eltern kann zu wenig Platz bedeuten, dass man sich nachts aufweckt, weil wieder ein Arm oder Fuß einer anderen Person im Gesicht gelandet ist. Wir müssen es uns also auch vom Platz her passend machen – und das bedeutet, dass oft eher ein Familienbett eine gute Wahl ist, statt eines Elternbetts für alle.

… und sich alle wohl fühlen

Neben dem tatsächlichen Raum ist auch der emotionale Raum bedeutsam: Ist es für alle beteiligten Erwachsenen okay, wenn das Kind mit im Bett schläft? Was, wenn nur eine erwachsene Person das gut findet? Hier muss dann genauer hingesehen werden: Wenn beispielsweise ein Elternteil wünscht, dass das Kind aus dem gemeinsamen Bett auszieht, gleichzeitig aber die Verantwortung für diesen Übergang und das nächtliche Kümmern auf den anderen Elternteil schiebt, wäre das eine unfaire Verteilung zu Lasten von Kind und einem Elternteil.

Wichtig ist auch, zu beachten, wie es dem Kind wirklich geht: Braucht es noch Nähe und Zuwendung? Wenn es nicht mehr im Elternbett schlafen darf, wie kann es den eigenen Schlafort als sicher und schön erfahren? Welche Begleitung und welche Übergänge braucht es vielleicht, um sich dort richtig wohl zu fühlen? Bei älteren Kindern dürfen die Erwachsenen auch in den Blick nehmen, ob das Kind wirklich noch die nächtliche Nähe braucht, oder eher die Erwachsenen die Nähe mehr genießen als das Kind – und wenn dem so ist, woran das liegen könnte. Manchmal lohnt es sich, auch die eigenen Bedürfnisse noch einmal in den Blick zu nehmen, sowie die eigene Schlafgeschichte und Einstellung zum Schlaf: Fühle ich mich abends wohl und geborgen in meinem Bett und kann sicher vom Tag loslassen?

Prinzipiell gibt es kein konkretes Alter, an dem Kinder aus dem Eltern- und Familienbett ausgezogen sein müssen. Wie wir schlafen, ist auch eine kulturelle, lokale und ökonomische Frage und sollte weniger von Glaubenssätzen geleitet sein, als von einem achtsamen Blick auf die Bedürfnisse aller.

Eure

Zur Autorin:
Susanne Mierau ist Diplom-Pädagogin (Schwerpunkt Kleinkindpädagogik) und Familienbegleiterin. Sie arbeitete an der FU Berlin in Forschung und Lehre, bevor sie sich 2011 im Bereich bedürfnisorientierte Elternberatung selbständig machte. Ihr 2012 gegründetes Blog geborgen-wachsen.de und ihre Social Media Kanäle sind wichtige und viel genutzte freie Informationsportale für bedürfnisorientierte Elternschaft und tragen seit über 10 Jahren maßgeblich zur Verbreitung bedürfnisorientierter Erziehung bei. Susanne Mierau gibt Workshops für Eltern und Fachpersonal und spricht auf Konferenzen und Tagungen über kindliche Entwicklung, Elternschaft und Familienrollen.

Foto: Ronja Jung für geborgen-wachsen.de

Auf keinen Fall nachgeben!

„Du musst konsequent sein!“, „Konsequenz hilft deinem Kind, die Welt zu verstehen!“, „Dein Kind wird nie Regeln verstehen, wenn du dich nicht selbst an sie hältst!“ – Diese und andere Richtlinien hören Eltern immer wieder. Und es steckt auch ein wichtiger Punkt darin: Durchaus ist es für Kinder wichtig, wenn wir vorhersagbar handeln und damit eine Orientierung in diesem noch recht neuen Leben geben. Gleichzeitig sollte dies aber auch nicht zu dogmatisch betrachtet werden, denn Elternschaft bedeutet auch, flexibel sein zu müssen.

Der Leuchtturm sein

Kinder brauchen Bezugspersonen, die ihnen einen sicheren Zugang zur Welt ermöglichen. Innerhalb eines sicheren Rahmens können sie sich selbst, die dingliche und soziale Welt erkunden. Wenn sie an die Grenzen eines dieser Bereiche stoßen, erklären Bezugspersonen, warum und wie die Grenzen eingehalten werden können und gehen als Beispiel voran. So können Kinder aktiv nach und nach all die Bereiche der sie umgebenden Umwelt kennenlernen und verstehen, wie diese funktioniert. Da Menschen sehr anpassungsfähig an die sie jeweils umgebende Umwelt zur Welt kommen, ist es wichtig, dass sie über ihre Bezugspersonen lernen, wie genau die Welt, die sie umgibt, funktioniert. Genau hier hilft auch ein sinnvoller Grad an Bestimmtheit: Diese Regeln und Werte gelten immer, das sollte auf keinen Fall getan werden etc. Gerade in Bezug auf gefährliche Dinge und Situationen, die das Kind selbst noch nicht überblicken kann, ist es wichtig, verlässlich und ausdauernd die Grenzen aufzuzeigen.

