Kategorie: Trotzphase

Die Entdeckung des „Ich“ als Elternteil entspannt begleiten

Die Trotzphase, wie sie im Allgemeinen genannt wird, erscheint neben der Pubertät vielen Eltern als sehr große Herausforderung und ist nicht selten von vornherein mit Angst oder zumindest großem Respekt verbunden. Manche Eltern trifft diese Phase auch mit voller Wucht und sie erkennen ihr Kind nicht mehr wieder. Jedes Kind verhält sich anders – das eine laut, das andere leise, das eine wild, das andere schüchtern. Eines aber haben sie gemeinsam: Sie sind auf der Suche nach dem Ich und entdecken ihre Autonomie, also ihre Selbstständigkeit. Es ist an uns, sie in dieser Phase zu begleiten und ihnen bei der Suche danach zu helfen.

Trotzphase? Autonomiephase? Ich-Phase? Eine besonders herausfordernde Zeit für alle

Es steht außer Frage: Die Trotzphase, oder wie wir sie lieber nennen „Autonomiephase“ oder „Ich-Phase“, ist eine ganz besondere Phase im Leben deines Kindes, in der sich ihm plötzlich ganz neue Möglichkeiten bieten. Aus einem scheinbar kleinen hilflosen Baby wird ein selbstbestimmtes Kind. Diese Phase ist eine der wichtigsten Phasen in der frühkindlichen Entwicklung und prägt das Zusammenleben in der Familie sehr. „Ich kann das allein! Auf gar keinen Fall sollen Mama oder Papa dabei helfen!“, ist das Motto. Was für eine Aufgabe! Das Kind ist zu Recht vom eigenen Ich völlig fasziniert. Leider aber funktionieren noch nicht alle Dinge so schnell und auf Anhieb, wie es sich alle Beteiligten vielleicht wünschen würden. Großer Frust, Wut und Tränen sind oft vorprogrammiert. Dein Kind rüttelt gewaltig an deinen Nerven und denen seines Umfelds. Die eigene Frustrationstoleranz, die erst aufgebaut und entwickelt werden muss, wird jeden Tag mehrfach auf eine harte Probe gestellt.

Es gibt keine pauschalen Antworten und Tipps

Nicht jeder Impuls oder jede Idee passt für jedes Kind und deren Familie. Was bei dir und deinem Kind funktioniert, kann bei deiner Nachbarin und ihrem Kind im gleichen Alter überhaupt nicht funktionieren. Manchmal muss man ausprobieren und verschiedene Möglichkeiten im Kopf haben – und viel Geduld.

Ein kreativer Umgang mit herausfordernden Situationen kann beispielsweise sein:

  • eine Kleiderstraße zu legen für das Anziehen morgens
  • abends ein „plattes Kind“ auf den Fußboden legen mit der Kleidung für den nächsten Tag
  • passende Bilderbücher zu Themen gemeinsam ansehen
  • Rituale für den Alltag entwickeln
  • eine Ja-Umgebung zu Hause gestalten
  • in schwierigen Situationen mit Fremden auf eine vorher zurechtgelegte Liste mit Antworten zurückgreifen

Was heute nicht klappt, klappt vielleicht morgen. Oder nächste Woche. Umgekehrt gilt auch, was heute wunderbar funktioniert hat, muss morgen nicht zwangsläufig genauso gut funktionieren. Es ist also vielseitig. So vielseitig wie dein Kind in der Autonomiephase auch. Es braucht dabei deine Begleitung, dich als Kompass, deine Liebe. Du selbst brauchst eine fast schon stoische Gelassenheit und ein ziemlich dickes Fell, um wirklich entspannt da durchzukommen. Und selbst dann wird es Tage geben, da wirst du am Abend völlig entnervt über dich und deine Reaktionen auf einzelne Situationen mit deinem Kind, unzufrieden ins Bett gehen. All das ist „normal“. All das beschreibt das Leben mit einem Kind in der Autonomiephase. Auch für dein Kind ist diese Phase sehr anstrengend, zwiegespalten, herausfordernd, verwirrend.

Was aber dennoch immer wichtig ist

Das Wichtigste in der Begleitung – ob zu Hause oder in der Kita – ist: den Druck herauszunehmen, sich in das Kind hineinzuversetzen und einen Perspektivwechsel zu vollziehen. Die meisten Eltern sind bemüht, entspannt und liebevoll durch diese Zeit zu kommen und geben jeden Tag ihr Bestes. Als Pädagoginnen geben wir folgende Säulen für deinen entspannten Umgang mit:

  1. Du brauchst Zeit und Geduld
    Wir wissen: das ist gar nicht so einfach. Es ist anstrengend, immer und immer wieder mit dem Kind in Beziehung zu gehen und Verständnis zu haben. Dennoch: Regulation baut sich mit der Zeit aus und braucht unsere Begleitung. Nimm dir Zeit für dein Kind, für euch, aber auch für dich allein, damit du wieder Kraft tanken kannst.
  2. Die Außenwelt hat manchmal wenig Verständnis – lass dich davon nicht verunsichern
    Es ist gar nicht so leicht, sich ein „dickes Fell“ zuzulegen. Denk dran: Nicht du bist zu unhöflich, wenn du dir eine Einmischung verbittest, dein Gegenüber ist es, wenn es sich ungefragt einmischt.
  3. Sei „perfekt unperfekt“
    Oft haben wir viele Gedanken dazu, wie Elternschaf sein muss, was wir leisten müssen. Aber diese Ansprüche sind oft nicht notwendig, unsere Kinder wachsen wunderbar auch mit viel weniger. Nimm den Druck raus.

Deine Barbara + Lisa

Zu den Autorinnen:
Barbara Weber-Eisenmann ist Diplom-Sozialpädagogin, Bloggerin und Mutter. Als langjährige Leiterin im Kita- und Grundschulbereich weiß sie, welche Sorgen und Fragen Eltern während der Kleinkindzeit haben. Barbara ist auf Twitter und Instagram zu finden.
Lisa Wurzbach unterstützt als Fachberaterin Kindertageseinrichtungen bei pädagogischen Fragen zur kindlichen Entwicklung. Lisa ist ebenfalls auf Twitter und Instagram zu finden.
Gemeinsam haben Barbara und Lisa das Buch „Liebevoll durch die Trotzphase“ geschrieben.

Foto: Ronja Jung für geborgen-wachsen.de

Versöhnung nach dem Eltern-Kind-Streit

Streit kommt in Familien vor: zwischen den Eltern, zwischen Geschwistern, zwischen Elternteil und Kind. Natürlich ist es hilfreich, Streit da, wo es geht, durch überlegtes Handeln zu vermeiden, aber er ist nicht immer so schädlich für das Familienklima, wie manchmal behauptet wird – sofern er gut ausgetragen wird. Lange Zeit wurde angenommen, dass Streit zwischen Elternteilen vermieden und wenn doch, dann nicht vor dem Kind stattfinden sollte. Untersuchungen zeigen aber, dass nur destruktive Paarkonflikte problematisch sind, die verbale oder physische Aggressivität, Blockadeverhalten, Rückzug, Meidung oder andere Feindseeligkeit beinhalten, die dazu führen können, dass beispielsweise das Gefühl der emotionalen Sicherheit des Kindes verringert wird. Konstruktive Konfliktbewältigung ist hingegen nicht von Nachteil.

Gerade wenn das Kind Zeuge des Elternkonflikts ist, ist es hilfreich, wenn es auch dessen Lösung erfährt.

