Kategorie: Trotzphase

Wer ist hier verantwortlich?

Streit und Auseinandersetzungen gehören zu unserem Leben dazu. Im Zusammenleben mit anderen geraten Meinungen aneinander, wir nehmen unterschiedliche Positionen ein. Das kommt bei erwachsenen Menschen ebenso vor wie bei Erwachsenen und Kind: zwei Meinungen und ein Kind, das noch nicht die Position und Gedankenwelt des Gegenüber einnehmen kann. Manchmal fällt es auch uns Erwachsenen schwer, nun die durchdachte, überlegte Position einzunehmen und auch wir werden wütend in einer Konfliktsituation. Wir streiten, schimpfen und erklären dem Kind dann „Das habe ich getan, weil du mich so wütend gemacht hast!“ Aber stimmt das wirklich?

Das Kind ist Schuld!?

„Weil du immer die Tasse beim Essen umwirfst, bekommst du das Getränk erst nach dem Essen!“, „Weil du immer so trödelst, kommen wir immer zu spät!“, „Weil du dein Brot nicht aufisst, verschwenden wir so viele Lebensmittel!“, „Weil du so frech bist, bin ich immer so fertig.“, „Weil du…“ Die Liste an Beschuldigungen, woran Kinder in den Augen Erwachsener schuldig sein könnten, ist lang. Und es mag sich zunächst auch erst einmal logisch anfühlen: Ursache: eigenwilliges Kind, Wirkung: Problem. Und daraus folgend Streit.

Doch diese Sichtweise entlässt uns Erwachsene aus der Pflicht. Als Erwachsene tragen wir die Verantwortung. Wir gehen den Weg voran, wir zeigen, wie der Alltag funktioniert und was Kinder wie lernen können. Wir sind Vorbild und Impulsgeber*innen. Kindern die Schuld zu geben daran, wenn immer wieder Situationen anders laufen als geplant, oder ihnen gar die Schuld an unseren Emotionen zu geben, vertauscht die Rollen.

Verantwortung übernehmen

Wenn Situationen in unserem Alltag schief laufen, ist es unsere Aufgabe als erwachsene Person zu hinterfragen: Wie kann ICH diese Situation anders gestalten, damit mein Kind damit anders umgeht? Wie kann ich die Rahmenbedingungen am Tisch ändern, damit es das Wasser nicht umwirft (stehen die Dinge an einem falschen Platz? Braucht es ein kleineres Glas? Möchte das Kind mit umgeworfenen/heruntergeworfenen Dingen zeigen, dass das Essen beendet ist?…) – und zwar ohne die Bestrafung, das Wasser wegzustellen? Wie kann ich als erwachsene Person morgens die Rahmenbedingungen ändern, damit wir pünktlich los kommen? Es ist zu viel von einem Kleinkind und selbst Grundschulkind verlangt, dass es selbst an Pünktlichkeit denkt und ein konkretes Zeitgefühl hat. Wie kann ich die Mahlzeiten entweder so anbieten, dass das Kind sie verzehrt (kleinere Portionen, mehr Orientierung an den Nährstoffen und Suche nach Alternativen Lebensmitteln, die diese enthalten)?

Ganz besonders wichtig ist, dass wir die Verantwortung übernehmen für unsere Gefühle: Unsere Kinder können in uns Gefühle auslösen, aber sie sind nicht Schuld daran. Sie sind Kinder. Als Erwachsene müssen wir verantwortungsvoll mit unseren Gefühlen umgehen. Das bedeutet: Natürlich dürfen wir enttäuscht, wütend, erschöpft etc. sein. Aber: Wir sollten dies nicht dem Kind anlasten, dass sich eben wie ein Kind verhält, sondern die Rahmenbedingungen betrachten, die uns dazu führen, dass wir das Kind vielleicht als zusätzlich belastend empfinden. Und ganz besonders sollten wir unseren Gefühle hinterher spüren und ihre Umsetzung betrachten: Wenn ich wütend bin, wie gehe ich mit meiner Wut um? Es liegt in unserer Verantwortung, gerade starke Gefühle kindgerecht ausdrücken und unsere Kinder nicht zu verängstigen, zu beschämen oder unter Druck zu setzen, weil wir selbst so fühlen, weil wir selbst keinen Weg finden, mit unseren Gefühlen umzugehen und sie ungefiltert an das Kind übergeben.

Als Eltern tragen wir Verantwortung. Und wir gehen als Beispiel für einen verantwortlichen Umgang mit den eigenen Gefühlen voran. Als Vorbild für eine – noch ferne – Zukunft.

Eure

Zur Autorin:
Susanne Mierau ist Diplom-Pädagogin (Schwerpunkt Kleinkindpädagogik) und Familienbegleiterin. Sie arbeitete an der FU Berlin in Forschung und Lehre, bevor sie sich 2011 im Bereich bedürfnisorientierte Elternberatung selbständig machte. Ihr 2012 gegründetes Blog geborgen-wachsen.de und ihre Social Media Kanäle sind wichtige und viel genutzte freie Informationsportale für bedürfnisorientierte Elternschaft und kindliche Entwicklung. Susanne Mierau gibt Workshops für Eltern und Fachpersonal und spricht auf Konferenzen und Tagungen über kindliche Entwicklung, Elternschaft und Familienrollen.

Foto: Ronja Jung für geborgen-wachsen.de

Sollen wir Konflikte mit Kindern vermeiden?

Gerade in Zeiten, die für uns anstrengend und schwierig sind, versuchen wir, unnötige Steine aus dem Weg zu nehmen. Das ist ein sehr sinnvolles Vorgehen. Es entlastet uns und gibt und Kraft für die anderen Aufgaben. Manchmal sind wir versucht, so auch bei den Kindern zu handeln: Bevor es wieder Streit gibt, mache ich es lieber anders. Das kann eine gute Idee sein, muss es aber nicht:

Meine Überzeugungen leiten mich

Manchmal machen es uns bestimmte Annahmen schwer, die wir im Laufe unseres Lebens erworben haben. Überzeugungen, die vielleicht aus der eigenen Kindheit stammen und von denen wir, wenn wir ehrlich darüber nachdenken, nicht wissen, warum sie falsch sein sollten. Solche Überzeugungen können uns den Alltag wirklich manchmal schwerer machen, als er sein müsste und wir können sie entspannt einmal zur Seite legen. Beispiele dafür können sein: „Kuchen darf nicht zum Frühstück gegessen werden!“, „Eine warme Mahlzeit am Tag muss sein!“, „Wer sich nicht bewegt, darf heute nicht fernsehen!“, „Wenn wir den Ablauf einmal anders machen, dann klappt das nie wieder mit…“ … Natürlich hat jede Familie eigene Werte und Leitsterne. Aber an manchen Stellen ist es auch völlig in Ordnung, sie zu hinterfragen und von ihnen abzuweichen, wenn wir feststellen, dass sie uns mehr einengen, als dass sie uns helfen. Und gerade in schwierigen Zeiten wie jetzt gerade, ist es gut, einfache Lösungen zur Entspannung zu finden.

Meine erwachsene Grundannahme ist falsch

Manchmal geraten wir mit unseren Kindern in einen Konflikt, weil wir eine falsche Grundannahme haben: Wir denken beispielsweise, das Kind könne etwas noch nicht. Das Kind aber fordert dieses Handeln ein, denn es verfolgt den eigenen Entwicklungsfortschritt und möchte lernen. Als Eltern könnten wir nun diesem scheinbaren Problem aus dem Weg gehen, indem wir die Situation vermeiden, damit der Konflikt nicht auftritt. Wir wären den Konflikt los, gleichzeitig würde das Kind aber nicht seiner Entwicklungsaufgabe nachkommen und das Problem würde sich eventuell nur verschieben.

In diesem Fall würde es nicht hilfreich sein, dem Konflikt aus dem Weg zu gehen, sondern wir müssten verstehen, warum das Kind beispielsweise darauf beharrt, sich allein anzuziehen, den Teller abzuräumen etc. – weil es dadurch die eigenen Kompetenzen ausbaut.

Die Situation ist nur ein Auslöser

Ähnlich verhält es sich auch in einer anderen Situation: Das Kind zeigt beispielsweise immer wieder abends ein bestimmtes Verhalten und ist wütend oder schimpft oder schreit. Die Eltern versuchen mit immer anderen Tricks diesem Verhalten zuvor zu kommen, ändern hier und da etwas am Ablauf, versuchen es dem Kind auf jede Art recht zu machen, aber es klappt einfach nicht. Das Verhalten des Kindes liegt nämlich nicht an einer bestimmten Situation, sondern das Kind sucht einen Kanal, um noch einmal Gefühle loszuwerden. Hier ist es hilfreicher, als dem Konflikt aus dem Weg zu gehen, andere Strategien auszuprobieren oder zu suchen, wie das Kind noch Ärger, Frustration oder Energie loswerden kann.

Wir wünschen uns, dass unsere Kinder fröhlich sind und lachen. Wir kommen schnell in Versuchung, unser Kind abzulenken oder den Grund für seine Traurigkeit zu mildern: „Ach, sei nicht traurig, ich kauf dir ein neues Kuscheltier.“ Manchmal ist dies eine gute Lösung. doch oft brauchen Kinder einen Menschen an ihrer Seite, der die Situation begleitet und ihnen ihre Gefühle spiegelt, damit sie damit umgehen lernen.

