Kategorie: Allgemein

„Wie redest du denn mit mir?“ – Wenn Kinder unfreundlich sind

Über viele Jahre hinweg lernen Kinder, sich in dieser Welt sicher zu bewegen: Sie lernen ihren Körper kennen, lernen sich fortzubewegen, zu sprechen, mit anderen zu interagieren. Dabei lernen sie auch, ihre Gefühle zunehmend sprachlich auszudrücken und wie sie mit Schimpfworten umgehen können oder sollten. Neben den Schimpfworten treten manchmal aber auch andere sprachliche Verhaltensweisen auf, die wir nicht stehen lassen wollen, beispielsweise wenn das Kind unfreundlich mit uns oder anderen spricht, etwas einfordert oder etwas nicht tun will. Wir fühlen uns angegriffen von den Worten, auch wenn es keine direkten Schimpfworte sind.

Unfreundliches Verhalten von Kindern ist oft kein Angriff

Als Erwachsene bewerten wir ein unfreundliches Verhalten von jungen Kindern oft als Angriff. Ein „Mach das doch selbst!“, „Ich will nicht mit zu der blöden Feier!“, „Hol du das doch!“ oder „Du bist echt immer so nervig!“ sehen wir schnell als Angriff: ein Machtspiel! Schnell reagieren wir dann auf genau diese Interpretation und versuchen, die Positionen wieder in der gewohnten Ordnung aufzustellen. „So lass ich nicht mit mir reden!“, „Du spinnst ja wohl!“, „Wenn du nicht freundlich bist, dann…“, „Geh auf dein Zimmer!“ Oft reagiert das Kind auf diese Anwtort dann mit Gegenwehr und der Konflikt eskaliert.

Deine Grenzen benennen ist wichtig…

Natürlich ist es wichtig, dass die eigenen Grenzen benannt werden. Das Kind darf und soll lernen, dass bestimmte Ausdrucksformen sozial nicht verträglich sind. Diese Grenze zu setzen, ist wichtig für den Elternteil selbst, damit du dich ausreichend geschützt und psychisch nicht angegriffen fühlst, aber auch wichtig für dein Kind, denn es darf und sollte lernen, wie innerhalb seiner sozialen Gruppe kommuniziert wird, damit es gute Beziehungen aufbauen kann – zu dir als Elternteil, aber auch zu anderen Menschen.

… und auch das Verstehen der Bedeutung hinter den Worten

Gleichzeitig ist es aber auch wichtig, in den Blick zu nehmen, was dein Kind da eigentlich ausdrücken möchte. Dass es so unfreundlich wird, ist in der Regel kein Angriff, sondern ein noch ungeschickter Versuch, ein Bedürfnis mitzuteilen. Wenn wir harsch auf die Art, aber nicht auf den eigentlichen Anlass reagieren, führt das zu einem Konflikt: Wir reden/streiten eigentlich aneinander vorbei und das Kind fühlt sich von uns nicht verstanden und lernt auch nicht, eigene Wünsche und Bedürfnisse anders auszudrücken. Hilfreicher ist es deswegen, einen Moment innezuhalten und zu überlegen, was das eigentliche Problem hinter diesem Verhalten sein könnte. Diesen Moment der Selbstberuhigung und Überlegung können wir uns durchaus gönnen, wenn das Kind gerade etwas gesagt hat, das wir als unfreundlich empfinden.

„Das Kind wird nicht gleich zum Tyrannen, bloß weil wir erst mal tief durchatmen. […] Wenn wir uns nicht gezwungen sehen, sofort zu handeln, wird das Kind nicht sofort in eine Gegenwehr gehen müssen. Wir dürfen uns erlauben, uns Zeit zu nehmen! Und dann im nächsten Moment bewusst und überlegt zu reagieren. „

S. Mierau „Frei und unverbogen“, S. 178f.

Wir können sowohl eine Grenze ziehen, als auch auf das Kind reagieren. Die Grenze, die wir ziehen, ist einerseits eine Grenze für uns selbst, aber auch eine Hilfe zur Ausbildung sozialer Fähigkeiten für das Kind. „Das war ziemlich unfreundlich ausgedrückt und verletzt mich. Ich sehe, dass du gerade viel Spaß hast beim Spielen und das Geschirr nicht in die Küche bringen möchtest. Das kannst du mir so sagen, wenn das der Grund ist, warum du nicht helfen möchtest. Dann bring es bitte, wenn du fertig bist.“, „Ich höre, dass du zum Schulfest deines Bruders wirklich nicht mitmöchtest. Lass uns darüber reden, was du stattdessen machen möchtest oder warum du dort nicht hin möchtest. Ich denke, es hat ihn verletzt, dass du das so gesagt hast und es würde ihm gut tun, wenn wir ihm das genauer erklären könnten.“, „Ich möchte nicht, dass du so mit mir redest, weil mich das verletzt. Aber du kannst mir gerne sagen, was dich gerade an meinem Verhalten stört. So finden wir bestimmt eine Lösung.“

Unsere Aufgabe als Eltern ist es, den Konflikt durch die eigene Wut, die vielleicht aufsteigt, nicht weiter eskalieren zu lassen, sondern zu einer Lösung beizutragen. Nicht immer reagiert das Kind sofort versöhnlich auf unser Angebot zum Gespräch. Aber auch dann ist es sinnvoll, eher eine Beruhigung zu erwirken, als den Streit weiter aufzuladen. Wenn das Kind auf das Gesprächsangebot nicht eingeht, können wir abwarten, ob sich das Kind doch noch öffnen will oder das Gespräch vertagen. Zuvor haben wir benannt, was wir nicht wünschen und formuliert, dass es gut ist, über das eigentliche Problem zu sprechen. So haben wir dem Gespräch bereits eine andere Wendung gegeben, als wenn wir der Fehlinterpretation nachgegangen wären.