Susanne Mierau „New Moms for Rebel Girls“ S.193

Konstruktive Problemlösung ist hilfreich

So, wie bei Streitigkeiten in der Paarbeziehung, ist es auch bei Streitigkeiten zwischen Geschwistern wichtig, dass der Konflikt konstruktiv gelöst wird. Und auch bei Streitigkeit zwischen Eltern und Kind kommt es auf konstruktive Lösungen an: In einem familiären Streit geht es darum, die Perspektive der anderen Person einzunehmen, zu verstehen und eine gemeinsame, sinnvolle Lösung zu finden. Durch einen konstruktiven und gerechten Umgang mit Konflikten in der Familie kann das Kind lernen, diese Problemlösungstrategie auch auf außerfamiliäre Situationen zu übertragen – eine wichtige Fertigkeit für das weitere Leben.

Zudem ist es im Rahmen des Bindungssystems wichtig, dass die nahen Bezugspersonen als sichere, wissende und starke Begleitung dem Kind eine Orientierung bieten. Gerade dann, wenn das Kind im Baby-, Kleinkind- oder auch noch Vorschulalter nicht konkret benennen kann, wie es sich fühlt, was es gerade als Problem wahrnimmt, ist es wichtig, dass sich die Bezugsperson in das Kind hineinversetzt und versucht, die Ursache wertfrei zu ergründen, um dann eine Lösung zu finden.

Das ist manchmal gar nicht so leicht: Unsere eigenen Empfindungen können uns dabei im Weg stehen, objektiv auf die Situation zu blicken. Auch verinnerlichte Glaubenssätze (beispielsweise dass Konflikte Machtkämpfe wären und Eltern immer Recht behalten müssen, damit sie ihre Autorität nicht verlieren) können es erschweren, konstruktiv mit einem Konflikt umzugehen.

Versöhnung nach dem Streit

Neben der Lösung des konkreten Problems ist es hilfreich, wenn nach dem Konflikt auch die Beziehungsebene noch einmal thematisiert wird: Es kann besprochen werden, dass es einen Streit gab, gemeinsam eine Lösung gefunden wurde und viele Gefühle daran beteiligt waren. Dass es Streit gibt, ist normal. Das sollten auch Kinder erfahren und nicht Angst oder Vermeidungsverhalten in Bezug auf Streitigkeiten entwickeln, weil sie in der Familie tabuisiert werden. Der Fokus auf die Beziehungsebene vermittelt: Streit kommt vor, aber ich habe dich mit deinen Bedürfnissen gesehen und verstanden und bin trotz unserer unterschiedlichen Meinung für dich da und suche mit dir eine Lösung, damit es uns besser geht. Das Kind kann noch einmal nachvollziehen, was passiert ist und bekommt vermittelt, dass eine Beziehung von Offenheit und Respekt gelebt wird.

Nicht immer ist eine Lösungsfindung schnell und einfach. Manchmal muss ausprobiert werden, was funktioniert und was nicht. So dauert es manchmal mit der Beseitigung des Streits etwas. Die Versöhnung muss auch nicht daraus bestehen, dass beide Seiten wieder gute Laune haben, sondern daraus, anzuerkennen, dass es verschiedene Perspektiven und Empfindungen gab und man als Bezugsperson dennoch sicher zur Verfügung steht und das Kind weiterhin liebt. Das Kind hat auch das Recht, nicht sofort wieder gute Laune haben zu müssen. Manchmal braucht es etwas Zeit, bis der Ärger wirklich verflogen ist. Auch das ist in Ordnung. Das Kind sollte wissen, dass es sich jederzeit vertrauensvoll an die Bezugsperson wenden kann mit seinen Gefühlen, da wir als Erwachsene die Schutz- und Regulationsfunktion für das Kind erfüllen und dies auch im Konfliktfall tun.

Eure

Zur Autorin:
Susanne Mierau ist Diplom-Pädagogin (Schwerpunkt Kleinkindpädagogik) und Familienbegleiterin. Sie arbeitete an der FU Berlin in Forschung und Lehre, bevor sie sich 2011 im Bereich bedürfnisorientierte Elternberatung selbständig machte. Ihr 2012 gegründetes Blog geborgen-wachsen.de und ihre Social Media Kanäle sind wichtige und viel genutzte freie Informationsportale für bedürfnisorientierte Elternschaft und kindliche Entwicklung. Susanne Mierau gibt Workshops für Eltern und Fachpersonal und spricht auf Konferenzen und Tagungen über kindliche Entwicklung, Elternschaft und Familienrollen.

Foto: Ronja Jung für geborgen-wachsen.de

Wann Kinder allein entscheiden können – und wann nicht

Wir wissen es: Kinder wollen selbstwirksam sein und die Welt kennenlernen. Dafür müssen sie sich aktiv mit der Welt auseinandersetzen können. Je älter sie werden, desto mehr fordern sie das auch ein, meist ab dem zweiten Lebensjahr. Wenn sie aktiv am Alltag beteiligt sind und darin eigene Entscheidungen treffen können, kann dies das Vertrauen zwischen Bezugsperson(en) und Kind stärken, das Selbstvertrauen fördern und auch den Ausbau der Fertigkeiten des Kindes unterstützen. Deswegen ist es gut, das Kind an vielen Tätigkeiten des Alltags zu beteiligen und ihm zu ermöglichen, sich daran auszuprobieren. Wichtig ist dabei, dass die Aufgaben machbar sind, vielleicht sogar etwas herausfordernd, aber nicht zu schwer, damit es nicht zu einer Frustration kommt durch Überforderung.

Warum Kinder nicht alles allein entscheiden können

Im Alltag ergeben sich viele Möglichkeiten, bei denen Kinder beteiligt werden können. Da sie jedoch trotz aller Kompetenzen Kinder sind, haben sie aufgrund ihres geringeren Alters und Erfahrungsschatzes über viele Dinge noch kein umfangreiches Wissen verinnerlicht. Zudem können sie – je nach Alter – bestimmte Gefahren, aber auch Zeit- und Mengenangaben, noch nicht einschätzen. Deswegen ist es wichtig, dass ihre Bezugspersonen die Situationen aufgrund ihres Wissens besser einschätzen und Gefahren vorbeugen können. In einigen Situationen müssen daher Entscheidungen von den erwachsenen Bezugspersonen allein getroffen werden, gerade im Bereich der Gesundheitsvorsorge und dem Schutz vor Gefahren.

Bindungspersonen müssen beschützen

Das Bindungssystem ein Schutzsystem, das die Bedürfniserfüllung und das sichere Aufwachsen des Kindes gewährleisten soll. Die primäre Bindungsperson ist dementsprechend jemand, der auf mehr Wissen und auch körperliche Fähigkeiten zurückgreifen kann, um dies zu bewerkstelligen. Manchmal kollidiert diese Schutzfunktion mit den Wünschen und Vorstellungen des Kindes, worauf besonders Kleinkinder oft mit Wut reagieren. Dennoch ist es wichtig, sich als Bezugsperson der eigenen Rolle und Verantwortung bewusst zu sein.

Es muss also immer wieder abgewogen werden: Muss ich als als Elternteil eine Entscheidung treffen, weil das Kind die Folgen nicht absehen kann, kurz-/mittel- oder langfristig durch die Situation in Gefahr ist? Viele Gesundheitsthemen fallen in diesen Bereich, beispielsweise die Mundhygiene, aber beispielsweise auch das Windelwechseln, wenn das Kind beim langen Tragen einer vollen Windel sonst eine schmerzhafte Dermatitis entwickeln würde oder auch Sicherheitsthemen wie Spaziergänge auf der Straße.

Kinder einbeziehen, wenn Bezugspersonen entscheiden

Es gibt Situationen, in denen es keine Möglichkeiten gibt, das Kind in die Entscheidung einzubeziehen – hier müssen die Bezugspersonen allein eine Entscheidung treffen und ggf. den Unwillen des Kindes dann verständnisvoll auffangen, begleiten und die Gefühle regulieren. Oft ist das bei medizinischen Eingriffen der Fall.

