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Die Weisheit der Kinder

Wenn wir von „Weisheit“ reden, denken wir meist an alte, erfahrene Menschen. Doch auch Kinder sind weise. Sie zeigen uns zum Beispiel, was sie fühlen, auch wenn sie dafür keine Worte haben. Und sie zeigen uns, was sie brauchen, auch wenn sie das nicht benennen können. Betrachten wir zwei Beispiele:

Warum Kinder gerne „verstecken“ spielen

Linas Oma muss sich verstecken und Lina findet sie mit einem lauten Jauchzen. Doch am wichtigsten ist es ihr, selbst gefunden zu werden. Schon als kleineres Kind hat sie öfters die Hände vor die Augen gehalten und gerufen: „Bin weg. Bin weg!“ Und wenn man ihr dann auf die Nase stupste, nahm sie die Hände weg, öffnete die Augen, strahlte und rief: „Daaaaaaaa!“.

Kinder möchten gesehen werden, Kinder müssen gesehen werden. Das Sehen und Gesehen werden gehört zu den spürenden Begegnungen, , zu den grundlegenden Interaktionen, mit denen sich Kinder in die Welt öffnen und mit ihr verbinden. Wenn Kinder sich nicht gesehen fühlen, dann schwächt das ihr Selbstwertgefühl, dann gehen sie verloren und fühlen sich verloren. Gesehen zu werden ist viel mehr, als dass jemand die Information erhält, dass Lina existiert oder Lina dies und jenes macht. Gesehen zu werden bedeutet, dass Lisa als Mensch wahrgenommen wird, dass jemand in Beziehung zu ihr tritt und sie wertschätzt. Wenn Lina gesehen wird, bedeutet das immer auch, dass Lina es wert ist, gesehen zu werden.

Der Sinn des Versteckens besteht vor allem darin, gefunden zu werden. Der Schriftsteller Friedrich Ani erzählt in einem Roman* von einem Kind, das aus einem Kinderheim wegläuft und sich mehrere Tage versteckt. Süden, der Held des Romans, findet den Jungen und versucht ihm danach zu erklären, warum er weggelaufen ist: „Du kamst dir vor, als wärst du unsichtbar, und da dachtest du: wenn mich eh niemand sieht, kann ich genauso gut ganz abhauen.“** Und er sagt an anderer Stelle: „Manche Menschen werden erst durch ihr Verschwinden sichtbar.“*** Wenn Kinder sich verstecken, wollen sie gefunden werden. Immer und immer wieder. Linas Oma spielt gern Verstecken. Sie weiß nicht, warum Lina so viel Spaß daran hat, aber das ist ihr egal. Lina freut sich und deshalb freut sie sich auch.

Warum manche Kinder beim Spielen nicht „verlieren“ können

Angela, ihr Bruder und deren Eltern spielen Karten. Angela und die Mutter spielen zusammen, der Bruder und der Vater sind ein anderes Paar. Der Kartenhaufen in der Mitte wird immer größer. Es wird immer spannender. Man muss sich merken, welche Karte schon gefallen ist, um selbst die richtige Karte abzulegen. Dann ist es geschehen. Die Mutter patzt. Angela hätte genau gewusst, dass man die Zehn nicht ausspielen darf, sie hat sich die früher im Spiel abgeworfenen Karten gemerkt. Der Bruder und der Vater bekommen den großen Haufen und gewinnen das Spiel mit großem Vorsprung. Der Bruder triumphiert lachend. Angela kommen die Tränen. Sie kämpft gegen ihre Tränen an, sie will nicht, dass die anderen denken, sie könne nicht verlieren. Sie läuft hinaus …

Alle Kinder gewinnen gerne. Es ist selbstverständlich. Zu gewinnen ist ein Erfolgserlebnis. Es zeigt, dass man etwas gut und richtiggemacht hat, etwas „kann“. Und es ist eine Bestätigung der eigenen Wirksamkeit. Ganz gleich, ob im Sport oder im Spiel.

Nicht verlieren zu können, ist etwas anderes als das Gewinnen. Hier geht es nicht so sehr um den spielerischen Gewinn, sondern um den Selbstwert, die Selbstbehauptung und die Selbstachtung. Die Selbstachtung eines Kindes entsteht immer auch im Vergleich mit anderen Kindern, im Vergleich mit Erwachsenen. Ist diese Selbstachtung gefährdet oder wird sie verletzt, dann kann aus dem Bedürfnis, gerne zu gewinnen, die Anstrengung werden, nicht verlieren zu dürfen.

Noah muss immer gewinnen. Er spielt nur mit anderen, wenn er auch gewinnen kann. Wenn er keine Chance hat zu gewinnen, weigert er sich zu spielen. Die anderen sagen ihm dann, dass er „doof“ sei. Sie wollen nicht klein gemacht werden. Sie wollen auch einmal groß werden. Noah findet sich selbst auch „doof“. Immer eckt er an. Nie bekommt er Wertschätzung, nur dann, wenn er gewinnen kann. Aber auch da ist die Wertschätzung halbherzig. Mit seinem krampfhaften Bemühen, immer gewinnen zu müssen, macht er sich keine Freunde. Noah fühlt sich klein und kleingemacht.

Ein Kind, das nicht verlieren kann, hat vielleicht schon einiges verloren. Noah hat seine selbstverständliche Selbstwertschätzung verloren – aufgrund welcher Erfahrungen auch immer. Je sicherer Kinder sich fühlen, desto leichter gehen sie damit um, ob sie gewinnen oder verlieren. Gewinnen oder verlieren ist dann eine Frage spielerischen Wettbewerbs und nicht der existentiellen Selbstbehauptung. Wenn Kinder nicht verlieren können, haben sie etwas verloren und daran muss die Hilfe ansetzen. Mit ihnen über das Gewinnen und Verlieren zu reden oder zu streiten, ist sinnlos. Der Sinn, nicht verlieren zu können besteht darin, dass sie uns zeigen, dass sie mehr Beachtung und mehr Wertschätzung brauchen.

Der verborgene Sinn kindlichen Verhaltens

Wenn Jonas im Kinderstuhl den Löffel auf den Boden wirft, steht meist ein Elternteil auf und gibt ihm den Löffel zurück. Jonas strahlt und lässt den Löffel wieder fallen … Und so geht es weiter. Das scheint für uns Erwachsene unsinnig zu sein. Da sich Jonas freut, spielen wir mit. Doch was „das soll“, ist unverständlich. Dabei liegt der Sinn auf der Hand: Kinder brauchen die Erfahrung, wirksam zu sein. Jonas ist wirksam. Er bewirkt, dass Mama oder Papa immer wieder aufstehen und ihm den Löffel aufheben und zurückgeben. Oft sind die „Großen“ wirksam und Jonas muss tun, was sie wollen. Hier ist es umgekehrt. Das ist der Sinn seines Verhaltens.

Das Wort „Sinn“ stammt aus dem mittelhochdeutschen „sin“ und bedeutet ursprünglich „Richtung“. Im Wort „Uhrzeigersinn“ ist diese Bedeutung noch enthalten. Der Sinn kindlichen Verhaltens bleibt manchmal verborgen, weil die Kinder keine Worte haben und ihre Absichten nicht erklären können. Dich sie zeigen uns in ihrem Verhalten die „Richtung“, in die sie gehen wollen, ihre Absichten, ihren Sinn. Auch wenn Angela im Kartenspiel nicht verlieren kann, zeigt uns das etwas: dass sie vielleicht schon etwas verloren hat, womit sie nicht umgehen kann, dass ihr etwas fehlt, dass sie Selbstwertschätzung und Würdigung braucht.

Auch der Sinn des Verstecken-Spielens ist klar: Kinder wollen gesucht werden, wollen gefunden werden, wollen Beachtung.

Die Weisheit der Kinder

Doch die Weisheit der Kinder geht noch darüber hinaus, dass sie uns den Sinn zeigen: Sie rufen in uns Gefühle und Befindlichkeiten hervor, die sie selbst spüren, für die sie aber keine Worte haben. Wenn Noah immer „gewinnen“ muss, dann ruft das bei den Eltern Unverständnis hervor: Was soll das, es ist doch nur ein Kartenspiel. Auch Noah versteht das nicht und ist verwirrt über sich selbst. Wenn Sie das Gefühl haben, bei Ihrem Kind „vor eine Wand“ zu laufen, können Sie ziemlich sicher sein, dass das Kind das gleiche Gefühl hat – vielleicht nicht Ihnen gegenüber, sondern gegenüber der Lehrerin, der Freundin oder einer anderen Person. Wenn Sie sich hilflos fühlen, liegt die Vermutung nahe, dass das Kind sich auch hilflos fühlt …

Solche Zusammenhänge zu erkennen, erhöht das Verständnis für Ihr Kind. Damit soll nicht gesagt sein, dass Sie alles akzeptieren oder verzeihen sollten. Verstehen ist nicht Akzeptieren. Aber Verstehen hilft, einen Zugang zum Kind zu finden. Wenn Sie sich hilflos fühlen, äußern Sie, dass Sie hilflos sind. Fragen Sie, ob Ihr Kind sich auch hilflos fühlt, ob es Hilfe braucht.