Eure

Zur Autorin:
Susanne Mierau ist Diplom-Pädagogin (Schwerpunkt Kleinkindpädagogik) und Familienbegleiterin. Sie arbeitete an der FU Berlin in Forschung und Lehre, bevor sie sich 2011 im Bereich bedürfnisorientierte Elternberatung selbständig machte. Ihr 2012 gegründetes Blog geborgen-wachsen.de und ihre Social Media Kanäle sind wichtige und viel genutzte freie Informationsportale für bedürfnisorientierte Elternschaft und tragen seit über 10 Jahren maßgeblich zur Verbreitung bedürfnisorientierter Erziehung bei. Susanne Mierau gibt Workshops für Eltern und Fachpersonal und spricht auf Konferenzen und Tagungen über kindliche Entwicklung, Elternschaft und Familienrollen.

Foto: Ronja Jung für geborgen-wachsen.de

Kinder in (körperlicher) Selbstbestimmung stärken

Wenn wir uns in Kinderbuchhandlungen umsehen, sind die Regale gefüllt mit Büchern zum Thema Selbstbestimmung über den eigenen Körper. Sie erklären, dass Kinder „nein“ sagen können und dürfen, dass ihr Körper ihnen selbst gehört. Es ist gut, solche Kinderbücher als Anlass zu nehmen, um mit Kindern über Selbstbestimmung und körperliche Grenzen zu sprechen. Zu denken, dass nur ein oder mehrere solcher Bücher ausreichen, damit das Kind für sich und die eigenen Grenzen einstehen kann, ist allerdings eine Fehlannahme: Kinder lernen die Selbstbestimmung über ihren Körper vor allem über den Alltag und die vielen kleinen Momente, in denen wir ihnen zeigen, dass sie eine Stimme haben, die respektiert wird.

Was sich Eltern eigentlich wünschen

Für unsere Kinder wünschen wir uns, dass sie im Laufe ihres Lebens formulieren können, wenn sie etwas nicht wollen. Dass sie gute und selbstbestimmte Entscheidungen treffen in Bezug auf ihr gesamtes Leben, aber auch ihren Körper. Dass sei sich nicht von anderen gedrängt fühlen, sich nicht drängen lassen oder eine beständigen Unsicherheit in sich tragen, ob sie so, wie sie sind, in Ordnung sind und sein dürfen. Wir wollen, dass sie überzeugt „Nein“, „Lass das“ oder „Ich mag das anders.“ Diese Art der Selbstbestimmung kann ihnen in vielerlei Hinsicht im Leben eine Stütze sein und ist gerade auch in Bezug auf Erwartungen und Rollenbilder bei Mädchen und Frauen in Hinblick auf ihr Körperbild und Verhalten bedeutsam.

Stärkungssätze allein helfen nicht

Doch es reicht nicht, Kindern zu sagen „Du hast eine Stimme!“ oder „Du sollst ‚Nein‘ sagen, wenn Du etwas nicht magst!“. Sie müssen das Wissen darum, dass sie über sich selbst bestimmen können und ihre (körperliche) Integrität gewahrt wird, wirklich verinnerlichen dadurch, wie Eltern und andere Bezugspersonen mit ihnen umgehen und sie auch vor Außenstehenden, die ihre Grenzen überschreiten wollen, in Schutz nehmen.

In Bezug auf die Selbstbestimmung des Kindes benötigen wir auch hier wieder ein anderes Framing: Das »Nein« eines Kindes ist ein Entwicklungsschritt, der nicht mehr aus der Perspektive des Trotzes betrachtet werden sollte, sondern als bedeutender Meilenstein seiner Entwicklung. Das kindliche »Nein« ist ein Baustein auf dem Weg der Selbstbestimmung. Mit einem Nein grenzen wir uns ab, grenzen Gefühle, Wahrnehmungen und Wünsche ab. Erst durch das Nein haben wir auch einen freien Zugang dazu, Ja zu sagen, und auch dieses ist in Bezug auf die Selbstbestimmung wichtig: Wir müssen wissen, was wir wirklich wollen, was gut für uns ist. Dieses Ja zu uns selbst wird im Laufe der Zeit und gerade in Bezug auf die sexuelle Entwicklung im Jugendalter besonders wichtig. »Ja,
das mag ich!«, »Ja, das möchte ich (mit dir) ausprobieren« oder eben »Nein, das gefällt mir nicht«. Wenn wir schon als Kinder erfahren haben, dass wir die Kompetenz besitzen, unsere Bedürfnisse wahrzunehmen, auszudrücken und sie benennen zu können, können wir diese Sicherheit mitnehmen in unsere späteren Beziehungen.

Susanne Mierau: New Moms for Rebel Girls

Ein Bewusstsein schaffen für die eigene Wahrnehmung

Das, was wir unseren Kindern daher wirklich vermitteln müssen, sind nicht bestimmte Worte oder Sätze in bestimmten Situationen, sondern das Gefühl, dass ihre eigene Wahrnehmung richtig ist und sie darauf vertrauen dürfen. Sie dürfen erfahren, dass wir ihre Empfindungen nicht abwerten oder ihnen erklären, dass ihre Empfindungen nicht richtig sind. Genau dieses findet aber an vielen Stellen im Alltag statt, wenn wir ihnen erklären, dass es aber doch warm oder kalt ist und sie deswegen etwas anderes anziehen sollen, als sie wollen. Wenn wir ihnen sagen, dass das schon nicht so schlimm sei, dieses oder jenes zu machen, obwohl sie gerade gesagt haben, dass ihnen das unangenehm ist oder sie ängstigt.

Das bedeutet nicht, dass wir solche Situationen immer einfach „nur“ hinnehmen. Wir können, wenn sie beispielsweise ein Kleidungsstück anziehen wollen, das unserer Meinung nach nicht zum Wetter passt, sagen, dass sich das für sie so anfühlt und wir noch eine Jacke/T-Shirt mitnehmen, falls sie ihre Meinung ändern. Wir können annehmen, dass sie sich gerade ängstigen in einer Situation und nicht einfordern, dass sie sich zusammenreißen, sondern fragen, was sie brauchen, damit es ihnen besser geht.

