Kategorie: Schreibaby

Warum es uns manchmal so schwer fällt, Gefühle von Babys zu begleiten

Mit einem Kind brechen wir nicht nur gewissermaßen in ein neues Leben auf, sondern werden auch zurückgeführt an den Anfang unseres eigenen Lebens. Besonders dann, wenn es um die Emotionen geht: Da liegt dieses kleine, weinende Baby in unseren Armen und wir wissen nicht, wie wir dieses Weinen begleiten sollen. Schließlich versteht es nicht unsere Worte, versteht nicht unsere Erklärungen und weiß nicht, dass das, was es jetzt gerade fühlt, wahrscheinlich bald vorüber geht. Es weint scheinbar untröstlich und anhaltend. Vielleicht fühlen wir uns hilflos oder sogar überfordert. Denn tief in uns verbirgt sich das Gefühl, dass das Weinen des Kindes beendet werden muss.

Weinen ist ein wichtiges Signal

Aber ganz so einfach ist es nicht: Natürlich ist das Weinen eines Babys ein wichtiges Signal an die Bezugspersonen, dass etwas nicht in Ordnung ist: ob nun Hunger, Schmerz, Nähebedürfnis – wird auf die leiseren Signale nicht reagiert oder ist das Kind in seinem Gefühlsausdruck ohnehin schnell von 0 auf 100, wird das Unwohlsein mit Weinen und Schreien ausgedrückt und führt dazu, dass sich die Bezugspersonen dem Baby zuwenden. Wir spüren Stress durch dieses Weinen und sind bemüht, die Not des Kindes zu beenden. Ein von der Natur sinnvoll eingerichtetet System, um auf die Bedürfnisse von Babys einzugehen. Eigentlich haben über verschiedene Kulturen hinweg Eltern den Impuls, ein weinendes Baby hoch zu nehmen, es zu tragen und mit ihm zu sprechen. Das belegt eine Studie aus dem Jahr 2017, in der die Reaktionen von 648 Frauen aus elf verschiedenen Ländern auf das Weinen von Babys untersucht wurde. Und trotzdem fällt es uns oft gar nicht so leicht, das Weinen anzunehmen, zu begleiten oder über einen längeren Zeitraum auszuhalten. 

Von der interpersonellen zur intrapersonalen Emotionsregulation

Für die Emotionsregulation eines Babys sind die Bezugspersonen von besonderer Bedeutung: Sie müssen die Signale des Babys wahrnehmen, richtig interpretieren und dann passend beantworten. Auf jeder dieser einzelnen Ebenen kann es zu Kommunikationsproblemen kommen: wir nehmen nicht richtig wahr interpretieren falsch oder geben die falsche Antwort. Dass solche Fehlinterpretationen vorkommen, ist völlig normal und sogar sinnvoll: Durch die kleinen Unachtsamkeiten der Bezugspersonen haben Babys nämlich auch die Chance, sich in der Selbstregulation ein wenig zu üben. Interpretieren wir also ab und zu falsch oder reagieren zu spät, hat das Kind vielleicht schon eine eigene Antwort gefunden und sich beruhigt. Das passiert manchmal, aber nicht immer und nicht in jeder Problemsituation. Eigentlich erfolgt für das Baby recht lange eine Regulation von Emotionen von außen, die man auch als “interpersonelle Emotionsregulation” bezeichnet. Durch diese Art der Regulation durch eine andere Person lernt das Baby nach und nach, die eigenen Emotionen zu verstehen und passend darauf zu antworten, die Gefühle also selbst zu regulieren über “intrapersonale Emotionsregulation”. In der ersten Zeit sind diese Gefühle, die begleitet werden wollen, insbesondere Hunger, Müdigkeit, Schmerzen und Angst.* 

