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Erziehung ist keine Frage des Labels, sondern des Gefühls

Aber wie genau erziehe ich denn jetzt richtig? So oder so ähnlich ist es oft von Eltern zu hören. Dabei schwingt immer die Frage mit nach einem konkreten Plan, einem Ablauf, einer Handreichung. Selbst in Bezug auf die bindungs- oder bedürfnisorientierte Elternschaft sind viele Eltern unsicher, wie das nun genau geht, was dafür getan werden muss und was vielleicht auch ganz falsch ist. Die Antwort aber ist: Es gibt keinen Plan. Es geht darum, zu verstehen, was dein Bedürfnis ist, was eure Bedürfnisse als Paar sind (sofern es Elternpaar gibt) und was das Bedürfnis deines Kindes ist – und dabei die Schnittmenge zu finden.

Starre Pläne sind nicht bedürfnisorientiert

Wenn wir Erziehung nach Plänen und Anleitungen denken, dann trägt das immer eine gewisse Starrheit mit sich, die den Alltag erschwert: Alle Babys müssen gestillt werden – aber was wenn es nicht geht, sich nicht gut anfühlt für den stillenden Elternteil oder es sonstige Hindernisse gibt? Alle Babys müssen getragen werden – aber was, wenn sich diese Art der Nähe nicht gut anfühlt, man dabei unruhig wird oder das Kind in der Trage immer Unbehagen äußert? Kleinkinder müssen in den Kindergarten, weil sie gleichaltrige Kinder brauchen – aber was, wenn mein Kind nicht will oder die Rahmenbedingungen im Kindergarten nicht stimmen, weil es zu voll, zu laut, zu unübersichtlich ist? Diese Liste lässt sich lang fortsetzen und zeigt uns vor allem eines: Wir alle sind unterschiedlich. Sowohl wir Erwachsenen mit unseren jeweiligen persönlichen Lebensgeschichten und Eigenschaften, als auch unsere Kinder mit ihren Temperamenten und Persönlichkeitseigenschaften.

Bedürfnisorientierung kann verschieden aussehen

Um diese Unterschiedlichkeit geht es in der Bedürfnisorientierung: Es geht darum, einen Blick für das Kind zu bekommen und sein ganz persönliches Wesen und dieses mit den uns gegebenen Fähigkeiten zu begleiten. Es geht darum, uns einzufühlen in uns selbst mit unseren Bedürfnissen und in unser Kind mit dessen Bedürfnissen. So wird im Rahmen dieser Bedürfnisse jede Familie auch unterschiedliche Entscheidungen treffen und dennoch ist sowohl die Familie, die Brei als Beikost füttert bedürfnisorientiert als auch jene, die das Kind von Anfang an vom Familientisch mitessen lässt – wenn dabei die Fähigkeiten und Möglichkeiten des Kindes und der Familie in den Blick genommen werden und ein gewaltfreier, unterstützender Weg eingeschlagen wird. Das Bedürfnis in diesem Beispiel ist Nahrung und dieses setzen wir so um, dass wir dabei andere Bedürfnisse (Sicherheit, Selbstwertgefühl etc.) berücksichtigen.

Bedürfnisorientiert mit Kindern zu leben bedeutet vor allem, die Individualität aller in den Blick zu nehmen und ein „individual parenting“ zu gestalten mit den Werten, Bedürfnissen und Vorstellungen, die uns persönlich wichtig sind. Orientiert an den Grundbedürfnissen von Menschen.

S. Mierau „Mutter.Sein“ S. 83

Bedürfnisse erfüllen – daran können wir uns orientieren:

Bedürfnisse sind sowohl auf körperlicher als auch psychischer Ebene zu finden: Die Bedürfnis nach Nahrung, Schlaf, Sicherheit, Wärme existieren beispielsweise neben psychischen Bedürfnissen nach Bindung, Kontrolle/Selbstbestimmung, Lust/Unlustvermeidung und Bedürfnis nach Selbstwert.

Es hat sich ein wenig in uns ein gebrannt, dass wir als Eltern und besonders als Mütter die Bedürfniserfüller*innen sein müssten: Jene, die immer alle Bedürfnisse sofort erkennen, Signale richtig interpretieren und dann die passende Antwort darauf finden. So stellen wir uns irgendwie gute Eltern und ganz besonders gute Mütter vor. Dieser Gedanke beinhaltet aber gleich mehrere Fehlerpunkte:

  • Je jünger das Kind, desto prompter sollten wir zugewandt sein, wenn das Kind ein dringendes Grundbedürfnis signalisiert. Aber: Es ist normal und total in Ordnung, dass wir manchmal Fehler machen. Und nicht nur das: Kinder profitieren sogar von diesen Fehlern, weil sie Fsrustrationstoleranz ausbilden können und Selbstregulation. Das hat natürlich seine Grenzen und muss von Kind zu Kind individuell betrachtet werden je nach Temperament und sonstigen Faktoren. Aber prinzipiell: Wir müssen nicht immer richtig liegen und sofort die Antwort wissen.
  • Oft denken wir, dass wir als Eltern Erfüller*innen sein müssen. Aber es ist total okay, zu erkennen, dass wir manche Sachen nicht gut können und das auslagern: Das Kind mag basteln, wir hassen basteln, dann können wir das auslagern zu Freundin, so gerne bastelt. Wir wollen/müssen arbeiten gehen, aber der andere Elternteil/Großeltern/Babysitter,… kümmern sich wunderbar und liebevoll um das Kind: wie toll und kein Grund für ein schlechtes Gewissen. Die Begleitung von Kindern ist eine Gemeinschaftsaufgabe – oder sollte es sein. In Gemeinschaft steckt viel Entlastung, Kraft und Unterstützung.
  • Bedürfniserfüllung ist nicht an ein Geschlecht gebunden und auch nicht an Verwandtschaftsgrade. Feinfühligkeit ist dafür wichtig.

Es hilft uns nicht, wenn wir uns starr an bestimmten Worten festhalten. Es schränkt uns ein, lässt uns weniger flexibel sein. Und es gibt uns per se ein schlechtes Gefühl, wenn wir abweichen von der Checkliste, von der wir denken, dass wir uns an sie halten müssten. Wir fühlen uns schuldig, auch wenn wir gerade deswegen abweichen, weil wir erkennen, dass wir uns flexibel an Bedürfnissen orientieren müssen. Bedürfnisorientiert mit Kindern zu leben bedeutet vor allem, die Individualität aller in den Blick zu nehmen und ein „individual parenting“ zu gestalten mit den Werten, Bedürfnissen und Vorstellungen, die uns persönlich wichtig sind. Orientiert an den Grundbedürfnissen von Menschen.

Eure

Zur Autorin:
Susanne Mierau ist Diplom-Pädagogin (Schwerpunkt Kleinkindpädagogik) und Familienbegleiterin. Sie arbeitete an der FU Berlin in Forschung und Lehre, bevor sie sich 2011 im Bereich bedürfnisorientierte Elternberatung selbständig machte. Ihr 2012 gegründetes Blog geborgen-wachsen.de und ihre Social Media Kanäle sind wichtige und viel genutzte freie Informationsportale für bedürfnisorientierte Elternschaft und kindliche Entwicklung. Susanne Mierau gibt Workshops für Eltern und Fachpersonal und spricht auf Konferenzen und Tagungen über kindliche Entwicklung, Elternschaft und Familienrollen.

Foto: Ronja Jung für geborgen-wachsen.de

5 Botschaften, die verträumte Kinder stärken

«Fabian! Hörst du zu?!» Wenn ich an meine Kindergartenzeit denke, hallt noch immer diese Ermahnung der Kindergärtnerin in mir nach. Unzählige Male erwischte sie mich dabei, wie ich vor mich hinträumte. Während die anderen Kinder gespannt der vorgelesenen Geschichte lauschten, hörte ich zwei Minuten zu, um mir dann in Gedanken auszumalen, wie es weitergehen könnte. So war es nicht verwunderlich, dass meine Mutter kurz vor meinem Schuleintritt zu einem Gespräch eingeladen wurde. Das Thema: Fabians Verträumtheit und mangelnde Schulreife.  

Während des Gesprächs sollte ich draußen auf dem Flur warten und mir schon meine Jacke und Schuhe anziehen. Als meine Mutter und die Kindergärtnerin wenig später die Türe öffneten, sass ich in Unterwäsche auf der kleinen Bank, sah die beiden nachdenklich an und fragte: «Im Winter, ziehen da die Könige die Mütze über oder unter der Krone an?“ „Genau so ist er immer!“, rief meine Kindergärtnerin sichtlich entnervt. «Dann ist es doch besser, wenn er noch ein Jahr im Kindergarten bleibt», erwiderte meine Mutter.

