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Den Weg zwischen Kontrolle und Laissez Faire finden

Was brauchen Kinder für ein glückliches Aufwachsen? Sie wollen gesehen werden als der Mensch, der sie sind. Sie brauchen Bezugspersonen, die sie anerkennen, ihre Bedürfnisse wahrnehmen, richtig interpretieren und dann passend darauf antworten. Das klingt einfach, ist es dann aber oft im Alltag doch nicht. Denn es ist gar nicht so einfach, sich auf einen anderen Menschen einzulassen, auf seine Signale, aber auch auf dieses enge Miteinander. Schnell verlieren sich Eltern in Einzelfragen, statt das große Ganze der Beziehung im Blick zu behalten.

Den Erziehungsstil gestalten

Kinder brauchen eine feinfühlige Begleitung. Das bedeutet nicht, dass wir alle Entscheidungen vorsichtig und zart treffen müssen, sondern dass Eltern sehen müssen, was dieses Kind an Begleitung braucht: Ist es eher schüchtern und braucht Unterstützung und Ermutigung, sich den Herausforderungen des Alltags zu stellen, damit es lernt, sich gut in der Welt zurechtzufinden? Oder ist es eher temperamentvoll und braucht Erklärung und etwas Beruhigung, um gute Beziehungen aufzubauen und andere nicht zu überfordern? Was ist gerade der Entwicklungsraum des Kindes, wie kann ich es darin unterstützen zu lernen, was es gerade lernen will und wo braucht es vielleicht Hilfe, um sich dem zuzuwenden?

Wir können uns vorstellen, dass Feinfühligkeit in der Mitte liegt zwischen den Extremen der Kontrolle und der Unresponsivität. Kontrolle meint, dass wir nicht auf die Bedürfnisse und Möglichkeiten des Kindes achten, sondern als Eltern einen ganz genauen Plan haben, den wir durchziehen – unabhängig davon, was das Kind nun will. Da Kinder das Bindungssystem für Kinder äußerst bedeutsam ist, passen sie sich diesem kontrollierendem Verhalten nach und nach an und geben ihr eigenes Selbst auf. Unresponsivität meint, dass auf die Bedürfnisse und Möglichkeiten des Kindes wenig reagiert wird und wenig Interesse an den Bedürfnissen des Kindes besteht. Dem Kind fehlt echte (emotionale) Zuwendung, aber auch Anleitung und Unterstützung und es verinnerlicht, dass es keine besondere Zuwendung von den Bezugspersonen bekommt und keine Bedeutung hat.

Freiheit geben in einem stabilen Rahmen

Wenn wir darüber sprechen, dass Kinder sowohl Führung und Unterstützung, als auch Freiheit brauchen, meinen wir, dass genau diese feinfühlige Balance notwendig ist. Regeln und Strukturen können Halt geben und zeigen dem Kind, dass dort eine stabile Bezugsperson gegenüber ist, die eine grobe Vorstellung von der Welt hat, an der sie sich orientiert und gewillt ist, dem Kind durch die eigene Stabilität diese Welt näher zu bringen, weil sie das Kind wertschätzt und sich wünscht, dass das Kind gut in der Welt zurecht kommt und sich darin sicher fühlen kann. Gleichzeitig erkennt die Person auch das Bedürfnis nach Autonomie und Kontrolle des Kindes an und sieht, an welchen Stellen der Freiraum gegeben werden kann für das eigene Tun und Erforschen, damit das Kind sich als wirksam in dieser Welt erfährt und spürt, dass es die Welt mit seiner Stimme und seinem Handeln beeinflussen kann.

Das Kind erhält also Freiheit in einem stabilen Rahmen. Dieser Rahmen muss mit der Zeit und der fortschreitenden Entwicklung des Kindes wachsen: je mehr Fertigkeiten das Kind erwirbt, desto größer sollte er werden, damit es sich Neuem zuwenden kann. Die Eltern und andere Bezugspersonen sollten im Blick haben, welche Fähigkeiten das Kind gerade hat und wie es diese ausbauen kann, so dass es weder über-, noch unterfordert ist. Es kann sich erproben und weiß, dass es dennoch immer auf die sichere Bezugsperson zurückkommen kann.

Es ist schwer, im oft an Aufgaben vollen Alltag einen Blick auf das Kind zu haben. Der Stress unserer Zeit drängt und oft zu einem eher kontrollierendem Verhalten: „Wir haben jetzt keine Zeit dafür!“, „Nein, du machst das jetzt nicht, ich mach das!“. Auch die Angst davor, dass das Kind sich nicht gut genug entwickeln und vielleicht schlechtere Zukunftschancen haben könnte, kann uns zu mehr Kontrolle verleiten, weil wir bestimmte Lernaufgaben vorschieben, das Kind eher schulisch fördern wollen, statt die grundlegenden Entwicklungsbereiche des Kindes zu ermöglichen durch Eigenaktivität. Auf der anderen Seite kann uns der Stress und die Erschöpfung des Alltags auch dazu verleiten, dass wir (unbewusst) froh sind, wenn wir uns nicht mit dem Kind auseinandersetzen müssen: Wir ziehen uns zurück und überlassen dem Kind die Führung, weil wir zu erschöpft sind und uns mit den Grenzen nicht auseinandersetzen wollen oder einen weiteren Streit heute nicht aushalten, wodurch das Kind langfristig nicht genug Feedback und Orientierung bekommt. Auch Mengen an Spielzeug oder Medien dienen manchmal nicht dem dosierten Entertainment, sondern werden eher genutzt, um selbst Ruhe zu haben. Auf Dauer ziehen wir uns auch damit aus der Beziehungsarbeit, die das Kind eigentlich braucht.

Alle Eltern haben im Alltag mal mehr kontrollierende Anteile, mal mehr unresponsive. Solange sich aber ein feinfühliger roter Faden zeigt, ist das kein Problem. Natürlich ist unser Alltag nicht immer gleichbleibend und manchmal durchleben Familien schwierige Phasen, in denen Erwachsene weniger feinfühlig sein können. Wenn wir allerdings merken, dass – gerade durch den Einfluss der vielen Anforderungen unserer Zeit – wir immer mehr in das ein oder andere Extrem neigen, ist Unterstützung notwendig.

Eure

Zur Autorin:
Susanne Mierau ist Diplom-Pädagogin (Schwerpunkt Kleinkindpädagogik) und Familienbegleiterin. Sie arbeitete an der FU Berlin in Forschung und Lehre, bevor sie sich 2011 im Bereich bedürfnisorientierte Elternberatung selbständig machte. Ihr 2012 gegründetes Blog geborgen-wachsen.de und ihre Social Media Kanäle sind wichtige und viel genutzte freie Informationsportale für bedürfnisorientierte Elternschaft und tragen seit über 10 Jahren maßgeblich zur Verbreitung bedürfnisorientierter Erziehung bei. Susanne Mierau gibt Workshops für Eltern und Fachpersonal und spricht auf Konferenzen und Tagungen über kindliche Entwicklung, Elternschaft und Familienrollen.

Foto: Ronja Jung für geborgen-wachsen.de

Wie Kinder Selbständigkeit entwickeln

Selbständigkeit ist für viele Eltern ein bedeutsames Ziel in der Entwicklung: selbständig einschlafen, selbständig anziehen, selbständig spielen. Der Wunsch dahinter ist oft, dass das Kind kompetent ist, um mit den Herausforderungen des Alltags gut umgehen zu können und eine eigene innere Stärke und Problemlösungsfähigkeit entwickelt, die es gut durch das Leben trägt. Viele Eltern fragen sich, wie sie dieses Ziel erzieherisch unterstützen können: Wie fördert man die Selbständigkeit des Kindes? Welche Schritte braucht es auf dem Weg zu Selbständigkeit?

Selbständigkeit entsteht nicht allein

Schnell ist man verleitet, zu denken, dass Selbständigkeit dann entsteht, wenn das Kind Aufgaben und Probleme allein lösen muss. Wie soll es das sonst lernen? Durchaus brauchen Kinder Raum und Zeit, um sich an Herausforderungen zu erproben und eigene Lösungsstrategien zu entwickeln, doch dies ist nur ein Baustein der Entwicklung von Selbständigkeit. Neben der Möglichkeit, sich selbst zu erproben, brauchen Kinder das Gefühl von Sicherheit, um überhaupt erst auf eine Aufgabe zugehen zu können.