Auch vor Außenstehenden für sie eintreten

Gerade anderen Personen gegenüber erscheint es vielen Eltern schwer, sich für die Selbstbestimmung des Kindes einzusetzen: Das Kind will dem anderen Familienmitglied keinen Kuss oder keine Umarmung schenken. Das Kind will nicht bei der anderen Familie übernachten. Das Kind lacht nicht über den Scherz eines Familienmitglieds. In diesen Momenten ist es ebenso wichtig, dass die Wahrnehmung des Kindes gestärkt wird: „Du möchtest nicht…“, „Du findest…“ und dann der anderen Person zu erklären, dass das Kind ein Recht auf Selbstbestimmung hat und dieses hier überwiegt vor dem Wunsch einer anderen Person.

Besonders bedeutsam ist schließlich zum Schutz des Kindes, dass andere Menschen lernen, die Grenzen nicht zu übertreten, gerade nicht von Schwächeren. Unsere Kinder (und wir Eltern) können nicht die gesamte Verantwortung dafür, dass Kinder für ihre Grenzen eintreten, allein übernehmen. Vor allem kommt es darauf an, dass Menschen in einer machtvolleren Position die Grenzen anderer nicht überschreiten.

Eure

Zur Autorin:
Susanne Mierau ist Diplom-Pädagogin (Schwerpunkt Kleinkindpädagogik) und Familienbegleiterin. Sie arbeitete an der FU Berlin in Forschung und Lehre, bevor sie sich 2011 im Bereich bedürfnisorientierte Elternberatung selbständig machte. Ihr 2012 gegründetes Blog geborgen-wachsen.de und ihre Social Media Kanäle sind wichtige und viel genutzte freie Informationsportale für bedürfnisorientierte Elternschaft und tragen seit über 10 Jahren maßgeblich zur Verbreitung bedürfnisorientierter Erziehung bei. Susanne Mierau gibt Workshops für Eltern und Fachpersonal und spricht auf Konferenzen und Tagungen über kindliche Entwicklung, Elternschaft und Familienrollen.

Foto: Ronja Jung für geborgen-wachsen.de

Selbstwirksamkeit fördern durch einen guten Umgang mit Frustration

Viele Erwachsene kennen die Aussage der Kinderbuchheldin Pippi Langstrumpf „Das hab ich ja noch nie gemacht. Ich glaub ich schaffe das !“ Eine Aussage, die Erwachsene lächeln lässt und sicherlich auch zugespitzt ist, aber dennoch für die Begleitung von Kindern einen wichtigen Impuls enthält: Kinder dürfen erfahren, dass sie in dieser Welt selbst wirksam sein können und sich auf Basis dieses verinnerlichten Wissens an Herausforderungen herantrauen. Der Weg dorthin geht aber wesentlich auch durch einen guten Umgang mit Frustration.

Was lernt ein Kind, wenn wir es Hindernisse überwinden lassen? Es lernt, dass es Hindernisse überwinden kann. Selbstwirksamkeit ist eine der wesentliche Eigenschaften, die ein Kind wirklich braucht. Es muss wissen, dass es ein Ziel, das es sich steckt, auch erreichen kann. Es lernt, über welche Wege es an sein Ziel kommen kann, und vertraut auf sich und seine Fähigkeiten. Die Einschätzung der Situation ermöglicht es ihm, seine Chancen abzuklären und sich richtig auf das Vorankommen vorzubereiten: Es weiß, was es kann und bei welchen Dingen es Hilfe braucht.

Susanne Mierau: Geborgene Kindheit

Lernen beinhaltet auch Frustration, die begleitet werden will

Kinder lernen nach und nach sich selbst und die sie umgebende Welt kennen. Sie eignen sich das Wissen über sich selbst, ihr Können und die Umwelt an. Einige Lernerfahrungen bekommen wir gar nicht als solche mit, bei anderen spüren wie die Anstrengung des Kindes. Lernt es beispielsweise Laufen, fällt es auch hin. Es läuft nicht sofort viele Meter weit, sondern baut das Können aus. Dabei muss es immer wieder auch Frustration überwinden.

Viele Eltern denken, dass das Lernen eine steigende Gerade wäre, dabei gehört zum Lernen auch Frustration, die ausgehalten und begleitet werden muss. Wenn eine Fähigkeit nicht sofort gelingt, bedeutet das nicht, dass das Kind das generell nicht kann, sondern dass es sich damit auseinandersetzt. Es ist wichtig, dies Kindern auch immer wieder zu erklären: Lernen bedeutet nicht, dass du es sofort kannst. Lernen bedeutet, dass du eine Antwort noch nicht weißt, dass du etwas noch nicht kannst, aber auf dem Weg bist.

Das Mindset der Eltern überträgt sich auf die Motivation des Kindes: Wenn wir selbst nur von Resultaten überzeugt sind, wenn uns nur das Ergebnis interessiert, drücken wir das oft auch so aus und unterstützen nicht den Weg des Kindes dorthin, sondern nur das Ziel. Dabei ist es für das Kind wichtig, dass es gerade in der Herausforderung Halt bekommt und nicht erst am erlangten Ziel Lob. Anstatt also den Fokus auf das Ergebnis zu richten, können Eltern den Prozess in den Blick nehmen, das Kind ermutigen, bestärken und eben auch immer wieder versprachlichen, dass Dinge Zeit brauchen und manchmal viel Energie benötigen. Auch das Vorbildverhalten gelangt hier in den Blick: Wir können auch bei unserem eigenen Tun versprachlichen, dass das gerade ganz schön anstrengend ist und wie wir mit unserer eigenen, alltäglichen Frustration gut umgehen. So wird Frustration Teil des Prozesses anstatt als Scheitern erlebt zu werden.

