Schlagwort: Gemeinschaft

Warum wir nicht selber unsere Krone richten und weitergehen müssen

Immer wieder stoße ich auf den Spruch „Hinfallen, aufstehen, Krone richten, weitergehen“. Er begegnet mir auf Facebook, Instagram, in Läden als Bild mit Rahmen. Und so sehr ich ihn auch verstehe in dem, was er uns sagen will – das Leben geht weiter nach einer Krise – so sehr finde ich ihn auch einfach falsch. Weiterlesen

Mein Vortrag auf der re:publica 2014: Der Online-Elternclan: Zur gesellschaftlichen Bedeutung von Elternblogs

Heute habe ich auf der Re:publica über den Online-Elternclan und seine gesellschaftliche Bedeutung gesprochen. Geschrieben habe ich ja bereits an anderer Stelle auch darüber. Kurz zusammengefasst geht es hierum:

Medial begeisterte Eltern haben es schwer: Mit Smartphone in der Hand wird ihnen Fürsorgelosigkeit und Ignoranz des Kindes vorgeworfen. Andererseits werden ins Netz gestellte Fotos durch Katzenbilder ersetzt oder es wird stolzen Eltern vorgeworfen, inkompetent mit den Persönlichkeitsrechten des Kindes umzugehen. Elternblogs sind zwar in Mengen vorhanden, werden jedoch als redundant betrachtet.

Doch gerade diese Netzgemeinschaft hat eine besondere gesellschaftliche Bedeutung.: Betrachtet man die Menschheitsgeschichte, wird klar, dass Menschen stets in Gruppen zusammen lebten, die zur gegenseitigen Unterstützung dienten. In der modernen Gesellschaft mit ihrer Mobilität und Vereinzelung ist das Clanleben kaum noch möglich. Viele Familien sind zu einer Mobilität gezwungen, die das Beisammensein mit der Herkunftsfamilie nicht mehr ermöglicht. Online-Clans fangen die Unterstützung durch die fehlende Familiengruppe auf: Rat bei Krankheiten wird schnell über Twitter eingeholt, Kindermodetrends über Facebookgruppen geteilt, Kinderzimmertipps bei Pinterest illustriert. Der Onlineclan ersetzt die Familie und ist jederzeit erreichbar.

Auf dieser Basis stellt sich eine bedeutende Frage: Wenn wir Erziehungstipps und Hilfen über das Netz verbreiten, welchen Platz nehmen Socialmediakanäle ein, die Inhalte heraus filtern? Durch das Löschen von Still- und Geburtsbildern wird  dann nicht nur in die Persönlichkeitsrechte eingegriffen, sondern auch in die Kultur.

In Zeiten, in denen Familien nicht mehr in Clans zusammen leben, wo Stillen nicht mehr zum Alltag gehört und natürliche Geburt kaum erlebt wird, nehmen Socialmediakanäle eine bedeutende Rolle zum Transport von Kulturformen ein. Während früher Sheela-na-Gigs die natürliche Geburt an Bauwerken in der Öffentlichkeit demonstrierten, werden heute Fotos aus Netzwerken entfernt und tabuisiert. Dieser kulturelle Eingriff kann zu starken Veränderungen führen in Hinblick auf das Familienleben und die Kultur, wie derzeit u.a. der Hebammenprotest in Bezug auf die Geburtskultur zeigt.

Den gesamten Vortrag könnt ihr Euch nun hier ansehen:

 

Die Online-Eltern – warum es nicht schlimm ist, einem Onlineclan anzugehören

 

Erst kürzlich kursierte u.a. auf Facebook wieder ein Artikel darüber, wie viel heutige Eltern am Smartphone hängen würden und welch schlimme Auswirkungen das auf die kindliche Entwicklung haben würde. In dem Artikel „Eltern ständig am Handy – Kinder werden depressiv“ wird betont, dass das Smartphone zu einem Konkurrent der Kinder geworden ist:

Denn für die Kleinen ist die Konkurrenz durch das Smartphone der absolute Horror. «Sie können dadurch sogar depressiv werden», warnt Grieder.