Die Welt zu erkunden und sich ihren Herausforderungen zu stellen, gelingt dann gut, wenn wir uns sicher genug fühlen, um auf Herausforderungen zuzugehen. Eigentlich kennen wir das auch als Erwachsene: Wir gehen dann selbstbewusster an eine neue Aufgabe heran, wenn wir uns gut und sicher fühlen, wenn wir vielleicht schon Kompetenzen haben, die wir einsetzen können oder zumindest dann, wenn das Gefühl haben, im Notfall eine andere Person um Hilfe bitten zu können. Unsere Kinder sind noch stärker auf ein sicheres Notfallnetz angewiesen als wir, schließlich sind sie jünger und verfügen noch über weniger Erfahrungswissen. Je sicherer sie sich fühlen, desto leichter fällt es, sich einer neuen/fremden/herausfordernden Tätigkeit zuzuwenden.

Diesen Bedarf an Sicherheit zeigen unsere Kinder im Alltag und viele Eltern spüren ihn, auch wenn sie ihn noch nicht als Basis für die Selbständigkeit wahrnehmen: Wenn wir uns wünschen, dass das Kleinkind- oder Vorschulkind allein einschlafen soll, ist es hilfreich, zu vereinbaren, immer wieder vorbei zu kommen in regelmäßigen Abständen („Ich räum eben den Geschirrspüler ein, dann komm ich nochmal rein.“). Wenn wir uns wünschen, dass das Kleinkind sich allein anzieht oder selbst ein Brot schmiert, ist es hilfreich, wenn wir in der Nähe sind und gar nicht unbedingt eingreifen, aber die Sicherheit ausstrahlen, zur Not zur Verfügung zu stehen. Ebenso, wenn das Vorschulkind auf dem Spielplatz eine neue Höhe auf dem Klettergerüst erklettert oder wenn das Schulkind nachmittags die Hausaufgaben machen soll und weiß, dass wir notfalls da und ansprechbar sind, wenn es nicht weiter weiß.

Ich glaub an dich!

Wenn wir in der Nähe sind, wenn das Kind sich einer neuen Herausforderung widmet, geben wir einerseits Sicherheit, dass es sich im Notfall an uns wenden kann, andererseits vermitteln wir auch Zuversicht. In der Nähe zu sein und etwas zuzulassen, dass wir wahrnehmen, vermittelt: Ich glaube, dass du das kannst. Wir müssen Kinder gar nicht beständig mit Worten anspornen oder loben, sondern können schon durch unsere Haltung ausdrücken, dass wir dem Kind die Kompetenz zusprechen, ein Problem lösen zu können. So können Eltern ressourcenorientiert statt defizitorientiert an eine Situation herangehen: Eine Situation bewusst zuzulassen, ohne groß zu erklären, dass wir da sind, ohne groß anzuweisen vermittelt dem Kind das Gefühl, dass es das schon schaffen kann.

Sicherheit, um Hilfe bitten zu können

Sicherheit bedeutet nicht nur, dass man da ist, um das Kind körperlich zu schützen vor Gefahren. Sicherheit ist auch das Gefühl, sich wirklich verlassen zu können. Sicherheit bedeutet für ein Kind, dass es sich ohne Angst an eine Bezugsperson wenden kann. Wenn es doch keine Lösung findet, wenn es nicht weiter weiß oder körperlich/geistig überfordert ist, kann es sich an die Person in der Nähe wenden und um Hilfe bitten, ohne dafür beschämt, verängstigt oder bestraft zu werden. Aus dieser Sicherheit heraus kann es entspannter mit neuen Aufgaben umgehen, kann sich kreativ einem Problem zuwenden. Wenn es hingegen Spott oder Abwertung als Reaktion auf ein Scheitern erwartet, ist es schon während des Tuns viel angespannter.

Selbständigkeit bedeutet nicht nur, ganz allein eine Aufgabe bewältigen zu können. Selbständigkeit meint auch, selbst zu merken, wann man nicht weiter kommt und dann selbst zu entscheiden, wie man mit dieser Situation umgeht. Selbständigkeit ist auch, selbst eine andere Person hinzu zu ziehen, wenn man es allein nicht schafft: um Hilfe bitten, andere einzubeziehen, vozuschlagen, als Gruppe zuzusammen zu arbeiten, kann auch Selbständigkeit sein.

Hilfe, um sich selbst zu helfen

Wenn das Kind mit einer Aufgabe nicht sofort allein zurecht kommt und Hilfe erbittet, bedeutet das nicht, dass dem Kind sofort die Lösung präsentiert werden muss. Hilfe anzubieten, um die Selbständigkeit des Kindes zu fördern, kann bedeutet, das Problem noch einmal gemeinsam anzusehen und zu überlegen, was bisher nicht funktioniert hat und welche Optionen es stattdessen noch gibt. Erwachsene haben einen Wissens- und Erfahrungsvorsprung, von dem aus sie schnell Probleme von Kindern lösen können: das Kind auf etwas hinaufsetzen oder herunternehmen, etwas heruntergeben oder wegnehmen. Doch wenn es darum geht, Selbständigkeit zu vermitteln, sind diese für uns einfachen und zeitsparenden Lösungen oft gar nicht der beste Weg. Hilfreicher ist es, gemeinsam zu überlegen, wie das Kind die Situation mit unserer Hilfe lösen kann. Vielleicht, indem wir einen Hocker suchen, der hoch genug ist, damit das Kind etwas selbst erreichen kann. Oder indem wir Raum dafür geben, dass das Kind sagen kann, was es eigentlich noch braucht, um gut allein einschlafen zu können. Hilfe kann in erster Linie Unterstützung sein, anstatt Lösung.

Eine Frage des Mindsets

Manchmal ist es auch das eigene Konzept von Selbständigkeit, das Eltern hinterfragen können: Was bedeutet Selbständigkeit eigentlich? Erwarte ich, dass das Kind allein alle Situationen meistern soll oder wünsche ich mir die Kompetenz des Kindes, selbst Entscheidungen zu treffen? Der Fokus auf das Alleine-Machen ist ein gesellschaftliches Konstrukt, das wir überdenken können: Ist es wirklich wichtig, dass jede Person das Leben ganz individuell und allein meistert, oder ist es vielleicht besser, mehr auf Gemeinschaft und Kooperation zu setzen? Menschen und Kinder müssen nicht zwangsweise dazu erzogen werden, möglichst früh möglichst viel allein zu bewerkstelligen.

Kinder sind unterschiedlich. Manche schlafen früher selbständig ohne Begleitung ein, andere später. Manche trauen sich früher, das Schwimmen/Radfahren zu lernen, andere brauchen länger. Manche können früher ohne Windeln unterwegs sein, andere brauchen mehr Zeit. In der Regel verlaufen sich diese Dinge im Laufe des Lebens und es ist später nicht mehr bedeutsam, wann genau das Kind allein gegessen hat oder zum ersten Mal woanders übernachtet hat. Was aber bleibt, ist das Gefühl des Kindes, darauf vertrauen zu können, dass es sich im Notfall an jemand anderen wenden darf und nicht allein alles bewerkstelligen muss.

Eure

Zur Autorin:
Susanne Mierau ist Diplom-Pädagogin (Schwerpunkt Kleinkindpädagogik) und Familienbegleiterin. Sie arbeitete an der FU Berlin in Forschung und Lehre, bevor sie sich 2011 im Bereich bedürfnisorientierte Elternberatung selbständig machte. Ihr 2012 gegründetes Blog geborgen-wachsen.de und ihre Social Media Kanäle sind wichtige und viel genutzte freie Informationsportale für bedürfnisorientierte Elternschaft und tragen seit über 10 Jahren maßgeblich zur Verbreitung bedürfnisorientierter Erziehung bei. Susanne Mierau gibt Workshops für Eltern und Fachpersonal und spricht auf Konferenzen und Tagungen über kindliche Entwicklung, Elternschaft und Familienrollen.

