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50 Alltagstipps für geborgenes Aufwachsen

Ich werde oft gefragt, wie es denn nun geht, dieses „geborgene aufwachsen“ oder „Attachment Parenting“ oder „achtsames Elternsein“. Und jedes Mal finde ich wieder, dass es zugleich ganz einfach und doch auch schwer zu erklären ist. Deswegen gebe ich Euch heute eine Liste, was es für mich heißt, mit meinen Kindern geborgen zu wachsen – denn auch ich wachse mit ihnen:

  • Nimm Dein Kind ernst.
  • Tröste Dein Kind, wenn es weint. Immer.
  • Sage nicht, dass etwas nicht schlimm sei, wenn Dein Kind weint.
  • Trage Dein Kind, wenn Du es kannst. Es wird Deine Nähe lieben und genießen.
  • Stille Dein Kind, wenn Du es kannst und willst. Wenn es nicht geht, mach es anders. Nehmt Euch Zeit füreinander. Das Kind nähren ist mehr als Nahrung.
  • Lass Dir nicht einreden, stillen dürfe man nur für eine bestimmte Zeit. Lass Dir die Zeit, die Ihr braucht.
  • Lass Dein Kind Kind sein.
  • Gib Deinem Kind die Möglichkeit, sich selbst kennen zu lernen, sich auszuprobieren und sich nach seinem Tempo zu entwickeln.
  • Versuche, auf Dein Herz zu hören und lass Dich nicht von anderen von Deinem Weg abbringen.
  • Gib Deinem Kind Zeit. Und Dir.

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  • Lass Dein Kind mit den Händen das Gras fühlen und mit den Füßen im Matsch strampeln.
  • Puste mit Deinem Kind gemeinsam Pusteblumen.
  • Lass Dein Kind auf Bäume klettern.
  • Geht gemeinsam barfuß über das Gras.
  • Begib Dich ab und zu auf die Höhe Deines Kindes und sieh die Welt aus seinen Augen.
  • Probiere aus, wie sinnlich es ist, eine Mahlzeit mit den Fingern einzunehmen.
  • Bastelt Gänseblümchenketten.
  • Lach mit Deinem Kind.
  • Lies Deinem Kind vor.
  • Hör Deinem Kind zu.

Gänesblümchenkrone

  • Lass Dein Kind mit einem Problem nicht allein.
  • Lass Dein Kind bei Dir schlafen, wenn es das braucht.
  • Lass es auch fünf Kuscheltiere mit ins Bett bringen, wenn sie ihm gerade wichtig sind.
  • Lass Dein Kind auf Deinen großen Füßen laufen.
  • Tanze mit Deinem Kind.
  • Wenn Du keine Kraft hast oder einen schlechten Tag, dann sag es Deinem Kind einfach.
  • Macht zusammen Musik.
  • Ermögliche Deinem Kind, an das Magische zu glauben, so lange es das tut. Lass es an Wunder glauben.
  • Lass Dir die Welt von Deinem Kind erklären.
  • Lass Dein Kind träumen.

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  • Sei ehrlich zu Deinem Kind.
  • Verabschiede Dich immer, bevor Du gehst.
  • Sag „Bitte“ und „Danke“ zu Deinem Kind.
  • Lasst zusammen Seifenblasen fliegen und fangt sie ein.
  • Zeige Deinem Kind, dass man zu anderen Menschen freundlich ist.
  • Geh zur Teeparty mit allen Puppen und Teddybären.
  • Bereitet zusammen das Essen zu.
  • Sing mit Deinem Kind.
  • Lach über die Witze Deines Kindes.
  • Verzeih Deinem Kind, wenn es etwas angestellt hat.

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  • Entschuldige Dich bei ihm, wenn Du etwas angestellt hast.
  • Vergib Dir selbst, wenn Du nicht perfekt bist. Niemand ist das.
  • Erkläre Deinem Kind, dass Menschen nicht perfekt sein müssen. Auch Ihr beide nicht.
  • Nimm Dein Kind in den Arm und gebe ihm einen Kuss. Einfach so.
  • Wenn Dein Kind in den Kindergarten kommt: Hör auf Dein Bauchgefühl und das Deines Kindes.
  • Macht zusammen Stockbrot am Lagerfeuer.
  • Erzähle aus Deiner Kindheit.
  • Sag Deinem Kind, dass es heute ein schöner Tag mit ihm war.
  • Spiel mit Deinem Kind.
  • Lebe Deinem Kind vor, was Du wünschst, das es lernen soll.

Umfüllspiele

Auf einen Punkt gebracht: Liebe Dein Kind.

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Mein Vortrag auf der re:publica 2014: Der Online-Elternclan: Zur gesellschaftlichen Bedeutung von Elternblogs

Heute habe ich auf der Re:publica über den Online-Elternclan und seine gesellschaftliche Bedeutung gesprochen. Geschrieben habe ich ja bereits an anderer Stelle auch darüber. Kurz zusammengefasst geht es hierum:

Medial begeisterte Eltern haben es schwer: Mit Smartphone in der Hand wird ihnen Fürsorgelosigkeit und Ignoranz des Kindes vorgeworfen. Andererseits werden ins Netz gestellte Fotos durch Katzenbilder ersetzt oder es wird stolzen Eltern vorgeworfen, inkompetent mit den Persönlichkeitsrechten des Kindes umzugehen. Elternblogs sind zwar in Mengen vorhanden, werden jedoch als redundant betrachtet.

Doch gerade diese Netzgemeinschaft hat eine besondere gesellschaftliche Bedeutung.: Betrachtet man die Menschheitsgeschichte, wird klar, dass Menschen stets in Gruppen zusammen lebten, die zur gegenseitigen Unterstützung dienten. In der modernen Gesellschaft mit ihrer Mobilität und Vereinzelung ist das Clanleben kaum noch möglich. Viele Familien sind zu einer Mobilität gezwungen, die das Beisammensein mit der Herkunftsfamilie nicht mehr ermöglicht. Online-Clans fangen die Unterstützung durch die fehlende Familiengruppe auf: Rat bei Krankheiten wird schnell über Twitter eingeholt, Kindermodetrends über Facebookgruppen geteilt, Kinderzimmertipps bei Pinterest illustriert. Der Onlineclan ersetzt die Familie und ist jederzeit erreichbar.

Auf dieser Basis stellt sich eine bedeutende Frage: Wenn wir Erziehungstipps und Hilfen über das Netz verbreiten, welchen Platz nehmen Socialmediakanäle ein, die Inhalte heraus filtern? Durch das Löschen von Still- und Geburtsbildern wird  dann nicht nur in die Persönlichkeitsrechte eingegriffen, sondern auch in die Kultur.

