Geborgen bis zum Ende – Über das Sterben in Würde

Großmutter_und_FRauMierau

In diesen Tagen hätte meine Großmutter Geburtstag. Sie starb vor 6 Jahren an Krebs. Und obwohl sie an ihrem Lebensende nur noch ein Schatten ihres früheren Selbst war, dünn und klein im Bett liegend, starb sie, wie sie es sich wünschte: zu Hause. In dem Zuhause, das fast ihr ganzes Leben lang ihr Lebensmittelpunkt war. Wo sie ihre drei Kinder großzog und ihre Enkelkinder bekochte. Wo sie lebte und liebte. Es war wahrlich kein einfaches Ende. Für keinen von uns. Nicht für sie, die sehr an ihrem Leben hing. Nicht für uns, die wir sie in den Tod begleiteten und Tag für Tag neu Abschied nehmen mussten und irgendwann auch auf den endgültigen Abschied für sie hofften. Trotz aller Schwere war es auch ein Abschied in Würde, an den ich oft denken muss. Als sie starb, war ihre Familie um sie. Geborgenheit ist es nicht nur, was wir am Lebensanfang brauchen, sondern auch an seinem Ende.

Als sie spürte, dass ihr Leben zu Ende ging, wünschte sich meine Großmutter nur immer wieder eines: Nicht im Krankenhaus sterben zu müssen – und schon gar nicht im Altenheim. Und obwohl es sicherlich einfach gewesen wäre für meine Mutter, ihre Schwester und den Lebensgefährten meiner Großmutter, sie einfach woanders hin zu geben und nicht tagtäglich mit dem Abschied umgehen zu müssen, haben sie ihrem Wunsch entsprochen. Ja, es gab gar keine Frage danach, es nicht zu tun. Der Alltag wurde geregelt. Ein Pflegedienst kam, Ärzte kamen nach Hause, meine Mutter und ihre Schwester teilten sich weitere Pflegeaufgaben. Sie kämmten ihr Haar und badeten sie, als  sie noch in die Wanne kam. Sie fütterten sie und tupften nach dem Essen ihren Mund ab. Sie lasen ihr vor. An Weihnachten saßen wir um das Krankenbett, das im Wohnzimmer stand, und sangen die Lieder, die sie sich wünschte.

Als das Ende kam, hatte sie uns alle noch einmal einberufen. Sie starb kurz vor meinem Ankommen. Gemeinsam saßen wir an ihrem Bett und erinnerten uns an die Jahre mit ihr. Ich hielt ihre kleine Hand, die mich so oft stark gehalten hatte, die mir Pflaster auf das blutende Knie klebte, die mir Spätzle mit Tomatensoße kochte, die mir über das Haar strich bis ich einschlief.

Als sie starb, hatte ich noch keine Kinder. Erst heute, wo ich selber Kinder habe, sehe ich, wie ähnlich Anfang und Ende sind. Ich sehe, wie viel meine Großmutter für mich tat und zuvor für ihre Kinder, was sie schließlich zurück bekam. Ich erinnere mich, wie geduldig sie mit mir war, als ich ein kleines Kind war. Wie sie mit mir lachte, aber nie über mich. Wie sie mich in all meiner Kindlichkeit ernst nahm. Wie sie mich fütterte und wusch, wie ich auch sie später mit Pudding fütterte und ihr die Lippen abwischte. Respekt dem Leben gegenüber haben wir Menschen zu jeder Zeit verdient. Wenn wir selbst als Babys und Kinder geborgen aufwuchsen und ernst genommen wurden in unseren Fähigkeiten und unserer Art, sollten wir denen, die uns gegenüber so respektvoll waren, diese Ehre auch erbringen.

