Kategorie: Elternschaft

In Beziehung von Anfang an – der nicht gebärende Elternteil und der Beziehungsaufbau zum Kind

Auf einmal ist da dieser kleine Mensch neu im Leben, der kennengelernt werden möchte. Aber nicht nur das: Neben dem Kennenlernen muss er auch versorgt werden, denn für die Befriedigung vieler Bedürfnisse sind Kinder einige Jahre auf Erwachsene angewiesen. Glücklicherweise sind Bedürfnisbefriedigung und Kennenlernen eng miteinander verbunden: Während wir das Kind in den Schlaf begleiten, erfahren wir, ob es lieber im engen Hautkontakt liegt oder etwas mehr Raum braucht. Wir erfahren im Spiel und Alltagsroutinen, welches Temperament es mit sich bringt. Wir erfahren im Alltag, ob es sich sicherer fühlt in engem Körperkontakt oder auch ohne diesen ruhig liegen und die Welt wahrnehmen kann. All diese vielen Routinen und Situationen ermöglichen, das Kind wahrzunehmen, zu verstehen und auf die Bedürfnisse angemessen zu reagieren. Wir bekommen einen Eindruck von diesem Kind und dieser ermöglicht uns, zukünftig leichter auf Bedürfnisse eingehen zu können. Wir beginnen, zu verstehen, wie dieses Kind „tickt“, was es wirklich mag und was nicht.

Es bildet sich eine Beziehung aus über das feinfühlige Wahrnehmen des Kindes. Wichtig dafür ist, dass wir es in diesen Alltagssituationen begleiten. Nur wenn wir wirklich verstanden haben, wer dieser neue Mensch wirklich ist, können wir Bedürfnisse angemessen beantworten oder zumindest begleiten. Daher ist es wichtig, Zeit für das Kennenlernen zu haben.

„Aber ich kenne es gar nicht!“

Gerade der nicht gebärende Elternteil ist manchmal anfangs etwas zurückgezogen: Das Gefühl, das Kind weniger zu kennen, weil es nicht in einem selbst herangewachsen ist, kann zum Hindernis werden. Dabei muss auch die Gebärende das Kind nach der Geburt erst einmal neu kennenlernen und sich mit ihm vertraut machen: Nur weil es 10 Monate im Körper der einen Person herangewachsen ist, bedeutet es nicht, dass diese von Anfang an alles „richtig“ machen und wissen würde. Eltern stehen oft gleichermaßen vor einem Neustart mit dem Baby im Arm und brauchen beide eine Zeit des Eingewöhnens, Kennen- und Liebenlernens.

Gemeinsame Zeit

Es ist nicht schlimm, wenn anfangs nicht jeder Handgriff sitzt. Hebamme, Kinderarzt/Kinderärztin, Familienpfleger*in können hier hilfreich zur Seite stehen. Wichtig für den Aufbau der Beziehung ist es, diese vielen Alltagsroutinen mit dem Kind überhaupt erst einmal anzugehen – für beide Elternteile. Gemeinsam das Baby beobachten, es wickeln, beruhigen, tragen, in den Schlaf bringen – dass diese Aufgaben bringen uns dem Kind näher und lassen das Kind erfahren, dass Bedürfnisse sicher von mehreren Personen beantwortet werden können.

„Männer werden […] durch die Schwangerschaft der Partnerin auch hormonell beeinflusst und auf das Umsorgungsverhalten vorbereitet. Wichtig ist allerdings, dass die Väter sich auch einbringen dürfen, die Mütter also eine positive Einstellung gegenüber der Kompetenz des Vaters haben.“

S. Mierau „Mutter.Sein“ (2019), S. 52

Diese Bedürfnisbefriedigung ist wichtig: Im Laufe der Zeit bildet das Kind eine Art Hierarchie aus in Bezug auf die Personen, von denen es die Befriedigung von Bedürfnissen einfordert. Jene Personen, die besonders häufig und zuverlässig Bedürfnisse befriedigen, werden bevorzugt, wenn sie anwesend sind. Gelingt es beiden Eltern von Anfang an, sich aktiv einzubringen und gleichwertig als Bezugsperson zur Verfügung zu stehen, sind die Anforderungen des Kindes ausgewogen. Andernfalls entsteht häufig nach einer Zeit ein Ungleichgewicht: Das „verlässlichere“ Elternteil wird eher angefragt und gewünscht, die Versorgungslast liegt eher bei einem Elternteil. Das kann den Effekt verstärken, dass sich der andere Elternteil weiter zurückzieht und die Versorgungslast immer mehr beim anderen liegt.

„Treffen bedürfnisorientierter Erziehungsstil und autoritärer Erziehungsstil zusammen, führt das langfristig zu Konflikten nicht nur in Bezug auf die Erziehung der Kinder, sondern auch zu Konflikten zwischen den Eltern. Kinder bevorzugen dann den bedürfnisorientierten Elternteil, die Aufgabenteilung gerät in eine Schieflage, weil das Kind natürlicherweise einen Partner mehr beansprucht.“

S. Mierau „Mutter.Sein“ (2019), S. 194

Beziehungsaufbau konkret: Was kann ich von Anfang an tun?

Nahezu alle Interaktionen rund um das Baby können von beiden Eltern gleichermaßen wahrgenommen werden und sollten es auch. Nicht nur, um der Gebärenden im Wochenbett Lasten abzunehmen und sie nach der Geburt zu unterstützen, sondern ganz konkret für den Beziehungsaufbau und die Wahrnehmung der elterlichen Aufgaben. Gerade Pflegesituationen sind wunderbare Momente, um mit dem Baby in Kontakt zu kommen und im Austausch zu sein: Hier können die Signale des Babys ungestört beobachtet und beantwortet werden. Wird das Baby in Tragetuch oder Tragehilfe getragen, kann ebenso der Kontakt intensiviert werden und es ist leichter, schon kleine Signale des Babys wahrzunehmen.

Gerade am Anfang gemeinsam Elternzeit zu nehmen bedeutet daher mehr, als „nur“ zur „Unterstützung“ zu Hause zu bleiben. Es bildet den Boden für die Ausbildung der Beziehung von Anfang an. Es gibt die Möglichkeit, das eigene Kind wirklich kennen zu lernen und willkommen zu heißen in der Familie. Und es ermöglicht, schneller und tiefer in das Elterngefühl hinein zu wachsen und damit vertraut zu werden und auch zukünftig eine tragfähige Beziehung zum Kind zu haben.

Weiterer positiver Effekt: Wertschätzung

Und noch ein anderer, positiver Nebeneffekt tritt durch das gleich verteilte Umsorgen des Kindes auf: Die Aufgaben rund um die Kinderversorgung werden transparenter und es fällt leichter, diese Tätigkeiten wert zu schätzen. Das Wissen darum, wie schwierig es wirklich manchmal ist, ein Baby in den Schlaf zu bringen oder zu wickeln oder sich im Babyalltag nicht selbst zu vergessen, gibt eine Wertschätzung gegenüber derjenigen Person, die dies gerade leistet – egal welche dies nun ist.