S. Mierau (2017): Ich! Will! Aber! Nicht!

Dem Konflikt nicht aus dem Weg gehen

Manchen Konflikten können wir tatsächlich nicht aus dem Weg gehen. An vielen Stellen können wir – wie oben gesehen – unsere Annahmen hinterfragen über unsere Werte oder Annahmen über das Kind, wir können die Ursache hinterfragen, aber manchmal gibt es eben doch nur den Konflikt zwischen Eltern und Kindern. Und auch das ist nicht schlimm. Auch Konflikte gehören zum Alltag dazu und über sie lernt das Kind viel über zwischenmenschliche Beziehungen, Diskursfähigkeit und andere Bedürfnisse. Wir müssen auch als liebevolle, bedürfnisorientierte Eltern nicht allen Konflikten aus dem Weg gehen – gerade weil wir die Bedürfnisse des Kindes im Blick haben und diese Auseinandersetzungen zur Entwicklung dazu gehören. Im Konflikt lernen Kinder etwas über sich, andere, den Umgang mit Gefühlen. Sie lernen, Wut und Enttäuschung auszudrücken und wie diese beruhigt werden können.

Wichtig ist also, sich die Ursache und die eigenen Gedanken erst einmal in Ruhe anzusehen und dann zu entscheiden, in welche Richtung wir gehen.

Eure

Zur Autorin:
Susanne Mierau ist Diplom-Pädagogin (Schwerpunkt Kleinkindpädagogik) und Familienbegleiterin. Sie arbeitete an der FU Berlin in Forschung und Lehre, bevor sie sich 2011 im Bereich bedürfnisorientierte Elternberatung selbständig machte. Ihr 2012 gegründetes Blog geborgen-wachsen.de und ihre Social Media Kanäle sind wichtige und viel genutzte freie Informationsportale für bedürfnisorientierte Elternschaft und kindliche Entwicklung. Susanne Mierau gibt Workshops für Eltern und Fachpersonal und spricht auf Konferenzen und Tagungen über kindliche Entwicklung, Elternschaft und Familienrollen.

Foto: Ronja Jung für geborgen-wachsen.de

Mit den starken Gefühlen meines Kindes umgehen

Die Gefühlswelt von Kindern ist groß und schillert in vielen Facetten. Anders als bei uns Erwachsenen, können sie die vielen unterschiedlichen und starken Gefühle aber noch nicht gut regulieren und sind auf uns und unsere Co-Regulation angewiesen: Anders als Säuglinge schaffen es Kleinkinder schon mehr, ihre Bedürfnisse etwas aufzuschieben, mehr zu kooperieren und fangen an, auch die Perspektive der Eltern einzunehmen, aber viele Gefühle werden noch sehr intensiv ausgelebt und können nicht gut eingeordnet und verarbeitet werden. Das liegt vor allem an der Gehirnentwicklung: Das Fühlen und überlegte Denken des Kindes ist noch nicht wie bei erwachsenen Menschen miteinander verbunden, weshalb sie noch impulsiv reagieren. Erst durch die Einordnung und Begleitung durch Erwachsene lernen Kinder nach und nach mit Gefühlen umzugehen und bilden ein Muster für den Umgang mit den einzelnen Gefühlen aus.

Gefühle wollen begleitet werden

Allein ist es dem Kind noch nicht möglich, die starken Gefühle, die es wahrnimmt, einzuordnen. Es braucht dafür andere erwachsene Bezugspersonen, die

So lernt es zunehmen, mit den Gefühlen umzugehen, sie wahrzunehmen, einzuordnen und einen passenden Ausdruck dafür zu finden. Hilfreich kann es auch sein, abseits von aktuellen Gefühlssituationen, passende Bücher über die Bandbreite von Gefühlen gemeinsam anzusehen. Lehnen wir hingegen bestimmte Gefühle bei dem Kind ab, unterdrückt es diese zunehmend und bildet keinen guten Zugang zu ihnen aus, lehnt sie bei sich selbst und anderen ab, was sich auf die Selbstwahrnehmung und Interaktion mit anderen auswirkt. Zeigen wir keine Umgangsmöglichkeiten mit Gefühlen auf und helfen dem Kind nicht, einen guten Umgang mit starken Gefühlen zu finden, hat das Kind Schwierigkeiten, selber gute Strategien auszubilden und kann somit schuldlos immer wieder an gesellschaftliche Konventionen anstoßen.

Gefühle übersetzen

Während es auf der Seite des Kindes wichtig ist, dass wir Eltern dem Kind die Gefühle erklären, sie begleiten und benennen, ist es auf der anderen Seite auch für uns Eltern wichtig, uns selbst das Verhalten des Kindes zu erklären und den Ausdruck der Gefühle zu übersetzen: Was zeigt mein Kind mit seinem Verhalten? Was braucht es gerade, wenn es wütend, traurig oder freudig ist?

Es ist ebenso wichtig, die Freude eines Kindes zu begleiten und sich mitzufreuen, wie Wut oder Angst zu begleiten. Allerdings erscheint es uns manchmal einfacher, die Freude zu teilen, als die Angst eines Kindes anzunehmen, zu verstehen, dass es jetzt ein Gefühl von Sicherheit braucht, auch wenn wir als Erwachsene die Situation nicht als ängstigend einschätzen. Auch hier gilt: Zunächst nehmen wir das Gefühl des Kindes respektvoll an, zeigen mit unserem Verhalten Beruhigungsstrategien auf und zeigen dadurch gleichzeitig, dass dies keine Situation ist, in der das Kind sich ängstigen muss. So erlernt es nach und nach Kompetenz im Umgang. Ist es doch eine Situation, in der Angst angebracht ist, lernt das Kind durch unser Vorbild einen respektvollen Umgang mit der Situation.

Gerade in Situationen, die Kinder noch nicht gut überblicken können, die neu sind, in denen Veränderungen eingetreten sind (vielleicht sogar plötzlich), können Kinder starke Gefühle zeigen. Das ist in einer solchen Situation, die vielleicht auch für die Eltern noch neu und übersichtlich ist, besonders anstrengend. Dennoch ist es aber wichtig, diese starken Gefühle des Kindes als Ausdruck dieser Verunsicherung oder Umgewöhnung zu sehen und sie weder abzulehnen/zu unterdrücken, noch ins Leere laufen zu lassen. Gefühle wollen begleitet werden, damit Kinder zunehmend gut selbständig damit umgehen können.

Eure

Zur Autorin:
Susanne Mierau ist Diplom-Pädagogin (Schwerpunkt Kleinkindpädagogik) und Familienbegleiterin. Sie arbeitete an der FU Berlin in Forschung und Lehre, bevor sie sich 2011 im Bereich bedürfnisorientierte Elternberatung selbständig machte. Ihr 2012 gegründetes Blog geborgen-wachsen.de und ihre Social Media Kanäle sind wichtige und viel genutzte freie Informationsportale für bedürfnisorientierte Elternschaft und kindliche Entwicklung. Susanne Mierau gibt Workshops für Eltern und Fachpersonal und spricht auf Konferenzen und Tagungen über kindliche Entwicklung, Elternschaft und Familienrollen.

Foto: Ronja Jung für geborgen-wachsen.de

Mein Kind macht nicht, was ich will

Manchmal ist es mit der Eigenständigkeit der Kinder ziemlich schwer: Auf der einen Seite sind sie manchmal nicht da selbständig, wo wir es gerade wünschen und auf der anderen Seite machen sie Dinge, die wir gerade nicht wollen. Manchmal stellt sich uns deswegen die Frage: Mache ich eigentlich alles falsch? „Funktioniert“ unsere Erziehung nicht, weil das Kind gar nicht das tut, was es gerade tun soll?

Kinder haben einen eigenen Entwicklungsplan

Das Handeln von Kindern wird insbesondere durch ihren eigenen Entwicklungsplan geleitet: Neugierde ist der Motor ihrer Entwicklung und sie bewegen sich beständig voran in der Entwicklung – nach ihrer Agenda. Zwar gibt es bestimmte Zeitfenster, in der Kinder neue Fertigkeiten lernen, aber ob gerade die Feinmotorik, die Grobmotorik, die Sprache oder das Sozialverhalten im Vordergrund steht, kann bei verschiedenen Kindern gleichen Alters durchaus unterschiedlich sein. Auch das Temperament bestimmt dabei stark, wie sich das Verhalten des Kindes zeigt: Ist das Kind besonders extrovertiert, neugierig und geht freudig auf andere Personen und Erfahrungen zu? Hat es vielleicht auch wenig Gefahrenbewusstsein und zieht sich seltener zurück? Oder ist es genau anders und vorsichtig, wenig aufgeschlossen, fürchtet sich eher vor neuen Dingen und reagiert auf Gefahr schnell mit Rückzug?

