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Über Mut und Hoffnung

von Conny Schier – Geborgen Wachsen Bindungsbegleiterin

Liebe Familien, wie geht es euch gerade? Ich beobachte, wie Krankheitswellen sich verdichten und die Vereinbarkeit von Care- und Lohnarbeit enorm herausfordern. Ich beobachte, wie sich in unserer Gesellschaft große Sorgen über unserer Demokratie und über die Zukunft auf unserem Planeten breit machen. Hart getroffen sind davon insbesondere junge Menschen, die ihre Zukunft noch vor sich haben und Familien, die sich für ihre Kinder eine glückliche Perspektive auf diesem Planeten wünschen.

Wir sind AUCH auf guten Wegen

Ich sehe jedoch auch noch etwas Anderes. Ich sehe Eltern mit knappen Ressourcen, die trotzdem ruhig und regulierend die Gefühle ihres Kindes nach der Kita begleiten. Ich höre Gespräche über Entscheidungen in Familien, bei denen Kinder altersgerecht mitbestimmen dürfen. Ich sehe Eltern, die in Stadtteilbibliotheken pilgern, um sich diversitätssensible Bücher auszuleihen und Eltern, die sich gegenseitig vernetzen, wenn es nach der Arbeit zeitlich eng wird. Ich sehe Eltern, die ihren Kindern beibringen, ihre eigenen Grenzen zu wahren und Eltern, die sich auf den Weg machen auch ihre eignen Grenzen zu erkennen und für diese einzustehen. Ich sehe Frauen, die sich Schritt für Schritt der Selbstfürsorge annähern. Frauen, die sich in ihren Partnerschaften in durchaus langwierige und kräftezehrende Auseinandersetzungen über gerechte Care-Verteilung begeben und Frauen, die für Gleichberechtigung einstehen.

Erziehung ist politisch

Ich möchte nicht sagen, dass hierbei alles ideal läuft und wir bereits am Ziel angekommen sind. Ich möchte euch als Demokratiebildnerin jedoch spiegeln, dass euer Einsatz unsere Welt verändern kann und wird. Ohne es zu merken, stärkt ihr unsere Demokratie. Auch wenn es nicht immer so scheint. Mit der liebevollen Begleitung eurer Kinder, dem Vermitteln von Haltungen, Werten, dem Vorleben von konstruktiver Konfliktfähigkeit und dem Umgang mit den eigenen Gefühlen, legt ihr den Grundstein für eine gelingende Demokratie. Denn, auch wenn wir Erwachsenen gerade demokratisch vor großen Herausforderungen stehen, gestalten unsere Kinder die Gesellschaft von morgen.

Ich möchte euch also Mut machen und Hoffnung geben. Wenn ihr z.B. dafür sorgt, dass

  • eure Kinder ihre Gefühle kennenlernen und fühlen dürfen, stärkt ihr unsere Demokratie.
  • eure Kinder verstehen, dass jedes Familienmitglied die gleichen Rechte und altersentsprechend (sowie ressourcenentsprechend) auch Pflichten hat, stärkt ihr unsere Demokratie.
  • eure Kinder lernen konstruktiv zu streiten, zu diskutieren, zu Entscheidungen zu kommen, stärkt ihr unsere Demokratie. Bedeutsam.

Selbstreflektion hilft uns

Doch es zählt nicht nur, wie wir unsere Kinder begleiten. Der Blick auf uns selbst ist genauso bedeutsam. Vielleicht schafft ihr es bereits, euch immer wieder selbst zu reflektieren. Euch anzuschauen, wo eigene Themen bearbeitet werden dürfen. Wir können demokratische Werte, wie Toleranz und Respekt, besonders glaubwürdig vermitteln, wenn wir sie selbst leben. Wenn wir die eigenen Haltungen gegenüber anderen Menschen hinterfragen: Wie offen bin ich eigentlich gegenüber anderen Meinungen? Behandele ich alle Menschen unabhängig von ihrer Herkunft, ihrem Geschlecht oder ihren Lebensweisen gleich? Bin ich schon auf die Suche gegangen nach mir unbewussten, diskriminierende Haltungen gegenüber Menschen, die ich als „anders“ wahrnehme? Denn leider leben wir in einem System, in dem wir solche Haltungen und Gedanken schon in der Kindheit erlernen. Ohne es zu merken. Und diese stecken bis heute ins uns. Unbewusst. Doch das Gute (im Schlechten) ist, dass es uns allen so geht. Jeder Mutter, jedem Vater, jeder Demokratiebildnerin, jeder Familienberaterin, jeder Lehrerin. Menschen mit und ohne Migrationsgeschichte. Wir alle dürfen uns auf den Weg machen und den Mut finden, die Gesellschaft so zu gestalten, dass wir in ihr leben wollen. Lasst es uns gemeinsam machen. Als Verbündete. Lasst uns eine Welt schaffen, in der Respekt, Toleranz und Gerechtigkeit nicht nur Ideale, sondern gelebte Realität sind. Denn damit legen wir den Grundstein für das, was wir uns alle wünschen: eine friedliche und stabile Gesellschaft.