Den verborgenen Sinn kindlichen Verhaltens zu erkennen und die eigenen Reaktionen als möglichen Spiegel des kindlichen Empfindens zu beachten, ist nützlich, eine verständnisvolle Verbindung mit Ihrem Kind, mit Ihren Kindern aufzubauen oder zu behalten.

Sinn
Weisheit
Für alles Verständnis, aber nicht alles akzeptieren

Dr. Udo Baer ist Diplom-Pädagoge, Kreativer Leibtherapeut AKL und u.a. Vorsitzender der Stiftung Würde. Auf Geborgen Wachsen schreibt er über die (Gefühls-)Welt der Kinder, ihre Gedanken und die sich ergebenden Herausforderungen. Mehr über dieses Thema findet sich in seinem neuen Buch „Die Weisheit der Kinder

 

 

*Ani, F. (2011): Süden und die Schlüsselkinder. München
** a.a.O. Seite 166
*** 
Ani, F. (2011) Süden. München

Was tun bei Reiseübelkeit von Kindern?

Reisen mit Kindern ist toll, kann aber in einigen Fällen dann schwierig werden, wenn einzelne Familienmitglieder Schwierigkeiten haben mit den Fahrten: Ob im Auto, Bus oder der Bahn, Reiseübelkeit kann verschiedene Familienmitglieder betreffen, tritt aber besonders ab dem 2. Lebensjahr bis zur Teenagerzeit auf. Während Erwachsene meist schon ihre Umgangsmöglichkeiten damit gefunden haben und diese Übelkeit auch besser verstehen, ist es bei Kindern oft wesentlich schwieriger.

Woher kommt die Übelkeit?

Eigentlich sind wir auf die Fortbewegung zu Fuß ausgerichtet. Dabei bekommen wir über unsere Sinnesorgane die passenden Nachrichten über unsere Fortbewegung und das Gehirn kann alle Informationen sinnvoll kombinieren. Bewegen wir uns aber mit dem Auto, Bus oder Schiff, werden also gefahren, stimmen die Informationen nicht mehr überein: Unser Auge sieht, dass wir uns bewegen, unser Körper gibt aber keine passenden Signale dazu von sich, denn er bewegt sich nicht. Besondere Bedeutung hat dabei das Gleichgewichtssystem im Innenohr: Kurven, eine holprige Strecke und ein Auf und Ab wirken auf das Gleichgewichtssystem. Werden die Bewegungen nicht mit den Augen verfolgt, führt das zu Irritationen in der Verarbeitung und es kommt zu Übelkeit und Erbrechen. Gerade bei größeren Kindern kann aber auch die Aufregung einen Teil zur Reiseübelkeit beitragen. Hier ist es dann besonders wichtig, über Ängste und Sorgen zu sprechen und die Gefühle des Kindes vor der Reise aufzufangen. Kennt das Kind Reiseübelkeit bereits, kann es auch Angst vor der Übelkeit oder dem Erbrechen entwickeln.

Was tun gegen Reiseübelkeit bei Kindern?

Reiseübelkeit ist meist ein Problem der Wahrnehmung und Verarbeitung. Ein „Reiß Dich zusammen“ ist nicht hilfreich, denn Kindern fehlt die Möglichkeit, mit diesem Gefühl selbständig umzugehen. Als Eltern können wir sie daher nur begleiten und ihnen einige Erleichterungen verschaffen oder Hilfen anbieten gegen die Übelkeit. Sie brauchen uns aber dafür, um damit richtig umzugehen zu lernen.

Der wichtigste Punkt ist, die Ursache der Übelkeit anzugehen, nämlich die Unvereinbarkeit der Sinneseindrücke: Daher ist es gut, das Kind anzuregen, aus dem Fenster zu sehen und Spiele zu initiieren, die dies unterstützen. Besonders wichtig ist es auch, die Ängste und Sorgen aufzufangen und das Kind zu beruhigen: Übelkeit ist ein unangenehmes Gefühl, gerade für kleinere Kinder, die es schwer einordnen können und nicht wissen, wann und wie es beendet werden kann. Angaben zur Reisedauer und dazu, wie lange dieser unangenehme Zustand noch ausgehalten werden muss, können nicht überblickt werden. Für sie ist es deswegen besonders wichtig, regelmäßige Erholungspausen zu machen.

Allgemeine Tipps bei Reiseübelkeit von Kindern

  1. Ruhe & Entspannung am Abend zuvor.
  2. Bus, Bahn, Auto: Aus dem Fenster sehen, damit Gefühl + Sehen übereinstimmen (Achtung: ist das im Kindersitz möglich?)
    Schiff: An Deck gehen und den Horizont ansehen, in der Mitte schwankt es meist weniger
  3. In Fahrtrichtung sitzen unterstützt den Gleichgewichtssinn/Vereinbarkeit der Eindrücke.
  4. Regelmäßig Pausen an der frischen Luft machen mit Bewegung.
  5. Nachts reisen.
  6. Nicht mit leerem Magen reisen, aber auch nicht zu voll: Snacks anbieten.
  7. Größeren Kindern das Kauen von Kaugummi helfen.
  8. Spiele spielen, die ablenken oder mit dem Hinaussehen zu tun haben. Nichts, bei dem sich das Kind auf einen Punkt im Auto fokussiert (wie lesen).
  9. Notfallset dabei haben: Spucktüte, feuchter Lappen, eine Flasche Zitronenwasser zum Nachspülen, Wechselkleidung

Manchen Kindern helfen auch Akupressurarmbänder oder das Riechen an einem mit Orangenöl versehenem Tuch (Orangenöl wirkt beruhigend und entspannend). Meist geht die Reiseübelkeit im Teenageralter zurück. Leidet das Kind sehr unter Reiseübelkeit, sollten Reisen vorab immer gut geplant und besprochen werden und unnötige Fahrten nach Möglichkeit vermieden werden.

Eure

Susanne Mierau ist u.a. Diplom-Pädagogin (Schwerpunkt Kleinkindpädagogik), Heilpraktikerin, Familienbegleiterin und Mutter von 3 Kindern. 2012 hat sie „Geborgen Wachsen“ ins Leben gerufen, das seither zu einem der größten deutschsprachigen Elternblogs über bindungsorientierte Elternschaft gewachsen ist. Sie ist Autorin diverser Elternratgeber, spricht auf Konferenzen und Tagungen, arbeitet in der Elternberatung und bildet Fachpersonal in Hinblick auf bindungsorientierte Elternberatung mit verschiedenen Schwerpunkten weiter.  

Die besten Spiele für unterwegs – 40 Tipps vom Kleinkind bis zum Schulalter

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Mit unseren drei Kindern sind wir öfters mal unterwegs: Weil wir die Kinder auf arbeitsbedingte Reisen mitnehmen, weil wir mit dem Zug aufs Land fahren, weil wir Freunde besuchen. Da wir unsere Flugreisen auf ein Minimum begrenzen wollen, sind die Reisezeiten manchmal lang und es ist wichtig, Reisen gut zu planen und nicht nur genügend Essen und Getränke mit zu nehmen, sondern auch an die Beschäftigungen zu denken. Mit drei Kindern in drei unterschiedlichen Altersgruppen gibt es immer einige Dinge, die gut zusammen gespielt werden können und andere, die nur für einzelne passen.

Generell gilt bei längeren Fahrten mit Kindern:

  • Sitzplätze reservieren, um Stress zu vermeiden. Besonders schön: ein Kinderabteil in der Bahn reservieren für ausreichend Platz und um andere Fahrgäste vor der Lautstärke zu schützen/sich vor negativen Blicken zu schützen
  • ungünstige Fahrtzeiten mit vielen Fahrgästen meiden (Berufspendlerzeiten)
  • wenig Gepäck mitnehmen, um nicht in Stress zu geraten und sich auch beim Umsteigen gut um die Kinder kümmern zu können
  • Kleinteilige Spielsachen in eigene Dosen oder Beutel verpacken (siehe LEGO-Box, auch möglich als Pixiebuch-Box oder Malbox mit Stiften)
  • an Essen und Getränke denken: unterwegs einzukaufen ist oft teuer und produziert oft unnötigen Müll
  • Kinder mit einem Notfallarmband/auf den Arm geschriebener Rufnummer versorgen, falls man sich unterwegs doch verliert

Ab Kleinkindalter

  • Spiele: Mein erster Obstgarten, Autoralley, Memory
  • ohne Material: Welche Farbe hat…? (Dinge im Zug oder draußen benennen und nach Farbe fragen)
  • ohne Material: Was fehlt? (Drei bis fünf Dinge aus der Handtasche auf den Tisch legen, Kind schließt die Augen, eins weg nehmen und fragen, was fehlt)
  • Stift und Papier: Gemaltes raten (einer malt, der andere rät was es wird)
  • Perlen auffädeln
  • DIY: Ertaste-Beutel (einen blickdichten Beutel mitnehmen. Einen Alltagsgegenstand/ein Ding aus der Handtasche/ein Spielzeug hinein legen und ertasten lassen, was es ist)
  • Spielzeugautos
  • bei Bahnfahrten: Bordrestaurant besuchen
  • Aufkleberhefte
  • Ausmalhefte
  • Bienenwachsknete
  • Bücher vorlesen
  • einfachvorlesen.de
  • malen mit Stiften/Zaubertafel

