Monat: November 2019

Aufräumen im Kinderzimmer – Schluss mit Stress

„Räum jetzt endlich mal Dein Zimmer auf!“ Diesen Satz sagen so viele Eltern in der Hoffnung, das Kind würde auf einmal die Wohnung aus Erwachsenenaugen sehen, in die Hände klatschen und freudig erst die Kleinteile vom Boden aufräumen und anschließend die restliche Unordnung beseitigen. Tatsächlich aber blicken nach einem solchen Satz oft nur verunsicherte Augen um sich: Schließlich ist doch alles in bester Spielordnung, oder nicht?

Wechseln wir einmal die Perspektive

Sehen wir also einen Augenblick das Zimmer aus der Perspektive des Kindes, vielleicht auch tatsächlich aus der Augenhöhe des Kindes. Da ist die sorgsam aufgebaute Eisenbahn: Holzteil musste in Holzteil gesteckt werden. Die passenden Züge wurden ausgewählt, drum herum noch eine kleine Landschaft gebaut aus Bausteinen und Figuren. Ein Stück daneben liegen die gerade durchgeblätterten Lieblingsbücher auf einem Stapel. Herausgenommen aus dem Regal, in dem die anderen Bücher, die gerade nicht so spannend sind, noch stehen. Da sitzen die Kuscheltiere in Reichweite, eines sieht scheinbar dem Eisenbahntreiben zu.

Das Spiel ist die Arbeit des Kindes. Im Spiel zeigt sich, welche Entwicklungsaufgaben das Kind gerade angeht, wie Fein- und Grobmotorik gerade ausgebaut werden, welche Themen das Kind gerade für sich bearbeitet und was ihm wichtig ist. Das Kinderzimmer spiegelt diese Arbeit wider und ist auch ein Spiegel unserer eigenen Schreibtische, auf denen wir manches Mal die Sachen zusammenstellen, an denen wir gerade arbeiten, auf denen wir die Bücher ablegen, die wir gerade lesen (wollen). All das zeigt sich auch im Raum des Kindes und darin, wie das Kind ihn gestaltet.

Dementsprechend ist es nicht einfach, die so sorgsam zusammengestellten Sachen zur Seite zu räumen. Den so gut aufgestapelten Turm wegzuräumen, die kunstvoll gestaltete Landschaft in Kisten zu verstauen.

Alternativen und Kompromisse

Haben wir also im Blick, welche Bedeutung einige der aufgestellten und in unseren Augen „unordentlichen“ Sachen haben, können wir uns auf den Weg machen, Kompromisse zu finden: Vielleicht gibt es ein Regal, in dem die Bauwerke aufgehoben werden. Oder es gibt einen Tisch oder eine Spielplatte, der/die beim Aufräumen immer unangetastet bleiben kann. Müssen wir die Flut der Kinderbilder und Bastelwerke etwas ausdünnen, können wir Fotos der Werke machen und diese so verewigen.

Wenn doch aufgeräumt werden muss

Natürlich gibt es dann auch Situationen, in denen das Aufräumen nicht mehr verhindert werden kann. Für viele Kinder ist es gut, wenn es eine bestimmte Ordnung und Übersichtlichkeit gibt, damit sie in das Spiel finden können und nicht beständig abgelenkt werden. Muss also aufgeräumt werden, muss das aber nicht in Streit enden. Damit auch das Aufräumen entspannt abläuft, können wir einige Punkte beachten:

  • Den Grund für das Aufräumen benennen und dabei aus der eigenen Perspektive reden: „Ich denke, wir müssen mal wieder etwas Ordnung schaffen, damit wir besser laufen können und es einen besseren Überblick gibt.“
  • Keine Fragen stellen, wenn etwas nicht zur Diskussion steht. Fragen wir „Findest Du nicht auch, dass wir mal wieder aufräumen sollten?“ kann das Kind „Nein“ antworten – damit ist eine Auseinandersetzung ziemlich wahrscheinlich. Sprechen wir also lieber Fakten aus, als zu fragen, wo wir eigentlich keine anderen Antwortmöglichkeiten zulassen wollen.
  • Unterstützung anbieten: Kinder haben ein anderes Verständnis von Ordnung als wir. Ein „Räum mal auf!“ wird kaum den Erfolg bringen, den wir uns vorstellen. Wenn wir allerdings gemeinsam das Aufräumen angehen, ist das Kind engagierter und lernt durch unsere Anteilnahme und Vorbild, wie das Aufräumen ablaufen kann und erwirbt die Kompetenz, es immer mehr selbst tun zu können.
  • Besonders wichtige Aufbauten retten (siehe oben).
  • Konkrete Anregungen statt diffuses Aufräumen: Da Kinder keine konkrete Vorstellung vom Aufräumen haben, sind konkrete Anregungen viel praktischer: „Ich sammle alle Kuscheltiere ein und setze sie auf das Bett, du sammelst alle Bausteine ein und legst sie in die Kiste.“ oder auch „Ich sammle alle roten Sachen ein, du alle blauen.“
  • Praktisch ist es auch – gerade für jüngere Kinder – wenn ein fester Zeitrahmen eingehalten wird: „Ich stelle die Küchenuhr jetzt auf 10 Minuten. So lange räumen wir alles auf. Wenn die Uhr klingelt, hören wir auf.“ Auch ein Aufräumlied kann dem Aufräumen als Ritual einen Rahmen geben. Manchmal sind solche Lieder auch aus dem Kindergarten bekannt: „Aufräumzeit, es ist so weit. Alle Kinder räumen auf!“
  • Keine Drohungen wie „Wenn in 10 Minuten nicht alles ordentlich ist, kommt es in die blaue Tüte auf den Müll!“ Kleinkinder können weder mit dem Zeitrahmen etwas anfangen, noch mit unserer Vorstellung von Ordnung. Und größere Kinder werden durch Drohnungen und Stress nur handlungsunfähig und verängstigt, wodurch sie weder aufräumen können, noch lernen, wie Ordnung gemacht wird. Zudem fühlen sie sich machtlos und bedroht in dem wenigen, aber geliebten Besitz.

Aufräumen muss keine ungeliebte Streitsituation sein. Haben wir einen Blick für das kindliche Bedürfnis und die Möglichkeiten des Kindes, können wir das Aufräumen entspannt gestalten.
Eure

Zur Autorin:
Susanne Mierau ist Diplom-Pädagogin (Schwerpunkt Kleinkindpädagogik) und Familienbegleiterin. Sie arbeitete an der FU Berlin in Forschung und Lehre, bevor sie sich 2011 im Bereich bedürfnisorientierte Elternberatung selbständig machte. Ihr 2012 gegründetes Blog geborgen-wachsen.de und ihre Social Media Kanäle sind wichtige und viel genutzte freie Informationsportale für bedürfnisorientierte Elternschaft und kindliche Entwicklung. Susanne Mierau gibt Workshops für Eltern und Fachpersonal und spricht auf Konferenzen und Tagungen über kindliche Entwicklung, Elternschaft und Familienrollen.

Foto: Ronja Jung für geborgen-wachsen.de

Mit Kindern im „Jetzt“ sein statt im „Später“

„Aus Dir soll doch mal etwas werden!“, „Wird das Kind noch als Teenager bei uns schlafen wollen?“, „Das Kind wird sich nie abstillen!“, „Später muss es doch mal mit Frustration umgehen können!“, „Ich kann ihm ja nicht alles durchgehen lassen, so ist das Leben später auch nicht!“ … Die Liste dieser Sätze lässt sich scheinbar unendlich fortsetzen. Die Liste der Zukunftsängste, der Erwartungen für die Zukunft, der Zukunftswünsche für das Kind. Aus dem Kind soll doch mal etwas werden!