Es kann deswegen durchaus sein, dass es in unseren Augen so erscheint, dass das Kind nicht das macht, was wir uns wünschen, weil es gerade in einem eigenen Entwicklungsthema steckt. Das Kind „trödelt“ auf jedem Weg, weil es wahlweise klettert, balanciert, rückwärts läuft oder schleicht. Wir nehmen wahr: „Das Kind hört nicht auf mich, wenn ich sage, es soll sich beeilen!“ In Wirklichkeit hat das Handeln des Kindes aber nichts mit unserer Ansage zu tun, sondern mit dem Entwicklungswunsch des Kindes. Würde es das eigene Verhalten reflektieren und benennen können, würde es sagen: „Ich baue gerade meine Motorik aus und übe balancieren und unterschiedliche Arten des Laufens!“

Kinder denken und fühlen anders

Und auch in Bezug auf die Gefühlswahrnehmung und -verarbeitung sieht es bei Kindern noch ganz anders aus als bei uns Erwachsenen. Kinder haben bis ins Schulalter hinein Schwierigkeiten mit der Impulskontrolle. Gerade Kleinkinder sind noch besonders auf Co-Regulation angewiesen: Sie können noch nicht allein ihre Gefühle einordnen, verarbeiten und mit ihnen umgehen. Sie brauchen Erwachsene, die sie darin begleiten und den Gefühlen Worte geben, erklären, dass sie in Ordnung sind, die breite Palette an Gefühlen zum Leben dazu gehört, spiegeln, was sie wahrnehmen und ihnen schließlich gute Möglichkeiten vorstellen, wie sie diese Gefühle ausleben können: „Wenn du traurig bist, dann kann es sein, dass du weinen musst und es kann dir gut tun, von anderen in den Arm genommen zu werden.“ oder „Wenn jemand dich ärgert, wirst du wütend und deine Wut kannst du in Worte fassen, statt zu hauen oder du kannst ganz stark aufstampfen.“

Ihre Gefühle drücken Kinder lange anders aus als wir Erwachsene. Sie sind auf dem Weg, zu lernen, mit ihnen umzugehen. Auf uns mag es manchmal so wirken, als würden sie einfach nicht auf uns hören, wenn wir sagen oder denken: „Du musst doch deswegen nicht so ausflippen!“ Aber sie können wahrscheinlich noch nicht anders, als gerade jetzt genau so zu handeln. Es hat nichts damit zu tun, dass wir inkompetent wären als Eltern, wenn das Kind die eigenen Gefühle nicht so darstellt oder sich gefühlsmäßig so verhält, wie wir es wollen.

Hinter das Verhalten sehen

Es kann viele Gründe geben, warum Kinder sich nicht so verhalten, wie wir es uns wünschen. Das bedeutet nicht zwangsweise, dass etwas an unserem Erziehungsstil nicht richtig wäre oder wir als Eltern versagen, weil das Kind nicht auf das Wort folgt.

Wenn Kinder sich anders verhalten, als wir es wünschen und wir uns und unser Familienleben deswegen in Frage stellen, können wir unser Denken in drei Richtungen bewegen:

  • Was steckt hinter dem Verhalten des Kindes? Ist es gerade ein besonderer Entwicklungsschritt, ein Entwicklungsimpuls? Oder ist es „einfach“ der Umstand, dass unsere Erwartungen zu hoch gehängt sind und wir vom Kind Dinge erwarten, die es noch gar nicht so leisten kann?
  • Fordert das Kind mit seinem Verhalten nicht einen Entwicklungsraum, aber einen Beziehungsraum ein? Braucht es gerade mehr Aufmerksamkeit und Zuwendung, weil es vielleicht innere oder äußere Rahmenbedingungen gibt, die es verunsichern, weshalb es mehr Nähe, Schutz und Zuwendung braucht und fordert dies durch sein Verhalten ein?
  • Welche Glaubenssätze leiten uns gerade, zu denken, dass wir als Eltern versagen, wenn das Kind nicht folgt? Warum haben wir das Gefühl, schlecht zu sein, wenn gerade keine Harmonie herrscht zwischen unseren Erwartungen und denen des Kindes? Haben wir unrealistische Glaubenssätze in uns verankert, die uns den Alltag erschweren wie „Kinder müssen gehorchen“ oder „Kinder müssen das machen, was Erwachsene sagen“ oder auch „Kinder dürfen uns nicht auf der Nase herumtanzen und Nicht-Befolgen von Anordnungen ist Herumtanzen“.

Unrealistische Erwartungen an das kindliche Verhalten zu korrigieren ist einfacher, als eigene Glaubenssätze zu verändern. Wir können uns anlesen, was Kinder wann können und lernen und warum ihr Verhalten manchmal Ausdruck ihrer eigenen Agenda ist. Zu verstehen, dass das Verhalten des Kindes aber nicht zwangsweise uns Eltern in Frage stellt, ist viel schwerer, weil es oft tief in uns verwurzelt ist, dass Kinder folgen müssen und das Nicht-Folgen als Scheitern der eigenen Fähigkeiten wahrgenommen wird. Dabei steht beides nicht zwangsweise in einem Zusammenhang.

Dein Kind macht gerade nicht das, was du willst. Schau also hin, warum es das tut, was es tut: Was ist sein Antrieb, was könnte sein Ziel im Verhalten sein? Entwickelt es Fertigkeit, fordert es gerade Aufmerksamkeit und Beziehung ein? Welche der beiden Fragen die Ursache für das Verhalten auch sein mag, ist die Antwort auf das Problem des „falschen“ Verhaltens: Beziehung. Wir müssen versuchen, die Handlungen zu verstehen und erkennen, dass das, was gerade passiert, kein Machtakt des Kindes ist, sondern ein Entwicklungs- oder Beziehungsthema. Es ist normal, dass Kinder manchmal anders handeln als wir es erwarten oder wünschen.

Eure

Zur Autorin:
Susanne Mierau ist Diplom-Pädagogin (Schwerpunkt Kleinkindpädagogik) und Familienbegleiterin. Sie arbeitete an der FU Berlin in Forschung und Lehre, bevor sie sich 2011 im Bereich bedürfnisorientierte Elternberatung selbständig machte. Ihr 2012 gegründetes Blog geborgen-wachsen.de und ihre Social Media Kanäle sind wichtige und viel genutzte freie Informationsportale für bedürfnisorientierte Elternschaft und kindliche Entwicklung. Susanne Mierau gibt Workshops für Eltern und Fachpersonal und spricht auf Konferenzen und Tagungen über kindliche Entwicklung, Elternschaft und Familienrollen.

Foto: Ronja Jung für geborgen-wachsen.de

Der Start in den Tag mit einem Kleinkind

Viele Fragen von Eltern kreisen um den Ausklang des Tages: Wann müssen Kinder ins Bett? „Müssen“ Kinder überhaupt ins Bett oder können sie das selbst entscheiden? Wie gelingt ein guter Abschied vom Tag und wie entwickelt sich das Schlafverhalten von Kindern? Der Beginn des Tages ist oft weniger im Fokus von Elternfragen, obwohl auch er sich manchmal besonders schwierig gestaltet, besonders mit einem Kleinkind und als Beginn des Tages eigentlich auch einen besonderen Stellenwert hat.

Der Start in den Tag legt oft die Grundstimmung fest, wie wir uns fühlen und ob wir mit einem schlechten Gefühl und innerem Hadern den Tag beginnen, oder recht entspannt beginnen können. Eine negative Grundstimmung am Morgen kann sich in den weiteren Verlauf des Tages hineinziehen und sich auf den Arbeitsalltag auswirken und unser Wohlbefinden. Gelingt es uns, den Morgen bereits relativ stressfrei zu gestalten, fallen uns auch die weiteren Schritte des Tages leichter.

Abläufe für einen entspannten Start

Müde Kinder können nur schwer kooperieren – das gilt am Abend genauso wie am Morgen. Im Gegensatz zum Abend haben wir aber am Morgen die Möglichkeit, die Kinder anders einzubinden bzw. sie erst später dazu zu holen und ihnen einerseits mehr Zeit zum Ausschlafen zu geben und andererseits in Ruhe die Umgebung vorzubereiten, damit das Ausmaß der notwendigen Kooperation möglichst gering ist – gerade für diejenigen Kinder, die nicht besonders früh von allein aufstehen, ist das hilfreich.

Für einen entspannten Start in den Tag mit Kleinkind können wir daher folgende Punkte vorbereiten:

