Was wir unseren Kindern zum Ende des Jahres schenken sollten

Hinter uns liegt ein Jahr, das anders war als viele anderen Jahre. Das uns in besonderer Weise gefordert hat, das besorgniserregend war, das und geängstigt hat. Vielleicht haben wir mit unserer Familie direkt die Auswirkungen dieses Jahres gespürt: haben Verluste im Familien- oder Freundeskreis erlitten, Sorgen um unsere Arbeit gehabt, um das Einkommen, mussten in Kurzarbeit gehen oder haben vielleicht sogar die Arbeit verloren. Vielleicht waren wir viel mehr als sonst erschöpft und genervt durch Homeschooling und Homeoffice mit Kindern. Dieses Jahr hat an verschiedenen Stellen Probleme aufgeworfen und Familien waren davon in höchst unterschiedlicher Art betroffen.

Es war ein anstrengendes Jahr für Kinder

Auch unsere Kinder waren vor neue Herausforderungen gestellt, mit den Problemen dieses Jahres umzugehen: mit dem, was sie von ihren Eltern wahrgenommen haben an Problemen und Sorgen, mit den Auswirkungen der Erwachsenenprobleme auf ihren Alltag, mit den Anforderungen eines neuen Alltags mit Abstandhalten, dem Tragen eines Mund-Nasen-Schutzes, mit neuen Hygieneregeln. Sie haben erlebt, wie Kitas und Schulen teilweise kurzfristig geschlossen wurden und daher ihre Beziehungen zu anderen Kindern, Lehrenden und Erziehenden unterbrochen wurden – gerade für jüngere Kinder war dieser teilweise abrupte Abbruch manchmal eine besondere Herausforderung. Unsere Kinder mussten auf eine andere, neue Weise zusätzlich im Alltag kooperieren: nicht nur wie sonst, dass sie sich in unsere Zeitpläne und Regeln einpassen sollten, sondern in ganz neue, strengere und herausfordernde Vorgaben. Das hat sie Energie gekostet – und auch uns Eltern, denn Kinder sind trotz allem Kinder und passen sich nicht immer einfach und entspannt in strenge Vorgaben ein. Sie haben in diesem Jahr sozial und emotional viel leisten müssen – und Eltern auch. Glücklicherweise sind Kinder viel anpassungsfähiger und stabiler, als es ihnen manchmal nachgesagt wird – und dies ganz besonders dann, wenn wir ihnen dafür ein stabiles Fundament geben, auf dem diese Anpassung aufbauen kann, dass sie sicher trägt.

Was wir unseren Kindern schenken sollten

Es ist aktuell nicht absehbar, dass sich an den neuen Rahmenbedingungen etwas ändert oder entspannt. Und gerade deswegen haben unsere Kinder es verdient, dass wir zum Ende des Jahres und auch mit Blick auf das neue Jahr, noch einmal ihre Bedürfnisse in den Blick nehmen. Dass wir uns ansehen, wie wir sie aktuell stärken können für diese großen Herausforderungen und uns ein paar Tage besonders Zeit nehmen, um anzuerkennen und zu schätzen, was sie in diesem Jahr geleistet haben.

Auch wenn Kinder Unsicherheit und Angst in Bezug auf die Pandemie und ihre notwendigen Schutzmaßnahmen nicht so ausdrücken wie Erwachsene, können sie durchaus beängstigt oder verunsichert sein durch die aktuellen Rahmenbedingungen, Nachrichten und das Verhalten und/oder die Angespanntheit ihrer Eltern. Es ist wichtig, diesen Gefühlen von Angst/Sorge/Verunsicherung Raum zu geben und mit unseren Kindern altersentsprechend über ihre Gefühle zu reden. Kein Gefühl muss verschwiegen werden, alle Gefühle dürfen Raum haben. Wir können am Ende jedes Tages mit ihnen darüber reden, wie sie sich heute gefühlt haben, was sie gefühlt haben und warum. Auch unsere eigenen Gefühle können wir dabei altersangemessen einbetten und offen sein: Wenn unser Kind uns sagt, dass es Angst hat wegen der Nachrichten, können wir sagen, dass auch wir die Nachrichten manchmal beunruhigend finden. Gleichwohl können wir uns dann den Fakten zuwenden und dem Kind erklären, was wir tun, um Sicherheit herzustellen und warum die aktuellen Vorkehrungen in der Gesellschaft genau dafür da sind. Auf diese Weise nehmen wir einerseits das Gefühl des Kindes an, auf der anderen Seite unterstützen wir das Gefühl von Sicherheit, indem wir erklären, was wir tun.