Conny Schier ist akademische Sprachtherapeutin, Dozentin in der Jugend- und Erwachsenenbildung, Demokratiebildnerin und Bindungsbegleiterin nach
Geborgen Wachsen. Sie leitet Bildungsseminare und berät Familien und pädagogische Einrichtungen, die Kinder bedürfnisorientiert und diskriminierungssensibel begleiten wollen. Sie verbindet demokratische Themen mit dem Wissen rund um Bindung, Erziehung und Emotionen.

Fotos: Ronja Jung für geborgen-wachsen.de

Den Weg zwischen Kontrolle und Laissez Faire finden

Was brauchen Kinder für ein glückliches Aufwachsen? Sie wollen gesehen werden als der Mensch, der sie sind. Sie brauchen Bezugspersonen, die sie anerkennen, ihre Bedürfnisse wahrnehmen, richtig interpretieren und dann passend darauf antworten. Das klingt einfach, ist es dann aber oft im Alltag doch nicht. Denn es ist gar nicht so einfach, sich auf einen anderen Menschen einzulassen, auf seine Signale, aber auch auf dieses enge Miteinander. Schnell verlieren sich Eltern in Einzelfragen, statt das große Ganze der Beziehung im Blick zu behalten.

Den Erziehungsstil gestalten

Kinder brauchen eine feinfühlige Begleitung. Das bedeutet nicht, dass wir alle Entscheidungen vorsichtig und zart treffen müssen, sondern dass Eltern sehen müssen, was dieses Kind an Begleitung braucht: Ist es eher schüchtern und braucht Unterstützung und Ermutigung, sich den Herausforderungen des Alltags zu stellen, damit es lernt, sich gut in der Welt zurechtzufinden? Oder ist es eher temperamentvoll und braucht Erklärung und etwas Beruhigung, um gute Beziehungen aufzubauen und andere nicht zu überfordern? Was ist gerade der Entwicklungsraum des Kindes, wie kann ich es darin unterstützen zu lernen, was es gerade lernen will und wo braucht es vielleicht Hilfe, um sich dem zuzuwenden?

Wir können uns vorstellen, dass Feinfühligkeit in der Mitte liegt zwischen den Extremen der Kontrolle und der Unresponsivität. Kontrolle meint, dass wir nicht auf die Bedürfnisse und Möglichkeiten des Kindes achten, sondern als Eltern einen ganz genauen Plan haben, den wir durchziehen – unabhängig davon, was das Kind nun will. Da Kinder das Bindungssystem für Kinder äußerst bedeutsam ist, passen sie sich diesem kontrollierendem Verhalten nach und nach an und geben ihr eigenes Selbst auf. Unresponsivität meint, dass auf die Bedürfnisse und Möglichkeiten des Kindes wenig reagiert wird und wenig Interesse an den Bedürfnissen des Kindes besteht. Dem Kind fehlt echte (emotionale) Zuwendung, aber auch Anleitung und Unterstützung und es verinnerlicht, dass es keine besondere Zuwendung von den Bezugspersonen bekommt und keine Bedeutung hat.

Freiheit geben in einem stabilen Rahmen

Wenn wir darüber sprechen, dass Kinder sowohl Führung und Unterstützung, als auch Freiheit brauchen, meinen wir, dass genau diese feinfühlige Balance notwendig ist. Regeln und Strukturen können Halt geben und zeigen dem Kind, dass dort eine stabile Bezugsperson gegenüber ist, die eine grobe Vorstellung von der Welt hat, an der sie sich orientiert und gewillt ist, dem Kind durch die eigene Stabilität diese Welt näher zu bringen, weil sie das Kind wertschätzt und sich wünscht, dass das Kind gut in der Welt zurecht kommt und sich darin sicher fühlen kann. Gleichzeitig erkennt die Person auch das Bedürfnis nach Autonomie und Kontrolle des Kindes an und sieht, an welchen Stellen der Freiraum gegeben werden kann für das eigene Tun und Erforschen, damit das Kind sich als wirksam in dieser Welt erfährt und spürt, dass es die Welt mit seiner Stimme und seinem Handeln beeinflussen kann.

