Kategorie: Gefühle begleiten

Versöhnung nach dem Eltern-Kind-Streit

Streit kommt in Familien vor: zwischen den Eltern, zwischen Geschwistern, zwischen Elternteil und Kind. Natürlich ist es hilfreich, Streit da, wo es geht, durch überlegtes Handeln zu vermeiden, aber er ist nicht immer so schädlich für das Familienklima, wie manchmal behauptet wird – sofern er gut ausgetragen wird. Lange Zeit wurde angenommen, dass Streit zwischen Elternteilen vermieden und wenn doch, dann nicht vor dem Kind stattfinden sollte. Untersuchungen zeigen aber, dass nur destruktive Paarkonflikte problematisch sind, die verbale oder physische Aggressivität, Blockadeverhalten, Rückzug, Meidung oder andere Feindseeligkeit beinhalten, die dazu führen können, dass beispielsweise das Gefühl der emotionalen Sicherheit des Kindes verringert wird. Konstruktive Konfliktbewältigung ist hingegen nicht von Nachteil.

Gerade wenn das Kind Zeuge des Elternkonflikts ist, ist es hilfreich, wenn es auch dessen Lösung erfährt.

Susanne Mierau „New Moms for Rebel Girls“ S.193

Konstruktive Problemlösung ist hilfreich

So, wie bei Streitigkeiten in der Paarbeziehung, ist es auch bei Streitigkeiten zwischen Geschwistern wichtig, dass der Konflikt konstruktiv gelöst wird. Und auch bei Streitigkeit zwischen Eltern und Kind kommt es auf konstruktive Lösungen an: In einem familiären Streit geht es darum, die Perspektive der anderen Person einzunehmen, zu verstehen und eine gemeinsame, sinnvolle Lösung zu finden. Durch einen konstruktiven und gerechten Umgang mit Konflikten in der Familie kann das Kind lernen, diese Problemlösungstrategie auch auf außerfamiliäre Situationen zu übertragen – eine wichtige Fertigkeit für das weitere Leben.

Zudem ist es im Rahmen des Bindungssystems wichtig, dass die nahen Bezugspersonen als sichere, wissende und starke Begleitung dem Kind eine Orientierung bieten. Gerade dann, wenn das Kind im Baby-, Kleinkind- oder auch noch Vorschulalter nicht konkret benennen kann, wie es sich fühlt, was es gerade als Problem wahrnimmt, ist es wichtig, dass sich die Bezugsperson in das Kind hineinversetzt und versucht, die Ursache wertfrei zu ergründen, um dann eine Lösung zu finden.

Das ist manchmal gar nicht so leicht: Unsere eigenen Empfindungen können uns dabei im Weg stehen, objektiv auf die Situation zu blicken. Auch verinnerlichte Glaubenssätze (beispielsweise dass Konflikte Machtkämpfe wären und Eltern immer Recht behalten müssen, damit sie ihre Autorität nicht verlieren) können es erschweren, konstruktiv mit einem Konflikt umzugehen.

Versöhnung nach dem Streit

Neben der Lösung des konkreten Problems ist es hilfreich, wenn nach dem Konflikt auch die Beziehungsebene noch einmal thematisiert wird: Es kann besprochen werden, dass es einen Streit gab, gemeinsam eine Lösung gefunden wurde und viele Gefühle daran beteiligt waren. Dass es Streit gibt, ist normal. Das sollten auch Kinder erfahren und nicht Angst oder Vermeidungsverhalten in Bezug auf Streitigkeiten entwickeln, weil sie in der Familie tabuisiert werden. Der Fokus auf die Beziehungsebene vermittelt: Streit kommt vor, aber ich habe dich mit deinen Bedürfnissen gesehen und verstanden und bin trotz unserer unterschiedlichen Meinung für dich da und suche mit dir eine Lösung, damit es uns besser geht. Das Kind kann noch einmal nachvollziehen, was passiert ist und bekommt vermittelt, dass eine Beziehung von Offenheit und Respekt gelebt wird.

Nicht immer ist eine Lösungsfindung schnell und einfach. Manchmal muss ausprobiert werden, was funktioniert und was nicht. So dauert es manchmal mit der Beseitigung des Streits etwas. Die Versöhnung muss auch nicht daraus bestehen, dass beide Seiten wieder gute Laune haben, sondern daraus, anzuerkennen, dass es verschiedene Perspektiven und Empfindungen gab und man als Bezugsperson dennoch sicher zur Verfügung steht und das Kind weiterhin liebt. Das Kind hat auch das Recht, nicht sofort wieder gute Laune haben zu müssen. Manchmal braucht es etwas Zeit, bis der Ärger wirklich verflogen ist. Auch das ist in Ordnung. Das Kind sollte wissen, dass es sich jederzeit vertrauensvoll an die Bezugsperson wenden kann mit seinen Gefühlen, da wir als Erwachsene die Schutz- und Regulationsfunktion für das Kind erfüllen und dies auch im Konfliktfall tun.

Eure

Zur Autorin:
Susanne Mierau ist Diplom-Pädagogin (Schwerpunkt Kleinkindpädagogik) und Familienbegleiterin. Sie arbeitete an der FU Berlin in Forschung und Lehre, bevor sie sich 2011 im Bereich bedürfnisorientierte Elternberatung selbständig machte. Ihr 2012 gegründetes Blog geborgen-wachsen.de und ihre Social Media Kanäle sind wichtige und viel genutzte freie Informationsportale für bedürfnisorientierte Elternschaft und kindliche Entwicklung. Susanne Mierau gibt Workshops für Eltern und Fachpersonal und spricht auf Konferenzen und Tagungen über kindliche Entwicklung, Elternschaft und Familienrollen.

Foto: Ronja Jung für geborgen-wachsen.de

Spüren der Wut vor dem Ausbruch – Konflikte in der Familie ruhiger begleiten

Die meisten Eltern kennen wohl jene Situation: Das Kind tut etwas, das von den Erwachsenen nicht gewünscht ist. Auch wenn wir uns im Alltag vornehmen, auf eine bestimmte Art auf Konflikte zu reagieren, klappt das nicht immer. Manchmal scheinen wir „aus dem Nichts“ dann doch zu stark zu reagieren und schreien und schimpfen. Wir entschuldigen uns, es tut uns danach leid und wir nehmen uns fest vor, es beim nächsten Mal anders zu machen. Doch manchmal geht es wieder und wieder in eine andere als die vorgenommene Richtung. Eine Hilfe, um aus diesem wiederkehrenden Verhalten aussteigen zu können, kann sein, sich nicht nur beständig auf andere Konfliktlösungen zu fokussieren, sondern die Selbstwahrnehmung zu stärken: Was passiert mit mir gerade? Wie steigt die Wut in mir hoch und wie finde ich den Punkt zum Absprung?

Selbstwahrnehmung ist nicht einfach

Viele Eltern haben in der eigenen Kindheit keinen guten Zugang zur Selbstwahrnehmung ausbilden können, da die Eigenwahrnehmung durch Erziehungsmethoden an einigen Stellen unterdrückt wird: in Bezug auf die körperliche Selbstwahrnehmung („Geh mal auf Toilette, du musst bestimmt!“/alle Kinder gehen zu bestimmten Zeitpunkten auf Toilette, „Das tut doch nicht weh!“), aber auch in Bezug auf die emotionale Selbstwahrnehmung („Das ist nicht schlimm!“, „Da musst du nicht weinen!“, „Mädchen dürfen nicht so wütend sein!“). Diese fehlende Selbstwahrnehmung kann es uns heute schwer machen, ein gutes Gespür für sich und die eigenen Bedürfnisse zu haben. Wie fühlt es sich an, wenn ein Gefühl aufsteigt bevor es riesengroß ist, wie fühlt sich beispielsweise Empörung an, bevor sie zu einer großen Wut wird?

Gefühle wahrnehmen

Wenn wir uns vornehmen, in Konfliktsituationen anders reagieren zu wollen, ist es nur ein kleiner Aspekt dieses „anders“, dass wir uns überlegen, wie wir konkret reagieren wollen. Wesentlich ist es, unsere Selbstwahrnehmung zu verbessern, damit wir überhaupt anders reagieren können – nämlich bevor die Wut uns selbst überrollt. Es ist wichtig, in Konflikten in sich hineinzuspüren: Wie fühle ich mich? Was löst dieser Konflikt in mir aus? Wenn wir genau auf uns achten, können wir auch an unserer körperlichen Reaktion spüren, wie es uns geht: Schlägt das Herz schneller? Hat sich die Atmung verändert? Auf die eigenen körperlichen Reaktionen zu achten, kann ein guter Hinweisgeber für Gefühle sein. Durch die Aufmerksamkeit auf den eigenen kröperlichen Reaktionen fällt es uns auch leichter, im Hier und Jetzt zu bleiben.