In vielen Situationen gibt es allerdings einen Handlungsspielraum, in dem das Kind eingebunden werden kann. Bei der Mundhygiene gibt es zwar nicht die gesunde Option, über einen längeren Zeitraum ganz auf das Zähneputzen zu verzichten, aber es gibt viele Möglichkeiten, in denen das Kind innerhalb des Möglichkeitsraums Entscheidungen treffen kann: An welchem Ort willst du die Zähne geputzt bekommen? Welche Zahnpasta magst du? Auch beim Windelwechseln gibt es viele Möglichkeiten des Einbeziehens.

Glaubenssätze hinterfragen

In vielen Bereichen können wir also durchaus unsere Kinder in Entscheidungen einbinden und oft können sie sogar allein Entscheidungen fällen. Neben den gefährlichen Situationen, in denen Bezugspersonen klar die Führung übernehmen müssen, stehen uns in anderen Situationen oft Glaubenssätze im Weg, die uns daran hindern, das Kind für kompetent genug zu halten. Es lohnt sich, sich selbst zu hinterfragen: Ist das jetzt wirklich wichtig? Denke ich nur, dass das Kind das nicht kann, weil ich es selbst nicht durfte/wir es noch nie ausprobiert haben/andere es anders machen? Denke ich, dass das Kind das nicht darf aufgrund bestimmter gesellschaftlicher Konventionen, die vielleicht überholt sind? Diese Fragen können uns helfen, gelassener mit Kindern umzugehen und ihnen einen größeren Handlungsspielraum zuzugestehen.

Entscheidungsfähigkeit des Kindes an Entwicklung anpassen

In jenen Situationen, in denen das Kind keiner Gefahr ausgesetzt ist und es eine eigene Entscheidung treffen kann, ist es wichtig, dass wir als Bezugspersonen auch an die Möglichkeiten des Kindes denken. Die Frage „Was willst du heute zum Abendessen essen?“ kann für ein Kleinkind überfordernd sein. Besonders dann, wenn wir sie nicht so offen meinen, wie wir sie stellen. Dann sagt das Kind vielleicht „Schokopudding“, obwohl wir etwas Herzhaftes meinten, und das Kind ist dann zurecht frustriert von der Zurückweisung. Hier ist es sinnvoll, dass wir uns zunächst der eigenen Absicht klar sind und gegebenenfalls einen Entscheidungsrahmen anbieten, an dem sich das Kleinkind orientieren kann: „Was möchtest du essen, Brot mit Belag oder Kartoffelbreirest vom Mittagessen?“ Mit zunehmendem Alter können Optionen ausgebaut und auch zur freien Verfügung überlassen werden. Aber zu viele Optionen überfordern manchmal sogar uns Erwachsene noch: Eine Entscheidung zu treffen bedeutet gelegentlich auch, andere gute Optionen auszuschlagen. Eine im Nachhinein falsche Wahl belastet uns wieder und zeigt, dass wir Zeit in eine letztlich falsche Wahl investiert haben. Einige Menschen haben es dabei schwerer, sich damit zufrieden zu geben, eine falsche Entscheidung zu treffen. Sie ärgern sich mehr über Fehlentscheidungen.

Unseren Kindern den Raum zu geben für eigene Entscheidungen ist richtig und gut, aber nicht immer ist es möglich und manchmal nur in einem begrenzten Handlungsfeld – auch das ist für das Kind gut.

Eure

Zur Autorin:
Susanne Mierau ist Diplom-Pädagogin (Schwerpunkt Kleinkindpädagogik) und Familienbegleiterin. Sie arbeitete an der FU Berlin in Forschung und Lehre, bevor sie sich 2011 im Bereich bedürfnisorientierte Elternberatung selbständig machte. Ihr 2012 gegründetes Blog geborgen-wachsen.de und ihre Social Media Kanäle sind wichtige und viel genutzte freie Informationsportale für bedürfnisorientierte Elternschaft und kindliche Entwicklung. Susanne Mierau gibt Workshops für Eltern und Fachpersonal und spricht auf Konferenzen und Tagungen über kindliche Entwicklung, Elternschaft und Familienrollen.

Foto: Ronja Jung für geborgen-wachsen.de

Gebote statt Verbote – wie sie das Erleben deines Kindes verändern können

„Das darfst du nicht!“ – Gerade wenn unsere Kinder noch klein sind, gibt es viele Dinge, die sie noch nicht tun können oder sollen. Als Eltern sollten wir unseren Kindern nicht nur die Freiheit geben, die Welt zu erkunden, sondern müssen ihnen auch als Sicherheit gebende Bezugspersonen zur Seite stehen, ihnen die Welt erklären und sie an vielen Stellen auch noch anleiten. In der Kleinkindzeit, wenn Kinder selbständig die Welt erkunden wollen, selbstwirksam Erfahrungen machen wollen und ihren eigenen Entwicklungsplan verfolgen, stoßen sie dann mit ihrem kindlichen Erkundungsdrang gegenüber der Fürsorgeverantwortung der Eltern an Grenzen und drücken ihren Unmut je nach Temperament stärker oder weniger stark aus.

Alle Probleme lassen sich nicht umschiffen

Natürlich lassen sich nicht alle Situationen umschiffen, in denen der Wunsch des Kindes der Verantwortung der Eltern entgegensteht. Das muss es auch nicht, denn auch Konflikte gehören zum Leben dazu und Kinder lernen in der Familie Konfliktlösungsstrategien und den Umgang mit den eigenen Gefühlen wie Wut und Trauer, wenn Situationen anders laufen, als geplant. Auch das gehört zum Alltag und Entwicklungsplan der Kinder dazu. Aber wie bei der Ja-Umgebung für Babys lohnt es sich, auch in der Kleinkindzeit (und danach) den Fokus nicht auf die Verbote zu richten, sondern auf die Möglichkeiten und Alternativen.

Was ist alles möglich?

Regeln bestimmen nicht nur, was alles nicht gemacht werden kann, sondern auch, was alles möglich ist. Für den Alltag sind Regeln und Rituale hilfreich, weil sie uns eine Struktur geben, an der wir uns orientieren können. Auch hier gilt übrigens: einige Kinder (und Erwachsene) benötigen mehr Regelmäßigkeiten und Strukturen, andere weniger.

Wenn wir den Fokus auf die Möglichkeiten setzen, statt auf Verbote, erlebt sich das Kind weniger eingeschränkt in den Handlungsräumen, reagiert mit weniger Gegenwillen und ist mehr beteiligt. Im konkreten Alltag bedeutet das beispielsweise, bewusst Alternativen anzubieten: Statt „Damit darfst du nicht spielen!“ sagen „Schau, hier drüben stehen die Sachen, mit denen gespielt werden kann!“. Oder statt „Das darfst du (jetzt) nicht essen!“ anzubieten „Wenn du Hunger hast, kannst du jetzt ein Stück Gurke oder einen Apfel bekommen.“ Auch im Spielalltag können wir den Fokus verlagern von „Jetzt wird nicht xy gemacht!“ zu „Jetzt räumen wir zusammen den Tisch ab, danach kannst du aussuchen, was wir zusammen spielen.“ bzw. von „Ich hab keine Lust mit dir zu spielen!“ zu „Jetzt ruhe ich mich kurz aus und du kannst in der Zwischenzeit xy spielen, nachher machen wir was zusammen.“

Den Fokus von den Verboten auf die Möglichkeiten zu verlegen, ist eine kleine Veränderung. Weg vom Negativen, ausrichten auf das Positive. Es mag uns Erwachsenen vielleicht zunächst als unnötig oder wenig bedeutsam erscheinen, aber für unsere Kinder kann es einen Unterschied im Alltag machen und uns selbst auch Erleichterung schenken. Einen Versuch des Umdenkens und Ausprobierens ist es wert.