Gerade in Bezug auf den Aufbau der Beziehung und dem Kennenlernen des Kindes spricht also vieles dafür, das Umsorgen des Kindes von Anfang an zwischen den Eltern – sofern beide verfügbar sind – aufzuteilen.
Wie habt Ihr das gemacht?

Eure

Vor dem Kind mit der eigenen Wut umgehen

Und auf einmal ist sie da, die Wut. Über den ausgeschütteten Tee, über die zerbrochene Tasse. Darüber, dass sich das Kind mal wieder nicht anziehen lassen will oder dass es ein bestimmtes Schimpfwort gesagt hat, von dem man doch schon x Mal gesagt hat, dass es nicht gesagt werden soll. Da ist sie also, diese Wut und bahnt sich den Weg durch den Körper in jede einzelne Zelle, möchte über die Lippen kommen, möchte vielleicht etwas anfassen, möchte etwas werfen oder aufstampfen oder… Aber halt! Wir sind keine Kinder, wir sind die Erwachsenen. Wir sind Vorbilder und können überlegt handeln – oder doch nicht?

Wut darf sein

Wut zu spüren, ist normal. Sie gehört zur breiten Palette unserer Gefühle. In unserem Alltag können wir all das spüren: Liebe und Mitgefühl und Freude, aber auch Wut, Enttäuschung, Ekel. Was oft als „negative“ Gefühle bezeichnet wird, ist einfach ein Teil unseres Gefühlslebens. Es ist richtig, zu fühlen. Und auch diese Gefühle haben ihre Berechtigung, deuten sie uns doch auf etwas hin: auf einen Widerwillen, auf Gefahr, auf Überforderung, auf Ungerechtigkeit. Hinter dem Gefühl, das wir spüren, steht ein Anlass dafür, genau das zu spüren. Und dieser Anlass für dieses Gefühl verdient Beachtung. Es ist nicht richtig, von uns zu erwarten, dass wir bestimmte Gefühle aus dem Leben ausklammern, weil wir Eltern geworden sind.

Meistens ist es nicht das Kind…

In den meisten Fällen ist es nicht das Kind, das die großen Gefühle in uns auslöst. Oft bringen Kinder nur das Fass zum Überlaufen: An einem ohnehin schon anstrengenden Tag, an dem wir nur noch schnell nach Hause wollen, zieht das Kind auf einmal die Bremse und setzt sich auf den Bürgersteig, nicht bereit noch einen Zentimeter voran zu gehen. Wir sind erschöpft von diesem Tag, wollen uns endlich ausruhen und dann das! Wir schimpfen, aber eigentlich meinen wir nicht: „Kind, ich bin so wütend auf dich!“ sondern „Kind, nicht das jetzt auch noch. Der Tag war zu anstrengend!“ An einem stressigen Morgen mit Zeitdruck will sich das Kind nicht anziehen. An einem Samstag ohne Terminen wäre es vielleicht kein Problem, aber heute muss das Kind pünktlich abgeben sein, denn kurz darauf gibt es einen wichtigen Termin. Wir schimpfen und meinen eigentlich nicht „Kind, mach dich endlich fertig, immer bist du zu langsam!“, sondern meinen eher „Kind, heute ist es doof, ich muss so dringend zu diesem Termin!“ Unser Alltag ist voll von all den Dingen, die es uns schwer machen, Familie entspannt zu leben. Voll von Terminen, Druck, Stress – und diese sind gerade in der Kleinkindzeit große Hürden für den Alltag.

Und manchmal weckt das Kind auch Erinnerungen

Manchmal wecken unsere Kinder mit ihrem Verhalten aber auch Erinnerungen, die tief in uns verwurzelt sind: wir werden „getriggert“. Die Erfahrungen unseres Lebens sind in unserem Gehirn gespeichert. Ist das Kind laut, schreit es, schlägt es um sich, beißt oder tritt, kann uns das an die eigene Kindheit erinnern. Wir versuchen, diese Situation zu unterbinden durch Handlungsmuster, die wir erfahren haben. Oft sind das jene, die wir eigentlich nicht einsetzen wollten in der Erziehung der eigenen Kinder.

„Das Kind ist AUSLÖSER für ein Verhalten, das tief in uns eingespeichert ist. Die eigentliche URSACHE unseres Handelns ist nicht das Kind, sondern die Erfahrung, die wir selbst gemacht haben.

S. Mierau „Ich! Will! Aber! Nicht!“ S. 68

Wie nun mit der Wut umgehen?

Wir sehen also: Wut ist ein normales Gefühl. Wir sehen auch: Auf vielfältige Weise kann Wut in unserem Alltag ausgelöst werden – selbst wenn wir uns bemühen, die auslösenden Faktoren zu vermeiden. Wir wissen: Es tut unseren Kindern nicht gut, wenn wir sie beschämen, durch Worte ihren Selbstwert angreifen – und jede Art körperlicher Gewalt ist falsch. Aber wie können wir nun mit der Wut, die es eben gibt, umgehen? Wie sollen wir im Familienalltag einen Weg finden, wütend zu sein und wütend sein zu dürfen? Wie können wir unseren Kindern ein gutes Vorbild darin sein, Wut zu haben und angemessen damit umzugehen?

Zunächst können wir die äußeren Faktoren in den Blick nehmen, die uns in Wutsituationen führen können und sehen, was an diesen geändert werden kann: Wo können wir den Alltag entstressen, wo können wir mehr Unterstützung bekommen und Aufgaben abgeben? Welche Routinen können wir ändern oder neu entwickeln, um weniger Stress zu haben? Den Tisch abends für morgens vordecken? Die Kleidung abends schon bereit legen? Das Kind doch lieber tragen oder mit dem Buggy abholen, auch wenn es schon 4 ist, als darauf zu bestehen, dass es erschöpft vom Kitatag noch läuft, weil es „ja schon groß“ ist?

An welchen Stellen sind es vielleicht auch Fehlannahmen über unser Kind, die uns leiten: Kinder wollen uns nicht verärgern, sie spielen keine „Machtspiele“, sondern haben konkrete Bedürfnisse, die hinter ihrem Verhalten stehen. Diese zu ergründen, kann uns – gerade in der Kleinkindzeit – auch einem entspannteren Alltag näher bringen. Schauen wir, was unser Kind leitet, warum es sich verhält, wie es sich verhält. Und übernehmen wir als neuen Glaubenssatz, den wir uns immer wieder vorsagen: „Mein Kind will mich nicht ärgern. Es handelt, wie es handelt, weil es einfach ein Kind ist.“

Wenn wir damit einige Wutsituationen umschifft haben, können wir uns uns selbst zuwenden: Wie schaffe ich es, in den dennoch anstrengenden Situationen zwar wütend, aber nicht verängstigend oder beschämend zu sein? Die Neurowissenschaftlerin Jill Boyle Taylor erklärt in ihrem Buch „My stroke of Insight. A Brain Scientist’s Personal Journey„, dass die eigentliche Wutreaktion, die neurochemisch im Gehirn ausgelöst wird, nur 90 Sekunden andauert. Diese Sekunden – die sich lang anfühlen können – sind es, in denen wir uns um uns selbst kümmern müssen und für die wir Handlungsalternativen finden und implementieren müssen: Schritt für Schritt sollen wir von dem, was wir eigentlich tun wollen (beispielsweise das Kind anschreien) neue Möglichkeiten einüben (beispielsweise erst einmal die Wand anschreien, schlagen die Autorinnen vor). Unsere Wut ist da, sie ist eines unserer Gefühle. Wir sollten allerdings einen guten Umgang mit ihr finden.