Neu ist diese These nicht, denn auch schon 2011 wird vor den „Unerreichbaren Müttern“ gewarnt. Und auch sonst hört oder liest man es oft: Eltern sind zu viel am PC oder Telefon und damit bei Twitter oder sonstwo. Dass Eltern heute viel  Socialmediakanäle nutzen, ist klar. Die Fragen dazu lauten aber eigentlich: Warum machen sie das? Hilft es ihnen vielleicht gerade in ihrem Elternsein? Brauchen Kinder andauernde Aufmerksamkeit und ist das so vorgesehen?

Was Eltern brauchen sind andere Eltern

Beginnen wir also ganz am Anfang: Wir haben eine Mutter, die gerade zum ersten Mal Mutter geworden ist. Sie wohnt in einer schönen Stadt. Es ist nicht ihre Geburtsstadt, denn dort musste sie wegen ihres Jobs wegziehen. Ihre Eltern wohnen noch in der Geburtsstadt, ihre Geschwister sind – durch andere Jobs – in anderen Städten gelandet. Und selbst in dieser Stadt, in der sie nun wohnt, ist sie schon mehrfach umgezogen. Die Nachbarn kennt sie vom gelegentlichen Paketeabholen. Nun also ist sie Mutter. Sie hat zwar eine Hebamme und geht auch ab und zu zu einem Babykurs, aber dazwischen, da googelt sie nach Begriffen wie „Muttermilchstuhl“ oder „rote Pickel Hals Baby“. Sie ist eine von vielen, vielen Müttern.

Was Eltern ganz besonders brauchen in der Elternschaft sind eigentlich andere Eltern. Sie brauchen Austausch und Informationen. Sie müssen sehen, wie andere mit Babys umgehen und wie ein Baby gestillt wird, damit das auch beim eigenen klappt. Eltern brauchen andere Eltern. Würden wir mit anderen Familien eng zusammen leben (und zwar nicht durch dicke Mauern getrennt), würden wir sehen und hören, dass auch andere Babys (und Kinder) nicht durchschlafen. Wir würden sehen, was gemacht wird, wenn ein Baby Bauchweh hat und – das Beste – wir würden uns gegenseitig unterstützen und abwechseln. Dass wir vereinzelt leben in abgetrennten Wohnungen ist nämlich relativ neu in der Geschichte der Menschheit. Wir sind es nicht gewohnt, allein zu sein. Und wir sind es besonders nicht mit kleinen Kindern. Denn gerade dann brauchen wir andere. Wir brauchen Hilfe und Unterstützung.

Das Artgerecht-Projekt hat es sich zur Aufgabe gemacht, uns an eben dies zu erinnern: „Allein mit Kindern sein – das ist weder für Erwachsene noch für Kinder artgerecht“. Bei Artgerecht-Treffen können Eltern Kontakte knüpfen, sich verbinden, einen Clan gründen. Das ist es, was wir eigentlich brauchen. Aber im Alltag ist das manchmal nicht so möglich. Vielleicht gibt es in der Nähe keine Artgerecht-Treffen oder es stehen eben doch noch viele andere Dinge auf dem Programm. Ganz allein sein, das können wir aber auch nicht. Wir brauchen den Austausch. Und natürlich liegt es nahe, dann die Kanäle zu nutzen, die man hat. So wird auf Twitter mitgeteilt, dass das Baby nicht schläft und man am Rande des Nervenzusammenbruchs ist. Man zeigt auf Instagramm Fotos vom Sprössling und tauscht sich in Gruppen auf Facebook darüber aus, welche Windeln man benutzen sollte oder was man von Durchschlaftipps hält. Eltern schaffen sich so eine Art medialen Clan. Sie sind in einer Gemeinschaft, die den Rücken stärkt, Hilfe bietet, tröstet, lobt, bestärkt. Sie hören von anderen Eltern in ganz Deutschland oder gar der ganzen Welt, dass Kinder überall nicht durchschlafen, lange gestillt werden und bei Mama und Papa mit im Bett schlafen wollen.