Werden die Gefühle des Kindes hingegen immer wieder absichtlich oder unabsichtlich nicht berücksichtigt oder nicht richtig interpretiert, kann sich das langfristig auf die emotionale Entwicklung auswirken und es fällt zunehmend schwer, die eigenen Gefühle zu verstehen und auch die von anderen Menschen. In einer Generation von Eltern, die als Babys oft noch “schreien gelassen” wurden, um keine kleinen Tyrannen heranzuziehen oder das Kind zur Anpassung zu erziehen an die Erwachsenenbedürfnisse, und in der Kinder nicht wütend sein durften, sondern Wut mit Bestrafung oder gar körperlicher Gewalt bestraft wurde, fällt es nun vielen Eltern schwer, mit den emotionalen Signalen ihrer eigenen Kinder gut umzugehen: Wir wissen eigentlich, dass das Weinen begleitet werden sollte, aber es fällt uns schwer, dieses Weinen anzunehmen, auszuhalten und auch passend darauf zu reagieren. Vielleicht ruft es in uns sogar jene Ungeduld hervor, die wir selbst gespürt haben als Kind und wir sind verleitet, die Gefühle nicht deswegen beenden zu wollen, um das Kind zu trösten, sondern weil wir sie selber nicht aushalten und/oder uns aus der gespürten Hilflosigkeit befreien wollen.

Trösten, um zu trösten statt trösten, damit Ruhe herrscht

Der Unterschied zwischen dem “Ich tröste mein Kind, damit es endlich still ist” und “Ich tröste mein Kind, um es zu trösten” ist dabei groß: Die Intention, ein Gefühl lediglich abstellen zu wollen, hält den Kreislauf der mangelnden Zuwendung und Anerkennung unserer Gefühle am Laufen: Diese Abspaltung bestimmter Gefühle oder gar Blindheit gegenüber Gefühlen kann sich in den späteren Jahren auf das psychische und soziale Wohlergehen auswirken. Die Intention, ein Leid nicht unseretwegen, sondern des Kindes wegen beenden zu wollen, unterbricht hingegen diesen Kreislauf und erlaubt einen gesunden, ehrlichen Umgang mit der breiten Palette an Gefühlen und auch in späteren Jahren einen gesunden Umgang mit Emotionen sich selbst und anderen gegenüber. 

Es ist wichtig, zu erkennen, ob ein Weinen des Babys durch eine bestimmte Ursache hervorgerufen wurde, die wir beenden können, beispielsweise wenn das Baby hungrig ist. Daneben gibt es aber auch viele Situationen, in denen wir den Grund des Weinens vielleicht nicht finden oder nicht beheben können, beispielsweise wenn die Kinder überreizt sind und ihre Anspannung durch das Weinen herauslassen. In diesem Fall können und sollten wir nicht versuchen, das Weinen vehement abstellen zu wollen, sondern sollten das Weinen begleiten. Begleiten meint, dass wir vielleicht keine Antwort finden, aber das Baby im Arm halten und das Gefühl, das es gerade ausdrückt so lange zulassen, bis es sich in unseren Armen beruhigt hat. So lernt es, dass alle Emotionen sein dürfen und nicht unterdrückt werden müssen, was auch in späteren Jahren eher einen guten Umgang mit Stress ermöglicht.** Ebenso wenig hilfreich wie ein Unterdrücken von Emotionen ist es, das Baby mit dem das Weinen auslösendem Problem allein zu lassen in einem anderen Raum: Wir können Babys durch Zuwendung und Beruhigung nicht verwöhnen, genausowenig wie wir ihnen durch mangelnde Zuwendung nicht einen gesunden Umgang mit Gefühlen vermitteln können.

Merken Eltern, dass sie mit der Begleitung des Weinens Probleme haben, in immer größeren Stress geraten oder sogar verleitet sind, das Baby mit Gewalt zum Schweigen zu bringen, brauchen sie Hilfe. Oft liegt eine eigene traumatische Erfahrung hinter diesem Impuls. Niemand muss sich dafür schämen, mit dem Weinen oder anderen herausfordernden Situationen mit einem Baby nicht zurecht zu kommen. Die früheren Umgangsweisen mit Babys und Kleinkindern haben dazu geführt, dass Probleme beim Begleiten von Emotionen keine Einzelfälle sind, sondern durchaus viele Eltern betreffen. Wichtig ist, dass wir heute durch Unterstützung lernen, diese Belastung nicht mehr weiter zu geben und unseren Kindern von Anfang an einen gesunden Umgang mit Emotionen ermöglichen und durch eine passende Unterstützung auch wieder einen Zugang zu unseren eigenen Emotionen erhalten.