In vielen Situationen tut es gut, bewusst einen Schritt zurück zu treten – das kann auch wortwörtlich sein. Sich distanzieren von der Situation und durchatmen. Sich eine Pause verschaffen, um dem Körper die Chance zu geben, sich zu beruhigen und dann eine überlegte Handlung auszuführen. Wir können über unseren Ärger sprechen, wir können ihn rauslassen und dabei bei uns bleiben. Nicht zum Kind sagen: „Du bist blöd, weil du die Tasse kaputt gemacht hast!“ sondern „Ich bin echt traurig, weil die Tasse kaputt ist!“ oder statt „Jetzt hör endlich auf mit deinem nervigen Geschrei!“ sagen „Für mich ist es gerade wirklich zu laut, ich brauche eine kurze Pause.“ Es ist in Ordnung, sich eine Pause zu nehmen, sich eine Pause zu gönnen. Wir müssen nicht immer für alles beständig eine Lösung parat haben.

Mit der Zeit können wir unser Bewusstsein darauf lenken, wie es sich anfühlt, wenn die Wut in uns aufsteigt und dann schon frühzeitig die Notbremse zu ziehen, wenn es geht. Manchmal spüren wir, dass wir uns auf eine Situation zubewegen und können uns selbst sagen: Gleich wirst du wütend. Wenn wir das spüren, weil vielleicht unsere Atmung flacher und schneller wird, weil wir merken, wie unser Herz stärker schlägt, können wir versuchen, uns frühzeitig aus der Situation zu ziehen und eine Pause zu gönnen. Manchmal merken wir auch lange Zeit vorher, dass der Tag irgendwie eine ungünstige Wendung zu nehmen droht und können dann bewusst gegenwirken: Die Musik anmachen und tanzen, alle Verabredungen absagen und sich einfach zusammen ins Bett kuscheln und lesen, …

Es ist nicht leicht, einen neuen Umgang mit der Wut zu finden, wenn wir in alten Mustern feststecken. Aber es ist möglich. Es braucht vor allem Zeit, manchmal aber auch eine therapeutische Unterstützung. Es ist nicht schlimm, Hilfen zum Umgang mit der Wut zu suchen, denn oft haben wir einfach keinen guten Umgang erlernt und brauchen neue Ideen, Vorbilder und Anregungen für diesen Weg. Er ist es wert. Für unsere Kinder, aber auch für uns selbst.

Eure

Dieser Artikel enthält Affiliate-Links zu Amazon und Buch7, durch die ich im Falle einer Bestellung eine Provision erhalte ohne dass für Euch Mehrkosten anfallen. Das Buch „Mama, nicht schreien“ habe ich von den Autorinnen als Rezensionsexemplar zugestellt bekommen.

Sich gegenseitig halten als Eltern

Manchmal ist das Leben mit Kindern nicht einfach. Besonders dann nicht, wenn es schwierige Situationen gibt und wir reagieren, wie wir eigentlich nicht reagieren wollen. Wenn wir Dinge sagen, die wir nicht sagen wollten, wenn Stimmen in uns hoch kommen, die scheinbar nicht uns gehören sondern Generationen vor uns geprägt und in unseren Köpfen konserviert wurden. In solchen Momenten ist das Elternsein oft besonders schwer. Schwer ist es auch dann, wenn wir erschöpft sind, müde, ausgezehrt von einem viel weinenden Baby oder den immer wieder aufkommenden Wutsituationen eines Kleinkindes oder Konfliktsituationen mit größeren Kindern. Manchmal ist es einfach zu viel. Und zwar im wortwörtlichen Sinne: Es ist zu viel, was da an vielen Dingen auf unseren Schultern allein lastet. Wir können nicht all das allein tragen, was uns Eltern heute in dieser Zeit aufgelastet wird.

Und bei allen guten Tipps, bei allen Ideen wie „ruhig bleiben und rückwärts von 10 bis 0 zählen“, „kurz das Zimmer verlassen, ein Armband am Handgelenk zupfen – manchmal hilft uns das nicht. Manchmal hilft es nur, sich wirklich zurückziehen zu können und einen anderen Menschen die Arbeit übernehmen zu lassen, die wir gerade selbst nicht tragen können. Das ist kein Zeichen von Schwäche, kein Zeichen von versagen. Dieses Kinderumsorgen, dazu gehören mehrere und das aus gutem Grund.

Ergänzen statt Allroundtalent

Wir müssen nicht alles können und nicht jede Situation gleich gut begleiten. Eine viel größere Hilfe, als von sich selbst zu verlangen, alles zu können, ist es, zu wissen, was ich nicht kann und Alternativen zu suchen. Vielleicht kann ich gut das Weinen meiner Kinder begleiten, nehme sie, halte sie und tröste sie. Was ich vielleicht weniger gut kann, ist das Begleiten von starken Wutausbrüchen. Je nachdem, welche eigenen Erfahrungen wir gemacht haben, haben wir vielleicht mit dem ein oder anderen Thema Schwierigkeiten. Dazu kommt, dass unser voller Alltag, der Stress unserer Zeit es uns manchmal schwer macht, gut auf die Signale und Bedürfnissen von Kindern einzugehen. Es fehlen uns tatsächlich weitere Hände, weitere Menschen, die auch begleiten. Menschen, die uns die Themen abnehmen können, die uns selbst schwer fallen oder die uns den Freiraum geben, damit wir uns überhaupt erst einmal konzentrieren können auf das, was gerade ansteht.

Ablösen, wenn Kräfte zu Ende sind

Und manchmal geht auch in einer Situation, die wir eigentlich gut gestalten können, die Kraft zu Ende. Manchmal sind Wein- oder Wutphasen lang – zu lang, um sie allein gut begleiten zu können. Irgendwann kann Verzweiflung oder eigene Wut auftauchen. Auch das ist normal. Und dann tut es gut, sich abzulösen. Manchmal ist dieses Ablösen eine gute Hilfe und bringt auch einen Gefühlsumschwung beim Kind, manchmal wird das Kind davon extra sauer, aber wird dennoch weiter umsorgt von einer Bindungsperson.

