Dieser erste Moment nach der Geburt, wenn Mutter und Kind sich ansehen, ineinander versinken und die Zeit fast einen Moment stehen bleibt. Bei manchen gibt es diesen Zeitpunkt früher, bei anderen später – je nachdem, wie die Geburt verlaufen ist. Diesen Moment genießen, ganz ineinander eintauchen und sich kennen lernen: So siehst Du aus, so riechst Du, so fühlst Du Dich an – auf Seiten des Kindes und Seiten der Eltern. Ein magischer Moment.
Gerade jetzt haben wir eigentlich alle Zeit der Welt – oder sollten sie haben. Aber oft wird in Filmen, Büchern oder auch durch Fachpersonal vor Ort vermittelt: Nun musst Du Dich beeilen und das Kind anziehen und stillen. Aber das Baby kommt – wenn es reif und gesund zur Welt kommt ohne Gründe, die schnelles Eingreifen notwendig machen – auch mit dem Wunsch zu uns, von Anfang an die Welt mit allen Sinnen kennen zu lernen. Und die Welt beginnt genau jetzt mit dem Menschen, auf dem es liegt und dessen warme Haut es spürt.
Dein Baby lernt Dich jetzt kennen
Da liegt es nun und nimmt zum ersten Mal den Herzschlag nicht aus dem inneren des Körpers wahr, sondern über die Brust im Hautkontakt. Es hört die bekannten Stimmen, aber ganz anders als zuvor. Es fühlt Körperwärme dort, wo es im Körperkontakt steht und spürt zum ersten Mal Kälte an den Stellen, die nackt sind. Es spürt Stoff auf der Haut zum ersten Mal dort, wo es von einer Decke bedeckt ist. Es spürt Haut, aber ganz anders als zuvor im Mutterleib, denn sie fühlt sich anders an.
Instinktiv weiß das Baby, wohin es nun möchte und folgt dem eigenen Geruchssinn, verbunden mit den anderen Sinnen. Wenn es ausreichend geruht hat, beginnt es, sich zu bewegen. Liegt das Baby nun nackt bäuchlings auf nackter Brust oder Oberbauch der Mutter, beginnt es vielleicht, mit dem Kopf und Mund die Brust zu suchen und die Haut um sich mit dem Mund zu ertasten. Es leckt oder saugt an der Haut, die es umgibt, um zu erkennen, ob es sich um die Haut der Brust handeln könnte. Es weiß instinktiv, dass sich die Haut der Brustwarze anders anfühlt als andere Haut und nimmt die unterschiedlichen Empfindungen wahr. Vielleicht beruhigt es sich durch das Saugen zunächst noch einmal, bevor es wieder mit der Suche beginnt. Es kann sich mit den Füßen abstoßen, den Kopf bewegen oder gar ruckartig zu einer Seite schnellen lassen. Auf diese Weise bewegt es sich selbst zu seinem Zielort.
Auch wenn wir versucht sind, an dieser Stelle einzugreifen und das Baby selbst aufzunehmen und an die Brust zu legen, müssen wir es nicht tun. Denn unser Kind ist von Anfang an kompetent und strebt nach Autonomie – nicht erst im Alter von 2 oder 3 Jahren, sondern von Beginn an. Wir können uns zurück lehnen (im wahrsten Sinne des Wortes) und warten – eine Tätigkeit, die wir in den folgenden Jahren immer wieder tun werden: abwarten, das Kind machen lassen. Gerade jetzt und hier, in den ersten Momenten des Familienlebens, lernen wir einen der wichtigsten Eckpfeiler der Elternschaft: Vertrauen in das Kind und dessen Fähigkeiten.
Selbstwirksamkeit: Das Baby findet die Brust
Irgendwann wird das Baby die Brust gefunden haben durch das Riechen, Tasten, Fühlen. Manchmal muss es durch den Arm der Mutter ein wenig gestützt werden, damit es nicht vom Körper rutscht. Aber den Großteil des Weges schafft es ganz allein. Vielleicht befühlt es die Brust mit dem Mund, vielleicht nimmt es die kleinen Hände oder Fäuste zu Hilfe, um die Brust zurecht zu schieben. Vielleicht ruht es sich noch einmal aus und legt den Kopf ab. Irgendwann wird es jedoch den Mund öffnen und mit dem Stillen beginnen – selbstbestimmt und aus eigener Kraft.
Der Vorteil dieses babygeleiteten Anlegens ist, dass das Baby selbst wirksam ist, dass es uns bereits nun, ganz am Anfang, etwas Wesentliches lehrt über den Blick auf das Kind und das Stillen so meist gut und komplikationslos starten kann, da durch die Eigenaktivität des Kindes Anlegeprobleme vermieden werden können, die den Stillstart erschweren. Nicht nur unmittelbar nach der Geburt können daher die Reflexe und Intuition des Babys genutzt werden, um zu stillen, sondern in den ersten Wochen. Gut ist es, wenn Mutter und Kind im direkten Haut-zu-Haut-Kontakt sein können hierfür.
Eure
Susanne Mierau ist u.a. Diplom-Pädagogin (Schwerpunkt Kleinkindpädagogik), Geburtsvorbereiterin, Familienbegleiterin und Mutter von 3 Kindern. 2012 hat sie „Geborgen Wachsen“ ins Leben gerufen, das seither zu einem der größten deutschsprachigen Elternblogs über bindungsorientierte Elternschaft gewachsen ist. Sie ist Autorin diverser Elternratgeber, spricht auf Konferenzen und Tagungen, arbeitet in der Elternberatung und bildet Fachpersonal in Hinblick auf bindungsorientierte Elternberatung mit verschiedenen Schwerpunkten weiter.