Foto: Ronja Jung für geborgen-wachsen.de

Selbstwirksamkeit fördern durch einen guten Umgang mit Frustration

Viele Erwachsene kennen die Aussage der Kinderbuchheldin Pippi Langstrumpf „Das hab ich ja noch nie gemacht. Ich glaub ich schaffe das !“ Eine Aussage, die Erwachsene lächeln lässt und sicherlich auch zugespitzt ist, aber dennoch für die Begleitung von Kindern einen wichtigen Impuls enthält: Kinder dürfen erfahren, dass sie in dieser Welt selbst wirksam sein können und sich auf Basis dieses verinnerlichten Wissens an Herausforderungen herantrauen. Der Weg dorthin geht aber wesentlich auch durch einen guten Umgang mit Frustration.

Was lernt ein Kind, wenn wir es Hindernisse überwinden lassen? Es lernt, dass es Hindernisse überwinden kann. Selbstwirksamkeit ist eine der wesentliche Eigenschaften, die ein Kind wirklich braucht. Es muss wissen, dass es ein Ziel, das es sich steckt, auch erreichen kann. Es lernt, über welche Wege es an sein Ziel kommen kann, und vertraut auf sich und seine Fähigkeiten. Die Einschätzung der Situation ermöglicht es ihm, seine Chancen abzuklären und sich richtig auf das Vorankommen vorzubereiten: Es weiß, was es kann und bei welchen Dingen es Hilfe braucht.

Susanne Mierau: Geborgene Kindheit

Lernen beinhaltet auch Frustration, die begleitet werden will

Kinder lernen nach und nach sich selbst und die sie umgebende Welt kennen. Sie eignen sich das Wissen über sich selbst, ihr Können und die Umwelt an. Einige Lernerfahrungen bekommen wir gar nicht als solche mit, bei anderen spüren wie die Anstrengung des Kindes. Lernt es beispielsweise Laufen, fällt es auch hin. Es läuft nicht sofort viele Meter weit, sondern baut das Können aus. Dabei muss es immer wieder auch Frustration überwinden.

Viele Eltern denken, dass das Lernen eine steigende Gerade wäre, dabei gehört zum Lernen auch Frustration, die ausgehalten und begleitet werden muss. Wenn eine Fähigkeit nicht sofort gelingt, bedeutet das nicht, dass das Kind das generell nicht kann, sondern dass es sich damit auseinandersetzt. Es ist wichtig, dies Kindern auch immer wieder zu erklären: Lernen bedeutet nicht, dass du es sofort kannst. Lernen bedeutet, dass du eine Antwort noch nicht weißt, dass du etwas noch nicht kannst, aber auf dem Weg bist.

Das Mindset der Eltern überträgt sich auf die Motivation des Kindes: Wenn wir selbst nur von Resultaten überzeugt sind, wenn uns nur das Ergebnis interessiert, drücken wir das oft auch so aus und unterstützen nicht den Weg des Kindes dorthin, sondern nur das Ziel. Dabei ist es für das Kind wichtig, dass es gerade in der Herausforderung Halt bekommt und nicht erst am erlangten Ziel Lob. Anstatt also den Fokus auf das Ergebnis zu richten, können Eltern den Prozess in den Blick nehmen, das Kind ermutigen, bestärken und eben auch immer wieder versprachlichen, dass Dinge Zeit brauchen und manchmal viel Energie benötigen. Auch das Vorbildverhalten gelangt hier in den Blick: Wir können auch bei unserem eigenen Tun versprachlichen, dass das gerade ganz schön anstrengend ist und wie wir mit unserer eigenen, alltäglichen Frustration gut umgehen. So wird Frustration Teil des Prozesses anstatt als Scheitern erlebt zu werden.

Der Umgang mit großen Gefühlen

Auf dem Weg des Lernens gilt es also, mit Frustration umzugehen. Hier benötigen Kinder – wie generell beim Umgang mit ihren Gefühlen – Unterstützung und Co-Regulation. Kinder müssen erfahren, dass Frustration und Wut sein dürfen und wie sie damit umgehen können. So verstehen sie, dass diese Gefühle nicht negativ sind und sein dürfen – auch innerhalb des Lernprozesses. Es ist gut, die Gefühle des Kindes zu verbalisieren, sie anzunehmen und ihnen dann zu helfen, damit umzugehen, zum Beispiel indem wir sagen: „Oh, das ist ganz schön schwierig, das macht dich wütend, dass das jetzt noch nicht klappt. Komm wir nehmen uns eine kleine Pause und du machst später weiter. Es ist normal, dass Sachen nicht sofort klappen. So funktioniert lernen.“

Freiheit zum Erkunden

Ein angemessener Umgang mit Frustration sollte eingebettet werden in die generelle Haltung, dass das Kind sich aktiv mit sich selbst und seiner Umgebung vertraut machen darf. Das Kind lernt die Welt kennen, indem es sich darin bewegt und mit ihr interagiert. Es darf erfahren, dass es die Umwelt durch das eigene Handeln verändern kann. Es fühlt sich kompetent durch die Erfahrung, die Welt beeinflussen zu können und kann aus dieser Erfahrung zuversichtlich auf neue Herausforderungen zugehen. Die Herausforderungen, die das Kind angeht, sollten dabei in der Komplexität und Schwierigkeit dem aktuellen Entwicklungsstand angemessen sein: nicht zu leicht, nicht zu schwer, sondern gerade so, dass sie tatsächlich zu bewältigen sind mit etwas Anstrengung. Durch das Erlernen eines guten Umgangs mit Frustration kann so auch eine herausfordernde Tätigkeit umgesetzt werden.

Eure

Zur Autorin:
Susanne Mierau ist Diplom-Pädagogin (Schwerpunkt Kleinkindpädagogik) und Familienbegleiterin. Sie arbeitete an der FU Berlin in Forschung und Lehre, bevor sie sich 2011 im Bereich bedürfnisorientierte Elternberatung selbständig machte. Ihr 2012 gegründetes Blog geborgen-wachsen.de und ihre Social Media Kanäle sind wichtige und viel genutzte freie Informationsportale für bedürfnisorientierte Elternschaft und tragen seit über 10 Jahren maßgeblich zur Verbreitung bedürfnisorientierter Erziehung bei. Susanne Mierau gibt Workshops für Eltern und Fachpersonal und spricht auf Konferenzen und Tagungen über kindliche Entwicklung, Elternschaft und Familienrollen.

Foto: Ronja Jung für geborgen-wachsen.de

Warum Selbstfürsorge gerade für Eltern wichtig ist

Kinder im Wachsen zu begleiten, ist nicht immer einfach: Es gibt viele Handgriffe und Kraftanstrengung durch das Heben und Tragen und Rennen und die vielen anderen Tätigkeiten des Umsorgens und Spielens. Es ist emotional oft herausfordernd, Kinder zu begleiten in ihren Emotionen, sie zu regulieren und dabei noch mit den eigenen Empfindungen umzugehen, die dabei entstehen. Es ist belastend, an all die vielen Dinge zu denken, die wir erledigen müssen wie die nächste U-Untersuchung, neue Gummistiefel und den richtigen Sonnenschutz für den Sommer, während wir gleichzeitig so viele andere Dinge in unserem oft hektischen Alltag erledigen sollen. Viele Eltern fühlen sich überlastet von einem so vollen Alltag. Es fällt schwer, zwischen all den Aufgaben noch Zeit für sich und die eigenen Bedürfnisse zu finden.

Mangelnde Bedürfniserfüllung tut uns nicht gut

Für alle Menschen ist es wichtig, dass sie ihre eigenen Bedürfnisse erfüllen können, damit es ihnen gut geht. Wenn wir zu wenig schlafen oder zu wenig essen, merken wir oft direkt, dass es uns nicht gut geht. Aber auch wenn andere Bereiche unserer Bedürfnisse vernachlässigt werden, spüren wir das: Wenn wir uns eingeschränkt fühlen in unserer Selbstwirksamkeit oder weniger Sozialkontakte haben, als wir eigentlich benötigen, geht es uns nicht gut: Wir fühlen uns unausgeglichen, unser Wohlbefinden leidet darunter. Es geht uns nicht gut. Dieses Unwohlsein kann sich auch auf unsere Beziehungen auswirken: wir sind angespannter, vielleicht auch gereizter. Ausreichend Schlaf, Nahrung, Bewegung, Sozialkontakte und das Gefühl, etwas bewirken zu können, sind wichtig für Menschen.