Nächster Schritt: den Gefühlen auf den Grund gehen

Wenn wir ein Gespür für unsere Gefühle bekommen, können wir besser in Konfliktsituationen aussteigen: Wir spüren, dass wir schneller atmen, unser Herz klopft und merken dadurch, dass wir wirklich wütend werden. Jetzt können wir aus der Situation aussteigen und uns beruhigen: Tief in den Bauch atmen, erklären, dass man kurz hinaus muss,…

Im nächsten Schritt können wir dann betrachten, woher diese Gefühle eigentlich kommen, um dann zu lernen, dass es beispielsweise unsere Bewertung einer Situation sein kann, die uns wütend macht. Diese Bewertung speist sich vielleicht aus eigenen früheren Erfahrungen, aber im Jetzt und Hier ist es eine andere Situation, die nicht bedrohlich ist und wir deswegen vielleicht gar nicht mit Wut reagieren müssen. Wenn wir verstehen, woher das Gefühl kommt, woraus es sich entwickelt, mit welchem Bedürfnis es in Verbindung steht, können wir nochmals intensiver daran arbeiten, die Ursache für ausufernde Konfliktsituationen zu vermindern.

Dieses Hineinspüren und Erlernen der eigenen Wahrnehmung braucht Zeit. Es geht oft nicht von heute auf morgen, die Selbstwahrnehmung zu verbessern. Aber wir können bewusst damit anfangen, auch schon in Situationen jenseits der Wut: Lenken wir unser Augenmerk immer mal wieder bewusst auf uns und unsere Gefühle: Wie fühle ich mich jetzt gerade und woher kommt dieses Gefühl? Zu welchem Bedürfnis gehört mein Gefühl und wie kann ich dieses (und andere) im Alltag gut befriedigen?

Eure

Zur Autorin:
Susanne Mierau ist Diplom-Pädagogin (Schwerpunkt Kleinkindpädagogik) und Familienbegleiterin. Sie arbeitete an der FU Berlin in Forschung und Lehre, bevor sie sich 2011 im Bereich bedürfnisorientierte Elternberatung selbständig machte. Ihr 2012 gegründetes Blog geborgen-wachsen.de und ihre Social Media Kanäle sind wichtige und viel genutzte freie Informationsportale für bedürfnisorientierte Elternschaft und kindliche Entwicklung. Susanne Mierau gibt Workshops für Eltern und Fachpersonal und spricht auf Konferenzen und Tagungen über kindliche Entwicklung, Elternschaft und Familienrollen.

Foto: Ronja Jung für geborgen-wachsen.de

Von „Nerv nicht!“ zu „Hilfe, ich bin genervt“

„Nerv nicht!“ – eine Aussage, die sich tief in das Selbstbild brennen kann, wenn sie sich immer wiederholt. „Nerv nicht“ bedeutet: „Deine Wünsche und Bedürfnisse sind mir zu viel oder falsch.“, „Was du jetzt brauchst oder willst, stufe ich als erwachsene Person als unwichtig ein.“, „Es gibt Wichtigeres als dich und deine Bedürfnisse.“, „Du belastest mich.“ Gerade für Kinder, die auf ihre Bezugspersonen als Schutz angewiesen sind, als sicheren Hafen, und in vielen Bereichen der Bedürfniserfüllung noch auf uns angewiesen sind, kann dies nachhaltig belastend sein. Es kann sich das Gefühl ausbreiten, unwichtig zu sein, nicht gehört zu werden, falsch zu sein.

Natürlich sind Eltern manchmal genervt

Ein „Nerv nicht!“ mag manchmal unserem tiefen Elternempfinden entspringen: Der Alltag ist voll mit Aufgaben und nicht immer ist Platz für die Bedürfnisse des Kindes. Und manchmal sind wir tatsächlich auch von der x-ten Nachfrage, ob dieses oder jenes noch gekauft oder getan werden kann in der schieren Menge des Vorsprechens des Kindes genervt. Wir müssen diese Gefühle nicht verbannen aus unseren Empfindungen. Im Gegenteil: es ist gut, wenn wir sie spüren, denn dadurch haben wir die Möglichkeit, festzustellen, dass wir gerade überlastet sind und können dann richtig reagieren, indem wir die Situation verändern.

Oft liegt die Ursache des Gefühls, vom Kind genervt zu sein, in einer generellen Überlastung: Wir haben nicht auch noch Energie für das laute, fordernde Kind nach einem ohnehin schon anstrengenden Tag oder während es uns gerade gesundheitlich vielleicht nicht gut geht. Das Kind fordert hingegen mit seinem Verhalten oft Bindung und Beziehung ein – was wir durch unseren Stress aber nicht mehr so feinfühlig wahrnehmen können: Durch Stress fällt es uns schwerer, „hinter das Verhalten“ des Kindes auf die Bedürfnisse zu blicken, die es zum Ausdruck bringen will.

Nervende Kinder – unerfüllte Bedürfnisse

Wenn Kinder beständig etwas einfordern, kann sich dahinter ein bestimmter dringender Wunsch verbergen. Oft aber ist es auch ein Bedürfnis nach Bindung und Beziehung: Immer und immer wieder kommt das Kind an diesem Tag wieder an und möchte nicht allein spielen, sondern nur mit einem Elternteil. Das heute ständig wütende Kind ist eigentlich traurig, weil es von den Freunden im Spiel ausgeschlossen wurde und kann das aber noch nicht gut verbalisieren. Das Kind, das den ganzen Tag auf alle Vorschläge nur maulig reagiert, ist eigentlich erschöpft vom Kindergarten, in dem heute alles durcheinander war, weil ein Erzieher fehlte.

Alternativen zu „Nerv nicht!“

Es kann viele Gründe geben, warum wir uns genervt fühlen. Und es kann viele verschiedene Gründe dafür geben, dass das Kind heute oder auch mal über einige Tage hinweg ein ungewohntes, für uns anstrengendes Verhalten zeigt. Wichtig ist, dass wir als erwachsene Bezugspersonen damit erwachsen umgehen und das Genervtsein nicht ungefiltert an das Kind weiter geben.

Diese Belastung ist für kleine Schultern zu groß. Ja, Rücksichtnahme ist wichtig, auch Kinder müssen das im Laufe der Zeit lernen. Aber auf andere Weise, als durch harte Worte, die das Innere verletzen. Zum Beispiel, indem wir unser Bedürfnis klar kommunizieren und eine Lösung anbieten: „Ich hab heute keine Nerven mehr. Komm, wir machen es uns ganz gemütlich auf dem Sofa.“ oder „Ich hab heute keine Nerven mehr, komm wir gehen in den Wald spazieren und du kannst dich da richtig austoben.“ Wir vermitteln eine andere Botschaft an das Kind, wenn wir erklären, dass wir selbst keine Nerven mehr haben, gestresst und/oder müde sind, als wenn wir sprachlich dem Kind die Schuld daran zuweisen.

Dauert das Gefühl des Genervtseins länger an, sollten sich Eltern Unterstützung holen: in Form einer Beratung, um mit professioneller Hilfe auf das Verhalten des Kindes zu blicken und/oder in Form von Unterstützung im Alltag, um den Stress zu reduzieren.

Das unangenehme Gefühl, zur Last zu fallen, haben viele Erwachsene in sich eingespeichert und es kann deswegen schwer fallen, Hilfen in Anspruch zu nehmen. Umso wichtiger ist es, den Kreislauf zu durchbrechen und es nicht weiterzugeben.

Eure

Zur Autorin:
Susanne Mierau ist Diplom-Pädagogin (Schwerpunkt Kleinkindpädagogik) und Familienbegleiterin. Sie arbeitete an der FU Berlin in Forschung und Lehre, bevor sie sich 2011 im Bereich bedürfnisorientierte Elternberatung selbständig machte. Ihr 2012 gegründetes Blog geborgen-wachsen.de und ihre Social Media Kanäle sind wichtige und viel genutzte freie Informationsportale für bedürfnisorientierte Elternschaft und kindliche Entwicklung. Susanne Mierau gibt Workshops für Eltern und Fachpersonal und spricht auf Konferenzen und Tagungen über kindliche Entwicklung, Elternschaft und Familienrollen.

Foto: Ronja Jung für geborgen-wachsen.de

Glück ist, wenn man so geliebt wird, wie man ist

Dürfen wir dich zu Beginn dieses Artikels zu einer kleinen Reflexion einladen?