Eure

Zur Autorin:
Susanne Mierau ist Diplom-Pädagogin (Schwerpunkt Kleinkindpädagogik) und Familienbegleiterin. Sie arbeitete an der FU Berlin in Forschung und Lehre, bevor sie sich 2011 im Bereich bedürfnisorientierte Elternberatung selbständig machte. Ihr 2012 gegründetes Blog geborgen-wachsen.de und ihre Social Media Kanäle sind wichtige und viel genutzte freie Informationsportale für bedürfnisorientierte Elternschaft und kindliche Entwicklung. Susanne Mierau gibt Workshops für Eltern und Fachpersonal und spricht auf Konferenzen und Tagungen über kindliche Entwicklung, Elternschaft und Familienrollen.

Foto: Ronja Jung für geborgen-wachsen.de

Zur Autorin:
Susanne Mierau ist Diplom-Pädagogin (Schwerpunkt Kleinkindpädagogik) und Familienbegleiterin. Sie arbeitete an der FU Berlin in Forschung und Lehre, bevor sie sich 2011 im Bereich bedürfnisorientierte Elternberatung selbständig machte. Ihr 2012 gegründetes Blog geborgen-wachsen.de und ihre Social Media Kanäle sind wichtige und viel genutzte freie Informationsportale für bedürfnisorientierte Elternschaft und kindliche Entwicklung. Susanne Mierau gibt Workshops für Eltern und Fachpersonal und spricht auf Konferenzen und Tagungen über kindliche Entwicklung, Elternschaft und Familienrollen.

* vgl. Welding, Carlotta (2021): Fühlen lernen. Warum wir so oft unsere Emotionen nicht verstehen und wie wir das ändern können. – Stuttgart: Klett-Cotta, S. 71f.

**Solter, Aletha J. (2015): Warum Babys weinen. Die Gefühle von Kleinkindern. – 3. Aufl. München: Kösel, S. 87.

Unser Weg mit einem Schreibaby – „Meine Tochter brauchte gefühlt immer mehr von allem: mehr Milch, viel mehr Nähe“

Schreibabys, Babys mit starken Bedürfnissen, High Need Babys – noch immer sind diese Themen oft mit Scham besetzt, es gibt viele Vorurteile und falsche Informationen. In der Reihe „Unser Weg mit einem Schreibaby“ wollen wir dieses Thema aus der Nische holen, Menschen sensibilisieren und betroffene Eltern unterstützen.
Hier berichtet Stephanie über ihren Weg mit einem „Schreibaby“: Ein Baby, das immer etwas mehr brauchte von allem. Wenn Du über Deine Erfahrung berichten möchtest, schreib an [email protected]

1. Stephanie, Deine Schwangerschaft startete nicht ganz so, wie es bei den meisten anderen. Welche Hindernisse musstet Ihr am Anfang überwinden?
Ja das stimmt, nach einer langen Kinderwunschzeit mit einigen Steinen, startete meine Schwangerschaft mit Blutungen. Wir hatten die erste Zeit permanent Angst dieses kleine Wunder zu verlieren.