In Zeiten, in denen Familien nicht mehr in Clans zusammen leben, wo Stillen nicht mehr zum Alltag gehört und natürliche Geburt kaum erlebt wird, nehmen Socialmediakanäle eine bedeutende Rolle zum Transport von Kulturformen ein. Während früher Sheela-na-Gigs die natürliche Geburt an Bauwerken in der Öffentlichkeit demonstrierten, werden heute Fotos aus Netzwerken entfernt und tabuisiert. Dieser kulturelle Eingriff kann zu starken Veränderungen führen in Hinblick auf das Familienleben und die Kultur, wie derzeit u.a. der Hebammenprotest in Bezug auf die Geburtskultur zeigt.

Den gesamten Vortrag könnt ihr Euch nun hier ansehen:

 

Trotzen? Gibt es nicht.

Trotzen

Laut Duden bedeutet Trotz „hartnäckiger [eigensinniger] Widerstand gegen eine Autorität aus dem Gefühl heraus, im Recht zu sein“. Doch ist es das wirklich, was sich in den Reaktionen der Kinder zeigt?

Das Kind zeigt in seiner Äußerung seine Vorstellung, seinen Willen oder Wunsch. Manchmal auch eine starke Gefühlsreaktion auf ein Verbot oder ein Verhalten einer anderen Person, das das Kind einschränkt. Es tut das nicht in erster Linie als Widerstand gegen eine Autorität (sofern man die Beziehung zwischen Kind und Eltern überhaupt mit diesem Machtgefälle bezeichnen möchte). Es lehnt sich nicht in erster Linie gegen einen anderen Menschen auf, sondern zeigt seine eigenen Vorstellungen, die sich eben von denen eines anderen Menschen unterscheiden. Der Widerstand ist die Konsequenz dessen, dass das Kind selbst auf einen Widerstand stößt und darauf auf kindliche Weise reagiert. – Denn Kleinkinder sind Kinder. Ihr Gehirn funktioniert noch anders als unseres. Sie wägen nicht lange ab, sie können ihre Gefühle noch nicht so gut regulieren wie wir Erwachsene.

Gerade kleine Kinder, die sich noch nicht so gut in die Gedankenwelt des Gegenüber hineinversetzen können, sind manchmal selbst davon überrascht, dass die erwachsene Person gar nicht die gleichen Gedanken oder Ziele hat wie das Kind selbst. „Warum nur will Mama/Papa nicht auch, dass ich dieses Spielzeug jetzt bekomme? Ich verstehe die Welt nicht mehr!“

Nein, Kinder wollen sich nicht gegen Erwachsene auflehnen aus Respektlosigkeit oder einfach nur der Sache wegen. Sie lehnen sich auf, weil sie eigene Ideen von ihrem Leben haben. Sie wollen nicht mehr die Jacke von Mama oder Papa zu gemacht bekommen, sondern wollen es selbst probieren. Sie wollen wirksam sein, die Welt erkunden. Sie wollen lernen – durch das Be-greifen der Welt. Und manchmal überrollen sie dabei ihre Gefühle, denn auch die Regulation ist noch in Entwicklung. Manchmal ist das, was gerade gespürt wird, so groß, die Wut so riesig, dass sie hinausgeschrien oder -getrampelt wird. Manchmal ist die Wut darüber, dass andere bestimmen und man selbst so wenig tun darf, einfach riesig.

Warum Kinder sich so verhalten, wie sie sich verhalten

So wie wir Erwachsenen Gründe für unser Tun haben, haben es auch Kinder. Oftmals können oder wollen wir uns nur nicht mehr ausreichend in sie hinein versetzen oder denken zu sehr aus unserer erwachsenen Sicht heraus, als dass wir Kinder noch verstehen könnten. Denn: Auch wenn uns das Verhalten unseres Kindes in einer solchen Konfliktsituation nicht gefällt, hat es einen Sinn.

Kinder zeigen in solchen Situationen wichtige Aspekte ihrer Entwicklung: Sie befinden sich in einer Entwicklungsphase, in der sie natürlicherweise weiter von den Eltern Abstand nehmen und eigene Wege gehen, selbständiger werden (müssen). Vielleicht bekommen sie sogar gerade ein kleines Geschwisterkind und daher stellt sich diese Herausforderung besonders. Dafür benötigen sie bestimmte Fähigkeiten: Sie müssen ihre Jacken selber schließen können, ihre Schnürsenkel selber binden lernen, erfahren, wie man mit einer Schere oder einem Schnitzmesser richtig umgeht. Sie müssen lernen, eigene Entscheidungen zu treffen. Und das fordern sie tagtäglich ein. Sie rufen uns gerade zu: „Lass es mich selbst probieren! Ich muss das lernen!“

Ihr Gehirn lässt noch nicht zu, dass alle Entscheidungen wohl überlegt stattfinden: Dazu fehlen ihnen einerseits die Erfahrungen und Vergleichssituationen (die sie aber mit der Zeit immer mehr ausbauen und davon lernen) und andererseits tatsächlich auch die passenden Abläufe im Gehirn: In der Wutsituation regiert der Gefühlsbereich. Durch Entwicklung und unsere Begleitung lernen Kinder im Laufe der Zeit, ihren Gefühlen einen passenden Ausruck zu geben und sie „gesellschaftsfähig“ auszudrücken.

Gleichzeitig sind sie eben doch auch kleine Kinder und auf Zuwendung angewiesen. Manchmal sind jene Situationen, die wir als „Trotz“ bezeichnen Situationen, in denen sie Hilfe einfordern in Dingen, von denen wir glauben oder wissen, dass sie sie schon können. Dann drücken sie aus: „Hey, ich bin hier und ich bin zwar schon in vielen Dingen selbständig, aber verlier mich nicht aus den Augen und wende Dich mir weiterhin viel zu! Ich bin schon groß, aber ich bin auch noch klein!“ Unsere Kinder bewegen sich jeden Tag viele Jahre auf einem Kreis von Nähe und Erkundung. Manchmal kommen sie gerade von einem Abenteuer zurück und brauchen die Nähe.

Das, was so oft als „Trotz“ bezeichnet wird, ist eine ganz wichtige und bedeutende Aufgabe für unsere Kinder. Ein Meilenstein der Entwicklung – auch wenn es manchmal für uns anstrengend und kräfteraubend ist.

Was also soll man mit Kindern in dieser Entwicklungsphase tun?