Natürlich ersetzt das Internet keine Freundschaften und auch nicht die Müttergruppe, mit der man nachmittags gemeinsam Kaffee trinkt. Aber es erweitert diese Möglichkeiten. Auch außerhalb eines Treffens oder eines Kurses wie FABEL, der Eltern in der Erziehungskompetenz stärkt und ihnen Informationen an die Hand gibt für den Alltag, haben Eltern die Möglichkeit zum Austausch. Und zwar rund um die Uhr. Wenn das Baby nachts um zwei eine Spielstunde veranstalten will, findet man auf Twitter ganz sicher Eltern, die aus irgendeinem Grund auch wach sind. Man ist nicht allein. Nie. Genau, wie es eigentlich für uns vorgesehen ist, denn – um es noch einmal zu wiederholen – wir sind soziale Wesen und ziehen Kinder eigentlich in Gemeinschaft auf.

Natürlich bedeutet das nicht, dass wir uns hinsetzen sollen und permanent in Anwesenheit der Kinder auf das Handy starren und tippen und auf Antworten warten sollen. Es ist wohl auch eher die Minderheit, die so vorgehen mag. Gut ist es natürlich, sowieso vorhandene Freizeiten für den Austausch im Netz zu wählen, etwa während des Nachmittags- oder Nachtschlafes. Aber natürlich darf man auch mal zwischendurch eine Nachricht versenden, etwas lesen oder telefonieren. Kompetenter Umgang ist gefragt. Und auch für die Kinder ist es gut, wenn Eltern den Ärger und Frust einmal nicht hinunter schlucken müssen, sondern anderen davon berichten können. Und natürlich ist es schön, auch mal von den Sonnenseiten des Elterndaseins vorzuschwärmen.

Eltern müssen nicht immer aufmerksam sein

Wie sollen Eltern denn nun eigentlich sein? Widmen sie ihren Kindern viel Aufmerksamkeit, werden sie gleich als Helikoptereltern beschimpft und durch die Presse gezogen. Machen sie es nicht, sind sie unempathische Soziopathen mit Smartphone. Es ist nicht einfach, Eltern zu sein. Man scheint sich permanent auf einem schmalen Grad zu bewegen. Doch schauen wir auch hier einmal, was die Natur vorgesehen hat: Sind Eltern wirklich diejenigen, die immer in der Nähe der Kinder saßen und jederzeit ansprechbar und mitteilsam waren? Das waren sie wohl kaum. Natürlicherweise gehen Eltern eben auch ihren Beschäftigungen nach. Sie arbeiten (idealerweise auf eine Art, die das Zusammensein mit den Kindern ermöglicht), sie kochen, waschen, putzen, unterhalten sich mit anderen. Sie sind eben nicht nur und ausschließlich auf die Kinder fokussiert. Leider hat sich unser Leben sehr gewandelt und wir arbeiten und leben nicht in Gemeinschaft und haben dadurch wenig Vorbilder. Und sicher ist es wichtig, in vielen Dingen auch einen Weg zurück zu finden und uns auf das Ursprüngliche wieder zu besinnen und für unser Leben zurück zu erobern. Doch unsere Fortschritte lassen sich nur schwer oder gar nicht rückgängig machen. Deswegen ist es gut, diese Neuerungen auf sinnvolle Weise zu nutzen und uns damit das nachzubilden, was wir brauchen. Kann man mitten in der Nacht keine Clanmitglieder persönlich fragen, was mit einem bei 40°C fiebernden Kind macht, tut man das auf Twitter oder Facebook. Das bedeutet nicht, dass man unaufmerksam ist, als Eltern versagt, weil man es nicht weiß. Es bedeutet nur, dass man sich Hilfe holt, wie es normal für uns ist.