2. Nach dieser schweren Zeit, ging es aber glücklicherweise ganz anders weiter: Wie hast Du die restliche Schwangerschaft und Geburt erlebt?
Die Schwangerschaft war schön und ich hatte wenig Probleme. Wir freuten uns unendlich auf unsere Tochter. Ich sang ihr jeden Abend ein Schlaflied vor und mein Mann cremte den Bauch ein. Als es langsam Richtung Ende der Schwangerschaft ging, wurde ich nervös weil sich meine Tochter nicht drehen wollte. In der 37. SSW sagte der Arzt mir, das ich sie auch in Steißlage bekommen könnte und ich beschäftigte mich gar nicht mehr wirklich mit einem Kaiserschnitt. Für mich bzw. uns war auch völlig klar, dass sie nicht geholt werden sollte, sie sollte sich auf den Weg machen wenn sie soweit ist. Die Wehen kamen und wir gingen, rückblickend betrachtet vielleicht zu früh, ins Krankenhaus. Dort ließ man uns eigentlich in Ruhe. Ich und mein Mann arbeiteten uns gemeinsam durch die Wehen. Durch die Steißlage wird in die Geburt am Anfang ja kaum eingegriffen weil die Kraft am Ende zur Geburt des Kopfes benötigt wird. Letztendlich verbrachten wir die nächsten über 30 Stunden in diesem Krankenhaus mit Wehen, die mal ganz regelmäßig aller 5 Minuten kamen aber auch Zeiten wo nur aller 10-15 Minuten eine Wehe kam. Irgendwann war ich so am Ende, weil ich auch permanent brechen musste, dass ich mir nicht mehr vorstellen konnte mein Kind normal zu gebären. Ich bat um einen Kaiserschnitt, meine Tochter sollte somit am selben Tag wie mein Papa geboren werden. Für mich war der Kaiserschnitt eine Erlösung, nicht das was ich wollte aber doch irgendwie richtig. Meine Tochter war perfekt, mein Mann hielt sie für mich und ließ sie auch die erste Stunde nicht aus den Augen und Armen, auch zu jeglichen Untersuchungen begleitete er sie. Dann kamen die beiden mit der Hebamme zu mir und das Stillen klappte vom ersten Moment an und es war die ganz große Liebe. Durch die tolle Vorbereitung im Geburtsvorbereitungskurs unserer Hebamme, wussten wir genau was wir beim Stillen beachten mussten und was erste Hungeranzeichen des Babys sind.

3. Als Ihr nach dem Kaiserschnitt dann nach Hause kamt: Wie ging es Dir und Euch? Wie ist Deine Tochter bei Euch zu Hause angekommen?
Uns ging es hervorragend, natürlich hatte ich Schmerzen aber wir hatten eine tolle Hebamme, die uns schon im Geburtsvorbereitungskurs sagte, dass das Wochenbett fürs Bett gedacht ist, dass man die erste Woche wirklich nur im Bett bleiben sollte und der Mann möglichst am Anfang seine  Elternzeit nehmen soll. Durch den Kaiserschnitt konnte ich am Anfang wirklich nicht so gut Laufen und so übernahm mein Mann das Spazieren. Zu diesem Zeitpunkt konnte er noch stundenlang mit unserer Tochter im Kinderwagen spazieren gehen. Die Nächte waren von Anfang an durchstillt. Sie zeigte, wie schon im Krankenhaus, die ersten Hungeranzeichen und so könnten wir prompt reagieren. Sie ließ sich nicht ablegen, geschweige den weglegen aber wir genossen es und sie schlief abwechselnd auf mir oder meinem Mann tagsüber. Nachts versuchte ich sie immer in ihr Beistellbett zu legen aber diese 10 cm Abstand gefielen ihr nicht. Nichts was ich für den Anfang als ungewöhnlich bezeichnen würde. Unser Stillen klappte super gut, so als ob wir beide noch nie etwas anderes gemacht hätten. Am Anfang war alles „normal“.

4. Das erste Anzeichen dafür, dass Deine Tochter anders als andere Dir bekannte Babys war, hast Du also am Stillen festgemacht?
Ja sie trank gut aber auch gefühlt permanent und irgendwann um die 8. Woche fing sie an meine Brust anzuschreien. Ab diesem Zeitpunkt fand sie nur, wir nennen es liebevoll „schuppelnd“ also quasi wackelnd, in den Schlaf. Stundenlang hopste ich auf dem Pezziball, trugen wir sie auf dem Arm im Fliegergriff oder gingen mit dem Tragetuch spazieren, was aber nicht selten darin endete, dass wir sie versuchten abzulegen und letztendlich wachte sie doch immer auf. Irgendwann stillte sie nur noch im Liegen, also musste ich unterwegs immer mit ihr zum Wickeltisch gehen und sie so stillen, anders funktionierte es einfach nicht, auch zu Hause stillten wir nur noch so. Sie zeigte keine frühen Hungeranzeichen mehr sonder schrie immer sofort los und ließ sich kaum beruhigen.