Im Alltag bedeutet dies vor allem eins: Ruhe bewahren. Wenn das Kind seine Eigenständigkeit zeigen möchte oder auch gerade das Gegenteil davon, treten wir einen Schritt zurück und schimpfen nicht gleich oder sind verärgert, sondern sehen hin und sagen zu uns: „Aha, ich nehme das jetzt einfach so hin. Was will mein Kind eigentlich?“ Und allzu oft sehen wir es schon: Das Kind will etwas selber machen oder selber entscheiden. Es möchte ein besonderes Geschenk bekommen, das die Geschwister nicht haben oder die größte Portion Mittagessen (auch wenn es das nicht aufessen wird). Ruhe ist die wichtigste Eigenschaft in dieser Zeit. Hinreich ist es deswegen auch, wenn man von Anfang an für wichtige Dinge mehr Zeit einplant: Anziehen kann lange dauern, wenn ein Kleinkind sich selbst anziehen möchte oder selber die Kleider zusammen stellt. Kompromissbereitschaft ist ebenso wichtig. Ja, dann zieht das Kind eben heute mal verschiedene Socken an oder hat das T-Shirt verkehrt herum an. Sind wir ehrlich zu uns selbst: Wen kümmert das schon? Und wenn es doch Konsequenzen hat, dann ist es wichtig, dass Eltern ihren Kindern auch Dinge zutrauen mit dem Wissen, dass das Kind daraus etwas lernen wird. Das Kind wird lernen, dass es nicht zu viel rohen Teig essen darf, wenn ihm davon übel wird oder dass es vielleicht doch keine schlaue Idee ist, das Lieblingsshirt ohne Jacke an einem kalten Tag zu tragen. Wir müssen unseren Kindern zugestehen, Fehler zu machen und daraus zu lernen. Nur so können sich Kinder weiter entwickeln. Natürlich hat das einen Rahmen, aber gewisse eigene Entscheidungen, die wir nicht unbedingt gutheißen, sollten wir auch unseren Kleinkindern schon ermöglichen. Und wenn es schief läuft, dann sind wir da. Wir nehmen sie in den Arm, wir lieben sie. So, wie sie uns auch weiter lieben, wenn wir ihnen Dinge verbieten oder vorschreiben. Oder – wie meine Tochter es mit drei Jahren nach einem solchen Anfall des Eigensinns auf die Äußerung, dass dieses Verhalten nun aber ziemlich unangenehm war, sagte: „Mir war das auch unangenehm, Papa. Mir auch.“ Und damit meinte sie nicht den Umstand, dass sie sich auf den Boden warf und mit den Beinen strampelte, sondern dass das überhaupt notwendig war.

Die Online-Eltern – warum es nicht schlimm ist, einem Onlineclan anzugehören

 

Erst kürzlich kursierte u.a. auf Facebook wieder ein Artikel darüber, wie viel heutige Eltern am Smartphone hängen würden und welch schlimme Auswirkungen das auf die kindliche Entwicklung haben würde. In dem Artikel „Eltern ständig am Handy – Kinder werden depressiv“ wird betont, dass das Smartphone zu einem Konkurrent der Kinder geworden ist:

Denn für die Kleinen ist die Konkurrenz durch das Smartphone der absolute Horror. «Sie können dadurch sogar depressiv werden», warnt Grieder.

Neu ist diese These nicht, denn auch schon 2011 wird vor den „Unerreichbaren Müttern“ gewarnt. Und auch sonst hört oder liest man es oft: Eltern sind zu viel am PC oder Telefon und damit bei Twitter oder sonstwo. Dass Eltern heute viel  Socialmediakanäle nutzen, ist klar. Die Fragen dazu lauten aber eigentlich: Warum machen sie das? Hilft es ihnen vielleicht gerade in ihrem Elternsein? Brauchen Kinder andauernde Aufmerksamkeit und ist das so vorgesehen?

Was Eltern brauchen sind andere Eltern

Beginnen wir also ganz am Anfang: Wir haben eine Mutter, die gerade zum ersten Mal Mutter geworden ist. Sie wohnt in einer schönen Stadt. Es ist nicht ihre Geburtsstadt, denn dort musste sie wegen ihres Jobs wegziehen. Ihre Eltern wohnen noch in der Geburtsstadt, ihre Geschwister sind – durch andere Jobs – in anderen Städten gelandet. Und selbst in dieser Stadt, in der sie nun wohnt, ist sie schon mehrfach umgezogen. Die Nachbarn kennt sie vom gelegentlichen Paketeabholen. Nun also ist sie Mutter. Sie hat zwar eine Hebamme und geht auch ab und zu zu einem Babykurs, aber dazwischen, da googelt sie nach Begriffen wie „Muttermilchstuhl“ oder „rote Pickel Hals Baby“. Sie ist eine von vielen, vielen Müttern.

Was Eltern ganz besonders brauchen in der Elternschaft sind eigentlich andere Eltern. Sie brauchen Austausch und Informationen. Sie müssen sehen, wie andere mit Babys umgehen und wie ein Baby gestillt wird, damit das auch beim eigenen klappt. Eltern brauchen andere Eltern. Würden wir mit anderen Familien eng zusammen leben (und zwar nicht durch dicke Mauern getrennt), würden wir sehen und hören, dass auch andere Babys (und Kinder) nicht durchschlafen. Wir würden sehen, was gemacht wird, wenn ein Baby Bauchweh hat und – das Beste – wir würden uns gegenseitig unterstützen und abwechseln. Dass wir vereinzelt leben in abgetrennten Wohnungen ist nämlich relativ neu in der Geschichte der Menschheit. Wir sind es nicht gewohnt, allein zu sein. Und wir sind es besonders nicht mit kleinen Kindern. Denn gerade dann brauchen wir andere. Wir brauchen Hilfe und Unterstützung.

Das Artgerecht-Projekt hat es sich zur Aufgabe gemacht, uns an eben dies zu erinnern: „Allein mit Kindern sein – das ist weder für Erwachsene noch für Kinder artgerecht“. Bei Artgerecht-Treffen können Eltern Kontakte knüpfen, sich verbinden, einen Clan gründen. Das ist es, was wir eigentlich brauchen. Aber im Alltag ist das manchmal nicht so möglich. Vielleicht gibt es in der Nähe keine Artgerecht-Treffen oder es stehen eben doch noch viele andere Dinge auf dem Programm. Ganz allein sein, das können wir aber auch nicht. Wir brauchen den Austausch. Und natürlich liegt es nahe, dann die Kanäle zu nutzen, die man hat. So wird auf Twitter mitgeteilt, dass das Baby nicht schläft und man am Rande des Nervenzusammenbruchs ist. Man zeigt auf Instagramm Fotos vom Sprössling und tauscht sich in Gruppen auf Facebook darüber aus, welche Windeln man benutzen sollte oder was man von Durchschlaftipps hält. Eltern schaffen sich so eine Art medialen Clan. Sie sind in einer Gemeinschaft, die den Rücken stärkt, Hilfe bietet, tröstet, lobt, bestärkt. Sie hören von anderen Eltern in ganz Deutschland oder gar der ganzen Welt, dass Kinder überall nicht durchschlafen, lange gestillt werden und bei Mama und Papa mit im Bett schlafen wollen.