Besonders nachteilig ist die fehlende Möglichkeit, die eigenen Bedürfnisse zu erfüllen, da, wo sich Menschen um andere Menschen kümmern müssen: Gerade junge Kinder sind darauf angewiesen, dass ihre Bezugspersonen ihre Signale wahrnehmen, sie richtig interpretieren und ausreichend zeitnah passend beantworten. Zudem benötigen sie eine angemessene Begleitung in ihren eigenen Gefühlen, damit sie zunehmend lernen können, gut mit ihnen umzugehen. Wenn diese Bezugspersonen allerdings gestresst sind oder zu müde, zu angespannt, fällt diese angemessene Begleitung schwerer.

Schlafmangel macht es schwer, Kinder angemessen zu begleiten

Blicken wir beispielsweise auf den Schlafmangel, wissen wir, dass dieser zahlreiche negative psychische und körperliche Folgen haben kann. In Bezug auf Elternschaft kann sich dieser negativ auswirken auf die Feinfühligkeit gegenüber den Bedürfnissen des Kindes und die Wahrnehmung dieser verzerren: Wer sehr müde ist, deutet das Quengeln des Kindes vielleicht auch als Müdigkeit, obwohl es einen anderen Grund hat. Bei eine Studie aus dem Jahr 2006 wurde festgestellt, dass emotionale Reize unterschiedlich auf das ausgeschlafene oder unausgeschlafene Gehirn wirken: Starke Gefühle wie Zorn, Wut, Kampf-oder-Flucht wurden bei Personen mit Schlafmangel um über 60 Prozent verstärkt, während ausgeschlafene Personen kontrollierter und gemäßigter reagierten.

Auch zu hohe Ansprüche an uns selbst machen Selbstsorge schwerer

Viele Überlastungen von Eltern, die zu wenig Raum für die Selbstsorge lassen, hängen auch mit den umgebenden Strukturen zusammen, die politisch und gesellschaftlich geändert werden müssen – hier haben Eltern zeitnah wenig Möglichkeiten, darauf einzuwirken. Gleichzeitig ist es aber auch wichtig, sich von unnötigen Lasten zu befreien, beispielsweise von zu hohen Ansprüchen an sich und den Haushalt, um Freiräume zu erlangen für die Selbstsorge und ein entlastendes Netz aufzubauen. In den Blick genommen werden sollten daher die eigenen Ansprüche, die Aufgabenverteilung innerhalb der Familie, aber auch Rollenvorstellungen. Diese Fragen können ggf. dabei helfen, das eigene Mindset in Bezug auf Selbstsorge zu hinterfragen:

  • Wenn ich Zeit habe, um auszuruhen und etwas für mich zu tun, habe ich dabei ein schlechtes Gewissen?
  • Habe ich Schuldgefühle gegenüber meinem Kind oder anderen Familienmitgliedern, wenn ich etwas für mich tue? Wenn ja: Woher kommen diese Schulgefühle und haben sie eine reale Ursache, oder ist es ein zu hoher kritischer Anspruch an mich?
  • Wenn sich eine befreundete Person in derselben Situation befinden würde wie du, was würdest du ihr raten zu tun? Unterscheidet sich dieser Rat von dem, was du dir selbst zugestehst?
  • Hattest du in deiner Kindheit/Jugend oder jetzt Vorbilder für Selbstfürsorge und Entspannung?
  • Welche Bedeutung hat das Thema Selbstfürsorge in der Erziehung deines Kindes? Siehst du einen Unterschied darin, was du für dein Kind wünschst und ihm empfiehlst und dem, was du selbst lebst und als Vorbild anbietest?
  • Gibt es einen Unterschied in dem Umfang und der Art, wie der andere Elternteil Selbstfürsorge lebt? Wenn ja: Warum gibt es diesen Unterschied? Welche Gefühle hat die andere Person in Bezug auf die eigene Bedürfniserfüllung?

Aufgaben streichen und gerecht verteilen

Selbstfürsorge ist nicht mit Egoismus gleich zu setzen, auch wenn wir selbst oder andere das gelegentlich tun und gerade das überhöhte Mutterbild schnell zu Verurteilungen führt. Doch Selbstfürsorge ermöglicht, seelisch und körperlich gesund zu bleiben bzw. hilft ggf. dabei, es wieder zu werden. Manchmal ist es gar nicht so einfach, die eigenen Bedürfnisse überhaupt (wieder) in den Blick zu nehmen. Hilfreich kann es sein, sich erst einmal Zeit zum Nachdenken zu nehmen: Wie fühle ich mich und was fehlt mir gerade? Und dann zu überlegen, durch welche Strategien für diese Dinge Platz geschaffen werden kann. Eine Not-to-do-List kann hier beispielsweise helfen: Schreibe die Dinge auf, die du eigentlich ungern erledigst und die vielleicht gar nicht wirklich wichtig sind und dir Zeit und Energie rauben. Versuche, diese Dinge nachhaltig aus dem Alltag zu streichen. Manchmal ist es auch möglich, mehr Freiräume zu erlangen, indem die Familienaufgaben gerechter verteilt werden. Eine wöchentliche Familienkonferenz kann hier helfen, bei der alle Aufgaben aufgeführt und gerecht verteilt werden.

Selbstfürsorge ist für Eltern kein Nice-to-Have, sondern eine grundlegende Voraussetzung, um selbst körperlich und psychisch gesund zu bleiben und darüber hinaus für andere sorgen zu können.

Eure

Zur Autorin:
Susanne Mierau ist Diplom-Pädagogin (Schwerpunkt Kleinkindpädagogik) und Familienbegleiterin. Sie arbeitete an der FU Berlin in Forschung und Lehre, bevor sie sich 2011 im Bereich bedürfnisorientierte Elternberatung selbständig machte. Ihr 2012 gegründetes Blog geborgen-wachsen.de und ihre Social Media Kanäle sind wichtige und viel genutzte freie Informationsportale für bedürfnisorientierte Elternschaft und tragen seit über 10 Jahren maßgeblich zur Verbreitung bedürfnisorientierter Erziehung bei. Susanne Mierau gibt Workshops für Eltern und Fachpersonal und spricht auf Konferenzen und Tagungen über kindliche Entwicklung, Elternschaft und Familienrollen.

Foto: Ronja Jung für geborgen-wachsen.de

Emotionally overtouched – Wenn es zu viel wird mit den Gefühlen

Viele Eltern kennen das Gefühl, wenn sie durch Körperkontakt und Nähe überreizt sind: Zu viel an Körperkontakt, gerade in der Zeit mit Baby oder Kleinkind, wenn das Kind quasi auf oder am Körper der Bezugsperson wohnt, weil es jetzt gerade oder generell besonders viel Nähe braucht. Die eigene körperliche Grenze scheint nicht eingehalten werden zu können und jede weitere Berührung, auch durch andere Erwachsene, wird zu viel. Wir sehnen uns nach Zeit für uns allein ohne körperliche Überstimulation. Doch nicht nur unser Körper kann überreizt sein, auch unsere Gefühlswelt.

Das Begleiten von Kindern benötigt Kraft: auf körperlicher Ebene für all die vielen Handgriffe, das Hochheben und Absetzen, das Tragen im Tuch, das Wickeln, das Füttern und insbesondere Stillen. Auch für die emotionale Begleitung von Kindern benötigen wir Kraft: für das Wahrnehmen, Verstehen und Begleiten von Gefühlen. Wir brauchen Kraft, um die noch unmittelbar und oft auch körperlich oder stimmlich ausgedrückten Gefühle auszuhalten, zu regulieren und dabei auch unsere eigenen aufsteigenden Emotionen im Zaum zu halten. Gerade um mit Ärger/Wut/Enttäuschung von Kindern umgehen zu können, muss es uns selbst gut genug gehen.

