Die Gefühlswelt von Kindern ist groß und schillert in vielen Facetten. Anders als bei uns Erwachsenen, können sie die vielen unterschiedlichen und starken Gefühle aber noch nicht gut regulieren und sind auf uns und unsere Co-Regulation angewiesen: Anders als Säuglinge schaffen es Kleinkinder schon mehr, ihre Bedürfnisse etwas aufzuschieben, mehr zu kooperieren und fangen an, auch die Perspektive der Eltern einzunehmen, aber viele Gefühle werden noch sehr intensiv ausgelebt und können nicht gut eingeordnet und verarbeitet werden. Das liegt vor allem an der Gehirnentwicklung: Das Fühlen und überlegte Denken des Kindes ist noch nicht wie bei erwachsenen Menschen miteinander verbunden, weshalb sie noch impulsiv reagieren. Erst durch die Einordnung und Begleitung durch Erwachsene lernen Kinder nach und nach mit Gefühlen umzugehen und bilden ein Muster für den Umgang mit den einzelnen Gefühlen aus.
Gefühle wollen begleitet werden
Allein ist es dem Kind noch nicht möglich, die starken Gefühle, die es wahrnimmt, einzuordnen. Es braucht dafür andere erwachsene Bezugspersonen, die
- die Gefühle in der ganzen Bandbreite erlauben,
- dem Kind das aktuelle Gefühl zugestehen,
- selber standhaft bleiben bei den Gefühlsäußerungen des Kindes und Kompetenz im Umgang damit ausstrahlen, statt hilflos und verunsichert zu sein.
- das Kind in diesem Gefühl begleiten, um einen Ausdruck dafür zu finden
- und das Gefühl auch benennen.
So lernt es zunehmen, mit den Gefühlen umzugehen, sie wahrzunehmen, einzuordnen und einen passenden Ausdruck dafür zu finden. Hilfreich kann es auch sein, abseits von aktuellen Gefühlssituationen, passende Bücher über die Bandbreite von Gefühlen gemeinsam anzusehen. Lehnen wir hingegen bestimmte Gefühle bei dem Kind ab, unterdrückt es diese zunehmend und bildet keinen guten Zugang zu ihnen aus, lehnt sie bei sich selbst und anderen ab, was sich auf die Selbstwahrnehmung und Interaktion mit anderen auswirkt. Zeigen wir keine Umgangsmöglichkeiten mit Gefühlen auf und helfen dem Kind nicht, einen guten Umgang mit starken Gefühlen zu finden, hat das Kind Schwierigkeiten, selber gute Strategien auszubilden und kann somit schuldlos immer wieder an gesellschaftliche Konventionen anstoßen.
Gefühle übersetzen
Während es auf der Seite des Kindes wichtig ist, dass wir Eltern dem Kind die Gefühle erklären, sie begleiten und benennen, ist es auf der anderen Seite auch für uns Eltern wichtig, uns selbst das Verhalten des Kindes zu erklären und den Ausdruck der Gefühle zu übersetzen: Was zeigt mein Kind mit seinem Verhalten? Was braucht es gerade, wenn es wütend, traurig oder freudig ist?
Es ist ebenso wichtig, die Freude eines Kindes zu begleiten und sich mitzufreuen, wie Wut oder Angst zu begleiten. Allerdings erscheint es uns manchmal einfacher, die Freude zu teilen, als die Angst eines Kindes anzunehmen, zu verstehen, dass es jetzt ein Gefühl von Sicherheit braucht, auch wenn wir als Erwachsene die Situation nicht als ängstigend einschätzen. Auch hier gilt: Zunächst nehmen wir das Gefühl des Kindes respektvoll an, zeigen mit unserem Verhalten Beruhigungsstrategien auf und zeigen dadurch gleichzeitig, dass dies keine Situation ist, in der das Kind sich ängstigen muss. So erlernt es nach und nach Kompetenz im Umgang. Ist es doch eine Situation, in der Angst angebracht ist, lernt das Kind durch unser Vorbild einen respektvollen Umgang mit der Situation.
Gerade in Situationen, die Kinder noch nicht gut überblicken können, die neu sind, in denen Veränderungen eingetreten sind (vielleicht sogar plötzlich), können Kinder starke Gefühle zeigen. Das ist in einer solchen Situation, die vielleicht auch für die Eltern noch neu und übersichtlich ist, besonders anstrengend. Dennoch ist es aber wichtig, diese starken Gefühle des Kindes als Ausdruck dieser Verunsicherung oder Umgewöhnung zu sehen und sie weder abzulehnen/zu unterdrücken, noch ins Leere laufen zu lassen. Gefühle wollen begleitet werden, damit Kinder zunehmend gut selbständig damit umgehen können.
Eure
Zur Autorin:
Susanne Mierau ist Diplom-Pädagogin (Schwerpunkt Kleinkindpädagogik) und Familienbegleiterin. Sie arbeitete an der FU Berlin in Forschung und Lehre, bevor sie sich 2011 im Bereich bedürfnisorientierte Elternberatung selbständig machte. Ihr 2012 gegründetes Blog geborgen-wachsen.de und ihre Social Media Kanäle sind wichtige und viel genutzte freie Informationsportale für bedürfnisorientierte Elternschaft und kindliche Entwicklung. Susanne Mierau gibt Workshops für Eltern und Fachpersonal und spricht auf Konferenzen und Tagungen über kindliche Entwicklung, Elternschaft und Familienrollen.
Foto: Ronja Jung für geborgen-wachsen.de
Sehr spannend – danke!
Ich finde bei dem Thema sieht man sehr anschaulich wie die Begleitung der Gefühle anderer auch einen kompetenten Umgang mit meinen eigenen Gefühlen erfordert. Dadurch, dass ich meine eigenen Gefühle in ihrer ganzen Bandbreite lerne anzunehmen und zu regulieren, schaffe ich gute Bedingungen das auch bei anderen tun bzw. sie begleiten zu können. Ich beobachte, dass ein „schnell-weg-machen-müssen“ bestimmter Gefühle bei Kindern oft etwas damit zu tun hat, dass dies für einen selbst ein herausforderndes Gefühl ist. Bei den Gefühlen, wo ich mich selbst gut regulieren kann, kann ich auch andere darin begleiten. Wo es mir noch nicht gelingt, lasse ich mich von meinem Kind einladen in meiner eigenen Entwicklung Schritte zu gehen…
Es berührt mich immer wieder wie sehr wir so mit- und aneinander wachsen können!