Später. Wir denken beständig an Später, an die Zukunft. Daran, wie das Kind später einmal sein soll, welche Eigenschaften es vielleicht einmal braucht und was es unbedingt hinter sich gelassen haben sollte bis zum Tag X. Natürlich sind diese Gedanken normal und wir alle sorgen uns – gerade heute – um die Zukunft unserer Kinder. Aber der Blick auf die Zukunft bringt – so liebevoll und umsorgend er gemeint ist – auch eine Gefahr mit sich: Mit dem Blick, der immer in die Ferne gerichtet ist, sehen wir nicht auf das, was in der Nähe gerade passiert.

Zukunftsangst setzt uns unter Druck

Um ein Ziel zu erreichen in der Zukunft („Das Kind muss irgendwann doch alleine ein- und durchschlafen!“) haben wir nicht den Weg und die vielen Jahre dorthin im Blick, sondern das Jetzt und das Später. Dieses Denken setzt uns unter Druck, führt zu Stress. Wir sehen uns in Handlungsbedarf ob der vermeintlich zukünftigen Gefahr. Wir denken, wir müssten jetzt sofort etwas unternehmen, damit das Kind es später wirklich gut hat.

An das Jetzt denken

Durch dieses Denken und Handeln verlieren wir jedoch die Frage aus dem Blick „Was braucht mein Kind jetzt gerade?“. Und diese Frage ist es, die eigentlich den Weg bereitet für die Zukunft. Das, was das Kind jetzt gerade benötigt und die Erfüllung dieser Grundbedürfnisse bereitet den sicheren Boden, auf dem sich das Kind in der Zukunft bewegen wird. Jetzt gerade lernt es von seinen nahen Bezugspersonen, wie es sich regulieren kann in schwierigen Situationen wie in der Wut, beim Einschlafen oder Traurigsein. Aus dieser Begleitung und aus diesen Erfahrungen, die es jetzt gerade macht, wird es ein Leben lang schöpfen können.

Jetzt gerade lernt es, selbst wirksam zu sein, mit Frustration umzugehen und daraus eigene Schlüsse zu ziehen, so dass es zukünftig mit schwierigen Lebenssituationen, Zurückweisung und Misserfolgen umgehen kann und diese dann nicht mutlos machen, sondern das Wissen wecken, dass für einige Herausforderungen Hilfe angenommen werden muss und darf. Jetzt gerade lernt es, dass diese Wohnung, diese Familie ein sicherer Ort ist, an dem Bedürfnisse erfüllt werden, so dass es von dort aus in die Welt ziehen kann und später zurück kommen kann, wenn es Nähe und Zuwendung braucht. Weil es weiß, dass dies der Ort ist, an dem es all das gibt.

Keine Panik, sondern eine sichere Basis mitgeben

Wenn wir also wieder einmal Zukunftängste haben und uns fragen „Was soll ich nur tun, damit mein Kind später xy kann/macht/mag?“, dann können wir uns erst einmal beruhigen und uns fragen „Was braucht mein Kind jetzt gerade, in diesem Moment, in diesem Alter, in dieser Entwicklungsphase?“ und genau hinsehen, warum das Kind welches Verhalten jetzt zeigt. Und im nächsten Moment können wir uns beruhigt zurücklehnen und darauf vertrauen, dass wir unseren Kindern genau dann eine gute Zukunft und Entwicklung bieten, wenn wir jetzt diese Bedürfnisse erfüllen und darauf vertrauen, dass sie sich sättigen, damit unsere Kinder dann zu neuen, selbständigen Schritten fähig sind auf Basis dessen, dass wir ihnen gezeigt haben, wie sie diese Schritte gehen können.

Eure

Zur Autorin:
Susanne Mierau ist Diplom-Pädagogin (Schwerpunkt Kleinkindpädagogik) und Familienbegleiterin. Sie arbeitete an der FU Berlin in Forschung und Lehre, bevor sie sich 2011 im Bereich bedürfnisorientierte Elternberatung selbständig machte. Ihr 2012 gegründetes Blog geborgen-wachsen.de und ihre Social Media Kanäle sind wichtige und viel genutzte freie Informationsportale für bedürfnisorientierte Elternschaft und kindliche Entwicklung. Susanne Mierau gibt Workshops für Eltern und Fachpersonal und spricht auf Konferenzen und Tagungen über kindliche Entwicklung, Elternschaft und Familienrollen.

Foto: Ronja Jung für geborgen-wachsen.de

Kooperatives Brettspiel: Schule der magischen Tiere – Nicht zu fassen!

Rezensionsexemplar*

Wer Kinder im Grundschulalter hat, kommt an der Bücherserie „Schule der magischen Tiere“ kaum vorbei: Anders als in anderen Schulen gibt es in der Klasse von Miss Cornfield der Wintersteinschule magische Tiere, die sprechen können und die besten Freunde jeweils eines Kindes sind. Mister Motimer Morrisson, Inhaber der magischen Zoohandlung, vergibt die Tiere an die Kinder. Sie helfen ihnen, mit dem Alltag und Herausforderungen zurecht zu kommen und unterstützen sie – und sie erleben einige Abenteuer mit ihnen.

Geschichte

Das Spiel zur Buchserie „Schule der magischen Tiere – Nicht zu fassen!“ (Amazon** | Buch 7** | Hersteller) greift nun die Grundidee der Bücher auf: Die magischen Tiere müssen von anderen Menschen unentdeckt bleiben und versteinern, wenn sie erkannt werden. Im Spiel geht es darum, dass Lehrerin Miss Cornfield mit ihrer Klasse in der Wintersteinschule eingesperrt ist. Die magischen Tiere sollen Mr. Morrison in der magischen Zoohandlung um Hilfe bitten. Allerdings ist der Weg dorthin gar nicht so einfach ohne die Kinder zu bewerkstelligen.

Spiel

Das Spielfeld bildet eine Straße auf einer Drehscheibe, auf der sich die magischen Tiere von der Schule zur Zoohandlung bewegen sollen, ohne dass sie dabei von Menschen gesehen werden. Das Spiel ist gewonnen, wenn eines der magisches Tiere den Weg von der Schule in die Zoohandlung schafft ohne gesehen zu werden. Das ist gar nicht so einfach, denn ist das Tier erst einmal aus dem Fenster der Schule geklettert und befindet sich auf der Straße, läuft es an Fenstern und Türen vorbei. Mit dem Würfel wird festgelegt, wie viele Felder das jeweilige Tier laufen darf. Wird allerdings das Drehsymbol gewürfelt, wird die Drehscheibe gedreht und in einigen Fenstern oder Türen geht das Licht an und die Bewohner*innen sehen auf das davor liegende Spielfeld. Steht dort ein magisches Tier, wird es versteinert. Glücklicherweise gibt es aber noch Pinkie, die Elster, die den magischen Tieren hilft: Die von ihr vergebenen Helferkarten können nicht nur versteinerte Tiere wieder aufwecken, sondern auch Fensterläden schließen, so dass die Tiere besser durch die Straße kommen.

Alle im Spiel befindlichen Figuren können von der Person bewegt werden, die gerade an der Reihe ist und gemeinsam wird gehofft und darauf hin gearbeitet, dass ein Tier bis zur Schule durchkommt ohne Versteinerung. Demnach gewinnen oder verlieren auch alle Spieler*innen zusammen. Die Spieler*innen interagieren darüber hinaus jedoch nicht im Spiel besonders miteinander und sind nicht, wie bei anderen kooperativen Spielen, auf ein gemeinsames Planen und Unterstützen angewiesen. Das Spiel kann daher auch gut von nur einer Person allein gespielt werden, die sich der Herausforderung von Schatten und Licht stellt.