Natürlich ersetzt das Internet keine Freundschaften und auch nicht die Müttergruppe, mit der man nachmittags gemeinsam Kaffee trinkt. Aber es erweitert diese Möglichkeiten. Auch außerhalb eines Treffens oder eines Kurses wie FABEL, der Eltern in der Erziehungskompetenz stärkt und ihnen Informationen an die Hand gibt für den Alltag, haben Eltern die Möglichkeit zum Austausch. Und zwar rund um die Uhr. Wenn das Baby nachts um zwei eine Spielstunde veranstalten will, findet man auf Twitter ganz sicher Eltern, die aus irgendeinem Grund auch wach sind. Man ist nicht allein. Nie. Genau, wie es eigentlich für uns vorgesehen ist, denn – um es noch einmal zu wiederholen – wir sind soziale Wesen und ziehen Kinder eigentlich in Gemeinschaft auf.

Natürlich bedeutet das nicht, dass wir uns hinsetzen sollen und permanent in Anwesenheit der Kinder auf das Handy starren und tippen und auf Antworten warten sollen. Es ist wohl auch eher die Minderheit, die so vorgehen mag. Gut ist es natürlich, sowieso vorhandene Freizeiten für den Austausch im Netz zu wählen, etwa während des Nachmittags- oder Nachtschlafes. Aber natürlich darf man auch mal zwischendurch eine Nachricht versenden, etwas lesen oder telefonieren. Kompetenter Umgang ist gefragt. Und auch für die Kinder ist es gut, wenn Eltern den Ärger und Frust einmal nicht hinunter schlucken müssen, sondern anderen davon berichten können. Und natürlich ist es schön, auch mal von den Sonnenseiten des Elterndaseins vorzuschwärmen.

Eltern müssen nicht immer aufmerksam sein

Wie sollen Eltern denn nun eigentlich sein? Widmen sie ihren Kindern viel Aufmerksamkeit, werden sie gleich als Helikoptereltern beschimpft und durch die Presse gezogen. Machen sie es nicht, sind sie unempathische Soziopathen mit Smartphone. Es ist nicht einfach, Eltern zu sein. Man scheint sich permanent auf einem schmalen Grad zu bewegen. Doch schauen wir auch hier einmal, was die Natur vorgesehen hat: Sind Eltern wirklich diejenigen, die immer in der Nähe der Kinder saßen und jederzeit ansprechbar und mitteilsam waren? Das waren sie wohl kaum. Natürlicherweise gehen Eltern eben auch ihren Beschäftigungen nach. Sie arbeiten (idealerweise auf eine Art, die das Zusammensein mit den Kindern ermöglicht), sie kochen, waschen, putzen, unterhalten sich mit anderen. Sie sind eben nicht nur und ausschließlich auf die Kinder fokussiert. Leider hat sich unser Leben sehr gewandelt und wir arbeiten und leben nicht in Gemeinschaft und haben dadurch wenig Vorbilder. Und sicher ist es wichtig, in vielen Dingen auch einen Weg zurück zu finden und uns auf das Ursprüngliche wieder zu besinnen und für unser Leben zurück zu erobern. Doch unsere Fortschritte lassen sich nur schwer oder gar nicht rückgängig machen. Deswegen ist es gut, diese Neuerungen auf sinnvolle Weise zu nutzen und uns damit das nachzubilden, was wir brauchen. Kann man mitten in der Nacht keine Clanmitglieder persönlich fragen, was mit einem bei 40°C fiebernden Kind macht, tut man das auf Twitter oder Facebook. Das bedeutet nicht, dass man unaufmerksam ist, als Eltern versagt, weil man es nicht weiß. Es bedeutet nur, dass man sich Hilfe holt, wie es normal für uns ist.

Wie würden Eltern sein, die sich nur auf das Kind konzentrieren? Die allein mit Kind in der Wohnung sitzen und von morgens bis abends Kaufmannsladen und Mutter-Vater-Kind spielen würden? Wahrscheinlich ziemlich unglücklich. Und ja, man hat schließlich auch andere Dinge noch zu tun. Man muss den Haushalt, das Alltägliche erledigen und hat dabei auch nicht immer die Kinder im Auge.

Das ist auch gut. Denn Kinder brauchen auch Freiraum, um sich zu entwickeln. Sie müssen Möglichkeiten des Ausprobierens haben außerhalb des aufmerksamen elterlichen Blicks. Sie müssen auch Falsches tun und erfahren dürfen – unter dem permanenten Blick der Eltern ist das nicht möglich. Eltern müssen nicht 100 Prozent jederzeit bei ihren Kindern sein. Der 1886 geborene britische Kinderpsychoanalytiker Donald W. Winnicott entdeckte bereits, dass “zu gute Mütter” (too good mothers) keinesfalls das sind, was Kinder benötigen. Während das Baby am Anfang des Lebens mit seiner Mutter noch ganz verschmolzen und symbiotisch ist und Mütter bestenfalls prompt auf seine Bedürfnisse reagieren, brauchen Babys für ihre Entwicklung jedoch zunehmend auch ein gewisses Maß an Unzufriedenheit für ihre Entwicklung. Winnicott entdeckte, dass Mütter zunehmend weniger und weniger perfekt auf ihr Kind eingehen – und dies parallel zu den wachsenden Fähigkeiten des Kindes, damit umgehen zu können. Das bedeutet: Anfangs reagieren Mütter bestenfalls prompt und richtig auf das Baby. Mit der Zeit reagieren sie aber weniger schnell und lassen das Baby auch mal ein wenig quengeln, wenn es nicht an das Spielzeug heran kommt. Und dies hat eine ganz wichtige Bedeutung für die Entwicklung des Kindes: Es lernt nämlich dadurch, dass Bedürfnisse nicht sofort erfüllt werden müssen, sondern auch etwas aufgeschoben werden können. Hierdurch kann es auch lernen, sich selbst zu regulieren, weil es eigene Beruhigungsstrategien findet. Das Baby erfährt, wie man mit negativen Gefühlen umgehen kann. Auch kann es hierdurch zur weiteren Entwicklung angeregt werden: Wer sofort alles gereicht bekommt, wenn er etwas quengelt ist nicht darauf angewiesen, sich selbst zu bewegen. Ein gewisses Maß an Unzufriedenheit ist also durchaus als Motor der Entwicklung zu betrachten. Umgekehrt wird einem Baby, dem jeder Wunsch schon von vornherein “von den Augen abgelesen wird”, um die Fähigkeit gebracht, sich selbst zu verstehen. Es lernt keine Selbstwirksamkeit, weil es nicht erfahren kann, dass es sich auch selbst helfen kann und darf. Winnicott findet daher, dass die “good enough mother” der “too good mother” gegenüber vorzuziehen ist. Wir müssen also nicht Supereltern sein, sondern einfach nur hinreichend gut!