Der Umgang mit großen Gefühlen

Auf dem Weg des Lernens gilt es also, mit Frustration umzugehen. Hier benötigen Kinder – wie generell beim Umgang mit ihren Gefühlen – Unterstützung und Co-Regulation. Kinder müssen erfahren, dass Frustration und Wut sein dürfen und wie sie damit umgehen können. So verstehen sie, dass diese Gefühle nicht negativ sind und sein dürfen – auch innerhalb des Lernprozesses. Es ist gut, die Gefühle des Kindes zu verbalisieren, sie anzunehmen und ihnen dann zu helfen, damit umzugehen, zum Beispiel indem wir sagen: „Oh, das ist ganz schön schwierig, das macht dich wütend, dass das jetzt noch nicht klappt. Komm wir nehmen uns eine kleine Pause und du machst später weiter. Es ist normal, dass Sachen nicht sofort klappen. So funktioniert lernen.“

Freiheit zum Erkunden

Ein angemessener Umgang mit Frustration sollte eingebettet werden in die generelle Haltung, dass das Kind sich aktiv mit sich selbst und seiner Umgebung vertraut machen darf. Das Kind lernt die Welt kennen, indem es sich darin bewegt und mit ihr interagiert. Es darf erfahren, dass es die Umwelt durch das eigene Handeln verändern kann. Es fühlt sich kompetent durch die Erfahrung, die Welt beeinflussen zu können und kann aus dieser Erfahrung zuversichtlich auf neue Herausforderungen zugehen. Die Herausforderungen, die das Kind angeht, sollten dabei in der Komplexität und Schwierigkeit dem aktuellen Entwicklungsstand angemessen sein: nicht zu leicht, nicht zu schwer, sondern gerade so, dass sie tatsächlich zu bewältigen sind mit etwas Anstrengung. Durch das Erlernen eines guten Umgangs mit Frustration kann so auch eine herausfordernde Tätigkeit umgesetzt werden.

Eure

Zur Autorin:
Susanne Mierau ist Diplom-Pädagogin (Schwerpunkt Kleinkindpädagogik) und Familienbegleiterin. Sie arbeitete an der FU Berlin in Forschung und Lehre, bevor sie sich 2011 im Bereich bedürfnisorientierte Elternberatung selbständig machte. Ihr 2012 gegründetes Blog geborgen-wachsen.de und ihre Social Media Kanäle sind wichtige und viel genutzte freie Informationsportale für bedürfnisorientierte Elternschaft und tragen seit über 10 Jahren maßgeblich zur Verbreitung bedürfnisorientierter Erziehung bei. Susanne Mierau gibt Workshops für Eltern und Fachpersonal und spricht auf Konferenzen und Tagungen über kindliche Entwicklung, Elternschaft und Familienrollen.

Foto: Ronja Jung für geborgen-wachsen.de

Wie Kinder lernen, Dinge zu teilen

Das Teilen ist ein positiver Wert, den viele Eltern in ihren Kindern verinnerlichen wollen. Dieser Wert erscheint so wichtig, dass Eltern manchmal beschämt sind, wenn das eigene Kind jetzt gerade nicht teilen möchte. So wird das Kind dazu gedrängt, „jetzt doch mal was abzugeben“ oder „auch nett zum anderen Kind“ zu sein. Es wird sich beim Gegenüber entschuldigt, wenn das Kind trotz Druck einfach nicht zum Teilen bewegt werden kann. Manchmal wird sogar in oder nach der erfolglosen Teil-Situation mit dem Kind geschimpft. Aber ist das ein guter Weg, um Kinder zum Teilen zu bringen?

Teilen ist weiterhin wichtig für Menschen

Das Teilen ist ein wichtiger Bestandteil unseres menschlichen Seins, da sich unser Mensch-Sein im Miteinander und gegenseitiger Unterstützung ausgebildet hat: Erst durch das Zusammenarbeiten von Menschen und gegenseitige Unterstützung ist es dem Menschen gelungen, sich über die ganze Welt auszubreiten und Regeln für das Zusammenleben zu gestalten, die eine Gemeinschaft stützen und schützen. Dass wir also auch weiterhin das Teilen und Kooperation als wichtige Werte einschätzen, die an die folgende Generation weitergeben werden sollen, ist verständlich. Doch der Weg dorthin führt nicht über Strenge und das Einfordern von Freundlichkeit, sondern über empathische Zuwendung und Vorbild.

Soziales Verhalten entwickelt sich über die Zeit und wird mit zunehmendem Alter komplexer. Etwa im zweiten Lebensjahr zeigen Kinder bereits ein erstes soziales Verhalten, wie verschiedene Studien zeigen, indem sie anderen helfen, andere unterstützen, teilen und kooperieren – allerdings ist dieses noch recht spezifisch ausgerichtet und nicht allgemein. Für die Ausbildung eines umfassend sozialen Verhaltens sind vielfältige soziale und emotionale Erfahrungen wichtig.

Kein Druck, sondern Einfühlung

Wesentlich für das Teilen ist die Entwicklung von Empathie. Kinder brauchen ihre nahen Bezugspersonen, um sie mit der Gefühlswelt des Gegenüber vertraut zu machen. Das bedeutet, zusammen mit dem Kind darüber zu sprechen: „Wie fühlt sich das andere Kind?“, „Wie fühlt es sich, wenn du mit dem Kind teilst?“ Auch Kinderbücher können eine gute Möglichkeit sein, um über Gefühl und gegenseitige Unterstützung zu sprechen „Was fühlt das Kind im Buch? Warum fühlt es sich so?“ In zwei Untersuchungen mit kleiner Stichprobengröße an Kleinkindern und ihren Eltern konnte gezeigt werden, dass Kleinkinder sich sozialer verhielten, wenn Eltern mit ihnen über die Gefühle der Personen in Kinderbüchern sprachen und sie anregten, selbst über die Gefühle anderer nachzudenken.

