Warum es uns manchmal so schwer fällt, Gefühle von Babys zu begleiten

Mit einem Kind brechen wir nicht nur gewissermaßen in ein neues Leben auf, sondern werden auch zurückgeführt an den Anfang unseres eigenen Lebens. Besonders dann, wenn es um die Emotionen geht: Da liegt dieses kleine, weinende Baby in unseren Armen und wir wissen nicht, wie wir dieses Weinen begleiten sollen. Schließlich versteht es nicht unsere Worte, versteht nicht unsere Erklärungen und weiß nicht, dass das, was es jetzt gerade fühlt, wahrscheinlich bald vorüber geht. Es weint scheinbar untröstlich und anhaltend. Vielleicht fühlen wir uns hilflos oder sogar überfordert. Denn tief in uns verbirgt sich das Gefühl, dass das Weinen des Kindes beendet werden muss.

Weinen ist ein wichtiges Signal

Aber ganz so einfach ist es nicht: Natürlich ist das Weinen eines Babys ein wichtiges Signal an die Bezugspersonen, dass etwas nicht in Ordnung ist: ob nun Hunger, Schmerz, Nähebedürfnis – wird auf die leiseren Signale nicht reagiert oder ist das Kind in seinem Gefühlsausdruck ohnehin schnell von 0 auf 100, wird das Unwohlsein mit Weinen und Schreien ausgedrückt und führt dazu, dass sich die Bezugspersonen dem Baby zuwenden. Wir spüren Stress durch dieses Weinen und sind bemüht, die Not des Kindes zu beenden. Ein von der Natur sinnvoll eingerichtetet System, um auf die Bedürfnisse von Babys einzugehen. Eigentlich haben über verschiedene Kulturen hinweg Eltern den Impuls, ein weinendes Baby hoch zu nehmen, es zu tragen und mit ihm zu sprechen. Das belegt eine Studie aus dem Jahr 2017, in der die Reaktionen von 648 Frauen aus elf verschiedenen Ländern auf das Weinen von Babys untersucht wurde. Und trotzdem fällt es uns oft gar nicht so leicht, das Weinen anzunehmen, zu begleiten oder über einen längeren Zeitraum auszuhalten. 

Von der interpersonellen zur intrapersonalen Emotionsregulation

Für die Emotionsregulation eines Babys sind die Bezugspersonen von besonderer Bedeutung: Sie müssen die Signale des Babys wahrnehmen, richtig interpretieren und dann passend beantworten. Auf jeder dieser einzelnen Ebenen kann es zu Kommunikationsproblemen kommen: wir nehmen nicht richtig wahr interpretieren falsch oder geben die falsche Antwort. Dass solche Fehlinterpretationen vorkommen, ist völlig normal und sogar sinnvoll: Durch die kleinen Unachtsamkeiten der Bezugspersonen haben Babys nämlich auch die Chance, sich in der Selbstregulation ein wenig zu üben. Interpretieren wir also ab und zu falsch oder reagieren zu spät, hat das Kind vielleicht schon eine eigene Antwort gefunden und sich beruhigt. Das passiert manchmal, aber nicht immer und nicht in jeder Problemsituation. Eigentlich erfolgt für das Baby recht lange eine Regulation von Emotionen von außen, die man auch als “interpersonelle Emotionsregulation” bezeichnet. Durch diese Art der Regulation durch eine andere Person lernt das Baby nach und nach, die eigenen Emotionen zu verstehen und passend darauf zu antworten, die Gefühle also selbst zu regulieren über “intrapersonale Emotionsregulation”. In der ersten Zeit sind diese Gefühle, die begleitet werden wollen, insbesondere Hunger, Müdigkeit, Schmerzen und Angst.* 

Werden die Gefühle des Kindes hingegen immer wieder absichtlich oder unabsichtlich nicht berücksichtigt oder nicht richtig interpretiert, kann sich das langfristig auf die emotionale Entwicklung auswirken und es fällt zunehmend schwer, die eigenen Gefühle zu verstehen und auch die von anderen Menschen. In einer Generation von Eltern, die als Babys oft noch “schreien gelassen” wurden, um keine kleinen Tyrannen heranzuziehen oder das Kind zur Anpassung zu erziehen an die Erwachsenenbedürfnisse, und in der Kinder nicht wütend sein durften, sondern Wut mit Bestrafung oder gar körperlicher Gewalt bestraft wurde, fällt es nun vielen Eltern schwer, mit den emotionalen Signalen ihrer eigenen Kinder gut umzugehen: Wir wissen eigentlich, dass das Weinen begleitet werden sollte, aber es fällt uns schwer, dieses Weinen anzunehmen, auszuhalten und auch passend darauf zu reagieren. Vielleicht ruft es in uns sogar jene Ungeduld hervor, die wir selbst gespürt haben als Kind und wir sind verleitet, die Gefühle nicht deswegen beenden zu wollen, um das Kind zu trösten, sondern weil wir sie selber nicht aushalten und/oder uns aus der gespürten Hilflosigkeit befreien wollen.