In kaum einem der vielen Bücher über den richtigen Umgang mit elterlicher Wut und dem Vermeiden von körperlicher und psychischer Gewalt ist der so bedeutende wie einfache Hinweis zu finden, dass wir für unsere eigene emotionale Ausgeglichenheit eben nicht nur beständig uns selbst reflektieren und mehr an uns arbeiten müssen, sondern dass wir nicht minder bedeutend vor allem auch Schlaf und Entspannung brauchen, damit wir gelassen mit all den Herausforderungen des Begleitens von Kindern umgehen können. In einer Studie aus dem Jahr 2006 wurde die emotionale Wirkung bestimmter Reize auf das ausgeschlafene und unausgeschlafene Gehirn untersucht. Es zeigt sich, dass genau dieselben Reize im Mandelkern des Gehirns, dem Zentrum für die Entstehung von Gefühlen, eine ganz unterschiedliche Wirkung hervorrufen, je nach Ausgeschlafenheit der Person: Starke Gefühle wie Zorn, Wut, Kampf-oder-Flucht wurden bei den Personen mit Schlafmangel um über 60 Prozent verstärkt, während die ausgeschlafenen Personen kontrollierter und gemäßigter reagierten. Vielleicht kommt es in Bezug auf das gewaltfreie Begleiten von Kindern also viel mehr darauf an, dass wir ausgeschlafen sein können, als uns bisher bewusst war.

Susanne Mierau (2024): Das Schlafbuch für die ganze Familie, S.65

„Das empathische Geschlecht“ – von Anfang an zuständig für Emotionen

Gerade weiblich sozialisierte Menschen erfahren schon in der Kindheit, dass sie in besonderer Weise für die Emotionen anderer zuständig sein sollen: „das empathische Geschlecht“, „du musst verstehen…“, „nun stell dich mal nicht so an…“, „tröste mal und sei nicht zickig“. Die emotionale Zuständigkeit für das Wohlergehen anderer wird schon früh auf die Schultern gelegt und bleibt dort über die weiteren Jahre liegen, wenn schon in der Schule mehr Empathie erwartet wird, aber auch später im Job, man im Büro zuständig dafür ist, dass die anderen ihre Problem loswerden können oder man auf andere Weise dafür sorgt, dass es einen emotional gutes Klima bei der Arbeit gibt, beispielsweise dadurch, dass man für die Geburtstagsgeschenke zuständig ist, selbstgebackene Kekse und Kuchen mitbringt etc. Emotionen, das ist Frauensache – gilt noch immer an vielen Stellen.

Wer Sorgearbeit leistet, kümmert sich viel um Emotionen

Zu all diesen vielen ohnehin bestehenden Emotionsaufgaben in Job und Partnerschaft kommen dann im Falle der Elternschaft auch noch die Emotionen der Kinder. Wer mehr Care-Arbeit vollbringt, ist auch mehr mit den Emotionen der anderen Menschen beschäftigt. Eltern tragen nicht nur „Mental Load“, sondern auch „Emotional Load“. Gerade bei viel weinenden Babys sind begleitende Eltern besonders gefordert, aber auch in der Begleitung neurodiverser Kinder und/oder in der Kleinkindzeit, in der alle Empfindungen noch so unmittelbar und direkt mitgeteilt werden und es notwendig ist, dass Kinder durch ihre nahen Bezugspersonen erfahren, wie Gefühle benannt und ausgedrückt werden können, sind Eltern – und besonders die häufiger zuständigen Mütter – sehr gefordert. Neben der Co-Regulation des Kindes ist manchmal auch noch die Selbstregulation notwendig – gerade dann, wenn man selbst nicht lernen konnte, gesund mit den eigenen Gefühlen umzugehen und nun wütend wird, weil das Kind wütend ist.

Wenn zu wenig Kraft dazu führt, dass wir kindlichen Gefühlen aus dem Weg gehen

So, wie es ein Zuviel an Körperkontakt geben kann, können wir auch erschöpft sein von der Zuständigkeit für Emotionen. Gerade dann, wenn wir zu wenig Zeit haben, um unsere Kräfte aufzufüllen oder die Rahmenbedingungen für Familienleben uns keine Möglichkeiten lassen, uns auch gut um uns selbst zu kümmern, wird das Begleiten der Emotionen von Kindern manchmal zur Herausforderung. Schnell ist man verleitet, den kindlichen Emotionen aus dem Weg zu gehen: lieber nachgeben, lieber mehr Medien, als jetzt noch ein Wutanfall, lieber ein zweites Eis als Diskussionen… Was gelegentlich kein Problem ist, kann aber auf Dauer nachteilig werden, wenn Eltern aus Erschöpfung immer mehr versuchen, Diskussionen, Gefühlsausbrüchen und einem klaren Nein aus dem Weg zu gehen. Auch wenn es anstrengend ist, brauchen Kinder die Gefühlsbegleitung und müssen lernen, wie sie mit ihren Gefühlen gut und sozial umgehen können. Dies lernen sie, weil es eben auch Reibungspunkte im Alltag gibt, anhand derer Eltern aufzeigen können, wie mit Wut, Trauer, Ekel etc. umgegangen werden kann.

Emotionale Überlastung ernst nehmen

Dass wir durch all die Zuständigkeit für Gefühle (gleichzeitig mit vielen anderen Aufgaben parallel) überlastet sind, ist also nachvollziehbar. Gleichzeitig brauchen Kinder aber emotionale Begleitung und ein dauerhaftes Aus-dem-Weg-Gehen ist nicht zielführend. Wenn wir merken, dass wir dauerhaft „emotional overtouched“ sind (oder es uns aus anderen Gründen schwer fällt, Emotionen von Kindern zu begleiten), brauchen wir also Hilfe: Zeit, um zur Kraft zu kommen, ausreichend Schlaf und vor allem: langfristig nicht allein für zu viele Emotionen zuständig sein zu müssen.

Eure

Zur Autorin:
Susanne Mierau ist Diplom-Pädagogin (Schwerpunkt Kleinkindpädagogik) und Familienbegleiterin. Sie arbeitete an der FU Berlin in Forschung und Lehre, bevor sie sich 2011 im Bereich bedürfnisorientierte Elternberatung selbständig machte. Ihr 2012 gegründetes Blog geborgen-wachsen.de und ihre Social Media Kanäle sind wichtige und viel genutzte freie Informationsportale für bedürfnisorientierte Elternschaft und tragen seit über 10 Jahren maßgeblich zur Verbreitung bedürfnisorientierter Erziehung bei. Susanne Mierau gibt Workshops für Eltern und Fachpersonal und spricht auf Konferenzen und Tagungen über kindliche Entwicklung, Elternschaft und Familienrollen.

Foto: Ronja Jung für geborgen-wachsen.de

Wie lange darf mein Kind im Elternbett schlafen?

Die Frage danach, wie lange denn nun ein Kind im Elternbett schlafen dürfe, bewegt Eltern von der Baby- bis in die Grundschulzeit: Muss es jetzt nicht langsam ausziehen? Wie lange ist ausreichend lang, wie lang ist zu lang? Und was, wenn das Kleinkind- oder Grundschulkind noch immer nachts ins Bett der Eltern kommt? Wie viele andere Fragen des Familienlebens gibt es auch auf diese Frage keine so richtig abschließende und pauschale Antwort, die zu allen passt. Aber es gibt eine Antwort, die ziemlich gut auf verschiedenste Modelle zutrifft: Solange es für alle Beteiligten angenehm ist und das Kind nicht erwachsene Nähebedürfnisse erfüllen muss.

Solange es für alle passt…

Vielleicht kennst du die WHO Empfehlung zur Stillzeit, in der es heißt, dass das Stillen fortgeführt werden kann, solange es für Stillende und Kind in Ordnung ist. – Ganz ähnlich können wir es auch in Bezug auf das Schlafen handhaben: Dass Menschen eine Tendenz dazu haben, beeinander schlafen zu wollen, ist weit verbreitet und ziemlich normal, schließlich sind wir gut geschützt, wenn wir in Gruppen schlafen, weil wir uns gegenseitig wärmen können und aufeinander achten. Während es bei erwachsenen Paaren sogar als Selbstverständlichkeit betrachtet wird, dass sie das Bett teilen und ein getrenntes Schlafen kritisch beäugt wird (obwohl auch Paare individuelle Schlafentscheidungen treffen sollten und es keinesfalls einen Zwang zum geteilten Bett geben sollte), wird der Schlaf von Kindern im Eltern- oder Familienbett recht häufig schon in jungen Jahren kritisiert. Dabei wünschen sich gerade Kinder die Schutzfunktion der Nähe im Elternbett.