Ab Vorschulalter

  • ohne Material: Ich sehe was, was Du nicht siehst
  • ohne Material: Wortkette (Spiel mit zusammengesetzten Nomen: Spieler*in 1: Bananenblatt, Spieler*in 2: Blattsalat, Spieler*in 3: Salatkopf,…)
  • ohne Material: Ich packe meinen Koffer und nehme mit…
  • ohne Material: Was ist es? (Eine*r denkt sich ein Tier/Ding/eine Person aus und die anderen beginnen mit Fragen: Ist es ein Tier?… Geantwortet wird nur mit Ja oder Nein. Wird mit Ja geantwortet, darf die Person noch einmal fragen)
  • zu Hause vorbereitet: selbstgemachte LEGO-Box (siehe DIY Bild)
  • zu Hause vorbereitet: Stationskarten (für jeden Halt eine Karte mit dem Ortsnamen basteln, das Kind bekommt zu Fahrtbeginn alle Karten und gibt bei jeder Station die passende Karte ab. So bekommt es ein Gefühl für die Länge der Fahrt)
  • Spiel: UNO
  • Spiel: Bingo (Reisebingo)
  • Spiel: Reisespiele für unterwegs wie Mensch Ärgere Dich nicht
  • Kritzelkarten für unterwegs
  • Tiptoi (mit Kopfhörern)
  • Hörbücher (mit Kopfhörern)
  • Washitape
  • Stempel + Stempelfarbe
  • Strickliesel
  • Apps
  • ICE-Portal mit Hörspielen, Spielen, Filmen

Ab Schulalter

  • ohne Material: Teekesselchen spielen
  • Spiel: Drecksau
  • Stift und Papier: Stadt, Land, Fluss
  • Stift und Papier: Käsekästchen
  • Stift und Papier: Reisetagebuch schreiben
  • Stift und Papier, zu Hause vorbereiten: Fahrtstrecke auf kopierter Landkarte einzeichnen
  • alte Spiele-Handhaldes wie Gameboy & Co.
  • Armbänder knüpfen
  • Ebookreader/Tablets: In einigen Bibliotheken lassen sich kostenfrei Bücher ausleihen und auch unterwegs ausleihen

 

Susanne Mierau ist u.a. Diplom-Pädagogin (Schwerpunkt Kleinkindpädagogik), Geburtsvorbereiterin, Familienbegleiterin und Mutter von 3 Kindern. 2012 hat sie „Geborgen Wachsen“ ins Leben gerufen, das seither zu einem der größten deutschsprachigen Elternblogs über bindungsorientierte Elternschaft gewachsen ist. Sie ist Autorin diverser Elternratgeber, spricht auf Konferenzen und Tagungen, arbeitet in der Elternberatung und bildet Fachpersonal in Hinblick auf bindungsorientierte Elternberatung mit verschiedenen Schwerpunkten weiter.  

Einmal alles – Wie Kinder die bunte Palette der Gefühle erproben

Drei Kinder in drei unterschiedlichen Altersgruppen, das bringt viele Erfahrungen mit sich, viele Abenteuer, sehr viele Gefühle – und immer wieder auch unterschiedliche Emotionen. Drei Kinder im Alter von 9 Jahren, 5 Jahren, 2 Jahren: Es ist alles dabei von der „Trotz“phase über die Vorschulzeit-Wackelzahnpubertät bis zur „Vorpubertät“. Es gibt Lachen und unglaubliche Freude und es gibt zutiefst verwurzelten Ärger und es gibt laute, unbändige Wut. In unserem Haus gibt es alles, jedes Gefühl, weil sie jedes hier kennen lernen und ausprobieren im Schonraum der Familie bevor es hinaus geht in die Welt.

Diese unglaubliche Freude, die nur Kinder haben können: Eine Freude, die den ganzen Körper ergreift und sie wie einen Flummi durchs Zimmer hüpfen lässt. Eine Freude, die manchmal zu groß zu sein scheint für den kleinen Körper, die in Funken zu explodieren scheint und ansteckt in ihrem wilden Gekicher. Und ebenso wie es diese Freude gibt, gibt es auch die unglaubliche Wut, die wie dicker roter Nebel auf einmal im Raum steht. Eine Wut, die sich in einen Tornado verwandelt, der um das Kind kreist: Komm nicht näher, denn sonst wirst Du eingesaugt. Geh nicht weg, denn Du musst dennoch für Sicherheit sorgen. Und es gibt die schwere Decke der Trauer, die sich über ein Kind legen kann und die Tränen fließen lässt. Die manchmal fast zu schwer erscheint, um sie wegzuziehen, und es nur hilft, sich daneben zu legen und mitzutrauern, bis die Schwere durch die vielen geflossenen Tränen nachgelassen hat.

All diese Gefühle und ihre tausend kleinen Facetten erwarten uns im Leben mit Kindern. Naiv habe ich schon manches Mal gedacht: Nun habe ich aber wirklich alles erlebt und werde dann von meinem größten Kind eines besseren belehrt: Es gibt so viele Farben und Formen von Gefühlen. Und das, was wir mit ihnen erleben, verändert sich – und ist bei jedem Kind ein wenig anders. Die Verarbeitung von Gefühlen verändert sich und auch das, was sie erleben können und wollen. Denn sie setzen sich zuerst mit sich und ihren Gefühlen auseinander und dann mit denen der Umwelt.

https://twitter.com/fraumierau/status/1039244884438405121

Am Anfang des Lebens ist alles noch verwoben und unklar: Ein Bauchschmerz ist kein Bauchschmerz, sondern ein starker, stechender Schmerz im Körper, von dem nicht gewusst wird woher und wohin. Im Laufe der Zeit wird verstanden, was genau passiert, was empfunden wird. Und irgendwann kommt das Bewusstsein dazu, dass auch andere Menschen ganz anders fühlen. Es wird probiert, wie Empfindungen entstehen und wie sich der Mensch gegenüber verhält. Was ist hier und heute wie und wie ist es morgen? Nach und nach wird die Welt in Frage gestellt und damit einher entsteht Freude, aber auch Enttäuschung, Wut, Liebe. Nicht nur da draußen, sondern gerade auch hier drinnen in der Familie. Am ersten Ort, an dem all das ausprobiert wird.

Mein „Trotz“kind weiß manchmal nicht so recht, wogegen oder wofür es gerade ist. Es IST einfach nur und gibt sich dem Gefühl hin. Mein großes Schulkind hingegen ist oft schon ganz bestimmt gegen oder für etwas und erklärt das laut und stark. Manchmal bin ich verletzt von dem: vom kleinsten Kind, vom mittelsten oder auch vom großen. Auch hier wieder ganz unterschiedlich: von einem empörten Biss in den Arm, einem „Kackmama“ oder einem „Du liebst mich gar nicht!“. Aber ich weiß: Da müssen wir jetzt durch. All die Gefühle wollen hier ausprobiert werden und alle Antworten wollen hier zum ersten Mal durchgegangen werden, bevor sie woanders ausprobiert werden. Das hier ist der Schonraum, der Ort, an dem nicht nur das Laufen, sondern auch das Fühlen gelernt wird und die Antworten, die es darauf gibt. Und mit diesem Wissen ist es dann manchmal etwas einfacher, auch wenn es manchmal weh tut.

Eure

 

„Nein, meins!“ – Ich will genau dieses Spielzeug JETZT!

Zwei Kinder sitzen im Sandkasten, eines von ihnen spielt mit einem kleinen Trichter und lässt den Sand hindurch rieseln in eine kleine Wasserschüssel, wo der Sand sich sogleich mit Wasser voll saugt und zu Matsch wird. Wie hypnotisiert sieht das andere Kind einen Moment zu, steht dann auf, geht hinüber, und reißt den Trichter aus der Hand. Es entsteht ein Streit um den Trichter – beide wollen ihn haben. Aber steht wirklich der Besitz hinter diesem Streit? Eine ähnliche Situation, die sich oft in Kinderzimmern von Geschwistern abspielt: Das kleine Kind sieht dem größeren Geschwisterkind beim Spielen zu, rennt zu ihm, reißt das Spielzeug aus der Hand, rennt weg, spielt kurz damit und wirft es dann achtlos in die Ecke. Was passiert hier?

Das belebte Objekt

Wenn sich Kinder um einen Gegenstand streiten, denken wir oft, dass es um den Besitz geht. Wir denken, das andere Kind möchte dieses andere Ding haben, möchte es besitzen und wir regen dazu an, Sachen zu teilen, weil wir denken, es würde darum gehen, sich einen Gegenstand auszuleihen. Wenn der Gegenstand dann den Besitzer oder die Besitzerin gewechselt hat, ist das Interesse an dem Gegenstand auch oft schon verloren. „Aha, es ging nur darum, den eigenen Willen durchzusetzen!“ sind Eltern dann oft verleitet zu denken. Oft aber geht es, gerade bei Babys und kleinen Kindern, nicht um den Besitz und auch nicht darum, den eigenen Willen durchzusetzen, sondern um die Erfahrung, die dahinter steht. Dieses Wissen, das Verstehen des Kindes, kann verändern, wie wir mit einer solchen Situation umgehen und das Kind betrachten. Und selbst dann, wenn es manchmal um das Besitzen geht, lohnt sich ein Blick auf die wirklichen Gründe dahinter, warum Besitz ein wichtiges Thema für Kinder ist.