  • Vorbereitungen am Abend: Sofern das Kind dies zulässt und nicht morgens ganz anders denkt als am Tag zuvor, bietet es sich an, am Abend mit dem Kind die Kleidung für den nächsten Tag zurechtzulegen, so dass das Kind am Morgen einen kleinen Stapel an Kleidung hat von der Unterwäsche ganz oben bis zum letzten Kleidungsstück das angezogen werden muss ganz unten. Dies kann als Ritual eingeführt werden und auch wenn es vielleicht anfangs noch Abwandlungen gibt, ist es für viele Kinder mit der Zeit hilfreich und eine gute Orientierung, an die sie sich gewöhnen. Wollen sich Kinder allein anziehen und schaffen das, kann ein Bild hilfreich sein mit den Dingen, die sie zum vollständigen Anziehen aus dem Schrank nehmen müssen (Anzahl Socken, Unterhose,…)
  • Den Frühstückstisch am Abend vorbereiten: Auch das Decken des Frühstückstisches am Abend Spart am Morgen Zeit (besonders für die Eltern) und gibt dem Kind am Morgen Struktur, wenn bereits alle notwendigen Dinge auf dem Tisch stehen und keine Entscheidungen getroffen werden müssen: der Tisch ist gedeckt, einige Zutaten (beispielsweise Cerealien) stehen schon bereit, andere werden vorbereitet aus dem Kühlschrank schnell dazu gestellt (beispielsweise am Abend kleingeschnittenes Obst).
  • Klare Abläufe können auch visualisiert werden: Für viele Kinder ist es bis ins Schulalter hinein praktisch, eine Art „Fahrplan“ für den Morgen zu haben. Darauf kann mit kleinen Bildern abgebildet sein, was nacheinander am Morgen passiert: Aufstehen, Anziehen, Frühstücken, Zähneputzen,… finden auf einem kleinen Poster ihren Platz und helfen, den Morgen zu strukturieren.
  • Vor dem Kind aufstehen: Eine viertel bis halbe Stunde vor dem Kind aufzustehen, hilft bei den Vorbereitungen und gibt noch Raum für eigene Morgenrituale. Nach dem Aufstehen kann fünf Minuten lang aufgeschrieben werden, an was heute alles gedacht werden muss oder wer welche Aufgaben in der Familie erledigt. Ein Tee kann aufgebrüht werden, der entspannt getrunken wird und es gibt Zeit, um tief durchzuatmen.
  • Klare Ansagen: Vielen Kindern hilft es, ganz klar zu kommunizieren: Statt „Es wäre schön, wenn du jetzt…“ klar formulieren: „Bitte lege jetzt die Brotdose in den Rucksack.“ Auch wiederholte Zeitangaben sind oft eine Unterstützung: „Wir gehen in 10 Minuten los.“, „Wir gehen in 5 Minuten los.“ Mit der Zeit bekommt das Kind dann einen immer besseren Eindruck von den immer gleichen Zeitspannen. Hilfreich kann es auch sein, eine Sanduhr aufzustellen oder eine Eieruhr klingeln zu lassen: „Wenn die Uhr klingelt, musst Du in den Flur kommen, dann haben wir noch 10 Minuten zum Anziehen.“ Mit solch eingebauten Puffern können auch mehr Zeit in Anspruch nehmende Reaktionen des Kindes abgefedert werden.

Insbesondere geht es am Morgen darum, dass wir den Start des Tages entstressen. Stress führt oft zu negativem Erziehungsverhalten: zu Streit, Schimpfen, Druck und manchmal zu physischen oder psychischen Grenzüberschreitung. All dies bereuen viele Eltern im Anschluss, sehen aber in der aktuellen Situation am Morgen unter Zeitdruck keine andere Möglichkeit und sowohl Eltern als auch Kinder starten dann gestresst und genervt in den Tag. Mit einigen Vorbereitungen können wir vielen Stressoren am Morgen vorbeugen und diesen negativen Erfahrungen am Tagesbeginn entgegenwirken.

Habt Ihr noch mehr Ideen oder Anregungen für einen stressfreien Tagesbeginn?
Eure

Zur Autorin:
Susanne Mierau ist Diplom-Pädagogin (Schwerpunkt Kleinkindpädagogik) und Familienbegleiterin. Sie arbeitete an der FU Berlin in Forschung und Lehre, bevor sie sich 2011 im Bereich bedürfnisorientierte Elternberatung selbständig machte. Ihr 2012 gegründetes Blog geborgen-wachsen.de und ihre Social Media Kanäle sind wichtige und viel genutzte freie Informationsportale für bedürfnisorientierte Elternschaft und kindliche Entwicklung. Susanne Mierau gibt Workshops für Eltern und Fachpersonal und spricht auf Konferenzen und Tagungen über kindliche Entwicklung, Elternschaft und Familienrollen.

Foto: Ronja Jung für geborgen-wachsen.de

Foto: Katja Vogt

Die Challenge: Autonomie neu denken

Mittlerweile hat sich herumgesprochen, dass für die Phase, in der Kleinkinder danach streben selbst wirksam zu sein, immer mehr Dinge selbst zu tun und gleichzeitig aber noch Schwierigkeiten mit der Impulskontrolle und dem Umgang mit ihren Gefühlen haben, die Bezeichnung „Trotzphase“ nicht passend ist. Denn das, was Kinder tun, ist kein Starrsinn, kein Machtkampf.

Autonomie!?

Sie begehren nicht auf, um aufzubegehren, sondern um ihre Kompetenzen zu erweitern, um zu lernen und sich zu entwickeln, damit sie immer mehr in das Leben mit seinen Aufgaben hinein wachsen. Wir sprechen deswegen oft auch von der „Autonomiephase“, weil die Kinder lernen, Dinge allein zu bewerkstelligen und allein erledigen wollen. Und auch in Bezug auf ihre Gefühlswelt begeben sie sich auf den Weg, die Selbstregulation nach und nach auszuprobieren und von uns erlernte Muster anzuwenden.

Dennoch trifft auch das Wort „Autonomiephase“ nicht ganz den Punkt dieser Zeit. Denn das Selbermachen und die Selbstwirksamkeit sind nicht auf eine Phase beschränkt, sondern in der gesamten Entwicklung eines Menschen wichtig, von Anfang an. Und auch der Begriff der Autonomie birgt manches Mal den Gedanken, Kinder wären dabei ausschließlich auf ihr eigenes Vorankommen fokussiert und wären vielleicht doch die egoistischen kleinen Tyrannen, als die sie von manchen Menschen bezeichnet werden. Es geht aber um mehr als nur Eigenständigkeit, es geht auch um Zugehörigkeit und die bedingungslose Schutzfunktion von Bindung.

Lernen, um in der Gesellschaft zurecht zu kommen

Das streben danach, eigene Fertigkeiten auszubauen ist sicherlich damit verwoben, selbständig zu werden und für sich sorgen zu können. Dabei sind und werden Kinder aber keine kleinen Eigenbrödler, sondern sind sowohl jetzt als auch zukünftig im gesellschaftlichen Kontext zu sehen. Sie lernen nicht nur für sich, sondern auch für ihr Zusammenleben mit anderen: mit ihrer Familie, in ihrem weiteren sozialen Netz, in unserer Gesellschaft. Sie lernen, ihre Kooperationsfähigkeiten weiter auszubauen und eigene Aufgaben zu übernehmen, um in ihrem sozialen Umfeld Teil zu haben und zu unterstützen.

Wir sehen es jeden Tag an unseren Kindern, dass sie helfen und unterstützen wollen, auch wenn wir Erwachsene diese Hilfe nicht als solche anerkennen, weil sie noch in den Kinderschuhen steckt: Das Kind, das beim Zubereiten des Essens helfen möchte und etwas klein schneiden oder umrühren möchte. Das Kind, das die Cornflakestüte in die Aufbewahrungstüte umkippen möchte und dabei die Hälfte daneben gehen lässt, weil die Auge-Hand-Koordination und Feinmotorik doch noch nicht ausreichend ausgebildet ist. Es gibt jeden Tag viele Tätigkeiten unserer Kinder, die uns zeigen, dass sie eigentlich auf dem Weg sind, Unterstützung zu lernen.

Konflikte im Miteinander: Auch das ist Lernen

In einer Gesellschaft sind unsere Kinder einerseits mit ihren Handlungen und Tätigkeiten Teil einer Gruppe, aber auch mit ihrem Wesen. Auch das Zugehörigkeitsgefühl bildet sich nach und nach aus und es ist für Kinder wichtig, Teil einer Gruppe zu sein und sich als solchen Teil auch zu empfinden. Und im Gegenteil: Der Ausschluss ist für Kinder nicht nur emotional schmerzhaft, sondern wird teilweise sogar als richtiges Schmerzgefühl erlebt und lässt Kinder weinen. Auch hier lernen also Kinder im sozialen Miteinander: Was ist in einer Gruppe okay, was nicht? Wie bewege ich mich in einer Gruppe, welche Werte werden transportiert? Und auch: Was ist in unterschiedlichen Gruppen verschieden? Warum ist es für andere Kinder in Ordnung, wenn ich sie „Pupsnase“ nenne, aber Erwachsene reagieren anders darauf? Kleinkinder lernen auch soziales Miteinander, um sich in einer Gruppe zurecht zu finden, um Teil davon zu sein.

Der amerikanische Autor Alfie Kohn* schreibt „Manchmal wird die Annahme, Kinder wollten uns testen, sogar als Begründung angeführt, sie zu bestrafen. Mein Verdacht ist jedoch, dass Kinder durch ihr Fehlverhalten vielleicht etwas völlig anderes testen wollen – nämlich die Bedingungslosigkeit unserer Liebe. Vielleicht verhalten sie sich auf unannehmbare Weise, um herauszufinden, ob wir sie dann nicht mehr annehmen.“ Beziehen wir dies auf die manchmal schwierigen Situationen mit Kleinkindern, sehen wir: Kinder brauchen das Gefühl, dazu zu gehören. Gerade kleine Kinder sind noch auf den Schutz, den das Bindungssystem verspricht, angewiesen und wollen uns nicht erzürnen oder verärgern, sondern Teil sein und sich sicher sein, dass sie geschützt und versorgt werden.

Zeigen sie ein Verhalten, das uns denken lässt, sie würden uns provozieren, können wir auch hier überlegen: Was steckt eigentlich dahinter? Welches Beziehungsthema hat mein Kind gerade? Die Antwort auf eine scheinbare Provokation ist deswegen die Bestätigung, dass das Kind auch weiterhin geliebt wird. Natürlich können wir dennoch signalisieren, dass dieses Verhalten für das Zusammensein nicht gut ist.

