Bei den meisten Kindern gibt es im Laufe der Entwicklung Phasen, in denen sie weniger gut essen: Manchmal haben sie eine Phase, in der sie bestimmte Lebensmittel bevorzugen, manchmal dürfen sich die Speisen auf dem Teller nicht berühren, manchmal essen sie generell weniger und lehnen bestimmte Nahrungsmittel ab oder sind nur an dem interessiert, was auf dem Teller der Eltern liegt. Der Übergang von der flüssigen Nahrung zum Essen am Familientisch ist tatsächlich ein Übergang, der oft nicht geradlinig stattfindet, sondern eher in Wellen und es gibt bessere und schlechter Zeiten. Gerade auch wenn Zähne durchbrechen oder das Kind krank wird/ist/war kann sich das auch auf das Essverhalten auswirken.
Wichtig: medizinische Ursachen abklären
Wenn sich das Essverhalten über einen längeren Zeitraum verändert, das Kind weniger Appetit zeigt, vielleicht abnimmt und/oder müder und erschöpfter ist oder die Entwicklung stillsteht, ist es wichtig, medizinische Ursachen ausschließen zu lassen. Auch dann, wenn das Kind konsequent bestimmte Nahrungsmittel vermeidet, ist eine Abklärung von Unverträglichkeiten sinnvoll, sowie ein Blick auf neurologische Ursachen, die die Wahrnehmung von bestimmten Lebensmitteln beeinflussen können.
Oft sehen wir jedoch, dass Kinder zeitweise bestimmte Speisen bevorzugen, andere ablehnen und sich dennoch über einen längeren Zeitraum hinweg ausgeglichen ernähren. Dass sie im Kleinkindalter fremde Speisen zunächst ablehnen, ist eine sinnvolle Schutzfunktion und lässt sich durch entspanntes Anbieten oft lösen. Wichtig ist – neben einer gesunden Auswahl – vor allem die Atmosphäre unser Mahlzeiten. Das bedeutet, dass Eltern bestimmte Verhaltensweisen vermeiden sollten.
Was Eltern bei Mahlzeiten vermeiden sollten
Wenn die Mahlzeiten eingeschränkt sind, aber medizinische Ursachen ausgeschlossen werden konnten, ist es besonders wichtig, dass Eltern nicht versuchen, mit Druck mehr Essen in das Kind zu bekommen, als es möchte. Die elterliche Angst ist auch hier ein schlechter Berater und kann die Probleme eher verstärken und ausweiten, als das Problem zu beheben.
Konkret bedeutet das, dass Nahrungsmittel ein Angebot sind, ein Erlebnis, aber kein Zwang. Gewalt hat auch am Esstisch nichts zu suchen: weder durch Lätzchenfixierung, noch durch das Füttern, während ein Arm hinter den Rücken der erwachsenen Person geschoben wird oder anderen körperlichen Maßnahmen.
Aber auch neben der körperlichen Gewalt ist es wichtig, andere Bereiche von psychischer Gewalt in den Blick zu nehmen, denn auch sie können sich negativ auf das Essverhalten und auch die Beziehung auswirken. Psychische Gewalt finden wir dort, wo beispielsweise mit den Schuldgefühlen des Kindes gearbeitet wird: „Ich habe mir aber so viel Mühe gegeben beim Kochen und du willst es gar nicht essen!“ oder auch den Klassiker der Elternsprüche am Esstisch „Woanders verhungern Kinder und du möchtest dieses gute Essen nicht!“, der das Kind beschämen soll ob der eigenen Privilegien nun aufzuessen. Auch Drohungen wie „Der Weihnachtsmann notiert sich auch, ob die Kinder immer brav aufessen!“ sind keine gewaltfreien Methoden.