Entwicklungsressourcen

Das Kind, das den Trichter haben möchte, sieht das andere Kind, sieht wie es Freude hat bei dem Spiel und dass es damit eine spannende Erfahrung macht. Es sieht, dass das Kind etwas lernt, experimentiert. Genau das möchte es auch: lernen und experimentieren, sich weiter entwickeln, einen Entwicklungsvorteil erwerben. Wie so oft geht es auch hier um Ressourcen, dieses Mal um Entwicklungsressourcen. Es ist also keine böse Absicht des Kindes, es ist kein Machtspiel, sondern ein innerer Entwicklungsdrang, der hinter dem Verhalten steht.

Genau das erkennen wir auch dann, wenn das Kind das Spiel auf einmal beendet und das Spielzeug achtlos zur Seite wirft. Oft passiert das dann, wenn es dieses Spiel, das es gesehen hat, nicht nachahmen kann, wenn es nicht die gleiche Erfahrung damit machen kann wie das andere Kind. Vielleicht, weil es dafür noch zu klein ist, wie oft bei Geschwistern zu beobachten ist: Eben sollte es dieses Spielzeug noch unbedingt sein, nun ist es schon nicht mehr interessant, wo es doch endlich in der Hand gehalten wird.

Warum nur „teilen“ oft nicht hilft

Das andere oder größere Kind nur zum Teilen aufzufordern, bringt deswegen meist keinen Erfolg in einer solchen Streitsituation: Denn nur durch den Besitz des Gegenstandes wird der eigentliche Wunsch hinter dem „Habenwollen“ nicht erfüllt. Im schlechtesten Fall sind durch die Aufforderung des Teilens zwei Kinder frustriert: Das Kind, das teilen soll (und seinen Besitz abgeben muss, der für das ältere Kind sehr wichtig ist, siehe unten) und das Kind, das mit dem Gegenstand eigentlich nichts anfangen kann.

Hilfreich ist deswegen, wenn wir das andere Kind begleiten im Experimentieren damit oder von Anfang an Alternativen anbieten können bspw. bei Spielsachen, die doppelt vorhanden sind. Eltern, die sowieso mitspielen und im Sandkasten eine eigene Schaufel haben, können ihre Schaufel als Alternative anbieten. Andere Kinder zum Teilen aufzufordern, ist oft schwierig, denn es ist wichtig, auch sie nicht aus ihrem Spiel und ihrer aktuellen Entwicklung heraus zu reißen. Sie brauchen einen geschützten Raum, in dem sie sich in Ruhe beschäftigen dürfen und gerade unter Geschwistern ist es auch wichtig, eigenen Besitz zu haben, der nicht geteilt werden muss.

Besitz

Besitz ist in der Vorschulzeit etwas, das die eigene Position in der Gruppe stärkt oder auszeichnet. Geht es im Wegnehmstreit nicht um das Ausprobieren, kann auch der reine Besitz eine Rolle spielen. Auch hier geht es aber wieder um eine Entwicklungsressource und nicht um eine böse Absicht: Zu sehen, wohin ich gehöre, wie ich mich in der Gruppe bewege und welche Stellung ich habe. Manchmal nehmen Kinder anderen Kindern Dinge weg, um diese soziale Position zu hinterfragen und auszumachen. Auch dies ist normal und wichtig.

Kreativer Umgang mit Konfliktsituationen

Wie immer in Streitsituationen ist es gut, Kinder auch eigene Möglichkeiten und Lösungen finden zu lassen. Manchmal ist dies nicht möglich, und wir müssen eingreifen, um zu unterstützen. Langfristig ist es hilfreich, den Kindern zu vermitteln, dass nach gewünschten Dingen gefragt werden kann. Auch hier ist das Vorbildverhalten der Eltern wieder wichtig: Nehmen wir Dinge einfach aus der Hand oder fragen oder bitten wir zuvor?

Teilen ist ein wichtiger Meilenstein der Entwicklung, aber das freiwillige Teilen erwerben Kinder erst im Laufe der Zeit – es ist, wie viele andere Dinge, eine Frage der Entwicklung.

Deswegen ist es so wichtig, Kinder gut zu begleiten, sie anzuregen, aber nicht zu bestimmen. Wir können ein „gleich“ anbieten, ein „ausleihen“ oder auch einfach vermitteln: Es ist vollkommen in Ordnung, dass Du dieses Ding nicht teilen möchtest, wenn es so wichtig ist. Wir können erklären, dass beispielsweise nicht teilbare Dinge nicht auf den Spielplatz mitgenommen werden, um Konflikten vorzubeugen. Und wir können selber Vorbild sein im Teilen und dem Umgang mit eigenen Dingen, gerade wenn ein Kind etwas von uns Erwachsenen „einfach“ wegnimmt.

Betrachten wir solche Streitsituationen also wohlwollend einmal durch die Augen der Kinder. Dann wird uns klar, dass hinter solchen Streitsituationen keine böse Absicht steckt, kein Fehlverhalten und keine „schlechte Erziehung“, sondern dass sie vollkommen normal und wichtig sind für die kindliche Entwicklung. Und mit diesem Wissen wird es schon leichter.

Eure

 

Kleine Abenteurer*innen, ab in die Wildnis! – Warum Kinder die Natur nicht nur zum Spielen brauchen

Das Dickicht reicht uns bis zu den Schultern. Die Beine sind zerkratzt, die Haare sind zerzaust und unserer Kleidung sieht man den Kampf durchs Unterholz an. Wir schlagen uns mit Stöcken durch das hohe Gras. Ich voran, mein Bruder hinterher. Wir sind mitten in der Wildnis, auf dem Weg zu unserer selbstgebauten kleinen Hütte.

Die stärksten Erinnerungen an meine Kindheit sind die Abenteuer, die ich draußen erlebt habe. Viele davon auf dem Bauernhof bei meinem Opa oder auf dem großen Gelände der Gärtnerei von Freunden. In beiden Orten haben mein Bruder und ich viele, viele Wochenenden verbracht. Und unter der Woche streiften wir in der Stadt durch die Wildnis. Hier trafen sich die Kinder der Straße, hier wurde gekämpft und gebaut, gespielt und geträumt.

Die Trampelpfade unserer Kindheit sind im Buschwerk nur noch für den zu erahnen, der ihre verschlungenen Wege kannte. Längst ist die nächste Generation Kinder groß genug für neue Abenteuer auf dem 500 Meter langen, schmalen Wildnisstreifen.

Doch von Abenteurern ist weit und breit nichts zu sehen. Kein Hämmern dringt aus dem Buschwerk, das den Bau eines Unterschlupfs verraten würde. Kein Indianer-Heulen deutet auf Clan-Kämpfe der verschiedenen Häuserreihen an. Kein Rascheln und Stapfen im grünen Dschungel. Wo sind die Kinder? Dürfen sie dort nicht spielen? Wollen sie dort nicht spielen? Ich tippe mal auf ersteres: Kinder alleine in der Natur, das würde mir als Mutter heute auch den Schweiß auf die Stirn treiben. Und trotzdem sehe ich meine Tochter, wenn sie etwas älter ist als ihre jetzigen zwei Jahre, dort spielen. Weil Natur der Stoff ist, aus dem Erinnerungen gemacht sind. Weil wir Spaß hatten an den Abenteuern und unglaublich viel gelernt haben. Und vor allem, weil das Spielen in der Natur so viel mehr ist, als nur ein Spiel.

Die flurbereinigte Kindheit behindert die kindliche Entwicklung

Für Kinder ist das Spielen in der Natur nicht einfach eine nette Ergänzung zum Alltag. Nein, für Kinder ist das Sein in der Natur essenziell. Kinder entwickeln sich in der Natur. Hier stoßen sie auf Freiheit und kommen mit Unmittelbarkeit in Berührung. Sie erleben Widerstand und gleichzeitig einen Bezug zu ihrer Umwelt und sich selbst. Und mit diesen Quellen, die in keiner künstlichen Welt nachzustellen sind, bauen Kinder das Fundament, das sie durchs Leben trägt. Die Stunden, die die Kinder in der Natur verbringen, sind reine Entwicklungszeit.

Kinder spielen nicht mit Matsch, sie lernen mit Matsch

Bis die Menschen in Mittel-und Nordeuropa vor 4.000 bis 5.000 Jahren sesshaft wurden, lebten wir Menschen in und mit der Natur. Ein großer Teil der Zeit spielte sich draußen ab. Die Kinder mussten dabei auf ihrem Weg zum Großwerden starke und vielverzweigte Wurzeln ausbilden, die ihr Fundament zum Großwerden darstellen. Wurzeln bilden die Kinder auch heute noch aus. Lernen tun sie täglich.Aber zu 99% passiert das in unserer heutigen Zeit in geschlossenen Räumen. Der Kinderarzt und Autor Herbert Renz-Polster spricht von einem „Flurbereinigten Modell“ der Kindheit.

Den Kindern steckt die Natur aber noch immer im Blut. Im freien Spiel träumen sie sich in uralte Motive. Sie spielen mit Stöcken und imitieren Jagdszenen. Sie bauen Höhlen und Zelte, verstecken sich und suchen Schutz. Sie spielen stundenlang an einem Bach, stauen Wasser auf, vermischen es mit Erde. Sie matschen, kleben und bauen. Und ein Abend am Lagerfeuer, mit Stockbrot, heißen Gesichtern und kalten Rücken ist eine magische Erfahrung für Kinder. All diese Erfahrung sind es, die Kinderaugen abends leuchten lassen: „Heute haben wir ein Abenteuer erlebt“.