Der Aspekt, dass sich alle mit dem gemeinsamen Schlaf wohl fühlen sollten, ist auf emotionaler Ebener bedeutsam („Fühlt es sich wirklich angenehm an für uns alle?“), aber auch auf konkret räumlicher Ebene („Haben wir alle genug Platz?“). Denn tatsächlich sollte es nicht nur darum gehen, dass der Schlaf im Elternbett gemütlich ist für das Kind, sondern auch die Erwachsenen sollten ausreichend Platz haben und es sich gemütlich machen können. Im Elternbett, das vielleicht nur auf ein bis zwei Personen ausgelegt ist, ist das nicht immer der Fall: Für Babys kann zu wenig Platz im gemeinsam geteilten Bett gefährlich werden, wenn beispielsweise Atemwege verdeckt werden können, für größere Kinder und ihre Eltern kann zu wenig Platz bedeuten, dass man sich nachts aufweckt, weil wieder ein Arm oder Fuß einer anderen Person im Gesicht gelandet ist. Wir müssen es uns also auch vom Platz her passend machen – und das bedeutet, dass oft eher ein Familienbett eine gute Wahl ist, statt eines Elternbetts für alle.

… und sich alle wohl fühlen

Neben dem tatsächlichen Raum ist auch der emotionale Raum bedeutsam: Ist es für alle beteiligten Erwachsenen okay, wenn das Kind mit im Bett schläft? Was, wenn nur eine erwachsene Person das gut findet? Hier muss dann genauer hingesehen werden: Wenn beispielsweise ein Elternteil wünscht, dass das Kind aus dem gemeinsamen Bett auszieht, gleichzeitig aber die Verantwortung für diesen Übergang und das nächtliche Kümmern auf den anderen Elternteil schiebt, wäre das eine unfaire Verteilung zu Lasten von Kind und einem Elternteil.

Wichtig ist auch, zu beachten, wie es dem Kind wirklich geht: Braucht es noch Nähe und Zuwendung? Wenn es nicht mehr im Elternbett schlafen darf, wie kann es den eigenen Schlafort als sicher und schön erfahren? Welche Begleitung und welche Übergänge braucht es vielleicht, um sich dort richtig wohl zu fühlen? Bei älteren Kindern dürfen die Erwachsenen auch in den Blick nehmen, ob das Kind wirklich noch die nächtliche Nähe braucht, oder eher die Erwachsenen die Nähe mehr genießen als das Kind – und wenn dem so ist, woran das liegen könnte. Manchmal lohnt es sich, auch die eigenen Bedürfnisse noch einmal in den Blick zu nehmen, sowie die eigene Schlafgeschichte und Einstellung zum Schlaf: Fühle ich mich abends wohl und geborgen in meinem Bett und kann sicher vom Tag loslassen?

Prinzipiell gibt es kein konkretes Alter, an dem Kinder aus dem Eltern- und Familienbett ausgezogen sein müssen. Wie wir schlafen, ist auch eine kulturelle, lokale und ökonomische Frage und sollte weniger von Glaubenssätzen geleitet sein, als von einem achtsamen Blick auf die Bedürfnisse aller.

Eure

Zur Autorin:
Susanne Mierau ist Diplom-Pädagogin (Schwerpunkt Kleinkindpädagogik) und Familienbegleiterin. Sie arbeitete an der FU Berlin in Forschung und Lehre, bevor sie sich 2011 im Bereich bedürfnisorientierte Elternberatung selbständig machte. Ihr 2012 gegründetes Blog geborgen-wachsen.de und ihre Social Media Kanäle sind wichtige und viel genutzte freie Informationsportale für bedürfnisorientierte Elternschaft und tragen seit über 10 Jahren maßgeblich zur Verbreitung bedürfnisorientierter Erziehung bei. Susanne Mierau gibt Workshops für Eltern und Fachpersonal und spricht auf Konferenzen und Tagungen über kindliche Entwicklung, Elternschaft und Familienrollen.

Foto: Ronja Jung für geborgen-wachsen.de

Auf keinen Fall nachgeben!

„Du musst konsequent sein!“, „Konsequenz hilft deinem Kind, die Welt zu verstehen!“, „Dein Kind wird nie Regeln verstehen, wenn du dich nicht selbst an sie hältst!“ – Diese und andere Richtlinien hören Eltern immer wieder. Und es steckt auch ein wichtiger Punkt darin: Durchaus ist es für Kinder wichtig, wenn wir vorhersagbar handeln und damit eine Orientierung in diesem noch recht neuen Leben geben. Gleichzeitig sollte dies aber auch nicht zu dogmatisch betrachtet werden, denn Elternschaft bedeutet auch, flexibel sein zu müssen.

Der Leuchtturm sein

Kinder brauchen Bezugspersonen, die ihnen einen sicheren Zugang zur Welt ermöglichen. Innerhalb eines sicheren Rahmens können sie sich selbst, die dingliche und soziale Welt erkunden. Wenn sie an die Grenzen eines dieser Bereiche stoßen, erklären Bezugspersonen, warum und wie die Grenzen eingehalten werden können und gehen als Beispiel voran. So können Kinder aktiv nach und nach all die Bereiche der sie umgebenden Umwelt kennenlernen und verstehen, wie diese funktioniert. Da Menschen sehr anpassungsfähig an die sie jeweils umgebende Umwelt zur Welt kommen, ist es wichtig, dass sie über ihre Bezugspersonen lernen, wie genau die Welt, die sie umgibt, funktioniert. Genau hier hilft auch ein sinnvoller Grad an Bestimmtheit: Diese Regeln und Werte gelten immer, das sollte auf keinen Fall getan werden etc. Gerade in Bezug auf gefährliche Dinge und Situationen, die das Kind selbst noch nicht überblicken kann, ist es wichtig, verlässlich und ausdauernd die Grenzen aufzuzeigen.

Kinder können und müssen Ausnahmen lernen

Gleichzeitig gibt es aber in einigen Situationen auch Ausnahmen von festgelegten Regeln: Manchmal darf man etwas tun, manchmal nicht. Bei einigen Personen zu Hause sind jene Regeln zu befolgen, bei anderen andere. Auch das ist etwas, was Kinder nicht nur lernen können, sondern auch sollen: Regeln flexibel anzuwenden, die Grenzen von Regeln zu kennen und auch situativ zu erfassen, wo welche Regel angemessen ist. Dass beispielsweise bei den Großeltern zu Hause andere Tischregeln herrschen als zu Hause oder auch, dass man sich an unterschiedlichen Orten unterschiedlich kleidet, dass man verschiedene Menschen unterschiedlich begrüßen kann etc. Auch der Umstand, dass manche Regeln von den aktuellen Möglichkeiten einzelner Menschen abhängen, ist wichtig zu lernen: Heute bin ich zu erschöpft, um noch wie sonst mit dir auf den Spielplatz zu gehen. Gleichzeitig kann das auch bedeuten, dass wir Regeln ins Positive aufweichen, weil wir uns anpassen müssen: Eigentlich gibt es nicht zwei Kugeln Eis, aber heute machen wir eine Ausnahme, weil…

Während Eltern oft geneigt sind, das erste Beispiel (ich bin zu erschöpft heute…) als Regeländerung anzunehmen, fürchten sie beim Nachgeben in Kinderrichtung, dass die Inkonsequenz pädagogische Probleme nach sich ziehen könnte. Doch dieses Nachgeben kann bedenkenlos in beide Richtungen erfolgen, so dass das Kind lernt: Es gibt eine Regel, aber es gibt auch Faktoren, die sie beeinflussen können. Und diese Einflussfaktoren sind manchmal feststehend (immer wenn x, weichen wir von y ab), manchmal stehen sie auch zur Diskussion.