Gehe in Gedanken in deine Kindheit und Jugendzeit zurück. Denke an deine engsten Bezugspersonen: deine Eltern, Großeltern oder andere Menschen, die wichtig waren. Welche Erwartungen an dich hast du von wem gespürt? Welche davon konntest du erfüllen, welche nicht? Welchen versuchst du heute noch zu entsprechen? Wie musstest du sein, was musstest du tun, um Liebe und Anerkennung zu erhalten? Und wie hat dich das geprägt?

Wenn du dich mit diesen Erfahrungen beschäftigst, wirst du vielleicht merken, dass sie einen großen Einfluss auf dein Selbstwertgefühl hatten und haben.

Was ist das „Selbstwertgefühl“?

Der Sozialpsychologe Morris Rosenberg definierte 1965 Selbstwertgefühl als eine Haltung oder Einstellung, die wir uns selbst gegenüber einnehmen. Seiner Definition zufolge empfindet sich eine Person mit hohem Selbstwertgefühl als «gut genug»; er glaubt, dass er als Mensch wertvoll ist und kann sich mit seinen positiven und negativen Facetten annehmen – ohne sich deswegen als etwas Besonderes zu sehen oder zu erwarten, dass andere ihn bewundern.

Für die Entwicklung unseres Selbstwertgefühls ist es entscheidend, welche Beziehungserfahrungen wir mit anderen machen. Wenn wir uns geliebt, geborgen, gesehen und angenommen fühlen, wächst unser Selbstwertgefühl. Fühlen wir uns zurückgewiesen, abgelehnt oder kritisiert, macht sich jemand lustig über uns oder zeigt sich verächtlich, dann leidet unser Selbstwertgefühl.

Unser Selbstwertgefühl kann aber nicht nur mehr oder weniger hoch sein, es kann auch mehr oder weniger stark an Bedingungen geknüpft sein.

Wenn Kinder und Jugendliche die Erfahrung machen, dass sie auf eine bestimmte Art und Weise sein oder sich verhalten müssen, um Wertschätzung und Zuneigung zu erfahren, bildet sich ein an Bedingungen geknüpftes Selbstwertgefühl aus. Ein Kind kann beispielsweise erleben:

  • Ich werde geliebt, wenn ich Leistung zeige, gute Noten und sportliche Erfolge erziele.
  • Ich bin nur dann liebenswert, wenn ich brav bin und meinen Eltern gehorche.
  • Damit mich meine Eltern annehmen können, muss ich mich den religiösen Überzeugungen meiner Familie anschließen.
  • Um Liebe und Anerkennung nicht zu verlieren, muss ich darauf achten, immer schlank, gutaussehend und vorzeigbar zu sein.
  • Liebe muss man sich verdienen, indem man besonders hilfsbereit ist und sich für andere aufopfert.

Natürlich finden wir es alle schön, wenn wir Erfolge erzielen, gut aussehen oder anderen Menschen helfen können und reagieren verunsichert, wenn dem nicht so ist. Problematisch wird es, wenn das Selbstwertgefühl so stark an bestimmte Bedingungen geknüpft ist, dass Kinder, Jugendliche und Erwachsene in eine regelrechte Krise stürzen, wenn sie diese für einmal nicht erfüllen können. Wenn sie sich bei einer schlechten Note gleich als Versager abstempeln und sich jede Prüfung anfühlt, als ginge es um Leben und Tod. Wenn sie sich schuldig fühlen, sobald sie eine Bitte ausschlagen oder für ihre Bedürfnisse einstehen. Wenn sie sich als bösen Sünder sehen, weil sie sich „schmutzigen Gedanken“ hingegeben oder unchristlich verhalten haben. Wenn sie sich nicht mehr um einen anderen Menschen kümmern können und sich deswegen als Nichtsnutz oder wertlos empfinden. Wenn sie befürchten, dass ihre Freunde sie nicht mehr mögen oder sie nie eine/n Partner/in finden werden, wenn sie ein, zwei Kilo zunehmen.

Wie Erwartungen uns den Blick auf unsere Kinder verstellen

Hand aufs Herz: Wir alle haben bestimmte Bilder und Erwartungen im Kopf, wünschen uns, dass unsere Kinder bestimmte Eigenschaften, Interessen oder Werte zeigen und reagieren vielleicht auch enttäuscht, wenn unsere Kinder nicht so sind. Vielleicht möchten wir, dass unser Kind besonders sozial und einfühlsam ist und sind irritiert, wenn es sich als dominanter Rowdy zeigt und gerne mit Waffen spielt. Manchmal verstellen uns unsere Wünsche auch den Blick auf das Kind. Sehr treffend drückt das Familylab-Leiter Matthias Volchert aus: „Kann ich dich noch sehen wie du bist, oder bestimmen meine Erwartungen schon mein Bild von dir?“

Ein Kinderbuch greift dieses Thema auf

So geht es auch Jaron, dem jungen Fuchs in unserem Buch „Jaron auf den Spuren des Glücks“. Dieser könnte sich sehr viel Schöneres vorstellen, als am Sonntagmorgen bei einem Fußballspiel auf dem Platz zu stehen. Nur leider hat sein Vater das Gefühl, dass ihm der Sport guttun und ihm dabei helfen wird, mehr Biss und Durchhaltevermögen zu entwickeln:

«Dieses blöde Fußball! Warum muss ich da hin? Vielleicht könnte ich sagen, dass ich krank bin…», denkt Jaron. Aber da schallt ihm bereits ein aufgeregtes «Morgen, Sportsfreund!» entgegen. Papa Fuchs steht am Herd und wendet Pfannkuchen – etwas, das er nur zu besonderen Anlässen tut.

Jaron lässt sich auf seinen Stuhl plumpsen, hängt sich über die Tischplatte und legt den Kopf auf die Arme. 

Ein Turm aus Pfannkuchen schiebt sich in sein Blickfeld. Der Ahornsirup läuft an den Rändern herunter und bedeckt die Himbeeren und die Sahne auf dem Teller. Jarons Lieblingsgericht! Doch heute starrt er mit einem Kloß im Hals auf den süßen Turm, der ihm unendlich groß erscheint. «Ich schaff das nicht», murmelt er.

«Du musst ja nicht alle essen», antwortet Papa Fuchs. «Zwei oder drei Pfannkuchen reichen sicher.» Der Vater klopft ihm auf die Schulter und setzt sich mit einer Tasse Kaffee zu Jaron an den Tisch. «Ist vielleicht sowieso besser. Mit vollem Magen rennt es sich nicht gut. Und wir wollen ja, dass du fit bist heute.»

Leider kann Jaron auch in seiner Mannschaft nicht auf Rückhalt zählen. Nachdem er im Finale den entscheidenden Elfmeter verschossen hat, schließen ihn seine Kameraden vom gemeinsamen Eisessen aus und machen sich über ihn lustig.

„Nicht gut genug“ zu sein begleitet uns oft lebenslang

In Seminaren und Beratungen mit Eltern und Fachpersonen merken wir immer wieder, dass das Gefühl, nicht zu genügen, erstaunlich viele Menschen seit der Kindheit begleitet.

Sie haben deutlich gespürt, dass sie für ihre Eltern, Lehrkräfte, aber auch Gleichaltrige zu laut, zu schüchtern, zu anstrengend, zu empfindlich, zu faul, zu ehrgeizig, zu unsportlich, zu dick oder zu uncool waren. Einige haben erlebt, dass sie für ihre Eltern etwas Besonderes sein müssen: Die Beste Schülerin, ein Spitzensportler – und man die Aufmerksamkeit der Eltern vor allem dann bekommt, wenn man aus der Masse herausragt. Manche fühlten sich nicht angenommen, weil sie nicht das ersehnte Geschlecht hatten, dem gängigen Rollenbild eines „richtigen Jungen“ oder eines „richtigen Mädchens“ nicht entsprachen oder vom Charakter her dem Expartner schmerzlich ähnelten, den die Mutter oder der Vater verteufelte. Einige hatten erlebt, dass ihre Eltern immer wieder davon sprachen, wieviel sie für die Kinder geopfert hatten, wie anstrengend die Vater- oder Mutterschaft für sie ist – und man als Kind dieses Opfer nur durch ganz viel Dankbarkeit und Angepasstheit aufwiegen kann.

Warum fällt uns bedingungslose Liebe manchmal so schwer?

Ein unabhängiges Selbstwertgefühl nimmt uns den Druck, immer etwas tun oder uns den Erwartungen anderer anpassen zu müssen, um geliebt zu werden.

Es entsteht, wenn Kinder und Jugendliche von verschiedenen Bezugspersonen immer wieder erfahren dürfen, dass sie auch dann geliebt und angenommen werden, wenn sie nicht deren Vorstellungen entsprechen.