Kinder können und müssen Ausnahmen lernen

Gleichzeitig gibt es aber in einigen Situationen auch Ausnahmen von festgelegten Regeln: Manchmal darf man etwas tun, manchmal nicht. Bei einigen Personen zu Hause sind jene Regeln zu befolgen, bei anderen andere. Auch das ist etwas, was Kinder nicht nur lernen können, sondern auch sollen: Regeln flexibel anzuwenden, die Grenzen von Regeln zu kennen und auch situativ zu erfassen, wo welche Regel angemessen ist. Dass beispielsweise bei den Großeltern zu Hause andere Tischregeln herrschen als zu Hause oder auch, dass man sich an unterschiedlichen Orten unterschiedlich kleidet, dass man verschiedene Menschen unterschiedlich begrüßen kann etc. Auch der Umstand, dass manche Regeln von den aktuellen Möglichkeiten einzelner Menschen abhängen, ist wichtig zu lernen: Heute bin ich zu erschöpft, um noch wie sonst mit dir auf den Spielplatz zu gehen. Gleichzeitig kann das auch bedeuten, dass wir Regeln ins Positive aufweichen, weil wir uns anpassen müssen: Eigentlich gibt es nicht zwei Kugeln Eis, aber heute machen wir eine Ausnahme, weil…

Während Eltern oft geneigt sind, das erste Beispiel (ich bin zu erschöpft heute…) als Regeländerung anzunehmen, fürchten sie beim Nachgeben in Kinderrichtung, dass die Inkonsequenz pädagogische Probleme nach sich ziehen könnte. Doch dieses Nachgeben kann bedenkenlos in beide Richtungen erfolgen, so dass das Kind lernt: Es gibt eine Regel, aber es gibt auch Faktoren, die sie beeinflussen können. Und diese Einflussfaktoren sind manchmal feststehend (immer wenn x, weichen wir von y ab), manchmal stehen sie auch zur Diskussion.

Flexibilität über die Zeit

Abweichung ist aber nicht nur in einigen Situationen notwendig und möglich, sondern in vielen Punkten auch über die vielen Jahre der Kindheit notwendig. Schließlich wachsen die kindlichen Fähigkeiten und jene Regeln, die im Alter von drei Jahren galten, müssen für ein fünfjähriges Kind nicht immer noch richtig sein. Elternschaft setzt voraus, dass wir uns flexibel an die Entwicklung des Kindes anpassen. Das bedeutet, dass wir immer wieder bereit sein sollten, zu überprüfen, ob eine Regel noch stimmig ist oder verändert werden sollte. Manchmal bedeutet das, Grenzen enger zu setzen, manchmal – gerade im Laufe der Zeit – zu weiten.

„Auf keinen Fall nachgeben!“ ist also ein Spruch, der ausgedient haben sollte in der Erziehung. Vielmehr sollten wir in uns den Gedanken verankern: „Flexibilität vor Dogma“.

Eure

Zur Autorin:
Susanne Mierau ist Diplom-Pädagogin (Schwerpunkt Kleinkindpädagogik) und Familienbegleiterin. Sie arbeitete an der FU Berlin in Forschung und Lehre, bevor sie sich 2011 im Bereich bedürfnisorientierte Elternberatung selbständig machte. Ihr 2012 gegründetes Blog geborgen-wachsen.de und ihre Social Media Kanäle sind wichtige und viel genutzte freie Informationsportale für bedürfnisorientierte Elternschaft und tragen seit über 10 Jahren maßgeblich zur Verbreitung bedürfnisorientierter Erziehung bei. Susanne Mierau gibt Workshops für Eltern und Fachpersonal und spricht auf Konferenzen und Tagungen über kindliche Entwicklung, Elternschaft und Familienrollen.