Fazit

„Die Schule der magischen Tiere – Nicht zu fassen!“ ist ein schönes Spiel für Fans der Bücher. Sein besonderes Merkmal ist die Möglichkeit, dass es auch allein gespielt werden kann. Als kooperatives Spiel gibt es zwar nicht sehr viele Möglichkeiten, um zusammen zu planen und sich gegenseitig zu unterstützen, das ist aber auch der empfohlenen Altersgruppe ab 6 Jahren zuzuschreiben. Dennoch ist es spannend, mit den Tieren zu bangen und vor jeder Drehung der Scheibe zu hoffen, dass der Lichtschein der Stadtbewohner*innen nicht (zu viele) Tiere versteinern lässt. Etwas umsichtig muss man mit dem Spielplan sein: Er lässt sich schwer aus der Verankerung lösen beim Auf- und Abbau und sollte vorsichtig angehoben werden, damit die schöne Straßenkulisse nicht knickt. Insgesamt ein kurzweiliges Spiel (Spieldauer ca. 20 Minuten), das wenig Konfliktpotential mit sich bringt: gemeinsam freut man sich, gemeinsam ärgert man sich, wenn ein Tier versteinert. UVP des Herstellers: € 19,99

* Das Spiel „Schule der magischen Tiere – Nicht zu fassen“ wurde nach Anfrage als Rezensionsexemplar von der Firma KOSMOS zur Verfügung gestellt. Die hier abgebildete Rezension spiegelt unsere persönliche Meinung wieder.
**Dieser Artikel enthält Affiliate-Links zu Amazon und Buch7, durch die ich im Falle einer Bestellung eine Provision erhalte ohne dass für Euch Mehrkosten anfallen.

Kooperatives Brettspiel: Harry Potter – Kampf um Hogwards

Rezensionsexemplar*

Mit „Harry Potter – Kampf um Hogwards“ (Hersteller|Amazon**|Buch7**)hat KOSMOS für Kinder ab 11 Jahren ein kooperatives Deck-Building-Spiel für 2-4 Spieler*innen herausgebracht. Als Harry, Hermine, Ron oder Neville müssen sie gemeinsam in 7 Kapiteln das Böse davon abhalten, die Schule zu vereinnahmen.

Was ist ein Deck Building Game? Bei einem Deck Building Game starten die Spieler*innen mit einem festgelegten kleinen Stapel an Karten. Während des Spiels sammeln sie neue Karten, die ihre Fähigkeiten verbessern. Im Gegensatz zu Kartenspielen wie „Magic, The Gathering“ oder „Pokémon“ geht es gerechter zu, denn es geht nicht darum, vor einem Spiel die besten Karten mitzubringen (die man vielleicht sogar gekauft hat), sondern mit gleichen Chancen im Spiel durch geschicktes Auswählen gute Karte zu bekommen und auszuspielen. Eines der bekanntesten Deck Building Games, das das Genre weltweit bekannt gemacht hat, ist das deutsche „Dominion“, das sehr empfehlenswert aber nicht kooperativ und nur für größere Kinder geeignet ist.

Mehr dazu auf Wikipedia.

Geschichte

In „Harry Potter – Kampf um Hogwards“ versuchen Bösewichte nach und nach einzelne Orte der Schule zu besetzen. Harry Potter und seine Freunde stellen sich ihnen entgegen und müssen sie gemeinsam als Team verteidigen. Das Spiel ist in sieben Kapitel mit ansteigendem Schwierigkeitsgrad unterteilt, die immer neue Orte und Gegner bieten.

Die Spieler*innen schlüpfen in die Rolle einer der vier Hauptfiguren Harry, Hermine, Ron oder Neville

Spiel

Zu Beginn sucht sich jede*r Spieler*in eine der vier Hauptfiguren aus, die sich leicht in ihren Fähigkeiten unterscheiden und erhalten einige wenige Startkarten, mit denen sie zum Beispiel Zauber sprechen oder neue Karten kaufen können. Runde für Runde versuchen sie nun, an bessere Karten und Zauber zu gelangen und gleichzeitig Orte in der Schule vor Gegner*innen zu beschützen. Dabei ist der Verlauf jedes Spiels anders, denn Ereigniskarten sorgen immer wieder für Überraschungen. Die Spieler*innen müssen sich absprechen und gegenseitig mit Schutzzaubern unterstützen, um die zunehmend schwieriger werdenden Aufgaben bewältigen zu können. Das schafft beim Spielen eine besondere Atmosphäre, in der es um ein Miteinander statt eines Gegeneinander geht und dennoch spannend bleibt. Wird es nicht geschafft, die Orte zu beschützen, ist das Kapitel verloren. Ist es gewonnen, kann man das nächste Kapitel beginnen.

Jedes Kapitel ist unabhängig voneinander spielbar und kann immer wieder aufs neue gespielt werden. Wird das nächste Kapitel gespielt und die dazu gehörige Box mit neuen Karten geöffnet, finden sich darin neue Karten und Regeln, die zunehmend schwieriger werden. So wird man schrittweise an das immer komplexer werdende Spiel herangeführt und kann einfach beginnen, hat aber auch später noch Herausforderungen.

Zwar spielt Zufall durch die gezogenen Karten eine Rolle, aber die einzelnen Spieler*innen nehmen durch ihre Auswahl von Karten und das Ausspielen den entscheidenden Einfluss auf das Spiel. Hier kommt es darauf an, sich gut im Team zu ergänzen und mit den Figuren wie im Rollenspiel einzelne Schwerpunkte auszubilden, um die Bösewichte besiegen zu können.

Mit Karten und Spielbrett in die Welt der Zauberschule eintauchen und immer wieder spannende Abenteuer erleben

Fazit

Für Harry Potter Fans ist das Spiel eine tolle neue Möglichkeit, gemeinsam ohne Computer spielerisch in die Welt von Hogwards einzutauchen. Da das Regelwerk nicht trivial ist, braucht es zur Einführung und eventuell auch in den schwierigeren Kapiteln zumindest für jüngere Kinder eine erwachsene Begleitung, die ein wenig beim Ablauf unterstützt. Die einzeln verpackten Kapitel machen Lust auf Erkunden des ganzen Spiels. Dennoch macht es Spaß die einzelnen Geschichten mehrfach zu spielen, da der Zufall genügend neue Situationen schafft. Einige Teile des Spiels wie zum Beispiel die Metallmarker wurden aufwändig produziert und geben eine angenehme Haptik. Zusammenfassung: Empfehlenswertes kooperatives Spiel Von KOSMOS für 2-4 Spieler*innen ab 11 Jahren. Spieldauer 45-60 Minuten. Empfohlener Verkaufspreis EUR 49,99.

* Das Spiel „Harry Potter – Kampf um Hogwards“ wurde nach Anfrage als Rezensionsexemplar von der Firma KOSMOS zur Verfügung gestellt. Die hier abgebildete Rezension spiegelt unsere persönliche Meinung wieder.
**Dieser Artikel enthält Affiliate-Links zu Amazon und Buch7, durch die ich im Falle einer Bestellung eine Provision erhalte ohne dass für Euch Mehrkosten anfallen.

Eine Adventsspirale selber machen: Der besinnliche Adventskalender und -kranz für Familien

Die Adventsspirale ist eine schöne Möglichkeit, um den Kindern Tag für Tag zu zeigen, wie das Weihnachtsfest näher rückt. Dabei wird dieses Näherrücken als Ritual in den Alltag eingebunden und das Kind ist aktiv beteiligt. Die Adventsspirale kann ganz einfach zusammen mit Kindern hergestellt und dann immer wieder verwendet werden.