Doch Kinder spielen nicht einfach so zum Spaß. Sie lernen, sie arbeiten richtig für ihre Entwicklung, während sie ihre Sinne trainieren. Sie verfeinern ihren Einsatz von Körperkraft und Koordination, während sie auf Bäume klettern und auf rutschigen Steinen balancieren. Und Spielforscher beschreiben, dass Vorschulkinder in der freien Natur die Hälfte ihrer Zeit mit Zählen und dem Erforschen von Formen, Mustern und dem Sortieren verbringen. Sie machen sich mit den Grundkonzepten der Mathematik und Physik vertraut. Natürlich wissen sie das nicht und das ist auch nicht wichtig. Aber für uns Erwachsene mag es wichtig sein, das zu wissen. Kinder spielen nicht ohne Grund. Sie lernen im Spiel. Dabei schöpfen sie den Reichtum aus, den die Natur ihnen für ihre Entwicklung bietet.

Zeit und Raum schenken – unter freiem Himmel

In unserer Erziehung achten wir darauf, dass die Phantasie und Kreativität bei unseren Kindern nicht zu kurz kommt, dass sie empathisch mit anderen Menschen und Lebewesen umgehen, dass sie selbstsicher sind und im Falle eines Risikos richtig handeln. All das lässt sich mit Stofftieren und auf asphaltierten Höfen nicht planbar anerziehen. Aber all das finden Kinder draußen. Wir sollten wieder mehr auf die Fähigkeiten ihrer eigenen Entwicklung vertrauen. Sie sind hungrig nach Abenteuern und suchen sich dabei ihre Nahrung. Sie haben eine Intuition dafür, was sie für ihre Entwicklung benötigen und sind mit Feuereifer dabei, sich das notwendige Handwerkszeug zum Aufwachsen in ihrem Spiel anzueignen.

Doch dafür brauchen Kinder Zeit und Raum. Beides Dinge, die heute Mangelware sind. Statt stundenlang draußen zu spielen, gehen wir mit den Kindern „mal für eine Stunde raus“. Wir blockieren die Räume, in denen Kindern ihre Spiele gestalten wollen. Wir haben einen Ort im Sinn, wenn wir mit den Kindern nach draußen gehen. Und dieser Ort ist nicht die verwilderte Brachfläche, auf der es keine Bank zum sitzen, keine Kommunikation mit anderen Eltern und – für uns Eltern – auch wenig zu sehen gibt. Doch es sind genau diese verwilderten Brachen oder die vergessenen Ecken der Planer auf Spielplätzen oder Parks, die die Kinder so magisch anziehen. Hier suchen und finden sie Nahrung für ihre Entwicklung in ihrem Spiel.

Wir wussten oder ahnten zumindest, dass Natur wichtig ist für Kinder. Jetzt wissen wir auch, dass sie nicht nur wichtig für ihr Spiel, sondern essenziell für ihre Entwicklung ist. Und wir sollten versuchen, für unsere Kinder wieder ein Stück weit Richtung Natur zu gehen.

Ein naturorientiertes Aufwachsen ist auch heute noch möglich, auch als Stadtkind. Wie das geht, welche Hindernisse es geben kann und was „Natur“ in Deutschland alles ausmacht, darüber erzähle ich euch in den nächsten Folgen dieser Kolumne. Damit meine Tochter bald Spielkamerad_innen findet, um mit ihnen durch die Wildnis zu stromern. Immer auf der Suche nach neuen Abenteuern.

Veronika hat Biologie, Naturschutz und Landschaftsplanung studiert und ist Mutter einer Tochter. In ihrer Kolumne „Naturorientiertes Aufwachsen“ berichtet sie von Wegen, auf denen Kindern die Liebe und der Respekt zur Natur als Samenkorn mitgegeben werden können.  Mehr über Veronikas Arbeit und ihre aktuellen Texte zu grünen Themen findet ihr auf ihrer Homepage, Instagram oder Twitter.

 

Der Moment des ersten Kennenlernens

Wer ein Kind in sich trägt, lernt es über die Monate kennen. Kleine Streckbewegungen, Tritte gegen eine Hand, das Streicheln über den Bauch, das beruhigt. Wir gehen schon vor der Geburt in Beziehung mit dem kleinen Menschen, der in uns wächst. Und dennoch gibt es diesen einen Moment, in dem sich Eltern und Kind zum ersten Mal in die Augen blicken, in dem zum ersten Mal die kleinen Gesichtszüge betrachtet oder befühlt werden. Der magische Moment des richtig bewussten Kennenlernens.

Hier sind wir zwei nun…

Zwei Handvoll Mensch liegen im Arm, so warm und leicht und schwer zugleich. So leicht als Mensch und so schwer als Verantwortung. Von nun an ist da dieser Mensch in Deinem Leben und Du bist Mutter oder Vater. Das erste Mal das eigene Kind zu halten, ist besonders. Mit großen Augen blickt es den Menschen gegenüber an, so ruhig und besonnen. Es scheint jede Besonderheit des Gesichts aufzunehmen, es abzugleichen, zu erkennen. Und auch wir auf der anderen Seite blicken in dieses kleine Gesicht und denken: „Ach so siehst Du aus, herzlich willkommen.“ Ein Kennenlernen beginnt, eine Art Blind-Date: Was bringst Du wohl mit in unsere Beziehung, in unser Leben? Was wirst Du lieben, was wirst Du ablehnen? Welches Temperament hast Du und welche wird Deine Lieblingsfarbe werden? In den nächsten Jahren werden wir zusammen wachsen, uns aufeinander abstimmen und auch immer wieder mit verschiedenen Meinungen aufeinander treffen. Es wird so schöne Momente geben wie diesen und harte, schwere Stunden. Großes Glück und große Sorgen. Aber in diesem einen Moment zählt nur, sich anzublicken. Alles andere kommt später.

In all den Jahren habe ich viele Erfahrungen mit meinen Kindern gemacht und doch erinnere ich mich an diesen einen Moment, an dem ich jedes Kind so wirklich bewusst und in Ruhe wahrgenommen habe. In dem die Zeit um uns verschwand und wir ganz bewusst eintauchten in das Kennenlernen. Uns gegenüber waren und anblickten. Jedes Mal wieder war es ein magischer Moment. Ein Blick des Erkennens und gleichzeitig des neu Kennenlernens: „Hier sind also wir beide. Lass uns sehen, wohin die Reise zusammen geht.“

Wenn das Kennenlernen warten muss…

Manchmal ist es nicht möglich, das Baby sofort in die Arme zu nehmen und anzublicken. Manchmal stehen andere Dinge im Vordergrund: das Baby muss versorgt werden oder die Mutter braucht dringend medizinische Versorgung. Manchmal muss dieser erste Moment warten. Oft gibt es andere liebevolle Hände, die das Baby aufnehmen und Augen, die es neugierig und voll Gefühl anblicken. Nicht nur die gebärenden Mütter erleben diesen Augenblick des Kennenlernens. Und auch, wenn es manchmal schwer ist, anzunehmen, dass dieser Augenblick verschoben werden muss, ist ein Verschieben möglich: Der magische Moment des Kennenlernens kann nachgeholt werden.

Es ist gut und schön und kann einige Dinge erleichtern, wenn das frühe Bonding direkt nach der Geburt stattfinden kann, aber Eltern haben auch später Zeit, mit dem Kind zu bonden, an eine Beziehung anzuknüpfen, die ja bereits im Mutterleib begonnen wurde. Wir müssen uns in einer ohnehin schwierigen Situation nicht noch zusätzlich unter Druck setzen (lassen), wenn es wichtige Gründe gibt, die dagegen sprechen. Denn diese Gründe sind auch Teil der Bindungsbeziehung: Wir versorgen uns oder lassen uns versorgen, um dann für das Kind sorgen zu können. Wir lassen das Baby von anderen versorgen und geben es zum Überleben, für seinen Schutz, in die Hände von Fachleuten, die es medizinisch versorgen mit dem, was es genau jetzt braucht. All das hat auch mit Bindung zu tun und mit der Sorge gegenüber dem Kind. All das ist auch kümmern. All das ist wichtig.

Kennenlernen kann später stattfinden. In einem ruhigen Moment zusammen im Bett oder zusammen im Bad. Die Hebamme Brigitte Meisner hat hierfür das Babyheilbad als Anregung zur Aufarbeitung negativer Geburtserfahrungen entwickelt, bei dem eine Geburt noch einmal anders nacherlebt wird. Und auch dann, wenn es noch einige Wochen dauert, weil die Mutter seelisch von der Geburt und den Ereignissen drum herum sehr belastet ist, ist noch Zeit für das Kennenlernen und Verbinden. Bindung passiert im Alltag, in den kleinen Momenten und ist ein langer Prozess.