Foto: Ronja Jung für geborgen-wachsen.de

Der Gender-Sleep-Gap – Jede Mutter kann schlafen lernen

Babys, Kinder und Teenager schlafen anders als Erwachsene. Glücklicherweise hat sich in den vergangenen Jahren immer mehr das Wissen durchgesetzt, dass dieser andere Schlaf von jungen Menschen kein Fehler ist, sondern aus Sicht der Entwicklung durchaus sinnvoll. Gleichzeitig stellt sich aber noch immer die Frage: Wenn mein Kind richtig schläft, so wie es schläft, wie soll ich dann ausreichend Schlaf finden? Gerade dann, wenn das Baby oder Kleinkind nachts noch Nahrung benötigt oder Schwierigkeiten hat, nach dem (normalen) Aufwachen zwischen den Schlafphasen schnell wieder in den Schlaf zu finden? Bedeutet das nicht zwangsweise, dass Eltern anders schlafen müssen? Tatsächlich benötigen viele Kinder ihre Bezugspersonen nachts zur Regulation und Begleitung. Allerdings sprechen und denken wir in Bezug auf das nächtliche Begleiten eben nicht von Eltern, sondern von Müttern.

Die Schlaflücke – Wie groß der Gender-Sleep-Gap wirklich ist

Mütter begleiten insbesondere in den Schlaf und rund um den Schlaf – wie sie auch sonst mehr Care-Arbeit übernehmen. Laut einer Studie des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung ist der Schlaf von Eltern innerhalb der ersten sechs Jahre nach der Geburt des ersten Kindes in seiner Qualität und Dauer beeinträchtigt – Mütter schlafen hierzulande in den ersten drei Monaten nach der Geburt durchschnittlich eine Stunde weniger, Väter 15 Minuten weniger. Dieser Differenz im Umsorgen des Schlafes passt sich ein den bestehenden Gender-Care-Gap:

Die Sorgelücke betrug im Jahr 2019 (trotz allgemeiner Verringerung seit dem Jahr 1992) noch immer 52,4 Prozent: Frauen wenden täglich 52,4 Prozent mehr Zeit für unbezahlte Sorgearbeit als Männer auf. Hierbei muss aber noch einmal genauer nach Alter und Lebenssituation differenziert werden: In der Altersgruppe der 34jährigen beträgt der Gender-Care-Gap sogar 110,6 Prozent. Frauen dieser Altersgruppe verbringen pro Tag durchschnittlich 5 Stunden und 18 Minuten mit Care-Arbeit, während Männer 2 Stunden und 31 Minuten damit verbringen. Besonders viel Care-Arbeit fällt in Haushalten mit Kindern an. Hier verrichten Mütter 2 Stunden und 30 Minuten mehr Care-Arbeit als Väter.

Susanne Mierau „Füreinander sorgen“ (2023, S.59)

Sind Mütter bessere Versorgerinnen nachts?

Kinder brauchen nächtliche Fürsorge und sie muss von ihren nahen Bezugspersonen geleistet werden. Doch das nächtliche Umsorgen muss keinesfalls ausschließlich durch ein Elternteil erfolgen und ist nicht an ein Geschlecht gebunden.

Die israelische Psychologin und Hirnforscherin Ruth Feldman hat festgestellt, dass Mütter in der Regel mit einer geöffneten Amygdala schlafen (die Region im Gehirn, die u.a. für Gefühle verantwortlich ist und potenzielle Gefahren analysiert): Hierdurch sind sie für die Signale des Babys auch während des Schlafs zugänglich ist. Diese Aktivierung bleibt auch nach der Babyzeit bestehen. Väter hingegen können mit einem geschlossenen Mandelkern schlafen, weil sie wissen, dass die Mutter sich kümmern wird. Ist allerdings ein Vater eine Hauptbezugsperson, wird bei diesem der Mandelkern aktiviert. Es ist also – wie generell bei der Care-Arbeit – keine Frage des Geschlechts, sondern der Zuständigkeit und der Verantwortlichkeit. Das Umsorgen von Babys und Kindern wird gelernt und braucht aktives Tun.

Folgen des Schlafmangels für Mütter

Dass nun Mütter besonders für die nächtliche Care-Arbeit zuständig sind, bleibt nicht folgenlos. Wir haben bereits gesehen, dass die Zeitmenge des Schlafdefizits durchaus beträchtlich ist. In der Regel können wir kurzfristig mit weniger oder keinem Schlaf ohne große Schäden davonkommen und der in der Elternschaft erlebte Schlafmangel muss nicht zwangsweise zu Problemen führen, aber langfristig oder in Kombination mit vorher oder nachher (wenn sich Schlafstörungen durch diese Zeit und nächtliche Begleitung entwickeln) bestehenden Schlafstörungen kann er sich auf unser körperliches und psychisches Wohlergehen auswirken: das Immunsystem, unser Gehirn, psychische Erkrankungen und unsere Emotionen.