Wer ein viel weinendes Baby einen halben Tag trägt, ist erschöpft und müde. Wer an einem Gefühlsgewittertag ein Kind von einer Wutsituation zur nächsten begleitet, ist erschöpft. Es tut gut, sich zurück zu ziehen und Aufgaben abzugeben. Um dann auch wieder Kraft zu haben für andere Situationen. Wir sind nicht schlechte Eltern, wenn wir keine Kraft mehr haben. Wir können in schwierige Situationen kommen, wenn wir beständig unsere eigenen Kräfte überfordern und von uns und unserem Verhalten zu viel verlangen.


Sich gegenseitig stärken

Besprechen: Was kann ich gut, was fällt mir schwer?
Zeichen vereinbaren, wann Hilfe benötigt wird/gewünscht ist.
Anerkennen, dass nicht jede/r alles können muss.
Klare Absprachen treffen für gegenseitige Unterstützung.
Fähigkeiten der/s anderen wertschätzen.
Rituale finden, um sich gegenseitig Kraft zu geben durch Paarzeiten, Massage, abendliche Gespräche.


Die Probleme der/s anderen anerkennen

Und selbst dann, wenn an einem Tag keine Möglichkeiten da waren, um sich abzulösen, um sich auszutauschen, tut es gut, die Probleme des Tages aussprechen zu können am Abend. Sich hin zu setzen und zu sagen, was schwerfiel und warum. Und dabei auf offene Ohren und Verständnis zu stoßen. Auf ein: „Das klingt sehr anstrengend.“, „Das hat dich sicher viel Energie gekostet“ oder ein „Komm, ich massiere dir die Schulter, wenn du so viel tragen musstest.“ Dieses Erziehungsding ist nämlich keine Einbahnstraße, wir sind nicht allein unterwegs, sondern zusammen. Und es kommt drauf an, sich gegenseitig zu stützen und zu bestärken in den Dingen, die wir jeweils gut können.

Eure


Zusatz:
Dieser Artikel bezieht sich besonders auf Elternpaare. Alleinerziehende Eltern haben oft eine besonders große Last zu tragen, da sie nicht nur für den Alltag allein zuständig sind, sondern eben auch für die Begleitung von Gefühlen. Einige Familien mit getrennt lebenden Eltern stützen sich dennoch gegenseitig und sind in einem guten Austausch. Andere Alleinerziehende können davon profitieren, wenn. sie von sonstiger Familie und Freunden unterstützt werden. All die Gefühl im Alltag mit Kind zu tragen, ist anstrengend. Besonders, wenn wir sie allein tragen müssen. Netzwerke sind wichtig. Und ebenso wichtig ist es, sich als Netz mit anzubieten, wenn wir Freund*innen haben, die allein mit ihren Kindern sind.Es kostet Kraft, um Hilfe zu bitten. Hilfe von sich aus anzubieten oder einfach bewusst zu helfen, ist leichter.

Die allgegenwärtige Glorifizierung von Mütter-Erschöpfung

Da stehen wir, wir Mütter. Und sind müde, weil wir nachts nicht richtig schlafen. Wir sind erschöpft, weil wir unsere Kinder liebevoll umsorgen und das nicht selten viel Kraft erfordert. Wir sind erschöpft, weil wir wieder viel zu tun hatten und vielleicht mehr, als vielleicht in den Tag hinein passen könnte. Die Liste der Dinge, die erledigt werden wollen, ist lang. Die Zeit, die wir neben Arbeit, Partnerschaft, Kindern, Haushalt (und vielleicht sogar noch ein wenig Hobbys oder anderer Selbstfürsorge ) haben, ist gering. Da gibt es die vielen Dinge des Alltags und dann auch noch die vielen Dinge in unserem Kopf: die Erinnerungen an U-Untersuchungen, die besucht werden müssen, die Schuhe, die neugekauft werden müssen für das Kind, die Unterlagen für die Schulfahrt, die noch nicht unterschieben sind – all der Mental Load, der gar nicht so richtig präsent, aber da ist.

Es geht uns nicht gut

Das Müttergenesungswerk (pdf) geht von 2 Millionen kurbedürftigen Müttern aus, von denen 130.000 beraten lassen. Im Berichtsjahr 2016/2017 haben 49.000 Mütter und 72.000 Kinder eine Kur in Anspruch genommen. Und auch das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (pdf) erklärt: 30 Prozent der untersuchten Mütter ihrer Studie erfahren eine substanzielle Verschlechterung des gesundheitsbezogenen Wohlbefindens innerhalb der ersten sieben Jahre nach Geburt des Kindes.

Die Ursachen dafür sind vielfältig: Auch wenn die meisten Mütter heute ein vereinbarkeitsorientiertes Muttersein leben – also arbeiten und Kinder haben-, stehen wir unter dem gesellschaftlichen Druck, dass wir mehr kindorientiert sein sollten – denn die gelebte Realität unterscheidet sich noch immer von der Erwartungshaltung (pdf). Immer wieder gibt es gesellschaftliche Erwartungen, dass wir das doch bitte alles schaffen sollen: Arbeit, Haushalt und natürlich Kind. Laut Befragung zum Familienleitbild aus dem Jahr 2012 wird erwartet, dass Mütter sowohl nachmittags zu Hause die Hausaufgaben begleiten, als auch erwerbstätig sind. Und nebenher gibt es auch noch die vielen anderen Dinge, damit Frau weiterhin körperlich und geistig attraktiv ist. Und auch wenn wir eigentlich alle wissen, dass Väter sich ebenso gut einbringen können und ebenso gut Haushalt und Kinder betreuen können, ebenso liebevoll sein können, ist die Gleichberechtigungsrealität oft eine andere und die Hauptlast der Arbeit kommt den Müttern zuteil. Auch die gesellschaftlichen Rahmenbedingungen unterstützen, dass es Unterschiede zwischen Müttern und Vätern gibt: Durch den gender pay gap (bessere Bezahlung von Männern im Vergleich zu Frauen)beispielsweise ist eine Erwerbsunterbrechung der Väter in einigen Fällen schwierig, weil das Einkommen der Mutter zur finanziellen Absicherung der Familie nicht reicht.

Die Glorifizierung von Stress

Anstatt zu rebellieren, haben wir die Erschöpfung und Müdigkeit aber vielfach in unser Mutterbild übernommen: Wir denken, dass das alles eben natürlicherweise dazu gehört, zum Elternsein und ganz besonders zum Mutterbild. Und gerade jetzt, vor dem Muttertag, wird es wieder ganz besonders betont: Was Mütter alles schaffen! Was Mütter alles können! Muttitasking! Müde, aber glücklich! Und überhaupt ist WOW doch eine Spiegelung von MOM, weil wir alles so grandios können.