Eure

Zur Autorin:
Susanne Mierau ist Diplom-Pädagogin (Schwerpunkt Kleinkindpädagogik) und Familienbegleiterin. Sie arbeitete an der FU Berlin in Forschung und Lehre, bevor sie sich 2011 im Bereich bedürfnisorientierte Elternberatung selbständig machte. Ihr 2012 gegründetes Blog geborgen-wachsen.de und ihre Social Media Kanäle sind wichtige und viel genutzte freie Informationsportale für bedürfnisorientierte Elternschaft und kindliche Entwicklung. Susanne Mierau gibt Workshops für Eltern und Fachpersonal und spricht auf Konferenzen und Tagungen über kindliche Entwicklung, Elternschaft und Familienrollen.

Foto: Ronja Jung für geborgen-wachsen.de

„Damit will es mich nur ärgern!“ – Warum Kleinkinder nicht auf diese Art provozieren

„Das macht es nur, um mich zu ärgern!“ Diesen Satz haben wahrscheinlich schon viele Eltern irgendwann einmal gedacht. Vielleicht auch nicht als diese Aussage, sondern als zweifelnde Frage „Macht es das jetzt vielleicht doch nur, um mich zu ärgern?“ – Gerade wenn wir immer wieder aus dem nahen Kreis von erwachsenen Personen um uns hören, dass unsere Kinder uns mit ihrem Verhalten doch nur ärgern oder provozieren wollen, kommt dieser Gedanke oft irgendwann einmal als Zweifel auf: „Vielleicht ist ja doch etwas dran, dass…?“ Aber sehen wir einmal genauer hin:

Kleinkinder können noch nicht bewusst provozieren wie Erwachsene

Der Gedanke „Das macht es nur, um mich zu ärgern!“ bedeutet, dass das Kind weiß, dass eine Handlung von ihm im Gegenüber eine andere bestimmte Reaktion auslösen wird und dass es sich der Folge nicht nur bewusst ist, sondern auch billigend in Kauf nimmt, dass die Bezugsperson verärgert ist.

Natürlich verfügen Kinder im Kleinkindalter schon über ein Wissen von Ursache und Wirkung. Aber sie können sich noch nicht besonders gut in die Gedanken und Gefühle anderer Personen hineinversetzen und ihre eigenen Gefühle entsprechend regulieren, um mit ihrem Verhalten bei uns bewusst Ärger hervorzurufen. Wenn sich ein Kleinkind in einer Weise verhält, die uns verärgert, liegt das häufig daran, dass die Erwartungshaltung der Erwachsenen zu groß ist (beispielsweise können Kleinkinder je nach Temperament oft noch nicht lange Mahlzeiten im Restaurant oder beim Familienessen geduldig am Tisch durchhalten) oder dass sie mit ihrem Verhalten darauf aufmerksam machen wollen, dass ein Bedürfnis von ihnen nicht/nicht ausreichend erfüllt ist und sie ihr inneres Befinden nicht in Worten ausdrücken können, beispielsweise wenn wir einen langen Tag hatten, das Kind schon viel mitgemacht hat morgens, um sich fertigzumachen, später in der Kita kooperiert hat und dann nach dem Abholen noch „brav mit einkaufen soll“. Nun braucht es aber eigentlich etwas Autonomie oder auch Beziehung und Geborgenheit mit der primären Bezugsperson. Es wird wütend und schimpft laut, weil es nicht einkaufen will. Aber eigentlich geht nicht um das Einkaufen, sondern darum, dass es eben jetzt das Gewünschte nicht leisten kann, sondern ein anderes Bedürfnis hat, das endlich erfüllt werden will.

„Das ist so peinlich.“

Und da steht es also, das schreiende Kind. Vielleicht strampelt es vor Wut auch noch mit den Beinen. Und es ist uns unangenehm vor den anderen Menschen. Aber das Kind verhält sich nicht so, damit wir uns vor anderen unangenehm fühlen und nicht gut dastehen. Das Kleinkind verhält sich so, weil es gerade nicht anders kann. Denn jetzt gerade, in der Situation der Wut und Not kann es nicht so rational denken wie erwachsene Menschen es tun. Die emotionalen Gehirnregionen sind aktiv und überlagern das Nachdenken. Es ist nicht erreichbar dafür, dass wir daran appellieren, sich doch bitte nicht so peinlich zu verhalten, damit aufzuhören oder dass es doch wirklich eigentlich keinen Grund dafür gibt. Und vor allem: Es verhält sich nicht so, um uns zu beschämen, sondern weil es nicht anders kann.

Nur mein Kind kooperiert einfach nicht!

Eigentlich ist das Kind auf Kooperation und Teilhabe an der sozialen Gruppe interessiert. Das Bindungssystem funktioniert so, dass das Kind Schutz und Geborgenheit bei den Bezugspersonen sucht und sich durchaus an vielen Stellen anpasst, um den Bezugspersonen zu gefallen. Kinder kooperieren an vielen Stellen im Alltag, aber sie bleiben eben dennoch Kinder und sind keine Erwachsenen. Oft ist die Erwartungshaltung zu hoch und wir blicken in der Situation nur auf das, was jetzt gerade nicht stimmig ist, anstatt zu sehen, wie oft das Kind eigentlich heute oder generell eben doch kooperativ war. Wer sich wiederfindet in dem Gedankenkreislauf „Mein Kind ärgert mich, weil es einfach nie tut, was ich will!“ sollte sich eine Weile darauf fokussieren, ganz besonders auf die Kooperation zu achten: Wann hat das Kind mitgemacht oder vielleicht sogar von sich aus etwas getan für mich/die Situation? Wann hat es Rücksicht genommen nach Aufforderung oder vielleicht auch von sich aus, beispielsweise wenn es ein kleineres Geschwisterkind hat und abwartet? Unser Blick auf die Kooperation und das positive Verhalten des Kindes kann unsere Wahrnehmung verändern.

Wo kommt das Denken also her, dass Kleinkinder uns ärgern wollen?

Wir sehen also: Kleinkinder wollen uns nicht mit ihrem manchmal unangenehmen Verhalten ärgern oder vor anderen vorführen. Sie sind kleine Kinder, die sich noch in der Entwicklung befinden und genau jetzt genau richtig sind. Es ist sinnvoll, dass sie so reagieren, wie sie reagieren, weil sie noch kein großes Erfahrungswissen haben, auf das sie zurückgreifen können in schwierigen Situationen und weil sie in für sie schwierigen Situationen darauf angewiesen sind, von uns Hilfe zu bekommen. Hilfe, von der sie nach und nach in Kombination mit der eigenen Reifung lernen, die Hilfsangebote selbst umsetzen und anzuwenden.

Was also bleibt, sind die Fragen: Warum habe ich diesen Glaubenssatz verinnerlicht, dass ich jedes Verhalten des Kindes, das nicht meinen Vorstellung entspricht, als Ärgern und bewusste Aktion gegen mich interpretiere? Welches Bild von Kindern wurde da eigentlich in uns geprägt und welche Erwartungshaltung, die uns noch heute so sehr belastet? Wir haben eine Geschichte von Kindheit und Erziehung hinter uns, die auf Anpassung und gehorsam ausgelegt war und über geringes Wissen über kindliche (Gehirn-)entwicklung verfügte. Das alles lässt eine Erwartungshaltung gegenüber Kleinkindern entstehen, die nicht an ihren Fähigkeiten und Bedürfnissen orientiert ist und zu negativem Erziehungsverhalten verleitet, das Kindern nachgewiesermaßen aber mehr schadet als ihnen ein gutes und gesundes Rüstzeug für die Zukunft mitzugeben.