Eure

 

Susanne Mierau ist u.a. Diplom-Pädagogin (Schwerpunkt Kleinkindpädagogik), Geburtsvorbereiterin, Familienbegleiterin und Mutter von 3 Kindern. 2012 hat sie „Geborgen Wachsen“ ins Leben gerufen, das seither zu einem der größten deutschsprachigen Elternblogs über bindungsorientierte Elternschaft gewachsen ist. Sie ist Autorin diverser Elternratgeber, spricht auf Konferenzen und Tagungen, arbeitet in der Elternberatung und bildet Fachpersonal in Hinblick auf bindungsorientierte Elternberatung mit verschiedenen Schwerpunkten weiter.  

Angstfresserchen – Wie Sie Kindern bei Angstanfällen helfen können

Kinder haben Ängste und Kinderängste sind normal. Wichtig ist, wie Eltern (und andere Bezugspersonen) damit umgehen. Diplom-Pädagoge und Therapeut Dr. Udo Baer beschreibt einen kreativen Umgang mit Kinderängsten:

Es gibt ein sehr schönes Kinderbuch von Michael Ende: „Das Traumfresserchen“.
Hier sorgt sich ein König um seine Tochter. Denn die Tochter wird von bösen
Träumen geplagt. Der König ruft alle Weisen und Heiler seines Landes zusammen,
die seiner Tochter helfen sollen. Sie bemühen sich, aber ihre Bemühungen sind
vergeblich. Niemand kann der Königstochter die furchtbaren Albträume nehmen, die
sie jede Nacht erzittern und aufwachen lassen. Da beginnt der König eine Weltreise.
Er reist in andere Länder und sucht überall jemanden, der seine Tochter von den
Träumen befreien könnte. Doch die Reise bleibt erfolglos.

Überall fragt er vergeblich, bis er schließlich ans Ende der Welt gerät. Dort setzt er
sich auf einen Stein und weint bitterlich, weil er versagt hat, weil er seiner Tochter
nicht helfen kann. Da nähert sich ihm ein fremdes Wesen, wie er es noch nie
gesehen hat. Das Wesen fragt ihn, warum er so betrübt sei und weine. Der König
erzählt die Geschichte von seiner Tochter und seiner vergeblichen Suche. Da sagt
das Wesen: „Oh, das trifft sich ja gut. Ich bin nämlich ein Traumfresserchen. Ich
ernähre mich von Träumen. Und je schlimmer diese Träume sind, desto besser
schmecken sie mir.“ Der König fragte das Traumfresserchen, ob es ihn begleiten
wollte, um seiner Tochter zu helfen. Das Traumfresserchen sagte „Ja“, und die
Tochter wurde schließlich von den bösen Träumen befreit.

Diese Geschichte, die Michael Ende viel schöner erzählt, als ich sie hier
zusammenfasse, war mein Anstoß dafür, mit und für Kinder ein Angstfresserchen zu
malen. Viele Kinder haben Ängste. Und es ist gut, wenn wir Eltern uns um diese
Ängste kümmern. Wir können beruhigen. Wir können helfen, indem wir nachfragen,
wovor das Kind denn konkret Angst hat. Wir können zum Beispiel ein Licht anlassen,
wenn dunkle Schatten drohen. Doch manchmal bleiben Ängste so diffus, und oft
treten sie, wie bei der Königstochter, auch nachts auf.

Hilfe bei Ängsten: Das Angstfresserchen malen

Eine Hilfe kann darin bestehen, dass die Kinder ein Angstfresserchen malen.
Erklären Sie Ihrem Kind, dass es Wesen gibt, die sich von Ängsten ernähren, also
Angstfresserchen. „Jedes Kind weiß nur selbst, wie sein Angstfresserchen aussieht.
Jedes Kind kann es beschreiben oder vielleicht auch malen.“ Bitten Sie Ihr Kind, ihr Angstfresserchen zu malen. Wenn es dazu noch zu klein ist, dann malen Sie das
Angstfresserchen für Ihr Kind – nach dessen genauen Angaben.

Dennis hatte über seinem Bett ein Bild mit seinem Angstfresserchen hängen. Doch
eines Tages kam er zu seiner Mutter und brachte ein großes Blatt Papier und eine
Packung Farbstifte mit. Er sagte: „Mama, das Angstfresserchen über meinem Bett
hilft gegen die kleinen Ängste. Ich brauche aber noch eines gegen die große Angst.
Mal mir das.“ Die Mutter malte nach genauen Angaben große Krokodilzähne, ein
breites Maul, furchterregende Augen und Stacheln auf dem Kopf … . Gemeinsam
hängten sie dieses Bild im Kinderzimmer auf. Nun gab es auch einen Angstfresser
gegen die große Angst.
Er half.

Solche Bilder haben für die Kinder eine hohe symbolische Bedeutung. Vor allem
dann, wenn sie diese selber gestalten oder die Bilder nach ihren Angaben gestaltet
werden, also nicht von der Stange angefertigt werden. Wir nennen diese Methode
„Aktives Symbolisieren“. Die Kinder schaffen selbst Symbole, und das ist viel
hilfreicher, als wenn Symbole gekauft oder vorgefertigte verschenkt werden. Solche
Symbole müssen nicht in Bildern bestehen. Es gibt viele andere Möglichkeiten.
Kinder können aus Knete oder Ton ein Objekt gestalten. Sie können sich einen Stein
oder ein Stück Holz aussuchen und es bemalen oder als Stofffigur gestaltet werden.
Ganz gleich in welcher Form Sie Ihrem Kind Aktives Symbolisieren anbieten, Sie
stärken damit die inneren Kräfte des Kindes und mobilisieren seine Ressourcen.
Dass Sie das Kind trösten, halten, stützen, begleiten, bleibt natürlich notwendig. Das
kann kein Angstfresser ersetzen. Doch Ihr stärkender Halt kann von den
Angstfressern unterstützt werden.

Dr. Udo Baer ist Diplom-Pädagoge, Kreativer Leibtherapeut AKL und u.a. Vorsitzender der Stiftung Würde. Auf Geborgen Wachsen schreibt er über die (Gefühls-)Welt der Kinder, ihre Gedanken und die sich ergebenden Herausforderungen. Mehr über Kinderängste und ihre professionelle Begleitung findet sich in seinem Buch „Wenn Oskar Angst hat. Kinder verstehen und im Kita-Alltag professionell begleiten“

Selbstoptimierungs-Mom

Familie, Haushalt, Job, Partnerschaft, Freundschaften, Hobbys,… und das alles nicht nur unter einen Hut bekommen, sondern auch noch perfekt darin sein. Denn „einfach nur gut“ reicht heute an vielen Stellen nicht, wird uns suggeriert. Besonders als Mutter. – Und es möglichst noch allein schaffen, denn das bedeutet doch Vereinbarkeit. Wir sind nicht mehr nur bei der Supermom angelangt, sondern schon in Zeiten der Selbstoptimierungs-Mom:

Der Tag hat 24 Stunden und Kraft ist begrenzt

Ein Tag hat 24 Stunden, in die wir unsere Aufgaben hinein geben können. Zunächst müssen wir darauf achten, unsere grundlegenden Bedürfnisse selbst zu erfüllen wie beispielsweise Schlaf und Nahrung. Dazu kommen weitere Bedürfnisse, die erfüllt werden können, sofern die Grundbedürfnisse befriedigt sind. Zu unseren Grundbedürfnissen, die erfüllt werden wollen, gesellen sich – zumindest in den ersten Jahren – die Grundbedürfnisse des Kindes, das auf die Befriedigung selbiger durch erwachsene Personen angewiesen ist: Die Erfüllung dieser geht von den 24 Stunden des Tages ab. Werden wir unterstützt, sind es weniger Stunden, die von unseren eigenen 24 Stunden dafür Verwendung finden. Werden wir nicht unterstützt (oder nur wenig), müssen wir viel von der eigenen Zeit verwenden und es bleibt weniger Zeit für die eigenen Bedürfnisse übrig.

Manchmal sind wir uns dessen gar nicht bewusst, wie viel Energie und Zeit wir wirklich in unsere Kinder und Familie investieren. Psychologin Patricia Cammarata hat kürzlich hier über die vielen  unsichtbaren Aufgaben geschrieben, die wir scheinbar nebenher im Alltag absolvieren und bezeichnet dies als „Mental Load“. Sie schreibt auch:

„Energie ist endlich (hätte ich auch schon aus dem Physikunterricht wissen können). Energie ist eine Torte. Ich kann acht oder sechzehn Stücke rausschneiden, größer macht das die Torte nicht und am Ende ist die Torte weg. Für einen Job und ein Kind hat meine Energie leicht gereicht, für zwei auch noch, beim dritten war dann Schluss.“

Unsere Tage haben nur einen begrenzten Zeitumfang, unsere Energie ist nicht unbegrenzt. All das setzt uns ein Limit an Dingen, die wir erledigen können, die wir bearbeiten können. Arbeit, Haushalt, Familie, Freunde, Hobbys, Partnerschaft,… Unsere Liste an Aufgaben/zu erledigenden Dingen ist lang. So lang, dass sie kaum noch in den Alltag hinein passt. Dass wir schon oft und immer wieder merken: Ich habe mehr Aufgaben als Zeit. Ich kann nicht noch mehr tun, kann nicht noch mehr Zeit herzaubern. Das Maximum an möglichen Tätigkeiten ist erreicht.