Wenn meine Freundin mich fragt, wie meine Woche war, sieht eine Antwort oft aus: „Ich arbeite gerade an dem neuen Buch und dafür muss ich noch xy machen, aber gerade ist Kind 1 krank geworden und musste aus der Schule abgeholt werden und die Wutausbrüche von Kind 3 sind gerade super anstrengend. Deswegen habe ich ganz vergessen, dass ich ja eigentlich noch für die Kita xy machen musste. Naja, wie immer ein bisschen.“ Und wir lachen kurz und sie erzählt aus ihrem stressigen Alltag. Ja, das ist ein Alltag. Ein stressiger Alltag. Ich bemühe mich, die vielen Dinge auf meiner Liste abzuarbeiten, aber jede Woche bleibt etwas übrig. Und das, obwohl ich das Glück habe, dass wir unsere Aufgaben in der Familie gerecht aufteilen und auch die Kinder in die Hausarbeit eingebunden werden. Aber selbst vier Hände scheinen oft nicht zu reichen für all die Dinge, die erledigt werden wollen. Und für all die Gefühle, die begleitet werden möchten. Und mir geht es dabei noch viel besser als vielen anderen Müttern, die in einer weniger privilegierten Position sind, die vielleicht keine Partner*in haben, die Aufgaben erledigt. Ich habe den Stress in mein Alltagsbild übernommen, aber gut ist das nicht.

Stress begleitet uns, er ist ein Symptom unserer Überlastung, das sich auf unseren Alltag auswirkt: Durch Stress können wir weniger feinfühlig reagieren, wir neigen eher zu negativem Erziehungsverhalten. Wir können nicht mehr gut abwägen und vorausschauend planen, weil unser Gehirn dazu einfach nicht mehr in der Lage ist. Wir sind überreizt und in Daueralarmbereitschaft, weshalb schon kleine Dinge unser persönliches Gefühlsfass zum Überlaufen bringen. Stress stört unsere Beziehungen. In stressigen Zeiten fällt es mir viel schwerer, mit meinen Kindern auf Augenhöhe zu kommunizieren, ruhig ihren Geschichten zuzuhören und mir die Zeit zu nehmen, die wir füreinander brauchen. An stressigen Tagen neige ich viel mehr dazu zu sagen „Mach Dich jetzt endlich fertig, wir müssen los!“ als die Selbständigkeit meines Kindes zu sehen und beachten zu können.

Und dennoch schient es so, als würde er dazu gehören zum Eltern- und ganz besonders Muttersein. Wir kultivieren ihn ein wenig mit unseren Ansprüchen, mit unseren Aussagen und der Erwartung an uns selbst. Wir relativieren unsere Erschöpfung, unsere Müdigkeit, unsere Überarbeitung: Was Mutti nicht alles tut für uns! Wir Mütter sind Supermütter bei dem, was wir alles stemmen! Diese Sätze sind keine Beschreibung, sie sind eine Glorifizierung der Überlastung, die wir haben.

Stopp jetzt

Aber was wäre, wenn wir einfach wirklich ehrlich sagen: Das ist gar nicht toll. Unser Kinder sind toll, wir lieben sie, aber die Rahmenbedingungen sind wirklich nicht super. Es ist zu viel, was da auf einzelnen Schultern lastet. Es ist zu viel bei zu wenig Unterstützung von allen Seiten. Wir brauchen keinen Dank dafür, dass wir alles so super toll hinbekommen, weil viele von uns wegen all dieser Aufgaben erschöpft sind.

Wir brauchen nicht Dank, sondern mehr Unterstützung. Aber vor allem sollten wir zunächst aufhören, den Stress, den wir haben, zu relativieren und zu glorifizieren indem wir erklären, wie toll die Mütter sind, weil sie alles wuppen. Sie wuppen das alles – bis sie müde umfallen – weil sie es müssen. Nicht, weil wir als Frauen und Mütter dazu besonders gut geeignet wären. Nicht, weil es ein Mama-Gen geben würde, das uns viel belastbarer machen würde oder durch das wir alles besser koordinieren könnten. Wir machen das, weil es von uns erwartet wird, weil wir selber schon annehmen, dass wir das leisten müssen. Weil wir uns selbst in Frage stellen, wenn wir das alles nicht schaffen – weil alle anderen das doch anscheinend auch können. Weil doch alle anderen Moms auch grandios sind und nur wir etwa nicht? Weil wir doch auch mithalten können müssen. Aber die Wahrheit ist: Wir haben keine Superkräfte als Mütter, sondern sie werden uns abverlangt.

Deswegen wünsche ich mir ein bisschen weniger „Ach wie toll doch Mütter sind“ und ein bisschen mehr „Lasst uns mal hinsehen, warum Mütter so viel tun müssen“.

Eure

10 Jahre Mutter

10 Jahre Mutter. So viel lachen, so viele Tränen. Durchwachte Nächte, Verzweiflung. Nasse Kinderküsse, abgerupfte Blumen in Kinderfäusten. Krankenhausaufenthalte, das erste „Mama“, Einschulung, Krankheiten, Nächte neben einem kleinen Menschen liegen und staunen, dass es ihn gibt. Bei jedem Kind wieder.

10 Jahre Mutter. Ob ich mir es so vorgestellt hätte? Ehrlich gesagt: Nein. Ich habe nicht die Wucht dieser Gefühle erahnt, die breite Palette an Dingen, die überhaupt gefühlt werden können von unendlicher Liebe bis unendlicher Verzweiflung. Mutterschaft hat all das mit sich gebracht und noch viel mehr.

Als ich damals vor 10 Jahren mein erstes Kind zur Welt brachte, gab es diesen kurzen Moment, in dem ich dachte: Das schaffe ich nie. Dieses Gefühl war es, das immer wieder kam in ganz verschiedenen Gestalten in den vergangenen 10 Jahren. Bei jeder der drei Geburten. In den Zeiten, in denen ich zu müde war, um klar zu denken. Und auch in den Zeiten, in denen ich lernen musste, loszulassen. Das schaffe ich nie: Stark sein, wenn ich eigentlich weinen wollte. Gegen die eigenen, erlernten Muster ankämpfen und sie nicht durchbrechen lassen. Die vielen ersten Male im Muttersein mit all der Aufregung. Und die Erkenntnis: Das schaffe ich doch. Und wenn nicht, muss ich es auch nicht alleine. Denn dieses Elternding ist kein Mutterding. Dieses Elternding ist ein Wir.

Ich hatte mir Mutterschaft nicht rosa-rot ausgemalt, aber schon in den eher warmen Farben. Blicke ich heute auf die vergangenen 10 Jahre zurück, kann ich sehen, dass das Bild viel in diesen Farben gemalt wurde, aber auch in vielen anderen. Ein bunter Mix von all dem, was möglich ist. Mit jedem Kind ein anderer Farbtupfer und jedes Kind hat nicht nur mein Bild mitgemalt, sondern auch mich verändert.

In 10 Jahren Mutterschaft ist mein Körper weicher geworden, meine Gedanken oft schärfer. Meine Brüste sind tiefer gerutscht, meine Ansprüche an die Gesellschaft höher. In 10 Jahren Mutterschaft habe ich gespürt, wo es mangelt und wo es Fülle gibt. Ich habe verglichen und so manches Mal festgestellt, dass Vergleiche nicht gut sind. Und dass es auch falsch ist, von hier auf anderswo zu schließen. Denn es gibt ihn nicht, den einen immer richtigen Weg. Weder hier noch anderswo.