Das brauchst Du für die Adventsspirale:

  • Modeliermasse, Ton oder Salzteig (eine Anleitung mit Salzteig findest Du hier)
  • eine oder mehrere Murmeln
  • nach Bedarf: Holzscheibe als Unterlage
  • nach Bedarf: Wasserfarben und/oder Goldlack zum Bemalen
  • nach Bedarf: Dekorationsmaterial
  • nach Bedarf: Heißklebepistole

Forme eine lange Schlange und messe aus, ob darauf für 24 Vertiefungen Platz ist. Lege die Schlange dann in Form einer Spirale auf eine Unterlage. Dann füge die Vertiefungen ein, indem Du beispielsweise eine Murmel hinein drückst.

Nach dem Trocknen kann die Spirale angemalt werden mit einfachen Wasserfarben oder auch Goldlack für die Vertiefungen.

Abschließend kann dann mit Heißkleber noch passende Dekoration aufgebracht werden, beispielsweise in der Natur gesammelte Naturschätze wie Moos, Tannenzapfen etc. Auch Figuren können die Adventsspirale ergänzen.

Wir nutzen die Adventsspirale in diesem Jahr auch als Adventskranz und haben für die Tage der Adventssonntage jeweils eine Baumkerze in die entsprechende Mulde gestellt. Die Murmel zieht dann daran vorbei.

Die kleinen Mulden für jeden der 24 Tage können mit Murmeln, Naturschätzen, Glasnuggets oder Holzperlen aufgefüllt werden. So ist sichtbar, wie wir uns immer mehr dem Weihnachtsfest nähern.

Noch mehr Ideen für Rituale und Alltagsgestaltung für die Weihnachtszeit findest du hier. Und hier gibt es außerdem eine Sammlung an schönen Weihnachtsbüchern für Kinder.

Beruhig dich doch mal – Wann Kinder Selbstregulation lernen

„Beruhig dich doch mal!“ – Ein Satz, der sowohl bei kindlicher Wut als auch beim Weinen so einigen Eltern schnell über die Lippen kommt. Neben dem Aspekt, dass es für Kinder wichtig ist, alle Gefühle der breiten Gefühlspalette zeigen zu dürfen (von Freude über Wut bis Trauer und alle Abstufungen dazwischen), ist dieses „einfach beruhigen“ auch leichter gesagt als getan, denn Kinder erwerben die Fähigkeit, sich selbst eigenständig zu beruhigen, erst mit der Zeit.

Was Babys mitbringen

Schon Babys verfügen über die Möglichkeit, in einem gewissen Rahmen bestimmte innere Zustände zu regulieren und ihre angeborenen Fähigkeiten zu nutzen, um sich selbst zu beruhigen. Zu vielen Teilen sind sie aber noch darauf angewiesen, dass Erwachsene sie begleiten und ihnen die Möglichkeiten zur Regulation zeigen und sie darin unterstützen. Besonders für die Regulation von Schlafen und Wachen, Aktivität, Aufmerksamkeit und Gefühlsregulation benötigen Kinder Bezugspersonen. Sie zeigen den Kindern, wie diese Zustände reguliert werden können.

Warum die Bezugspersonen so wichtig sind für die Regulation

Notwendig ist es dafür, dass die Bezugspersonen die Signale des Kindes wahrnehmen, richtig interpretieren und dann angemessen darauf reagieren – kurz gesagt: dass auf die Bedürfnisse feinfühlig reagiert wird. Hierdurch erfahren Kinder, welche Strategien angewendet werden können, um bestimmte Zustände entweder zu verstärken oder abzuschwächen. Sie lernen zunehmend, flexibel mit Situationen umzugehen und die jeweils passenden Strategien anzuwenden. So kommt es, dass Kinder ab dem 5. Lebensjahr ihre Gefühle schon wesentlich besser selbst regulieren können als in der Kleinkindzeit. Ohne die feinfühlige Begleitung von Bezugspersonen fällt es Kindern jedoch schwerer, die Selbstregulation zu erlernen. Der Spruch „Nimm es doch nicht bei jedem Mucks hoch!“ ist ein Ammenmärchen: Kinder brauchen tatsächlich in den ersten Jahren unsere Begleitung und Unterstützung, um dann immer besser zu lernen, sich selbst zu beruhigen.

Wie wir die Ausbildung der Selbstregulation unterstützen können

Wichtig dafür ist jedoch, dass wir sie auf dem Weg dorthin angemessen begleiten und ihnen die Möglichkeiten zur Regulation aufzeigen und sie in der Anwendung unterstützen. Dies erreichen wir durch folgende Aspekte:

  • Ein generell offener Umgang mit Gefühlen: Alle Gefühle sind erlaubt, keine Gefühle dürfen nicht sein oder müssen ganz schnell behoben werden. Auch das Weinen von Kindern ist wichtig und braucht Begleitung, statt Verbote.
  • Auch als Eltern sind wir im Umgang mit unseren eigenen Gefühlen Vorbilder: Auch wir dürfen alles fühlen und auch zeigen (dabei jedoch angemessen in Bezug auf die Kinder reagieren, wenn wir beispielsweise in Familiensituationen wütend sind) und geben durch unseren Umgang mit Selbstregulation von Zuständen und Gefühlen ein Beispiel.
  • Gefühle werden nicht abgesprochen wie „Das hat ja gar nicht weh getan!“ Auch das so verbreitete „Ist ja nicht so schlimm!“ ist unpassend, wenn ein Kind sich augenscheinlich verletzt hat oder traurig ist, weil es beispielsweise von anderen Kindern ausgeschlossen wurde.
  • Gefühle werden benannt, damit sie auch vom Kind unterschieden werden können: Kinder werden dazu angeregt, zu beschreiben, ob sie wütend, traurig, verärgert oder enttäuscht sind – und alle anderen möglichen Empfindungen. Auch Bücher oder passende Spiele können das Benennen unterschiedlicher Gefühle unterstützen.
  • In bestimmten Situationen können die Gefühle des Kindes gespiegelt werden: „Du bist jetzt ganz schön traurig/wütend/überschwänglich/…“ So lernt das Kind, den aktuellen Empfindungen Worte zuzuordnen.
  • Das Kind wird gefragt, wie es sich fühlt – nicht nur in Konfliktsituationen, sondern auch im Alltag. So lernt es, sich zu beobachten und auch zu spüren, wann Gefühle sich ändern. Durch die Selbstbeobachtung lernt das Kind zunehmend, rechtzeitig aktiv zu werden für die Selbstregulation: Wird es müde, zieht es sich zurück. Spürt es Wut aufsteigen in einem Konflikt, lernt es, sich zurück zu ziehen bevor die Situation eskaliert, wenn es frühzeitig das Gefühl einordnen kann. Das ist allerdings erst im fortgeschrittenen Grundschulalter möglich. Die Grundlagen legen wir jedoch schon früher dafür.
  • Gefühle werden so lange und oft begleitet, wie das Kind das benötigt.
  • Gemeinsam werden für das Kind passende Regulationsstrategien ausprobiert: Mag es in den Arm genommen werden, mag es gewiegt werden, wenn es traurig ist? Was braucht es, wenn es müde ist? Was braucht es, um morgens in Schwung zu kommen?

Durch Begleitung statt Erwartung können wir unsere Kinder auf den Weg zur Selbstregulation bringen und sie darin Stück für Stück unterstützen.
Eure

Weiterführende Literatur:
Mierau, Susanne (2017): Geborgene Kindheit. Kinder vertrauensvoll und entspannt begleiten. – München: Kösel.
Mierau, Susanne (2017): Ich! Will! Aber! Nicht! Die Trotzphase verstehen und begleiten. München: GU.
Fröhlich-Gildhoff, Klaus/Rönnau-Böse, Maike (2019): Resilienz. – München: Ernst Reinhardt Verlag.