Trösten, um zu trösten statt trösten, damit Ruhe herrscht

Der Unterschied zwischen dem “Ich tröste mein Kind, damit es endlich still ist” und “Ich tröste mein Kind, um es zu trösten” ist dabei groß: Die Intention, ein Gefühl lediglich abstellen zu wollen, hält den Kreislauf der mangelnden Zuwendung und Anerkennung unserer Gefühle am Laufen: Diese Abspaltung bestimmter Gefühle oder gar Blindheit gegenüber Gefühlen kann sich in den späteren Jahren auf das psychische und soziale Wohlergehen auswirken. Die Intention, ein Leid nicht unseretwegen, sondern des Kindes wegen beenden zu wollen, unterbricht hingegen diesen Kreislauf und erlaubt einen gesunden, ehrlichen Umgang mit der breiten Palette an Gefühlen und auch in späteren Jahren einen gesunden Umgang mit Emotionen sich selbst und anderen gegenüber. 

Es ist wichtig, zu erkennen, ob ein Weinen des Babys durch eine bestimmte Ursache hervorgerufen wurde, die wir beenden können, beispielsweise wenn das Baby hungrig ist. Daneben gibt es aber auch viele Situationen, in denen wir den Grund des Weinens vielleicht nicht finden oder nicht beheben können, beispielsweise wenn die Kinder überreizt sind und ihre Anspannung durch das Weinen herauslassen. In diesem Fall können und sollten wir nicht versuchen, das Weinen vehement abstellen zu wollen, sondern sollten das Weinen begleiten. Begleiten meint, dass wir vielleicht keine Antwort finden, aber das Baby im Arm halten und das Gefühl, das es gerade ausdrückt so lange zulassen, bis es sich in unseren Armen beruhigt hat. So lernt es, dass alle Emotionen sein dürfen und nicht unterdrückt werden müssen, was auch in späteren Jahren eher einen guten Umgang mit Stress ermöglicht.** Ebenso wenig hilfreich wie ein Unterdrücken von Emotionen ist es, das Baby mit dem das Weinen auslösendem Problem allein zu lassen in einem anderen Raum: Wir können Babys durch Zuwendung und Beruhigung nicht verwöhnen, genausowenig wie wir ihnen durch mangelnde Zuwendung nicht einen gesunden Umgang mit Gefühlen vermitteln können.

Merken Eltern, dass sie mit der Begleitung des Weinens Probleme haben, in immer größeren Stress geraten oder sogar verleitet sind, das Baby mit Gewalt zum Schweigen zu bringen, brauchen sie Hilfe. Oft liegt eine eigene traumatische Erfahrung hinter diesem Impuls. Niemand muss sich dafür schämen, mit dem Weinen oder anderen herausfordernden Situationen mit einem Baby nicht zurecht zu kommen. Die früheren Umgangsweisen mit Babys und Kleinkindern haben dazu geführt, dass Probleme beim Begleiten von Emotionen keine Einzelfälle sind, sondern durchaus viele Eltern betreffen. Wichtig ist, dass wir heute durch Unterstützung lernen, diese Belastung nicht mehr weiter zu geben und unseren Kindern von Anfang an einen gesunden Umgang mit Emotionen ermöglichen und durch eine passende Unterstützung auch wieder einen Zugang zu unseren eigenen Emotionen erhalten.

Eure

Zur Autorin:
Susanne Mierau ist Diplom-Pädagogin (Schwerpunkt Kleinkindpädagogik) und Familienbegleiterin. Sie arbeitete an der FU Berlin in Forschung und Lehre, bevor sie sich 2011 im Bereich bedürfnisorientierte Elternberatung selbständig machte. Ihr 2012 gegründetes Blog geborgen-wachsen.de und ihre Social Media Kanäle sind wichtige und viel genutzte freie Informationsportale für bedürfnisorientierte Elternschaft und kindliche Entwicklung. Susanne Mierau gibt Workshops für Eltern und Fachpersonal und spricht auf Konferenzen und Tagungen über kindliche Entwicklung, Elternschaft und Familienrollen.

Foto: Ronja Jung für geborgen-wachsen.de

Zur Autorin:
Susanne Mierau ist Diplom-Pädagogin (Schwerpunkt Kleinkindpädagogik) und Familienbegleiterin. Sie arbeitete an der FU Berlin in Forschung und Lehre, bevor sie sich 2011 im Bereich bedürfnisorientierte Elternberatung selbständig machte. Ihr 2012 gegründetes Blog geborgen-wachsen.de und ihre Social Media Kanäle sind wichtige und viel genutzte freie Informationsportale für bedürfnisorientierte Elternschaft und kindliche Entwicklung. Susanne Mierau gibt Workshops für Eltern und Fachpersonal und spricht auf Konferenzen und Tagungen über kindliche Entwicklung, Elternschaft und Familienrollen.

* vgl. Welding, Carlotta (2021): Fühlen lernen. Warum wir so oft unsere Emotionen nicht verstehen und wie wir das ändern können. – Stuttgart: Klett-Cotta, S. 71f.

**Solter, Aletha J. (2015): Warum Babys weinen. Die Gefühle von Kleinkindern. – 3. Aufl. München: Kösel, S. 87.

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