Auch in sozialen Alltagssituationen ist es bedeutsam, Kindern nicht nur zu erklären, wie andere sich fühlen, sondern sie zur Reflexion anzuregen: Wie fühlen sich andere Menschen? Woran erkennt das Kind, dass der andere Mensch so fühlt? Wie lässt sich dieses Empfinden verändern?

Vorbild sein

Neben aller Begleitung und Anregung kommt es auch bei der Entwicklung sozialen Verhaltens und des Teilens darauf an, wie sich die nahen Bezugspersonen selbst verhalten und welches Vorbildverhalten sie zeigen: Wann kann das Kind die Bezugspersonen beim Teilen beobachten? Wie reagieren die Erwachsenen darauf, wenn von ihnen das Teilen eingefordert wird durch andere, beispielsweise am Familientisch oder in der Öffentlichkeit? Wie verhalten sich die Eltern untereinander, aber auch gegenüber den eigenen Kindern in Bezug auf das Teilen? Gibt es Rituale des Teilens, die das Kind bei den Erwachsenen erlebt, beispielsweise wenn Kleidung gespendet wird oder wird thematisiert, dass die Familie an gemeinnützige Einrichtungen spendet?

Wie in allen anderen Bereichen der kindlichen Entwicklung sollte auch bei der Entwicklung des Sozialverhaltens und des Teilens nicht mit Druck und Strafen gearbeitet werden. Vielmehr sollte die emotionale Entwicklung unterstützt werden durch Gespräche über die eigenen und fremde Gefühle, sowie ein gutes Vorbildverhalten.

Eure

Zur Autorin:
Susanne Mierau ist Diplom-Pädagogin (Schwerpunkt Kleinkindpädagogik) und Familienbegleiterin. Sie arbeitete an der FU Berlin in Forschung und Lehre, bevor sie sich 2011 im Bereich bedürfnisorientierte Elternberatung selbständig machte. Ihr 2012 gegründetes Blog geborgen-wachsen.de und ihre Social Media Kanäle sind wichtige und viel genutzte freie Informationsportale für bedürfnisorientierte Elternschaft und kindliche Entwicklung. Susanne Mierau gibt Workshops für Eltern und Fachpersonal und spricht auf Konferenzen und Tagungen über kindliche Entwicklung, Elternschaft und Familienrollen.

Foto: Ronja Jung für geborgen-wachsen.de

Übergänge bewusst im Alltag wahrnehmen

Gastartikel von Janna Visser

Übergänge sind Teil unseres Lebens. Einerseits die großen, lebensverändernden Übergänge, wie Umzüge, Trennungen oder Schulwechsel. Andererseits die vielen kleinen Übergänge, die unseren Alltag strukturieren, z. B. das morgendliche Aufstehen, das Verlassen des Hauses oder der Abschied vom Spielplatz. Einige dieser Übergänge gelingen uns leicht und voller Freude, einige können uns belasten. Wir geraten in Stress und manchmal beginnen wir sie zu vermeiden.

Wahrnehmung von Übergängen

Viele Übergänge nehmen wir in unserem Alltag als Erwachsene nicht mehr bewusst wahr. Sie sind für uns unsichtbar geworden. Denn je öfter wir einen Übergang erleben, desto mehr wissen wir, was auf uns zu kommt. Wir können für uns sorgen, etwas vorbereiten und entwickeln Routinen.

Für Kinder können alle Übergänge, die für uns Erwachsene nebenbei ablaufen, neu, spannend und herausfordernd sein. Sie entwickeln in unserem gemeinsamen Alltag Strategien für diese Übergänge und haben diverse Ideen, wie sie diese oder jene Situation gestalten könnten. Diese Ideen passen nicht unbedingt zu unseren Plänen, den Verkehrsregeln oder den Grenzen anderen Menschen. Oft ergibt das Verhalten des Kindes für uns zunächst keinen Sinn und wir finden uns wiederholt in ähnlichen Konflikten wieder. Häufig wissen wir nachher gar nicht genau, was der Auslöser eines Streits war.

An der Seite des Kindes

Bei jedem Übergang werden Kinder, wie wir alle, mit unterschiedlichen, teilweise auch widersprüchlichen, Gefühlen von Freude bis Frustration konfrontiert. Deshalb brauchen sie unsere Unterstützung, um im sicheren Rahmen unserer Begleitung selbst zu erfahren, wie sie ihre Gefühle regulieren und mit welchem Verhalten sie ihre Bedürfnisse am besten erfüllen können.

Der erste Schritt für uns Erwachsene ist dabei die grundsätzliche Wahrnehmung von Übergängen, den dazugehörigen Gefühlen und dem eigenen Umgang damit. Dafür braucht es nicht unbedingt die komplexen und schwierigen Übergänge. Wir können von jedem Übergang lernen, welche Handlungen uns unterstützen. 

Es ist hilfreich sich bewusst zu machen, dass ein Übergang einen Anfang und ein Ende hat und alle Beteiligten Beginn und Abschluss ganz unterschiedlich wahrnehmen können. Das hängt unter anderem von Faktoren wie dem Wissen und der Verantwortlichkeit für Aufgaben rund um den Übergang ab: Beginnt der Übergang mit der Planung und Vorbereitung eines Ausflugs oder mit dem Verlassen des Hauses? Klare Absprachen bezüglich des Ablaufs und der Zuständigkeiten können Übergänge gleichberechtigt für alle sichtbar machen und Konflikte vorbeugen.