Zur Autorin:
Susanne Mierau ist Diplom-Pädagogin (Schwerpunkt Kleinkindpädagogik) und Familienbegleiterin. Sie arbeitete an der FU Berlin in Forschung und Lehre, bevor sie sich 2011 im Bereich bedürfnisorientierte Elternberatung selbständig machte. Ihr 2012 gegründetes Blog geborgen-wachsen.de und ihre Social Media Kanäle sind wichtige und viel genutzte freie Informationsportale für bedürfnisorientierte Elternschaft und kindliche Entwicklung. Susanne Mierau gibt Workshops für Eltern und Fachpersonal und spricht auf Konferenzen und Tagungen über kindliche Entwicklung, Elternschaft und Familienrollen.

Foto: Ronja Jung für geborgen-wachsen.de

„Dann will ich nie wieder eine Jacke anziehen!“

Da stehen wir. Es wird langsam kalt. Die Winterjacke des letzten Jahres wurde aus der Truhe heraus geholt und passt leider nicht mehr. Doch nun soll es eigentlich raus gehen in die Kälte. „Dann zieh bitte einen Pullover an und darüber die andere Jacke.“ „NEIN!“ „Bitte.“ „Nein, ich ziehe nie wieder eine Jacke an!“ Sagt es und stampft hinaus in die Kälte, so ganz ohne Jacke.

Als Kleinkind ist es schwer, mit einer solchen Situation umzugehen. Während uns Erwachsenen die Logik sagt „Es ist kalt, meine Jacke passt nicht, dann ziehe ich eben eine andere an und einen dicken Pullover“, ist das für Kinder kein schlüssiges Argument. Die Vorstellung weicht von der Möglichkeit ab, das logische Nachdenken funktioniert in der mit Verärgerung überladenen Situation nicht. Wut!

Jetzt wird nicht nachgedacht

Mit Argumenten werden wir gerade jetzt nicht einen Wandel des Denkens erreichen: „Es ist aber doch kalt!“, „Du holst Dir sonst eine Erkältung!“ Alle Erklärungen bringen nun nichts. Das Kind hat in seinem Gehirn noch nicht viele ähnliche Situationen abgespeichert, auf die es nun zurück greifen könnte. Während wir auf ein Leben voller Erfahrungen mit Wärme und Kälte zurückblicken, ist es vielleicht gerade der dritte Winter des Kindes und Erfahrungen gibt es noch kaum. Unsere Worte „Du könntest dich erkälten“ haben für das Kind nicht die Tragweite, wie sie es für uns vielleicht haben. Jetzt gerade kann das Kind nur emotional reagieren, der unsere Überlegungen steuernde Neocortex ist bei ihm noch nicht ausgereift.

Ist dir überhaupt kalt?

So stampft es da nun also in der Kälte auf. Keine Spur von Einsicht. „Merkst Du: Es ist doch ganz schön kalt!“ Aber das Kind schüttelt energisch den Kopf. Vielleicht ist ihm aktuell wirklich nicht kalt: Unser Temperaturempfinden unterscheidet sich nach Tagesform, aber auch dadurch, dass verschiedene Menschen eine unterschiedliche Dichte und Menge an Kälterezeptoren haben. Und auch durch die aktuelle Ablenkung und den Fokus auf die Wut spürt das Kind vielleicht jetzt gerade gar keine Kälte.

Der Weg aus dem Konflikt

Mit für uns logischen Argumenten werden wir in dieser Situation also keine Lösung finden. Gleichzeitig können wir die Aufgabe der Problemlösung noch nicht unserem Kleinkind überlassen: Es kann die Folge von „Na gut, dann läufst du eben ohne Jacke, du wirst schon sehen…“ nicht abschätzen. Noch ist das Kind darauf angewiesen, dass Erwachsene die Situationen auflösen und gleichzeitig damit dem Kind auch zukünftige Lösungsansätze zeigen. Würden wir nun Druck ausüben und versuchen, das Kind in die Jacke zu zwingen, würde das Kind nur noch mehr in einen Gegenwillen verfallen und der Konflikt würde sich verschärfen. Zwang und Druck helfen uns gerade mit wütenden Kindern – aber auch sonst – nicht langfristig weiter.

Wir können das Kind deswegen nur begleiten: Wir können beschreiben, was wir wahrnehmen und fühlen: „Du bist ganz schön traurig, dass die alte Jacke nicht mehr passt.“. Wir können beschreiben, was wir sehen: „Du bist ganz schön wütend. Aber ich glaube, Dein Körper friert schon ein wenig. Schau, du zitterst schon.“ Wir können die Jacke dabei haben und sie dem Kind geben, wenn es sich beruhigt hat und merkt, dass es doch kalt ist. Wir können eine alternative Planung machen, wenn das Kind den großen Teil der Wut hinter sich gebracht hat und wieder bereit für Worte ist: „Wenn dir die Jacke so gut gefallen hat, kann ich mal schauen, ob ich sie in deiner neuen Größe noch einmal bekomme.“ oder „Was mochtest du besonders an der alten Jacke? Die Elefanten darauf? Vielleicht finden wir eine andere Jacke mit Elefanten oder bügeln dir ein Bild darauf.“

Wir können viele Ideen und Anregungen einsetzen, anstatt das Kind zu beschämen, zu beschimpfen oder zum Anziehen zu zwingen. Manchmal brauchen wir einen kleinen Moment des Nachdenkens, damit sie uns einfallen. Aber diesen kleinen Moment sollten wir uns gönnen. – Für uns und unsere Kinder.

Eure

Zur Autorin:
Susanne Mierau ist Diplom-Pädagogin (Schwerpunkt Kleinkindpädagogik) und Familienbegleiterin. Sie arbeitete an der FU Berlin in Forschung und Lehre, bevor sie sich 2011 im Bereich bedürfnisorientierte Elternberatung selbständig machte. Ihr 2012 gegründetes Blog geborgen-wachsen.de und ihre Social Media Kanäle sind wichtige und viel genutzte freie Informationsportale für bedürfnisorientierte Elternschaft und kindliche Entwicklung. Susanne Mierau gibt Workshops für Eltern und Fachpersonal und spricht auf Konferenzen und Tagungen über kindliche Entwicklung, Elternschaft und Familienrollen.

Foto: Ronja Jung für geborgen-wachsen.de

Ich spüre nicht die Liebe

Und da liegt es dann, dieses kleine Wesen in unserem Arm. Nach einer längeren oder kürzeren, nach einer einfachen oder schweren Geburt. Wir blicken es an, berühren es, staunen über den kleinen Menschen, der dort im Arm liegt – und fühlen… Ja, was eigentlich? Ja, es gibt die Liebe auf den ersten Blick. Die Liebe, die sich an die Geburt anschließt und sofort erscheint und einen wie eine Welle überrollt voller Emotionen. Neben dieser gewaltigen Flutwelle gibt es aber auch kleine Wellen oder auch erst einmal Ebbe. Es ist unterschiedlich, wie wir uns nach der Geburt fühlen und es ist unterschiedlich, was wir nach der Geburt fühlen.

Die große Angst

Wenn sich dieses große Gefühl direkt nach der Geburt erst einmal nicht einstellt, schleicht sich oft langsam die Unsicherheit ein: Du müsstest doch aber jetzt…? Warum fühlst Du jetzt nichts? Und diese Unsicherheit sich selbst gegenüber wandelt sich nicht selten dann in eine Angst: Wenn ich keine Liebe fühle, was tue ich meinem Kind an? Bindung ist so wichtig, mein Kind wird es immer schwer haben, wenn ich es jetzt nicht liebe!

Es ist gut, wenn dieses Gefühl in Worte gefasst wird, wenn es gegenüber Partner*in oder Hebamme formuliert wird. Dann kann beruhigt und geholfen werden. Nicht selten aber überwiegt erst einmal die Scham, die still macht. Die dazu führt, über die fehlenden Gefühle nicht zu sprechen, sondern diese schweren Gefühle und Gedanken in sich zu tragen, in sich zu konservieren und zu hoffen, dass es irgendwann anders wird oder sich irgendwie damit abzufinden.