Schlafmangel macht uns launischer, gereizter und nervöser. Damit einher geht, dass sich unser Blick auf die Welt verändert, da sich Menschen mit Schlafstörungen besser an negative Erlebnisse erinnern als an positive. Gerade in der Elternschaft ist das eine sehr ungünstige Auswirkung von Schlafmangel, wenn sich der Blick auf das Erleben, aber auch auf das Kind, negativ eintrübt und nur noch die schlechten Seiten betrachtet werden und kein ressourcenorientierter, wohlwollender Blick mehr möglich ist. Hinzu kommt vielleicht noch das abendliche oder nächtliche Grübeln, wenn ein Ein- oder Durchschlafproblem vorliegt.

Susanne Mierau (2024): Das Schlafbuch für die ganze Familie, S.58

Gerade Menschen, die in der Verantwortung stehen, sich mit Feinfühligkeit um andere kümmern zu müssen, brauchen Schlaf, um Signale zu bemerken und angemessen darauf reagieren zu können, brauchen Kraft für die vielen Handgriffe des Tages und die Begleitung von Emotionen des Kindes und Regulation der eigenen.

Starke Gefühle wie Zorn, Wut, Kampf-oder-Flucht wurden bei den Personen mit Schlafmangel um über 60 Prozent verstärkt, während die ausgeschlafenen Personen kontrollierter und gemäßigter reagierten. Vielleicht kommt es in Bezug auf das gewaltfreie Begleiten von Kindern also viel mehr darauf an, dass wir ausgeschlafen sein können, als uns bisher bewusst war.

Susanne Mierau (2024): Das Schlafbuch für die ganze Familie, S.65

Doch nicht nur in Bezug auf die Begleitung der Kinder und das psychische und physische Wohlergehen ist der Schlafmangel der Mütter problematisch. Schließlich wird neben all dem Umsorgen, der täglichen und nächtlichen Care-Arbeit auch Leistung in der Erwerbsarbeit erwartet.

Frauen verdienen weniger, erhalten weniger Rente, kümmern sich mehr unbezahlt um andere. Dass sie all dies auch noch trotz Schlafmangels tun, dass sich dieser Schlafmangel auch noch negativ auf ihre Karrierechancen und Erwerbsarbeit auswirkt, wird nicht bedacht. Der Gender-Sleep-Gap ist hierzulande noch recht unbekannt. Dass wir uns müde weniger politisch engagieren können und damit weniger Kraft haben, um etwas an unserer Situation zu verändern, setzt all dem noch die Krone auf.

Susanne Mierau (2024): Das Schlafbuch für die ganze Familie, S.265

Wie kann jede Mutter schlafen lernen?

Wir brauchen also zweifellos politische Lösungen und gesamtgesellschaftliche Lösungen, um das Problem der schlaflosen Mütter anzugehen. Wir müssen darüber reden, wie es uns geht, warum wir müde sind und aufhören, diese Müdigkeit als Selbstverständlichkeit für Mütter hinzustellen. Nur weil es der Norm entspricht, ist es nicht richtig oder gesund.

Innerhalb von Familien brauchen wir mehr Schlafgerechtigkeit. Nicht nur die erwerbsarbeitende Person braucht ausreichend Schlaf, sondern auch carearbeitende brauchen Schlaf. „Du bist ja nur zu Hause, dann kannst du dich nachts ja um das Kind kümmern!“ sollte wirklich kein Argument sein, um einer Person den Schlafmangel zuzuschieben. Und ja: Es ist möglich, sich den Schlaf aufzuteilen und Care-Arbeiten umzuschichten, damit sich der nachts betreuende Elternteil wenigstens tagsüber mehr ausruhen kann. Gerade auch für Alleinerziehende braucht es mehr Unterstützung und Ressourcen, um Schlafmangel aufzufangen. Das wichtigste ist aber zuerst: Dass wir auch hier benennen, dass es einen ungerechten Unterschied gibt und dass dieser behoben werden muss.

Zur Autorin:
Susanne Mierau ist Diplom-Pädagogin (Schwerpunkt Kleinkindpädagogik) und Familienbegleiterin. Sie arbeitete an der FU Berlin in Forschung und Lehre, bevor sie sich 2011 im Bereich bedürfnisorientierte Elternberatung selbständig machte. Ihr 2012 gegründetes Blog geborgen-wachsen.de und ihre Social Media Kanäle sind wichtige und viel genutzte freie Informationsportale für bedürfnisorientierte Elternschaft und kindliche Entwicklung. Susanne Mierau gibt Workshops für Eltern und Fachpersonal und spricht auf Konferenzen und Tagungen über kindliche Entwicklung, Elternschaft und Familienrollen.