Langsam, verträumt, vergesslich und unfähig zuzuhören: Das war der Eindruck, den meine Kindergärtnerin von mir hatte. Wahrscheinlich hatte sie damit recht. Zum Glück waren da noch meine Eltern und später Lehrer/innen, die auch anderes sahen und diese Beschreibung um einige Begriffe erweiterten: Kreativ, fantasievoll – und witzig.

Vielleicht haben auch Sie ein Kind, das oft mit dem Kopf in den Wolken steckt, andauernd etwas liegen lässt, Abmachungen vergisst, die man eben noch besprochen hat, Aufgaben im Schneckentempo erledigt und beim morgendlichen Anziehen herumtrödelt?

Und vielleicht erwischen Sie sich dabei, wie Sie es ständig antreiben, ermahnen, den Kopf schütteln oder nervös auf die Uhr schauen und irgendwie versuchen, den Rhythmus des Kindes mit dem Tempo der Außenwelt in Einklang zu bringen?

Als Eltern eines verträumten Kindes gerät man rasch unter Druck: Ganz deutlich spürt man die Erwartungen der Gesellschaft, die schon von den Kleinsten verlangt, sich zu fokussieren, rechtzeitig hier oder dort zu sein, keine Zeit zu verlieren, sich zu organisieren und selbständig zu sein. Als Eltern macht man sich Sorgen, ob das eigene Kind «das schafft» und fühlt sich rasch dafür verantwortlich, dass der Nachwuchs «es hinkriegt», damit er auf das Leben vorbereitet ist. 

Dabei vergessen wir häufig, dass «auf das Leben vorbereiten» auch heißt, das Kind mit seinen Besonderheiten wahrzunehmen; Es darin zu bestärken, dass es seinen Kern bewahrt, anstatt sich einfach allen Erwartungen anzupassen. Wie können wir diesem Ziel näherkommen? Sehen wir uns fünf Botschaften an, die uns im Alltag mit verträumten Kindern als Leitplanken dienen können.

«Träumen ist wertvoll»

«Jetzt konzentrier dich!», «Wo bist du schon wieder mit deinen Gedanken?!» – unaufmerksame Kinder hören immer wieder, dass ihre Tagträume stören und dass sie diese unterlassen sollen. Wahrscheinlich ahnen Sie es bereits: solche Ermahnungen helfen den Kindern nicht dabei, sich zu fokussieren – sie können aber Schamgefühle bei ihnen auslösen und zu Hilflosigkeit führen. So erzählen uns verträumte Kinder oft, dass sie sich gerne konzentrieren würden, aber ihr «Gehirn einfach etwas anderes macht» oder «der Kopf so voll mit Gedanken und Bildern ist». 

Wenn wir verträumte Kinder stärken möchten, können wir ihnen vermitteln, dass ihr Tagträumen auch positive Seiten hat und sie sich diese Fähigkeit bewahren sollten. 

Es entlastet die Kinder, wenn sie erfahren, dass sie das Träumen nicht «wegkriegen» müssen, sondern im Laufe der Zeit immer besser lernen können, in welchen Momenten tagträumen hilfreich ist und wann es darauf ankommt, sich bewusst auf etwas zu fokussieren. In unserem Kinderbuch «Lotte, träumst du schon wieder?» trifft das Hasenmädchen Lotte auf eine weise Wölfin, von der sie den Wolfsblick lernen möchte: Die Fähigkeit, sich voll und ganz auf eine Aufgabe zu konzentrieren. Diese bringt Lotte aber auch den Wert des Träumens näher, indem sie sagt:

„Viele Wölfe üben den Wolfsblick solange, bis sie das Träumen verlernen. Sie sind immer auf ihre Aufgabe konzentriert, sehen nur, was vor ihren Augen liegt, hören nur, was der Rudelführer ihnen befiehlt und vergessen, wer sie sind. Tagträume zeigen dir, was sein könnte. Sie sind das Tor zu neuen Ideen, zu deinen Wünschen und Gefühlen, sie führen dich zu Lösungen, auf die noch niemand zuvor gekommen ist.“

Tatsächlich zeigen mehrere Studien, dass das Tagträumen das kreative Denken fördern, uns bei der Lösung komplexer Probleme helfen und teilweise die Stimmung verbessern kann. Das gilt insbesondere, wenn man gelernt hat, seine Gedanken willentlich auf Wanderschaft zu schicken. 

Ein bekanntes Beispiel hierfür ist der milliardenschwere Unternehmer Elon Musk, Begründer der Firmen Paypal, Tesla und SpaceX. In seiner Biographie ist zu lesen:

«Verwirrend war, dass Elon (Musk) manchmal in eine Art Trance zu geraten schien. Jemand sprach mit ihm, aber wenn er einen bestimmten, abwesenden Blick hatte, drang nichts mehr zu ihm durch. Das passierte so oft, dass Elons Eltern und Ärzte dachten, er könne vielleicht taub sein und beschlossen, seine Polypen herauszunehmen. «Nun, es hat sich nichts geändert», sagt Maye (seine Mutter). «Er zieht sich in sein eigenes Gehirn zurück, und dann kann man einfach sehen, dass er in einer anderen Welt ist. Er macht das noch immer. Heute lasse ich ihn einfach in Ruhe, weil ich weiss, dass er dann eine neue Rakete oder so etwas entwirft.»

Es ist spannend, gemeinsam mit Kindern der Frage nachzugehen, wann das Tagträumen hilfreich und schön ist. Vielleicht stoßen auch Sie dabei auf Antworten der folgenden Art. 

Träumen nützt mir, wenn ich:

  • warten muss und mir die Zeit vertreiben will.
  • etwas lerne und mir die Inhalte gut merken will, dann überlege ich mir innere Bilder dazu oder stelle mir alles wie in einem Dokumentarfilm vor.
  • kreativ sein will, beispielsweise beim Zeichnen, Basteln, Geschichtenerfinden oder Malen.
  • bei einem Problem nicht weiterkomme – dann fällt mir die Lösung meist irgendwann ein, wenn ich an etwas ganz anderes denke.

«Wir haben Zeit»

Immer die Uhr im Blick zu haben, sich zu beeilen und ein volles Programm zu durchlaufen, setzt verträumte Kinder massiv unter Druck. Dies wiederum führt meist dazu, dass sie sich noch stärker in ihre Traumwelt zurückziehen.

Ein zehnjähriges, verträumtes Mädchen erzählte uns dazu kürzlich: «Wenn meine Eltern mich in die Schule schicken und Druck machen, weil ich so spät dran bin, dann kann ich gar nichts mehr. Dann werde ich plötzlich ganz langsam.» Und ihr Vater ergänzt: «Heute morgen haben wir alle verschlafen, aber wir sagten unserer Tochter ausnahmsweise nicht, dass wir zu spät dran sind, sondern haben sie einfach begleitet und geführt. Plötzlich hat die knappe Zeit gereicht. Für alles! Und die Kleine war glücklich.“ Die Aussage, dass das Kind umso langsamer wird, je mehr man es hetzt, deckt sich mit der Erfahrung vieler Eltern verträumter Kinder. Natürlich ist es nicht leicht, danebenzustehen und dem Kind beim Trödeln zuzusehen, während die Uhr tickt und der Schulbus naht. Aus diesem Grund finden Sie in diesem Artikel konkrete Tipps, wie Sie durch mehr Struktur und eine liebevolle Führung die Morgensituation entschärfen können.

Manchmal wird die Langsamkeit und Verträumtheit des Kindes aber auch unnötig zum Problem – einfach deshalb, weil man sich zu viel aufhalst. Ein außerschulischer Kurs hier, ein großer Ausflug da, ein zusätzliches Hobby dort, sind nicht immer eine Bereicherung, sondern können eben auch oft versteckte Kosten mit sich bringen: In Form von gehetzten Eltern und gestressten Kindern, die sich danach sehnen, nicht andauernd dem Takt des Kalenders und der Uhr folgen zu müssen. Termine haben die Eigenschaft, sich rasch und unauffällig in die Agenda zu schleichen. Das einzige Gegenmittel: Immer wieder innehalten, sich fragen, was man nicht mehr oder seltener tun möchte und sich freie Tage ohne jegliche Verpflichtung blockieren. 