Vielleicht geht es dir wie uns und es fällt dir auch nicht immer leicht, dein Kind im Alltag so anzunehmen, wie es ist? Vielleicht ertappst du dich auch manchmal dabei, wie dich dein Kind nervt, wie du deine Enttäuschung nicht verbergen kannst oder dein Mutter- oder Vaterherz vor lauter Stolz anschwillt, wenn dein Kind deine (unbewussten) Erwartungen erfüllt oder sogar übertrifft?

Auch wenn sich die Forderung, sein Kind bedingungslos zu lieben, in vielen modernen Elternratgebern wiederfindet, so ist sie doch relativ neu.

Es ist hilfreich, wenn wir uns vergegenwärtigen, dass dieses Konzept aus der Psychotherapie stammt. Beschrieben hat es als erster der humanistische Therapeut Carl Rogers, der Begründer der Gesprächspsychotherapie. Er ging davon aus, dass Menschen lernen können, sich selbst anzunehmen und schwierige Erfahrungen zu integrieren, wenn sie dabei von einem empathischen, authentischen und wertschätzenden Gegenüber begleitet werden. Dabei macht es sich der Therapeut zur Aufgabe, vorurteilsfrei zuzuhören.

Das ist natürlich in einem professionellen therapeutischen Setting deutlich einfacher als in engen, persönlichen Beziehungen. Um es mit einem plakativen Beispiel auszudrücken: Die Aussage „ich bin fremdgegangen“ ist für den Therapeuten einfacher zu ertragen als für die Partnerin.

Je enger die Beziehung zu unserem Gegenüber ist, je mehr sein Verhalten unser eigenes Leben beeinflusst und je stärker wir uns emotional mit jemandem verbunden fühlen, desto anspruchsvoller wird es, unbedingte Liebe zu zeigen.

Im Gegensatz zu einem neutralen Therapeuten haben wir Hoffnungen und Wünsche für unsere Kinder. Wir wollen das Beste für sie und ihnen ein glückliches Leben ermöglichen. Abhängig davon, wie wir aufgewachsen sind, haben wir sehr fixe Überzeugungen, was dazu nötig ist und welche Eigenschaften uns das ermöglichen. Entsprechend schnell läuten unsere Alarmglocken, wenn die Kinder vom vermeintlich „richtigen“ Weg abkommen: Manche Eltern sind so stark mit dem Schulerfolg ihrer Kinder identifiziert, dass sie vor Prüfungen schlaflose Nächte haben; andere geraten in Panik, wenn sich das Kind phasenweise „asozial“ verhält oder fürchten gleich um das Seelenheil des Kindes, wenn es sich von bestimmten Werten und religiösen oder politischen Überzeugungen ablöst.

Bedingungslose Liebe ist ein Geschenk

Wenn Eltern erkennen, dass bedingungslose Liebe wichtig ist, machen sie daraus zum Teil eine absolute Forderung: Du musst dein Kind stets annehmen und bedingungslos lieben!

Daraus leiten sie ab, dass sie nie wütend oder enttäuscht reagieren dürfen, schimpfen verboten ist und man sich sogar schuldig fühlen muss, wenn man sein Kind gelobt hat – schließlich ist doch auch das eine Form der Manipulation?

Bedingungslose Liebe wird plötzlich zu einem komplexen Regelwerk, an das man sich mit aller Verbissenheit halten muss, um keine schlechte Mutter, kein schlechter Vater zu sein.

Ohne es zu merken, tappt man erneut in die Falle der bedingten Wertschätzung: „Ich bin als Mutter oder Vater nur dann liebenswert, wenn ich alles richtig mache, meinem Kind gegenüber keine „negativen“ Gefühle zeige und es auf keine Art und Weise „manipuliere“.“

Wenn wir unseren Kindern bedingungslose Liebe schenken möchten, ist es hilfreich, wenn wir bei uns selbst beginnen und uns mit einer annehmenden und akzeptierenden Haltung begegnen.

Dazu dürfen wir uns bewusst machen: „Auch ich darf Fehler machen, ab und zu unangemessen reagieren, Gefühle haben, die mir nicht immer pädagogisch korrekt erscheinen – und kann trotzdem eine liebevolle Mama, ein liebevoller Vater sein.“

Anstatt uns selbst abzuwerten oder in Schuldgefühlen zu versinken, können wir uns annehmen und gleichzeitig Verantwortung für unsere Gefühle übernehmen. Das gelingt uns besser, wenn wir ehrlich mit uns sind und hinterfragen, welche Bilder, Wünsche und Bedürfnisse hinter unseren Reaktionen stehen:

  • „Jetzt habe ich meine Kinder wieder angeschrien. Es bringt mich so auf die Palme, wenn sie sich zoffen! Ich habe gedacht, mit einem zweiten Kind sei unser Familienglück perfekt. Ich habe mir das so schön vorgestellt, wenn sie immer einen Spielgefährten zu Hause haben – aber jetzt streiten die beiden pausenlos und sind eifersüchtig aufeinander. Ich merke gerade, dass mich das enttäuscht und ziemlich traurig macht.“
  • „Wenn ich sehe, dass mein Sohn so wenig für die Schule tut und ihn schlechte Note überhaupt nicht jucken, versetzt mich das in Rage! Wenn ich ehrlich bin, kriege ich es mit der Angst zu tun, dass er sich seine Zukunft verbaut und ich schuld daran sein werde, wenn ich das zulasse.“
  • „Mein Kind ist schon wieder so dominant und kommandiert die anderen rum. Am liebsten würde ich es von seinem hohen Ross herunterholen oder ihm die kalte Schulter zeigen! Es ärgert mich so, wenn sich Menschen über andere stellen, das weckt ganz viele schlechte Erinnerungen in mir. Ich habe immer darunter gelitten, wenn andere so bossy mit mir umgegangen sind.“

Zu dem Autor und der Autorin:
Fabian Grolimund ist Psychologe und Autor. Stefanie Rietzler ist Psychologin und Autorin. Ihr neues Kinderbuch Jaron auf den Spuren des Glücks“ geht der großen Frage nach dem Glück nach, das manchmal in kleinen Dingen steckt. Zudem schreiben beide regelmäßig für das Schweizer Elternmagazin Fritz+Fränzi. Mehr erfahren Sie unter mit-kindern-lernen-ch  

Foto: Ronja Jung für geborgenwachsen.de

„Ich will das aber haben!“ – Mit Kindern einkaufen gehen

Und da stehen wir: nach dem Kindergarten wollen wir eigentlich „noch schnell“ eine Runde einkaufen gehen für das Abendessen, schließlich haben wir es vorher nicht geschafft. Das Kind neben uns erzählt ein wenig vom Kindergartentag und auf einmal möchte es so viel haben: dieses Joghurt hier mit dem lustigen Aufdruck, eine Süßigkeit da und dann geht es auch noch vorbei an den Kinderzeitschriften mit buntem Plastikspielzeug von den Fernsehsuperheld*innen. Und als wir an der Kasse ankommen, gibt es da auch noch einmal eine ganze Reihe an scheinbar leckeren Dingen. Sollen wir das wirklich alles kaufen? Spätestens jetzt, vielleicht schon früher ist der Moment da: Das Kind beginnt, vehementer einzufordern, schreit vielleicht, wird wütend. – Ein immer wieder auftretendes Problem, nur was lässt sich da tun?

Verständnis für das Kind

Ein typischer Zeitpunkt für das Einkaufen ist die Zeit nach dem Kindergarten: die Erwerbsarbeit ist vorbei, das Kind vom Kindergarten abgeholt, auf dem Weg nach Hause liegt der Einkaufsladen. Es könnte doch so einfach sein. Aber das Kind hat einen anstrengenden Tag hinter sich und auch wenn die Zeit im Kindergarten schön war, bedeutet sie auch oft, dass Kinder über mehrere Stunden viele Kooperationen eingehen müssen und viele Reize verarbeiten.

Nach dem Kindergarten passiert es ohnehin nicht selten, dass die Kinder sich erst einmal auf die andere Bezugsperson (meistens die Eltern) einstellen müssen, also eine Änderung der Bezugsperson vollzogen werden muss, und dass sie dort auf einmal Nähe und Zuwendung einfordern, vielleicht indem sie sich nun anziehen oder tragen lassen wollen oder auch eine Kleinigkeit zu essen oder zu trinken fordern. Vielleicht wollen sie sich jetzt erst einmal fallenlassen.

Nun auch noch einkaufen zu gehen, kann für das Kind, das schon viel kooperieren musste und erschöpft ist, vielleicht auch gerade etwas ganz anderes machen möchte, eine Herausforderung sein. Dazu kommen noch die vielen Reize im Einkaufsladen, die genau auf Kinder zugeschnitten sind. Wenn Mama oder Papa ohnehin einkaufen, dann kann es doch auch dieses oder jenes für mich sein? Einen Überblick über Kosten und gesunde Ernährungsweise können wir von unseren Kindergartenkindern noch nicht erwarten.