5. Wann wurde bei Euch der Alltag schwieriger und wie gestaltete er sich?
So ungefähr 2 Wochen bevor mein Mann wieder arbeiten musste, sie musste immer bewegt werden. Stehen bleiben oder Sitzen ging nicht, Stillen ging nur noch im Liegen. Ohne meine Hebamme, die mich dazu ermutigte durchzuhalten und auch eventuelle Blockaden abklären zu lassen, hätte ich wahrscheinlich viel eher aufgehört zu Stillen. So haben wir bis 2,5 zum Einschlafen gestillt und erst in diesem Sommer, auf meinen Wunsch hin, aufgehört. Mein Mann schlief ein Jahr auf dem Sofa weil er früh immer extrem zeitig auf Arbeit pendeln musste und meine Tochter nachts permanent aufwachte und schrie und sich manchmal einfach durch nichts beruhigte oder stundenlang wach war oder durchstillte. Sie fuhr nicht gern Auto, ich sang manchmal gefühlt um mein Leben, weil dass das Einzige war, was sie im Auto etwas beruhigte. Leider dachten wir zu diesem Zeitpunkt auch, dass wir die 25 km zu unseren Eltern jedes Wochenende fahren müssten. Ich hatte das Gefühl nicht zu genügen und wir hatten immer wieder das Gefühl etwas falsch zu machen, etwas Entscheidendes zu übersehen. Meine Tochter brauchte gefühlt immer mehr von allem, mehr Milch, viel mehr Nähe. Am schlimmsten waren die Stimmen von außen, die uns wirklich nur helfen wollten aber mich eigentlich nur verunsicherten und das war für uns nicht wirklich besser. Am Anfang beruhigte mich meine Hebamme noch weil sie noch unter 3 Monaten war aber irgendwann sagte auch sie, dass wir das beim Orthopäden überprüfen lassen sollten und dieser fand dann Blockaden, unter anderem auch im Halswirbel, das sogenannte KISS (Kopfinduzierte Symmetriestörung) Ich kann nicht sagen ob es ihr wirklich half, sie blieb trotzdem immer unzufrieden, wollte nur auf den Arm und selbst im Tragetuch gefiel es ihr nicht wirklich und um jeden Schlaf mussten wir kämpfen. Sie ist nie einfach mal eingeschlafen. Mit einem Jahr sollte sie eigentlich in die Krippe kommen aber wir entschieden uns sie zu einer Tagesmutter zu geben, bei ihr konnte sie sich langsam eingewöhnen und auch an Mittagsschlaf ohne Stillen gewöhnte sie sich bei ihr durch viel Nähe. Jetzt ist sie mittlerweile im Kindergarten und es funktioniert wunderbar. Eine Krippe wäre trotzdem nichts für sie gewesen, sie mochte noch nie große Menschenmengen.

6. Wie hat Euer Umfeld auf Eure viel weinende Tochter reagiert?
Sie haben versucht eine Lösung zu finden. Entweder man dachte sie hat Bauchweh (Nummer 1 Grund) oder es war das Stillen oder wir waren einfach zu weich und hätten sie abhärten müssen. Das kam für uns nicht in Frage und darauf haben wir uns heute erst ein High Five gegeben, weil wir zum Glück diese Hebamme hatten, die uns auf den Bedürfnisorientierten Weg gebracht hat. Heute finde ich es einfach furchtbar, dass niemand einfach dieses Kind so akzeptiert hat wie es war und so konnte auch ich es lange nicht akzeptieren. Auch unsere Vorstellungen passten nicht mit der Realität zusammen. Wir haben vor der Geburt viel Sport zusammen gemacht und nach der Geburt dachten wir, wir können sie einfach mitnehmen und sie mit dem Kinderwagen in eine Ecke stellen und trainieren, weil ging ja bei anderen auch. Viele haben uns nicht verstanden, weil gefühlt alle Kinder in unserer Umgebung entspannt und zufrieden waren. Ein totaler Tiefpunkt war eine Familiengeburtstagsfeier, da war ein anderes gleichaltriges Baby und das guckte nur rum und unsere Tochter schrie im Fliegergriff. Eigentlich hätten wir einfach gehen sollen aber wir dachten halt, irgendwie muss der Alltag doch normaler werden. Auch wenn Freunde zu Besuch waren schrie sie und ich musste mit ihr in einen ruhigen Raum gehen. Ehrlich gesagt, hätte ich vor meiner Tochter, auch gedacht, dass die Eltern da wohl was falsch machen.