Du darfst langsam werden und dich vertiefen

Während viele Kinder schnell über Langeweile klagen, wenn ihnen wenig „Action“ geboten wird, können Träumerchen sich meist erstaunlich gut alleine beschäftigen: sie blühen auf, wenn sie sich in ein Buch oder Hörspiel zu ihrem Lieblingsthema vertiefen, eine Playmobilwelt erschaffen, den eigenen Gedanken nachhängen, im Garten werkeln oder Insekten im Wald beobachten dürfen. 

Es liegt an uns, ihnen diese Freiräume so gut wie möglich freizuschaufeln und sie währenddessen nicht andauernd mit Vorschlägen oder Fragen zu unterbrechen und aus ihrem Rhythmus herauszureissen. Denn gerade im Langsam-werden und ungestörten Sich-Vertiefen liegt ein wichtiger Schlüssel zu einem langfristig glücklichen und gesunden Leben, wie der Soziologe Hartmut Rosa betont: Ihm zufolge brauchen wir alle -große und kleine Menschen- Zeit und Raum, um uns von einer Sache oder einer Person bewegen oder berühren zu lassen, uns angesprochen zu fühlen. Hartmut Rosa nennt diese Momente, in denen wir uns emotional mit einem Musikstück, einer Tätigkeit, einer Idee, oder unserem Gegenüber verbinden, „Resonanzerfahrungen“. Und genau dieses lebendige, emotionale Sich-Verbinden mit einer Tätigkeit oder anderen Menschen lässt sich nicht beschleunigen. 

Auch du kannst dich konzentrieren – und wir unterstützen dich dabei

Es ist wichtig, dass wir uns als Erwachsene bewusst sind: «Kinder registrieren es nicht, wenn sie in Tagträume abgleiten. Sogar uns Erwachsenen fällt es schwer, wahrzunehmen, wenn wir gedanklich abschweifen. Meist bemerken wir dies erst, wenn wir wieder «zurückkommen» und feststellen, dass wir die letzten Sätze in der Sitzung nicht mitbekommen haben oder in einem Raum stehen und denken: «Was wollte ich hier schon wieder?»

Wir können unsere Kinder aber dabei begleiten, die Fähigkeit zur Konzentration zu entdecken und spielerisch auszubauen. Zum Beispiel, indem wir sie dabei erwischen, wenn sie gerade konzentriert sind und ihnen das zurückmelden: «Schon fertig? Das ging aber fix.»; «Erstaunlich, was du dir alles merken konntest – du hast genau zugehört.» 

Oder indem wir mit ihnen darüber sprechen, wie sie ihre Aufmerksamkeit im richtigen Moment bündeln können. Zum Beispiel, indem man bei den Hausaufgaben den Wecker auf 10 stellt und dem Kind hilft, sich ein klares Startsignal zu geben: «Augen auf das Ziel, Gehirn auf Empfang. Los!»

Oder indem wir ihnen mittels kurzer Achtsamkeitsübungen dabei helfen, sich zu sammeln und ganz im Hier und Jetzt anzukommen. Zum Beispiel mit der folgenden Übung:

«Setz dich bequem hin, vielleicht stellst du beide Füße auf den Boden. Leg deine Hände gemütlich auf die Oberschenkel. Und jetzt achte einfach darauf, was du siehst… du kannst dir etwas Zeit dafür nehmen.

Jetzt kannst du die Augen schließen oder einfach nach unten schauen – wie es dir lieber ist. Achte darauf, was du hörst… nimm alle Geräusche um dich herum wahr…

Wenn du willst, kannst du deinen Körper wahrnehmen: wie sich deine Füße auf dem Boden anfühlen, … wo du den Stuhl spürst, auf dem du sitzt… Wie fühlen sich deine Hände an?… Deine Schultern? ….

Achte auf deine Atmung… Wo bewegt der Atem deinen Körper? Wie fühlt sich das Einatmen an?… Wie fühlt sich das Ausatmen an?… Wo kannst du den Atem in deinem Körper spüren?

Wenn du merkst, dass du dich in Gedanken verlierst, dann nimm sie wahr… und wende dich wieder deinem Atem zu. 

Nimm dir noch einen kleinen Moment für dich. Wenn du bereit bist, kannst du langsam hierher zurückkommen… Wir reiben die Hände und sind ganz wach.» 

Fabian Grolimund ist Psychologe und Autor. Stefanie Rietzler ist Psychologin und Autorin. Ihr neues Kinderbuch Lotte, träumst du schon wieder? richtet sich an verträumte Grundschulkinder und ihre Eltern. Zudem schreiben beide regelmäßig für das Schweizer Elternmagazin Fritz+Fränzi. Mehr erfahren Sie unter mit-kindern-lernen-ch  

Ordnung halten mit Kindern

Die Ordnungsfrage wird in vielen Familien immer wieder zur Streitfalle: „Räum das endlich auf!“, „Wie oft habe ich dir schon erklärt, dass du deine Sachen aufräumen sollst!“ bis hin zu „Wenn du nicht aufräumst, dann…“ Dabei beruhen diese Streitsituationen und der Gedanke um das Aufräumen bei Kindern oft auf folgenden Falschannahmen:

  • Kinder würden unseren Ordnungssinn verstehen
  • Es sei einfach für Kinder, aufzuräumen und wenn es nicht klappt, sind Kinder schuld
  • Kinder könnten einfach Ordnung halten
  • Wenn Kinder nicht früh lernen, selbst aufzuräumen, lerne sie es nie
  • Es ist eine Machtfrage: Wer setzt sich hier mit welchem Konzept durch?

Perspektivwechsel

Wenn wir Kindern sagen, sie sollten nun endlich einmal aufräumen, blicken uns nicht selten ungläubige Augen an. Denn Kinder sehen und erleben die Welt anders als wir und unsere Ordnungssysteme sind nicht zwangsweise die Ordnungssysteme der Kinder – abgesehen davon, dass sie manches Mal auch nicht verstehen, warum die sorgsam aufgebauten Dinge, auf die sie stolz sind, die sie sich zurechtgelegt oder -gebaut haben, nun weggeräumt werden sollen. Was wir als Erwachsene aus unserer Sicht sehen, stellt sich für Kinder ganz anders dar. Es geht auch nicht um einen Machtkampf, wer das Sagen in Sachen Ordnung und Gestaltung zu Hause hat, sondern um das Aufeinandertreffen unterschiedlicher Bedürfnisse und Sichtweisen – und beide haben zunächst ein Recht, da zu sein und wahrgenommen zu werden. Und dann geht es darum, gemeinsam einen guten Weg zu finden. Wenn wir es schaffen, die negative Sicht auf das Kind und sein Verhalten auszublenden, haben wir die Situation schon zu einem großen Teil entspannt.

Tipps gegen den Aufräumstress

Was also können wir tun, um dem Aufräumstress zu entkommen und gemeinsam einen Weg zu finden ohne Streit und Drohungen?