Ein Beispiel hierfür: Scheinbar wahllos wirft das Kind die Sachen aus dem Regal auf den Boden. Wir fragen uns: Was soll daran sinnvoll sein? Hier lernt das Kind keine Fertigkeiten. Vielleicht aber ist es auf der Suche nach einem Beziehungsangebot: Vielleicht fühlt es sich nicht gesehen, nicht verstanden, ist ihm langweilig. Wir könnten klassischerweise reagieren mit einem „Lass das, hör sofort auf.“ Das Kind hört vielleicht auf, weil es Angst hat. Das ursprüngliche Thema des Kindes wird allerdings nicht beachtet, mit hoher Wahrscheinlichkeit wird es ein ähnliches oder anderes, für uns störendes Verhalten bald wieder zeigen. Was wir alternativ sagen können: „Jetzt hast du alle Sachen runtergeworfen. Mich ärgert das, weil die Sachen wieder aufgeräumt werden müssen und ich habe Angst, dass etwas kaputt geht, wenn du die Sachen runter wirfst. Warum hast du das gemacht? Bist du sauer?“ Wir erklären, wie es uns geht, warum die Situation für uns nicht in Ordnung ist und was das für uns bedeutet und gleichzeitig zeigen wir dem Kind mit unserer Frage, dass es wichtig ist und wir uns um die Hintergründe des Kindes kümmern. Wir können vermitteln: Das, was gerade gemacht wurde, ist nicht okay, aber das ändert nichts daran, dass ich dich lieb habe. Kinder lernen nicht daraus „richtiges“ Verhalten in einer Gesellschaft zu zeigen, weil sie sonst Liebesentzug erwarten, sondern sie lernen das passende soziale Verhalten durch Vorbildverhalten von uns Erwachsenen und dem Bedürfnis nach Teilhabe und Kooperation, das aus ihnen selbst schon entspringt.

Probier es aus: Sieh die Beweggründe des Handelns

Wir können unseren Alltag mit Kleinkindern erleichtern, wenn wir die wahren Beweggründe ihres Handelns erkunden und in unseren Handlungen berücksichtigen. Wenn das Kind also etwas tut, das uns stört, das uns verärgert, das uns mehr Arbeit bringt, können wir uns fragen: Macht es das gerade, um etwas zu lernen? Möchte es gerade eine Fertigkeit ausbauen, lernt es gerade fein- oder grobmotorisch? Lernt es gerade Sozialverhalten und gleicht sich mit anderen ab? Und wenn wir keine Antwort finden, können wir uns noch fragen: Steckt hinter dem Verhalten des Kindes eigentlich eine Beziehungsfrage, eine Beziehungsaufforderung, möchte das Kind gesehen werden und braucht es gerade eine Versicherung, das wir es lieben und weiterhin schützen und versorgen?

Es macht den Alltag leichter, wenn wir von unseren Kindern nichts Böses denken, wenn wir nicht denken, dass sie uns ärgern/manipulieren/herausfordern wollen. Sondern wenn wir denken, dass die Menschen sind, die gerade lernen, sich in die Welt hinein bewegen und all das, was sie tun, deswegen machen, weil sie dazugehören wollen. Und dieser Gedanke kann ein wunderbar hilfreicher Leitstern sein für schwierige und weniger schwierige Tage.

Eure

Zur Autorin:
Susanne Mierau ist Diplom-Pädagogin (Schwerpunkt Kleinkindpädagogik) und Familienbegleiterin. Sie arbeitete an der FU Berlin in Forschung und Lehre, bevor sie sich 2011 im Bereich bedürfnisorientierte Elternberatung selbständig machte. Ihr 2012 gegründetes Blog geborgen-wachsen.de und ihre Social Media Kanäle sind wichtige und viel genutzte freie Informationsportale für bedürfnisorientierte Elternschaft und kindliche Entwicklung. Susanne Mierau gibt Workshops für Eltern und Fachpersonal und spricht auf Konferenzen und Tagungen über kindliche Entwicklung, Elternschaft und Familienrollen.

Foto: Ronja Jung für geborgen-wachsen.de

Weiterführende Literatur**:
*Kohn, Alfie (2015): Liebe und Eigenständigkeit. Die Kunst bedingungsloser Elternschaft, jenseits von Belohnung und Bestrafung. Freiburg: Arbor.
Mierau, Susanne (2017): Ich! Will! Aber! Nicht! Die Trotzphase verstehen und gelassen meistern. München: Kösel.
Mierau, Susanne (2017): Geborgene Kindheit. Kinder vertrauensvoll und entspannt begleiten. München: Kösel.

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Elterliche Präsenz – Anwesend sein ohne zu leiten

Zwischen dem Bedürfnis nach Schutz, Nähe und Fürsorge haben Kinder das Bedürfnis nach Exploration: Sie wollen die Welt erkunden, lernen, sich darin bewegen und sich so Stück für Stück die Welt aneignen. Zwischen diesen beiden Bedürfnissen bewegen sie sich jeden Tag an vielen Stellen hin und her. Wir sehen das daran, wenn das Kleinkind ein Stück voran läuft, freudig das Rennen übt und auf etwas neugierig zuläuft und plötzlich stehen bleibt, um sich zu versichern, dass die schützende Person noch anwesend ist. Auch in anderen Situationen nehmen wir wahr, dass es immer wieder ein Hin und Her gibt zwischen Erkundung und Nähe – je größer die Kinder werden, desto ausgedehnter werden die einzelnen Phasen.

Manchmal fallen Nähe und/oder Freiheit schwer

Für das Kind ist es deswegen wichtig, dass es beides hat und erfährt: die Nähe der Eltern und zugleich die Möglichkeit, zu erkunden. Manchmal erscheint gerade das aber gar nicht so einfach, wenn Eltern in Bezug auf die Nähe und/oder das Zulassen der Erkundung Schwierigkeiten haben. Wie kann es aussehen, das Kind in Bezug auf den Erkundungsdrang einzuschränken? Beispielsweise indem wir immer wieder die Betonung auf Gefahren lenken und dem Kind nicht altersgerechte Erkundung ermöglichen: „Nein, lieber nicht klettern!“, „Das Brot darfst du dir nicht schmieren, du könntest dich am Messer schneiden!“… Aber auch in Bezug auf die Nähe können wir Schwierigkeiten haben, wenn wir das Kind länger versuchen zu trösten, obwohl es schon wieder los möchte. Vielleicht, weil wir selbst verängstigt sind und weniger das Kind trösten, sondern mehr uns selbst. Oder – das Gegenteil -indem wir die Nähe nicht zulassen, wenn das Kind sie gerade einfordert: „Sei nicht immer so ängstlich!“

Es ist manchmal ein schmaler Grad und gerade für Eltern, die vielleicht selber Schwierigkeiten mit Nähe und Distanz haben und diese selber nicht beide gut ausleben konnten, ist es schwer, einzuschätzen, was das Kind gerade braucht, was angemessen oder auch altersgerecht ist. Auch Erlebnisse im Laufe unseres Lebens oder gehörte Geschichten können es uns schwer machen.

Der Gedanke von „Präsenz“ kann es erleichtern

Es hört sich so einfach an und ist dennoch oft so schwer: Wir müssen gar nicht so viel tun, um unsere Kinder zu begleiten. Wir müssen vor allem da sein. Der Gedanke daran, als Elternteil „präsent“ zu sein, kann vielen Eltern helfen, die Situation besser einzuschätzen.

Wir sind präsent, wenn wir anwesend sind, wenn das Kind etwas erkundet. Wir müssen nicht vormachen, wie man mit einem Spielzeug umgeht oder mit einem ungefährlichen Haushaltsgegenstand. Wir können anwesend sein und bei Bedarf des Kindes als Ansprechperson zur Verfügung stehen. Wenn das Kind uns auffordert, zu helfen, etwas anzusehen, zu erklären, sind wir da.

Wir sind präsent, wenn das Kind sich von uns entfernt und bleiben in einer angemessenen Entfernung, die Sicherheit bietet, wenn es sich von uns weg bewegt in einem sicheren Umfeld. Viele Kinder pausieren in der Erkundung, um sicherzustellen, dass die Erwachsenen noch in der Nähe sind. In gefährlichen Situationen wie dem Straßenverkehr, die ein kleines Kind noch nicht überblicken kann, sind wir in der präsenten Schutzfunktion und verdeutlichen, dass jetzt keine Erkundung möglich ist. Es fällt dem Kind einfacher, wenn es weiß, dass es später wieder in die Erkundung gehen kann.

Wir sind präsent, wenn das Kind wütend ist. Manchmal lässt es im ersten Moment oder den ersten Minuten keine Nähe zu, sondern lebt diese Wut aus, entlädt das Gefühl, das in ihm aufgekommen ist. Mit einem Abwarten in der Nähe sind wir präsent und drücken mit Anwesenheit oder auch sprachlich aus: „Ich bin hier, wenn du bereit bist. Ich tröste dich, wenn du es brauchst.“

Wir sind präsent, wenn das Kind Zuwendung braucht: Gerade jetzt braucht es Schutz und Nähe – nach einem Wutanfall. nach einem Streit, weil es sich verletzt hat. In diesem Moment sind wir für das Kind da und können körperlich und sprachlich ausdrücken: „Ich bin dein sicherer Hafen. Ich schütze dich, ich halte dich, wenn du es brauchst.“ Und wir bemerken, wenn das Kind von der Nähe und dem Schutz gesättigt ist und lasses es wieder gehen. Bei einigen Kindern geht es schneller, bei anderen dauert es länger.