Kinder brauchen andere Kinder

Natürlich bedeutet all dies nicht, dass Eltern nur noch Onlineaustausch benötigen und es kein Problem ist, wenn sie ständig auf das Handy schielen. Selbstverständlich kommt es auf das richtige Maß an. Aber wir brauchen auch kein schlechtes Gewissen zu haben, wenn wir unseren Alltag online teilen. Wir müssen uns nicht ständig nur und ausschließlich auf die Familie konzentrieren. Wir dürfen uns austauschen, Rat und Unterstützung holen. Es ist normal. Und es hilft in so vielen Momenten.

Was wir dennoch nicht vergessen dürfen: Auch Kinder brauchen Gemeinschaft und Austausch. Sie brauchen konkrete, wirklich anwesende Personen zum Spiel, zur Auseinandersetzung, zum Lernen. Sie brauchen einen real vorhandenen Clan und Erfahrungen außerhalb der eigenen vier Wände. Und deswegen ist es wichtig, dass wir uns nicht nur online austauschen und einigeln, auch wenn wir dort jederzeit Antworten und Gemeinschaft finden können. Was für uns vielleicht eine gute Alternative ist bei mangelnden realen Kontakten, ist es für die Kinder nicht. Für sie müssen wir auch außerhalb von Twitter und Facebook Gruppen finden und Gleichgesinnte. Für sie und mit ihnen besuchen wir Babykurse und Krabbelgruppen und suchen auf Spielplätzen und in Turngruppen Menschen, die zu uns passen und mit denen wir auch im realen Leben ein Netzwerk aufbauen können. Aber wenn wir das haben, wenn wir gut eingebunden sind, dann spricht nichts dagegen, dass wir auch mal das Handy zücken und dort Gemeinschaft suchen und haben.

Natur, Natur und einfach spielen lassen – Wie Kinder heute wachsen sollten

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Schon lange liegt das neue Buch von Herbert Renz-Polster und Gerald Hüther auf meinem Schreibtisch. Ich bin lange nicht dazu gekommen, es gründlich zu lesen, denn ich habe meine Tochter im Kindergarten eingewöhnt. Nach wirklich langer Suche (und nachdem wir sie aus einem schlechten Kindergarten hinaus genommen haben), haben wir einen wunderbaren Platz für sie gefunden. Einen Kindergarten, in dem täglich hinaus gegangen wird bei jedem Wetter, bei dem einmal in der Woche ein Waldbesuch ansteht und einmal wöchentlich der Bauernhof aufgesucht wird. Dort wird mit Pflanzen Stoff gefärbt, Kinder klettern auf Bäume und bauen sich kleine Hütten im Wald. Noch nie zuvor kam meine Tochter mit so vielen Schürfwunden oder blauen Flecken nach Hause. Aber sie ist auch sehr glücklich dort. Und das mitten in Berlin.

In meinem Umfeld höre ich oft, dass Familien aufs Land oder zumindest an den Stadtrand ziehen wollen, weil die Kinder in der Stadt keine Natur erleben könnten und die Kindheit hier so eingeschränkt sei. Und nun kommen wir zum Buch von Renz-Polster/Hüther. Stimmt nicht, sagen die nämlich. Es kommt nämlich nicht nur auf den Raum an, sondern eben auch auf unsere Einstellung, unsere innere Haltung zu dem, was uns wichtig ist und zu dem, was wir denken, dass unsere Kinder „lernen“ müssen. Im Frühförderwahn denken wir zu oft, dass Lernspiele, Apps und Wissensbücher den Kindern alles Wichtige vermitteln. Doch Kinder lernen nicht auf diese Weise. Sie lernen durch das Tun. Renz-Polster und Hüther beschreiben das so wunderbar mit dem folgenden Bild:

Bäume brauchen Wurzeln, das weiß jedes Kind. Und ein kleiner Baum kann umso besser wachsen und gedeihen, je kräftiger seine Wurzeln sind, mit denen er sich im Erdreich verankert und seine Nährstoffe aufnimmt. Nur wenn es einem kleinen Baum gelingt, tief reichende und weitverzweigte Wurzeln auszubilden, wird er später auch Wind und Wetter, ja sogar Stürme aushalten.

Auch Kinder brauchen feste Wurzeln. Offenbar wissen das nicht alle Eltern, auch nicht alle Erzieher oder gar alle Bildungspolitiker. Sie halten das, was man an jedem Baum sehen, messen und zählen kann, also die Äste oder die Blätter oder auch nur die Früchte, für wichtiger als die verborgenen Wurzeln.

Kinder können im freien Spiel in der Natur Grundkompetenzen erwerben, die die Basis für alles andere sind. Diese Grundkompetenzen wie Selbstwirksamkeit, Hingabe, Mitgefühl, Geduld und Verbundenheit sind nichts, was man ihnen in einem Lehrplan beibringen könnte. Sie lernen durch sich und dem Zusammensein mit anderen. Sie erproben, machen Fehler, korrigieren, lernen. Und sie lernen dort auch ein Gut kennen, das wir in unserer hektischen Zeit kaum noch vermitteln können: Langsamkeit.