  1. Gemeinsam aufräumen: Je jünger die Kinder sind, desto schwerer ist es, ganz allein aufzuräumen. Bei den jüngsten Kindern sind wir Erwachsene das Vorbild (und dies auch über die gesamte Zeit des Zusammenlebens in der gesamten Wohnung) und zeigen dem Kind, wie und wann aufgeräumt werden kann. Dies kann sprachlich gut begleitet werden mit Erklärungen: „Alle Bausteine räume ich erst einmal in diese Kiste.“, „Alle Kuscheltiere setze ich jetzt hier auf das Regal.“, „Alle Wäscheteile sammle ich auf und lege sie in den Wäschekorb.“ Mit Kleinkindern können diese Aufgaben dann geteilt werden: „Komm, du räumst alle Bausteine in den Korb, ich setze alle Kuscheltiere in das Regal.“
  2. Jedes Ding hat einen Platz: Gerade dafür, dass das Aufräumen zunehmend vom Kind selbst übernommen werden soll, ist es wichtig, dass das Kind das Konzept verstanden hat, Dinge an den zuständigen Platz zurückzuräumen. Das ist wichtig, damit sie im Aufräumen zunehmend selbständiger werden. Kinder lernen durch beständige Tropfen positiven Vorbildverhaltens und einfacher Schritte der Beteiligung – nicht durch Druck. Auch hier sind wir Erwachsene Vorbild darin, dass Dinge ihren passenden Platz haben.
  3. Die Menge im Blick behalten: Je älter Kinder werden, desto mehr Spielsachen sammeln sich oft an. Manche werden nicht mehr benutzt, nehmen aber Platz im Ordnungssystem weg und lassen den Raum unübersichtlich erscheinen. Andere werden nur saisonal benutzt. Hier hilft es, einen Überblick zu behalten und gemeinsam zu erkunden und Spielsachen vielleicht auch auszusortieren, die nicht mehr genutzt werden oder auf den Dachboden/in den Keller zu bringen.
  4. Kein Druck, keine (auch nicht verbale) Gewalt: An manchen Tagen mag das Aufräumen nicht klappen. Wenn es uns als Erwachsene so wichtig ist, dass der Raum aufgeräumt ist, sollten wir ihn dann selbst aufräumen. Denn es ist unser Bedürfnis, dass Ordnung herrscht, nicht das des Kindes. Dafür sollten wir die Verantwortung übernehmen.
  5. Die Worte und Absichten dahinter sind wichtig: Es ist wichtig, dass wir uns immer wieder klar werden darüber, welche Bedürfnisse umgesetzt werden sollen durch das Aufräumen und warum. Das sollten wir auch klar in Worte fassen und bei uns bleiben mit Formulierungen wie „Mir ist wichtig, dass…“, „Ich denke, dass…“ und wir können dabei sowohl unsere Gefühle benennen als auch die Gefühle des Kindes erfragen: „Du findest das unfair?“, „Du hast keine Lust darauf?“
  6. Keine Bewertungen: Nur weil das Kind nicht aufräumen möchte, ist es nicht faul. Es ist auch nicht unsozial, weil es jetzt gerade nicht helfen möchte. Lassen wir in dieser Situation die Bewertungen, die ohnehin nur zu Streit führen und dem Kind ein schlechtes Bild von sich selbst geben.
  7. Kompromisse finden: Manchmal bauen Kinder tolle Spiellandschaften auf, die sie nicht aufräumen wollen, sondern am nächsten Tag wieder bespielen oder erweitern wollen. Sie haben viel Energie in diese Arbeit gesteckt und mit Fantasie ein Spiel entwickelt. Das sollten wir anerkennen und dieser Arbeit respektvoll begegnen. Das bedeutet: Wir finden einen Kompromiss. Ein Kompromiss ist nicht ein Vorschlag des Erwachsenen, den ein Kind annehmen muss. Ein Kompromiss ist tatsächlich eine gemeinsame Aushandlung. Das bedeutet“Heute bleibt es stehen, aber wir brauchen einen Laufweg von der Tür zum Bett.“, „Es bleibt so lange stehen, wie du wirklich damit spielst und dann räumen wir gemeinsam auf.“
  8. Das Kind nicht aus dem Flow reißen: Manchmal kommt es vor, dass ein Kind von einem Spiel zum nächsten übergeht und sich darin vertieft und die vorherige Spielsache vergisst und nicht mehr bespielt. Das Kind jetzt aus dem neuen Spiel herauszureißen, ist für das Kind unangenehm, stört den Lernprozess des Kindes und führt zudem zu Streit. Wir können uns wieder vor Augen führen: Es ist gerade mein Bedürfnis, dass Ordnung herrscht, deswegen räume ich das Spielzeug als Vorbild beiseite und später räumen wir die restlichen Dinge zusammen auf.

Der Wesentliche Aspekt zur Entspannung der Aufräumsituation ist unsere Sichtweise. Wenn wir diese ändern, können wir mit wenigen Anhlatspunkten eine Entspannung herbeiführen.

Eure

Zur Autorin:
Susanne Mierau ist Diplom-Pädagogin (Schwerpunkt Kleinkindpädagogik) und Familienbegleiterin. Sie arbeitete an der FU Berlin in Forschung und Lehre, bevor sie sich 2011 im Bereich bedürfnisorientierte Elternberatung selbständig machte. Ihr 2012 gegründetes Blog geborgen-wachsen.de und ihre Social Media Kanäle sind wichtige und viel genutzte freie Informationsportale für bedürfnisorientierte Elternschaft und kindliche Entwicklung. Susanne Mierau gibt Workshops für Eltern und Fachpersonal und spricht auf Konferenzen und Tagungen über kindliche Entwicklung, Elternschaft und Familienrollen.

Foto: Ronja Jung für geborgen-wachsen.de

Wie kleine Kinder im Haushalt helfen können – 10 Ideen für schöne Tätigkeiten

Kinder sind von Anfang an selbstwirksam und sich als eben so zu erleben, wirkt sich auf ihre Entwicklung aus: Sich als selbstwirksam zu erfahren, stärkt das Selbstbewusstsein, weil das Kind weiß, dass es etwas bewegen kann aus eigener Kraft. Das Kind vertraut auf sich und geht offen auf neue Situationen zu in dem Gedanken, dass es diese vielleicht bewältigen kann. Es ist zuversichtlich. Diese Zuversichtlichkeit auf Basis von Selbstwirksamkeit kann sich auch auf das Bewerkstelligen zukünftiger Krisen auswirken (Resilienz). Fehlt dieses Gefühl, sind wir gehemmter im Umgang mit neuen Situationen oder Herausforderungen.

Spielen, Forschen, Basteln

Die Frage ist nun: Wie können Kinder im Alltag Selbstwirksamkeit erfahren? Zunächst, indem wir ihnen viele Möglichkeiten zum eigenständigen Spiel, zur Entwicklung nach ihrem Tempo einräumen, ohne sie zu drängen, beständig zu ermahnen oder zu verbessern. Sie müssen die Dinge der Welt be-greifen und nach ihrem Tempo ausprobieren. Sie müssen selbst Erfahrungen machen dürfen, ohne alles beständig erklärt und vorgemacht zu bekommen.

Freiwilliges Mitmachen

Darüber hinaus können wir sie aber auch aktiv einbinden in den Alltag – bei den Aufgaben, an denen sie Freude haben. Gerade Kinder im Kleinkindalter haben oft noch sehr große Freude daran, sich an den Alltagshandlungen beteiligen zu dürfen und darin aktiv zu sein. Es geht nicht um ein „Du musst jetzt aber den Müll rausbringen“, sondern um eine spielerische Beteiligung auf Basis von Wertschätzung und Respekt gegenüber dem Tun des anderen. Je nach aktuellem Interesse können bereits Kleinkinder beispielsweise folgende Aufgaben erledigen:

  • Beim Einkaufen helfen (im Laden nach bestimmten Lebensmitteln suchen und in den Wagen legen oder mit einem bebilderten Einkaufszettel einkaufen, Lebensmittel abwiegen, einige Lebensmittel in einem kleinen Kinderbeutel nach Hause tragen)
  • Bei der Essenszubereitung helfen (Obst und Gemüse schneiden, Müsli in Schüssel füllen, eingießen aus kleiner Kanne, Frühstsücksteller/Abendbrotteller selber aus einer Auswahl zusammenstellen, Mittagessen mit kleinen Suppenkellen selbst auftun,…)
  • Tisch decken (Kleinkinder können beispielsweise dann gut ihren Platz eindecken, wenn sie ein Platzdeckchen haben mit vorgezeichneten Plätzen für Besteck und Geschirr).
  • Tisch nach dem Essen mit abräumen und Teller in die Spülmaschine stellen
  • Wäsche sortieren
  • Sockenmemory: Gewaschene Sockenpaare sortieren und zusammenlegen
  • Körperpflege an einem kleinen Waschtisch oder mit entsprechendem Hocker selber vornehmen soweit es geht (Zähne vor- oder nachputzen, sich mit Lappen waschen, sich eincremen,…)
  • Pflanzen gießen mit einer kleinen Kanne
  • Staub wischen, mit Handfeger und Kehrblech auffegen
  • Wischen: Mit einem kleinen Wischmob und barfuß macht das Wischen des Fußboden oft viel Freude

Vielleicht fallen Euch ja auch noch ganz andere Möglichkeiten ein. Vor allem geht es nicht um ein „Muss“, sondern darum, dass es wirklich Freude bereitet. Und diese Freude am eigenen Tun und Ergebnis trägt sich fort.

Eure

Zur Autorin:
Susanne Mierau ist Diplom-Pädagogin (Schwerpunkt Kleinkindpädagogik) und Familienbegleiterin. Sie arbeitete an der FU Berlin in Forschung und Lehre, bevor sie sich 2011 im Bereich bedürfnisorientierte Elternberatung selbständig machte. Ihr 2012 gegründetes Blog geborgen-wachsen.de und ihre Social Media Kanäle sind wichtige und viel genutzte freie Informationsportale für bedürfnisorientierte Elternschaft und kindliche Entwicklung. Susanne Mierau gibt Workshops für Eltern und Fachpersonal und spricht auf Konferenzen und Tagungen über kindliche Entwicklung, Elternschaft und Familienrollen.