Manchmal kommt die Liebe später

Wir müssen uns aber nicht schämen, wenn die Liebe nicht sofort kommt. Manchmal stehen andere Empfindungen nach der Geburt im Vordergrund und es ist kein Raum dafür da, gerade die Beziehung zum Kind einzugehen: die Geburt muss verarbeitet werden, Traumata verarbeitet werden, die Rahmenbedingungen der neuen Familie sind schwierig oder der Start war unglaublich kräftezehrend und die Beziehung konnte nicht aufgebaut werden, weil vielleicht das Kind oder die Mutter medizinisch versorgt werden mussten und keinen Kontakt hatten. Es kann viele Gründe dafür geben, dass das Gefühl der Liebe erst einmal nicht da ist.

Was tun, wenn die Liebe auf sich warten lässt?

Wenn sich das Gefühl der Liebe nicht zeigt, müssen sich Eltern also nicht schämen. Gut ist es aber, das fehlende Gefühl Fachpersonen gegenüber anzusprechen. Die erste Anlaufstelle kann die Hebamme sein. Sollte keine vorhanden sein, die Frauenärztin/der Frauenarzt, die entsprechend weiter verweisen können. Aber auch Familienberatungsstellen und auch der Verein Schatten und Licht können weitere Unterstützung bieten.

Je nach Ursache können Fachpersonen dann verschiedene Methoden anwenden, um den Gefühlsweg zwischen Baby und Elternteil anzubahnen: Das kann nach einer als traumatisch erlebten Geburt ein Bondingbad (pdf) sein oder aber eine Gesprächstherapie oder andere Form der Begleitung. Manchmal braucht es auch „einfach“ Zeit und die Gefühle entwickeln sich nach und nach ohne weitere Unterstützung.

Schade ich meinem Kind?

Die häufigste Angst bei fehlender Liebe ist, dem Kind damit zu schaden, wenn nicht von Anfang an tiefe Emotionen gefühlt werden, sie kann in einen regelrechten Bindungsstress verfallen. Wichtig ist zunächst, dass die grundlegenden Bedürfnisse des Kindes befriedigt werden: es gut versorgt wird in allen Bereichen der Pflege und Ernährung, dass es Körperkontakt hat und angesprochen wird. Durch dieses Gefühl des sicher umsorgt Werdens baut sich beim Kind die Bindung zur Bezugsperson aus, denn von Seiten des Kindes ist Bindung zunächst ein Sicherheitssystem, wie der Facharzt für Kinder- und Jugendpsychiatrie und Psychotraumatologe Prof. Dr. Karl-Heinz Brisch es formuliert. Das Kind vertraut darauf, dass sein Leben sicher ist und es Erwachsene gibt, die sich darum sorgen. Die Art der Interaktion wirkt sich dann auf die tatsächliche Art der Bindungsbeziehung aus. Aber: Bindung braucht Zeit. Auf Seiten des Kindes wie auch der Erwachsenen.

Erwachsene gehen nach und nach eine Bindung zum Kind ein und diese langsame Bindungsentwicklung ist in Anbetracht der Menschheitsgeschichte und früher hohen Säuglingssterblichkeit durchaus sinnvoll. Bis das Bindungsmuster vollständig aufgebaut ist, dauert es etwa drei Jahre. Zwar werden im ersten Jahr die Grundlagen gebildet und um den ersten Geburtstag herum zeigt das Kind dann jene Verhaltensweisen, die wir als Ausdruck von Bindungsbeziehungen kennen: Es versucht aktiv, Nähe herzustellen und reagiert mit Abwehr auf Trennung, sucht Sicherheit bei der Bindungsperson und erkundet von ihr ausgehend die weitere Umgebung und kehrt wieder zurück, wenn es das braucht.

Wenn es mir schwer fällt

Wenn es also einem Elternteil schwer fällt, eine tiefe emotionale Verbundenheit zum Kind aufzubauen, ist es – wie schon erwähnt – sinnvoll, sich Hilfe zu holen. Darüber hinaus sollte sicher gestellt werden, dass eine andere Bezugsperson jene Verbindung aufbaut, die vielleicht aktuell noch fehlt. Das kann der andere Elternteil sein oder aber auch weitere Familienmitglieder, die sich aktiv und viel um das Kind kümmern können. Im Laufe des Lebens wird das Kind viele Bindungen zu unterschiedlichen Personen aufbauen in unterschiedlicher Art und unterschiedlicher Qualität. Die eigene tiefe Bindung kann ebenso später aufgenommen werden, wenn eventuelle Hindernisse beseitigt sind. Auch wenn erst zu einem späteren Zeitpunkt diese tiefe Verbundenheit empfunden und ausgebildet wird, ist sie deswegen nicht einer schlechteren Qualität. Manchmal braucht Liebe Zeit.

Es ist wesentlicher häufiger, dass die anfängliche Verliebtheit fehlt, als wir oft denken, Nur sprechen viele Eltern nicht darüber. Traut Euch, Gefühle und fehlende Gefühle anzusprechen.
Eure

Weiterführende Literatur:
Mierau, Susanne (2019): Mutter.Sein – Von der Last eines Ideals und dem Glück des eigenen Wegs.
Brisch, Karl-Heinz (2010): SAFE – Sichere Ausbildung für Eltern. Stuttgart: Klett-Cotta.
Meissner, Brigitte (2013): Emotionale Narben aus Schwangerschaft und Geburt auflösen. – Brigitte Meissner Verlag.

Zur Autorin:
Susanne Mierau ist Diplom-Pädagogin (Schwerpunkt Kleinkindpädagogik) und Familienbegleiterin. Sie arbeitete an der FU Berlin in Forschung und Lehre, bevor sie sich 2011 im Bereich bedürfnisorientierte Elternberatung selbständig machte. Ihr 2012 gegründetes Blog geborgen-wachsen.de und ihre Social Media Kanäle sind wichtige und viel genutzte freie Informationsportale für bedürfnisorientierte Elternschaft und kindliche Entwicklung. Susanne Mierau gibt Workshops für Eltern und Fachpersonal und spricht auf Konferenzen und Tagungen über kindliche Entwicklung, Elternschaft und Familienrollen.

Foto: Ronja Jung für geborgen-wachsen.de

Babys von Anfang an optimal begleiten

Unsere Kinder kommen schon mit vielen Fertigkeiten und Fähigkeiten zur Welt: Sie verfügen in einem bestimmten Rahmen über Fähigkeiten zur Selbstregulation, können ihre Bedürfnisse über Signale mitteilen und notfalls über das Schreien vermitteln, wenn etwas nicht stimmt. Nach einer Zeit des so genannten „Nachreifens“ in den ersten Wochen, nehmen sie aktiv an unserem Alltag teil und lernen über diese Teilnahme etwas von der Welt, in der sie sich bewegen und passen sich nach und nach an die jeweiligen Rahmenbedingungen ihrer Familie und Lebensumwelt an. Neben den für ihre Familie speziellen Werten, Ritualen und Rahmenbedingungen gibt es allgemeine Anregungen für den Alltag, die wir im Alltag beachten können.

Auf die Signale des Babys achten

Babys teilen sich über Signale mit: Sie zeigen einen Suchreflex, wenn sie hungrig sind oder saugen an den Fäustchen. Wenn sie unruhig werden, ziehen die die Beinchen an. Wenn sie ausscheiden müssen, werden sie unruhig und teilen das mit Lauten mit. Wenn sie den Kopf abwenden vom Spiel oder Blickkontakt, brauchen sie eine Pause. Es dauert eine Weile, bis wir die Signale unseres Babys verstanden haben, aber prinzipiell sind sie da und Kinder teilen uns Bedürfnisse schon früh mit. Um die Signale des Babys zu lernen, ist Beobachtung eine gute Idee: Nimm Dir die Zeit, das Baby zu beobachten. Lege Dich zu ihm und beobachte die Gestik, die Mimik und ordne sie bestimmten Ereignissen zu.