Foto: Ronja Jung für geborgen-wachsen.de

Wie Kinder lernen, Dinge zu teilen

Das Teilen ist ein positiver Wert, den viele Eltern in ihren Kindern verinnerlichen wollen. Dieser Wert erscheint so wichtig, dass Eltern manchmal beschämt sind, wenn das eigene Kind jetzt gerade nicht teilen möchte. So wird das Kind dazu gedrängt, „jetzt doch mal was abzugeben“ oder „auch nett zum anderen Kind“ zu sein. Es wird sich beim Gegenüber entschuldigt, wenn das Kind trotz Druck einfach nicht zum Teilen bewegt werden kann. Manchmal wird sogar in oder nach der erfolglosen Teil-Situation mit dem Kind geschimpft. Aber ist das ein guter Weg, um Kinder zum Teilen zu bringen?

Teilen ist weiterhin wichtig für Menschen

Das Teilen ist ein wichtiger Bestandteil unseres menschlichen Seins, da sich unser Mensch-Sein im Miteinander und gegenseitiger Unterstützung ausgebildet hat: Erst durch das Zusammenarbeiten von Menschen und gegenseitige Unterstützung ist es dem Menschen gelungen, sich über die ganze Welt auszubreiten und Regeln für das Zusammenleben zu gestalten, die eine Gemeinschaft stützen und schützen. Dass wir also auch weiterhin das Teilen und Kooperation als wichtige Werte einschätzen, die an die folgende Generation weitergeben werden sollen, ist verständlich. Doch der Weg dorthin führt nicht über Strenge und das Einfordern von Freundlichkeit, sondern über empathische Zuwendung und Vorbild.

Soziales Verhalten entwickelt sich über die Zeit und wird mit zunehmendem Alter komplexer. Etwa im zweiten Lebensjahr zeigen Kinder bereits ein erstes soziales Verhalten, wie verschiedene Studien zeigen, indem sie anderen helfen, andere unterstützen, teilen und kooperieren – allerdings ist dieses noch recht spezifisch ausgerichtet und nicht allgemein. Für die Ausbildung eines umfassend sozialen Verhaltens sind vielfältige soziale und emotionale Erfahrungen wichtig.

Kein Druck, sondern Einfühlung

Wesentlich für das Teilen ist die Entwicklung von Empathie. Kinder brauchen ihre nahen Bezugspersonen, um sie mit der Gefühlswelt des Gegenüber vertraut zu machen. Das bedeutet, zusammen mit dem Kind darüber zu sprechen: „Wie fühlt sich das andere Kind?“, „Wie fühlt es sich, wenn du mit dem Kind teilst?“ Auch Kinderbücher können eine gute Möglichkeit sein, um über Gefühl und gegenseitige Unterstützung zu sprechen „Was fühlt das Kind im Buch? Warum fühlt es sich so?“ In zwei Untersuchungen mit kleiner Stichprobengröße an Kleinkindern und ihren Eltern konnte gezeigt werden, dass Kleinkinder sich sozialer verhielten, wenn Eltern mit ihnen über die Gefühle der Personen in Kinderbüchern sprachen und sie anregten, selbst über die Gefühle anderer nachzudenken.

Auch in sozialen Alltagssituationen ist es bedeutsam, Kindern nicht nur zu erklären, wie andere sich fühlen, sondern sie zur Reflexion anzuregen: Wie fühlen sich andere Menschen? Woran erkennt das Kind, dass der andere Mensch so fühlt? Wie lässt sich dieses Empfinden verändern?

Vorbild sein

Neben aller Begleitung und Anregung kommt es auch bei der Entwicklung sozialen Verhaltens und des Teilens darauf an, wie sich die nahen Bezugspersonen selbst verhalten und welches Vorbildverhalten sie zeigen: Wann kann das Kind die Bezugspersonen beim Teilen beobachten? Wie reagieren die Erwachsenen darauf, wenn von ihnen das Teilen eingefordert wird durch andere, beispielsweise am Familientisch oder in der Öffentlichkeit? Wie verhalten sich die Eltern untereinander, aber auch gegenüber den eigenen Kindern in Bezug auf das Teilen? Gibt es Rituale des Teilens, die das Kind bei den Erwachsenen erlebt, beispielsweise wenn Kleidung gespendet wird oder wird thematisiert, dass die Familie an gemeinnützige Einrichtungen spendet?

Wie in allen anderen Bereichen der kindlichen Entwicklung sollte auch bei der Entwicklung des Sozialverhaltens und des Teilens nicht mit Druck und Strafen gearbeitet werden. Vielmehr sollte die emotionale Entwicklung unterstützt werden durch Gespräche über die eigenen und fremde Gefühle, sowie ein gutes Vorbildverhalten.

