Mit Kindern im „Jetzt“ sein statt im „Später“

„Aus Dir soll doch mal etwas werden!“, „Wird das Kind noch als Teenager bei uns schlafen wollen?“, „Das Kind wird sich nie abstillen!“, „Später muss es doch mal mit Frustration umgehen können!“, „Ich kann ihm ja nicht alles durchgehen lassen, so ist das Leben später auch nicht!“ … Die Liste dieser Sätze lässt sich scheinbar unendlich fortsetzen. Die Liste der Zukunftsängste, der Erwartungen für die Zukunft, der Zukunftswünsche für das Kind. Aus dem Kind soll doch mal etwas werden!

Später. Wir denken beständig an Später, an die Zukunft. Daran, wie das Kind später einmal sein soll, welche Eigenschaften es vielleicht einmal braucht und was es unbedingt hinter sich gelassen haben sollte bis zum Tag X. Natürlich sind diese Gedanken normal und wir alle sorgen uns – gerade heute – um die Zukunft unserer Kinder. Aber der Blick auf die Zukunft bringt – so liebevoll und umsorgend er gemeint ist – auch eine Gefahr mit sich: Mit dem Blick, der immer in die Ferne gerichtet ist, sehen wir nicht auf das, was in der Nähe gerade passiert.

Zukunftsangst setzt uns unter Druck

Um ein Ziel zu erreichen in der Zukunft („Das Kind muss irgendwann doch alleine ein- und durchschlafen!“) haben wir nicht den Weg und die vielen Jahre dorthin im Blick, sondern das Jetzt und das Später. Dieses Denken setzt uns unter Druck, führt zu Stress. Wir sehen uns in Handlungsbedarf ob der vermeintlich zukünftigen Gefahr. Wir denken, wir müssten jetzt sofort etwas unternehmen, damit das Kind es später wirklich gut hat.

An das Jetzt denken

Durch dieses Denken und Handeln verlieren wir jedoch die Frage aus dem Blick „Was braucht mein Kind jetzt gerade?“. Und diese Frage ist es, die eigentlich den Weg bereitet für die Zukunft. Das, was das Kind jetzt gerade benötigt und die Erfüllung dieser Grundbedürfnisse bereitet den sicheren Boden, auf dem sich das Kind in der Zukunft bewegen wird. Jetzt gerade lernt es von seinen nahen Bezugspersonen, wie es sich regulieren kann in schwierigen Situationen wie in der Wut, beim Einschlafen oder Traurigsein. Aus dieser Begleitung und aus diesen Erfahrungen, die es jetzt gerade macht, wird es ein Leben lang schöpfen können.

Jetzt gerade lernt es, selbst wirksam zu sein, mit Frustration umzugehen und daraus eigene Schlüsse zu ziehen, so dass es zukünftig mit schwierigen Lebenssituationen, Zurückweisung und Misserfolgen umgehen kann und diese dann nicht mutlos machen, sondern das Wissen wecken, dass für einige Herausforderungen Hilfe angenommen werden muss und darf. Jetzt gerade lernt es, dass diese Wohnung, diese Familie ein sicherer Ort ist, an dem Bedürfnisse erfüllt werden, so dass es von dort aus in die Welt ziehen kann und später zurück kommen kann, wenn es Nähe und Zuwendung braucht. Weil es weiß, dass dies der Ort ist, an dem es all das gibt.

Keine Panik, sondern eine sichere Basis mitgeben

Wenn wir also wieder einmal Zukunftängste haben und uns fragen „Was soll ich nur tun, damit mein Kind später xy kann/macht/mag?“, dann können wir uns erst einmal beruhigen und uns fragen „Was braucht mein Kind jetzt gerade, in diesem Moment, in diesem Alter, in dieser Entwicklungsphase?“ und genau hinsehen, warum das Kind welches Verhalten jetzt zeigt. Und im nächsten Moment können wir uns beruhigt zurücklehnen und darauf vertrauen, dass wir unseren Kindern genau dann eine gute Zukunft und Entwicklung bieten, wenn wir jetzt diese Bedürfnisse erfüllen und darauf vertrauen, dass sie sich sättigen, damit unsere Kinder dann zu neuen, selbständigen Schritten fähig sind auf Basis dessen, dass wir ihnen gezeigt haben, wie sie diese Schritte gehen können.