Wenn wir also im Alltag manchmal Schwierigkeiten haben damit, ob wie zu nah oder zu weit weg sind, denken wir an den Begriff der Präsenz und erinnern uns daran, dass wir zugänglich sein sollten für das Kind und seine Bedürfnisse, ohne dabei aufdringlich zu sein und unser eigenes Denken und Handeln in den Vordergrund zu stellen.

Eure

Zur Autorin:
Susanne Mierau ist Diplom-Pädagogin (Schwerpunkt Kleinkindpädagogik) und Familienbegleiterin. Sie arbeitete an der FU Berlin in Forschung und Lehre, bevor sie sich 2011 im Bereich bedürfnisorientierte Elternberatung selbständig machte. Ihr 2012 gegründetes Blog geborgen-wachsen.de und ihre Social Media Kanäle sind wichtige und viel genutzte freie Informationsportale für bedürfnisorientierte Elternschaft und kindliche Entwicklung. Susanne Mierau gibt Workshops für Eltern und Fachpersonal und spricht auf Konferenzen und Tagungen über kindliche Entwicklung, Elternschaft und Familienrollen.

Foto: Ronja Jung für geborgen-wachsen.de

Konfliktsituationen zwischen Kindern begleiten mit Gewaltfreier Kommunikation

Janine Ringel hat zusammen mit ihrem Mann Stephan Ringel einen kleinen Kindergarten in Lübeck gegründet auf Basis einer Kindertagespflegestelle. Sie haben sich ein eigenes Konzept ausgedacht für den Kindergarten, das insbesondere die Gewaltfreie Kommunikation nach Marshall B. Rosenberg in den Blick nimmt. Wie genau dies in Konflikten zwischen Kindern im Alltag umgesetzt wird, erklärt Janine:

Grundsatz: Es gibt keine Schuld und damit auch keine Strafe 

Wir gehen davon aus, dass jedes Kind/jede Person in jeder Situation auf die Art und Weise reagiert, wie es ihm momentan auf Grundlage seiner Gefühle und Bedürfnisse möglich ist. Auch ein Verhalten wie hauen, schubsen, beleidigen etc. ist damit zunächst einmal nur der „tragische Ausdruck eines unerfüllten Bedürfnisses“.

Ein Konflikt bedeutet zunächst einmal: Bedürfnisse auf beiden Seiten sind gerade nicht erfüllt. Es ist für uns also zweitrangig, wer den Streit begonnen hat oder herauszufinden, wer in welcher Weise „Schuld“ an der momentanen Situation hat. Wenn wir mit Schuld und Strafe arbeiten, kommen wir nicht in Verbindung zueinander, sondern wir entfernen uns voneinander und schaffen eine Barriere. Und wir sehen die Kinder nicht wirklich in dem, was sie brauchen. Bedürfnisorientiert zu handeln heißt für uns auch das: Was brauchst du jetzt gerade und in Zukunft, um in solchen Situationen andere Handlungsmuster zur Verfügung zu haben? Und wie kann ich dir jetzt gerade helfen, deinen Schmerz zu lindern? Ein weiterer Grundsatz lautet: Keiner ist für den Ärger des Anderen verantwortlich. Es gibt bei uns kein „Ich bin wütend, weil du…“. Marshall Rosenberg nennt das „eine Trennlinie zwischen Auslöser und Ursache ziehen“. Es macht uns wütend, was gerade passiert ist, aber nicht die Person selbst. 

Wir sind für beide Kinder da 

Wir sehen bei einem Konflikt grundsätzlich beide Seiten. Wir trösten beide Kinder in ihrer Wut, Trauer und Verletzung. Wir machen bewusst, was das jeweilige Verhalten im anderen Kind und im Kind selbst ausgelöst hat, aber ganz ohne Schuldzuweisungen.Wir bitten beide Kinder, vor Ort zu bleiben, um die Situation klären zu können. Manchmal braucht ein Kind kurz Zeit, um sich darauf einzulassen, verlässt die Situation, um sich zu beruhigen und kommt dann wieder zu uns zurück. Auch das ist vollkommen in Ordnung. 

Lösungsprozess 

Sobald etwas Ruhe eingekehrt ist, haben wir auch meist durch das Spiegeln und im Gesehen-Sein den Sachverhalt erfasst. Wir fassen unsere Beobachtungen nochmal zusammen (auch paraphrasieren genannt) und versuchen zu verstehen, welche Gefühle und Bedürfnisse bei beiden Kindern zum jeweiligen Verhalten geführt haben. Wir versuchen, Verständnis und Empathie für beide Seiten aufzubauen, indem wir beide fragen: „Wie fühlst du dich jetzt? Wie fühlst du dich, wenn du siehst, wie es dem anderen damit geht?“ 

Manchmal, gerade bei kleineren Kindern, reicht dieser Schritt häufig schon aus – allein die Erkenntnis, wie es dem anderen geht, genügt, um wieder in Verbindung zu kommen. Zu erkennen, dass auch das Gegenüber sich unwohl fühlt, traurig und unzufrieden ist. Dann gelingt es häufig gemeinsam, auch ohne meine/unsere Hilfe, einen Konsens zu finden. Wenn das an dieser Stelle noch nicht der Fall ist, fragen wir danach, welche Bedürfnisse in diesem Moment wohl nicht erfüllt waren. Was war für dich gerade ganz wichtig und warum haben evtl. Lösungsvorschläge nicht gepasst? 

Manchmal ist es das Bedürfnis der Gemeinschaft, Zugehörigkeit und Verbindung, was durch gemeinsames Spielen gedeckt werden würde, manchmal das nach Kreativität, nach Autonomie… Wenn wir das Bedürfnis erkannt haben, können wir gemeinsam eine Lösung finden: zusammen mit einem (vielleicht gerade noch umkämpften) Spielzeug spielen, ein anderes finden, was dem Bedürfnis nach Kreativität etc. entspricht, ein Spiel mit einem anderen Kind beginnen, wenn es um 

Gemeinschaft ging etc. Daraus lassen sich dann wiederum Bitten und Lösungswege ableiten: „Können wir jetzt etwas zusammenspielen? Kannst du mir ein Buch vorlesen, weil ich noch ein bisschen traurig bin? Ich möchte gerade noch allein sein und kuschel mich lieber noch mit einer Decke und einem Puzzle aufs Sofa“ 

GFK: Das dauert doch so lange 

Viele Menschen glauben, dass gewaltfreie Kommunikation ein langwieriger Prozess ist. Und: ja, es dauert ein bisschen länger als übliche Verfahren in Konfliktsituationen. Wir haben jedoch festgestellt: die Atmosphäre unter den Kindern ist eine völlig andere. Sie spüren, dass sie ein Teil einer kleinen Gruppe sind, in dem jeder zählt, jeder gesehen wird und jeder sein darf wie er ist. Sie spüren, dass hier alle Emotionen ihren Platz haben. Sie dürfen sich frei und in Liebe begleitet entfalten. Wir sehen häufig, wie schon 2 1⁄2 jährige bei uns Wege finden, Konflikte zu lösen und Lösungsalternativen vorzuschlagen. Sie lernen sich besser kennen und können benennen, was in ihnen vorgeht- wie fühle ich mich gerade? Was hätte ich gebraucht in dieser Situation? Je nach Alter benötigt es natürlich mehr oder weniger Begleitung, vor allem, um ihnen Wörter an die Hand zu geben, für das, was in ihnen und im anderen vorgeht. 

Zu guter Letzt 

Wir erziehen nicht für ein schnelles Resultat. Auch nicht dafür, dass das Kind aus Angst vor Strafe oder Zurückweisung seine Emotionen und Bedürfnisse zurückstellt. Wir unterstützen darin, dass Kinder die wir begleiten zu Menschen heranwachsen können, die Entscheidungen aus sich heraus treffen, empathisch, stark und selbstbewusst, nicht aus Angst vor Strafe sondern aus ihrem eigenen inneren Antrieb heraus. 

Janine Ringel ist Sozialpädagogin (BA) und Mutter von zwei Kindern (2014 und 2017 geboren). 2017 hat sie zusammen mit ihrem Mann den kleinen, bindungsorientierten, auf Achtsamkeit und GFK basierenden Kindergarten „Farbtupfer“ in Lübeck für Kinder von 2-6 Jahren gegründet und arbeitet darüber hinaus in der Elternberatung. Sie ist ausgebildet in gewaltfreier Kommunikation nach M.B.Rosenberg. Mehr von Janine findet Ihr auf auf  farbtupfer.org oder hier   auf Instagram.


Hilfe, mein Kind will nicht die Zähne putzen! – Gewaltfreie Wege der Zahnpflege

Pflegesituationen sind gerade mit größer werdenden Kindern oft nicht einfach und auch das Zähneputzen kann zu einem Konfliktthema zwischen Eltern und Kind werden, wenn das Kind kein Interesse am Zähneputzen hat oder es gar verweigert. Gerade das Zähneputzen ist für viele Eltern eine angstbehaftete Situation, vielleicht aus den eigenen Erfahrungen mit Karies und Zahnbehandlungen heraus, vielleicht aus der Angst um die Unversehrtheit des Kindes heraus oder möglicher Folgeprobleme durch Karies. Tatsächlich ist die Zahnpflege des Kindes wichtig und es sollte von Anfang an ein Zahnpflegeritual etabliert werden – aber auf eine entspannte Art.