7. Nun ist sie schon 3 Jahre alt. Wie ist Euer Alltag heute?
Das Thema Schlaf ist weiterhin ein Empfindliches, wenn in unserem Viertel irgendwo ein Kind weint, denken wir prompt, dass es unseres ist. Sie findet auch heute noch sehr schlecht in den Schlaf und wacht häufig auf, es ist aber schon viel besser wie früher. Außerdem ist sie so ein emphatischer und glücklicher kleiner Mensch. Sie geht so offen auf Leute zu und hat schon früh morgens ein Lächeln auf den Lippen. Ich würde trotzdem sagen, dass sie auch heute noch herausfordernder ist als andere Kinder, diese gewisse Unzufriedenheit hat sie auch heute noch. Sie braucht einfach ein bisschen mehr von allem. Aber durch vieles Lesen verstehen wir unsere Tochter, sie ist einfach etwas ganz besonderes und hat uns in unserer Entwicklung so viel weiter gebracht! Ich bzw. wir haben so viel auch über uns gelernt aber wir haben auch wirklich ein kleines Babytrauma davon getragen.

Weitere Erfahrungsberichte gibt es hier:
Unser Weg mit einem Schreibaby – Julia von familiengarten berichtet
Unser Weg mit einem Schreibaby – Nina, ihr Baby und Reflux
Unser Weg mit einem Schreibaby – Sarah und ihr Weg nach traumatischer Geburt

Unser Weg mit einem Schreibaby – Sarah berichtet über ihren Weg nach einer traumatischen Geburt

Schreibabys, Babys mit starken Bedürfnissen, High Need Babys – noch immer sind diese Themen oft mit Scham besetzt, es gibt viele Vorurteile und falsche Informationen. In der Reihe „Unser Weg mit einem Schreibaby“ wollen wir dieses Thema aus der Nische holen, Menschen sensibilisieren und betroffene Eltern unterstützen.
Hier berichtet Sarah über ihren Weg mit einem „Schreibaby“, der am Anfang wirklich sehr schwierig und traumatisch war. Wenn Du über Deine Erfahrung berichten möchtest, schreib an [email protected]

1. Sarah, Euer Start war nicht ideal: Nach einer schönen Schwangerschaft hattet ihr eine traumatische Geburt.
Ja, ich hatte eine sehr schöne, angenehme Schwangerschaft, hab mich die ganze Zeit über wohl gefühlt und acht Wochen vor der Geburt meine Doktorarbeit fertig gestellt. Dann begann der Mutterschutz und das war die beste Zeit der Schwangerschaft überhaupt: ich bin total zur Ruhe gekommen, habe nur gemacht, wozu ich Lust hatte, hab viel zu Geburten und Wochenbett gelesen, war beim Schwangerenyoga und hab viel geschlafen. Vier Tage vor dem errechneten Termin habe ich mich leider erkältet, was mich umso mehr geärgert hat, als ich die ganze Schwangerschaft hindurch nicht krank gewesen war. Als zwei Tage vor dem Termin die Fruchtblase gesprungen ist (wobei ich das nicht mitgekriegt habe, es lief nur die ganze Zeit Fruchtwasser), fühlte ich mich ganz elendig und schwach, hatte zwei Nächte lang nicht geschlafen und hab mich gefragt, wie ich eine Geburt schaffen sollte. Weil ich nach 24 Stunden immernoch keine Wehen hatte, riet meine Beleghebamme dann dazu, ins Krankenhaus zur Einleitung zu fahren, was wir auch taten. Ab der Einleitung bis zur Geburt vergingen dann nochmal 21 Stunden und am Ende musste Paul mit der Saugglocke geholt werden, weil ich total entkräftet war und seine Herztöne immer schlechter wurden. Ich hab sowohl den Wehentropf als auch die Saugglocke und den Dammschnitt das als extrem gewaltvoll und brutal empfunden. Als Paul geboren war und ich ihn zum ersten Mal auf dem Bauch hatte, wurde ich ohne Betäubung genäht (weil ich scheinbar viel Blut verlor), so dass meine Erinnerung an diesen Moment nur qualvolle Schmerzen sind.