Renz-Polster und Hüther gehen sehr anschaulich vor und zeigen sanft auf, was es ist, was Kinder wirklich benötigen. Dabei werden diese Bedürfnisse auch noch durch wissenschaftiche Fakten aus der Hirnforschung untermalt. Auf diese Weise entsteht ein neues Bild vom Kind. Ein realistisches Bild, dem wir uns wieder annähern sollten. Sie nehmen Eltern die Angst, Zeitfenster der Entwicklung zu verpassen und Kinder möglichst früh möglichst optimal zu fördern. Und sie machen auch klar: Ja, Kinder können sich im freien Spiel verletzen und es ist auch immer ein wenig gefährlich in der Natur. Aber nur ein wenig. Und Kinder lernen durch die Auseinandersetzung mit der Natur auch einen besseren Umgang mit ihr. Dabei wird nicht aus dem Blick gelassen, dass heute nunmal heute ist und es auch Fernseher und Computer gibt. Wie sie selber schreiben ist „Medienbashing“ zu einfach. Computer und Co. sind nicht per se schlecht. – Auch das lässt Eltern wieder aufatmen, denn hört man heute zur Genüge, wie schädlich der Einfluss der Medien sein soll. Auf die Dosis und die Art kommt es an.

Es geht also gar nicht so sehr nur um die Natur und darum, dass Kinder mit Stöckchen und Eicheln spielen sollten. Es geht darum, dass Kinder Kinder sein sollen. Dass sie im freien Spiel in der Natur Dinge erlernen, die wir ihnen nicht beibringen können, die sie aber benötigen. Um Mitgefühl und Einfühlungsvermögen zu entwickeln, gibt es keine Apps oder Computerspiele. Das ist etwas, was man nur im Zusammensein mit anderen lernen kann und in der Auseinandersetzung mit dem Leben. Gerade diese beiden Eigenschaften sind es jedoch, die nach und nach verloren gehen in unserer Welt, die so sehr auf den Einzelnen fokussiert. In der wir uns mit Ellenbogen nach vorn bewegen wollen – oder zumindest unsere Kinder dies tun sollen. Wir wollen ja schließlich nur ihr Bestes.

Doch wenn wir dies wirklich wollen, müssen wir unsere Einstellung überdenken. Wir als Eltern, aber auch alle Erzieher und Lehrer. Wir müssen hinterfragen, wohin wir mit unseren Lehrplänen eigentlich wollen und wie die Zukunft gestaltet werden soll. Es ist ein Umdenken notwenig in unserer Gesellschaft, wenn wir uns eine schöne und gesunde Zukunft für unsere Kinder wünschen. Ein Umdenken, das viele Ebenen anspricht und viele Menschen. Das Buch von Herbert Renz-Polster und Gerald Hüther kann ein erster Anstoß sein für Eltern. Und nach der Lektüre fühlt man sich geradezu verpflichtet, mehr in die Wege zu leiten.

Daher: Wer es noch nicht gelesen haben sollte, sollte es sich vom Nikolaus in den Schuh stecken lassen. Es gibt viele Dinge, über die man an langen Winterabenden nachdenken kann.

 

Mädchen sein, Frau sein – mit einem guten Körperbild

Frau_werden

In den letzten Monaten bin ich immer wieder auf Artikel gestoßen zum Thema Geschlechtsidentität entwickeln, Entwicklung von Mädchen, Frau werden, die mir gezeigt haben, dass es momentan ein wirklich wichtiges Thema ist. Auch unter den Mütter-Bloggerinnen ist es längst ein Thema. @dasnuf schrieb im September über „Neuigkeiten aus dem frisch duftenden Freudental“ und der Feststellung, dass aufwachsende Mädchen und Frauen heute durch Pflegeprodukte in den Glauben versetzt werden, dass der weibliche Genitalbereich grundsätzlich stinken würde und man mit diversen „wohlriechenden“ Pflegeprodukten Abhilfe schaffen müsste. @berlinmittemom Anna Luz de León beschäftigt sich derzeit in einer Artikelreihe damit, dass Studien zum Ergebnis kamen, dass „in Deutschland 64 Prozent aller Mädchen im Teenageralter aufhören, die Dinge zu tun, die sie lieben, weil sie sich mit ihrem Äußeren unwohl fühlen“. Und dann gibt es auch noch Werbespots, die zwar erst einmal offensiv mit Weiblichkeit umgehen und Mädchen eine Art des freudvollen Umgangs mit der Menstruation beizubringen scheinen, dann aber doch nur die „heimliche“ Zustellung eines Menstruationssets bewerben: „It’s like christmas for your vagina!“ Zu solchen Anbietern zählt auch „Madame Ladybug„, wo man sich – je nach Bedarf preislich gestaffelt – eines von drei Menstruationspaketen monatlich zusenden lassen kann. Die beiden teureren Pakete enthalten auch gleich das Schmerzmittel „Midol“ neben Tee und Snacks. Welches Bild erhalten Mädchen also vom Frausein? Und was sollten wir anders tun?

Es fängt – wie immer – am Anfang an. Ich möchte hier in diesem Rahmen nicht auf die Sex-Gender-Debatte und auf rosa Mädchensachen, Barbie und Co. eingehen. Hier soll es nur um das Körpergefühl gehen, das wir unseren Kindern vermitteln. Und das vermitteln wir von Anfang an. Es beginnt damit, wie wir Geschlechtsorgane bezeichnen, bzw. ob wir ihnen überhaupt einen Namen geben. Denn oft genug höre ich auch heute noch die Bezeichnung „untenrum“, wenn sich irgendwas auf die primären Geschlechtsorgane bezieht. Doch natürlich brauchen Körpergliedmaßen einen Namen, denn wie sollen sie namenlos für ein Kind real existieren? Was keinen Namen hat, darüber spricht man nicht. Doch gerade Kinder müssen über ihr Geschlecht und ihre Geschlechtsorgane sprechen.

Schon Babys brauchen den Raum, um sich mit sich selbst vertraut zu machen – Mädchen und Jungs gleichermaßen. Im Nacktsein dürfen sie ihren ganzen Körper erfahren. Für die Entwicklung des Körpergefühls ist es wichtig, dass der gesamte Körper selbst erkundet werden darf. Heute, wo viele Babys in unserer Kultur die meiste Zeit des Tages in einer verschlossenen Windel verbringen, sind gerade auch die Wickelsituationen besonders bedeutsam. Was vermitteln wir einem Kind, wenn wir angeekelt in die volle Windel blicken und mit schnellen, unsanften Bewegungen den Windelinhalt beseitigen? Wenn wir uns entscheiden, mit Windeln zu wickeln und das Kind nicht abzuhalten (windelfrei zu praktizieren), ist dies unsere Entscheidung und nicht die des Kindes. Und so müssen wir auch unsere eigene Konsequenz daraus ziehen. In diesem Fall bedeutet es, dass natürlich nicht das Kind in irgendeiner Weise negativ zu behandeln ist, weil es die Windel voll gemacht hat. Im Gegenteil: Das Windeln wechseln sollte ein Moment der Ruhe sein können, in dem das Baby beteiligt werden kann, in dem man ihm Ruhe lässt. Je nach Alter darf es auch an der Wickelsituation beteiligt werden. Vielleicht kann es einfach schon selbst ein Papiertuch halten oder nach dem ersten Säubern durch Mutter oder Vater kann das Kind selbst noch einmal nachwischen. Sprache ist auch hier wichtig: Das Wickeln ist ein wunderbarer Moment, um miteinander zu reden, in den Austausch zu kommen. Der Wickelnde kann beschreiben, was er tut. Er kann Empfindungen des Babys umschreiben: Der Waschlappen fühlt sich nass an, oder? Je mobiler das Baby wird, desto weniger einfach sind diese Wickelsituationen ruhig zu gestalten, weil das Kind vielleicht lieber krabbeln oder laufen möchte. Doch wenn man dem Kind von Anfang an die Möglichkeit gibt, selbst beteiligt zu sein, ist das Wickeln oftmals einfacher und ganz nebenbei erfährt das Baby Wertschätzung für den Windelbereich.