In 10 Jahren Mutterschaft habe ich gesehen, dass wir an vielen Stellen einen weiten Weg gegangen sind, aber dass der Weg vor uns für Mütter, Eltern und Kinder noch viel länger ist. Ich habe gesehen, wie Trends kamen und gingen: Label, Zuweisungen, Erziehungstrends, Moden, Facebook, Instagram. Und wie das alles zusammen hängt mit unseren Bildern und Gedanken und Gefühlen. Wie es uns stützt und wie es uns krank machen kann. Mutter sein war nicht einfach damals und ist es heute zu großen Teilen noch weniger: der Druck, die Gefühle, die Einsamkeit manchmal, die Anforderungen und diese Sache, die sich „Vereinbarkeit“ nennt und dennoch oft nicht so richtig vereinbar ist. Wie soll ich aussehen, was soll ich tragen, welches Spielzeug ist richtig und welcher Ernährungsstil? Manchmal glaube ich fast, vor 10 Jahren war weniger „muss“ und „soll“ – aber vielleicht war es auch nur weniger öffentlich damals, als ich in dieses Abenteuer gestartet bin.

Nach 10 Jahren würde ich gerne sagen: Ich weiß, wie es geht. Aber ich weiß es nicht. Es ist immer wieder lernen und hinsehen und fühlen. Denn was ich weiß: Mutter sein bedeutet, hinzufühlen. Und Vater sein auch. Und das ist es, worum es wirklich geht: 10 Jahre fühlen. Die eigenen Gefühle und die dieser Kinder, die mich auf meinem Weg begleiten und die ich auf ihrem Weg begleiten darf. Fühlen, was genau für mich und uns richtig ist. Fühlen, was aus der großen Masse passt und was nicht. 10 Jahre fühlen und noch hoffentlich viele darüber hinaus. Lasst uns nicht aufhören, zu fühlen. Und lasst uns Gefühle teilen, unterstützen und weitergeben.

Susanne Mierau ist u.a. Diplom-Pädagogin (Schwerpunkt Kleinkindpädagogik)Familienbegleiterin und Mutter von 3 Kindern. 2012 hat sie „Geborgen Wachsen“ ins Leben gerufen, das seither zu einem der größten deutschsprachigen Magazine über bindungsorientierte Elternschaft gewachsen ist. Sie ist Autorin diverser Elternratgeber, spricht auf Konferenzen und Tagungen, arbeitet in der Elternberatung und bildet Fachpersonal in Hinblick auf bindungsorientierte Elternberatung mit verschiedenen Schwerpunkten weiter.  

„Aber das Baby will immer zu Dir an die Brust“ – der nicht stillende Elternteil und die Babyberuhigung

Das Stillen ist eine Möglichkeit, um ein Baby in vielen Situationen zu beruhigen und die Brust ist besonders auch im ersten Jahr der Ort, an dem das Baby oft einschläft. „Einschlafstillen wirkt so sicher wie eine Narkose“ schreibt Hebamme Anja, denn in der Muttermilch sind schlaffördernde Inhaltsstoffe enthalten. Im Darm des Babys wird das Hormon Cholecystokinin ausgeschüttet, das dem Gehirn Sättigung signalisiert und Müdigkeit auslöst (dieses Hormon steht auch im Zusammenhang mit dem Clusterfeeding). Und durch den Körperkontakt kommt es zur Ausschüttung von Oxytocin, das zusätzlich beruhigt. Zudem befindet es sich in der Nähe des bekannten und beruhigenden Herzschlags, ist gewärmt durch die Körperwärme eines anderen Menschen und weiß sich in diesem Kontakt sicher und geborgen. Ein rundum schöner Ort, um einzuschlafen oder beruhigt zu werden. Aber dennoch ist es nicht der einzige Ort, der Beruhigung bietet und Schlaf ermöglicht.

Zum Beruhigen müssen Signale erkannt werden

Eltern können ihre Kinder beruhigen – unabhängig davon, ob sie stillende Eltern sind oder nicht. Für die Beruhigung des Babys ist es wichtig, dass die Signale des Babys wahrgenommen und beantwortet werden: Ist es überreizt, braucht es Ruhe und Reizminderung. Ist es hungrig, braucht es Nahrung. Fühlt es sich in einer nassen Windel unwohl, muss es gewickelt werden… Die Signale des Babys lernen wir zu verstehen, wenn wir mit ihnen Zeit verbringen. Dann lernen wir auch unsere jeweils eigenen Beruhigungsstrategien.

Bevorzugung des Bekannten

Natürlich haben Babys eine Vorliebe für die Beruhigungsstrategien, die sie seit jeher kennen. Wenn sie immer an der stillenden Brust einschlafen, werden sie gegen eine Änderung dieser bequemen und bekannten Beruhigungsstrategie rebellieren. Praktisch ist es deswegen, wenn sie schon früher andere Wege in den Schlaf kennengelernt haben oder auch von anderen Menschen in den Schlaf begleitet wurden auf eine andere Weise.

Individuelle Unterschiede sind in Beruhigungsritualen sind möglich

Wie ein anderes Schlafritual oder Beruhigungsritual aussehen kann, kann ganz verschieden sein. Es ist wichtig, dass jede/r Elternteil ein eigenes Ritual entwickeln kann, ohne dass dieses vom anderen Elternteil bewertet oder vorschnell eingegriffen wird. Das Baby ist in guten Händen: Es wird begleitet in dem Bedürfnis, das es gerade hat, es ist nicht allein und wird umsorgt. Es erfährt: Hier ist jemand, der/die bei mir ist und mir helfen möchte, auch wenn es Zeit braucht.

Für das Baby gilt, was für alle Menschen gleichermaßen in Situationen bedeutsam ist, in denen sie sich fremd und allein fühlen: Ein vertrauter Mensch an der Seite, der beruhigt und liebevoll unterstützt, ist eine große Hilfe.

S. Mierau „Geborgen wachsen“ S. 48

Sichere Bindung geht auch ohne Stillen

Eine sichere Bindung entsteht nicht durch das Stillen, auch wenn es einen Einfluss darauf haben kann. Sichere Bindung entsteht durch Feinfühligkeit und (promptes) Reagieren auf die Signale des Babys. Und das ist unabhängig vom Stillen.

Dass Babys zur Beruhigung auf die gewohnte stillende Brust und Milch zurückgreifen wollen, ist normal, wenn dieses die Hauptberuhigungsstrategie im Alltag ist und sie hat zudem die oben aufgeführten Vorteile. Deswegen ist es gut, wenn beide Elternteile gleichermaßen das Baby beruhigen – von Anfang an. Wenn das Baby zunächst an der stillenden Brust besonders viel beruhigt wurde und nun „umlernen“ soll/kann, braucht es wahrscheinlich eine Zeit des Kennenlernens und beide Beteiligten brauchen die Zeit, um sich einzuspielen und eine gute andere Methode kennen zu lernen: vielleicht ist es das Tragen in Tuch oder Tragehilfe oder das Schaukeln auf einem Sitzball oder das Laufen im Fliegergriff oder das gemeinsame Ausruhen im Bett. Aber diese Zeit und die Möglichkeit, den anderen Elternteil als beruhigenden und umsorgenden Menschen kennenzulernen (jenseits von Nahrung und Sättigungsgefühl), ist eine besonders schöne Möglichkeit, um intensiv in Kontakt zu kommen, sich kennen zu lernen und eine tiefe Verbindung aufzubauen.