Eure

Zur Autorin:
Susanne Mierau ist Diplom-Pädagogin (Schwerpunkt Kleinkindpädagogik) und Familienbegleiterin. Sie arbeitete an der FU Berlin in Forschung und Lehre, bevor sie sich 2011 im Bereich bedürfnisorientierte Elternberatung selbständig machte. Ihr 2012 gegründetes Blog geborgen-wachsen.de und ihre Social Media Kanäle sind wichtige und viel genutzte freie Informationsportale für bedürfnisorientierte Elternschaft und kindliche Entwicklung. Susanne Mierau gibt Workshops für Eltern und Fachpersonal und spricht auf Konferenzen und Tagungen über kindliche Entwicklung, Elternschaft und Familienrollen.

Foto: Ronja Jung für geborgen-wachsen.de

Können Kinder zu viel Spielzeug haben?

Eigentlich erscheint der Gedanke doch logisch: Je mehr Spielzeug Kinder haben, desto besser sollten sie sich doch allein beschäftigen können und desto eher lernen sie, wie die Welt funktioniert? Nicht selten denken Eltern deswegen, dass sie vielleicht noch dieses oder jenes Spielzeug kaufen sollten, damit das Kind dann endlich besser allein spielen kann, sich intensiver beschäftigt, besser gefördert wird. Vielleicht ist die Auswahl doch einfach zu klein und das Kind langweilt sich?

Die Interessen des Kindes im Blick haben

Tatsächlich ist es wichtig, die aktuellen Interessen und die aktuelle Entwicklung des Kindes im Blick zu haben, wenn es um Spielzeug geht. Denn oft spielen Kinder die Themen nach, die sie gerade bewegen: Da geht es im Spiel um „Gut und Böse“ und Drachen kämpfen gegen Einhörner, es werden soziale Situationen (manchmal sehr überspitzt) nachgespielt oder Erfahrungen aus dem Alltag oder Rollenvorbilder nachgespielt. Die Kinder üben sich in fein- oder grobmotorischen Tätigkeiten, wollen jetzt gerade besonders viel Springseilspringen oder über Hindernisse balancieren.

Über das, wofür sich das Kind gerade im Spiel interessiert, erfahren wir also viel über seine aktuelle Entwicklung und die Themen, die es gerade bewegt. Für das Kind ist es toll, wenn das gesehen und bedient wird.

Viel hilft nicht viel

Der Trugschluss dabei ist aber, dass viel Material auch viel helfen würde. In einer kleinen Studie der University of Toledo aus dem Jahr 2018, in der 36 Kleinkinder untersucht wurden, zeigte sich, dass weniger Spielzeug zu fokussiertem und kreativerem Spiel führte als viel Spielzeugangebot. Ein 10jähriges Kind in Großbritannien verfügt etwa über 238 verschiedene Spielzeuge (damit sind nicht einzelne Bausteine gemeint, sondern Spielzeugsysteme) im Wert von etwa £6,500, wobei eine Studie zeigte, dass 8 von 10 Kindern nur mit maximal 20 Spielzeugen aus der ganzen Auswahl an Material tatsächlich auch spielen. Einige Kinder werden von der großen Auswahl mehr abgelenkt, andere weniger. Tatsächlich brauchen Kinder aber keine riesige Auswahl.

Verschiedene Spielangebote

Wer viele Spielsachen zu Hause hat, kann die Materialien immer mal wieder austauschen: Ein Teil der Spielsachen kann im Keller gelagert werden oder mit anderen getauscht werden, so dass immer mal wieder neue Impulse kommen. Aussortiert kann dann (je nach Alter) mit dem Kind werden: Spielst du damit aktuell wirklich noch, oder können wir das zur Seite räumen, bis du wieder damit spielen magst? Wichtig ist dafür natürlich, dass das Kind wirklich darauf vertrauen kann, dass das Spielzeug auch zurück kommt. Wer damit droht, Spielsachen wegzuwerfen, weil beispielsweise nicht gut aufgeräumt wurde, kann ein solches Vertrauen nur schwer aufbauen. Generell sollte nicht damit gedroht werden, Spielsachen einfach zu verschenken oder zu entsorgen.

Bei den Angeboten, die im Kinderzimmer vorhanden sind, sollten wir viel weniger darauf achten, dass es 100 verschiedene Spielzeugautos oder viele verschiedene Kuscheltiere gibt, sondern vielmehr, dass es eine Varianz an Spielmöglichkeiten gibt: etwas zum Konstruieren, etwas für Rollenspiel (jenseits von Stereotypen), etwas für das Lernen von Regeln und Miteinander wie (kooperative) Brettspiele etc. So haben Kinder die Möglichkeit, die verschiedenen Entwicklungsbereiche im Spiel auszubauen und sich über das Spiel die Welt anzueignen.