Lassen wir diese Glaubenssätze also lieber hinter uns und denken wir bewusst in der nächsten anstrengenden Situation: „Ich weiß zwar noch nicht, was es will, aber mein kleines Kind will mich gerade nicht ärgern.“

Eure

Zur Autorin:
Susanne Mierau ist Diplom-Pädagogin (Schwerpunkt Kleinkindpädagogik) und Familienbegleiterin. Sie arbeitete an der FU Berlin in Forschung und Lehre, bevor sie sich 2011 im Bereich bedürfnisorientierte Elternberatung selbständig machte. Ihr 2012 gegründetes Blog geborgen-wachsen.de und ihre Social Media Kanäle sind wichtige und viel genutzte freie Informationsportale für bedürfnisorientierte Elternschaft und kindliche Entwicklung. Susanne Mierau gibt Workshops für Eltern und Fachpersonal und spricht auf Konferenzen und Tagungen über kindliche Entwicklung, Elternschaft und Familienrollen.

Foto: Ronja Jung für geborgen-wachsen.de

„Ich will das aber haben!“ – Mit Kindern einkaufen gehen

Und da stehen wir: nach dem Kindergarten wollen wir eigentlich „noch schnell“ eine Runde einkaufen gehen für das Abendessen, schließlich haben wir es vorher nicht geschafft. Das Kind neben uns erzählt ein wenig vom Kindergartentag und auf einmal möchte es so viel haben: dieses Joghurt hier mit dem lustigen Aufdruck, eine Süßigkeit da und dann geht es auch noch vorbei an den Kinderzeitschriften mit buntem Plastikspielzeug von den Fernsehsuperheld*innen. Und als wir an der Kasse ankommen, gibt es da auch noch einmal eine ganze Reihe an scheinbar leckeren Dingen. Sollen wir das wirklich alles kaufen? Spätestens jetzt, vielleicht schon früher ist der Moment da: Das Kind beginnt, vehementer einzufordern, schreit vielleicht, wird wütend. – Ein immer wieder auftretendes Problem, nur was lässt sich da tun?

Verständnis für das Kind

Ein typischer Zeitpunkt für das Einkaufen ist die Zeit nach dem Kindergarten: die Erwerbsarbeit ist vorbei, das Kind vom Kindergarten abgeholt, auf dem Weg nach Hause liegt der Einkaufsladen. Es könnte doch so einfach sein. Aber das Kind hat einen anstrengenden Tag hinter sich und auch wenn die Zeit im Kindergarten schön war, bedeutet sie auch oft, dass Kinder über mehrere Stunden viele Kooperationen eingehen müssen und viele Reize verarbeiten.

Nach dem Kindergarten passiert es ohnehin nicht selten, dass die Kinder sich erst einmal auf die andere Bezugsperson (meistens die Eltern) einstellen müssen, also eine Änderung der Bezugsperson vollzogen werden muss, und dass sie dort auf einmal Nähe und Zuwendung einfordern, vielleicht indem sie sich nun anziehen oder tragen lassen wollen oder auch eine Kleinigkeit zu essen oder zu trinken fordern. Vielleicht wollen sie sich jetzt erst einmal fallenlassen.

Nun auch noch einkaufen zu gehen, kann für das Kind, das schon viel kooperieren musste und erschöpft ist, vielleicht auch gerade etwas ganz anderes machen möchte, eine Herausforderung sein. Dazu kommen noch die vielen Reize im Einkaufsladen, die genau auf Kinder zugeschnitten sind. Wenn Mama oder Papa ohnehin einkaufen, dann kann es doch auch dieses oder jenes für mich sein? Einen Überblick über Kosten und gesunde Ernährungsweise können wir von unseren Kindergartenkindern noch nicht erwarten.

Bei dem beständigen Versagen von gewünschten Dingen passiert es schnell, dass das Kind emotional reagiert – je jünger, desto schwieriger ist es, die Emotionen reguliert zu zeigen. Sie brechen „einfach“ hervor. Und unser „Nein“ zu all den aus Kinderperspektive tollen Dingen kann ganz schön belastend sein für ein Kind.

Verständnis für die Erwachsenen

Auf der anderen Seite ist da ein Elternteil, das auch erschöpft ist vom Tag. Vielleicht ist auch hier die Kooperationsbereitschaft schon etwas eingeschränkt und der Wunsch groß, einfach schnell fertig zu werden, nach Hause zu kommen und die Beine hoch zu legen. Natürlich können Erwachsene viel besser mit ihren Gefühlen umgehen und dennoch sind auch sie manchmal erschöpft, müde, überreizt und es fällt nicht mehr so leicht, geduldig zu sein. Vielleicht ist es auch nicht so einfach, dass das Kind beständig so viele Wünsche hat, die sich nicht alle erfüllen lassen.

Und gerade dann, wenn um einen herum so viele Augenpaare sind, die das wütende Kind kritisch in den Blick nehmen, kann das auch zusätzlich belastend sein und weiteren Stress erzeugen.

Gemeinsam durch den Einkauf

Natürlich ist es, solange der Einkauf mit Kind emotional immer wieder aufreibend ist, praktisch, wenn er irgendwie ohne Kind organisiert werden kann: vor dem Abholen, durch eine andere Person oder als Großeinkauf am Wochenende. Aber nicht immer ist das möglich. Was helfen kann sind folgende Punkte:

  • eine festgelegte Einkaufsliste haben (hilft auch dem Elternteil, wirklich bei den Dingen zu bleiben, die man wirklich kaufen will)
  • erklären, was jetzt passieren wird und was gekauft wird
  • das Kind einbinden in das „Finden“ von Lebensmitteln
  • eventuell dem Kind schon vorab sagen, dass es sich eine Sache aussuchen darf
  • wenn es doch zu einem Wutausbruch kommt: ruhig bleiben, die Gefühle des Kindes annehmen und versuchen, eventuell kritische Kommentare oder Blicke auszublenden
  • wenn man selbst nicht in der Situation mit einem wütenden Kind ist, aber andere Eltern in dieser Situation antrifft: Verständnis signalisieren – wir kennen das alle
  • langfristig mit größeren Kindergartenkindern: zusammen die Einkaufsliste schreiben und ggf. einen Wochenplan für die Speisen machen, bei dem alle berücksichtigt werden und ihre Wünsche einbringen können

Eure

Zur Autorin:
Susanne Mierau ist Diplom-Pädagogin (Schwerpunkt Kleinkindpädagogik) und Familienbegleiterin. Sie arbeitete an der FU Berlin in Forschung und Lehre, bevor sie sich 2011 im Bereich bedürfnisorientierte Elternberatung selbständig machte. Ihr 2012 gegründetes Blog geborgen-wachsen.de und ihre Social Media Kanäle sind wichtige und viel genutzte freie Informationsportale für bedürfnisorientierte Elternschaft und kindliche Entwicklung. Susanne Mierau gibt Workshops für Eltern und Fachpersonal und spricht auf Konferenzen und Tagungen über kindliche Entwicklung, Elternschaft und Familienrollen.

Foto: Ronja Jung für geborgen-wachsen.de

Zur Autorin:
Susanne Mierau ist Diplom-Pädagogin (Schwerpunkt Kleinkindpädagogik) und Familienbegleiterin. Sie arbeitete an der FU Berlin in Forschung und Lehre, bevor sie sich 2011 im Bereich bedürfnisorientierte Elternberatung selbständig machte. Ihr 2012 gegründetes Blog geborgen-wachsen.de und ihre Social Media Kanäle sind wichtige und viel genutzte freie Informationsportale für bedürfnisorientierte Elternschaft und kindliche Entwicklung. Susanne Mierau gibt Workshops für Eltern und Fachpersonal und spricht auf Konferenzen und Tagungen über kindliche Entwicklung, Elternschaft und Familienrollen.