Das Kind erhält also Freiheit in einem stabilen Rahmen. Dieser Rahmen muss mit der Zeit und der fortschreitenden Entwicklung des Kindes wachsen: je mehr Fertigkeiten das Kind erwirbt, desto größer sollte er werden, damit es sich Neuem zuwenden kann. Die Eltern und andere Bezugspersonen sollten im Blick haben, welche Fähigkeiten das Kind gerade hat und wie es diese ausbauen kann, so dass es weder über-, noch unterfordert ist. Es kann sich erproben und weiß, dass es dennoch immer auf die sichere Bezugsperson zurückkommen kann.

Es ist schwer, im oft an Aufgaben vollen Alltag einen Blick auf das Kind zu haben. Der Stress unserer Zeit drängt und oft zu einem eher kontrollierendem Verhalten: „Wir haben jetzt keine Zeit dafür!“, „Nein, du machst das jetzt nicht, ich mach das!“. Auch die Angst davor, dass das Kind sich nicht gut genug entwickeln und vielleicht schlechtere Zukunftschancen haben könnte, kann uns zu mehr Kontrolle verleiten, weil wir bestimmte Lernaufgaben vorschieben, das Kind eher schulisch fördern wollen, statt die grundlegenden Entwicklungsbereiche des Kindes zu ermöglichen durch Eigenaktivität. Auf der anderen Seite kann uns der Stress und die Erschöpfung des Alltags auch dazu verleiten, dass wir (unbewusst) froh sind, wenn wir uns nicht mit dem Kind auseinandersetzen müssen: Wir ziehen uns zurück und überlassen dem Kind die Führung, weil wir zu erschöpft sind und uns mit den Grenzen nicht auseinandersetzen wollen oder einen weiteren Streit heute nicht aushalten, wodurch das Kind langfristig nicht genug Feedback und Orientierung bekommt. Auch Mengen an Spielzeug oder Medien dienen manchmal nicht dem dosierten Entertainment, sondern werden eher genutzt, um selbst Ruhe zu haben. Auf Dauer ziehen wir uns auch damit aus der Beziehungsarbeit, die das Kind eigentlich braucht.

Alle Eltern haben im Alltag mal mehr kontrollierende Anteile, mal mehr unresponsive. Solange sich aber ein feinfühliger roter Faden zeigt, ist das kein Problem. Natürlich ist unser Alltag nicht immer gleichbleibend und manchmal durchleben Familien schwierige Phasen, in denen Erwachsene weniger feinfühlig sein können. Wenn wir allerdings merken, dass – gerade durch den Einfluss der vielen Anforderungen unserer Zeit – wir immer mehr in das ein oder andere Extrem neigen, ist Unterstützung notwendig.

Eure

Zur Autorin:
Susanne Mierau ist Diplom-Pädagogin (Schwerpunkt Kleinkindpädagogik) und Familienbegleiterin. Sie arbeitete an der FU Berlin in Forschung und Lehre, bevor sie sich 2011 im Bereich bedürfnisorientierte Elternberatung selbständig machte. Ihr 2012 gegründetes Blog geborgen-wachsen.de und ihre Social Media Kanäle sind wichtige und viel genutzte freie Informationsportale für bedürfnisorientierte Elternschaft und tragen seit über 10 Jahren maßgeblich zur Verbreitung bedürfnisorientierter Erziehung bei. Susanne Mierau gibt Workshops für Eltern und Fachpersonal und spricht auf Konferenzen und Tagungen über kindliche Entwicklung, Elternschaft und Familienrollen.

Foto: Ronja Jung für geborgen-wachsen.de

Selbstwirksamkeit fördern durch einen guten Umgang mit Frustration

Viele Erwachsene kennen die Aussage der Kinderbuchheldin Pippi Langstrumpf „Das hab ich ja noch nie gemacht. Ich glaub ich schaffe das !“ Eine Aussage, die Erwachsene lächeln lässt und sicherlich auch zugespitzt ist, aber dennoch für die Begleitung von Kindern einen wichtigen Impuls enthält: Kinder dürfen erfahren, dass sie in dieser Welt selbst wirksam sein können und sich auf Basis dieses verinnerlichten Wissens an Herausforderungen herantrauen. Der Weg dorthin geht aber wesentlich auch durch einen guten Umgang mit Frustration.