Wie würden Eltern sein, die sich nur auf das Kind konzentrieren? Die allein mit Kind in der Wohnung sitzen und von morgens bis abends Kaufmannsladen und Mutter-Vater-Kind spielen würden? Wahrscheinlich ziemlich unglücklich. Und ja, man hat schließlich auch andere Dinge noch zu tun. Man muss den Haushalt, das Alltägliche erledigen und hat dabei auch nicht immer die Kinder im Auge.

Das ist auch gut. Denn Kinder brauchen auch Freiraum, um sich zu entwickeln. Sie müssen Möglichkeiten des Ausprobierens haben außerhalb des aufmerksamen elterlichen Blicks. Sie müssen auch Falsches tun und erfahren dürfen – unter dem permanenten Blick der Eltern ist das nicht möglich. Eltern müssen nicht 100 Prozent jederzeit bei ihren Kindern sein. Der 1886 geborene britische Kinderpsychoanalytiker Donald W. Winnicott entdeckte bereits, dass “zu gute Mütter” (too good mothers) keinesfalls das sind, was Kinder benötigen. Während das Baby am Anfang des Lebens mit seiner Mutter noch ganz verschmolzen und symbiotisch ist und Mütter bestenfalls prompt auf seine Bedürfnisse reagieren, brauchen Babys für ihre Entwicklung jedoch zunehmend auch ein gewisses Maß an Unzufriedenheit für ihre Entwicklung. Winnicott entdeckte, dass Mütter zunehmend weniger und weniger perfekt auf ihr Kind eingehen – und dies parallel zu den wachsenden Fähigkeiten des Kindes, damit umgehen zu können. Das bedeutet: Anfangs reagieren Mütter bestenfalls prompt und richtig auf das Baby. Mit der Zeit reagieren sie aber weniger schnell und lassen das Baby auch mal ein wenig quengeln, wenn es nicht an das Spielzeug heran kommt. Und dies hat eine ganz wichtige Bedeutung für die Entwicklung des Kindes: Es lernt nämlich dadurch, dass Bedürfnisse nicht sofort erfüllt werden müssen, sondern auch etwas aufgeschoben werden können. Hierdurch kann es auch lernen, sich selbst zu regulieren, weil es eigene Beruhigungsstrategien findet. Das Baby erfährt, wie man mit negativen Gefühlen umgehen kann. Auch kann es hierdurch zur weiteren Entwicklung angeregt werden: Wer sofort alles gereicht bekommt, wenn er etwas quengelt ist nicht darauf angewiesen, sich selbst zu bewegen. Ein gewisses Maß an Unzufriedenheit ist also durchaus als Motor der Entwicklung zu betrachten. Umgekehrt wird einem Baby, dem jeder Wunsch schon von vornherein “von den Augen abgelesen wird”, um die Fähigkeit gebracht, sich selbst zu verstehen. Es lernt keine Selbstwirksamkeit, weil es nicht erfahren kann, dass es sich auch selbst helfen kann und darf. Winnicott findet daher, dass die “good enough mother” der “too good mother” gegenüber vorzuziehen ist. Wir müssen also nicht Supereltern sein, sondern einfach nur hinreichend gut!

Kinder brauchen andere Kinder

Natürlich bedeutet all dies nicht, dass Eltern nur noch Onlineaustausch benötigen und es kein Problem ist, wenn sie ständig auf das Handy schielen. Selbstverständlich kommt es auf das richtige Maß an. Aber wir brauchen auch kein schlechtes Gewissen zu haben, wenn wir unseren Alltag online teilen. Wir müssen uns nicht ständig nur und ausschließlich auf die Familie konzentrieren. Wir dürfen uns austauschen, Rat und Unterstützung holen. Es ist normal. Und es hilft in so vielen Momenten.