Eure

Zur Autorin:
Susanne Mierau ist Diplom-Pädagogin (Schwerpunkt Kleinkindpädagogik) und Familienbegleiterin. Sie arbeitete an der FU Berlin in Forschung und Lehre, bevor sie sich 2011 im Bereich bedürfnisorientierte Elternberatung selbständig machte. Ihr 2012 gegründetes Blog geborgen-wachsen.de und ihre Social Media Kanäle sind wichtige und viel genutzte freie Informationsportale für bedürfnisorientierte Elternschaft und kindliche Entwicklung. Susanne Mierau gibt Workshops für Eltern und Fachpersonal und spricht auf Konferenzen und Tagungen über kindliche Entwicklung, Elternschaft und Familienrollen.

Foto: Ronja Jung für geborgen-wachsen.de

7 Kommentare

  1. Johanna aus Hamburg

    Danke für diesen tollen Artikel. Bald ist wieder die Zeit der Familienbesuche da und als zweifache Eltern müssen mein Mann und ich uns nicht selten rechtfertigten (es fühlt sich jedenfalls so an) warum wir dies und jenes durchgehen lassen oder der große mit zweieinhalb (!!!) noch nicht alleine
    einschläft… Deine Worte helfen mir
    oft, in den Diskussionen mit der
    älteren Generation freundlich und
    bestimmt meinem Weg der
    bedürfnisorientierten Erziehung zu erklären.

    PS: für mein Android Handy ist die Kommentarfunktion etwas schwierig zu nutzen, weswegen die Formatierung nun komisch aussieht. Gerne stelle ich hier weitere Informationen und Screen Shots zur Verfügung.

  2. Wie Recht du hast, liebe Susanne! Auch wir fallen bei unseren vier Kindern immer wieder in dieses denken zurück: er muss doch lernen, dass…, Sie kann ja später auch nicht immer…, Da wird es Mal Schwierigkeiten geben usw. Auf der einen Seite gebe ich dir Recht: natürlich müssen wir hinsehen was das Kind jetzt braucht. Auf der anderen Seite finde ich schon, dass man Kindern auch etwas beibringen kann, damit es sich im Leben leichter tut. Regeln einhalten, Gemeinschaftssinn, auch warten lernen, sich trauen, helfen usw. Ich denke schon, dass wir die „Weichen“ stellen können, oder wenigstens einen Weg aufzeigen und als Vorbild fungieren. Der Fokus muss ja nicht auf der Zukunft liegen, aber vorausschauend kann man in vielen Situationen schon handeln, ohne am“ Gras zu ziehen, damit es schneller wächst“.

  3. danke! ich merke, dass es so wichtig ist, sich als elter locker zu machen.
    ich bin schon der typ, der insgeheim möchte, dass aus den kindern was wird, sie gute leistungen bringen etc., das ist echt ein prozess, sich darüber klar zu werden. und dann ist es so: das kind kann nicht gut seilspringen, es werden in der schule noten gemacht. also ich als leistungs mama: das üben wir jetzt! … und es klappt nicht besonders gut. 2 tage später springt das kind draußen von allein und mit spaß und sagt plötzlich: mama, schau, ich kann schon 6mal hintereinander.
    genau mein mittelkind scheint mir das immer deutlich vor augen zu führen, dass ich besonders zur begleitung im jetzt da bin, nicht für die großen pläne, denn die macht sie selbst:)

  4. Mir hilft der Gedanke an später oft, eine jetzt anstrengende Zeit zu überstehen. Wenn ich jetzt geduldig das selbst bestimmt auf Toilette gehen begleite, kann man Kind später sicher feststellen, wann es muss. Auch wenn ich bei einem Kleinkind täglich Tisch und Boden nach dem Essen sauber machen muss, später hat es ein gesundes Verhalten beim Essen. Wenn ich jetzt geduldig Wutanfälle beim alleine anziehen wollen begleite, statt das Kind „einfach schnell selbst“ anzuziehen, kann es sich später alleine anziehen.

  5. Hallo,
    vielen Dank für diesen so wichtigen Artikel. Genau das sollte viel öfter unser Motto sein! Ich fasse mir mal an die eigene Nase und werde es mir wieder mehr bewusst machen.

    😉

    Grüße
    Anna

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