Foto: Ronja Jung für geborgen-wachsen.de

„Jetzt sei aber mal lieb zu dem anderen Kind!“ – Wie Kinder soziales Verhalten lernen

„Jetzt sei mal schön lieb zu dem anderen Kind!“ schallt es über den Spielplatz. Das Kleinkind, das gemeint ist und einem anderen gerade den Eimer wegnehmen möchte, erscheint es wenig verunsichert, streckt den Arm aus, streichelt das andere Kind und nimmt dann den Eimer an sich. Das Konzept von „lieb sein“ wie es seine Bezugsperson gemeint hat, hat es noch nicht genau verstanden und verinnerlicht. Es denkt, es soll ein bestimmtes, erlerntes Verhalten zeigen und weiß nicht, dass dieses „lieb sein“ eher eine Haltung ist, denn eine Handlung. Und diese Haltung hat es als bewusste Haltung nicht verinnerlicht. Der eben noch rufende Elternteil kommt über den Spielplatz gespurtet, reißt den Eimer aus der Hand und stellt ihn dem anderen Kind wieder hin. „Du solltest den Eimer zurückgeben, hab ich gesagt!“ – Das Kind schaut wieder verwundert, denn natürlich wurde das nicht gesagt, auch wenn es gemeint wurde. WAS aber gemeint wurde, hat das Kind nicht verstanden.

Eltern wünschen sich einfühlsame, „liebe“ Kinder

Kinder sind von sich aus kooperativ und sozial. Allerdings sind Kinder auch Kinder und der kindlichen Entwicklung unterworfen, weshalb ihr kooperatives und soziales Verhalten Grenzen hat (was übrigens auch bei uns Erwachsenen so ist, nur dass unsere Grenzen meistens weiter sind) und beispielsweise ausgeschöpft oder erschöpft sein kann bzw. auch den eigenen Bedürfnissen unterliegt und dem Umstand, sich noch nicht gut in andere Personen hineinversetzen zu können und die Gefühle anderer immer richtig einschätzen oder vor-einschätzen zu können.

Als Eltern nehmen wir die Kooperation des Kindes und sein soziales Verhalten im Alltag oft nicht als solches wahr, bis zu dem Zeitpunkt, wo es gerade nicht auftritt und wir uns wünschen, dass das Kind sich aber „gut“ verhalten soll. Oft sind das Situationen, in denen wir gestresst sind durch Zeitdruck oder durch beobachtende Dritte und nicht als Eltern schlecht bewertet werden wollen. Dann fordern wir von unseren Kindern ein „liebes“ Verhalten ein oder versuchen, dem Kind das „lieb sein“ aktiv vorzuführen: Streichel mal das andere Kind, teil doch mal dein Spielzeug, begrüße mal lieb die Tante,… Manchmal fordern wir dabei mehr ein, als das Kind eigentlich gerade in diesem Alter leisten kann, beispielsweise wenn wir Kleinkinder zum Teilen ihrer Lieblingsspielsachen auffordern.

Viele Eltern übersehen bei dem Wunsch nach einem „lieben“ Kind auch, dass das Kind ein Mensch ist. So wie Erwachsene auch. Wir alle haben jeden Tag eine Vielzahl unterschiedlicher Gefühle und niemand ist „nur freundlich“, ganz besonders Kinder nicht, die noch Schwierigkeiten haben, ihre Gefühle zu regulieren. Es ist wichtig, dass Kinder die breite Palette an Gefühlen erfahren dürfen, denn sie gehören zum Leben dazu und jedes Gefühl hat auch einen anderen Gefühlspart: wütend – zufrieden, traurig – munter,… Durch die Wahrnehmung des einen ist bewusster Raum für die Wahrnehmung des anderen vorhanden. Kein Kind muss „lieb sein“, wenn es sich nicht danach fühlt und kein Kind muss beständig freundlich und zuvorkommend sein. Kinder lernen zunehmend, ihre Gefühle in einer Gesellschaft passend auszudrücken. Mit zunehmenden Alter lernen sie, was sie tun können, wenn sie auf einer Familienfeier schlechte Laune haben, ohne sich dabei verstellen zu müssen. Sie lernen Kompetenz im Umgang mit unterschiedlichen Gefühlen und diese Kompetenz bedeutet nicht zwangsweise Anpassung an Erwartungen, sondern einen guten Umgang damit: Niemand sollte fröhlich sein müssen, obwohl er gerade extrem traurig ist.

Wie Kinder wirklich lernen, sich sozial zu verhalten

All diese freundlichen, lieben Verhaltensweisen lernen Kinder aber viel weniger durch direkte Anleitung oder Aufforderungen, als durch Vorbildverhalten von uns Erwachsenen: wie wir mit anderen umgehen und auch mit dem Kind selbst. Die Art, wie andere Menschen dem Kind begegnen, mit ihm interagieren und es behandeln, prägt das Bild über soziales Verhalten. Wenn wir wollen, dass unsere Kinder freundlich zu anderen sind, nicht übergriffig und langfristig sozial agieren, müssen wir uns fragen, wie wir diese Werte im Alltag transportieren. Wir können uns Fragen stellen wie:

  • Wie begegne ich dem Kind respektvoll?
  • Wie fasse ich es an?
  • Wie reagiere ich auf Fragen, Wünsche, Bedürfnisse?
  • Wie spreche ich mit dem Kind und lasse ich es ausreden oder fahre ich ihm über den Mund? In welchem Tonfall und welcher Lautstärke rede ich mit meinem Kind?
  • Reiße ich meinem Kind die Dinge aus der Hand, wenn ich etwas haben möchte, oder bin ich geduldig?
  • Erkläre ich Dinge ruhig, oder handle ich einfach anstatt zu reden?

Wenn wir uns die Frage stellen, wie unsere Kinder sind und sein sollen, sollten wir zunächst darauf schauen, wie wir sind.
Eure

Zur Autorin:
Susanne Mierau ist Diplom-Pädagogin (Schwerpunkt Kleinkindpädagogik) und Familienbegleiterin. Sie arbeitete an der FU Berlin in Forschung und Lehre, bevor sie sich 2011 im Bereich bedürfnisorientierte Elternberatung selbständig machte. Ihr 2012 gegründetes Blog geborgen-wachsen.de und ihre Social Media Kanäle sind wichtige und viel genutzte freie Informationsportale für bedürfnisorientierte Elternschaft und kindliche Entwicklung. Susanne Mierau gibt Workshops für Eltern und Fachpersonal und spricht auf Konferenzen und Tagungen über kindliche Entwicklung, Elternschaft und Familienrollen.

Foto: Ronja Jung für geborgen-wachsen.de

Geburt und Elternsein – Wie sich das Geburtserlebnis auswirkt

Als ich vor ein paar Monaten Mutter. Sein. las, stolperte ich über einige Stellen, die mich etwas schmunzeln ließen, da sie zusammengenommen ziemlich treffend die Ergebnisse unserer Forschung widerspiegeln. In den Stellen schreibt Susanne über negative Geburtserlebnisse und deren Auswirkungen, körperlich wie psychisch. Darüber, dass negative Geburtserlebnisse manchmal Verarbeitung benötigen und das Kümmern um den Säugling möglicherweise erschweren können. 

Wie wirkt sich Geburt auf das psychische Wohlergehen aus?

Wir haben an der Uni Bonn eine Längsschnittstudie zu den psychologischen Einflussfaktoren auf die Geburt und zu den Auswirkungen der Geburt auf psychologische Faktoren durchgeführt. Wir wollten u.a. wissen, inwieweit sich die Geburt und das Geburtserlebnis auf das kurz- und längerfristige psychische Wohlergehen auswirkt. Dafür haben wir 304 Paare erhoben, die in den ersten sechs Wochen nach der Geburt zunächst täglich und dann wöchentlich Angaben über ihr emotionales Wohlbefinden und über das Wohlbefinden des Säuglings machten. Müttern haben wir zusätzlich Fragen zum Stillen und zur wahrgenommenen Wundheilung gestellt. Sechs Monate nach der Geburt haben wir zudem die Eltern-Kind-Bindung per Fragebogen erfasst.