Mit dem Baby reden

Auch wenn sie uns noch nicht mit Worten antworten, nehmen Babys aus unserer Sprache viel auf. Der passive Wortschatz erhöht sich und eine gute Kommunikation im ersten Lebensjahr wirkt sich nicht nur auf den späteren Wortschatz, sondern auch die Lese- und Schreibfähigkeit aus. Es bietet sich an, die vielen Alltagshandlungen mit dem Baby sprachlich zu begleiten: Gerade Routinesituationen wie Wickeln, Baden, Ernährung eigenen sich dafür: „Ich ziehe Dir jetzt den Body aus. Zuerst mache ich mal diese Knöpfe hier auf…“ Unsere Sprache passt sich dabei den Bedürfnissen des Babys an: Wir sprechen etwas langsamer, aber betonter und mit einer besonderen Melodie, damit das Baby die Besonderheiten der Sprache versteht.

… und dem Baby zuhören

Aber nicht nur wir sollen viel mit dem Baby sprechen, sondern auch das Baby darf sich mitteilen: Die Art, wie es Laute hervorbringt, ändert sich im Laufe des ersten Jahres über Laute zu Silben und schließlich zu Wörtern. Wenn wir dem Baby zugewandt sind und zuhören, hat es Freude an der Produktion der gerade möglichen Laute und probiert aus, wie einzelne Laute und Kombinationen geformt werden. Gerade im Austausch mit einer Bezugsperson erfreut sich das Baby an der Sprachproduktion : Es gurrt und der Erwachsene gurrt zurück, wodurch das Baby wieder gurrt.

Das Baby braucht Nähe

Gerade im ersten Jahr brauchen viele Babys körperliche Nähe: Sie fühlen sich sicher in der Anwesenheit einer Bezugsperson – sowohl beim Schlafen als auch am restlichen Tag. In der Nähe einer Bezugsperson wissen sie: sie sind geschützt, gewärmt und an einer Nahrungsquelle. Hier sind sie sicher und umsorgt und es kann schnell auf Bedürfnisse eingegangen werden. Auch tagsüber verbringen viele Babys, besonders am Anfang, gerne viel Zeit im Körperkontakt, weshalb eine gute Tragehilfe oder ein Tragetuch den Alltag erleichtern kann.

… und Freiraum

Neben der Nähe ist aber auch Raum für Bewegung sehr wichtig: Wurzeln und Flügel, wie das Sprichwort sagt. Anfangs ist es für Babys sehr ungewohnt, auf dem Rücken zu liegen: Aus ihrer Zeit im Uterus kennen sie nur die gerundete Körperhaltung, wie sie auch in einer Babytrage eingenommen wird. Das Liegen auf der Unterlage ist daher für viele Babys erst einmal auch anstrengend und es kann sein, dass sie allein dadurch unruhig werden. Wenn es ihnen gut geht, sollten wir ihnen aber auch die Möglichkeit geben, sich im Liegen mit dieser neuen Freiheit um sie herum (im Vergleich zur Enge vorher im Uterus) zu beschäftigen und dabei auch den Körper und die Beweglichkeit zu erkunden. Durch die Möglichkeit zur selbständigen Bewegung können sie nach und nach ihre Möglichkeiten ausbauen und von der Rückenlage erst auf die Seite kommen, dann auf den Bauch, das Seitwärtsrollen lernen usw. Für diese Bewegungsentwicklung brauchen sie die Möglichkeit, selbst aktiv zu werden und weder in der Bewegung behindert zu werden, noch Schritte vorweg genommen zu bekommen durch zu frühes Hinsetzen, wenn das Baby dies noch nicht selbst kann.

Auch bei besonders zierlichen Kindern ist es gut, wenn wir ihnen den Freiraum geben, sich eigenständig kennen zu lernen und zu entwickeln und versuchen, unsere Ängste und Sorgen nicht die Bewegungsfreiheit des Kindes zu sehr einschränken zu lassen. Es ist gut, eine Ja-Umgebung für das Kind zu gestalten, damit es explorieren kann.

Miteinander spielen

Im ersten Lebensjahr liegt die Beschäftigung mit sich selbst und den anderen als Spiel weit vorne: Kinder erkunden sich, die Fähigkeiten und Funktionen des Körpers und freuen sich an der Interaktion mit den sie umgebenden Menschen. Daneben ist die Erkundung der restlichen Welt ein Spiel: Sie wollen die Gardine ebenso anfassen wie die Haare der Eltern, die Puppe des Geschwisterkindes und wollen mit dem Mund, der noch viel sensibler ist als die Hände, die Oberfläche und Eigenschaften von Dingen erkunden. Viele Spielsachen brauchen Babys gerade im ersten Jahr nicht und selbst danach ist Spiel noch immer vor allem das Kennenlernen der Welt, das sie von sich aus vornehmen.

…ohne Geschlechterklischees

Wir selber sind mit vielen Klischees aufgewachsen, besonders in Bezug auf Geschlechter. Aus der Forschung wissen wir heute, dass das, was wir oft auf „typisch Junge“ oder „typisch Mädchen“ zurückführen weniger angeboren, sondern mehr erlernt ist. Es sind eher kleine Unterschiede, die wir durch unser Verhalten vergrößern und damit unsere Kinder einschränken, anstatt ihnen die Möglichkeit geben, sich frei zu entwickeln und die ganz eigenen Merkmale und Fähigkeiten auszubauen. Schon im Babyalter können wir darauf achten, dass wir uns in unserem Verhalten nicht beeinflussen lassen von Stereotypien: Dass wir mit dem Baby – unabhängig vom Geschlecht – Ball spielen, mit Puppen spielen, vorlesen, es beim Weinen trösten. Konzentrieren wir uns mehr auf die Wahrnehmung und Begleitung der individuellen Eigenschaften unseres Kindes als darauf, ob das nun typisch wäre für das ein oder andere Geschlecht: beobachten wir, ob es eher extrovertiert ist oder introvertiert, ob es eher leise oder laut ist, ob es schnell überreizt ist oder weniger. Und haben wir auch einen Blick darauf, andere Menschen dazu anzuregen, unser Kind individuell zu sehen und nicht nach Rollenklischees mit ihm umzugehen, so dass nicht nur wir Eltern, sondern auch die restliche Familie die Möglichkeit hat, dieses Kind individuell kennen zu lernen.

Gemeinsam an einem Strang ziehen und Stress vermeiden

Ein Baby zu begleiten erfordert viel Kraft. Mehr, als uns manchmal im Alltag bewusst ist. Es ist eine Aufgabe, die nicht nur für eine Person allein gedacht ist. Wir brauchen Hilfe, Aufteilung, gegenseitige Wertschätzung. Vor allem aber hilft es uns, wenn wir Stress vermeiden können. Stress lässt uns weniger feinfühlig sein, lässt uns weniger gut die Signale unseres Babys (und anderer Menschen) erkennen und wir nehmen andere durch Stress feindseliger war und werden selbst aggressiver. So kommt es, dass Stress zu negativem Erziehungsverhalten führt. Vermeiden können wir diesen Stress nicht immer in unserer schnelllebigen Zeit, aber wir können einiges tun, um ihn zu mindern: Unseren Alltag gut planen und uns in dieser Planung als Erwachsene mit eigenen Bedürfnissen nicht vergessen, Hilfe erbitten und annehmen. Vor allem aber ist es hilfreich, den anderen Elternteil aktiv zu beteiligen: So kann gleichermaßen eine gute Beziehung aufgebaut werden und eine gleichermaßen einfühlsame Begleitung des Babys vermindert wiederum Stress, weil das Baby beide Elternteile als Partner für die Bedürfniserfüllung akzeptieren lernt. Auch nehmen wir durch eine gleichmäßige Aufteilung einen Einfluss darauf, welche inneren Bilder von Elternschaft und Rollen sich beim Kind ausbilden, was den vorherigen Punkt der Vermeidung von Klischees weiter ausbaut.