2. Wie ging es dann nach der Geburt weiter?
Nach einer Nacht im Krankenhaus sind wir auf eigene Verantwortung nach Hause gefahren, weil wir in der Klinik nicht zur Ruhe kamen. Die erste Nacht zu Hause hat Paul von 20:00 bis 8:00 durch geschrien – das war die schlimmste Nacht in meinem Leben. Und auch danach hat er die ersten drei Monate jeden Abend von ca. 20:00/21:00 bis 03:00 geschrien und ließ sich durch nichts trösten. Die Hebamme meinte, er habe Koliken, aber ich bin mir sicher, dass er, wie ich auch, die Geburt als traumatisch empfunden hat und seinen Kummer darüber herausschrie. Auch ich habe in dieser ersten Zeit fast nur geweint, konnte nicht über die Geburt sprechen, kam nicht zur Ruhe, konnte nicht schlafen und wenn ich doch mal einschlief, hatte ich oft Alpträume. Ich hatte das Gefühl, die Geburt nicht selbst geschafft zu haben, versagt zu haben und meinem Kind dadurch einen furchtbaren Start ins Leben gegeben zu haben. Dadurch, dass ich durch die krassen Schmerzen nicht gemerkt habe, wie er aus mir herauskam, habe ich ihn lange nicht als meinen sehen können. Es klingt komisch, aber mir hat das Baby aus meinem Bauch gefehlt – das immer schreiende Bündel neben mir hat mich einfach nur überfordert. Gleichzeitig hatte ich natürlich enorme Schuldgefühle, weil ich so wenig Kraft für ihn hatte und ihn zuerst nicht richtig annehmen konnte.

3. Das klingt nach einer sehr schweren Zeit für Euch. Wie seid Ihr da durch gekommen?Zum Glück hatte Thomas für ein Jahr Elternzeit und war immer da. Er hat den Großteil der Nächte übernommen, zwischen dem Stillen hatte meist er Paul auf dem Arm, hat ihn getragen und geföhnt (das war oft das Einzige, was kurz half). Ich hätte wirklich nicht gewusst, wie ich das hätte schaffen sollen, wenn er hätte arbeiten müssen.

Wir haben den Fehler lange bei uns gesucht und besonders ich habe mir viele Vorwürfe gemacht, keine gute Mutter für mein kleines Kind sein zu können, das es so schwer hat.

Wir dachten beide, unser Leben sei vorbei. Erst nach ungefähr 2 oder 3 Monaten hatten wir das Gefühl, es wird etwas leichter: Paul schien es nicht immer nur schrecklich zu finden auf der Welt, er schlief auch mal leichter ein am Abend, wir sammelten etwas Kraft. Ich kann mich erinnern, dass er genau an dem Tag, als er acht Wochen alt war, zum allerersten Mal abends beim Stillen eingeschlafen war und ich ihn ablegen konnte. Auf einmal hatte ich einen ruhigen Abend für mich – dieses Gefühl des Trosts und der Erleichterung werde ich nie vergessen.

Aber der Schrecken blieb: immer wenn er weinte, zuckten wir zusammen und hatten Angst, wir kriegten ihn nicht wieder beruhigt. Auch wenn es sehr still war, hörten wir beide ein Phantomschreien und oft ein Piepsen im Ohr.