Übergänge und Erwartungen

Abhängig davon wie wir Übergänge wahrnehmen und unsere individuellen Rahmenbedingungen aussehen, bewerten wir Übergänge in ihrer Dringlichkeit, Intensität und Bedeutung. Es kann helfen zu schauen was genau wir über den jeweiligen Übergang wissen, woher diese Informationen stammen und was wir erwarten. Wer welchen Übergang für die Erfüllung der eigenen Bedürfnisse braucht, kann Klarheit für die empathische Gefühlsregulation bei uns Erwachsenen – und auch bei den Kindern – geben. Wenn wir lernen, während eines Übergangs unsere (eigenen) Bedürfnisse zu erfüllen, werden wir entspannter und kreativer bei der Lösung von Konflikten.

Nach dem Übergang ist vor dem Übergang

Wie im Projektmanagement oder Profi-Sport ist es während und nach Übergängen lohnenswert zu reflektieren. Kinder profitieren sehr davon, wenn sie beobachten dürfen, wie wir über Situationen nachdenken, alternative Handlungsmöglichkeiten entwickeln und sie daran aktiv teilhaben dürfen. Je nachdem wie unser Alltag gerade aussieht, gibt es mehr oder weniger Raum und Zeit um seine Gedanken zu sortieren. Hier eine Übung für zwischendurch:

Botschaft an mich selbst

Denke an einen kleinen, alltäglichen Übergang aus den letzten Stunden und erzähle deinem Vergangenheits-Ich in einer Nachricht, einer kurzen Notiz oder einer Sprachnachricht davon. Folgende Fragen können dabei helfen:

– Welches Wissen hätte ich gerne zu dem Zeitpunkt des Übergangs gehabt?

– Was hat mir an meinem Verhalten gut gefallen?

– Wer oder was hat mir in der Situation geholfen?

– Welche Tipps gebe ich meinem Vergangenheits-Ich mit auf den Weg?

Je öfter wir einen Übergang erlebt haben, desto mehr lernen wir für uns zu sorgen. Solche Übungen helfen uns dabei, unsere Anteile bei der Erfüllung der eigenen und kindlichen Bedürfnisse zu erkennen. Wir können so gezielt üben, Ideen und Strategien zu sammeln und dadurch mit Klarheit und Flexibilität Herausforderungen in zukünftigen Übergängen begegnen.

Eure

Janna Visser ist Sozialarbeiterin B.A., Erziehungs- und Bildungswissenschaftlerin M.A. und Mediatorin. Sie arbeitete in der Kinder- und Jugendhilfe, Schulsozialarbeit, Bildungsarbeit sowie Forschung und Lehre. Ende 2022 hat sie sich auf die bedürfnisorientierte Begleitung von Übergängen spezialisiert. Ihr Angebot richtet sich an Familien, Erwachsene und Jugendliche sowie pädagogische Fachkräfte & Firmen. Ein Teil ihres Konzepts ist die solidarische Bezahlung nach Ermessen. Mehr über ihre Arbeit erfährst du auf ihrer Seite oder bei Instagram .

Warum „Weil ich das sage!“ keine geeignete Erklärung für Kinder ist

Zweifellos gibt es gefährliche Situationen, in denen Eltern keinen großen Handlungsspielraum haben: Es muss schnell gehandelt werden, wenn Kinder beispielsweise im Straßenverkehr in Gefahr sind. Und manchmal haben wir auch schon gefühlt einhundert Mal einen Sachverhalt erklärt und wollen nicht noch einmal genau dasselbe sagen. Jenseits davon aber gibt es viele Situationen, in denen Eltern zwar die Machtkarte ausspielen könnten, aber nicht sollten: Es ist wichtig, dass Kinder nachvollziehen können, warum wir etwas wollen oder nicht wollen.

Eltern haben mehr Macht – und sollten sie mit Bedacht einsetzen

„Weil ich das sage!“ überbringt dem Kind eine deutliche Botschaft: Ich bin die machtvollere Person und treffe die Entscheidungen. Tatsächlich befinden sich Erwachsene gegenüber Kindern in einer machtvolleren Position: Sie verfügen in der Regel über mehr Kraft, einem Wissensvorsprung, können langfristiger und weitsichtiger planen und verfügen über mehr (finanzielle) Ressourcen. Es vermittelt Kindern Sicherheit, dass ihre Bezugspersonen darüber verfügen. Dennoch ist es eine bedeutsame Frage, wie wir mit dieser Position umgehen: Denn nur weil wir überlegen sind und diese Art der Überlegenheit auch bedeutsam ist, müssen wir sie nicht gegenüber dem Kind ausspielen und als Druckmittel einsetzen. Im Gegenteil: Gerade weil wir überlegen sind, sollten wir achtsam sein in unserem Tun und dem Kind die Möglichkeit geben, von eben jenem Vorsprung zu profitieren.

Profitieren kann das Kind dann, wenn es nicht stumpf Anweisungen befolgen soll, sondern wenn es lernen kann, warum in welchen Situationen wie gehandelt wird. Das lernt es durch Vorbild und Erklärungen. Wir sollten unser Tun im Alltag sprachlich begleiten – dies unterstützt auch den Ausbau des Wortschatzes von kleinen Kindern -, und Handlungen vorher ankündigen und auch begründen, warum wir wie handeln. Das müssen keine ausschweifenden Ausführungen, sondern können durchaus kurze und verständliche Erklärungen sein. Durch Erklärungen schaffen wir die Möglichkeit, Zusammenhänge zu verstehen und zeigen Respekt gegenüber der anderen Person: Auch wenn du jünger bist, nehme ich dich als Menschen ernst mit deinem Bedürfnis nach Lernen und Entwicklung und deinem Bedürfnis, dich als selbstwirksam zu erfahren.

Ich habe dein Bedürfnis wahrgenommen

Dem Kind zu erklären, warum es jetzt gerade etwas nicht tun darf, vermittelt dem Kind: Ich sehe deinen Wunsch/dein Bedürfnis eigentlich und erkläre dir, warum es jetzt gerade nicht erfüllbar ist. Aber ich habe es wahrgenommen und dir mit meiner Antwort zurückgemeldet, dass ich es wahrgenommen habe.