Nicht nur alles, sondern alles auch perfekt

Aber mit dem „Mental Load“, mit den alleinigen Aufgaben, die sowieso schon viel sind und oft nicht allein zu bewältigen, haben wir das Ende der Fahnenstange noch nicht erreicht. Denn es geht nicht nur darum, dass wir all das schaffen, sondern auch wie: Es ist nicht nur ausreichend, die Arbeit zu absolvieren und damit zufrieden zu sein. Wirklich wertgeschätzt wird diejenige, die trotz Familienbelastung auch Karriere macht. Aber Achtung: Nur nicht zu früh in den Job zurück, denn auch das ist verkehrt und gilt als egoistisch. Es reicht nicht mehr, den Haushalt nur zu erledigen, sondern es muss sorgfältig erledigt werden, um letztlich eine strahlend aufgeräumte Wohnung zu haben – instagrammable. Es reicht nicht, sich neben all den Aufgaben einfach nur wohl zu fühlen in der eigenen Haut, sondern auch an unsere Körper werden höchste Ansprüche gestellt. Erwachsenenbildnerin und Sexualpädagogin Katja Grach schreibt in ihrem Buch „MILF Mädchen Rechnung“ dazu

„Beruf und Familie unter einen Hut bekommen war gestern. schließlich wachsen Menschen an ihren Herausforderungen. Weil aller guten Dinge drei sind, macht nun erst der Fuckability-Faktor die Vereinbarkeitsdebatte komplett.“

Nicht nur Frau und Mutter und Karriere, sondern dabei auch gut aussehend und sexy. Und um all das noch zu erweitern, kommt auch noch die Pädagogik hinzu: Die Kinder sollen schließlich bestmöglich gefördert, auf die Zukunft vorbereitet und modern erzogen werden. Wie das geht, muss nebenher auch angelesen, gecoacht und gelernt werden. Denn wenn sich „das Kind nicht benimmt“ (was auch immer das sein soll, denn Kinder sind Kinder), dann sind schließlich die Eltern schuld und zumeist die Mutter, ebenso wie das Erziehungsverhalten bei Müttern generell kritischer betrachtet wird, wie auch Kim Brooks in der New York Times folgendermaßen belegt

„Dr. Sarnecka, the cognitive scientist, has an answer to this. Her study found that subjects were far less judgmental of fathers. When participants were told a father had left his child for a few minutes to run into work, they estimated the level of risk to the child as about equal to when he left because of circumstances beyond his control. I love the way this finding makes plain something we all know but aren’t supposed to say: A father who is distracted by his interests and obligations in the adult world is being, well, a father; a mother who does the same is failing her children.“

Selbstoptimierung – die Falle

Der Druck, der auf Familien lastet, ist enorm. Dies umso mehr, wenn es Familien sind, die wenig Unterstützung haben oder in denen gar eine erwachsene Person mit Kind(ern) allein lebt. Alle Aufgaben sollen erledigt werden, allen Lebensbereichen soll gleichermaßen gerecht werden und dabei soll jeder einzelne Bereich perfekt sein. Wir bekommen in der Werbung, auf Instagram, in Social Media und selbst auf Kongressen vermittelt: Du bist nicht genug nur einfach so, Du musst noch mehr. Wenn Du Frau bist, müssen Deine Kinder nicht nur wohl „erzogen“, hübsch und adrett sein, Du musst dabei gebildet, belesen, fit, gesund und schön sein, sorgsam gepflegt und geschminkt und wohl frisiert und gekleidet. Und wenn Du das jetzt noch nicht bist, dann musst Du es werden. Du musst Dich selbst optimieren: Aus der vorhandenen Zeit das Maximum an Leistung heraus holen, jede Minute sinnvoll nutzen. Ist Dein Körper nicht perfekt, kannst Du ihn mit Hilfe von Apps optimieren und besser definieren – „in nur 5 Minuten am Tag zur Traumfigur“. Bist Du unsicher in Hinblick auf Erziehung, musst Du Ratgeber konsumieren und Dich in Bindungs-, Entwicklungs- und Gehirnentwicklungsfragen auskennen als hättest Du Erziehungswissenschaften oder Psychologie studiert. Wenn Du nicht die Grundlagenliteratur der Bindungstheorie und ihre Autor*innen kennst, bist Du in manchen Facebookgruppen verloren. Bilde Dich und nutze die Zeit perfekt und optimal, um das möglichste aus Dir heraus zu bekommen – und noch ein wenig mehr. Burnout ist nicht mehr nur eine Erkrankung unter Unternehmens-Manager*innen, es hat auch die Familien-Manager*innen eingeholt und verbreitet sich von dort auf die Familie, denn das Vorbild der Selbstoptimierung macht vor den Kindern nicht halt: Auch sie erleben, wie die Eltern an sich arbeiten, den Alltag mit Terminen voll legen und verplanen und entwickeln selbst ein Perfektionsstreben, das zu Erschöpfung führen kann. Von den Selbstoptimierungseltern ist es nicht mehr weit zur optimierten Kindheit.

Du bist gut genug

Das ist es, was alles auf unseren Schultern lastet. Viele Aspekte davon auf Müttern und Vätern, aber ganz besonders sind Mütter davon betroffen. Wir sind mitten drin in der Selbstoptimierungsindustrie, gerade wir Eltern. Wie viel wir davon aushalten können, ist ganz individuell verschieden und hängt mit unseren persönlichen Ressourcen zusammen, aber auch mit dem Grad der Unterstützung, die wir weniger dazu nutzen, damit wir wirklich entspannen können, als dafür, Zeiten frei zu bekommen, um mehr an uns oder für uns arbeiten zu können. Wenn das Baby Mittagsschlaf macht, wird schnell die Küche aufgeräumt und das Bad geputzt, statt selbst zu ruhen.

Die große Frage aber ist: Warum eigentlich? Was soll es uns bringen, jeden einzelnen Teil des Lebens maximal zu optimieren? Verspricht es uns wirklich in einer fernen Zukunft Entspannung? Was ist aus dem Grundsatz „Der Weg ist das Ziel“ geworden, durch den wir die Tage genießen konnten. Ob es wirklich etwas bringt, uns zu perfektionieren, ist ungewiss. Was wir aber bislang wissen, ist, dass es ausreicht, „nur“ gut genug zu sein. Wir müssen keine Supermütter sein, auch wenn uns das beständig und von allen Seiten eingeredet wird.

Du bist gut so, wie Du bist. Mit Deinen persönlichen Schwerpunkten, in Deiner Individualität. Du bist so, wie es für Euch gerade richtig ist und so, wie es für Dich richtig ist. Anstatt immer weiter an uns zu optimieren, sollten wir vielleicht lieber ehrlich zu uns selbst sein, stolz auf das, was wir leisten – egal ob berufstätig oder nicht. Und wir sollten nicht mehr von uns selbst einfordern (müssen), sondern von der Gesellschaft: mehr an Unterstützung, weniger Druck. Hilfen normalisieren, Verständnis erwarten und entgegenbringen. Anerkennen und Schulter klopfen statt hochgezogene Augenbrauen und heimliches Kopfschütteln und Optimierungstipps.

Eure

Hilfe, mein Kind lügt! – Wie Eltern mit Lügen, Flunkereien und Unwahrheiten umgehen können

Wir sitzen im Restaurant beim Essen, als mein kleiner Sohn auf einmal von seinem Stuhl quietschend aufspringt, sich umdreht und wild gestikuliert hinter dem Stuhl. Was denn los sei, frage ich. „Drache mich immer am Rücken kitzelt!“ Ruft er empört. – Natürlich sitzt dort kein Drache, natürlich hat ihn niemand von hinten am Rücken gekitzelt. Aber für ihn sind dieses Kitzeln und dieser Moment real: Dort saß gerade noch ein kleiner Drache und hat ihn gekitzelt. An einem anderen Tag erklärt mein anderer Sohn abends, er könne wirklich nicht durch den dunklen Flur gehen, denn seit kurzer Zeit würde dort ein Gnarfling wohnen. Das sei tagsüber nicht besonders schlimm, abends aber würde das gar nicht gehen. So sehr uns diese Angst als unsinnig erscheint, ist sie jedoch real: Sie ist da und eine bestehende Realität. Und dann gibt es auch noch die Geschichten des großen Kindes: Beispielsweise, dass es in dieser Woche wirklich kein neues Musikstück üben müsse aus der Musikschule, denn es sei noch das alte Musikstück, das gespielt wurde. Letztlich stellt sich heraus: Es gab doch ein neues Stück, das nun aber nicht gelernt wurde. Die Zeit wurde lieber für anderes verwendet.

Was ist eigentlich eine Lüge?

Wenn wir die „Lügengeschichten“ von Kindern im Laufe der Kindheit betrachten, sehen wir, wie sie sich ändern, wie sich ihre Inhalte und Absichten dahinter ändern und auch der Umgang der Kinder damit. Wenn etwas für uns als Lüge erscheint, weil wir wissen, dass es nicht wahr ist, muss es für das Kind dennoch keine absichtlich geplante Lüge sein, sondern kann seiner aktuellen Weltsicht entspringen.

Auch unsere erwachsene Ansicht davon, dass Lügen per se schlecht seien, ist in Bezug auf Kinder oft schwierig, denn selbst dann, wenn das Kind eine Unwahrheit berichtet, bedeutet es nicht, dass es uns damit verärgern wollte oder absichtlich böse wäre. Selbst hinter einer geplanten Lüge liegt eine Absicht, ein Bedürfnis oder ein Wunsch, der erkannt werden will – oder zumindest ein Entwicklungsbedürfnis. Lügen ist keine Sünde, sondern ein Baustein einer normalen Entwicklung.

