Über viele Jahre hinweg lernen Kinder, sich in dieser Welt sicher zu bewegen: Sie lernen ihren Körper kennen, lernen sich fortzubewegen, zu sprechen, mit anderen zu interagieren. Dabei lernen sie auch, ihre Gefühle zunehmend sprachlich auszudrücken und wie sie mit Schimpfworten umgehen können oder sollten. Neben den Schimpfworten treten manchmal aber auch andere sprachliche Verhaltensweisen auf, die wir nicht stehen lassen wollen, beispielsweise wenn das Kind unfreundlich mit uns oder anderen spricht, etwas einfordert oder etwas nicht tun will. Wir fühlen uns angegriffen von den Worten, auch wenn es keine direkten Schimpfworte sind.
Unfreundliches Verhalten von Kindern ist oft kein Angriff
Als Erwachsene bewerten wir ein unfreundliches Verhalten von jungen Kindern oft als Angriff. Ein „Mach das doch selbst!“, „Ich will nicht mit zu der blöden Feier!“, „Hol du das doch!“ oder „Du bist echt immer so nervig!“ sehen wir schnell als Angriff: ein Machtspiel! Schnell reagieren wir dann auf genau diese Interpretation und versuchen, die Positionen wieder in der gewohnten Ordnung aufzustellen. „So lass ich nicht mit mir reden!“, „Du spinnst ja wohl!“, „Wenn du nicht freundlich bist, dann…“, „Geh auf dein Zimmer!“ Oft reagiert das Kind auf diese Anwtort dann mit Gegenwehr und der Konflikt eskaliert.
Deine Grenzen benennen ist wichtig…
Natürlich ist es wichtig, dass die eigenen Grenzen benannt werden. Das Kind darf und soll lernen, dass bestimmte Ausdrucksformen sozial nicht verträglich sind. Diese Grenze zu setzen, ist wichtig für den Elternteil selbst, damit du dich ausreichend geschützt und psychisch nicht angegriffen fühlst, aber auch wichtig für dein Kind, denn es darf und sollte lernen, wie innerhalb seiner sozialen Gruppe kommuniziert wird, damit es gute Beziehungen aufbauen kann – zu dir als Elternteil, aber auch zu anderen Menschen.
… und auch das Verstehen der Bedeutung hinter den Worten
Gleichzeitig ist es aber auch wichtig, in den Blick zu nehmen, was dein Kind da eigentlich ausdrücken möchte. Dass es so unfreundlich wird, ist in der Regel kein Angriff, sondern ein noch ungeschickter Versuch, ein Bedürfnis mitzuteilen. Wenn wir harsch auf die Art, aber nicht auf den eigentlichen Anlass reagieren, führt das zu einem Konflikt: Wir reden/streiten eigentlich aneinander vorbei und das Kind fühlt sich von uns nicht verstanden und lernt auch nicht, eigene Wünsche und Bedürfnisse anders auszudrücken. Hilfreicher ist es deswegen, einen Moment innezuhalten und zu überlegen, was das eigentliche Problem hinter diesem Verhalten sein könnte. Diesen Moment der Selbstberuhigung und Überlegung können wir uns durchaus gönnen, wenn das Kind gerade etwas gesagt hat, das wir als unfreundlich empfinden.
„Das Kind wird nicht gleich zum Tyrannen, bloß weil wir erst mal tief durchatmen. […] Wenn wir uns nicht gezwungen sehen, sofort zu handeln, wird das Kind nicht sofort in eine Gegenwehr gehen müssen. Wir dürfen uns erlauben, uns Zeit zu nehmen! Und dann im nächsten Moment bewusst und überlegt zu reagieren. „
S. Mierau „Frei und unverbogen“, S. 178f.
Wir können sowohl eine Grenze ziehen, als auch auf das Kind reagieren. Die Grenze, die wir ziehen, ist einerseits eine Grenze für uns selbst, aber auch eine Hilfe zur Ausbildung sozialer Fähigkeiten für das Kind. „Das war ziemlich unfreundlich ausgedrückt und verletzt mich. Ich sehe, dass du gerade viel Spaß hast beim Spielen und das Geschirr nicht in die Küche bringen möchtest. Das kannst du mir so sagen, wenn das der Grund ist, warum du nicht helfen möchtest. Dann bring es bitte, wenn du fertig bist.“, „Ich höre, dass du zum Schulfest deines Bruders wirklich nicht mitmöchtest. Lass uns darüber reden, was du stattdessen machen möchtest oder warum du dort nicht hin möchtest. Ich denke, es hat ihn verletzt, dass du das so gesagt hast und es würde ihm gut tun, wenn wir ihm das genauer erklären könnten.“, „Ich möchte nicht, dass du so mit mir redest, weil mich das verletzt. Aber du kannst mir gerne sagen, was dich gerade an meinem Verhalten stört. So finden wir bestimmt eine Lösung.“
Unsere Aufgabe als Eltern ist es, den Konflikt durch die eigene Wut, die vielleicht aufsteigt, nicht weiter eskalieren zu lassen, sondern zu einer Lösung beizutragen. Nicht immer reagiert das Kind sofort versöhnlich auf unser Angebot zum Gespräch. Aber auch dann ist es sinnvoll, eher eine Beruhigung zu erwirken, als den Streit weiter aufzuladen. Wenn das Kind auf das Gesprächsangebot nicht eingeht, können wir abwarten, ob sich das Kind doch noch öffnen will oder das Gespräch vertagen. Zuvor haben wir benannt, was wir nicht wünschen und formuliert, dass es gut ist, über das eigentliche Problem zu sprechen. So haben wir dem Gespräch bereits eine andere Wendung gegeben, als wenn wir der Fehlinterpretation nachgegangen wären.
Eure
Zur Autorin:
Susanne Mierau ist Diplom-Pädagogin (Schwerpunkt Kleinkindpädagogik) und Familienbegleiterin. Sie arbeitete an der FU Berlin in Forschung und Lehre, bevor sie sich 2011 im Bereich bedürfnisorientierte Elternberatung selbständig machte. Ihr 2012 gegründetes Blog geborgen-wachsen.de und ihre Social Media Kanäle sind wichtige und viel genutzte freie Informationsportale für bedürfnisorientierte Elternschaft und tragen seit über 10 Jahren maßgeblich zur Verbreitung bedürfnisorientierter Erziehung bei. Susanne Mierau gibt Workshops für Eltern und Fachpersonal und spricht auf Konferenzen und Tagungen über kindliche Entwicklung, Elternschaft und Familienrollen.
Foto: Ronja Jung für geborgen-wachsen.de