Angst ist ein schlechter Berater

Es ist normal, dass Eltern sich um die Gesundheit ihrer Kinder sorgen und ihnen beste Rahmenbedingungen schaffen wollen für die Entwicklung – gerade auch in Hinblick auf die gesundheitliche Entwicklung. Karies ist eine Erkrankung, die sich nachhaltig auswirken und zu größeren Eingriffen führen kann, die gerade bei Kindern vermieden werden wollen. Auch die immer häufiger auftretende Erkrankung der Kreidezähne ängstigt viele Eltern. Obwohl wir darum wissen, dass es in Bezug auf die Vorbeugung von Karies viele Aspekte zu beachten gibt rund um Ernährung, Vermeidung von Ansteckung und dem Nuckeln an Getränken, ist besonders das Zähneputzen bei vielen Eltern der Faktor, der die größte Aufmerksamkeit bekommt.

Angst ist jedoch in vielen Situationen ein schlechter Berater für alltägliches Handeln. Leitet uns Angst in Bezug auf die Körperpflege, sind wir eher verleitet, übergriffig zu reagieren und die Signale des Kindes nicht nur zu übersehen, sondern auch bewusst zu ignorieren. Gerade der Blick auf die Bedürfnisse des Kindes ist es aber, der die Zahnputzsituation entspannen kann. Natürlich dürfen wir das Wissen um Karies nicht aus den Augen verlieren, aber die Angst davor sollte nicht den Blick für das Kind und Alternativen verstellen.

Gewöhnung von Anfang an

Die Zähen des Babys sollten geputzt werden, sobald die ersten kleinen Zähne erscheinen. Doch auch schon vorher können wir das Baby an die Reinigung gewöhnen. Gerade in Zahnungszeiten ist es für einige Kinder angenehm, wenn die Zahnleisten mit Finger oder einem Zahnputzfingerling massiert werden. Die ersten kleinen Zähnchen können dann auch mit einem Zahnbürstenaufsatz für den Finger gereinigt werden und es wird langsam auf eine Zahnbürste umgestiegen. Hier gibt es unterschiedliche Modelle, die auch von Babys schon gut gehalten werden können und Teilhabe ermöglichen.

Wenn das Kind nicht möchte

Aber auch wenn das Zähneputzen schon scheinbar ewig als Ritual etabliert ist, kann es immer wieder vorkommen, dass das Kind sich gegen das Zähneputzen wehrt und gerade jetzt und heute nicht möchte. Und vielleicht auch an einem anderen Tag nicht. Manchmal brechen neue Zähne durch und das Zähneputzen schmerzt, manchmal liegen andere Gründe vor. Anstatt das Kind aber mit Gewalt zum Zähneputzen zu zwingen, können wir die Rahmenbedingungen durchgehen. Das Zähneputzen ist ein wesentlicher Bestandteil der täglichen Körperpflege und hat es deswegen verdient, einen entspannten Platz im Tagesablauf zu finden.

Nur abends geht es nicht

Manche Kinder verweigern abends das Zähneputzen, lassen sich aber morgens bereitwillig die Zähne putzen. Häufig ist dann am Ende des Tages die Kooperationsbereitschaft des Kindes einfach aufgebraucht, vielleicht ist es müde und erschöpft vom Tag. Hier kann es helfen, den Ablauf des Abends noch einmal genauer anzusehen, ggf. das Essen etwas nach vorn verschieben oder das Kind schon im Schlafanzug an den Esstisch setzen, damit nach dem Essen nicht noch weitere Zeit verstreicht, in der das Kind immer weniger Lust auf das Zähneputzen hat. Manchmal kann aber auch eine kreative Zahnputzsituation (siehe unten) die Müdigkeit kurz überdecken.

Manchmal liegt der eigentliche Grund der Verweigerung auch darin, dass das Kind das Zähneputzen als Schwelle zum Schlafengehen betrachtet und noch spielen und den Tag nicht beenden möchte. Auch hier ist es gut, den Ablauf noch einmal genauer anzusehen und das Zähneputzen vom direkten Schlafen zu entkoppeln, so dass das Kind beides nicht in Abhängigkeit voneinander sieht, beispielsweise durch eine kleine Spielsequenz nach dem Zähneputzen vor dem Zubettgehen.

Das empfindsame Kind

Wir alle nehmen Reize unterschiedlich wahr: Gerüche, Geschmäcker, Berührungen und haben auch unterschiedliche Arten, darauf zu reagieren. Einige Kinder sind empfindsamer als andere und/oder drücken ihre Empfindsamkeit besonders stark aus. Das ist normal und richtig. Vielleicht macht sich das auch an anderen Stellen bemerkbar, nicht nur beim Zähneputzen: Das Kind reagiert besonders empfindsam auf Textilien, mag keine Nähte oder Tags an Kleidung, ist sehr empfindsam bei Berührungen. Gerade das Zähneputzen kann für ein empfindsames Kind sehr anstrengend sein, weil das Zähneputzen durch eine andere Person vielleicht schmerzt, der Geschmack der Zahnpasta zu intensiv ist, die Bürsten zu hart.

Hier hilft es, mit dem Kind ins Gespräch zu kommen: „Zeig mir, wie du es magst! Wie soll ich die Zähne schrubbeln oder lieber sanft fegen?“, „Schmeckt dir die Zahnpasta zu stark? Wir können einen anderen Geschmack ausprobieren.“ Manchmal ist es auch die Körperhaltung, die das Kind einnehmen muss: 2 Minuten lang stehen und den Kopf nach oben strecken ist unangenehm und anstrengend. Beim Zähneputzen auf dem Wickeltisch oder der Waschmaschine sitzen und auf Augenhöhe sein mit der putzenden Person in entspannter Körperhaltung ist wesentlich angenehmer. Wenn das Kind uns mitteilt, dass das Zähneputzen unangenehm ist, sollten wir Verständnis entgegen bringen und sehen, an welchen Rahmenbedingungen wir etwas ändern können anstatt zu erklären: „Stell dich nicht so an, tut mir ja auch nicht weh.“

Selbständigkeit ermöglichen

In der Zeit nach dem ersten Geburtstag macht sich das Kind mehr und mehr mit der Welt vertraut und versucht darin eigene Wege zu gehen: selbständig zu werden und zu sein. Die Dinge lernen, die es für das Leben benötigt. Die Körperpflege ist einer dieser Bereiche und auch hier möchte das Kind immer mehr selber machen. gerade dann, wenn wir merken, dass die Selbständigkeit dem Kind wichtig ist und dieser Wunsch zum Gegenwillen führt, wenn wir Erwachsenen „einfach schnell selber machen“ wollen lohnt sich ein Blick auf die Rahmenbedingungen: Kann das Kind gut am Waschtisch stehen und sich vielleicht selber Wasser in den Zahnputzbecher füllen? Kann es sich im Spiegel ansehen beim Putzen? Wer kreativ ist, kann auch einen kleinen Waschtisch nach Montessori improvisieren. Auch das Zähneputzen möchte natürlich selbst durchgeführt werden: Einige Kinder finden es gut, wenn sie zuerst putzen dürfen, andere mögen es, wenn sie die abschließende Reinigung übernehmen und gerade niemand mehr „nachputzt“.

Vorbilder sind wichtig

Unsere Kinder ahmen uns und andere nach und finden auch darüber den Weg in die Selbständigkeit. Wie in vielen anderen Bereichen (beispielsweise Töpfchen/Toilette) ist es auch beim Zähneputzen wichtig, dass das Kind auch andere Menschen dabei beobachten kann und nachahmen darf. Deswegen sind Eltern als Zahnputzvorbilder wichtig: gemeinsam können die Zähne geputzt werden. Das Kind kann dabei auch einmal in die Rolle des Erwachsenen schlüpfen und diesem die Zähne putzen und der Erwachsene dann dem Kind. In der Rolle des Kindes kann die erwachsene Bezugsperson dann auch erfahren, wie sich das Zähenputzen anfühlt und an welchen Stellen es vielleicht aus der Sicht des Kindes Probleme gibt. Vorbilder können Kinder aber auch in Büchern und Videos finden. Es ist viele Bücher rund um das Zähneputzen, die Kindern nicht Angst machen, sondern auch Freude am Zähneputzen wecken.