Bei dem beständigen Versagen von gewünschten Dingen passiert es schnell, dass das Kind emotional reagiert – je jünger, desto schwieriger ist es, die Emotionen reguliert zu zeigen. Sie brechen „einfach“ hervor. Und unser „Nein“ zu all den aus Kinderperspektive tollen Dingen kann ganz schön belastend sein für ein Kind.

Verständnis für die Erwachsenen

Auf der anderen Seite ist da ein Elternteil, das auch erschöpft ist vom Tag. Vielleicht ist auch hier die Kooperationsbereitschaft schon etwas eingeschränkt und der Wunsch groß, einfach schnell fertig zu werden, nach Hause zu kommen und die Beine hoch zu legen. Natürlich können Erwachsene viel besser mit ihren Gefühlen umgehen und dennoch sind auch sie manchmal erschöpft, müde, überreizt und es fällt nicht mehr so leicht, geduldig zu sein. Vielleicht ist es auch nicht so einfach, dass das Kind beständig so viele Wünsche hat, die sich nicht alle erfüllen lassen.

Und gerade dann, wenn um einen herum so viele Augenpaare sind, die das wütende Kind kritisch in den Blick nehmen, kann das auch zusätzlich belastend sein und weiteren Stress erzeugen.

Gemeinsam durch den Einkauf

Natürlich ist es, solange der Einkauf mit Kind emotional immer wieder aufreibend ist, praktisch, wenn er irgendwie ohne Kind organisiert werden kann: vor dem Abholen, durch eine andere Person oder als Großeinkauf am Wochenende. Aber nicht immer ist das möglich. Was helfen kann sind folgende Punkte:

  • eine festgelegte Einkaufsliste haben (hilft auch dem Elternteil, wirklich bei den Dingen zu bleiben, die man wirklich kaufen will)
  • erklären, was jetzt passieren wird und was gekauft wird
  • das Kind einbinden in das „Finden“ von Lebensmitteln
  • eventuell dem Kind schon vorab sagen, dass es sich eine Sache aussuchen darf
  • wenn es doch zu einem Wutausbruch kommt: ruhig bleiben, die Gefühle des Kindes annehmen und versuchen, eventuell kritische Kommentare oder Blicke auszublenden
  • wenn man selbst nicht in der Situation mit einem wütenden Kind ist, aber andere Eltern in dieser Situation antrifft: Verständnis signalisieren – wir kennen das alle
  • langfristig mit größeren Kindergartenkindern: zusammen die Einkaufsliste schreiben und ggf. einen Wochenplan für die Speisen machen, bei dem alle berücksichtigt werden und ihre Wünsche einbringen können

Eure

Zur Autorin:
Susanne Mierau ist Diplom-Pädagogin (Schwerpunkt Kleinkindpädagogik) und Familienbegleiterin. Sie arbeitete an der FU Berlin in Forschung und Lehre, bevor sie sich 2011 im Bereich bedürfnisorientierte Elternberatung selbständig machte. Ihr 2012 gegründetes Blog geborgen-wachsen.de und ihre Social Media Kanäle sind wichtige und viel genutzte freie Informationsportale für bedürfnisorientierte Elternschaft und kindliche Entwicklung. Susanne Mierau gibt Workshops für Eltern und Fachpersonal und spricht auf Konferenzen und Tagungen über kindliche Entwicklung, Elternschaft und Familienrollen.

Foto: Ronja Jung für geborgen-wachsen.de

Zur Autorin:
Susanne Mierau ist Diplom-Pädagogin (Schwerpunkt Kleinkindpädagogik) und Familienbegleiterin. Sie arbeitete an der FU Berlin in Forschung und Lehre, bevor sie sich 2011 im Bereich bedürfnisorientierte Elternberatung selbständig machte. Ihr 2012 gegründetes Blog geborgen-wachsen.de und ihre Social Media Kanäle sind wichtige und viel genutzte freie Informationsportale für bedürfnisorientierte Elternschaft und kindliche Entwicklung. Susanne Mierau gibt Workshops für Eltern und Fachpersonal und spricht auf Konferenzen und Tagungen über kindliche Entwicklung, Elternschaft und Familienrollen.

„Aber ich will das gerade jetzt so gerne!“ – Wenn Elternwünsche und Kinderwünsche auseinandergehen

Die meisten Eltern von Kleinkindern kennen jene Situation, in der sich ein Kind voller Freude einer Tätigkeit hingibt und darin aufgeht, die aber leider so nicht stattfinden kann. Auch wenn wir unseren Kindern viele Freiheiten geben, gibt es immer auch Grenzen des Handelns und soziale Regeln, die eingehalten werden sollen. Gerade im Spiel kleiner Kinder können solche Grenzen schnell erreicht werden, da sie die Folgen ihres Handelns noch nicht gut absehen können: Vielleicht wollen sie mit einem Glas in der Hand und noch wackeligen Laufkünsten losrennen, mit einem Gegenstand oder Fingern an der Steckdose spielen oder auf Möbel in der Wohnung viel zu hoch hinauf klettern: Was es auch sein mag – in jeder Familie gibt es Situationen, in denen dem kindlichen Handeln Einhalt geboten werden muss. Aber das Kind sieht die Situation ganz anders und reagiert nicht mit jenem Verständnis, mit dem wir die Situation beurteilen.

Wut durch Grenzen beim Kind

Grenzen sind wichtig und ergeben sich jeden Tag. Anhand der Grenzen lernen Kinder, wie sie mit anderen Dingen und Menschen umgehen können, wie wir uns in einer Gesellschaft verhalten. Dennoch ist das Kind ein Kind und kann mit Frustration in den ersten Jahren noch schwer umgehen. Spürt das Kind in seinem Handeln eine enorme Freude, spielt es ausgiebig und neugierig, gerät vielleicht sogar in einen Zustand des Flow und wird dann von einer Bezugsperson darin unterbrochen, ist es wütend, enttäuscht und verärgert. Die Wut bezieht sich einerseits darauf, die Situation beenden zu müssen, die gerade so Freude bereitet hat, aber auch auf das Verhalten der untersagenden Bezugsperson. Aber diese untersagende Person ist gerade in einer Situation, in der das Kind die eigenen Gefühle nicht allein gut verarbeiten kann, zugleich auch wichtig. Ein schwieriger Konflikt für das Kind: Ich bin wütend auf dich, gleichzeitig brauche ich dich jetzt.

Ambivalenz des Kindes aushalten

Für Eltern und Kind ist es nun wichtig, diese Ambivalenz des Kindes auszuhalten und zu begleiten: Als Eltern sollten wir Verständnis für die Lage des Kindes aufbringen und die Verärgerung des Kindes verstehen: Es ist verständlich und okay, dass du jetzt sauer bist. Gleichzeitig können wir aufgrund der Verärgerung des Kindes aber die Situation nicht verändern, nicht nachgeben, wenn es es eine Situation ist, in der eine Grenze wichtig und notwendig ist. Unsere Aufgabe ist es daher, das Gefühl der Verärgerung zu verstehen und zu begleiten.

Die Erwartungshaltung unserer Kinder steigt ins Unermessliche, wenn sie keine natürlichen Grenzen aufgezeigt bekommen, keine Grenzen spüren dürfen. sie lernen nicht, dass Konflikte Teil von Beziehungen sind und wie damit umzugehen ist, und wir enthalten ihnen wichtige Beziehungsaspekte vor, die sie für ihre Entwicklung brauchen.

Susanne Mierau „Frei und unverbogen“ S. 163

Vielleicht ist das Kind aktuell so wütend, dass es Nähe oder andere Beruhigungsangebote nicht annehmen kann. Hier können wir abwarten (das Kind und andere vor Verletzung schützen, wenn das durch die Verärgerung droht) und mit diesem Abwarten und eigener Ruhe vermitteln, dass wir präsent sind und zwar eine Sache nicht erlauben können, aber dennoch das Kind nicht ablehnen, weil es diese Sache machen/haben wollte. Ist das Kind wieder für Worte und Begleitung zugänglich, können wir es trösten und eventuell abschließend über die Situation sprechen.

Eure

Zur Autorin:
Susanne Mierau ist Diplom-Pädagogin (Schwerpunkt Kleinkindpädagogik) und Familienbegleiterin. Sie arbeitete an der FU Berlin in Forschung und Lehre, bevor sie sich 2011 im Bereich bedürfnisorientierte Elternberatung selbständig machte. Ihr 2012 gegründetes Blog geborgen-wachsen.de und ihre Social Media Kanäle sind wichtige und viel genutzte freie Informationsportale für bedürfnisorientierte Elternschaft und kindliche Entwicklung. Susanne Mierau gibt Workshops für Eltern und Fachpersonal und spricht auf Konferenzen und Tagungen über kindliche Entwicklung, Elternschaft und Familienrollen.

