Entgegenwirken – Liebe mich dann am meisten…

Eigentlich mag ich ihn nicht, den Satz “Liebe mich dann am meisten, wenn ich es am wenigsten verdiene, denn dann brauche ich es am nötigsten.” Denn er ist falsch: Man kann Liebe nicht nicht verdienen. Besonders Kinder verdienen Liebe nicht weniger durch irgendwelche Taten. Auch wenn sie uns manchmal fordern, wenn wir müde sind, wenn wir zum tausendsten Mal eine Banane angeboten haben und das Kind sie nicht will und dann doch wieder will und wieder nicht… Kinder bringen uns an unsere Grenzen manchmal, aber sie verdienen immer unsere Liebe.

Und dennoch – auch wenn ich den Satz nicht richtig finde – ist er mir gestern in den Sinn gekommen. Denn er zeigt etwas auf, was durchaus manchmal zutrifft: Kinder haben Phasen, in denen sie für uns anstrengend sind. Und in diesen Phasen brauchen sie ganz besonders unsere Zuwendung und eben nicht die ermahnenden Blicke oder scharfen Worte.

Je nach Alter der Kinder fallen diese Phasen so unterschiedlich aus: Das Stillkind, das die ersten Zähne bekommt und in die mütterliche Brust beißt, das Krabbelkind, das immer wieder zur Steckdose krabbelt oder Dinge vom Regal reißt, das laufende Kind, das sich auf der Straße erprobt, obwohl wir immer wieder “Stopp” rufen, das sprechende Kind, das Schimpfwörter ausprobiert und unsere Reaktionen oder das Kind kurz vor dem Schulbeginn, das noch einmal auf andere Weise Grenzen erprobt. Immer wieder sagen wir die gleichen Sätze. Immer wieder müssen wir das weglaufende Kleinkind einfangen, um es vor Gefahren zu retten. Immer wieder müssen wir freundlich erklären, dass diese Sachen genau dort nicht bespielt werden wollen. Manchmal kommt genau dann der Gedanke: “Das macht es doch mit Absicht!” – Aber die Absicht ist es nicht, uns zu ärgern. Die Absicht ist ein Entwicklungsimpuls, den wir gerade jetzt begleiten. Eine Lernaufgabe des Kindes.

Es sind Phasen, in denen sie sich erproben müssen, in denen sie versuchen, sich ein Bild von der Welt zu machen und ihren Platz darin zu finden. Dinge ausprobieren, sich ausprobieren, die neuen Fähigkeiten kennen lernen. Das alles kann für uns Eltern unglaublich anstrengend sein.

Doch nicht nur für uns: Für unsere Kinder sind diese Zeiten nicht minder anstrengend. Der Körper wächst, das Gehirn entwickelt sich und manchmal wissen sie gar nicht wohin mit ihren Gedanken, ihrer Energie. Schreien, weinen, fluchen – das verlangt auch den Kindern viel Kraft ab. Und gerade dann, wenn es ihnen sowieso schon schlecht geht, wenn sie ihren Platz nicht finden, wenn sie nicht wissen wohin mit sich, dann brauchen sie uns gerade. Gerade dann brauchen sie einen liebevollen Menschen, der sie an die Hand nimmt. Der ihnen zeigt: Auch wenn sich alles verändert, wenn alles anstrengend ist, ich bin da! Ich bin immer für Dich da und Dein Fels in all dem Durcheinander. Wir wirken entgegen, wir handeln entgegen dem, was vielleicht unser erster Impuls wäre. Und genau damit zeigen wir Beständigkeit.

Daher sagen wir uns und unserem Kind beim nächsten Mal: Ich liebe Dich immer, egal was passiert. Und wenn Du mich brauchst, dann bin ich da.

Eure

Susanne_clear Kopie

 

8 Kommentare

  1. Cafétasse

    Danke für diesen Text an diesem Tag! Er kommt genau zur rechten Zeit. Euch ein schönes Wochenende, ich freue mich auf Deinen nächsten Beitrag

  2. Mam Hochdrei

    Wieder einmal sehr schön geschrieben und ja, du hast total recht. Leider muss ich aber gestehen, im Alltag sehr oft daran zu scheitern und mein Impuls gewinnt 🙁
    Aber dank deiner Anregung mit den wundervollen Worten, versuche ich es einfach noch mehr!

    Liebe Grüße
    Stephi

  3. Auch wenn wir meinen, diese Haltung verinnerlicht zu haben, ist es im Alltag schwierig ihn immer wieder im Kopf zu haben. Ich finde es menschlich, wenn auch die Erwachsenen die Kinder mal als schwierig und anstrengend empfinden. Aber wie du so schön schreibst: auch für die Kids ist diese Zeit nicht leicht. Ich finde es in solchen Fällen sehr wichtig, den Kindern auch zu zeigen, dass wir sehen, dass es für sie anstrengend ist.
    Genauso wichtig finde ich es allerdings auch, den Kindern zu zeigen, dass diese Situationen auch für Mama manchmal schwer zu ertragen sind. Damit bleibt man authentisch und die Kinder bekommen ein Gefühl dafür, dass auch schlechte Gefühle ihre Berechtigung haben und dass wir alle Menschen mit Ecken und Kanten sind.

    Deine letzten Satz finde ich besonders schön und weitaus treffender als die genannte Redewendung.

    Viele Grüße,

    Sarah

  4. Danke für diesen Text, er kommt genau richtig nach einem furchtbar anstrengenden Tag für uns alle.

  5. Ich bin immer wieder so froh, wenn ich ich sowas lese, weil es mir zeigt, wie sehr mein Kind davon profitiert, dass mein bester Freund früh-dement ist. Mein Wunsch, meinem besten Freund trotz aller Probleme weiter seine beste Freundin zu sein, hat mir ermöglicht, auch meinem autistischen Kind die liebevolle Begleitung zu sein, die es braucht. Und ich muss gar keine Angst mehr davor haben, dass meine Mutter vielleicht irgendwann “seltsam” wird. Ich bin auf alles vorbereitet. Und kann inzwischen auch die angeblich “normalen” Menschen in meinem näheren Umfeld so lieben, wie sie eben gerade sind, unabhängig davon, ob ich das verstehe oder nicht…

  6. Wunderschön geschrieben, ich war ganz gerührt. Seit unser kleiner da ist, sag ich ihm bei bestimmten Momenten – Mama ist da – und ich merke wie er sich entspannt. Der Artikel bringt es auf dem Punkt. Wir versuchen unseren Sohn zu begleiten… egal wie anstrengend es sein kann. Danke für die aufbauenden Worte

  7. auch ich kann mich nur anschliessen … tolle worte .. genau das richtige um sich immer mal wieder auf das wesentliche zu besinnen!

    Danke schön

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