Warum es gut ist, dass unsere Kinder so langsam sind

Montagmorgen, der kleine Rucksack ist gepackt, alles ist Startbereit, die Eltern stehen wartend in der Tür, bereit zum Aufbruch in den Tag und in die neue Woche. – Nur das Kind sitzt noch da, mühsam den Schuh über den kleinen Fuß ziehend. „Komm, ich helf Dir schnell, wir müssen los!“ „Nein, alleine!“ – Aber wir müssen doch schnell…

Die Hektik unseres Alltags

Wenn wir unseren Kindern bei ihren Tätigkeiten zusehen, stellen wir fest, wie langsam sie oft sind: beim Anziehen, beim Waschen, beim Schreiben,… bei all den Tätigkeiten, die sie sorgsam neu in ihrem Alltag verrichten. Sie probieren aus, ihre kleinen Finger üben neue Griffe, ganz langsam wird ein Reißverschluss zugemacht, mit Sorgfalt werden die Knöpfe geschlossen oder die Müslischale in das Regal gestellt. Manchmal haben wir aus der Hektik unseres Alltags den Impuls, sie in ihrem Handeln zu ermahnen: „Nun mach doch mal schneller, wir müssen doch…“ Treten wir einen Schritt zurück und betrachten unsere Kinder in ihrem Tun, können wir feststellen, welch großer Schatz eigentlich in ihrem Handeln liegt: Sie tun die Dinge langsam, behutsam. Sie gehen achtsam mit den Dingen um – eine Achtsamkeit, die wir in unseren Jahren erst wieder versuchen, in unseren Alltag zurück zu holen durch Übungen, Kurse und Trainings. Natürlich sind auch sie manchmal schnell, hektisch oder ungeduldig – und je nach Temperament sind einige Kinder das mehr und andere weniger – aber in vielen Tätigkeiten sind sie zunächst in einer Weise bedacht, sie wir Erwachsenen in unseren Jahren erst wieder erlernen müssen, weil der Stress unseres Alltags uns die Langsamkeit im Handeln genommen hat.

Alleine machen

Natürlich geht es in diesem langsamen Handeln des Kindes um mehr als Achtsamkeit: Es liegt ein Lernwille dahinter: Das Kind übt sich in neuen Tätigkeiten, in neuen Handlungsabläufen und Gedanken. Anfangs ist das noch schwer und das Kind muss erst lernen, wie die richtige Bewegungsabfolge ist, um zum Ziel zu kommen. Nicht anders ist es bei vielen anderen Dingen, die es gerade jetzt lernt: soziale Regeln, Verhaltensweisen. All das will gelernt werden und braucht auch einfach Zeit. Unsere Kinder lernen, aber in vielen Dingen nicht von heute auf morgen, sondern über einen langen Zeitraum hinweg. Sie wollen nicht „die Abkürzung“ nehmen in de Form, dass ihnen dieses Lernen abgenommen wird: Sie wollen die Erfahrungen selbst machen, um sich Stück für Stück weiter auf das eigenständige Leben vorzubereiten.

„Alleine machen!“ ist kein Aufbäumen gegen unsere Wünsche, kein Machtspiel. Es bedeutet oft: „Ich muss mir diese Zeit jetzt nehmen, um zu lernen, wie es wirklich geht, damit ich es wirklich lernen kann!“ Berauben wir unsere Kinder durch Hektik dieser Möglichkeiten, berauben wir sie um Lernerfahrungen, die sie dringend brauchen. – Und die wir ja schließlich auch irgendwann einfordern: Kein Kind wird sich selbst die Schuhe anziehen und binden können, wenn wir es nicht geduldig haben lernen lassen.