Und noch etwas anderes ist wichtig, wenn es darum geht, ein gesundes Körperbild von Anfang zu entwickeln: Andere Menschen sehen. Und zwar nicht nur die halbnackten „Schönheiten“ auf den Werbeplakaten. Mit meiner Tochter bin ich schon oft am Kindertag im Hamam gewesen. Dort unter Frauen kann sie sich ein eigenes Bild machen von der Vielfältigkeit des Frauseins. Ich erinnere mich noch an die Situation, als wir einmal dort waren und sie mich fragte: „Mama, warum hat die Frau so verschrumpelte Brüste?“ Es war eine alte Frau und im ersten Moment war mir die Situation unangenehm, denn ich war mir ziemlich sicher, dass die Frau sie gehört hatte. Doch dann sagte ich ihr einfach, dass die Frau eben schon viel älter sei und das normal wäre und fand es auf einmal ganz großartig, dass meine Tochter an diesem Ort so viele verschiedene Frauen sehen konnte: jung und alt, dick und dünn, verschiedenen kulturellen Ursprungs und doch alle gemeinsam an diesem Ort, an dem sie sich der Körperpflege hingeben. Jede auf ihre Art mit ihrem Körper.

Körperlichkeit hat von Anfang an auch mit den Worten zu tun, die wir nutzen. Wie beschreiben wir unser Kind? Necken wir es, indem wir ihm Unzulänglichkeiten vor die Nase halten? Ich erinnere mich noch heute daran, wie unangenehm es mir war, dass mich meine Tante sicher die ersten 10 Lebensjahre immer „Pummelchen“ nannte. Selbst, wenn wir es als Liebkosung meinen, hinterlassen solche Worte Spuren in uns. Deswegen sollten wir den Körper unserer Kinder mit dem Respekt behandeln, den wir uns selbst wünschen. Nicht nur mit Respekt im manuellen Umgang, sondern auch mit sprachlichem Respekt. Kinder sollten nicht als dick, pummelig, steif oder sonstwas bezeichnet werden. Sie sind, wie sie sind. Und sie sind immer aus gutem Grund so, wie sie sind.

Ganz selbstverständlich gehört zum positiven Körpergefühl auch, dass das Kind keine negativen Körpererfahrungen machen muss, d.h. dass es nicht geschlagen oder anderweitig misshandelt oder missbraucht wird. Das ist eigentlich eine Selbstverständlichkeit für viele Eltern, aber leider zeigen Studien immer wieder, wie viele Kinder missbraucht und/oder misshandelt werden, was natürlich schwerwiegende Folgen für die Entwicklung des Körpergefühls hat. Kinder haben Rechte. Und eines davon ist das Recht auf gewaltfreie Erziehung.

Dies alles sind nur die Vorbereitungen, die wir treffen können: Kinder ihren Körper selbst erfahren lassen, ihre Geschlechtsteile benennen, respektvoll mit ihrem Körper umgehen – sowohl verbal als auch im alltäglichen Umgang. Dazu sind wir selbst natürlich wichtige Vorbilder und beeinflussen, wie sie ihren Körper betrachten. Sagen wir, dass wir uns hässlich fühlen, dass wir zu viel wiegen würden oder mäkeln hier und da an unserem Aussehen vor den Kindern herum? Unsere Kinder finden uns schön. Viele, viele Jahre lang. Wenn wir ihnen vorleben, dass wir uns selbst schön finden und zufrieden sind mit uns, dann ist das ein sehr guter Grundstein dafür, dass auch sie sich in ihrer Haut wohl fühlen.

Was Mädchen betrifft, hat auch der Umgang mit der Menstruation großen Vorbildcharakter: Zeigen wir unserer Tochter monatlich, wie schlimm, schmerzhaft, unangenehm, eklig die Menstruation ist? Oder können wir es – wenigstens ein kleines Stück – als Fest der Weiblichkeit feiern? Mein eigener Eintritt in das Frausein war vor 20 Jahren nicht so, wie ich es mir für meine Tochter wünschen würde. Umso mehr habe ich eine Vorstellung davon, wie ich mit ihr diesen Tag begehen möchte: Eine Feier soll es sein zwischen Mutter und Tochter, in der ich sie in einen neuen Lebensabschnitt aufnehme. Ein Fest für uns, an dem wir es uns gut gehen lassen. An dem wir ganz Frau sind. In früheren Zeiten gab es Zeremonien, die extra für diesen Übergang zelebriert wurden. Leider sind uns solche heute verloren gegangen. Einer Tradition zufolge wird der jungen Frau zur ersten Menstruation ein roter Stein geschenkt. Für meine Tochter habe ich den Ring mit rotem Stein schon hier. Er ist noch von meiner Großmutter. Ich hoffe, ich werde ihn einer selbstbewussten jungen Frau an den Finger stecken, die sich in ihrem Körper wohl fühlt und einfach glücklich ist. So, wie sie ist.

Meine große Tochter – Über ein Jahr große Schwester sein

Geschister_Babybauch

Nun ist es bald ein Jahr her, dass mein zweites Kind zur Welt kam. Wieder ist es Herbst. Die Kastanien fallen, die Blätter werden bunt. Ich blicke aus dem Fenster und sehe, wie sich die Bäume lichten. In ein paar Wochen wird mein Blick auf den nackten Asphalt gehen und nicht mehr auf das dichte Grün der Baumwipfel. Obwohl der Rahmen immer wieder gleich ist, hat sich der Inhalt, das bunte Innenleben, verändert seit dem letzten Herbst. Ich habe zwei Kinder, nicht mehr „nur“ eines. Wir sind Eltern von zwei Kindern. Und meine Kinder sind Geschwisterkinder.