„Lächeln und winken“ klappt leider meistens nicht bei Kindern

Wir alle kennen sie, die Sätze „Da darfst du nicht drauf reagieren!“, „Das musst du ihm/ihr abgewöhnen, indem du einfach nicht drauf eingehst!“, „Tu einfach so, als wär es dir egal.“ – Aber wir alle wissen auch: Irgendwie klappt das nicht. Und schon gar nicht langfristig. Denn Kinder, die ein Verhalten zeigen, das uns vielleicht stört/unangenehm ist, wollen mit diesem Verhalten auf ein Bedürfnis aufmerksam machen. Und Bedürfnisse werden unerhört immer wieder zu unerhörten Taten führen. Und ohne passende Begleitung lernen Kinder nicht, mit ihren Gefühlen und Bedürfnissen umzugehen.

Was passiert, wenn wir das Verhalten belächeln

Beginnen wir aber noch einmal am Anfang: Das Kind verhält sich auf eine Weise, die wir als unangenehm empfinden: vielleicht haut es uns, vielleicht kippt es absichtlich das Glas um, das auf dem Tisch steht. Wenn wir nun nicht unsere persönliche Grenze ziehen und authentisch (aber nicht abwertend, beschämend oder gewaltvoll) aufzeigen, dass dieses Verhalten für uns unangenehm ist, sondern das Verhalten relativieren, vielleicht sogar dem Konflikt ganz aus dem Weg gehen wollen und nur lächelnd mitmachen, erfährt das Kind kein passendes Feedback von uns. Es lernt vielmehr, dass das gezeigte Verhalten in Ordnung ist und wird es in einer anderen Situation recht wahrscheinlich wieder zeigen, um Aufmerksamkeit zu erlangen. So hat es nicht die Möglichkeit, passende Handlungsweisen zu erlernen, um auf ein Bedürfnis aufmerksam zu machen.

Was passiert, wenn wir dem Verhalten nicht auf die Spur gehen

Oft liegt einem störenden oder gewaltvollem Verhalten eigentlich ein Bedürfnis zugrunde, dass das Kind ausdrücken möchte. Vielleicht wurden andere Signale des Kindes bisher übergangen, vielleicht kann es sich noch nicht gut ausdrücken oder hat bereits ein falsches Verhalten als richtige Problemlösungsstrategie abgespeichert. Es ist wichtig, das eigentliche Bedürfnis hinter dem Verhalten ausfindig zu machen und zu befriedigen, damit das Verhalten wirklich langfristig geändert werden kann. Solche Bedürfnisse können beispielsweise Hunger und Durst sein, aber auch Müdigkeit, Selbstwirksamkeit, Autonomie, Nähe, Anerkennung. Ein Ignorieren des Verhaltens ist deswegen nicht zielführend, weil es das Bedürfnis nicht berücksichtigt und langfristig auch der Bedürfniswahrnehmung des Kindes schaden kann.

Was passiert, wenn wir beim Umgang nicht helfen

Was das Kind also braucht, ist einerseits ein authentisches Gegenüber, andererseits eine passende Reaktion auf das eigentliche Bedürfnis und drittens eine gute Lösungsstrategie. Von uns lernt das Kind, mit Gefühlen und Bedürfnissen umzugehen. Wir vermitteln, welches Verhalten in welchen Situationen angemessen ist und wie das Kind auch nach und nach selbst für die Bedürfnisse sorgen kann. Ohne unsere Unterstützung und unser Vorbild ist es schwer für das Kind, das passende Verhalten zu erlernen.

„Lächeln und winken“ mag noch immer ein Tipp sein – aber wir sollten ihn eher auf solch überholte Ratschläge von Außen beziehen. Kinder brauchen ein authentisches, echtes Gegenüber, das sie in das Leben begleitet und ihnen Aufmerksamkeit, Hilfe und Unterstützung anbietet. Damit sie es dann nach und nach alleine schaffen und ihren Bezugspersonen zulächeln und ihre Hilfe abwinken, wenn sie dazu bereit und in der Lage sind.

Eure

Zur Autorin:
Susanne Mierau ist Diplom-Pädagogin (Schwerpunkt Kleinkindpädagogik) und Familienbegleiterin. Sie arbeitete an der FU Berlin in Forschung und Lehre, bevor sie sich 2011 im Bereich bedürfnisorientierte Elternberatung selbständig machte. Ihr 2012 gegründetes Blog geborgen-wachsen.de und ihre Social Media Kanäle sind wichtige und viel genutzte freie Informationsportale für bedürfnisorientierte Elternschaft und kindliche Entwicklung. Susanne Mierau gibt Workshops für Eltern und Fachpersonal und spricht auf Konferenzen und Tagungen über kindliche Entwicklung, Elternschaft und Familienrollen.

Foto: Ronja Jung für geborgen-wachsen.de

Zur Autorin:
Susanne Mierau ist Diplom-Pädagogin (Schwerpunkt Kleinkindpädagogik) und Familienbegleiterin. Sie arbeitete an der FU Berlin in Forschung und Lehre, bevor sie sich 2011 im Bereich bedürfnisorientierte Elternberatung selbständig machte. Ihr 2012 gegründetes Blog geborgen-wachsen.de und ihre Social Media Kanäle sind wichtige und viel genutzte freie Informationsportale für bedürfnisorientierte Elternschaft und kindliche Entwicklung. Susanne Mierau gibt Workshops für Eltern und Fachpersonal und spricht auf Konferenzen und Tagungen über kindliche Entwicklung, Elternschaft und Familienrollen.

Foto: Ronja Jung für geborgenwachsen.de

Ich will Ruhe, Du willst Spiel

Ein langer Arbeitstag liegt hinter uns, das Kind ist vom Kindergarten abgeholt und hatte ebenfalls einen vollen Tag mit Erfahrungen, sozialem Austausch, Regeln. Eigentlich wollen wir als erwachsene Person uns jetzt kurz ausruhen: Endlich mal die Beine hochlegen nach dem langen Tag, Gedanken abschalten, einfach ausruhen. Vielleicht sind wir erschöpft, vielleicht sogar etwas kränklich. Aber da ist das Kind an unserer Seite, das nun mit uns spielen will. Schnell kann eine solche Situation zu einem Streit führen zwischen „Ich will spielen!“ – „Ich will Ruhe!“

Bedürfnisse verstehen

Dass wir nach einem Arbeitstag Ruhe und Entspannung als Erwachsene brauchen, ist verständlich. Es ist wichtig, dass wir dieses Bedürfnis wahrnehmen und darauf reagieren, für uns selbst und unser Wohlergehen und auch die Beziehung zum Kind: Nur wenn es uns selbst gut geht, unsere Bedürfnisse berücksichtigt werden, können wir langfristig auch gut mit den Bedürfnissen des Kindes umgehen.

Auf der anderen Seite steht das Kind mit einem Bedürfnis. Denn ja: Der Wunsch nach gemeinsamen Spiel ist wahrscheinlich nicht nur ein Zeitvertreib, es möchte uns damit auch nicht ärgern oder nur die Langeweile besiegen. Nach der Zeit der Trennung ist es gut möglich, dass das Kind gerade jetzt das Bedürfnis nach Nähe hat, die Verbindung zur Bezugsperson herstellen will.

Dieser Blick darauf, dass beide Personen jetzt ein Bedürfnis haben, ist ein erster wichtiger Schritt, um einem Konflikt aus dem Weg zu gehen: Wir nehmen keine böse Absicht an, kein Machtspiel, kein Ärgern.