Daher beim nächsten Gedanken an „Ich kann das nicht, weil das Baby will sowieso nur an die Brust“ lieber einen Schritt nach vorn gehen und denken „Wir beide probieren jetzt mal unser Ding aus und bekommen das Baby geschaukelt.“ Langfristig ist dies ein Geschenk für alle Mitglieder der Familie und trägt auch zur Entlastung beider Eltern bei.

Susanne Mierau ist u.a. Diplom-Pädagogin (Schwerpunkt Kleinkindpädagogik), DAIS-Stillbegleiterin, Familienbegleiterin und Mutter von 3 Kindern. 2012 hat sie „Geborgen Wachsen“ ins Leben gerufen, das seither zu einem der größten deutschsprachigen Magazine über bindungsorientierte Elternschaft gewachsen ist. Sie ist Autorin diverser Elternratgeber, spricht auf Konferenzen und Tagungen, arbeitet in der Elternberatung und bildet Fachpersonal in Hinblick auf bindungsorientierte Elternberatung mit verschiedenen Schwerpunkten weiter.  

Selbstoptimierungs-Mom

Familie, Haushalt, Job, Partnerschaft, Freundschaften, Hobbys,… und das alles nicht nur unter einen Hut bekommen, sondern auch noch perfekt darin sein. Denn „einfach nur gut“ reicht heute an vielen Stellen nicht, wird uns suggeriert. Besonders als Mutter. – Und es möglichst noch allein schaffen, denn das bedeutet doch Vereinbarkeit. Wir sind nicht mehr nur bei der Supermom angelangt, sondern schon in Zeiten der Selbstoptimierungs-Mom:

Der Tag hat 24 Stunden und Kraft ist begrenzt

Ein Tag hat 24 Stunden, in die wir unsere Aufgaben hinein geben können. Zunächst müssen wir darauf achten, unsere grundlegenden Bedürfnisse selbst zu erfüllen wie beispielsweise Schlaf und Nahrung. Dazu kommen weitere Bedürfnisse, die erfüllt werden können, sofern die Grundbedürfnisse befriedigt sind. Zu unseren Grundbedürfnissen, die erfüllt werden wollen, gesellen sich – zumindest in den ersten Jahren – die Grundbedürfnisse des Kindes, das auf die Befriedigung selbiger durch erwachsene Personen angewiesen ist: Die Erfüllung dieser geht von den 24 Stunden des Tages ab. Werden wir unterstützt, sind es weniger Stunden, die von unseren eigenen 24 Stunden dafür Verwendung finden. Werden wir nicht unterstützt (oder nur wenig), müssen wir viel von der eigenen Zeit verwenden und es bleibt weniger Zeit für die eigenen Bedürfnisse übrig.

Manchmal sind wir uns dessen gar nicht bewusst, wie viel Energie und Zeit wir wirklich in unsere Kinder und Familie investieren. Psychologin Patricia Cammarata hat kürzlich hier über die vielen  unsichtbaren Aufgaben geschrieben, die wir scheinbar nebenher im Alltag absolvieren und bezeichnet dies als „Mental Load“. Sie schreibt auch:

„Energie ist endlich (hätte ich auch schon aus dem Physikunterricht wissen können). Energie ist eine Torte. Ich kann acht oder sechzehn Stücke rausschneiden, größer macht das die Torte nicht und am Ende ist die Torte weg. Für einen Job und ein Kind hat meine Energie leicht gereicht, für zwei auch noch, beim dritten war dann Schluss.“

Unsere Tage haben nur einen begrenzten Zeitumfang, unsere Energie ist nicht unbegrenzt. All das setzt uns ein Limit an Dingen, die wir erledigen können, die wir bearbeiten können. Arbeit, Haushalt, Familie, Freunde, Hobbys, Partnerschaft,… Unsere Liste an Aufgaben/zu erledigenden Dingen ist lang. So lang, dass sie kaum noch in den Alltag hinein passt. Dass wir schon oft und immer wieder merken: Ich habe mehr Aufgaben als Zeit. Ich kann nicht noch mehr tun, kann nicht noch mehr Zeit herzaubern. Das Maximum an möglichen Tätigkeiten ist erreicht.

Nicht nur alles, sondern alles auch perfekt

Aber mit dem „Mental Load“, mit den alleinigen Aufgaben, die sowieso schon viel sind und oft nicht allein zu bewältigen, haben wir das Ende der Fahnenstange noch nicht erreicht. Denn es geht nicht nur darum, dass wir all das schaffen, sondern auch wie: Es ist nicht nur ausreichend, die Arbeit zu absolvieren und damit zufrieden zu sein. Wirklich wertgeschätzt wird diejenige, die trotz Familienbelastung auch Karriere macht. Aber Achtung: Nur nicht zu früh in den Job zurück, denn auch das ist verkehrt und gilt als egoistisch. Es reicht nicht mehr, den Haushalt nur zu erledigen, sondern es muss sorgfältig erledigt werden, um letztlich eine strahlend aufgeräumte Wohnung zu haben – instagrammable. Es reicht nicht, sich neben all den Aufgaben einfach nur wohl zu fühlen in der eigenen Haut, sondern auch an unsere Körper werden höchste Ansprüche gestellt. Erwachsenenbildnerin und Sexualpädagogin Katja Grach schreibt in ihrem Buch „MILF Mädchen Rechnung“ dazu

„Beruf und Familie unter einen Hut bekommen war gestern. schließlich wachsen Menschen an ihren Herausforderungen. Weil aller guten Dinge drei sind, macht nun erst der Fuckability-Faktor die Vereinbarkeitsdebatte komplett.“

Nicht nur Frau und Mutter und Karriere, sondern dabei auch gut aussehend und sexy. Und um all das noch zu erweitern, kommt auch noch die Pädagogik hinzu: Die Kinder sollen schließlich bestmöglich gefördert, auf die Zukunft vorbereitet und modern erzogen werden. Wie das geht, muss nebenher auch angelesen, gecoacht und gelernt werden. Denn wenn sich „das Kind nicht benimmt“ (was auch immer das sein soll, denn Kinder sind Kinder), dann sind schließlich die Eltern schuld und zumeist die Mutter, ebenso wie das Erziehungsverhalten bei Müttern generell kritischer betrachtet wird, wie auch Kim Brooks in der New York Times folgendermaßen belegt