Während viele Eltern bei solchen Aussagen und Methoden schon einen Gegenwillen spüren und sie deswegen vermeiden, gibt es aber auch noch weniger offensichtliche Druckmittel, die häufiger zu finden sind: „Wenn du jetzt brav aufisst, dann machen wir…“ was nach einer logischen Konsequenz klingt, ist dabei nur eine andere Form der Bestechung und des Drucks. Das Kind wird zur Nahrungsmittelaufnahme überredet, vielleicht über das eigene Körpergefühl nach Hunger hinaus. Auch die scheinbare Belohnung mit einem Nachtisch, wenn zuerst das andere Essen aufgegessen wurde, kann Kinder dazu verleiten, das eigene Sättigungsempfinden zu vernachlässigen und rückt in den Mittelpunkt, dass süße Speisen als Belohnung gelten. Auch das Lob von „Ich freue mich immer so, wenn du aufgegessen hast!“ bedeutet auf der anderen Seite, dass man sich eben nicht freut, wenn der Teller nicht leer ist und kann so zu einem Erwartungsdruck führen.
Wie es anders geht
Statt Druck, Scham und Drohungen ist es zunächst wichtig, sich die eigenen Ängste zu verdeutlichen und realistisch die Fakten zu betrachten: Liegt wirklich eine Störung des Essverhaltens vor, die medizinisch geklärt werden sollte, oder ist es nur die elterliche Sorge, das Kind könnte sich nicht gut entwickeln, obwohl es dafür aktuell keine Anhaltspunkte gibt?
In letzterem Fall ist es – auch wenn es gerade eine mäklige Phase ist – wichtig, entspannt zu bleiben und das Essen des Kindes angemessen zu begleiten. Das bedeutet, dass auf die Wünsche des Kindes, bestimmte Nahrungsmittel nicht zu essen, eingegangen werden kann, wobei Eltern dennoch nicht x andere Mahlzeiten zubereiten müssen. Sinnvoll ist es oft, die einzelnen Bestandteile von Mahlzeiten selbst auswählen zu lassen. Beispielsweise kann das Kind entscheiden, was es vom Mittagessen auf den Teller legen möchte: nur Kartoffeln? Oder auch Erbsen? Oder auch Soße? Vielleicht bevorzugt das Kind gerade besonders Kohlehydrate oder Proteine? Und wenn alles voneinander getrennt liegen soll, damit die einzelnen Bestandteile gut erkennbar sind, ist das auch in Ordnung. Manchmal sind es auch bestimmte Eigenschaften eines Lebensmittels, die Kinder gerade weniger mögen und es lohnt sich, mit der Konsistenz oder Zubereitungsart zu experimentieren: ganze Tomaten werden verschmäht, aber passierte Tomaten gegessen. Gekochte Paprika wird abgelehnt, aber frische Paprikastreifen, die in Hummus getunkt werden können, sind beliebt. Auch können bestimmte Lebensmittel eingeführt werden, indem ihr Bestandteil in der Speise ganz langsam erhöht wird: Anfangs wird Zucchini unter die Soße püriert, dann ist sie stückig enthalten und später wird sie als eigener Bestandteil angeboten.
Auch das Essen ist eine Lernerfahrung des Kindes und entwickelt sich über die Jahre hinweg. Es brauche eine verständnisvolle, respektvolle Begleitung, damit Kinder ein gutes Gefühl für sich, ihren Körper und ihr Empfinden von Sättigung und Hunger ausbilden können.
Eure
Zur Autorin:
Susanne Mierau ist Diplom-Pädagogin (Schwerpunkt Kleinkindpädagogik) und Familienbegleiterin. Sie arbeitete an der FU Berlin in Forschung und Lehre, bevor sie sich 2011 im Bereich bedürfnisorientierte Elternberatung selbständig machte. Ihr 2012 gegründetes Blog geborgen-wachsen.de und ihre Social Media Kanäle sind wichtige und viel genutzte freie Informationsportale für bedürfnisorientierte Elternschaft und kindliche Entwicklung. Susanne Mierau gibt Workshops für Eltern und Fachpersonal und spricht auf Konferenzen und Tagungen über kindliche Entwicklung, Elternschaft und Familienrollen.
Foto: Ronja Jung für geborgen-wachsen.de