Kompromisse finden

In einer Familie können unterschiedliche Bedürfnisse unterschiedlicher Personen zusammentreffen und die Aufgabe der erwachsenen Bezugspersonen ist es, einen Weg durch das Wirrwarr der unterschiedlichen Bedürfnisse zu finden, der alle langfristig gleichmäßig berücksichtigt. Wir müssen also gute Kompromisse finden und können uns dazu fragen: Welches der Bedürfnisse ist am ehesten aufzuschieben? Gleichzeitig müssen wir aber auch bei einer Verschiebung im Blick behalten, dass wir das verschobene Bedürfnis dann auch wirklich erfüllen: Wenn wir sagen, dass wir beispielsweise gleich etwas zusammen spielen nach der Ruhe, dürfen wir nicht in die „Ja, ja, sofort“-Falle tappen. Und anders herum: Wir dürfen unsere eigenen Bedürfnisse als erwachsene Person nicht beständig aufschieben und vergessen, um unseren Kindern einen vermeintlichen Gefallen zu tun.

Was also können wir tun? Wir können also überlegen, ob eines der Bedürfnisse verschiebbar ist: In dieser Situation mit einem Kleinkind ist das Bedürfnis nach Nähe wahrscheinlich weniger aufschiebbar, aber auch unsere Erschöpfung braucht eine Antwort. Daher können wir nach weiteren Kompromissen suchen: Vielleicht können wir gemeinsam ruhen und ein Hörspiel hören, Musik hören, einer Traumreise für Kinder nachgehen, ein Buch ansehen. Vielleicht lässt sich das Kind auch darauf ein, schon einmal etwas zum Spielen aufzubauen, wenn wir selbst nur eine kurze Pause brauchen. Vielleicht gibt es ein Massagespiel, das gespielt werden kann: Die erwachsene Bezugsperson ist die Pizza und liegt bäuchlings auf dem Boden, das Kind knetet den Rücken, belegt ihn und reibt mit den Händen wärmend darüber. Solche Kompromisse können beide Seiten in den Blick nehmen. Vielleicht können wir auch zukünftig einplanen, dass wir vor dem Abholen des Kindes eine kleine Ruhepause für uns selbst einplanen: eine Viertelstunde auf der Parkbank sitzen und entspannen, bevor das Kind abgeholt wird.

Im Alltag mit Kind(ern) gibt es immer wieder Situationen, in denen verschiedene Bedürfnisse im Raum stehen und gegeneinander abgewogen werden wollen. Oft können wir durch Gespräche und/oder eigene Überlegungen Lösungen finden, die einen Mittelweg anbieten und damit gleichzeitig einen guten Weg für die Eltern-Kind-Beziehung.

Eure

Zur Autorin:
Susanne Mierau ist Diplom-Pädagogin (Schwerpunkt Kleinkindpädagogik) und Familienbegleiterin. Sie arbeitete an der FU Berlin in Forschung und Lehre, bevor sie sich 2011 im Bereich bedürfnisorientierte Elternberatung selbständig machte. Ihr 2012 gegründetes Blog geborgen-wachsen.de und ihre Social Media Kanäle sind wichtige und viel genutzte freie Informationsportale für bedürfnisorientierte Elternschaft und kindliche Entwicklung. Susanne Mierau gibt Workshops für Eltern und Fachpersonal und spricht auf Konferenzen und Tagungen über kindliche Entwicklung, Elternschaft und Familienrollen.

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Susanne Mierau ist Diplom-Pädagogin (Schwerpunkt Kleinkindpädagogik) und Familienbegleiterin. Sie arbeitete an der FU Berlin in Forschung und Lehre, bevor sie sich 2011 im Bereich bedürfnisorientierte Elternberatung selbständig machte. Ihr 2012 gegründetes Blog geborgen-wachsen.de und ihre Social Media Kanäle sind wichtige und viel genutzte freie Informationsportale für bedürfnisorientierte Elternschaft und kindliche Entwicklung. Susanne Mierau gibt Workshops für Eltern und Fachpersonal und spricht auf Konferenzen und Tagungen über kindliche Entwicklung, Elternschaft und Familienrollen.

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5 hilfreiche Schritte, um als Elternteil mit der eigenen Wut umzugehen

Jetzt reicht es! Ich ertrage das nicht mehr! Wutentbrannt wird aus dem Zimmer gestürmt und die Tür geknallt, dass die Wände beben. Doch schon 3 Atemzüge später ist die Wut vorbei. Wie konnte ich nur so reagieren? Ich bin keine gute Mutter/kein guter Vater. Die brennende Wut, die sich zuerst gegen das Kind gerichtet hat, wird zu zermürbenden Schuldgefühlen gemischt mit Scham. Hast du das auch schonmal erlebt? Dein Kind treibt dich in den Wahnsinn, es kommt zum Streit und dann bereust du, was du gesagt und getan hast. Wie du es schaffst, diesen zerstörerischen Kreislauf zu durchbrechen? Das möchte ich dir in diesem Artikel erklären:

Die Ursache der Wut

Marshall Rosenberg, der Begründer der Gewaltfreien Kommunikation geht davon aus, dass unsere Gedanken verantwortlich sind für unsere Wut. Wut entsteht also aufgrund von Bewertungen und Urteilen. Sie entsteht auch, weil wir Verhalten interpretieren:

„Er macht das doch mit Absicht.“
„Sie will mich provozieren.“
„Er will doch nur Aufmerksamkeit.“

Marshall Rosenberg nennt das lebensfremdes Denken. Wenn wir so denken, gehen wir davon aus, dass unser Gegenüber Schuld ist an unseren Gefühlen und unerfüllten Bedürfnissen. Damit werden wir nicht nur wütend, sondern wir geben auch die Verantwortung für unsere Bedürfnisse ab. An Partner*in oder die Kinder. Wir erwarten, dass unser Gegenüber sich ändert, damit wir uns besser fühlen. All das macht uns wütend. Natürlich könnten wir uns jetzt darüber streiten, ob das wirklich stimmt. Daher möchte ich dich einladen, deine eigenen Erfahrungen zu machen.

Meiner Beobachtung nach lässt meine Wut nach, sobald ich mit den Bedürfnissen verbunden bin. Entweder mit meinen eigenen, oder mit denen meines Gegenübers. Wenn du also deine Wut transformieren möchtest, versuche die folgenden Schritte:Beschreibe die Situation, die dich wütend macht.

Schritt 1: Beschreibe die Situation, die dich wütend macht

Im ersten Schritt wollen wir den Auslöser für deine Wut finden. Denke an eine Situation, in der du richtig wütend warst. Welche Person hat dich wütend gemacht? War es dein Kind?
Deine Partnerin? Vielleicht war es deine Schwiegermutter oder der Kassierer im Supermarkt.

Egal wer es war – wir wollen nun herausfinden, was diese Person genau gesagt und getan hat. Achte darauf, dass du keine Interpretationen oder Bewertungen verwendest, um die Situation zu beschreiben. Was hat die Person konkret gesagt oder getan?

Beispiele:
Er hat die Bausteine gegen die Blumenvase geworfen. Daraufhin ist sie zerbrochen.
Meine Mutter hat zu mir gesagt: „Hättest du mal auf mich gehört.“
Als mein Kind sich auf den Boden warf und zu weinen anfing, schüttelte der Kassierer mit dem Kopf und verdrehte die Augen.

Jetzt du! Schreibe deine Beobachtung von der Situation auf, in der du zuletzt so richtig wütend geworden bist

Schritt 2: Welche Gedanken hast du in dieser Situation?

Im zweiten Schritt wollen wir die Ursache für deine Wut herausfinden. Denn die oben beschriebene Situation ist nur der Auslöser. Die Ursache für deine Wut liegt in deinen Gedanken. Vielmehr in deinen Bewertungen, Urteilen, Interpretationen und Erwartungen über die andere Person. Welche Gedanken hattest du über die andere Person?