Was lernt ein Kind, wenn wir es Hindernisse überwinden lassen? Es lernt, dass es Hindernisse überwinden kann. Selbstwirksamkeit ist eine der wesentliche Eigenschaften, die ein Kind wirklich braucht. Es muss wissen, dass es ein Ziel, das es sich steckt, auch erreichen kann. Es lernt, über welche Wege es an sein Ziel kommen kann, und vertraut auf sich und seine Fähigkeiten. Die Einschätzung der Situation ermöglicht es ihm, seine Chancen abzuklären und sich richtig auf das Vorankommen vorzubereiten: Es weiß, was es kann und bei welchen Dingen es Hilfe braucht.

Susanne Mierau: Geborgene Kindheit

Lernen beinhaltet auch Frustration, die begleitet werden will

Kinder lernen nach und nach sich selbst und die sie umgebende Welt kennen. Sie eignen sich das Wissen über sich selbst, ihr Können und die Umwelt an. Einige Lernerfahrungen bekommen wir gar nicht als solche mit, bei anderen spüren wie die Anstrengung des Kindes. Lernt es beispielsweise Laufen, fällt es auch hin. Es läuft nicht sofort viele Meter weit, sondern baut das Können aus. Dabei muss es immer wieder auch Frustration überwinden.

Viele Eltern denken, dass das Lernen eine steigende Gerade wäre, dabei gehört zum Lernen auch Frustration, die ausgehalten und begleitet werden muss. Wenn eine Fähigkeit nicht sofort gelingt, bedeutet das nicht, dass das Kind das generell nicht kann, sondern dass es sich damit auseinandersetzt. Es ist wichtig, dies Kindern auch immer wieder zu erklären: Lernen bedeutet nicht, dass du es sofort kannst. Lernen bedeutet, dass du eine Antwort noch nicht weißt, dass du etwas noch nicht kannst, aber auf dem Weg bist.

Das Mindset der Eltern überträgt sich auf die Motivation des Kindes: Wenn wir selbst nur von Resultaten überzeugt sind, wenn uns nur das Ergebnis interessiert, drücken wir das oft auch so aus und unterstützen nicht den Weg des Kindes dorthin, sondern nur das Ziel. Dabei ist es für das Kind wichtig, dass es gerade in der Herausforderung Halt bekommt und nicht erst am erlangten Ziel Lob. Anstatt also den Fokus auf das Ergebnis zu richten, können Eltern den Prozess in den Blick nehmen, das Kind ermutigen, bestärken und eben auch immer wieder versprachlichen, dass Dinge Zeit brauchen und manchmal viel Energie benötigen. Auch das Vorbildverhalten gelangt hier in den Blick: Wir können auch bei unserem eigenen Tun versprachlichen, dass das gerade ganz schön anstrengend ist und wie wir mit unserer eigenen, alltäglichen Frustration gut umgehen. So wird Frustration Teil des Prozesses anstatt als Scheitern erlebt zu werden.

Der Umgang mit großen Gefühlen

Auf dem Weg des Lernens gilt es also, mit Frustration umzugehen. Hier benötigen Kinder – wie generell beim Umgang mit ihren Gefühlen – Unterstützung und Co-Regulation. Kinder müssen erfahren, dass Frustration und Wut sein dürfen und wie sie damit umgehen können. So verstehen sie, dass diese Gefühle nicht negativ sind und sein dürfen – auch innerhalb des Lernprozesses. Es ist gut, die Gefühle des Kindes zu verbalisieren, sie anzunehmen und ihnen dann zu helfen, damit umzugehen, zum Beispiel indem wir sagen: „Oh, das ist ganz schön schwierig, das macht dich wütend, dass das jetzt noch nicht klappt. Komm wir nehmen uns eine kleine Pause und du machst später weiter. Es ist normal, dass Sachen nicht sofort klappen. So funktioniert lernen.“

Freiheit zum Erkunden

Ein angemessener Umgang mit Frustration sollte eingebettet werden in die generelle Haltung, dass das Kind sich aktiv mit sich selbst und seiner Umgebung vertraut machen darf. Das Kind lernt die Welt kennen, indem es sich darin bewegt und mit ihr interagiert. Es darf erfahren, dass es die Umwelt durch das eigene Handeln verändern kann. Es fühlt sich kompetent durch die Erfahrung, die Welt beeinflussen zu können und kann aus dieser Erfahrung zuversichtlich auf neue Herausforderungen zugehen. Die Herausforderungen, die das Kind angeht, sollten dabei in der Komplexität und Schwierigkeit dem aktuellen Entwicklungsstand angemessen sein: nicht zu leicht, nicht zu schwer, sondern gerade so, dass sie tatsächlich zu bewältigen sind mit etwas Anstrengung. Durch das Erlernen eines guten Umgangs mit Frustration kann so auch eine herausfordernde Tätigkeit umgesetzt werden.