Flexibilität über die Zeit

Abweichung ist aber nicht nur in einigen Situationen notwendig und möglich, sondern in vielen Punkten auch über die vielen Jahre der Kindheit notwendig. Schließlich wachsen die kindlichen Fähigkeiten und jene Regeln, die im Alter von drei Jahren galten, müssen für ein fünfjähriges Kind nicht immer noch richtig sein. Elternschaft setzt voraus, dass wir uns flexibel an die Entwicklung des Kindes anpassen. Das bedeutet, dass wir immer wieder bereit sein sollten, zu überprüfen, ob eine Regel noch stimmig ist oder verändert werden sollte. Manchmal bedeutet das, Grenzen enger zu setzen, manchmal – gerade im Laufe der Zeit – zu weiten.

„Auf keinen Fall nachgeben!“ ist also ein Spruch, der ausgedient haben sollte in der Erziehung. Vielmehr sollten wir in uns den Gedanken verankern: „Flexibilität vor Dogma“.

Eure

Zur Autorin:
Susanne Mierau ist Diplom-Pädagogin (Schwerpunkt Kleinkindpädagogik) und Familienbegleiterin. Sie arbeitete an der FU Berlin in Forschung und Lehre, bevor sie sich 2011 im Bereich bedürfnisorientierte Elternberatung selbständig machte. Ihr 2012 gegründetes Blog geborgen-wachsen.de und ihre Social Media Kanäle sind wichtige und viel genutzte freie Informationsportale für bedürfnisorientierte Elternschaft und tragen seit über 10 Jahren maßgeblich zur Verbreitung bedürfnisorientierter Erziehung bei. Susanne Mierau gibt Workshops für Eltern und Fachpersonal und spricht auf Konferenzen und Tagungen über kindliche Entwicklung, Elternschaft und Familienrollen.

Foto: Ronja Jung für geborgen-wachsen.de

Der Gender-Sleep-Gap – Jede Mutter kann schlafen lernen

Babys, Kinder und Teenager schlafen anders als Erwachsene. Glücklicherweise hat sich in den vergangenen Jahren immer mehr das Wissen durchgesetzt, dass dieser andere Schlaf von jungen Menschen kein Fehler ist, sondern aus Sicht der Entwicklung durchaus sinnvoll. Gleichzeitig stellt sich aber noch immer die Frage: Wenn mein Kind richtig schläft, so wie es schläft, wie soll ich dann ausreichend Schlaf finden? Gerade dann, wenn das Baby oder Kleinkind nachts noch Nahrung benötigt oder Schwierigkeiten hat, nach dem (normalen) Aufwachen zwischen den Schlafphasen schnell wieder in den Schlaf zu finden? Bedeutet das nicht zwangsweise, dass Eltern anders schlafen müssen? Tatsächlich benötigen viele Kinder ihre Bezugspersonen nachts zur Regulation und Begleitung. Allerdings sprechen und denken wir in Bezug auf das nächtliche Begleiten eben nicht von Eltern, sondern von Müttern.

Die Schlaflücke – Wie groß der Gender-Sleep-Gap wirklich ist

Mütter begleiten insbesondere in den Schlaf und rund um den Schlaf – wie sie auch sonst mehr Care-Arbeit übernehmen. Laut einer Studie des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung ist der Schlaf von Eltern innerhalb der ersten sechs Jahre nach der Geburt des ersten Kindes in seiner Qualität und Dauer beeinträchtigt – Mütter schlafen hierzulande in den ersten drei Monaten nach der Geburt durchschnittlich eine Stunde weniger, Väter 15 Minuten weniger. Dieser Differenz im Umsorgen des Schlafes passt sich ein den bestehenden Gender-Care-Gap:

Die Sorgelücke betrug im Jahr 2019 (trotz allgemeiner Verringerung seit dem Jahr 1992) noch immer 52,4 Prozent: Frauen wenden täglich 52,4 Prozent mehr Zeit für unbezahlte Sorgearbeit als Männer auf. Hierbei muss aber noch einmal genauer nach Alter und Lebenssituation differenziert werden: In der Altersgruppe der 34jährigen beträgt der Gender-Care-Gap sogar 110,6 Prozent. Frauen dieser Altersgruppe verbringen pro Tag durchschnittlich 5 Stunden und 18 Minuten mit Care-Arbeit, während Männer 2 Stunden und 31 Minuten damit verbringen. Besonders viel Care-Arbeit fällt in Haushalten mit Kindern an. Hier verrichten Mütter 2 Stunden und 30 Minuten mehr Care-Arbeit als Väter.

Susanne Mierau „Füreinander sorgen“ (2023, S.59)

Sind Mütter bessere Versorgerinnen nachts?

Kinder brauchen nächtliche Fürsorge und sie muss von ihren nahen Bezugspersonen geleistet werden. Doch das nächtliche Umsorgen muss keinesfalls ausschließlich durch ein Elternteil erfolgen und ist nicht an ein Geschlecht gebunden.

Die israelische Psychologin und Hirnforscherin Ruth Feldman hat festgestellt, dass Mütter in der Regel mit einer geöffneten Amygdala schlafen (die Region im Gehirn, die u.a. für Gefühle verantwortlich ist und potenzielle Gefahren analysiert): Hierdurch sind sie für die Signale des Babys auch während des Schlafs zugänglich ist. Diese Aktivierung bleibt auch nach der Babyzeit bestehen. Väter hingegen können mit einem geschlossenen Mandelkern schlafen, weil sie wissen, dass die Mutter sich kümmern wird. Ist allerdings ein Vater eine Hauptbezugsperson, wird bei diesem der Mandelkern aktiviert. Es ist also – wie generell bei der Care-Arbeit – keine Frage des Geschlechts, sondern der Zuständigkeit und der Verantwortlichkeit. Das Umsorgen von Babys und Kindern wird gelernt und braucht aktives Tun.

Folgen des Schlafmangels für Mütter

Dass nun Mütter besonders für die nächtliche Care-Arbeit zuständig sind, bleibt nicht folgenlos. Wir haben bereits gesehen, dass die Zeitmenge des Schlafdefizits durchaus beträchtlich ist. In der Regel können wir kurzfristig mit weniger oder keinem Schlaf ohne große Schäden davonkommen und der in der Elternschaft erlebte Schlafmangel muss nicht zwangsweise zu Problemen führen, aber langfristig oder in Kombination mit vorher oder nachher (wenn sich Schlafstörungen durch diese Zeit und nächtliche Begleitung entwickeln) bestehenden Schlafstörungen kann er sich auf unser körperliches und psychisches Wohlergehen auswirken: das Immunsystem, unser Gehirn, psychische Erkrankungen und unsere Emotionen.

Schlafmangel macht uns launischer, gereizter und nervöser. Damit einher geht, dass sich unser Blick auf die Welt verändert, da sich Menschen mit Schlafstörungen besser an negative Erlebnisse erinnern als an positive. Gerade in der Elternschaft ist das eine sehr ungünstige Auswirkung von Schlafmangel, wenn sich der Blick auf das Erleben, aber auch auf das Kind, negativ eintrübt und nur noch die schlechten Seiten betrachtet werden und kein ressourcenorientierter, wohlwollender Blick mehr möglich ist. Hinzu kommt vielleicht noch das abendliche oder nächtliche Grübeln, wenn ein Ein- oder Durchschlafproblem vorliegt.

Susanne Mierau (2024): Das Schlafbuch für die ganze Familie, S.58

Gerade Menschen, die in der Verantwortung stehen, sich mit Feinfühligkeit um andere kümmern zu müssen, brauchen Schlaf, um Signale zu bemerken und angemessen darauf reagieren zu können, brauchen Kraft für die vielen Handgriffe des Tages und die Begleitung von Emotionen des Kindes und Regulation der eigenen.

Starke Gefühle wie Zorn, Wut, Kampf-oder-Flucht wurden bei den Personen mit Schlafmangel um über 60 Prozent verstärkt, während die ausgeschlafenen Personen kontrollierter und gemäßigter reagierten. Vielleicht kommt es in Bezug auf das gewaltfreie Begleiten von Kindern also viel mehr darauf an, dass wir ausgeschlafen sein können, als uns bisher bewusst war.

Susanne Mierau (2024): Das Schlafbuch für die ganze Familie, S.65

Doch nicht nur in Bezug auf die Begleitung der Kinder und das psychische und physische Wohlergehen ist der Schlafmangel der Mütter problematisch. Schließlich wird neben all dem Umsorgen, der täglichen und nächtlichen Care-Arbeit auch Leistung in der Erwerbsarbeit erwartet.