Was sich zeigte war: Frauen, die eine interventionsreiche Geburt hatten (also z.B. Dammschnitt, PDA, Kaiserschnitt) bewerteten die Geburt negativer als Frauen mit interventionsarmen Geburten. Die Geburtsbewertung, also das Geburtserlebnis, hatte wiederum Einfluss darauf wie es der Familie im Wochenbett ging.

War das Geburtserlebnis eher negativ, hatten die teilnehmenden Frauen und Männer ein geringeres emotionales Wohlbefinden, fühlten sich belasteter und auch der Säugling wurde als unruhiger beschrieben. Frauen mit negativem Geburtserlebnis berichteten zudem vermehrt von Stillprobleme. Das Wochenbett verlief also für die Familie weniger günstig und dies beeinflusste wiederum die Eltern-Kind-Bindung sechs Monate nach der Geburt. Zwar waren die meisten Studienteilnehmer*innen sicher an ihre Kinder gebunden (soweit dies durch eine Fragebogenerhebung feststellbar ist), trotzdem gab es Variationen in den Daten, welchen wiederrum teilweise durch die erschwerten Startbedingungen im Wochenbett erklärt werden konnten.

Geburtserlebnisse haben Auswirkung auf den Übergang zur Elternschaft

Die Studienergebnisse zeigen also deutlich, dass die Geburt und das daraus resultierende Geburtserlebnis wichtige Ausgangspunkte für den Übergang zur Elternschaft darstellen. Sie erleichtern oder erschweren den Prozess. Wir konnten Auswirkungen auf die Eltern, das Kind und auf beide gemeinsam – in Form von Stillprobleme und der Eltern-Kind-Bindung – feststellen. Aber warum ist das so? Der Grund liegt wahrscheinlich darin, dass der Übergang zur Elternschaft ein inhärent stressbehafteter Prozess ist. Für die Person, die geboren hat, bedeutet er eine körperliche Herausforderung, für alle Familienmitglieder eine emotionale. Wenn jedoch die Geburt negativ nachwirkt, weil sie ebenfalls körperlich und psychisch herausfordernd war, dann werden durch das Erlebnis Ressourcen gebunden, die eigentlich für den Übergang zur Elternschaft benötigt werden. Wir konnten diese Auswirkungen sogar noch sechs Monate nach der Geburt beobachten. 

Für die Familie ist ein positives Geburtserlebnis scheinbar essentiell und – aus psychologischer Perspektive – kein einfaches nice to have. Auf gesellschaftlicher Ebene betrachtet erscheint es insofern notwendig, die Geburtshilfe zu reformieren und Ansatzpunkte für optimale psychologische Rahmenbedingungen für die Geburt zu schaffen. 

Was Familien brauchen

Aber was können wir auf Einzelfallebene tun? Es ist wichtig anzuerkennen, dass Geburten nicht mit der Plazentageburt enden. Dass Familien – nicht ausschließlich nur die Person, die geboren hat – möglicherweise Zeit und gegebenenfalls auch Unterstützung benötigen, um den Prozess zu verarbeiten. Wir sollten Wissen darüber entwickeln, dass der Satz „Hauptsache das Kind ist gesund“ ziemlich oberflächlich ist. Wir sollten zuhören und erfragen, was die Familie braucht. 

Familien, die merken, dass es ihnen nach der Geburt nicht gut geht, sollten nicht davor zurückschrecken, dies zu äußern und Hilfe einzufordern. Von Freunden, Hebammen, Stillberater*innen, Pädagogen*innen oder Psychologen*innen. Es ist vollkommen in Ordnung unglücklich mit dem Geburtserlebnis zu sein und dies darf geäußert werden; es bedeutet in keinerlei Weise, dass man undankbar oder unglücklich über das Kind ist.

Wir sollten aber auch vorsichtig mit unseren Interpretationen sein. Denn auch wenn unsere Studie zeigte, dass sich die Geburt negativ auf das Wohlbefinden im Wochenbett auswirken kann, ist dies keine unbedingt auftretende ‚wenn-dann-Beziehung‘. Schwierigkeiten im Wochenbett, Stillprobleme, Ängste, Sorgen, Überforderungen – all das kann auch auftreten, wenn die Geburt positiv verlaufen ist und nichts davon muss bei negativ verlaufenden Geburten auftreten. Auch bedeutet eine weniger sichere Eltern-Kind-Bindung sechs Monate nach der Geburt nicht, dass sich dies nicht auch wieder ändern kann. Bindung ist grundsätzlich nichts fest Geschriebenes, sie kann sich immer verändern. Umgekehrt ist eine sichere Bindung sechs Monate nach der Geburt keine Garantie dafür, dass Eltern auch bei verändernden Herausforderungen (beispielsweise in der Autonomiephase) noch sensibel auf die Bedürfnisse des Kindes eingehen können. 

Ich würde dazu raten, dass unabhängig davon, wie der Geburt verlief: wer das Gefühl hat, dass der Übergang zur Elternschaft überfordernd ist und das Bedürfnis nach (professioneller) Hilfe hat, nicht davor zurückschrecken sollte, diese in Anspruch zu nehmen. 

Lisa Hoffmann ist Diplom-Psychologin. Seit ihrem Studienabschluss 2012 ist sie als wissenschaftliche Mitarbeiterin am psychologischen Institut der Universität Bonn tätig. Im Rahmen ihrer Promotion erforschte sie die Rolle psychologischer Faktoren für die Geburt und leitete dabei von 2015-2019 eine von der Deutschen Forschungsgemeinschaft geförderte Längsschnittstudie zum Thema Mindset, Partnerschaft und Geburt, an der knapp 300 Paare teilnahmen und zu unterschiedlichen Zeitpunkten während Schwangerschaft, Geburt und Wochenbett befragt wurden. Im Frühjahr gründet sie das Institut für Geburts- und Familienpsychologie einAnfang , das sich u.a. für Wissenschaftskommunikation
einsetzt und berichtet daher auf Instagram und facebook sowie Twitter über aktuelle
Forschungsergebnisse zu den Themen Geburt und Elternschaft. Sie ist Mutter von zwei Töchtern.
 

„Mit dem Kopf in den Wolken“ – verträumte Kinder

Und da sitzt es, das Kind, und ist wieder in Gedanken an einem anderen Ort, hängt mit den Gedanken einem anderen Thema hinterher, ist scheinbar ganz weit weg. Und wieder denken wir „Aber was soll nur aus dem Kind werden?“ oder „Ich muss es so erziehen, diese Träumerei zu lassen!“ und wir versuchen, dem Kind das Träumen auszureden, reißen es aus den Gedanken, ermahnen und reden uns scheinbar den Mund fusselig. Die Beziehung leidet, obwohl wir doch eigentlich nur etwas Gutes wollen. Aber irgendwie funktioniert es nicht. Denn der Fehler liegt in unseren Gedanken: nicht das Kind ist falsch, sondern die Strategien.

Wir sind verschieden

Wir alle sind unterschiedlich, nehmen Reize unterschiedlich wahr, reagieren unterschiedlich darauf, verarbeiten unterschiedlich. Wir haben verschiedene Vorlieben und Abneigungen. Im Laufe der Zeit werden Temperamente in Auseinandersetzung mit der Umwelt zu Persönlichkeitseigenschaften, die Grundmelodie unseres Wesens bleibt bestehen. Wichtig ist dabei, dass wir in unserem Wesen so angenommen werden, wie wir sind, denn so bilden wir ein gutes Bild von uns aus, sehen uns selbst als wertvoll, liebenswert und wirksam an. Wird unserem Wesen mit Ablehnung begegnet, verinnerlichen wir dies als Teil unseres Selbstbildes: Ich bin nicht liebenswert, weil…

Tagträumen und die Anforderungen der Umwelt = Streit

Verträumte Kinder können wunderbar in ihre Gedanken versinken, tief spielen und phantasievoll und kreativ sein. Auf der anderen Seite sind sie aber oft auch langsamer als viele andere Menschen. Gerade dann, wenn ein verträumtes Kind mit dem Alltagsstress konfrontiert wird, kann es manchmal schwierig werden, denn das Kind nimmt zwar den Druck und den Wunsch der anderen nach Änderung wahr, kann aber durch ein „Mach doch mal schneller!“, „Immer muss ich dir alles x-mal sagen!“, „Meine Güte, warum hörst du nicht einfach mal zu!“ nichts anfangen.