Was wir dennoch nicht vergessen dürfen: Auch Kinder brauchen Gemeinschaft und Austausch. Sie brauchen konkrete, wirklich anwesende Personen zum Spiel, zur Auseinandersetzung, zum Lernen. Sie brauchen einen real vorhandenen Clan und Erfahrungen außerhalb der eigenen vier Wände. Und deswegen ist es wichtig, dass wir uns nicht nur online austauschen und einigeln, auch wenn wir dort jederzeit Antworten und Gemeinschaft finden können. Was für uns vielleicht eine gute Alternative ist bei mangelnden realen Kontakten, ist es für die Kinder nicht. Für sie müssen wir auch außerhalb von Twitter und Facebook Gruppen finden und Gleichgesinnte. Für sie und mit ihnen besuchen wir Babykurse und Krabbelgruppen und suchen auf Spielplätzen und in Turngruppen Menschen, die zu uns passen und mit denen wir auch im realen Leben ein Netzwerk aufbauen können. Aber wenn wir das haben, wenn wir gut eingebunden sind, dann spricht nichts dagegen, dass wir auch mal das Handy zücken und dort Gemeinschaft suchen und haben.

Wie ich durch meine Kinder Gelassenheit lernte

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Vielleicht kennt Ihr diese Tage, an denen man denkt: „Heute läuft alles schief. Ich hätte im Bett bleiben sollen mit den Kindern.“ Und wisst Ihr was? Ja, Ihr hättet im Bett bleiben sollen. Nach 1617 Tagen Elternschaft, davon 318 Tage als zweifache Mutter, kann ich das sagen. Es gibt so Tage, an denen einfach nichts klappt. Dabei hatte man es so schön geplant. Man hat Termine, Verabredungen oder möchte einfach nur pünktlich das Kind in den Kindergarten bringen. Aber es geht nicht. Warum? Weil wir nunmal nicht alleine sind und selber über unser Leben bestimmen. Es gibt da diese kleinen Menschen, die eine ganz eigene Weltsicht haben und eine eigene Vorstellung davon, wie der Tag laufen soll.
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Ammenmärchen über das Familienbett

Der kürzlich erschienene Artikel über das Familienbett hat bei einigen Leuten Fragen dazu aufgeworfen, wie das denn überhaupt funktionieren kann und ob das nicht unnatürlich und ungesund sei. Den häufigsten negativen Aussagen zum Familienbett wird hier daher hier einmal auf den Grund gegangen:

Paare mit Familienbett haben keinen Sex

Denkt man einmal genau über diese sehr häufige Aussage nach, wird eigentlich sehr schnell klar, wie wenig sinnvoll sie ist. Sex ist schließlich nicht an den Ort „Bett“ gebunden, sondern von vielen anderen Faktoren abhängig, von denen der Ort nun wirklich der meist unwichtigste ist. Generell ist es bei vielen Eltern so, dass sich das Sexualleben nach dem ersten Kind verändert: Sind die Eltern durch durchwachte Nächte oder anstrengende Tage erschöpft, ist auch die Lust weniger vorhanden als an ausgeruhten Tagen. Oft verändert sich das Sexualleben von Paaren nach der Geburt ohnehin: Einer Studie zufolge haben Paare nach der Schwangerschaft 1-3 Mal pro Monat Sex, fünf Prozent der befragten Paare hatten auch zwei Jahre nach der Geburt noch keinen Geschlechtsverkehr. Wichtig ist, dass gerade in jenen Phasen, in denen Babys und Kleinkinder schlechter schlafen, sich Eltern nach Möglichkeit gegenseitig abwechseln können oder der Elternteil, der nachts besonders viel Fürsorge übernimmt, am Tag etwas mehr schlafen kann

Gerade in Bezug auf das Schlafverhalten kann das Familienbett aber auch ein Vorteil sein: Studien zeigen, dass der Schlafrhythmus von Mutter und Kind sich angleicht, wenn beide nahe beieinander schlafen. So werden die Mütter durch das nachts weinende Baby nicht aus dem Tiefschlaf gerissen und haben demnach erholsamere Nächte.

Und schließlich können auch dann, wenn die Kinder im eigenen Bett im anderen Zimmer schlafen, Eltern in ihrem Sexualleben gestört werden, wenn der Nachwuchs von einem schlechten Traum geweckt und plötzlich im Zimmer steht. Da ist es vielleicht doch besser, wenn man von Anfang an auf einen anderen Ort oder andere Orte ausweicht.