Frauen verdienen weniger, erhalten weniger Rente, kümmern sich mehr unbezahlt um andere. Dass sie all dies auch noch trotz Schlafmangels tun, dass sich dieser Schlafmangel auch noch negativ auf ihre Karrierechancen und Erwerbsarbeit auswirkt, wird nicht bedacht. Der Gender-Sleep-Gap ist hierzulande noch recht unbekannt. Dass wir uns müde weniger politisch engagieren können und damit weniger Kraft haben, um etwas an unserer Situation zu verändern, setzt all dem noch die Krone auf.

Susanne Mierau (2024): Das Schlafbuch für die ganze Familie, S.265

Wie kann jede Mutter schlafen lernen?

Wir brauchen also zweifellos politische Lösungen und gesamtgesellschaftliche Lösungen, um das Problem der schlaflosen Mütter anzugehen. Wir müssen darüber reden, wie es uns geht, warum wir müde sind und aufhören, diese Müdigkeit als Selbstverständlichkeit für Mütter hinzustellen. Nur weil es der Norm entspricht, ist es nicht richtig oder gesund.

Innerhalb von Familien brauchen wir mehr Schlafgerechtigkeit. Nicht nur die erwerbsarbeitende Person braucht ausreichend Schlaf, sondern auch carearbeitende brauchen Schlaf. „Du bist ja nur zu Hause, dann kannst du dich nachts ja um das Kind kümmern!“ sollte wirklich kein Argument sein, um einer Person den Schlafmangel zuzuschieben. Und ja: Es ist möglich, sich den Schlaf aufzuteilen und Care-Arbeiten umzuschichten, damit sich der nachts betreuende Elternteil wenigstens tagsüber mehr ausruhen kann. Gerade auch für Alleinerziehende braucht es mehr Unterstützung und Ressourcen, um Schlafmangel aufzufangen. Das wichtigste ist aber zuerst: Dass wir auch hier benennen, dass es einen ungerechten Unterschied gibt und dass dieser behoben werden muss.

Zur Autorin:
Susanne Mierau ist Diplom-Pädagogin (Schwerpunkt Kleinkindpädagogik) und Familienbegleiterin. Sie arbeitete an der FU Berlin in Forschung und Lehre, bevor sie sich 2011 im Bereich bedürfnisorientierte Elternberatung selbständig machte. Ihr 2012 gegründetes Blog geborgen-wachsen.de und ihre Social Media Kanäle sind wichtige und viel genutzte freie Informationsportale für bedürfnisorientierte Elternschaft und kindliche Entwicklung. Susanne Mierau gibt Workshops für Eltern und Fachpersonal und spricht auf Konferenzen und Tagungen über kindliche Entwicklung, Elternschaft und Familienrollen.

Foto: Ronja Jung für geborgen-wachsen.de

Wie Kinder lernen, Dinge zu teilen

Das Teilen ist ein positiver Wert, den viele Eltern in ihren Kindern verinnerlichen wollen. Dieser Wert erscheint so wichtig, dass Eltern manchmal beschämt sind, wenn das eigene Kind jetzt gerade nicht teilen möchte. So wird das Kind dazu gedrängt, „jetzt doch mal was abzugeben“ oder „auch nett zum anderen Kind“ zu sein. Es wird sich beim Gegenüber entschuldigt, wenn das Kind trotz Druck einfach nicht zum Teilen bewegt werden kann. Manchmal wird sogar in oder nach der erfolglosen Teil-Situation mit dem Kind geschimpft. Aber ist das ein guter Weg, um Kinder zum Teilen zu bringen?

Teilen ist weiterhin wichtig für Menschen

Das Teilen ist ein wichtiger Bestandteil unseres menschlichen Seins, da sich unser Mensch-Sein im Miteinander und gegenseitiger Unterstützung ausgebildet hat: Erst durch das Zusammenarbeiten von Menschen und gegenseitige Unterstützung ist es dem Menschen gelungen, sich über die ganze Welt auszubreiten und Regeln für das Zusammenleben zu gestalten, die eine Gemeinschaft stützen und schützen. Dass wir also auch weiterhin das Teilen und Kooperation als wichtige Werte einschätzen, die an die folgende Generation weitergeben werden sollen, ist verständlich. Doch der Weg dorthin führt nicht über Strenge und das Einfordern von Freundlichkeit, sondern über empathische Zuwendung und Vorbild.

Soziales Verhalten entwickelt sich über die Zeit und wird mit zunehmendem Alter komplexer. Etwa im zweiten Lebensjahr zeigen Kinder bereits ein erstes soziales Verhalten, wie verschiedene Studien zeigen, indem sie anderen helfen, andere unterstützen, teilen und kooperieren – allerdings ist dieses noch recht spezifisch ausgerichtet und nicht allgemein. Für die Ausbildung eines umfassend sozialen Verhaltens sind vielfältige soziale und emotionale Erfahrungen wichtig.

Kein Druck, sondern Einfühlung

Wesentlich für das Teilen ist die Entwicklung von Empathie. Kinder brauchen ihre nahen Bezugspersonen, um sie mit der Gefühlswelt des Gegenüber vertraut zu machen. Das bedeutet, zusammen mit dem Kind darüber zu sprechen: „Wie fühlt sich das andere Kind?“, „Wie fühlt es sich, wenn du mit dem Kind teilst?“ Auch Kinderbücher können eine gute Möglichkeit sein, um über Gefühl und gegenseitige Unterstützung zu sprechen „Was fühlt das Kind im Buch? Warum fühlt es sich so?“ In zwei Untersuchungen mit kleiner Stichprobengröße an Kleinkindern und ihren Eltern konnte gezeigt werden, dass Kleinkinder sich sozialer verhielten, wenn Eltern mit ihnen über die Gefühle der Personen in Kinderbüchern sprachen und sie anregten, selbst über die Gefühle anderer nachzudenken.

Auch in sozialen Alltagssituationen ist es bedeutsam, Kindern nicht nur zu erklären, wie andere sich fühlen, sondern sie zur Reflexion anzuregen: Wie fühlen sich andere Menschen? Woran erkennt das Kind, dass der andere Mensch so fühlt? Wie lässt sich dieses Empfinden verändern?

Vorbild sein

Neben aller Begleitung und Anregung kommt es auch bei der Entwicklung sozialen Verhaltens und des Teilens darauf an, wie sich die nahen Bezugspersonen selbst verhalten und welches Vorbildverhalten sie zeigen: Wann kann das Kind die Bezugspersonen beim Teilen beobachten? Wie reagieren die Erwachsenen darauf, wenn von ihnen das Teilen eingefordert wird durch andere, beispielsweise am Familientisch oder in der Öffentlichkeit? Wie verhalten sich die Eltern untereinander, aber auch gegenüber den eigenen Kindern in Bezug auf das Teilen? Gibt es Rituale des Teilens, die das Kind bei den Erwachsenen erlebt, beispielsweise wenn Kleidung gespendet wird oder wird thematisiert, dass die Familie an gemeinnützige Einrichtungen spendet?

Wie in allen anderen Bereichen der kindlichen Entwicklung sollte auch bei der Entwicklung des Sozialverhaltens und des Teilens nicht mit Druck und Strafen gearbeitet werden. Vielmehr sollte die emotionale Entwicklung unterstützt werden durch Gespräche über die eigenen und fremde Gefühle, sowie ein gutes Vorbildverhalten.

Eure

Zur Autorin:
Susanne Mierau ist Diplom-Pädagogin (Schwerpunkt Kleinkindpädagogik) und Familienbegleiterin. Sie arbeitete an der FU Berlin in Forschung und Lehre, bevor sie sich 2011 im Bereich bedürfnisorientierte Elternberatung selbständig machte. Ihr 2012 gegründetes Blog geborgen-wachsen.de und ihre Social Media Kanäle sind wichtige und viel genutzte freie Informationsportale für bedürfnisorientierte Elternschaft und kindliche Entwicklung. Susanne Mierau gibt Workshops für Eltern und Fachpersonal und spricht auf Konferenzen und Tagungen über kindliche Entwicklung, Elternschaft und Familienrollen.

Foto: Ronja Jung für geborgen-wachsen.de