Wenn Eltern dem Kind auf diese Art zeigen, dass das Bedürfnis wahrgenommen wurde, wird es vielleicht dennoch noch nachfragen „Aber warum darf ich denn jetzt nicht?“/“Aber warum?“, weil es noch Kind ist und von seinem Bedürfnis oder Wunsch nicht so schnell abweichen will. Vielleicht kann es sich auch noch nicht in die Argumentation des Gegenüber hineinversetzen und versteht die Erklärung nicht. Aber es versteht, dass es Erklärungen gibt. Dass nicht willkürlich entschieden wird, dass es als Mensch gesehen wurde.

Erklärungen helfen auch Eltern

Auch den Erwachsenen hilft es, sich zu erklären: So erhalten sie den Raum, um über das eigene Denken und Handeln zu reflektieren: Ja, warum will ich das eigentlich? Warum mache ich das eigentlich so und nicht anders? Mache ich das, weil es selbst so mit mir gemacht wurde oder weil ich es immer so gemacht habe und ergibt mein Handeln wirklich Sinn? Oder gibt mein Kind mir hier gerade einen Impuls, um über mein routinierten Handlungen nachzudenken und vielleicht doch etwas zu ändern?

„Weil ich das so sage!“ erscheint uns oft als Abkürzung. Das Kind soll mal schnell machen, wie wir das so wollen. Tatsächlich ist es keine Abkürzung, weil wir verhindern, dem Kind beizubringen, selbst entscheiden und einschätzen zu können. Wie oft wünschen wir uns von Kindern, dass sie selbst machen, nicht immer nachfragen, handlungskompetent sind – dafür müssen wir ihnen von Anfang an auch Raum geben. Und auch dafür, das „Nein“ des Kindes auszuhalten und ihm respektvoll zu begegnen, auch wenn wir gerade jetzt nicht nachgeben können.

Eure

Zur Autorin:
Susanne Mierau ist Diplom-Pädagogin (Schwerpunkt Kleinkindpädagogik) und Familienbegleiterin. Sie arbeitete an der FU Berlin in Forschung und Lehre, bevor sie sich 2011 im Bereich bedürfnisorientierte Elternberatung selbständig machte. Ihr 2012 gegründetes Blog geborgen-wachsen.de und ihre Social Media Kanäle sind wichtige und viel genutzte freie Informationsportale für bedürfnisorientierte Elternschaft und kindliche Entwicklung. Susanne Mierau gibt Workshops für Eltern und Fachpersonal und spricht auf Konferenzen und Tagungen über kindliche Entwicklung, Elternschaft und Familienrollen.

Foto: Ronja Jung für geborgen-wachsen.de

Zur Autorin:
Susanne Mierau ist Diplom-Pädagogin (Schwerpunkt Kleinkindpädagogik) und Familienbegleiterin. Sie arbeitete an der FU Berlin in Forschung und Lehre, bevor sie sich 2011 im Bereich bedürfnisorientierte Elternberatung selbständig machte. Ihr 2012 gegründetes Blog geborgen-wachsen.de und ihre Social Media Kanäle sind wichtige und viel genutzte freie Informationsportale für bedürfnisorientierte Elternschaft und kindliche Entwicklung. Susanne Mierau gibt Workshops für Eltern und Fachpersonal und spricht auf Konferenzen und Tagungen über kindliche Entwicklung, Elternschaft und Familienrollen.

Foto: Ronja Jung für geborgen-wachsen.de

Zahnfee, Elfen, Wichtel und Co. – Schaden Fantasiefiguren meinem Kind und unserer Beziehung?

Kinder treffen an vielen Stellen auf magische Figuren: in Kinderbüchern, in Filmen, in der gelebten Kultur, wenn Weihnachtsmann, Christkind oder Osterhase Geschenke bringen, aber auch immer mehr außerhalb von Feierlichkeiten auf Figuren wie die Zahnfee oder Wichtel, die besonders zur Weihnachtszeit in vielen Wohnungen einziehen. Manche Eltern fragen sich, wie sie mit diesen Fantasiefiguren umgehen sollen: Soll die Zahnfee auch bei uns kommen? Wollen wir (Weihnachts-)Wichtel in der Wohnung haben? Sind solche Fantasiefiguren nicht eine Lüge? Und was passiert, wenn das Kind eines Tages herausfindet, dass es sie doch nicht gibt? Leidet darunter unsere Beziehung?

Magisches Denken und magische Phase bei Kindern

Besonders in der so genannten „magischen Phase“ sind Kinder zugänglich für all die Fantasiewesen, Monster und magische Zusammenhänge im Denken und Handeln: Von der Kleinkindzeit bis ins Vorschulalter (und manchmal auch in die Schulzeit) können sich Fantasie und Realität vermengen. Es wird mehr für möglich gehalten, als tatsächlich stattfinden kann. Manchmal gibt es nicht nur Monster unter dem Bett, sondern auch unsichtbare Fantasiefreundschaften oder -haustiere und Zusammenhänge, die eigentlich nicht in Verbindung stehen, werden zusammengedacht: „Wenn ich nicht aufesse, wird es regnen.“, „Papa hat sich das Bein gebrochen, weil ich meiner Freundin die Bonbons geklaut habe.“ – Erlebnisse werden so über eine magische Logik erklärt. Jetzt gerade sprechen Kinder besonders auf Fantasiefiguren wie Elfen, Einhörner und Monster an, sind aber auch besonders empfänglich in Bezug darauf, wenn diese Figuren oder magische Zusammenhänge als Erziehungsmethoden genutzt werden: Aufessen, damit die Sonne scheint, aufräumen, damit der Weihnachtsmann Geschenke bringt.

Und genau hier liegt der Knackpunkt der magischen Figuren und Denkweise: Sie werden schnell als Druckmittel eingesetzt, um das Kind zu beeinflussen. Eltern sollten ihre Erziehungsverantwortung allerdings nicht an magische Figuren abgeben. Kinder brauchen das Gegenüber der Bezugspersonen – auch in den Situationen, die anstrengend für Eltern sind und es so angenehm wäre, wenn man sie einfach lösen könnte durch die Abgabe von Verantwortung.