Foto: Ronja Jung für geborgen-wachsen.de

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Susanne Mierau ist Diplom-Pädagogin (Schwerpunkt Kleinkindpädagogik) und Familienbegleiterin. Sie arbeitete an der FU Berlin in Forschung und Lehre, bevor sie sich 2011 im Bereich bedürfnisorientierte Elternberatung selbständig machte. Ihr 2012 gegründetes Blog geborgen-wachsen.de und ihre Social Media Kanäle sind wichtige und viel genutzte freie Informationsportale für bedürfnisorientierte Elternschaft und kindliche Entwicklung. Susanne Mierau gibt Workshops für Eltern und Fachpersonal und spricht auf Konferenzen und Tagungen über kindliche Entwicklung, Elternschaft und Familienrollen.

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Was ist hier EIGENTLICH los? Absichten hinter dem Verhalten von Kindern erkennen

Viele Eltern fragen sich an der ein oder anderen Stelle im Alltag mit ihren Kindern: „Warum nur macht das Kind dieses oder jenes?“ Oder auch: „Was soll das? Es weiß doch genau, dass…“ oder eben doch auch mal „Will es mich vielleicht doch nur ärgern?“ Nicht immer, aber oft ist das Verhalten des Kindes eher als Symptom eines Bedürfnisses zu betrachten, denn als eigenständige Aussage: Es versucht, mit dem Verhalten auf etwas anderes hinzuweisen. Gerade auch dann, wenn es sich sprachlich noch nicht besonders differenziert ausdrücken kann oder auch, wenn sich problematische Verhaltenskreisläufe eingespielt haben.

Das Verhalten des Kindes ansehen

In jenen Situationen, in denen wir dazu geneigt sind, uns über das Verhalten des Kindes zu ärgern, sollten wir zunächst das Verhalten einmal genau in den Blick nehmen: Was tut das Kind hier? Ein besonderer Blick ist dabei nicht nur auf die konkrete Handlung zu richten, sondern auch auf die Rahmenbedingungen: Ist das Kind müde? Ist es erschöpft nach einem Kita- oder Schultag? Geschieht dieses Verhalten (immer) im Zusammenhang mit anderen Kindern? Passiert es immer zu einer bestimmten Tageszeit, beispielsweise nach dem Abendessen, nach dem Aufwachen?

Solche Rahmenbedingungen können uns bereits einen guten Hinweis darauf geben, was genau das Kind leitet und damit den Blick davon weglenken, dass das Kind uns „nur ärgern“ möchte, einen Machtkampf ausübt oder das scheinbar negative Verhalten nur für sich steht.

Von Bedürfnissen geleitet

Das Verhalten der Kinder wird – wie bei uns Erwachsenen – von ihren Bedürfnissen geleitet. Während Erwachsene diesen aber oft noch besser nachspüren und sie erkennen können (obwohl selbst viele Erwachsene Schwierigkeiten damit haben, die eigenen Bedürfnisse richtig wahrzunehmen, Signale zu interpretieren oder den Bedürfnissen auch wirklich nachzugehen), können Kinder ihr Verhalten noch nicht so konkret zurückführen auf bestimmte Bedürfnisse. Sie sagen nicht: „Ich bin so müde und erschöpft, deswegen habe ich keine Energie für lange Diskussionen und hab einfach mit Dir über das Käsebrötchen gestritten.“ oder „Es war ein anstrengender Tag und ich brauche jetzt einfach jemanden, der mich in den Arm nimmt, mir zuhört und mir Liebe zeigt.“.

Es liegt an ihren Bezugspersonen, ihre Signale wahrzunehmen, richtig zu interpretieren und darauf dann angemessen zu reagieren. Auch wenn die Bedürfnisse bei verschiedenen Menschen insgesamt gleich sind, können sie sich in der Art, wie sie erfüllt werden sollen, unterscheiden und auch in ihrer Gewichtung. Ein Kind kann Nähe einfordern durch ganz bewusstes kuscheln, ein anderen beim Vorlesen eines Buches und das nächste durch gemeinsames Toben. Insgesamt können wir aber annehmen, dass die Bedürfnisse nach Nahrung, Schlaf/Ruhe/Entspannung, Sicherheit, Autonomie, Wertschätzung etc. bei allen Personen vorhanden sind und ihr Handeln leiten.

Gemeinsam die Ursache erkunden

Gerade wenn Kinder starke Bedürfnisse ausdrücken und wütend/traurig/enttäuscht sind, lohnt es sich, nicht nur auf den konkreten Auslöser dieses Gefühlsausdrucks zu blicken, sondern darauf, wofür dieses starke Gefühl jetzt gerade steht, denn nicht nur uns Erwachsenen fällt es manchmal schwer, zu erkennen, was das Kind gerade leitet, sondern auch dem Kind. Mit einem gemeinsamen Erkunden können wir dem Kind helfen, ein besseres Gespür für sich, die eigenen Gefühle und Bedürfnisse zu bekommen.

Gemeinsam auf die Spur begeben können wir uns beispielsweise damit, dass wir (sobald das Kind wieder gut sprachlich zu erreichen ist nach einem Wutanfall), zunächst die Situation noch einmal wertfrei beschreiben. Wenn das Kind beispielweise ausdrückt, dass es sich von anderen Personen geärgert oder gestört gefühlt hat, können wir dem nachgehen und fragen „Du fandest doof, was ich gemacht habe?“. Bejaht das Kind dies, können wir gemeinsam auf die Suche nach einer passenden Gefühlsbeschreibung gehen: verärgert? enttäuscht? wütend? Im nächsten Schritt kann dann betrachtet werden, wofür dieses Gefühl steht: Du wolltest das selber/anders machen (Selbständigkeit)? Du wolltest, dass ich das für dich mache (Sicherheit)? Du wolltest, dass ich dabei zusehe (Wertschätzung)?… Auf diese Weise können wir das eigentliche Bedürfnis hinter dem Verhalten sehen und die Situation klären.

Dabei bekommen wir nicht nur einen Blick dafür, was das Kind jetzt gerade geleitet hat, sondern wenn wir konsequent in schwierigen Situationen unseren Blick für die Gefühle und Bedürfnisse des Kindes öffnen, erhalten wir einen Blick dafür, welches Bedürfnis vielleicht gerade besonders vom Kind als Mangel erlebt wird und können unseren Alltag darauf ausrichten, dieses ganz bewusst mehr einzubinden und damit Konfliktsituationen vorbeugen.

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Susanne Mierau ist Diplom-Pädagogin (Schwerpunkt Kleinkindpädagogik) und Familienbegleiterin. Sie arbeitete an der FU Berlin in Forschung und Lehre, bevor sie sich 2011 im Bereich bedürfnisorientierte Elternberatung selbständig machte. Ihr 2012 gegründetes Blog geborgen-wachsen.de und ihre Social Media Kanäle sind wichtige und viel genutzte freie Informationsportale für bedürfnisorientierte Elternschaft und kindliche Entwicklung. Susanne Mierau gibt Workshops für Eltern und Fachpersonal und spricht auf Konferenzen und Tagungen über kindliche Entwicklung, Elternschaft und Familienrollen.

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Susanne Mierau ist Diplom-Pädagogin (Schwerpunkt Kleinkindpädagogik) und Familienbegleiterin. Sie arbeitete an der FU Berlin in Forschung und Lehre, bevor sie sich 2011 im Bereich bedürfnisorientierte Elternberatung selbständig machte. Ihr 2012 gegründetes Blog geborgen-wachsen.de und ihre Social Media Kanäle sind wichtige und viel genutzte freie Informationsportale für bedürfnisorientierte Elternschaft und kindliche Entwicklung. Susanne Mierau gibt Workshops für Eltern und Fachpersonal und spricht auf Konferenzen und Tagungen über kindliche Entwicklung, Elternschaft und Familienrollen.

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Warum es uns manchmal so schwer fällt, Gefühle von Babys zu begleiten

Mit einem Kind brechen wir nicht nur gewissermaßen in ein neues Leben auf, sondern werden auch zurückgeführt an den Anfang unseres eigenen Lebens. Besonders dann, wenn es um die Emotionen geht: Da liegt dieses kleine, weinende Baby in unseren Armen und wir wissen nicht, wie wir dieses Weinen begleiten sollen. Schließlich versteht es nicht unsere Worte, versteht nicht unsere Erklärungen und weiß nicht, dass das, was es jetzt gerade fühlt, wahrscheinlich bald vorüber geht. Es weint scheinbar untröstlich und anhaltend. Vielleicht fühlen wir uns hilflos oder sogar überfordert. Denn tief in uns verbirgt sich das Gefühl, dass das Weinen des Kindes beendet werden muss.