Familienbetten sind „nicht normal“

Wahrscheinlich ist diese Aussage gar nicht so falsch. Zumindest hier bei uns entspricht das Modell „Familienbett“ nicht der Norm. Historisch und transkulturell betrachtet sieht es aber schon anders aus: Das Familienbett ist in vielen Kulturen die durchschnittliche Art, wie Familien zu ihrer Nachtruhe kommen. In den nichtindustrialisierten Ländern schlafen laut einer Studie nahezu die Hälfte der Kinder im Elternbett. Ist dies nicht der Fall, schlafen sie häufig zumindest im selben Raum, wie auch Karl Heinz Brisch, der Bindungsforscher, in seinem Buch „Safe – Sichere Ausbildung für Eltern“ beschreibt:

„Vor einigen Jahren war ich auf einer internationalen Konferenz und saß beim Konferenzdinner mit sieben Kolleginnen aus Indonesien an einem Tisch. nachdem der Abend etwas fortgeschritten war und sich die Atmosphäre lockerte, fragte mich eine von ihnen, ob es stimme, dass bei uns in Deutschland Kinder in einem eigenen Bettchen schlafen müssen. Ich bejahte dies und war etwas erstaunt, als im Folgenden noch mehrmal diese Frage gestellt wurde und auf meine positive Antwort hin einige Unruhe auftrat. Schließlich fragte mich eine weitere Kollegin, ob denn die Kinder nachts in ihren Einzelbetten in ihren Zimmern blieben. Diese Frage musste ich nun eindeutig verneinen und sagen, dass die Kinder in Deutschland, wenn sie nachts Angst bekommen und die Möglichkeit haben, aus ihrem Bett herauszukommen und zu ihren Eltern zu gehen, diese als sichere Bindungspersonen aufsuchen, um sich durch Körperkontakt zu beruhigen. Das Erstaunen über diese Antwort war sehr groß und die Indonesierinnen meinten: Die Kinder in Deutschland sind ja genauso wie unsere Kinder, aber warum muten deutsche Eltern Kindern zu, dass sie allein in einem eigenen Zimmer im eigenen Bett schlafen müssen, wenn doch klar ist, dass sie sich daran nicht halten, sobald sie Angst bekommen?“

Unter „nicht normal“ wird jedoch häufig nicht „nicht der Norm entsprechend“ verstanden, sondern die Aussage zielt darauf ab, dass es sich um ein unnormales Beziehungsverhalten handeln würde. Aber auch hier sehen wir: Kinder wachen oft noch bis ins Vorschul- und sogar Schulalter hinein nachts auf und wünschen dann Nähe und Zuwendung, wenn sie aus dem Traum hochgeschreckt sind oder nachts Hunger haben oder etwas trinken wollen. Ihnen diese Wünsche zu erfüllen und prompt als Nasprechpartner:in zur Verfügung stehen zu können, ist der Beziehung förderlich und entspricht dem Bindungssystem

Babys und Kinder werden im Familienbett „verzogen“

Von Natur aus können Babys und Kinder dann gut einschlafen, wenn sie sich sicher und geborgen fühlen. Insbesondere bei Kindern, die noch nicht laufen können, ist dafür die Nähe der Eltern notwendig. Sind sie in der Nähe, bedeutet dies für das Kind: Mir kann nichts passieren. Wenn irgendetwas nicht in Ordnung ist, ist jemand für mich da und kümmert sich um mich, trägt mich im Notfall davon. Seinen Ursprung hat dieses Verhalten darin, dass das Verhalten unserer Babys in vielen Punkten noch von den Urinstinkten bestimmt wird, die seit Millionen von Jahren für das sichere Aufwachsen notwendig waren. Babys und Kleinkinder wissen noch nicht, dass keine wilden Tiere in unsere Wohnung kommen können oder wir mit sicheren Türen und Glasscheiben gegen die Naturgewalten geschützt sind. Um sich sicher zu fühlen, brauchen sie keine technischen Geräte, sondern die Gewissheit, die Eltern in der Nähe zu haben.