Eure

Zur Autorin:
Susanne Mierau ist Diplom-Pädagogin (Schwerpunkt Kleinkindpädagogik) und Familienbegleiterin. Sie arbeitete an der FU Berlin in Forschung und Lehre, bevor sie sich 2011 im Bereich bedürfnisorientierte Elternberatung selbständig machte. Ihr 2012 gegründetes Blog geborgen-wachsen.de und ihre Social Media Kanäle sind wichtige und viel genutzte freie Informationsportale für bedürfnisorientierte Elternschaft und tragen seit über 10 Jahren maßgeblich zur Verbreitung bedürfnisorientierter Erziehung bei. Susanne Mierau gibt Workshops für Eltern und Fachpersonal und spricht auf Konferenzen und Tagungen über kindliche Entwicklung, Elternschaft und Familienrollen.

Foto: Ronja Jung für geborgen-wachsen.de

Der Gender-Sleep-Gap – Jede Mutter kann schlafen lernen

Babys, Kinder und Teenager schlafen anders als Erwachsene. Glücklicherweise hat sich in den vergangenen Jahren immer mehr das Wissen durchgesetzt, dass dieser andere Schlaf von jungen Menschen kein Fehler ist, sondern aus Sicht der Entwicklung durchaus sinnvoll. Gleichzeitig stellt sich aber noch immer die Frage: Wenn mein Kind richtig schläft, so wie es schläft, wie soll ich dann ausreichend Schlaf finden? Gerade dann, wenn das Baby oder Kleinkind nachts noch Nahrung benötigt oder Schwierigkeiten hat, nach dem (normalen) Aufwachen zwischen den Schlafphasen schnell wieder in den Schlaf zu finden? Bedeutet das nicht zwangsweise, dass Eltern anders schlafen müssen? Tatsächlich benötigen viele Kinder ihre Bezugspersonen nachts zur Regulation und Begleitung. Allerdings sprechen und denken wir in Bezug auf das nächtliche Begleiten eben nicht von Eltern, sondern von Müttern.

Die Schlaflücke – Wie groß der Gender-Sleep-Gap wirklich ist

Mütter begleiten insbesondere in den Schlaf und rund um den Schlaf – wie sie auch sonst mehr Care-Arbeit übernehmen. Laut einer Studie des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung ist der Schlaf von Eltern innerhalb der ersten sechs Jahre nach der Geburt des ersten Kindes in seiner Qualität und Dauer beeinträchtigt – Mütter schlafen hierzulande in den ersten drei Monaten nach der Geburt durchschnittlich eine Stunde weniger, Väter 15 Minuten weniger. Dieser Differenz im Umsorgen des Schlafes passt sich ein den bestehenden Gender-Care-Gap:

Die Sorgelücke betrug im Jahr 2019 (trotz allgemeiner Verringerung seit dem Jahr 1992) noch immer 52,4 Prozent: Frauen wenden täglich 52,4 Prozent mehr Zeit für unbezahlte Sorgearbeit als Männer auf. Hierbei muss aber noch einmal genauer nach Alter und Lebenssituation differenziert werden: In der Altersgruppe der 34jährigen beträgt der Gender-Care-Gap sogar 110,6 Prozent. Frauen dieser Altersgruppe verbringen pro Tag durchschnittlich 5 Stunden und 18 Minuten mit Care-Arbeit, während Männer 2 Stunden und 31 Minuten damit verbringen. Besonders viel Care-Arbeit fällt in Haushalten mit Kindern an. Hier verrichten Mütter 2 Stunden und 30 Minuten mehr Care-Arbeit als Väter.

Susanne Mierau „Füreinander sorgen“ (2023, S.59)

Sind Mütter bessere Versorgerinnen nachts?

Kinder brauchen nächtliche Fürsorge und sie muss von ihren nahen Bezugspersonen geleistet werden. Doch das nächtliche Umsorgen muss keinesfalls ausschließlich durch ein Elternteil erfolgen und ist nicht an ein Geschlecht gebunden.