„Er respektiert mich nicht.“
„Sie sollte es doch besser wissen.“
„Er treibt mich in den Wahnsinn.“
„Warum kann er nicht ein Mal richtig zuhören?“
„Nie tut sie, was ich sage.“

Wir denken am Tag etwa 70.000 Gedanken. Du kannst dir sicherlich vorstellen, dass eine Gedankensalve durch deinen Kopf schießt, nachdem sich die Situation ereignet hat. Hinzu kommt, dass sich solche Situationen wiederholen. Zum Beispiel der tägliche Kampf ums Zähneputzen oder Zimmer aufräumen. Dann bist du vielleicht schon auf 180, bevor du überhaupt die Tür zum Kinderzimmer aufgemacht hast. Der Grund dafür? Deine Gedanken, die in Form von Erwartungen und Urteilen durch deinen Kopf geistern. Das Problem an der ganzen Sache ist, dass dadurch deine Wut nicht transformiert wird. Denn die Wurzel deiner Wut liegt in deinen unerfüllten Bedürfnissen. Doch dazu kommen wir erst im nächsten Schritt.

Zuerst bist du wieder dran: Schreibe nun auf, welche Gedanken, Bewertungen, Urteile und Erwartungen in dir aufkommen, wenn du diese Situation erlebst: „Wenn [diese Person] [Satz oder Verhalten] sagt/tut, werde ich ärgerlich/wütend, weil…“ Was steht hinter dem weil Schreibe ehrlich all das auf, was du von der anderen Person erwartest. Wie sollte sich dein Gegenüber deiner Meinung nach verhalten? Was hätte die Person deiner Ansicht nach tun oder sagen sollen?

Schritt 3: Finde das Gefühl hinter der Wut

Wenn wir wütend werden, dann liegt das an bewertenden Gedanken und Erwartungen.
Allerdings entsteht die Wut erst, nachdem wir diesen Gedanken gefolgt sind. Das primäre Gefühl hinter der Wut ist immer ein anderes. Vielleicht ist es Traurigkeit, Hoffnungslosigkeit oder Ohnmacht. Diese Gefühle entstehen unmittelbar nach dem Ereignis und resultieren aus den unerfüllten Bedürfnissen. Spürst du unangenehme Gefühle, heißt das: mindestens ein Bedürfnis ist unerfüllt. Angenehme Gefühle sind Zeichen für erfüllte Bedürfnisse.

Du bist dran: Denke nun an die Situation, die dich wütend macht. Stell dir vor, du erlebst diese Situation jetzt noch einmal. Welche Gefühle (außer Wut) kannst du noch beobachten Kannst du das Gefühl irgendwo in deinem Körper spüren? Ist es Angst, die deine Kehle zuschnürt? Oder Trauer, die dich ganz schwer macht? Vielleicht fühlst du dich hilflos und ohnmächtig in dieser Situation?

Vervollständige nun diesen Satz: „Wenn [diese Person] [Satz oder Verhalten von gestern] tut/ sagt, fühle ich mich…“ Schreibe alle Gefühle auf, die du beobachtest.

Schritt 4: Nutze die Wut als Alarmsignal für unerfüllte Bedürfnisse

Wenn Konflikte entstehen, dann bedeutet das: mindestens ein Bedürfnis von mindestens einer anwesenden Person ist unerfüllt. Unerfüllte Bedürfnisse lösen unangenehme Gefühle aus. Diese Gefühle wollen uns sagen: tu etwas, um das Bedürfnis zu erfüllen! Wut ist allerdings ein Gefühl, welches eher dafür sorgt, dass du dich selbst oder dein Gegenüber bestrafen willst (Weil du davon ausgehst, dass jemand etwas falsch gemacht hat oder sich anders verhalten sollte). Wenn wir also Wut, Schuld oder Scham wahrnehmen, können wir das als Alarmsignal sehen. Die Wut sagt uns: Achtung! Du bist gerade nicht mit den Bedürfnissen verbunden. Unsere Bedürfnisse sind das, was in uns lebendig ist. Investierst du deine Energie in die Wut, werden deine Bedürfnisse mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht erfüllt.

Jetzt bist du dran: Kommen wir wieder zu deinem Beispiel. Bevor deine Gedanken die Wut heraufbeschworen haben, hast du etwas anderes gefühlt. Welche Gefühle konntest du beobachten? Anhand dieser Gefühle kannst du dich fragen: Was brauche ich? Welche Bedürfnisse sind unerfüllt? Beispiele: „Ich fühle mich hilflos, weil ich Unterstützung brauche.“, „Ich fühle mich verwirrt, weil ich Klarheit brauche.“ Vervollständige nun diesen Satz: „Wenn [diese Person] [Satz oder Verhalten] sagt/tut, fühle ich mich […], weil ich […] brauche.“

Schritt 5: Die Wut auflösen durch Einfühlung

Denke an die Situation, die dich wütend gemacht hat. Was hat die Person gesagt und getan? Deine Aufgabe ist nun, dich nicht davon ablenken zu lassen, was die Person denkt oder sagt. Konzentriere dich stattdessen darauf, was die Person fühlt und braucht. Was könnten die unerfüllten Bedürfnisse dieser Person sein? Schreibe alle Möglichkeiten auf. Formuliere dann eine Vermutung über die Gefühle und Bedürfnisse deines Gegenübers:

Beispiel: Kann es sein, dass du traurig bist, weil du dir Kontakt wünschst?
Bist du frustriert, weil dir Respekt wichtig ist?
Machst du dir Sorgen, weil dir Sicherheit wichtig ist?

Oder in Kindersprache:

Bist du traurig, weil du mitspielen willst?
Du bist bestimmt sauer, weil du gleich behandelt werden willst, oder?
Hattest du gerade Angst, weil du sicher sein willst, dass du gemocht wirst?

Wende die 5 Schritte zur Reflexion von Situationen an, in denen du häufig wütend wirst. Übrigens: Wut zeigt eher eine Verurteilung anderer Menschen. Bei Schuld- und Schamgefühlen handelt es sich um Selbstverurteilung. Dennoch haben diese Gefühle dieselbe destruktive Energie und führen eher zu bestrafenden statt du bedürfniserfüllenden Handlungen. Wenn du also Schuld- und Scham wahrnimmst, kannst du die 5 Schritte auch anwenden.

Notfallstrategien

Wenn sich unser Nervensystem im Alarmzustand befindet, dann geht es ums nackte Überleben. Unser System ist dann auf Flucht oder Kampf ausgerichtet. In solchen Situationen ist es kaum möglich, einen klaren Gedanken zu fassen. Lege dir daher deine persönliche Toolbox mit Strategien für den Notfall an.Zum Beispiel könntest du das Folgende festlegen:

Immer, wenn ich wütend werde:
– atme ich 10 Mal tief in den Bauch
– mache ich das Fenster auf und atme die frische Luft
– trinke ich ein eiskaltes Glas Wasser
– schnuppere ich an meinem Lavendel Duftöl

Solche Strategien können helfen, aus dem Alarmzustand herauszukommen und erinnern dich daran, dass dein Kind nicht dein Feind ist, sondern dass es gerade mindestens ein unerfüllteste Bedürfnis gibt.

Ich wünsche dir viel Freude beim Üben und dass du beim nächsten Wutanfall in Verbindung mit deiner Herzenergie bleibst.

Zur Autorin:
Yvonne George ist Diplom-Sozialpädagogin, Bindungs- und Traumapädagogin, Autorin und Expertin für Gewaltfreie Kommunikation mit Kindern. Auf ihrem Blog www.yvonnegeorge.de findest du praktische Impulse für ein Bindungs- und bedürfnisorientiertes Familienleben.

Foto: Ronja Jung für geborgenwachsen.de