Auch viele Kitas setzen immer wieder einmal auf spielzeugfreie Zeiten, Spielzeugfasten/Spielzeugferien und das Reduzieren von Spielsachen, um die Kinder im sozialen Spiel und der Fantasie anzuregen und zu ergründen, welche Materialien jetzt gerade wirklich interessant sind.

Die falsche Idee des beschäftigten Kindes

Viele Eltern denken, dass Kinder sich mit mehr Spielmaterialien endlich selbst beschäftigen würden. Aber Kinder sind soziale Wesen. Die Aneignung der Welt erfolgt durchaus über das Spiel, aber wesentlich auch in Zusammensein mit anderen Menschen – jeden Alters. Zu erwarten, dass Kinder über lange Strecken ganz allein und ruhig im Kinderzimmer spielen würden, ist bei vielen Kindern eine falsche Erwartung. Durchaus gibt es diese Phasen und durchaus gibt es auch Kinder, die lieber und solche, die weniger gern allein spielen, aber viele Kinder wünschen sich ein Miteinander und spielen nicht über lange Zeiträume entspannt allein.

Als Eltern können und müssen wir dabei nicht beständig die Position des Spielpartners übernehmen. Wir können auch nicht das Spiel mit anderen Kindern ersetzen, weil wir als Erwachsene anders denken und handeln. Wir können aber für ein Miteinander mit anderen Kindern sorgen und unsere Kinder in unsere Handlungen und unseren Alltag einbeziehen – auch das kann nämlich oft spielerisch sein.

Unser Alltag lässt uns oft zu wenig Raum für all die tausend Dinge, die wir als Eltern zu erledigen haben – und zu wenig Zeit für das Miteinander. Das ist ein strukturelles Problem. Gleichzeitig haben wir ein schlechtes Gewissen, dass wir nicht mitspielen (wollen) mit unseren Kindern. Wir denken manchmal, das x-te Spielzeug wäre eine Lösung. Mehr Spielzeug bedeutet aber nicht per se, glücklichere, schlauere oder intensiv spielendere Kinder zu haben.

Spielen ist von enormer Bedeutung für unsere Kinder: Sie brauchen dafür Zeit, Raum und die Chance, sich mit genau dem beschäftigen zu können, was gerade ihr Thema ist.

Eure

Zur Autorin:
Susanne Mierau ist Diplom-Pädagogin (Schwerpunkt Kleinkindpädagogik) und Familienbegleiterin. Sie arbeitete an der FU Berlin in Forschung und Lehre, bevor sie sich 2011 im Bereich bedürfnisorientierte Elternberatung selbständig machte. Ihr 2012 gegründetes Blog geborgen-wachsen.de und ihre Social Media Kanäle sind wichtige und viel genutzte freie Informationsportale für bedürfnisorientierte Elternschaft und kindliche Entwicklung. Susanne Mierau gibt Workshops für Eltern und Fachpersonal und spricht auf Konferenzen und Tagungen über kindliche Entwicklung, Elternschaft und Familienrollen.

Foto: Ronja Jung für geborgen-wachsen.de

Übergänge bewusst im Alltag wahrnehmen

Gastartikel von Janna Visser

Übergänge sind Teil unseres Lebens. Einerseits die großen, lebensverändernden Übergänge, wie Umzüge, Trennungen oder Schulwechsel. Andererseits die vielen kleinen Übergänge, die unseren Alltag strukturieren, z. B. das morgendliche Aufstehen, das Verlassen des Hauses oder der Abschied vom Spielplatz. Einige dieser Übergänge gelingen uns leicht und voller Freude, einige können uns belasten. Wir geraten in Stress und manchmal beginnen wir sie zu vermeiden.

Wahrnehmung von Übergängen

Viele Übergänge nehmen wir in unserem Alltag als Erwachsene nicht mehr bewusst wahr. Sie sind für uns unsichtbar geworden. Denn je öfter wir einen Übergang erleben, desto mehr wissen wir, was auf uns zu kommt. Wir können für uns sorgen, etwas vorbereiten und entwickeln Routinen.

Für Kinder können alle Übergänge, die für uns Erwachsene nebenbei ablaufen, neu, spannend und herausfordernd sein. Sie entwickeln in unserem gemeinsamen Alltag Strategien für diese Übergänge und haben diverse Ideen, wie sie diese oder jene Situation gestalten könnten. Diese Ideen passen nicht unbedingt zu unseren Plänen, den Verkehrsregeln oder den Grenzen anderen Menschen. Oft ergibt das Verhalten des Kindes für uns zunächst keinen Sinn und wir finden uns wiederholt in ähnlichen Konflikten wieder. Häufig wissen wir nachher gar nicht genau, was der Auslöser eines Streits war.