Die Auswirkungen der Weihnachtsmann-Lüge werden in der Forschung unterschiedlich bewertet: Es gibt durchaus Studien, die belegen, dass die Lüge der Eltern in Bezug auf den Weihnachtsmann der Eltern-Kind-Beziehung und dem Kind schaden kann. Gleichzeitig werden auch positive Auswirkungen berichtet.

Magisches Denken: nicht nur bei Kindern

Ganze Religionen und Weltanschauungen beinhalten auch heute noch magisches Denken: Der Glaube an Übernatürliches ist nicht nur bei Kindern zu finden. In einer Umfrage aus dem Jahr 2000 gaben 43 Prozent der befragten erwachsenen Personen beispielsweise an, dass ein vierblättriges Kleeblatt Gutes bedeute (Pdf). Und auch sonst glauben viele Menschen an Glücksbringer, Maskottchen und anderes. Animist*innen glauben an die Allbeseeltheit der Natur: Menschen, Tiere, Pflanzen, Felsen, Quellen etc. haben nach diesem Glauben eine Seele.

Wichtig: Wie Erwachsene damit umgehen

Kinder müssen nicht mit Fantasiefiguren aufwachsen. Wenn sie es aber tun, ist es wichtig, wie Eltern mit ihnen umgehen. Sie können die Fantasie in der magischen Phase begleiten. Im Sinne prosozialer Lügen kann das Aufgreifen der Fantasie des Kindes den Alltag etwas zauberhafter machen und Gemeinschaft unterstützen. Werden Fantasiefiguren allerdings als Druckmittel genutzt, beispielsweise wenn erklärt wird, dass die Zahnfee natürlich nur kommt, wenn alle Zähne gesund sind, der Nikolaus eine Rute bringt bei schlechtem Verhalten und sich der Weihnachtsmann genau jedes Fehlverhalten notiert oder sogar damit gedroht wird, die Monster unter dem Bett heute nicht zu verscheuchen, weil das Kind nicht artig genug gewesen sei, können die Fantasiefiguren negativ wirken, verängstigen und ungesunden Druck ausüben.

Der Fantasiezeit entwachsen

Wenn sich Eltern dazu entschließen, Fantasiefiguren in den Alltag zu integrieren, sollten sie damit der Entwicklung der Kinder folgen und die Entwicklung des Kindes annehmen. Fantasiefiguren sollten nicht dogmatisch bestehen, sondern der Raum für das Vielleicht geöffnet bleiben. Auch hier gibt das Kind das Tempo vor und Eltern sollten nicht darauf insistieren, dass es die Fantasiefiguren doch gibt, sondern das Kind in seiner eigenen Wahrnehmung bestärken und die vom Kind gewollte Loslösung unterstützen. Stellt das Kind die Fantasiefiguren in Frage, kann mit den Fragen offen und ehrlich umgegangen werden. Wir können erklären, warum wir die Geschichte um die Fantasiefigur mitgetragen haben, wie sie zu unserem Leben und vielleicht der in unserer Gemeinschaft gelebten Kultur gehört, und warum die Geschichte eine Verbindung zwischen Menschen herstellt. Vielleicht schließt sich daran eine Diskussion über Lügen und Wahrheit mit dem Kind an – auch das müssen wir als Eltern mit unseren Kindern diskutieren, die uns vielleicht öfter beim Lügen beobachten, als wir denken (beispielsweise wenn es darum geht, anderen Menschen davon zu berichten, wo und wie lange unsere Kinder schlafen, wieviel Medienzeit sie haben oder wieviele Süßigkeiten sie konsumieren).

Gerade dann, wenn in der magischen Phase des Kindes Fantasiefiguren als ängstigend wahrgenommen werden, ist ein respektvoller Umgang der Eltern damit wichtig: Hat das Kind Angst vor Monstern unter dem Bett, hilft es nicht, dem Kind zu erklären, dass es diese nicht geben würde. Hilfreicher ist es, sich auf die Gedankenwelt des Kindes einzulassen und diese Monster zu verscheuchen oder dem Kind auf andere Weise das Gefühl von Sicherheit und Schutz zu geben.

Eure

Zur Autorin:
Susanne Mierau ist Diplom-Pädagogin (Schwerpunkt Kleinkindpädagogik) und Familienbegleiterin. Sie arbeitete an der FU Berlin in Forschung und Lehre, bevor sie sich 2011 im Bereich bedürfnisorientierte Elternberatung selbständig machte. Ihr 2012 gegründetes Blog geborgen-wachsen.de und ihre Social Media Kanäle sind wichtige und viel genutzte freie Informationsportale für bedürfnisorientierte Elternschaft und kindliche Entwicklung. Susanne Mierau gibt Workshops für Eltern und Fachpersonal und spricht auf Konferenzen und Tagungen über kindliche Entwicklung, Elternschaft und Familienrollen.

Foto: Ronja Jung für geborgen-wachsen.de

Zur Autorin:
Susanne Mierau ist Diplom-Pädagogin (Schwerpunkt Kleinkindpädagogik) und Familienbegleiterin. Sie arbeitete an der FU Berlin in Forschung und Lehre, bevor sie sich 2011 im Bereich bedürfnisorientierte Elternberatung selbständig machte. Ihr 2012 gegründetes Blog geborgen-wachsen.de und ihre Social Media Kanäle sind wichtige und viel genutzte freie Informationsportale für bedürfnisorientierte Elternschaft und kindliche Entwicklung. Susanne Mierau gibt Workshops für Eltern und Fachpersonal und spricht auf Konferenzen und Tagungen über kindliche Entwicklung, Elternschaft und Familienrollen.

Foto: Ronja Jung für geborgen-wachsen.de