Nicht ändern, sondern annehmen und gemeinsam Wege finden

Hilfreich ist es nicht, das Kind zu einem anderen Menschen machen zu wollen. Ansatzpunkt ist – wie so oft in Temperamentsfragen – dem Kind einen guten Umgang beizubringen mit der eigenen Art. Hilfe zu geben für den Umgang mit anderen Menschen und der Gesellschaft. Die Frage ist also nicht: „Wie hört mein Kind mit dem Tagträumen auf?“ sondern „Wie kann ich mein Kind darin unterstützen, das Tagträumen mit den Anforderungen der Umgebung zu vereinbaren?“ Für uns als Eltern bedeutet das zugleich: Ich werde mein Kind nicht ändern, sondern es begleiten.

Konkret bedeutet dies, dass wir Verständnis aufbringen für unser Kind und sein Wesen. Das Tagträumen ist nicht schlecht, keine negative Eigenschaft, sondern eine kreative. Im Alltag brauchen viel träumende Kinder kleinschrittige Anleitungen, die ihnen ermöglichen, komplexere Aufgaben nach und nach abzuarbeiten und die Übersicht zu behalten: Für die Rituale am Morgen eignen sich Bilder als Übersicht mit all den Dingen, die erledigt werden wollen: Frühstück, Zähne putzen, anziehen,… Damit sich das Kind vor dem Kleiderschrank nicht in Gedanken verliert, können am Vorabend alle Dinge auf einen Stapel gelegt werden: was zuerst angezogen wird nach oben. Oder auch hier kann eine Checkliste am Schrank helfen: 1. Unterwäsche, 2. Oberteil,…

Auch beim Aufräumen sind gerade verträumte Kinder oft langsamer oder geraten immer wieder ins Spiel. Ihnen hilft es, wenn gemeinsam aufgeräumt werden kann und wir Eltern dabei als Vorbild mit einem guten Ordnungssystem vorangehen und den Kindern kleine Aufgabeneinheiten im gemeinsamen Tun überlassen: „Wir räumen zusammen auf und du machst alle Holzbausteine in die Holzkiste und ich alle Plastikteile in die Plastikkiste.“

Zeit für das Träumen lassen

Gerade dann, wenn die Kinder besonders kooperieren mussten und dies von ihnen besondere Anstrengung und Energie brauchte, brauchen sie auch wieder eine Pause, in der sie entspannen und ihren Gedanken nachgehen können. Gerade hier ist es auch wichtig, ihnen die Möglichkeit einzuräumen und im Alltag auf eine gute Balance zwischen Anregung und Entspannung zu achten, damit sie wieder in ihre Grundmelodie zurückkommen können. Emotionales Auftanken ist für die Kinder dann oft hilfreich.

Eure

Zur Autorin:
Susanne Mierau ist Diplom-Pädagogin (Schwerpunkt Kleinkindpädagogik) und Familienbegleiterin. Sie arbeitete an der FU Berlin in Forschung und Lehre, bevor sie sich 2011 im Bereich bedürfnisorientierte Elternberatung selbständig machte. Ihr 2012 gegründetes Blog geborgen-wachsen.de und ihre Social Media Kanäle sind wichtige und viel genutzte freie Informationsportale für bedürfnisorientierte Elternschaft und kindliche Entwicklung. Susanne Mierau gibt Workshops für Eltern und Fachpersonal und spricht auf Konferenzen und Tagungen über kindliche Entwicklung, Elternschaft und Familienrollen.

Foto: Ronja Jung für geborgen-wachsen.de

Eigenverantwortung der Kinder

Sowohl Wurzeln (= Sicherheit, Nähe, sicherer Hafen bei den Bezugspersonen) als auch Flügel (= Selbständigkeit, Exploration, Entdecken) sind für die kindliche Entwicklung wichtig und Kinder bewegen sich jeden Tag zwischen diesen beiden Punkten auf einem Kreis umher: Aus der Nähe brechen sie zur Entdeckung auf, um dann wieder zurück zu kommen und das Gefühl der Sicherheit aufzutanken, um erneut aufzubrechen. Mit der Zeit werden die Strecken der Selbständigkeit länger, die Distanz wird größer. Es ist wichtig, dass wir als Eltern genau das zulassen. Und es ist wichtig, dass wir Verantwortung und Zuständigkeit loslassen, damit das Kind sich selbst als wirksam und wichtig im Handeln erfährt.

Eigenständigkeit zulassen ist oft nicht einfach

Für viele Eltern ist es nicht leicht, die Eigenständigkeit des Kindes zuzulassen: aus Angst vor vermeintlich negativen Folgen (das Kind könnte sich verletzten, negative Erfahrungen machen, etwas falsch machen, was Stress für einen selbst bedeutet) oder aus dem Gedanken heraus, als Erwachsene alles unter Kontrolle haben zu müssen und selber die „Zügel des Alltags“ in der Hand halten zu müssen: Kindern Eigenverantwortlichkeit zu überlassen, bedeutet auch, sich vom klassischen Erziehungsbild mit der mächtigen Erwachsenenposition abzuwenden und sich einer eher demokratischen Familienstruktur zuzuwenden, in der die Wünsche und Bedürfnisse der einzelnen Familienmitglieder als gleich bedeutend angesehen werden.

Eigenverantwortung übernehmen, ist von Vorteil für Kinder

Eigenverantwortung ist – bei allen Vorbehalten von Erwachsenen – jedoch für die kindliche Entwicklung von großer Bedeutung: Wenn Kinder die Erfahrung machen dürfen, Dinge wirklich selbst zu entscheiden, fühlen sie sich selbst wirksam, das eigene Handeln hat einen Sinn und sie lernen nachhaltig daraus. Dies ist ein wichtiger Aspekt für die Ausbildung von Resilienz und ihr eigenes Selbstbild: Ich bin nicht passiv, ich entscheide mit. Meine Stimme hat Gewicht und ich bin ein wirksamer Teil der Gemeinschaft.

Das bedeutet nicht, dass Kinder alles immer und zu jeder Zeit selbst entscheiden können und müssen und sie in ihren Handlungen allein gelassen werden. Eigenverantwortung bedeutet nicht Laisser-faire. Es bedeutet vielmehr, dass wir unseren Blick genau auf die Kinder richten und überlegen, in welchen Bereichen sie diese Eigenverantwortung selber tragen können. Es bedeutet auch, diese Ansicht immer wieder im Laufe der Elternschaft neu zu hinterfragen und die Eigenverantwortung auszubauen in Hinblick auf die wachsenden Fähigkeiten des Kindes.

Es lohnt sich ein Blick darauf, in welchen Bereichen das Kind eigenverantwortlich handeln kann, wo wir unser Urteil als Eltern hintenanstellen und die Selbständigkeit der Kinder durch ganz bewusste eigene Zurücknahme befördern: Kann das Kind bereits eigenverantwortlich Aufgaben im Haushalt übernehmen? Schon Kleinigkeiten im Alltag können von Kindern übernommen werden: Essen kleinschneiden beim Kochen, Socken zusammenlegen, Biomüll im kleinen Beutel rausbringen, Haustiere versorgen,… Kann das Kind eigenverantwortlich mit der Auswahl der eigenen Kleidung umgehen? Was würde uns daran hindern, dem Kind die Verantwortung dafür zu überlassen, sind es Gedanken von „Was denken die anderen?“ oder „Das Kind kann doch nicht selbständig Wärme und Kälte für sich einschätzen!“? Darf das Kind eigenverantwortlich mit dem eigenen Taschengeld umgehen? Welche Gedanken hindern uns daran, dies zuzulassen: Der Gedanke, es würde für „unnütze Dinge“ ausgegeben, das Kind solle mehr sparen?

Unsere erwachsenen Gedanken und unser Wissensvorsprung behindern manches Mal unsere Kinder daran, eigene Entscheidungen zu treffen, selbst für dieses Leben zu lernen und das Gefühl der Selbstwirksamkeit auszubauen. Überdenken wir daher unsere Ansichten doch einmal in Hinblick darauf, wo wir zu sehr einschränken und ob diese Einschränkungen wirklich sinnvoll sind. Und im nächsten Schritt können wir. – vielleicht zusammen mit unseren Kindern – überlegen, wo wir anders handeln können.

Eure

Zur Autorin:
Susanne Mierau ist Diplom-Pädagogin (Schwerpunkt Kleinkindpädagogik) und Familienbegleiterin. Sie arbeitete an der FU Berlin in Forschung und Lehre, bevor sie sich 2011 im Bereich bedürfnisorientierte Elternberatung selbständig machte. Ihr 2012 gegründetes Blog geborgen-wachsen.de und ihre Social Media Kanäle sind wichtige und viel genutzte freie Informationsportale für bedürfnisorientierte Elternschaft und kindliche Entwicklung. Susanne Mierau gibt Workshops für Eltern und Fachpersonal und spricht auf Konferenzen und Tagungen über kindliche Entwicklung, Elternschaft und Familienrollen.