4. Was hat Euch, was hat Dir gefehlt in dieser Zeit? Wer außer Deinem Freund hat Euch geholfen oder was?
Eine sehr große Stütze in dieser Zeit war außerdem meine Mutter, die – obwohl sie noch voll arbeitet und damals 200 km entfernt wohnte – am Anfang fast jedes Wochenende zu uns kam. Sie brachte vorgekochtes Essen mit, nahm Paul und ging stundenlang mit ihm spazieren, so dass wir schlafen oder auch einfach nur mal in Ruhe duschen konnten, machte die Wohnung sauber, ging einkaufen und tröstete mich. Auch meine Schwester, damals selbst hochschwanger, kam zu uns und nahm uns Paul mal ab. Außerdem haben meine Freundinnen geholfen, indem sie eine whatsapp-Gruppe organisiert haben, in der wir uns melden konnten, wenn wir etwas brauchten (Klopapier, Windeln, Essen oder so). Das wurde dann umgehend geliefert. Eine andere Freundin, die selbst schon Kinder hat, fragte täglich per Facebook nach, wie es mir geht und wiederholte immer wieder: es wird leichter.

Gefehlt hat uns sicher die Erfahrung und das Wissen, dass wir nichts falsch machen, dass unser Kind nicht unseretwegen so viel schreit, und dass es vorbeigehen wir. Wir haben den Fehler lange bei uns gesucht und besonders ich habe mir viele Vorwürfe gemacht, keine gute Mutter für mein kleines Kind sein zu können, das es so schwer hat. Ein Bewusstsein dafür, dass es einfach Kinder gibt, die viel schreien, dass niemand etwas dafür kann, und der Austausch mit anderen Eltern hätte uns sicher geholfen.

5. Wie geht es Euch heute nach über einem Jahr?
Mittlerweile ist Paul ein sehr ausgeglichenes Kind, das sich viel freut und gern bei uns ist. Wir sind als Familie gut zusammen gewachsen und freuen uns jeden Tag über dieses kleine Wesen, das so viel Freude mit sich bringt. Wenn Paul heute weint oder schreit, gibt es meist einen konkreten Grund, den wir beheben können – das ist eine sehr entlastende Erfahrung. Mittlerweile denke ich auch, dass es gut war, dass er seine ganze Traurigkeit und seinen Frust am Anfang ordentlich herausgeschrien hat – so staut sich wenigstens nichts an. Als Paar haben wir uns allerdings noch nicht richtig wieder erholt, dafür war einfach im letzten Jahr zu wenig Zeit und Energie da. Daran arbeiten wir aber jetzt und es ist Besserung in Sicht.

6. Was würdest Du anderen Eltern als Tipp mit auf den Weg geben, wenn Ihr Baby viel weint?
Es liegt nicht an euch. Es geht vorbei. Es wird leichter. Versucht es so anzunehmen, wie es ist, und euch nicht schuldig zu fühlen, wenn das nicht klappt. Sucht euch Unterstützung, bindet Familie und Freund_innen ein, organisiert Babyfreie Zeiten und macht dann was für euch, und wenn das den Facebookfeed durchscrollen ist, weil für mehr die Energie nicht reicht. Teilt euch die Nächte auf – wir haben im 2-3Stunden-Rhythmus getauscht: einer hat das schreiende Kind getragen oder geföhnt, die andere ist mit Oropax in ein anderes Zimmer und hat geschlafen. Stillen ist nicht das einzige, was dabei hilft das Kind zu beruhigen, und es ist genauso wichtig, dass die Mutter nicht kaputt geht. Deshalb, Väter: nehmt Elternzeit! Und zwar mehr als die obligatorischen zwei Monate. Dann könnt ihr nämlich eine wirkliche Stütze sein und eine tiefe Beziehung zu eurem Kind aufbauen, von der ihr beide immer zehren werdet.

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Hier berichtet Julia von familiengarten über ihren Weg mit einem Schreibaby vor 4,5 Jahren. Wenn Du über Deine Erfahrung berichten möchtest, schreib an [email protected] Weiterlesen