Kreative Ideen

Und wenn nichts von den genannten Ursachen in Frage kommt? Dann hilft uns manchmal nur ein kreativer Umgang mit dem Zähneputzen mit Hilfe von

  • Zahnputzlieder singen oder Zahnputzgedichte aufsagen
  • Eine Geschichte ausdenken zum Zähneputzen: Jeden Abend müssen die Zahnputzmonster erst lockergeschrubbt und dann herausgefegt werden…
  • Kuscheltiere oder Handpuppen/Waschlappen die Zähne putzen lassen. Ein einfacher Waschlappen kann mit zwei angenähten Knöpfen und etwas Wolle zu einer Zahnputzfee werden, die abends die Zähne säubert
  • Zahnputzvideos ansehen
  • Es gibt elektrische Zahnbürsten mit Apps, bei denen dann die Bakterien aus dem Mund geputzt werden
  • Zähneputzen an unterschiedlichen Orten: „Weißt du, wo wir noch nie die Zähne geputzt haben?“
  • Färbetabletten aus der Apotheke benutzen: Zahnfärbetabletten färben den Plaque blau und es ist sichtbar, wo besser geputzt werden sollte

Manche Eltern denken, es sei absurd, einen großen Aufwand um das Zähneputzen zu betreiben, wenn das Kind doch auch festgehalten werden könnte. Dabei wird aber die körperliche Integrität des Kindes übergangen, was langfristige Folgen haben kann. Auch Zahngesundheit ist ein wesentlicher Bestandteil der körperlichen Gesundheit und es ist wichtig, Kindern nicht das Engagement und die Bereitschaft zu nehmen, sondern das Zähneputzen als gutes Ritual zu etablieren, das Kinder ihr ganzes Leben lang begleiten wird. Die Zeit, in der Kinder vielleicht überredet oder kreativ begleitet werden müssen, ist vergleichsweise kurz in Bezug darauf, für wie lange wir ihnen mit diesem Aufwand ein gutes Vorbild und Gefühl mitgeben können. Gewaltfreiheit ist ein Recht des Kindes und mit Kreativität, geänderten Rahmenbedingungen und Ablenkung schaffen wir es, das Vertrauen des Kindes in uns zu erhalten, dass wir die schützenden Bezugspersonen sind, die unterstützen, helfen und auf dem Weg in das Großwerden begleiten.

Eure

Zur Autorin:
Susanne Mierau ist Diplom-Pädagogin (Schwerpunkt Kleinkindpädagogik) und Familienbegleiterin. Sie arbeitete an der FU Berlin in Forschung und Lehre, bevor sie sich 2011 im Bereich bedürfnisorientierte Elternberatung selbständig machte. Ihr 2012 gegründetes Blog geborgen-wachsen.de und ihre Social Media Kanäle sind wichtige und viel genutzte freie Informationsportale für bedürfnisorientierte Elternschaft und kindliche Entwicklung. Susanne Mierau gibt Workshops für Eltern und Fachpersonal und spricht auf Konferenzen und Tagungen über kindliche Entwicklung, Elternschaft und Familienrollen.

Foto: Ronja Jung für geborgen-wachsen.de

Du kannst mit deiner Wut zu mir kommen

Für viele Eltern ist es gar nicht so einfach, ein wütendes Kleinkind zu begleiten. In einem Moment war die Welt noch in Ordnung, im nächsten Moment ist das Kind erzürnt. Vielleicht hat etwas nicht so funktioniert, wie das Kind es sich vorgestellt hat. Vielleicht kann es etwas nicht erreichen, was es erreichen wollte. Vielleicht hat ein anderer Mensch nicht verstanden, was das Kind eigentlich sagen wollte. Oder ein anderes Kind hat das Spielzeug, mit dem es selber gerade spielen wollte.

Die Zeit des „alleine“ ist wichtig, aber herausfordernd für das Kind

Die Anlässe dafür, dass ein kleines Kind wütend wird, können vielfältig sein in der Kleinkindzeit. Denn gerade jetzt macht es sich auf den Weg, in der Welt zurecht zukommen. Es lernt Selbständigkeit und muss sie lernen, weil dies auf dem Entwicklungsplan des kleinen Menschen liegt. Nachdem das Kind im ersten Jahr in der Welt angekommen ist und die grundlegenden Fertigkeiten ausgebildet hat, sich darin zu bewegen, will es nun aktiv mit der Welt umgehen und alles lernen und erfahren, was es für das Leben braucht: von Gesprächen über motorische Handlungen bis zu den kleinen Details des sozialen Miteinanders. Klappt etwas nicht wie geplant, können die Gefühle ein kein Kind schnell überrollen. Denn auch wenn auch dieser Bereich in der Kleinkindzeit weiter ausgebaut wird, ist das Kleinkind an vielen Stellen noch nicht fähig, Gefühle allein zu regulieren und mit ihnen selbständig umzugehen. Es benötigt die Bezugspersonen als Partner in der Regulation.

Das Annehmen der Gefühle des Kindes ist wichtig

Die Beziehung zum Kind zu gestalten in dieser Zeit, wenn die Kinder manchmal so ganz von ihren Gefühlen überrollt werden, ist nicht immer einfach. Besonders nicht, wenn sie ein Verhalten zeigen, das für die Eltern besonders anstrengend ist, weil es an die eigenen körperlichen oder seelischen Grenzen stößt, wenn das Kind aus der Wut heraus beißt, spuckt oder Schimpfworte benutzt, um diesen Gefühlen einen Raum zu bieten, um sie umzusetzen, wenn sie sich so stark in ihnen zu Wort melden. In diesen Momenten hinter das Verhalten des Kindes zu sehen und zu erkennen, dass das Beißen oder Spucken vielleicht eine Form des Widerspruchs ist, weil das Kind sich sonst machtlos uns unterlegen fühlt oder dass Schimpfworte genutzt werden, um einen Superlativ von Gefühlen und Verärgerung auszudrücken, den es anders nicht in Worte fassen kann, ist nicht immer einfach.

Dennoch ist es gerade jetzt wichtig. Denn das Kind braucht die Bezugspersonen noch immer als sicheren Hafen. Als Schutz. Es braucht das Gefühl, dass es mit allen Gefühlen bei der Bezugsperson einen Anlaufpunkt hat und Hilfe erhält bei den Herausforderungen des Alltags. Und der Umgang mit diesen starken Gefühlen ist eine Herausforderung, die das Kind nur mit uns bewältigen kann. Und darüber dann lernt in den nächsten Jahren, diese Gefühle auch allein bewältigen zu können. Wir geben mit unserer Zuwendung eine Anleitung, einen Fahrplan, eine Richtschnur. Durch uns lernt das Kind, die eigenen Gefühle zu verstehen, zu interpretieren und dann mit ihnen umzugehen: Kann es sie alleine bewältigen oder braucht es Hilfe von anderen? Und wie genau kann es das so große Gefühl auf eine Weise ausdrücken, die die Grenzen einer anderen Person nicht übertritt?

Was wir tun können in Momenten der großen Gefühle – und was wir lassen sollten

Nehmen wir also die Gefühle unseres Kindes an, wenn es mit ihnen zu uns kommt – bedingungslos. Die Gefühle der Freude und Heiterkeit wollen ebenso geteilt werden die Wut und Trauer. Und auch wenn es anstrengend sein mag an einigen Tagen, blocken wir nicht ab durch Worte der Ablehnung, der eigenen Verärgerung über das kindliche Verhalten oder auch der Überheblichkeit, dass das Problem des Kindes gerade lächerlich sei. Das, was das Kind gerade fühlt, ist für dieses Kind jetzt gerade real. Es braucht keinen Spott, keine Ablehnung, sondern Verständnis. Das Verständnis und die Annahme sind der erste Baustein, bevor wir in eine Begleitung übergehen können: Manchmal sind unsere Kinder in der konkreten Situation nicht ansprechbar, können nicht reagieren auf unsere Ansprache und wir können erst später die Situation und mögliche Handlungsalternativen besprechen. Manchmal sind die Kinder zugänglich für Sprache und Unterstützung. Und manchmal haben sie schon selbst einen guten Weg des Umgangs mit dem Gefühl gefunden, den wir genau so annehmen können.

Dieses Verständnis, das wir dem Kind und seiner Gefühlswelt entgegen bringen, lässt das Vertrauen in uns weiter wachsen und stärkt die Beziehung. Das Angenommenwerden unterstützt auch weiterhin auf dem Weg, eine sichere Bindung aufzubauen und zu erhalten.

Eure

Zur Autorin:
Susanne Mierau ist Diplom-Pädagogin (Schwerpunkt Kleinkindpädagogik) und Familienbegleiterin. Sie arbeitete an der FU Berlin in Forschung und Lehre, bevor sie sich 2011 im Bereich bedürfnisorientierte Elternberatung selbständig machte. Ihr 2012 gegründetes Blog geborgen-wachsen.de und ihre Social Media Kanäle sind wichtige und viel genutzte freie Informationsportale für bedürfnisorientierte Elternschaft und kindliche Entwicklung. Susanne Mierau gibt Workshops für Eltern und Fachpersonal und spricht auf Konferenzen und Tagungen über kindliche Entwicklung, Elternschaft und Familienrollen.

Foto: Ronja Jung für geborgen-wachsen.de

Weiterführende Literatur*:
Mierau, Susanne (2017): Ich! Will! Aber! Nicht! Die Trotzphase verstehen und gelassen meistern. – München: GU.
Mierau, Susanne (2017): Geborgene Kindheit. Kinder vertrauensvoll und entspannt begleiten. – München: Kösel.
Prehn, Anette (2017): Hirnzellen lieben blinde Kuh. Was die Hirnforschung über starke Kinder weiß. – Weniheim: Beltz.
Becker-Stoll, Fabienne/Beckh, Kathrin/Berkic, Julia (2018): Bindung. Eine sichere Basis fürs Leben. Das große Elternbuch. – München: Kösel.

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