Foto: Ronja Jung für geborgen-wachsen.de

Das Zeugnis für die Eltern

Liebe*r_________,

dein erstes Schuljahr mit Homelearning ist nun vorüber. Es war eine aufregende Zeit, in der du dich stets für neue Themen begeistern musstest. Über diese Monate hinweg hast du eine hohe Lernbereitschaft gezeigt. Es fiel dir zunächst etwas schwer, dich in die neuen Themen einzuarbeiten und einen Platz in der Gruppe der Zuhauselernenden zu finden. Der Kontakt zu den Lehrer*innen war vielleicht nicht immer einfach für dich, aber du hast verantwortungsbewusst eine Position in diesem Gefüge eingenommen. Vielen Dank dafür!

Im Lernverband Zuhause hast du eine führende Position übernommen und im Laufe der Zeit deutlich an Sicherheit gewonnen. Es war nicht immer einfach, eigenständig, motiviert und sorgfältig die geforderten Aufgaben zu bewältigen und weiterzugeben. Dabei hast du großes Geschick bewiesen und nicht nur die zu erledigenden Aufgaben im Blick behalten, sondern auch große emotionale Kompetenz bewiesen in der Begleitung deines Kindes. Nicht immer ist alles reibungslos verlaufen. Flexibel hast du abgewägt zwischen Erfordernissen und Möglichkeiten. Das war sicherlich nicht immer eine leichte Entscheidung, aber du hast in der Mehrheit der Fälle sehr sicher reagieren können.

In den vergangenen Wochen hast du Kreativität bewiesen, Organisationsfähigkeit, emotionale Stärke, Flexibilität, Ausdauer und Empathie. Deine Leistungen lagen über dem Erwarteten und an manchen Stellen auch über dem Möglichen. Wir sind uns alle dessen bewusst, welche enormen Anstrengungen du erbracht hast, um dein Kind durch diese Zeit zu führen. Gewaltfrei und verständnisvoll zu handeln unter den gegebenen Rahmenbedingungen ist für die Atmosphäre im Familienalltag besonders wichtig – dies hast du gut gemeistert, auch wenn es an einigen Stellen manchmal zu Streitigkeiten gekommen ist. Du hast Konfliktfähigkeit und Kompromissbereitschaft bewiesen.

Liebe*r______________, wir danken dir für dein Engagement. Leider wurde deine Tätigkeit im Gesamtsystem noch zu wenig und zu selten bemerkt, berücksichtigt und honoriert. An dieser Stelle können wir aktuell nichts daran ändern außer zu sagen: Du hast Großes geleistet und es tut uns leid, dass es der Politik noch schwer fällt, das zu sehen. Wir hoffen, es ist nicht nötig, dich in ein weiteres Schuljahr zu versetzen. Aber wir danken dir – wenn es schon sonst niemand anderes tut – aus ganzem Herzen.

Der Verbund der Homelearning-Eltern

Hier kannst Du Dir Dein Zeugnis herunterladen und ausdrucken

Hier gibt es bei grossekoepfe auch ein Elternzeugnis oder hier bei Nils Pickert

Das Grundgefühl, geliebt und respektiert zu werden

Wir alle wissen: Unsere Kinder bringen jeden Tag sehr viele verschiedene Gefühle zum Ausdruck. Sie können sich unglaublich stark freuen, sie können so richtig wütend sein, sie können tief traurig sein oder zappelig aufgeregt – und noch vieles mehr. Die ganze Bandbreite an Gefühlen dürfen sie nicht nur spüren, sondern sie lernen auch anhand all dieser Gefühle. Sie lernen, wie sich unterschiedliche Situationen und Empfindungen anfühlen, wie man darauf reagieren kann, welche Lösungen in welchen Situationen passend sind und dass es Gefühle gibt, bei denen es gut tut, sie mit anderen zu teilen. Durch andere können Kinder lernen, wie sie mit ihren Gefühlen umgehen können. Und trotz all dieser Unterschiedlichkeit an verschiedensten Gefühlen jeden Tag brauchen Kinder ein Gefühl, das sie durch den Tag trägt, durch die Wochen, die Jahre: das Grundgefühl, geliebt und respektiert zu werden.

Die Grundmelodie des Kindes

Dieses Gefühl ist die Grundmelodie, die wir unseren Kindern mitgeben. Sie trägt sie durch den Tag: Wann immer sie aufgeregt sind, können sie dorthin zurückkehren. Wenn sie traurig sind, kommen sie nach dem Trösten dorthin zurück. Wenn sie wütend sind, kehren sie nach der Begleitung durch die Wut in diesen Grundzustand zurück. Und dieser Grundzustand selbst kann ebenfalls angespannter oder lockerer sein – je nachdem, welche Grundmelodie sie verinnerlicht haben.

Es gibt einige Faktoren, die darauf einwirken wie beispielsweise das individuelle Temperament des Kindes, das wir schon ins Leben mitbringen und das sich durch die Interaktion mit der Umwelt in den ersten Jahren zu Persönlichkeitsmerkmalen ausbildet. Die Interaktion mit der Umwelt ist aber besonders wichtig für die Ausbildung des Gefühls, wie wir uns selber sehen und auch, wie unsere Grundmelodie gestaltet ist. Als Eltern nehmen wir darauf viel Einfluss durch unsere Begleitung von Kindern und ihren Gefühlen und den Lernerfahrungen, die sie damit machen. Aber auch generell durch unsere Art der Zuwendung: Wenn wir ihnen – unabhängig von ihrer jeweiligen Art, von ihrem jeweiligen Gefühl und unabhängig von den einzelnen Situationen das Gefühl vermitteln, dass sie bei uns sicher und geborgen sind, dass wir ihnen zuhören, sie respektieren und ihre Bedürfnisse sehen, geben wir ihnen ein sicheres Grundgefühl mit, das auch für eine Art Grundentspannung sorgt – im Rahmen ihres jeweiligen Temperaments.

Nähe und Freiheit, Sicherheit und Schutz

Fühlen sich Kinder in ihrem Bedürfnis nach Nähe und Freiheit sicher, sind diese beiden Aspekte passend ausbalanciert, sind sie im Bindungsaspekt ausreichend sicher. Wenn wir ihnen hingegen zu wenig Nähe und/oder zu wenig Freiheit geben, legt dies die Grundlage für eine Unsicherheit, die sich auch auf das allgemeine Wohlbefinden und Verhalten legt.

Kinder brauchen Nähe und Freiheit, Sicherheit und Schutz und das Gefühl, mit allen Fragen, Sorgen, Ängsten und Gedanken zu uns kommen zu können, ohne für die Empfindung verlacht, verspottet oder nicht ernst genommen zu werden. Sie brauchen das Gefühl, sichere Ansprechpartner*innen zu haben für alle Belange. Und dieses sichere Gefühl bildet die Basis für die Grundstimmung.

Gilt auch für Eltern

Und wenn wir ehrlich sind: Auch für uns Erwachsene ist es von Bedeutung, eine entspannte Grundstimmung zu haben, die wir dadurch erlangen, dass wir uns sicher und geschützt fühlen, Pausen einbauen, andere Erwachsene haben, mit denen wir uns austauschen können und die uns zuhören. Sind wir in einer solchen Grundstimmung, fällt es auch uns viel leichter, mit den Unwägbarkeiten des Alltag und den Bedürfnissen der Kinder umzugehen.

Eure

Zur Autorin:
Susanne Mierau ist Diplom-Pädagogin (Schwerpunkt Kleinkindpädagogik) und Familienbegleiterin. Sie arbeitete an der FU Berlin in Forschung und Lehre, bevor sie sich 2011 im Bereich bedürfnisorientierte Elternberatung selbständig machte. Ihr 2012 gegründetes Blog geborgen-wachsen.de und ihre Social Media Kanäle sind wichtige und viel genutzte freie Informationsportale für bedürfnisorientierte Elternschaft und kindliche Entwicklung. Susanne Mierau gibt Workshops für Eltern und Fachpersonal und spricht auf Konferenzen und Tagungen über kindliche Entwicklung, Elternschaft und Familienrollen.

Foto: Ronja Jung für geborgen-wachsen.de