An der Seite des Kindes

Bei jedem Übergang werden Kinder, wie wir alle, mit unterschiedlichen, teilweise auch widersprüchlichen, Gefühlen von Freude bis Frustration konfrontiert. Deshalb brauchen sie unsere Unterstützung, um im sicheren Rahmen unserer Begleitung selbst zu erfahren, wie sie ihre Gefühle regulieren und mit welchem Verhalten sie ihre Bedürfnisse am besten erfüllen können.

Der erste Schritt für uns Erwachsene ist dabei die grundsätzliche Wahrnehmung von Übergängen, den dazugehörigen Gefühlen und dem eigenen Umgang damit. Dafür braucht es nicht unbedingt die komplexen und schwierigen Übergänge. Wir können von jedem Übergang lernen, welche Handlungen uns unterstützen. 

Es ist hilfreich sich bewusst zu machen, dass ein Übergang einen Anfang und ein Ende hat und alle Beteiligten Beginn und Abschluss ganz unterschiedlich wahrnehmen können. Das hängt unter anderem von Faktoren wie dem Wissen und der Verantwortlichkeit für Aufgaben rund um den Übergang ab: Beginnt der Übergang mit der Planung und Vorbereitung eines Ausflugs oder mit dem Verlassen des Hauses? Klare Absprachen bezüglich des Ablaufs und der Zuständigkeiten können Übergänge gleichberechtigt für alle sichtbar machen und Konflikte vorbeugen.

Übergänge und Erwartungen

Abhängig davon wie wir Übergänge wahrnehmen und unsere individuellen Rahmenbedingungen aussehen, bewerten wir Übergänge in ihrer Dringlichkeit, Intensität und Bedeutung. Es kann helfen zu schauen was genau wir über den jeweiligen Übergang wissen, woher diese Informationen stammen und was wir erwarten. Wer welchen Übergang für die Erfüllung der eigenen Bedürfnisse braucht, kann Klarheit für die empathische Gefühlsregulation bei uns Erwachsenen – und auch bei den Kindern – geben. Wenn wir lernen, während eines Übergangs unsere (eigenen) Bedürfnisse zu erfüllen, werden wir entspannter und kreativer bei der Lösung von Konflikten.

Nach dem Übergang ist vor dem Übergang

Wie im Projektmanagement oder Profi-Sport ist es während und nach Übergängen lohnenswert zu reflektieren. Kinder profitieren sehr davon, wenn sie beobachten dürfen, wie wir über Situationen nachdenken, alternative Handlungsmöglichkeiten entwickeln und sie daran aktiv teilhaben dürfen. Je nachdem wie unser Alltag gerade aussieht, gibt es mehr oder weniger Raum und Zeit um seine Gedanken zu sortieren. Hier eine Übung für zwischendurch:

Botschaft an mich selbst

Denke an einen kleinen, alltäglichen Übergang aus den letzten Stunden und erzähle deinem Vergangenheits-Ich in einer Nachricht, einer kurzen Notiz oder einer Sprachnachricht davon. Folgende Fragen können dabei helfen:

– Welches Wissen hätte ich gerne zu dem Zeitpunkt des Übergangs gehabt?

– Was hat mir an meinem Verhalten gut gefallen?

– Wer oder was hat mir in der Situation geholfen?

– Welche Tipps gebe ich meinem Vergangenheits-Ich mit auf den Weg?

Je öfter wir einen Übergang erlebt haben, desto mehr lernen wir für uns zu sorgen. Solche Übungen helfen uns dabei, unsere Anteile bei der Erfüllung der eigenen und kindlichen Bedürfnisse zu erkennen. Wir können so gezielt üben, Ideen und Strategien zu sammeln und dadurch mit Klarheit und Flexibilität Herausforderungen in zukünftigen Übergängen begegnen.

Eure

Janna Visser ist Sozialarbeiterin B.A., Erziehungs- und Bildungswissenschaftlerin M.A. und Mediatorin. Sie arbeitete in der Kinder- und Jugendhilfe, Schulsozialarbeit, Bildungsarbeit sowie Forschung und Lehre. Ende 2022 hat sie sich auf die bedürfnisorientierte Begleitung von Übergängen spezialisiert. Ihr Angebot richtet sich an Familien, Erwachsene und Jugendliche sowie pädagogische Fachkräfte & Firmen. Ein Teil ihres Konzepts ist die solidarische Bezahlung nach Ermessen. Mehr über ihre Arbeit erfährst du auf ihrer Seite oder bei Instagram .