Weinen ist ein wichtiges Signal

Aber ganz so einfach ist es nicht: Natürlich ist das Weinen eines Babys ein wichtiges Signal an die Bezugspersonen, dass etwas nicht in Ordnung ist: ob nun Hunger, Schmerz, Nähebedürfnis – wird auf die leiseren Signale nicht reagiert oder ist das Kind in seinem Gefühlsausdruck ohnehin schnell von 0 auf 100, wird das Unwohlsein mit Weinen und Schreien ausgedrückt und führt dazu, dass sich die Bezugspersonen dem Baby zuwenden. Wir spüren Stress durch dieses Weinen und sind bemüht, die Not des Kindes zu beenden. Ein von der Natur sinnvoll eingerichtetet System, um auf die Bedürfnisse von Babys einzugehen. Eigentlich haben über verschiedene Kulturen hinweg Eltern den Impuls, ein weinendes Baby hoch zu nehmen, es zu tragen und mit ihm zu sprechen. Das belegt eine Studie aus dem Jahr 2017, in der die Reaktionen von 648 Frauen aus elf verschiedenen Ländern auf das Weinen von Babys untersucht wurde. Und trotzdem fällt es uns oft gar nicht so leicht, das Weinen anzunehmen, zu begleiten oder über einen längeren Zeitraum auszuhalten. 

Von der interpersonellen zur intrapersonalen Emotionsregulation

Für die Emotionsregulation eines Babys sind die Bezugspersonen von besonderer Bedeutung: Sie müssen die Signale des Babys wahrnehmen, richtig interpretieren und dann passend beantworten. Auf jeder dieser einzelnen Ebenen kann es zu Kommunikationsproblemen kommen: wir nehmen nicht richtig wahr interpretieren falsch oder geben die falsche Antwort. Dass solche Fehlinterpretationen vorkommen, ist völlig normal und sogar sinnvoll: Durch die kleinen Unachtsamkeiten der Bezugspersonen haben Babys nämlich auch die Chance, sich in der Selbstregulation ein wenig zu üben. Interpretieren wir also ab und zu falsch oder reagieren zu spät, hat das Kind vielleicht schon eine eigene Antwort gefunden und sich beruhigt. Das passiert manchmal, aber nicht immer und nicht in jeder Problemsituation. Eigentlich erfolgt für das Baby recht lange eine Regulation von Emotionen von außen, die man auch als “interpersonelle Emotionsregulation” bezeichnet. Durch diese Art der Regulation durch eine andere Person lernt das Baby nach und nach, die eigenen Emotionen zu verstehen und passend darauf zu antworten, die Gefühle also selbst zu regulieren über “intrapersonale Emotionsregulation”. In der ersten Zeit sind diese Gefühle, die begleitet werden wollen, insbesondere Hunger, Müdigkeit, Schmerzen und Angst.* 

Werden die Gefühle des Kindes hingegen immer wieder absichtlich oder unabsichtlich nicht berücksichtigt oder nicht richtig interpretiert, kann sich das langfristig auf die emotionale Entwicklung auswirken und es fällt zunehmend schwer, die eigenen Gefühle zu verstehen und auch die von anderen Menschen. In einer Generation von Eltern, die als Babys oft noch “schreien gelassen” wurden, um keine kleinen Tyrannen heranzuziehen oder das Kind zur Anpassung zu erziehen an die Erwachsenenbedürfnisse, und in der Kinder nicht wütend sein durften, sondern Wut mit Bestrafung oder gar körperlicher Gewalt bestraft wurde, fällt es nun vielen Eltern schwer, mit den emotionalen Signalen ihrer eigenen Kinder gut umzugehen: Wir wissen eigentlich, dass das Weinen begleitet werden sollte, aber es fällt uns schwer, dieses Weinen anzunehmen, auszuhalten und auch passend darauf zu reagieren. Vielleicht ruft es in uns sogar jene Ungeduld hervor, die wir selbst gespürt haben als Kind und wir sind verleitet, die Gefühle nicht deswegen beenden zu wollen, um das Kind zu trösten, sondern weil wir sie selber nicht aushalten und/oder uns aus der gespürten Hilflosigkeit befreien wollen.

Trösten, um zu trösten statt trösten, damit Ruhe herrscht

Der Unterschied zwischen dem “Ich tröste mein Kind, damit es endlich still ist” und “Ich tröste mein Kind, um es zu trösten” ist dabei groß: Die Intention, ein Gefühl lediglich abstellen zu wollen, hält den Kreislauf der mangelnden Zuwendung und Anerkennung unserer Gefühle am Laufen: Diese Abspaltung bestimmter Gefühle oder gar Blindheit gegenüber Gefühlen kann sich in den späteren Jahren auf das psychische und soziale Wohlergehen auswirken. Die Intention, ein Leid nicht unseretwegen, sondern des Kindes wegen beenden zu wollen, unterbricht hingegen diesen Kreislauf und erlaubt einen gesunden, ehrlichen Umgang mit der breiten Palette an Gefühlen und auch in späteren Jahren einen gesunden Umgang mit Emotionen sich selbst und anderen gegenüber. 

Es ist wichtig, zu erkennen, ob ein Weinen des Babys durch eine bestimmte Ursache hervorgerufen wurde, die wir beenden können, beispielsweise wenn das Baby hungrig ist. Daneben gibt es aber auch viele Situationen, in denen wir den Grund des Weinens vielleicht nicht finden oder nicht beheben können, beispielsweise wenn die Kinder überreizt sind und ihre Anspannung durch das Weinen herauslassen. In diesem Fall können und sollten wir nicht versuchen, das Weinen vehement abstellen zu wollen, sondern sollten das Weinen begleiten. Begleiten meint, dass wir vielleicht keine Antwort finden, aber das Baby im Arm halten und das Gefühl, das es gerade ausdrückt so lange zulassen, bis es sich in unseren Armen beruhigt hat. So lernt es, dass alle Emotionen sein dürfen und nicht unterdrückt werden müssen, was auch in späteren Jahren eher einen guten Umgang mit Stress ermöglicht.** Ebenso wenig hilfreich wie ein Unterdrücken von Emotionen ist es, das Baby mit dem das Weinen auslösendem Problem allein zu lassen in einem anderen Raum: Wir können Babys durch Zuwendung und Beruhigung nicht verwöhnen, genausowenig wie wir ihnen durch mangelnde Zuwendung nicht einen gesunden Umgang mit Gefühlen vermitteln können.

Merken Eltern, dass sie mit der Begleitung des Weinens Probleme haben, in immer größeren Stress geraten oder sogar verleitet sind, das Baby mit Gewalt zum Schweigen zu bringen, brauchen sie Hilfe. Oft liegt eine eigene traumatische Erfahrung hinter diesem Impuls. Niemand muss sich dafür schämen, mit dem Weinen oder anderen herausfordernden Situationen mit einem Baby nicht zurecht zu kommen. Die früheren Umgangsweisen mit Babys und Kleinkindern haben dazu geführt, dass Probleme beim Begleiten von Emotionen keine Einzelfälle sind, sondern durchaus viele Eltern betreffen. Wichtig ist, dass wir heute durch Unterstützung lernen, diese Belastung nicht mehr weiter zu geben und unseren Kindern von Anfang an einen gesunden Umgang mit Emotionen ermöglichen und durch eine passende Unterstützung auch wieder einen Zugang zu unseren eigenen Emotionen erhalten.

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* vgl. Welding, Carlotta (2021): Fühlen lernen. Warum wir so oft unsere Emotionen nicht verstehen und wie wir das ändern können. – Stuttgart: Klett-Cotta, S. 71f.

**Solter, Aletha J. (2015): Warum Babys weinen. Die Gefühle von Kleinkindern. – 3. Aufl. München: Kösel, S. 87.

Raus aus der Konfliktspirale mit Kleinkindern

Kinder haben oft ihre eigenen Vorstellungen davon, wie Situationen gestaltet werden sollen und welchen Anteil sie darin wie einnehmen. Viele Alltagssituationen sind für sie vor allem Lernsituationen: Sie lernen im Alltag etwas über die Welt, sich in ihr zu bewegen, ihre Regeln und das Zusammenleben. Deswegen wollen sie aktiv am Alltag teilhaben und reagieren mit Verärgerung bis Wut, wenn wir ihnen die Selbständigkeit nicht zugestehen wollen oder gerade nicht können.