Die israelische Psychologin und Hirnforscherin Ruth Feldman hat festgestellt, dass Mütter in der Regel mit einer geöffneten Amygdala schlafen (die Region im Gehirn, die u.a. für Gefühle verantwortlich ist und potenzielle Gefahren analysiert): Hierdurch sind sie für die Signale des Babys auch während des Schlafs zugänglich ist. Diese Aktivierung bleibt auch nach der Babyzeit bestehen. Väter hingegen können mit einem geschlossenen Mandelkern schlafen, weil sie wissen, dass die Mutter sich kümmern wird. Ist allerdings ein Vater eine Hauptbezugsperson, wird bei diesem der Mandelkern aktiviert. Es ist also – wie generell bei der Care-Arbeit – keine Frage des Geschlechts, sondern der Zuständigkeit und der Verantwortlichkeit. Das Umsorgen von Babys und Kindern wird gelernt und braucht aktives Tun.

Folgen des Schlafmangels für Mütter

Dass nun Mütter besonders für die nächtliche Care-Arbeit zuständig sind, bleibt nicht folgenlos. Wir haben bereits gesehen, dass die Zeitmenge des Schlafdefizits durchaus beträchtlich ist. In der Regel können wir kurzfristig mit weniger oder keinem Schlaf ohne große Schäden davonkommen und der in der Elternschaft erlebte Schlafmangel muss nicht zwangsweise zu Problemen führen, aber langfristig oder in Kombination mit vorher oder nachher (wenn sich Schlafstörungen durch diese Zeit und nächtliche Begleitung entwickeln) bestehenden Schlafstörungen kann er sich auf unser körperliches und psychisches Wohlergehen auswirken: das Immunsystem, unser Gehirn, psychische Erkrankungen und unsere Emotionen.

Schlafmangel macht uns launischer, gereizter und nervöser. Damit einher geht, dass sich unser Blick auf die Welt verändert, da sich Menschen mit Schlafstörungen besser an negative Erlebnisse erinnern als an positive. Gerade in der Elternschaft ist das eine sehr ungünstige Auswirkung von Schlafmangel, wenn sich der Blick auf das Erleben, aber auch auf das Kind, negativ eintrübt und nur noch die schlechten Seiten betrachtet werden und kein ressourcenorientierter, wohlwollender Blick mehr möglich ist. Hinzu kommt vielleicht noch das abendliche oder nächtliche Grübeln, wenn ein Ein- oder Durchschlafproblem vorliegt.

Susanne Mierau (2024): Das Schlafbuch für die ganze Familie, S.58

Gerade Menschen, die in der Verantwortung stehen, sich mit Feinfühligkeit um andere kümmern zu müssen, brauchen Schlaf, um Signale zu bemerken und angemessen darauf reagieren zu können, brauchen Kraft für die vielen Handgriffe des Tages und die Begleitung von Emotionen des Kindes und Regulation der eigenen.

Starke Gefühle wie Zorn, Wut, Kampf-oder-Flucht wurden bei den Personen mit Schlafmangel um über 60 Prozent verstärkt, während die ausgeschlafenen Personen kontrollierter und gemäßigter reagierten. Vielleicht kommt es in Bezug auf das gewaltfreie Begleiten von Kindern also viel mehr darauf an, dass wir ausgeschlafen sein können, als uns bisher bewusst war.

Susanne Mierau (2024): Das Schlafbuch für die ganze Familie, S.65

Doch nicht nur in Bezug auf die Begleitung der Kinder und das psychische und physische Wohlergehen ist der Schlafmangel der Mütter problematisch. Schließlich wird neben all dem Umsorgen, der täglichen und nächtlichen Care-Arbeit auch Leistung in der Erwerbsarbeit erwartet.

Frauen verdienen weniger, erhalten weniger Rente, kümmern sich mehr unbezahlt um andere. Dass sie all dies auch noch trotz Schlafmangels tun, dass sich dieser Schlafmangel auch noch negativ auf ihre Karrierechancen und Erwerbsarbeit auswirkt, wird nicht bedacht. Der Gender-Sleep-Gap ist hierzulande noch recht unbekannt. Dass wir uns müde weniger politisch engagieren können und damit weniger Kraft haben, um etwas an unserer Situation zu verändern, setzt all dem noch die Krone auf.

Susanne Mierau (2024): Das Schlafbuch für die ganze Familie, S.265

Wie kann jede Mutter schlafen lernen?

Wir brauchen also zweifellos politische Lösungen und gesamtgesellschaftliche Lösungen, um das Problem der schlaflosen Mütter anzugehen. Wir müssen darüber reden, wie es uns geht, warum wir müde sind und aufhören, diese Müdigkeit als Selbstverständlichkeit für Mütter hinzustellen. Nur weil es der Norm entspricht, ist es nicht richtig oder gesund.