Das Erklären unserer eigenen Handlungen hat noch einen weiteren wichtigen Aspekt für die Kinder: Wir zeigen ihnen ein Stück Selbstwirksamkeit in einer Situation, in der viele Bestrebungen nach Selbstwirksamkeit und Selbstbestimmung eingeschränkt werden. Wir sehr diese Einschränkungen der Selbstbestimmung uns herausfordern, merken wir an uns Erwachsenen und sehen es auch (leider) an vielen Menschen, die sich den Erfordernissen nicht anpassen wollen. Dass diese Einschränkung eine Herausforderung ist für uns und unser Autonomiestreben, ist normal. Dennoch müssen wir damit umgehen. Auch für unsere Kinder ist es schwierig, noch eingeschränkter zu sein, als sie es ohnehin schon oft durch unsere Erwachsenenregeln und -erwartungen sind. Dies gerade in einem Entwicklungsalter, das durch Neugierde und Autonomie gekennzeichnet ist. Um so wichtiger ist, ihnen dort, wo es aktuell möglich ist, Autonomie zu schenken (gerade beispielsweise auch in Quarantäne): sie in der Beteiligung bei Alltagsentscheidungen ernst zu nehmen (beispielsweise bei einer regelmäßigen Familienkonferenz), sie am Haushalt zu beteiligen, oder sich beim Spiel ganz auf ihre Vorstellungen und Regeln einzulassen und ihnen die Führung zu übergeben (Bindungsspiele). Kinder brauchen das Gefühl, aktiv und selbstwirksam zu sein. Selbstwirksamkeit ist ein wichtiger Faktor für die Entwicklung psychischer Widerstandsfähigkeit – gerade diese brauchen Kinder jetzt. Wir können sie durch Beteiligung, einen demokratischen Erziehungsstil und Anerkennung unterstützen.

Gerade jetzt, in den letzten Tagen des Jahres, können wir uns unseren Kindern auf diese Weise widmen und uns zu ihnen setzen, mit ihnen nach ihren Bedürfnissen spielen und sie bestimmen lassen. Nein, das schadet ihnen nicht, verzieht sie nicht, „verwöhnt“ nicht negativ. Gerade jetzt tut genau dies der Bindungsbeziehung gut, denn Bindung ist auf Seiten des Kindes vor allem ein Sicherheitssystem und diese Sicherheit der Fürsorge, der Umsorgung brauchen sie gerade jetzt. Sie brauchen gerade jetzt das Gefühl, geliebt und in ihrem individuellem Wesen angenommen zu sein.

Vielleicht zeigen unsere Kinder auf besondere Weise, dass sie gerade jetzt unsere Aufmerksamkeit und Zuwendung brauchen: Vielleicht sind sie aggressiver, fordernder, „kleben“ mehr an uns, sagen noch öfter „Mama“/“Papa“ als sonst, wollen noch mehr Aufmerksamkeit, wollen vielleicht wieder mit im Elternbett schlafen oder fordern auf andere Weise ganz besonders Zuwendung ein. Das darf sein. Es ist wichtig, dass wir hier genau hinsehen und ergründen, woher die Ursache des Verhaltens unseres Kindes kommt und darauf nicht mit Abweisung und Strafe reagieren, sondern mit Annehmen und Verständnis. Kinder sind von Anfang an unterschiedlich in ihrem Temperament und in ihren Persönlichkeitseigenschaften: einige sind ruhiger, andere wilder. Wenn wir wahrnehmen, dass sich unser Kind von seinem ursprünglichen Wesen weiter wegbewegt und entweder viel stiller oder viel aggressiver wird, sollten wir genauer hinsehen.

Schenken wir unseren Kindern also gerade jetzt Liebe, Anerkennung, Verständnis – und vor allem Gewaltverzicht. Schenken wir ihnen Aufmerksamkeit und die Beachtung ihrer Gefühle. All das ist generell wichtig für die Entwicklung von Kindern, aber gerade jetzt, nach diesem Jahr und in dieser Zeit hat es noch einmal einen ganz besonderen Stellenwert für die Entwicklung der Kinder. Und gerade dies sollte auch unser Blick nach vorn auf das nächste Jahr sein.

Eure

Zur Autorin:
Susanne Mierau ist Diplom-Pädagogin (Schwerpunkt Kleinkindpädagogik) und Familienbegleiterin. Sie arbeitete an der FU Berlin in Forschung und Lehre, bevor sie sich 2011 im Bereich bedürfnisorientierte Elternberatung selbständig machte. Ihr 2012 gegründetes Blog geborgen-wachsen.de und ihre Social Media Kanäle sind wichtige und viel genutzte freie Informationsportale für bedürfnisorientierte Elternschaft und kindliche Entwicklung. Susanne Mierau gibt Workshops für Eltern und Fachpersonal und spricht auf Konferenzen und Tagungen über kindliche Entwicklung, Elternschaft und Familienrollen.

Foto: Ronja Jung für geborgen-wachsen.de

Foto: Ronja Jung für geborgenwachsen.de

2 Kommentare

  1. Liebe Susanne,
    Ich lese nun schon lange hier mit und frage mich bei fast jedem Post, ob du davor meine Gedanken gelesen hast. Du sprichst mir so oft genau zur richtigen Zeit aus der Seele, deshalb möchte ich endlich einmal von Herzen „Danke“ sagen!
    Du machst mein Herz wieder weit für meine zwei Menschlein, wenn es gerade schwierig ist.
    Friedliche Weihnachten euch allen!

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