Mit diesen wenigen Aspekten können wir unser Baby bereits gut im ersten Jahr begleiten und durch Bewusstmachung und Interaktion einen guten Start mit ermöglichen.
Eure

Mehr Literatur zum Thema:
Mierau, Susanne (2019): Mutter.Sein. Von der Last eines Ideals und dem Glück des eigenen Wegs. Weinheim: Beltz.
Mierau, Susanne (2016): Geborgen wachsen. Wie Kinder glücklich groß werden. München: Kösel.
Elliot, Lise (2002): Was geht da drinnen vor? Die Gehirnentwicklung in den ersten fünf Lebensjahren. Berlin: Berlin Verlag.
Elliot, Lise (2010): Wie verschieden sind sie? Die Gehirnentwicklung bei Mädchen und Jungen. Berlin: Berlin Verlag.

Wenn Eltern Hilfe brauchen…

Elternschaft ist nicht immer einfach. Im Laufe der vielen Jahren, die wir Kinder begleiten, kommen wir immer wieder auch mal an Stellen, die schwierig sind. Stellen, die uns sehr viel Kraft abverlangen. Stellen, an denen wir abends auf dem Sofa sitzen und uns fragen, ob wir wirklich noch auf dem richtigen Weg sind oder wo und wie dieser Weg überhaupt verläuft. Manchmal kommen wir von ihm ab und sehen ihn nicht mehr. Und dann ist häufig ein Punkt erreicht, an dem wir zweifeln und uns selbst in Frage stellen: Sind wir gute Eltern, wenn wir an Hindernissen scheitern? Wenn wir ab und zu nicht weiter wissen? Ja, wir sind ganz normale Eltern, wenn es uns so geht.

Bindung ist dynamisch

Auch wenn wir heute manchmal das Gefühl vermittelt bekommen, alle anderen um uns herum würden immer genau wissen, was sie tun sollen und gerade in den Sozialen Medien schnell der Eindruck entsteht, dass alle Eltern mit ihren Kindern ganz selbstsicher wären und ganz genau wissen „wie der Hase läuft“ stimmt das in den meisten Fällen nicht. Beziehungen ändern sich, sie sind beeinflussbar von inneren und äußeren Faktoren. Schon der Begründer der Bindungstheorie, John Bowlby*, hat das festgehalten und erklärt, dass die Bindung auf einem dynamischen Entwicklungskonzept beruht mit Entwicklungspfaden: Es gibt Kräfte, die uns auf einen Weg bringen, uns darauf festhalten und solche, die uns davon abkommen lassen.

Wenn ihr hier etwas vom „geborgenen Weg“ lest oder davon, dass wir alle unsere unterschiedlichen Wege gehen, meint es: Wir haben bestimmte Grundwerte, Leitsterne, denen wir folgen, aber letztlich haben wir auch unterschiedliche Einflussfaktoren, die unsere Wege mitbestimmen und sie auch ändern.

In Bezug auf Kinder bedeutet dies: Manchmal ändern sich die Einflüsse kurzfristig und Kinder machen andere Erfahrungen. Es zeigte sich jedoch in Studien, dass Kinder, die über sichere Bindungserfahrungen verfügen, auch bei negativen Einflüssen später wieder zu dem sicheren Pfad zurück kommen können, also durch kurzfristige negative Erfahrungen nicht zwangsweise alle guten Erfahrungen ausgelöscht werden, sondern Bindung eben ein dynamisches Modell ist.

Wichtig: Sich selbst reflektieren

Wenn wir merken, dass wir von unserem Weg abkommen, ist das schon einmal gut: Wir merken es und haben deswegen die Möglichkeit, etwas zu ändern. Manchmal ist das möglich über Reflexion und Austausch mit anderen: Erfahren, wie es andere machen, drüber nachdenken, warum es jetzt gerade so schwer ist und was an der Situation geändert werden kann, damit es besser läuft. Gerade Stress lässt uns oft unserem gut geplanten Weg abkommen, denn unter Stress neigen wir zu negativem Erziehungsverhalten und alte, tief verborgene Erfahrungen werden nahezu reflexartig hervorgeholt.

Reflexion reicht nicht immer

Allerdings reicht Reflexion nicht immer aus. Manchmal kommen wir an Punkte, an denen wir mit uns selbst nicht weiter kommen. Oder an denen alles gute Wissen und alle Tipps von anderen „einfach“ nicht umsetzbar sind: So sehr wir es uns auch anders vornehmen, es klappt nicht. Und auch unser Umfeld, das so genannte „Dorf“, ist nicht dafür zuständig, dies aufzufangen und kann es oft auch gar nicht. „Das Dorf“ ist eine Alltagsbegleitung, ein Austausch. Helfende Hände, Schulterklopfen, liebe Worte. Es ist nah dran an uns und unseren Erlebnissen und kann daher auch nur schwer die Sicht von Außen einbringen, die es manchmal braucht für diese tiefere Reflexion. Es ist in Ordnung, sich andere Hilfe zu holen, wenn wir nicht weiter kommen mit uns: Psycholog*innen, Therapeut*innen, Pädagog*innen, Familienberater*innen. Es ist gut, Hilfe anzunehmen und zuzulassen. Denn diese Hilfe kann uns zurück führen auf den Weg, den wir eigentlich gehen wollten – trotz aller Probleme und Hindernisse, die es manchmal eben gibt.

„Wenn wir uns als minderwertig erlebt haben beziehungsweise durch andere minderwertig behandelt wurden, fällt es schwer, uns als Mütter kompetent und richtig zu fühlen. Wir sind unsicherer, stellen uns und unsere Entscheidungen häufiger infrage als Mütter, die ihrer selbst sehr sicher sind.“

S. Mierau „Mutter.Sein“ (2019) S.92

Hilfe anzunehmen ist nicht immer einfach. Dies besonders nicht, wenn wir gelernt haben, hilflos zu sein und nicht unterstützt zu werden oder wenn das Fragen um Hilfe schamhaft besetzt wurde: Nicht schwach sein! Das schaffst Du schon alleine! Es hilft Dir sowieso niemand! Wir müssen uns überwinden, um diese inneren Stimmen zum Schweigen zu bringen, damit wir schließlich die Hilfe bekommen, die wir nicht nur brauchen, sondern die uns auch zusteht. Es ist okay, Hilfe zu brauchen. Denn eigentlich brauchen wir sie alle ab und zu. Denn wir alle leben dynamisch, sind unterschiedlichen Einflüssen unterworfen.

Wer Hilfe braucht, sollte sich nicht scheuen, sie zu suchen. Es ist nicht schlimm, es macht Eltern nicht zu schlechteren Eltern und zeugt absolut nicht von Versagen. Es zeugt davon, bemüht zu sein, sich einzusetzen. Es ist also eigentlich genau das Gegenteil von dem, was wir manchmal denken. Und auch wenn wir manchmal kurzfristig vom Weg abkommen, bedeutet das nicht, dass wir damit den Weg für uns oder unsere Kinder für immer verloren haben. Wir können beruhigter sein, als wir es an vielen Stellen sind. Es ist – wie so oft – völlig normal und okay, nicht perfekt und gradlinig zu sein. Unsere Wege haben Kurven, Steine und manchmal müssen wir ganzen Findlingen ausweichen – und kommen dann wieder zurück.

Eure

*Bowlby, John (1975): Bindung. Eine Analyse der Mutter-Kind-Bindung. – München: Kindler.