Es war ein langes Jahr, gemessen an Ereignissen. Die Geburt eines neuen Familienmitgliedes ist immer etwas Besonderes. Strukturen verändern sich, man muss sich neu finden.Beim ersten Kind ist es die Geburt einer Familie, beim zweiten Kind aber nicht weniger. Auch beim zweiten Kind müssen alle Familienmitglieder neu ihren Platz finden. Es sind nicht mehr beide Hände für ein Kind reserviert. Es muss geteilt werden: Mutter, Vater, Großeltern, Raum, Spielzeug.

Mit 3,5 Jahren ist meine Tochter große Schwester geworden. Als sie ihren Bruder zum ersten Mal sah, nackt nach der Geburt in unserem Bett liegend, zog sie sich aus und drückte sich mit aller Herzlichkeit an ihn. Es war der Beginn einer großen Liebe. Die Wochen danach waren sicher nicht einfach. Sie war nicht mehr das alleinige Kind. Aufmerksamkeit musste geteilt werden. Wir als Eltern mussten lernen zu teilen, sie musste lernen zu warten. Es gab Dinge, die das Zusammenwachsen erleichterten: Geschenke, die der kleine Bruder zur Geburt für die Schwester  mitbrachte, eine Haushaltshilfe für die ersten Wochen, Vater und Großmutter, die Spielzeit mit der Tochter verbrachten und Ausflüge unternahmen. Und trotz dieser Dinge gab es auch den Blick in ihren Augen, der uns sehr wohl sagte, dass sie auch die früheren Zeiten vermisste.

Das Bild einer Familie mit zwei Kindern wird in vielen Farben gemalt, nicht nur in rosa und rot. Es gab Momente, in denen sie im Spiel scherzhaft (?) sagte: „Und dann stecke ich den Bruder in einen Briefumschlag und schicke ihn wieder zurück.“ oder fragte, was denn wäre, wenn der Bruder in den Fluss fallen und ertrinken würde. Gedanken, die schwer sind und trotzdem erlaubt sein müssen. Auch das Negative braucht seinen Raum.

Oft genug gab es Momente, in denen beide Kinder weinten. Wen zuerst trösten oder beide gleichzeitig? Oder sie waren beide krank und ein Kind wurde zum Erbrechen über die Wanne gehalten während das andere mit Durchfall auf der Toilette gestützt wurde – wie viele Hände kann man haben? Oft genug musste die Tochter warten, wenn erst einmal der schreiende Sohn versorgt werden musste.

Und auch wenn es so viele Dinge gibt, die ich hier aufzählen könnte, die anstrengend, kräftezehrend, blöd oder ungewollt waren, gibt es so viele mehr, die ganz wunderbar waren. Besonders die kleinen, heimlichen Momente: Wenn sich Tochter und Sohn unbeobachtet fühlen und man durch den Türspalt sieht, wie die große Schwester den kleinen Bruder sanft streichelt. Wenn man erlebt, wie sie auf dem Spielplatz zu einem viel größeren Jungen sagt „He, pass auf meinen kleinen Bruder auf!“. Wenn man gerade dazu kommt, wenn sie versucht, ihn in ein Tragetuch zu binden oder mit der eigenen Brust zu stillen. Momente des Glücks, wenn zwei Kinder an einem Tisch sitzen, sich anschauen, hampeln und lachen – und man als Erwachsener nie, nie verstehen wird, warum.

Was meine Tochter in diesem Jahr gelernt hat, ist durch nichts anderes im Leben zu ersetzen. Keine Kindergartenerfahrungen können ihr zeigen, wie es ist, die Eltern zu teilen. Rücksicht nehmen Tag und Nacht, aber auch für seine eigenen Bedürfnisse einstehen, sie äußern. Für sich eintreten und dann auch wieder für einen anderen Menschen. Empathie entwickeln und zeigen. Die Große sein und sehen, was man alles schon kann im Vergleich zu einem kleinen Baby. Vorbild sein in so vielen Dingen und einem kleinen Menschen Dinge beibringen. Kuscheln mit einem Geschwisterkind, wenn man traurig ist. Sich gegen die Eltern „verbünden“ und gemeinsam Unsinn machen. Die positiven Eigenschaften des Geschwisterseins sind nicht an zwei Händen abzuzählen.

Mein Sohn ist in diesem einen Jahr groß geworden, doch noch viel mehr ist es meine Tochter.

 

Sonntagssüß – Kinder und Süßigkeiten

Süßigkeiten. Ein Thema, an dem Eltern irgendwann nicht vorbei kommen. Denn wenn das Kind ein bestimmtes Alter erreicht hat, beginnt das Zustecken: Die nette Frau aus der Postfiliale verteilt gerne Gummibärchen, in der Reinigung gibt es Karamellbonbons, beim Bäcker ungefragt ein Schoko-Quarkbrötchen. Eine große Einkaufrunde am Nachmittag wird so schnell zu einer Art Halloween-Umzug, bei dem das Kind mit süßigkeitgefüllten Taschen nach Hause kommt. Weiterlesen

Wie ich durch meine Kinder Gelassenheit lernte

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Vielleicht kennt Ihr diese Tage, an denen man denkt: „Heute läuft alles schief. Ich hätte im Bett bleiben sollen mit den Kindern.“ Und wisst Ihr was? Ja, Ihr hättet im Bett bleiben sollen. Nach 1617 Tagen Elternschaft, davon 318 Tage als zweifache Mutter, kann ich das sagen. Es gibt so Tage, an denen einfach nichts klappt. Dabei hatte man es so schön geplant. Man hat Termine, Verabredungen oder möchte einfach nur pünktlich das Kind in den Kindergarten bringen. Aber es geht nicht. Warum? Weil wir nunmal nicht alleine sind und selber über unser Leben bestimmen. Es gibt da diese kleinen Menschen, die eine ganz eigene Weltsicht haben und eine eigene Vorstellung davon, wie der Tag laufen soll.
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Warum Kinder keine Supermütter brauchen

Ich bin keine Supermutter. Früher, ganz am Anfang der Elternschaft, da dachte ich einmal, dass ich das sein müsste. Da dachte ich, dass ich keine Fehler machen möchte. Dass ich alles ganz anders als meine Eltern machen möchte und vollkommen richtig. Dass mein Kind in einer Idylle aufwachsen soll ohne Probleme, weil ich seine Signale wahrnehme und prompt und immer richtig reagiere. Weiterlesen