Wer ist hier verantwortlich?

Streit und Auseinandersetzungen gehören zu unserem Leben dazu. Im Zusammenleben mit anderen geraten Meinungen aneinander, wir nehmen unterschiedliche Positionen ein. Das kommt bei erwachsenen Menschen ebenso vor wie bei Erwachsenen und Kind: zwei Meinungen und ein Kind, das noch nicht die Position und Gedankenwelt des Gegenüber einnehmen kann. Manchmal fällt es auch uns Erwachsenen schwer, nun die durchdachte, überlegte Position einzunehmen und auch wir werden wütend in einer Konfliktsituation. Wir streiten, schimpfen und erklären dem Kind dann „Das habe ich getan, weil du mich so wütend gemacht hast!“ Aber stimmt das wirklich?

Das Kind ist Schuld!?

„Weil du immer die Tasse beim Essen umwirfst, bekommst du das Getränk erst nach dem Essen!“, „Weil du immer so trödelst, kommen wir immer zu spät!“, „Weil du dein Brot nicht aufisst, verschwenden wir so viele Lebensmittel!“, „Weil du so frech bist, bin ich immer so fertig.“, „Weil du…“ Die Liste an Beschuldigungen, woran Kinder in den Augen Erwachsener schuldig sein könnten, ist lang. Und es mag sich zunächst auch erst einmal logisch anfühlen: Ursache: eigenwilliges Kind, Wirkung: Problem. Und daraus folgend Streit.

Doch diese Sichtweise entlässt uns Erwachsene aus der Pflicht. Als Erwachsene tragen wir die Verantwortung. Wir gehen den Weg voran, wir zeigen, wie der Alltag funktioniert und was Kinder wie lernen können. Wir sind Vorbild und Impulsgeber*innen. Kindern die Schuld zu geben daran, wenn immer wieder Situationen anders laufen als geplant, oder ihnen gar die Schuld an unseren Emotionen zu geben, vertauscht die Rollen.

Verantwortung übernehmen

Wenn Situationen in unserem Alltag schief laufen, ist es unsere Aufgabe als erwachsene Person zu hinterfragen: Wie kann ICH diese Situation anders gestalten, damit mein Kind damit anders umgeht? Wie kann ich die Rahmenbedingungen am Tisch ändern, damit es das Wasser nicht umwirft (stehen die Dinge an einem falschen Platz? Braucht es ein kleineres Glas? Möchte das Kind mit umgeworfenen/heruntergeworfenen Dingen zeigen, dass das Essen beendet ist?…) – und zwar ohne die Bestrafung, das Wasser wegzustellen? Wie kann ich als erwachsene Person morgens die Rahmenbedingungen ändern, damit wir pünktlich los kommen? Es ist zu viel von einem Kleinkind und selbst Grundschulkind verlangt, dass es selbst an Pünktlichkeit denkt und ein konkretes Zeitgefühl hat. Wie kann ich die Mahlzeiten entweder so anbieten, dass das Kind sie verzehrt (kleinere Portionen, mehr Orientierung an den Nährstoffen und Suche nach Alternativen Lebensmitteln, die diese enthalten)?

Ganz besonders wichtig ist, dass wir die Verantwortung übernehmen für unsere Gefühle: Unsere Kinder können in uns Gefühle auslösen, aber sie sind nicht Schuld daran. Sie sind Kinder. Als Erwachsene müssen wir verantwortungsvoll mit unseren Gefühlen umgehen. Das bedeutet: Natürlich dürfen wir enttäuscht, wütend, erschöpft etc. sein. Aber: Wir sollten dies nicht dem Kind anlasten, dass sich eben wie ein Kind verhält, sondern die Rahmenbedingungen betrachten, die uns dazu führen, dass wir das Kind vielleicht als zusätzlich belastend empfinden. Und ganz besonders sollten wir unseren Gefühle hinterher spüren und ihre Umsetzung betrachten: Wenn ich wütend bin, wie gehe ich mit meiner Wut um? Es liegt in unserer Verantwortung, gerade starke Gefühle kindgerecht ausdrücken und unsere Kinder nicht zu verängstigen, zu beschämen oder unter Druck zu setzen, weil wir selbst so fühlen, weil wir selbst keinen Weg finden, mit unseren Gefühlen umzugehen und sie ungefiltert an das Kind übergeben.

Als Eltern tragen wir Verantwortung. Und wir gehen als Beispiel für einen verantwortlichen Umgang mit den eigenen Gefühlen voran. Als Vorbild für eine – noch ferne – Zukunft.

Eure

Zur Autorin:
Susanne Mierau ist Diplom-Pädagogin (Schwerpunkt Kleinkindpädagogik) und Familienbegleiterin. Sie arbeitete an der FU Berlin in Forschung und Lehre, bevor sie sich 2011 im Bereich bedürfnisorientierte Elternberatung selbständig machte. Ihr 2012 gegründetes Blog geborgen-wachsen.de und ihre Social Media Kanäle sind wichtige und viel genutzte freie Informationsportale für bedürfnisorientierte Elternschaft und kindliche Entwicklung. Susanne Mierau gibt Workshops für Eltern und Fachpersonal und spricht auf Konferenzen und Tagungen über kindliche Entwicklung, Elternschaft und Familienrollen.

Foto: Ronja Jung für geborgen-wachsen.de

1 Kommentare

  1. Lustig: Bei mir sagt das Kind“ Mama das ist deine Schuld. Ich bin wütend und daran bist du Schuld.“

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