„Dr. Sarnecka, the cognitive scientist, has an answer to this. Her study found that subjects were far less judgmental of fathers. When participants were told a father had left his child for a few minutes to run into work, they estimated the level of risk to the child as about equal to when he left because of circumstances beyond his control. I love the way this finding makes plain something we all know but aren’t supposed to say: A father who is distracted by his interests and obligations in the adult world is being, well, a father; a mother who does the same is failing her children.“

Selbstoptimierung – die Falle

Der Druck, der auf Familien lastet, ist enorm. Dies umso mehr, wenn es Familien sind, die wenig Unterstützung haben oder in denen gar eine erwachsene Person mit Kind(ern) allein lebt. Alle Aufgaben sollen erledigt werden, allen Lebensbereichen soll gleichermaßen gerecht werden und dabei soll jeder einzelne Bereich perfekt sein. Wir bekommen in der Werbung, auf Instagram, in Social Media und selbst auf Kongressen vermittelt: Du bist nicht genug nur einfach so, Du musst noch mehr. Wenn Du Frau bist, müssen Deine Kinder nicht nur wohl „erzogen“, hübsch und adrett sein, Du musst dabei gebildet, belesen, fit, gesund und schön sein, sorgsam gepflegt und geschminkt und wohl frisiert und gekleidet. Und wenn Du das jetzt noch nicht bist, dann musst Du es werden. Du musst Dich selbst optimieren: Aus der vorhandenen Zeit das Maximum an Leistung heraus holen, jede Minute sinnvoll nutzen. Ist Dein Körper nicht perfekt, kannst Du ihn mit Hilfe von Apps optimieren und besser definieren – „in nur 5 Minuten am Tag zur Traumfigur“. Bist Du unsicher in Hinblick auf Erziehung, musst Du Ratgeber konsumieren und Dich in Bindungs-, Entwicklungs- und Gehirnentwicklungsfragen auskennen als hättest Du Erziehungswissenschaften oder Psychologie studiert. Wenn Du nicht die Grundlagenliteratur der Bindungstheorie und ihre Autor*innen kennst, bist Du in manchen Facebookgruppen verloren. Bilde Dich und nutze die Zeit perfekt und optimal, um das möglichste aus Dir heraus zu bekommen – und noch ein wenig mehr. Burnout ist nicht mehr nur eine Erkrankung unter Unternehmens-Manager*innen, es hat auch die Familien-Manager*innen eingeholt und verbreitet sich von dort auf die Familie, denn das Vorbild der Selbstoptimierung macht vor den Kindern nicht halt: Auch sie erleben, wie die Eltern an sich arbeiten, den Alltag mit Terminen voll legen und verplanen und entwickeln selbst ein Perfektionsstreben, das zu Erschöpfung führen kann. Von den Selbstoptimierungseltern ist es nicht mehr weit zur optimierten Kindheit.

Du bist gut genug

Das ist es, was alles auf unseren Schultern lastet. Viele Aspekte davon auf Müttern und Vätern, aber ganz besonders sind Mütter davon betroffen. Wir sind mitten drin in der Selbstoptimierungsindustrie, gerade wir Eltern. Wie viel wir davon aushalten können, ist ganz individuell verschieden und hängt mit unseren persönlichen Ressourcen zusammen, aber auch mit dem Grad der Unterstützung, die wir weniger dazu nutzen, damit wir wirklich entspannen können, als dafür, Zeiten frei zu bekommen, um mehr an uns oder für uns arbeiten zu können. Wenn das Baby Mittagsschlaf macht, wird schnell die Küche aufgeräumt und das Bad geputzt, statt selbst zu ruhen.

Die große Frage aber ist: Warum eigentlich? Was soll es uns bringen, jeden einzelnen Teil des Lebens maximal zu optimieren? Verspricht es uns wirklich in einer fernen Zukunft Entspannung? Was ist aus dem Grundsatz „Der Weg ist das Ziel“ geworden, durch den wir die Tage genießen konnten. Ob es wirklich etwas bringt, uns zu perfektionieren, ist ungewiss. Was wir aber bislang wissen, ist, dass es ausreicht, „nur“ gut genug zu sein. Wir müssen keine Supermütter sein, auch wenn uns das beständig und von allen Seiten eingeredet wird.

Du bist gut so, wie Du bist. Mit Deinen persönlichen Schwerpunkten, in Deiner Individualität. Du bist so, wie es für Euch gerade richtig ist und so, wie es für Dich richtig ist. Anstatt immer weiter an uns zu optimieren, sollten wir vielleicht lieber ehrlich zu uns selbst sein, stolz auf das, was wir leisten – egal ob berufstätig oder nicht. Und wir sollten nicht mehr von uns selbst einfordern (müssen), sondern von der Gesellschaft: mehr an Unterstützung, weniger Druck. Hilfen normalisieren, Verständnis erwarten und entgegenbringen. Anerkennen und Schulter klopfen statt hochgezogene Augenbrauen und heimliches Kopfschütteln und Optimierungstipps.

Eure

Zur Mutter geworden

Ich liege neben Dir in Deinem Bett und streichel über deine Haare. Da liegst Du, mein großes Kind und liest in einem Buch, während ich neben Dir arbeite. Ich streichel über Deine Haare und denke daran, wie wenig Haare Du einmal hattest und dass ich einmal wirklich zur Ärztin ging, um zu fragen, ob sie wirklich noch nachwachsen irgendwann. Ich lächel in mich hinein bei diesem Gedanken an mein früheres Ich, an mein Erstes-Mal-Mutter-Ich und all die Fragen, die ich hatte, all die Sorgen und all die großen Pläne. Weiterlesen

Menschlichkeit lässt sich nicht in Vater- und Mutterrollen aufteilen

An manchen Tagen bin ich zugleich verwirrt und traurig über die Dinge, die ich lese. Dies geht mir gerade so, wenn ich Artikel über Vater- und Mutterrollen lese oder Kommentare zu verlinkten Artikeln. Ich ganz persönlich denke nicht, dass es bestimmte Vater- oder Mutteraufgaben gibt. Denn wenn wir diese Dinge, die wir als Aufgaben betrachten, aus Sicht des Kindes betrachten, geht es in erster Linie darum, einem Menschen ein Bedürfnis zu erfüllen – unabhängig davon, wer wir sind und wer er oder sie ist. Weiterlesen

Die Einsamkeit zu zweit – über die einsamen Mütter

Da liegt es nun, dieses wunderschöne Baby. So zart, so rosig, so schön. Man streicht mit sanften Händen darüber. Man schaut es an, stundenlang. Doch irgendwann kommt der Moment, an dem das Anschauen nicht mehr reicht. Vielleicht kommt gerade noch die Hebamme einmal am Tag. Vielleicht ist aber die Zeit der Besuche im Wochenbett schon vorbei. Oft geht der andere Elternteil schon bald nach der Geburt wieder arbeiten. Die Freund*innen sind ebenfalls beim Job. Ein schales Gefühl stiehlt sich ins Herz: Einsamkeit zu zweit – gibt es das?

Weiterlesen