Weder am Lebensanfang noch am Lebensende ist es eine einfache Aufgabe. Wir denken am Lebensende eines anderen Menschen oft, dass wir ihn nicht begleiten können. Dass wir einfach nicht dazu in der Lage sind, diesen Übergang zu meistern. Wir haben Angst. Vor diesem Ende und davor, zu versagen. Genau wie wir Angst haben vor dem Elternsein und davor, das alles nicht zu schaffen. Vielleicht denken wir auch, dass wir keine Zeit haben dafür, dass wir ja „Wichtigeres“ zu tun haben und arbeiten gehen müssen, Geld verdienen, Freunde und Verpflichtungen haben. Doch blicken wir einmal zurück: Am Anfang unseres Lebens gab es jemanden, der sich auch Zeit genommen hat. Der da war und – im Vergleich zur Dauer eines Menschenlebens – eine kurze Zeit, ein paar Jahre lang, alles andere hinten an stellte. Der nachts an unserem Bett saß, wenn es uns schlecht ging. Der uns hielt, wenn wir Angst hatten. Windeln wurden gewechselt – und wir Eltern wissen alle, dass das nicht immer schön ist. Der uns das Essen an die Lippen führte und Geduld hatte, wenn wir langsam aßen oder das Essen an unserem Kinn hinab lief.

Nehmen wir uns also auch am Ende eines Lebens ein wenig Zeit für einen Menschen: Seien wir geduldig. Hören wir zu, was er noch zu sagen hat – auch wenn wir ihm manchmal nicht folgen können oder ihn nicht richtig verstehen. Halten wir eine Hand, die unsere so oft und sicher hielt. Reichen wir mit Ruhe einen Trinkbecher oder Löffel für jemanden, der uns einmal nährte. Schimpfen wir nicht über Ungeschick, denn auch als Kinder waren wir tollpatschig und wollten nicht ausgelacht werden. Seien wir einfach da. Das ist alles, worauf es ankommt. Immer.

 

In Gedenken an Hildegard Link <3

4 Kommentare

  1. Das ist sehr schön das dem Wunsch deiner Oma entsprochen werden konnte und ihr es möglich machen konntet das sie zu Hause einschläft.

    Aber es ist halt nicht immer möglich. Sei es weil die Menschen so krank sind das sie bis zum Schluss trotz des Sterbeprozess noch viel Medizinische Betreuung brauchen, oder eben, weil viele Angehörige doch mit einem Sterbenden überfordert sind.

    Und ich möchte eine kleine Lanze brechen für uns Krankenschwestern und Altenpflegerinnen in den Krankenhäusern und Altenheimen.

    Wir versuchen wirklich alles um Sterbende in Ruhe und Würde einschlafen zu lassen, ich schiebe mitten in der Nacht Betten zusammen um ein freies Zimmer für einen Sterbenen und dessen Angehörige zu schaffen, lass andere Sachen liegen um dabei zu sein…

    „Nehmen wir uns also auch am Ende eines Lebens ein wenig Zeit für einen Menschen: Seien wir geduldig. Hören wir zu, was er noch zu sagen hat – auch wenn wir ihm manchmal nicht folgen können oder ihn nicht richtig verstehen. Halten wir eine Hand, die unsere so oft und sicher hielt. Reichen wir mit Ruhe einen Trinkbecher oder Löffel für jemanden, der uns einmal nährte. Schimpfen wir nicht über Ungeschick, denn auch als Kinder waren wir tollpatschig und wollten nicht ausgelacht werden. Seien wir einfach da. Das ist alles, worauf es ankommt. Immer.!“

    Sehr schön geschrieben !!!!

    LG bibi

    • Liebe Bibi,
      vielen Dank für Deine Nachricht. Du hast natürlich völlig Recht: Es gibt auch ganz tolle Pflegerinnen und Krankenschwestern! Und es gut, dass es sie gibt, damit Menschen auch dann gut begleitet werden, wenn es nicht in der Familie geht. Es wäre nur wünschenswert, wenn es noch mehr wirklich gute Orte gäbe und noch mehr Menschen, die diese Arbeit so ernst nehmen wie Du – und die dafür auch entsprechend entlohnt werden!

  2. danke :). erinnert mich stark an die zeit des sterbens meiner mama, die ich mit kleinem baby und kleinkind erlebte.sie ist nicht zuhause gestorben, sondern in einem hospiz, aber umgeben von unserer familie, sie war nie alleine, alle haben sich um sie gekümmert, und das gibt auch sehr viel trost.

    lg, k.

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