Wenn daher Babys und Kinder im Familienbett schlafen, kommt das einem ganz natürlichen und Millionen Jahre altem Impuls nach. Von „verziehen“ kann also keinesfalls die Rede sein, sondern vielmehr davon, auf die Signale und Bedürfnisse des Kindes zu achten. Zudem hat das Schlafen im Familienbett bzw. der unmittelbaren Nähe der Eltern weitere, auch gesundheitliche Vorteile, die im Folgenden noch ausgeführt werden.

Familienbetten sind gefährlich

Als Argument gegen das Familienbett wird häufig aufgeführt, dass Familienbetten für Babys gefährlich wären, da sie darin zugedeckt werden könnten und nicht mehr genügend Luft erhalten würden. Gegen dieses Argument sprechen jedoch einige andere Fakten, die hier aufgeführt werden sollen, damit sich Eltern ein eigenes Bild darüber machen können:

Ein Familienbett muss selbstverständlich groß genug sein, damit alle Familienangehörigen darin ihren Platz finden können. Ein herkömmliche Matratze von 120cm reicht also nicht für zwei Elternteile und Baby aus. Je nach „Teilnehmerzahl“ muss sie entsprechend breit sein. So wird gewährleistet, dass das Baby nicht überrollt oder zugedeckt werden kann. Es wird empfohlen, dass das Baby auf der Seite der Gebärenden liegt und auf keinen Fall neben einem Geschwisterkind. Auch Haustiere sollten nicht mit im Bett schlafen. Ist ausreichend Platz vorhanden, läuft das Baby nicht Gefahr, von der Bettdecke eines Elternteils zugedeckt zu werden, sondern kann ohne Kissen und im Schlafsack gut bettet sein. Auch sollte die Matratze möglichst hart sein, damit das Baby nicht darin einsinkt. Wasserbetten eignen sich als Familienbetten daher nicht. Durch den zu weichen Untergrund kann das Baby darin versinken bzw. sich nicht selbst aufrichten zur Atmung. Und selbstverständlich müssen die Eltern Sorge tragen, dass sie nicht unter Drogeneinfluss das Kind bedecken. Auch ein zu hoher Schlafmangel oder eine depressive Erkrankung wirken sich negativ auf den Schlaf neben dem Kind aus und erhöhen die Gefahr, das Kind (mit dem eigenen Körper) zu bedecken.

In Bezug auf Familienbetten und Plötzlichem Kindstod, dessen Ursachen noch immer an vielen Stellen ungeklärt sind, gibt Dr. Jan Sperhake, Oberarzt am Institut für Rechtsmedizin des Universitätsklinikums Eppendorf in Hamburg in der ELTERN (10/2012) folgende Information: „Wenn jedoch das Kind selbst keine Risikofaktoren aufweist und die Eltern alle üblichen Vorsichtsmaßnahmen einhalten, vor allem aber nicht rauchen, dann ist das Risiko für das Kind im Elternbett wahrscheinlich nur gering erhöht. Vorausgesetzt, es trägt einen Schlafsack, kann nicht unter eine Daunendecke oder mit dem Kopf in ein Kissen oder eine Kuhle geraten.“ Kinderarzt und Autor Dr. Herbert Renz-Polster erklärt hier noch einmal ausführlich, wie Babys im Familienbett schlafen können und welche Studienlage zum Plötzlichen Kindstod vorliegt.