Lügen im Laufe der Zeit

Das obige Beispiel illustriert bereits: Lügen verändert sich im Laufe der Zeit und eine Unwahrheit, die ein Kind berichtet, muss nicht zwangsweise eine Lüge sein. Imaginäre Freunde sind ebenso für die Kinder real wie die Angst vor Hexen, Monstern oder anderen Wesen, die in der magischen Phase vorkommt. Wenn das Kind von diesen Dingen berichtet, lügt es uns nicht an. Und es ist auch nicht schlimm, dass es an diese magischen Wesen glaubt oder sie es sogar eine Zeit lang begleiten. Oft verbirgt sich dahinter auch eine wichtige Information, beispielsweise die normale Angst in diesem Alter vor der Dunkelheit oder dem Schlafen allein. Auch die Fantasie ist eine Kraft und Entwicklung, mit der das Kind umzugehen lernt im Laufe der Zeit und es ist gut, wenn es die Möglichkeit hat. Wenn unser Kind also von den fantastischen Fantasiewesen berichtet, sollten wir diese Informationen annehmen und respektieren und vielleicht sogar einmal probieren, in diese Welt einzutauchen.

Eine Lüge wird dann erzählt, wenn ein Kind ganz bewusst eine Unwahrheit erzählt und weiß und fühlt, dass das Gesagte nicht richtig ist. Dies entsteht aber erst ab dem 3. Geburtstag nach und nach, wenn das Kind langsam fähig ist, sich in andere Menschen hinein zu versetzen. Und gerade in diesem Zusammenhang können wir das Lügen auch als ein Spiel mit der Perspektivübernahme betrachten: Viele Kinder machen sich auch einen Spaß daraus und experimentieren damit, ob sie eine andere Person täuschen können. Wie so viele andere Entwicklungsmeilensteine ist auch das Lügen etwas, das das Kind spielerisch im Laufe der Zeit lernt. Erst im Vorschulalter wird dann bewusst eine andere Geschichte erzählt, als die erlebte.

Lügen bei (Geschwister)streitigkeiten

Besonders wichtig ist ein sensibler Umgang mit „Unwahrheit“ auch im Kontext von (Geschwister)streitigkeiten. Nicht selten berichtet ein kleineres Geschwisterkind davon, dass das größere Kind es geärgert hätte. Dass diesem Ärger aber vielleicht ein eigenes Ärgern vorausging, auf das das größere Geschwisterkind reagiert hat, wird dabei verschwiegen, weil es vom kleinen Kind schon ausgeblendet wurde. Eltern neigen dann manchmal dazu, die Schuld dem größeren Kind zu geben und es des Lügens zu beschuldigen. Bei Geschwisterstreitigkeiten, zu denen man hinzugezogen wird, ist es deswegen besonders wichtig, neutral zu bleiben und zu erklären, dass man nicht dabei war und eher eine Vermittlungsposition zu übernehmen (wenn nötig) als zu beurteilen.

Muss ein Kind lügen (lernen)?

Wenn Kinder erstmal lügen bzw. Eltern eine Geschichte als wirkliche Lüge wahrnehmen, ist das manchmal ein Schreck: „Ich habe mein Kind doch zur Ehrlichkeit erzogen!“ oder „Es muss doch nicht lügen, ich bin doch nicht streng.“ Können Gedanken sein, die sich in den Vordergrund schieben. Wichtig ist hier jedoch, wieder die Perspektive des Kindes zu übernehmen: Das Lügen ist ein Entwicklungsmeilenstein, der seine Berechtigung hat. Auch in unserer Gesellschaft gibt es Lügen, die akzeptiert oder sogar gewünscht sind, wenn wir beispielsweise besonders schonend mit den Gefühlen anderer umgehen wollen „Nein, das ist nicht schlimm!“ Oder „Danke, darüber freue ich mich!“ Kulturübergreifend lügen Kinder und auch im Tierreich ist das Schwindeln zu finden. Es ist ein wesentlicher Meilenstein der Entwicklung für das Leben in der Gemeinschaft und das Verständnis der Aussagen anderer Menschen: Denn wenn ein Kind selbst bewusst lügen kann, weiß es auch, dass andere das tun und überdenkt Aussagen und Verhalten anderer.

Was steht hinter der Lüge?

Eine Lüge muss nicht problematisch sein, aber wir problematisieren sie oft. Und hier verdeutlicht sich, warum die Begleitung des Kindes dabei so wichtig ist: Wenn wir eine Unwahrheit annehmen ohne Bewertung und die Ursache versuchen zu verstehen, kann es sein, dass das Kind zukünftig weniger darauf angewiesen ist, zu flunkern. Neben dem Entwicklungsspiel „Lügen“ gibt es auch Lügen, hinter denen sich eine Aussage verbirgt, gerade bei den größeren Kindern. Hinter der Lüge, das Kind habe keine Hausaufgaben auf oder kein neues Musikstück zu lernen, kann der Wunsch stehen, mehr Zeit für andere Beschäftigungen zu haben. Diese Ursache herauszufinden ist wichtig, denn wenn wir das Grundproblem beheben oder zumindest dem Kind signalisieren „Ich habe Deinen Wunsch verstanden.“ hat es weniger Grund, uns nicht die Wahrheit zu sagen. Auch wenn sich das Kind heimlich Süßigkeiten einsteckt im Laden oder bei Freunden können wir uns fragen: Was steht dahinter? Sollten wir vielleicht zu Hause unseren Umgang damit überdenken, sind wir zu streng oder einengend, dass das Kind den Wunsch nicht ausspricht, sondern heimlich selbst erfüllt?

Lügt ein Kind aus Angst oder Sorge?

Wenn das Kind in Situationen, in denen ihm oder ihr ein Missgeschick passiert, lügt, können wir überlegen, warum es das tut und seine Schuld zurückweist oder einer anderen (imaginären) Person zuweist: Vielleicht hat es Angst vor einer Bestrafung, vor Ärger. Vielleicht haben wir in einer ähnlichen Situation einmal sehr streng reagiert und es versucht nun, dieser Reaktion mit einer Lüge aus dem Weg zu gehen. Vielleicht schämt es sich mittlerweile auch für das Verhalten, das es gezeigt hat und versucht mit der Lüge gewissermaßen, dieses ungeschehen zu machen.

Bestrafungen sind sowohl negativ, da sie das Lernen effektiv behindern, aber die stören auch das Vertrauen des Kindes. Es ist besser, wenn das Kind offen sagen kann: „Mir ist die Tasse kaputt gegangen.“ als dass es dies verleugnen muss aus Angst vor Fernseh- oder Computerverbot oder Beschimpfungen. Wenn Kinder etwas kaputt machen, ungeschickt sind, etwas in unseren Augen „falsch“ machen, ist es deswegen gut, die Situation aus unserer Perspektive zu umschreiben und das Kind nicht zu beschämen, d.h. zu sagen „Ich bin traurig, weil die Tasse kaputt gegangen ist“ statt zu sagen „Du hast sie kaputt gemacht, dafür musst Du sie von Deinem Taschengeld bezahlen.“ Kinder sollten immer das Gefühl haben, uns alle Probleme anvertrauen zu können und über Probleme reden zu können. Und als Eltern können wir diese Ehrlichkeit auch offen wertschätzen und uns dafür bedanken, wenn ein Kind ehrlich ein Missgeschick zugegeben hat. Das öffnet den Raum für Vertrauen und gibt einen wichtigen Impuls dafür, wie auch später mit Missgeschicken oder Misserfolgen offen umgegangen werden kann.

Der Umgang mit Lügen in der Familie

Dass Menschen lügen, ist normal. Dass Kinder lügen, ist ebenso normal. Wie in vielen anderen Bereichen sind sie auch hier auf dem Weg, etwas Wichtiges zu lernen für das Leben in unserer Gesellschaft und der Weg dorthin ist eben so, wie es die Entwicklungswege immer sind: auch etwas holprig und steinig und auf eine gute Begleitung angewiesen. Es ist gut, wenn wir unsere Kinder auch durch die Lügen-Entwicklungsphase gut begleiten und eine Unwahrheit annehmen und versuchen, die Beweggründe dahinter zu verstehen. Ist es eine bewusste Lüge, können wir unser Empfinden dazu verbalisieren oder auch versuchen, für das Kind zu übersetzen, was durch die Lüge bei uns ankommt. Wichtig ist, Kinder zu begleiten und nicht zu bestrafen. Wir können nicht mehr Ehrlichkeit durch Strafandrohung einfordern – zumindest wird ein solches Verhalten nicht das gewünschte Ergebnis erzielen. Vor allem aber sollten wir auch kurz über uns selber nachdenken und die Situationen, in denen unser Kind uns vielleicht bei einer kleinen Lüge aus Höflichkeit ertappt wie „Ja, das hat mir gut geschmeckt!“ Oder „Ich habe jetzt gerade leider keine Zeit zu telefonieren, weil…“ und wenn wir uns unser eigenes Alltagsverhalten bewusst machen, haben wir vielleicht auch wieder mehr Humor und Verständnis für die Lügenversuche unseres Kindes. 

Eure