Innerhalb von Familien brauchen wir mehr Schlafgerechtigkeit. Nicht nur die erwerbsarbeitende Person braucht ausreichend Schlaf, sondern auch carearbeitende brauchen Schlaf. „Du bist ja nur zu Hause, dann kannst du dich nachts ja um das Kind kümmern!“ sollte wirklich kein Argument sein, um einer Person den Schlafmangel zuzuschieben. Und ja: Es ist möglich, sich den Schlaf aufzuteilen und Care-Arbeiten umzuschichten, damit sich der nachts betreuende Elternteil wenigstens tagsüber mehr ausruhen kann. Gerade auch für Alleinerziehende braucht es mehr Unterstützung und Ressourcen, um Schlafmangel aufzufangen. Das wichtigste ist aber zuerst: Dass wir auch hier benennen, dass es einen ungerechten Unterschied gibt und dass dieser behoben werden muss.

Zur Autorin:
Susanne Mierau ist Diplom-Pädagogin (Schwerpunkt Kleinkindpädagogik) und Familienbegleiterin. Sie arbeitete an der FU Berlin in Forschung und Lehre, bevor sie sich 2011 im Bereich bedürfnisorientierte Elternberatung selbständig machte. Ihr 2012 gegründetes Blog geborgen-wachsen.de und ihre Social Media Kanäle sind wichtige und viel genutzte freie Informationsportale für bedürfnisorientierte Elternschaft und kindliche Entwicklung. Susanne Mierau gibt Workshops für Eltern und Fachpersonal und spricht auf Konferenzen und Tagungen über kindliche Entwicklung, Elternschaft und Familienrollen.

Foto: Ronja Jung für geborgen-wachsen.de

Wie Kinder lernen, Dinge zu teilen

Das Teilen ist ein positiver Wert, den viele Eltern in ihren Kindern verinnerlichen wollen. Dieser Wert erscheint so wichtig, dass Eltern manchmal beschämt sind, wenn das eigene Kind jetzt gerade nicht teilen möchte. So wird das Kind dazu gedrängt, „jetzt doch mal was abzugeben“ oder „auch nett zum anderen Kind“ zu sein. Es wird sich beim Gegenüber entschuldigt, wenn das Kind trotz Druck einfach nicht zum Teilen bewegt werden kann. Manchmal wird sogar in oder nach der erfolglosen Teil-Situation mit dem Kind geschimpft. Aber ist das ein guter Weg, um Kinder zum Teilen zu bringen?

Teilen ist weiterhin wichtig für Menschen

Das Teilen ist ein wichtiger Bestandteil unseres menschlichen Seins, da sich unser Mensch-Sein im Miteinander und gegenseitiger Unterstützung ausgebildet hat: Erst durch das Zusammenarbeiten von Menschen und gegenseitige Unterstützung ist es dem Menschen gelungen, sich über die ganze Welt auszubreiten und Regeln für das Zusammenleben zu gestalten, die eine Gemeinschaft stützen und schützen. Dass wir also auch weiterhin das Teilen und Kooperation als wichtige Werte einschätzen, die an die folgende Generation weitergeben werden sollen, ist verständlich. Doch der Weg dorthin führt nicht über Strenge und das Einfordern von Freundlichkeit, sondern über empathische Zuwendung und Vorbild.

Soziales Verhalten entwickelt sich über die Zeit und wird mit zunehmendem Alter komplexer. Etwa im zweiten Lebensjahr zeigen Kinder bereits ein erstes soziales Verhalten, wie verschiedene Studien zeigen, indem sie anderen helfen, andere unterstützen, teilen und kooperieren – allerdings ist dieses noch recht spezifisch ausgerichtet und nicht allgemein. Für die Ausbildung eines umfassend sozialen Verhaltens sind vielfältige soziale und emotionale Erfahrungen wichtig.

Kein Druck, sondern Einfühlung

Wesentlich für das Teilen ist die Entwicklung von Empathie. Kinder brauchen ihre nahen Bezugspersonen, um sie mit der Gefühlswelt des Gegenüber vertraut zu machen. Das bedeutet, zusammen mit dem Kind darüber zu sprechen: „Wie fühlt sich das andere Kind?“, „Wie fühlt es sich, wenn du mit dem Kind teilst?“ Auch Kinderbücher können eine gute Möglichkeit sein, um über Gefühl und gegenseitige Unterstützung zu sprechen „Was fühlt das Kind im Buch? Warum fühlt es sich so?“ In zwei Untersuchungen mit kleiner Stichprobengröße an Kleinkindern und ihren Eltern konnte gezeigt werden, dass Kleinkinder sich sozialer verhielten, wenn Eltern mit ihnen über die Gefühle der Personen in Kinderbüchern sprachen und sie anregten, selbst über die Gefühle anderer nachzudenken.