Im ersten Lebensjahr erwirbt das Kind die grundlegenden Fähigkeiten, die es für das Leben benötigt. Es beginnt die Umgebungssprache zu verstehen und die ersten Worte darin mitzuteilen und lernt, sich fortzubewegen. In dieser Zeit lassen wir unserem Kind meist noch viel Spielraum, um diese Kompetenzen zu erwerben. Erst wenn es krabbelt und nach Dingen fasst, die es nicht erreichen soll, greifen wir mit einem „Nein!“ ein. Hier treffen verschiedene Vorstellungen aufeinander. Oft reagieren schon Babys mit Verärgerung darauf, wenn ihnen Dinge untersagt werden, doch lassen sie sich noch leichter ablenken und trösten als ein Kleinkind.

S. Mierau „Ich! Will! Aber! Nicht!“ S. 17

Die Nein-doch- oder Doch-nein-Spirale

In den Situationen, in denen sich ein Konflikt zwischen Elternteil und Kind ergibt, stehen wir uns also gegenüber: Elternteil, der etwas einfordert oder verbietet und Kind, das das Gegenteil will von dem, was die erwachsene Person gerade wünscht. Nicht selten begeben wir uns in eine Diskussionsspirale, die sich emotional immer weiter auflädt: „Ich möchte (nicht), dass du dieses oder jenes tust!“ während das Kind mit einem „Doch!“ oder „Nein!“ kontert, woraufhin wir wieder unseren Wunsch vorbringen. Sowohl Kind als auch erwachsene Person werden in jedem weiteren Durchgang dieses Gespräches verärgerter. Nicht selten gerät das Kleinkind in eine Wutsituation, aus der es aufgrund der aktuellen Gehirnreife noch nicht von allein heraus kommt, vielleicht versucht es mit Aufstampfen, Schlagen oder Beißen seine Gefühle auszudrücken. Je stärker das Kind in die Wutsituation gerät, desto weniger erreichbar ist es für unsere Worte und vielleicht gesellt sich zum ursprünglichen Problem nun noch die Wutsituation und das Verhalten des Kindes dazu, das die Verärgerung bei der erwachsenen Person noch weiter steigen lässt.

Frühzeitig aus der Spirale aussteigen

Diskurse mit Kindern sind kein Machtkampf. Sie wollen nicht aufbegehren gegen unsere Wünsche, weil sie eine Machtstellung beanspruchen wollen, sondern sie versuchen, ihren (durchaus sinnvollen) Wunsch nach Lernen und Selbständigkeit durchzusetzen. Dementsprechend geht es in solchen Diskussionen nicht darum, wer das letzte Wort behält. Es geht darum, hinter das Verhalten und dem Wunsch des Kindes das Bedürfnis zu sehen und auf dieses zu reagieren. Wenn wir also statt eines „Nein!“ oder „Doch!“, statt eines sturen Beharrens auf unseren Vorschlag, genau auf das ursprüngliche Bedürfnis des Kindes eingehen, können wir aus dem negativen Kreis aussteigen.

Ein Eingehen auf das Bedürfnis meint dabei nicht, dass wir diesem immer nachgeben müssen: Natürlich gibt es Situationen, in denen wir unsere erwachsene Vorgehensweise umsetzen müssen, wenn wir beispielsweise einen wichtigen Termin haben oder das Kind in einer sonst gefährlichen Situation wäre. Aber anstatt dem Kind mit dem Gefühl von „Du musst machen, was ich will, weil ich es besser weiß“ entgegen zu treten, können wir dem Kind sagen, dass wir das eigentliche Bedürfnis gesehen haben: „Nein, das geht nicht. Hier an der Straße kannst du nicht balancieren, aber wir suchen jetzt zusammen einen anderen Ort dafür.“ „Doch, wir müssen jetzt gehen. Du möchtest lieber noch etwas bleiben, das verstehe ich. Morgen planen wir es anders.“

Auch wenn unsere Kinder dennoch unzufrieden sind, hilft es ihnen, wenn sie sich gesehen und verstanden fühlen. Wenn sie wissen, dass ihre Bedürfnisse erkannt wurden und zu einem anderen Zeitpunkt (dann auch wirklich) berücksichtigt werden. Wir können damit nicht das Problem an sich aus der Welt schaffen, dass das Kind gerade etwas anderes tun wollte. Und wir müssen als Eltern nicht selten die starken Gefühle unserer Kinder begleitend aushalten. Oftmals können wir aber durch diese Art des Gespräches einem größeren Streit vorbeugen und ihnen trotz der Differenz das gute Gefühl mitgeben, dass wir sie wahrnehmen in ihren Bedürfnissen.

Eure

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Foto: Ronja Jung für geborgen-wachsen.de

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Natürlich darfst du wütend/traurig/ängstlich sein…

Viele Erwachsene geben als Lebensziel etwas an wie „Erfolg haben“, „es sich gut gehen lassen können“ oder schlicht „glücklich sein“. Und auch wenn das durchaus Ziele sind, die man haben kann, besteht unser Alltag eben nicht nur daraus. Manchmal liegt aber der Fokus so sehr auf den freudigen und glücklichen Zielen und Möglichkeiten, dass Wut, Trauer oder Angst nur noch als störend betrachtet werden. Als Gefühle, die unbedingt vermieden werden müssen, die keinen Platz haben dürfen auf dem Weg zum Glück. Nicht nur bei uns Erwachsenen, sondern auch bei den Kindern. „Jetzt sei mal wieder fröhlich!“, „Komm, lächel mal wieder!“, „Trübsal blasen bringt doch nichts!“ – all diese Sätze werden gar nicht so selten zu Kindern gesagt.

Bedeutet eine glückliche Kindheit, immer nur Glück zu fühlen?

Unser Leben allerdings besteht aus vielen verschiedenen Gefühlen und jedes Gefühl darin darf sein und hat Platz. Denn wenn wir uns wünschen, dass unsere Kinder glücklich sein sollen, meinen wir damit eigentlich, dass es ihnen gut gehen soll. Gut geht es ihnen aber nicht, wenn sie zum Glücklichsein gezwungen werden durch beständige Aufforderung dazu oder durch Unterdrückung und Vernachlässigung der anderen Gefühle. Glücklich können Kinder dann sein, wenn sie von ihren Eltern so angenommen werden, wie sie sind und wie sie fühlen. Wenn sie sicher sein können, dass all ihre Gefühle wahrgenommen und begleitet werden ohne Wertung. Wenn sie ihre Gefühle ausleben können und von ihren Eltern darin begleitet werden, nach und nach den Ausdruck von Gefühlen gut selbst moderieren zu können bzw. zu wissen, wann sie bei welchen Gefühlen auch weiterhin die Hilfe und Unterstützung von anderen in Anspruch nehmen sollen und können.

Einige Situationen lassen sich leichter begleiten, andere schwerer

Es ist nicht immer einfach, sich den Gefühlen von Wut, Trauer, Ärger, Verzweiflung, Angst von Kindern zu stellen. Während es uns vielleicht noch leicht fällt, wenn das Kind erklärt, dass es Angst vor einem Monster unter dem Bett hat, diese Angst aufzufangen und mit Einfühlungsvermögen und Sicherheit zu begleiten, fällt es uns aber oft schwerer, wenn das Kind sagt, dass es uns nicht mehr lieb hat oder sogar hasst oder den anderen Elternteil viel lieber mag als uns.

Oft spielen hier eigene Verletzungen, innere Bilder und schwierige Kindheitserfahrungen hinein, die es uns schwer machen, diesem Gefühl des Kindes wirklich nachzugehen und es nicht lieber einfach zur Seite schieben zu wollen mit einem „Das ist aber nicht nett!“ oder dem Versuch, die eigene Verletzung in den Vordergrund zu schieben mit einem „Wenn du das sagst, dann machst du mich aber ganz traurig!“. Es fällt manchmal schwer, sich dem Gefühl zu stellen, dass man selbst ein unbehagliches Gefühl beim Kind durch eigenes Verhalten hervorgerufen hat. Oder ein Gefühl zu begleiten, das man selbst als Kind nicht haben durfte.

Alle Gefühle dürfen sein

Ein Gefühl der glücklichen Kindheit geben wir ihnen also nicht durch viele Dinge und auch nicht durch die Vermeidung oder Unterdrückung von Wut, Ärger, Trauer, Angst etc. mit, sondern durch das Zulassen und Begleiten all dieser Gefühle. Dann nämlich fühlen sich Kinder gesehen, anerkannt und sicher. Sie spüren, dass sie sichere Bindungspersonen an ihrer Seite haben, die in all den verschiedenen Lagen des Lebens zu ihnen stehen und sie stützen. Die ihnen helfen, mit den verschiedenen Gefühlen umzugehen und Hilfe anbieten, damit zurecht zu kommen. Das ist es, was uns ein sicheres, geliebtes Gefühl gibt und damit auch unterstützt, glücklich zu sein.

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