Im Familienbett kann man sich unmöglich erholen

Auch dies ist ein weit verbreiteter Irrtum über Familienbetten. Häufig findet man im Internet Bilder darüber, dass Kinder im Bett der Eltern quer liegen, sich breit machen und es wird ironisch darüber berichtet, dass das „H im Bett für Hölle“ steht.  Eltern werden hierdurch abgeschreckt, sich Gedanken über ein Familienbett zu machen. Dennoch gilt: Zunächst ist natürlich die Größe des Bettes wichtig, damit alle ihren guten Platz darin finden können. Ist dies gegeben, spricht nichts dagegen, dass alle Beteiligten genügend Erholung erhalten – im Gegenteil: Das nächtliche Stillen ist durch die Nähe erleichtert. Mütter müssen zum Stillen nicht aufstehen und können das Baby bequem anlegen. Durch den angeglichenen Schlafrhythmus und die aufeinander abgestimmten Schlaftiefen, auch Ammenschlaf genannt, werden sie nicht aus dem Tiefschlaf gerissen. Auch nicht-stillende Familien haben es leichter, den Hunger des Babys zu versorgen. Körperkontakt hat zudem auch positive Auswirkungen auf die Ausschüttung bestimmter Hormone, insbesondere des „Liebeshormons“ Oxytocin: Nähe und Körperkontakt sind daher für den Aufbau einer guten Beziehung jederzeit förderlich – tagsüber wie nachts.

Auch für größere Geschwisterkinder jenseits der Babyzeit kann ein geteiltes Bett (Geschwisterbett) eine gute Idee sein, wenn sie sich gut verstehen: Können sie zusammen im Bett schlafen, kann sich das auch positiv auf ihre Beziehung auswirken.

Einmal im Familienbett, werden Kinder nie im eigenen Bett schlafen

Eines der Argumente, das aus der gleichen Kategorie stammt wie „Wer länger als ein Jahr stillt, der stillt sein Kind noch in der Schule“ oder „Tragetuchkinder fangen nie an zu laufen“. Natürlich ist es Unsinn, dass Kinder für den Rest ihres Lebens im Bett der Eltern schlafen wollen. Für die kleinen Kinder hat es aber große Vorteile, in der Nähe zu sein. Können sich Kinder nachts selbst beruhigen, „schlafen durch“ und haben die Gewissheit, dass sie jederzeit in die Nähe der Eltern flüchten können, wenn doch etwas sein sollte, können sie ganz selbstbestimmt aus dem Bett ausziehen. Bei manchen Kindern ist dieser Punkt erreicht, wenn sie nach dem 3. oder 4. Geburtstag ein neues Geschwisterkind mit ins Bett bekommen. Oder wenn sie es bei Freunden erleben und einmal ausprobieren möchten. Gründe dafür, warum Kinder auf einmal ein eigenes Bett wünschen, gibt es viele. Eltern sollten diesen Wunsch dann aufgreifen und respektieren. Bei einigen Kindern ist dies früher der Fall, bei anderen später – aber so ist es ja bei vielen Aspekten der kindlichen Entwicklung.

Bauanleitung für ein Familienbett

Kaum ein Thema ist für Eltern so wichtig in den ersten Lebensjahren wie der Kinderschlaf. Doch die Informationen und Ratschläge, die man dazu erhält, sind oftmals verwirrend oder widersprechen sich sogar. Patentrezepte für einen guten Schlaf gibt es leider nicht, aber es gibt einige Punkte, die wir durchaus berücksichtigen können. Und es gibt Möglichkeiten, es dem Kind zu erleichtern, wie zum Beispiel durch das Familienbett.


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Rezension: Mütter und andere

Mütter sind wieder ein Thema. Während Prof. Dr. Lieselotte Ahnert in ihrem unlängst erschienen Buch der Frage nachgeht “Wie viel Mutter braucht ein Kind?”, geht Sarah Blaffer Hrdy einen Schritt weiter, der eigentlich ein Schritt zurück ist: Mütter und Andere: Wie die Evolution uns zu sozialen Wesen gemacht hat liefert Antworten auf die große Frage, warum wir sind, wie wir sind, was uns von unseren nächsten Verwandten unterscheidet – und wohin wir gehen, wenn wir uns immer weiter von dem entfernen, was gemeinhin unter Gemeinschaft verstanden wird.
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