Lernen in einer Umgebung, in der es erlaubt ist

Was Kinder also brauchen, ist eine Umgebung, die das Lernen zulässt und auch das Lerntempo des Kindes berücksichtigt. Eine Umgebung, in der diese vermeintliche Langsamkeit erlaubt ist. Das Lernen geht dann umso leichter, wenn wir eine Umgebung schaffen, in der es natürlicherweise erlaubt ist. Eine Umgebung, in der sich das Kind nicht erst durchsetzen muss, in der es nicht erst rebellieren muss, um das Recht auf Selbständigkeit zu erlangen, sondern in der es selbstverständlich davon ausgehen kann, dass es erlaubt ist. Muss es sich erst wehren, durchsetzen und Widerstand leisten gegen unsere Anordnungen, ist das Lernen wesentlich schwerer.

Nehmen wir also die Langsamkeit und den Wunsch, selber zu lernen, an und versuchen wir, unsere erwachsene Hektik ein wenig aus dem Kinderalltag zu verbannen, damit sie auf ihre Weise entspannt einen Zugang zu unserer Welt finden.
Eure

5 Kommentare

  1. Mal wieder ein sehr schöner Artikel. Auch ich versuche den Alltag mit meiner 18 Monate alten Tochter möglichst frei von Hektik zu gestalten und sie viel selber machen zu lassen. Sie möchte sich natürlich gern selber anziehen, aber abgesehen von der Mütze klappt das leider noch nicht. Wenn Zeit ist, lasse ich sie alles selbst probieren, ermutige sie und sage ihr natürlich nicht dass ich glaube dass sie es noch nicht kann. Irgendwann kommt dann aber immer der Punkt wo ich sie einfach gegen ihren Willen anziehen muss. Das gibt dann immer Tränen und tut mir natürlich sehr Leid. Hast du eine Idee, wie ich das anders machen könnte? Meine Tochter akzeptiert meistens keinerlei Hilfestellung und reißt z.B. den Socken wieder wütend runter wenn ich ihn bei ihren Anziehversuchen auch nur berührt habe. Auch auf Vorschläge wie, ich zieh dir das jetzt an und du darfst dann die Hose noch hochziehen oder den Reißverschluss zumachen, geht sie nicht ein.

    • Mit 18 Monaten fallen ihr sicherlich noch viele Dinge schwer und es ist normal,m dass sie einiges nicht kann. Vielleicht schafft ihr eine Mischform zwischen Selbständigkeit und Unterstützung, dass Du die jacke hinhältst und sie hinein schlüpft etc.

  2. Liebe Susanne,
    Anscheinend habe ich diesen schönen Artikel mehr als zu spät gelesen… Wenn wir unseren dreijährigen Sohn bitten, sich die Schuhe anzuziehen, oder die Hose auszuziehen, oder was auch immer zu tun, ist seine erste Antwort ein recht verzweifeltes „Aber ich kann das gaaar nicht!!“. Das hat vor kurzem erst angefangen und ich wollte dann anfangs freundlich sein und hab ihm immer treudoof geholfen. Aber so lernt er natürlich nichts.
    Ich befürchte, dass wir so oft über sein „selber machen!“ hinweggegangen sind, dass er tatsächlich vermittelt bekommen hat, dass er das alles schlicht nicht KANN. Was für ein furchtbarer Dämpfer für das Selbstbewusstsein…
    Wie komme ich da denn jetzt wieder raus? Bin für jeden Tipp dankbar.

    • Liebe Anna, wir lernen das ja immer, dass Kinder nicht kompetent wären und wir das lieber selber machen sollten – das ist bei vielen Eltern so und deswegen fühle dich nicht zu schlecht deswegen. Nun kannst Du ihm Hilfestellung anbieten und wenn er sagt „Ich kann das nicht“ anbieten „Probier mal wie weit du kommst, dann unterstütze ich dich“ und so könnt ihr nach und nach seine Kompetenzen ausbauen

  3. Bettina Strenn

    Stimme ich voll und ganz zu. Ich habe es geliebt beim Spaziergang wenn meine Kinder immer und immer wieder stehen geblieben sind um Steine zu sammeln um Blumen anzuschauen und die Dinge mit den kleinen Händen zu ertasten. Heute geht das leider nicht mehr, den die Schule fordert…

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