Auch in sozialen Alltagssituationen ist es bedeutsam, Kindern nicht nur zu erklären, wie andere sich fühlen, sondern sie zur Reflexion anzuregen: Wie fühlen sich andere Menschen? Woran erkennt das Kind, dass der andere Mensch so fühlt? Wie lässt sich dieses Empfinden verändern?

Vorbild sein

Neben aller Begleitung und Anregung kommt es auch bei der Entwicklung sozialen Verhaltens und des Teilens darauf an, wie sich die nahen Bezugspersonen selbst verhalten und welches Vorbildverhalten sie zeigen: Wann kann das Kind die Bezugspersonen beim Teilen beobachten? Wie reagieren die Erwachsenen darauf, wenn von ihnen das Teilen eingefordert wird durch andere, beispielsweise am Familientisch oder in der Öffentlichkeit? Wie verhalten sich die Eltern untereinander, aber auch gegenüber den eigenen Kindern in Bezug auf das Teilen? Gibt es Rituale des Teilens, die das Kind bei den Erwachsenen erlebt, beispielsweise wenn Kleidung gespendet wird oder wird thematisiert, dass die Familie an gemeinnützige Einrichtungen spendet?

Wie in allen anderen Bereichen der kindlichen Entwicklung sollte auch bei der Entwicklung des Sozialverhaltens und des Teilens nicht mit Druck und Strafen gearbeitet werden. Vielmehr sollte die emotionale Entwicklung unterstützt werden durch Gespräche über die eigenen und fremde Gefühle, sowie ein gutes Vorbildverhalten.

Eure

Zur Autorin:
Susanne Mierau ist Diplom-Pädagogin (Schwerpunkt Kleinkindpädagogik) und Familienbegleiterin. Sie arbeitete an der FU Berlin in Forschung und Lehre, bevor sie sich 2011 im Bereich bedürfnisorientierte Elternberatung selbständig machte. Ihr 2012 gegründetes Blog geborgen-wachsen.de und ihre Social Media Kanäle sind wichtige und viel genutzte freie Informationsportale für bedürfnisorientierte Elternschaft und kindliche Entwicklung. Susanne Mierau gibt Workshops für Eltern und Fachpersonal und spricht auf Konferenzen und Tagungen über kindliche Entwicklung, Elternschaft und Familienrollen.

Foto: Ronja Jung für geborgen-wachsen.de

Können Kinder zu viel Spielzeug haben?

Eigentlich erscheint der Gedanke doch logisch: Je mehr Spielzeug Kinder haben, desto besser sollten sie sich doch allein beschäftigen können und desto eher lernen sie, wie die Welt funktioniert? Nicht selten denken Eltern deswegen, dass sie vielleicht noch dieses oder jenes Spielzeug kaufen sollten, damit das Kind dann endlich besser allein spielen kann, sich intensiver beschäftigt, besser gefördert wird. Vielleicht ist die Auswahl doch einfach zu klein und das Kind langweilt sich?

Die Interessen des Kindes im Blick haben

Tatsächlich ist es wichtig, die aktuellen Interessen und die aktuelle Entwicklung des Kindes im Blick zu haben, wenn es um Spielzeug geht. Denn oft spielen Kinder die Themen nach, die sie gerade bewegen: Da geht es im Spiel um „Gut und Böse“ und Drachen kämpfen gegen Einhörner, es werden soziale Situationen (manchmal sehr überspitzt) nachgespielt oder Erfahrungen aus dem Alltag oder Rollenvorbilder nachgespielt. Die Kinder üben sich in fein- oder grobmotorischen Tätigkeiten, wollen jetzt gerade besonders viel Springseilspringen oder über Hindernisse balancieren.

Über das, wofür sich das Kind gerade im Spiel interessiert, erfahren wir also viel über seine aktuelle Entwicklung und die Themen, die es gerade bewegt. Für das Kind ist es toll, wenn das gesehen und bedient wird.

Viel hilft nicht viel

Der Trugschluss dabei ist aber, dass viel Material auch viel helfen würde. In einer kleinen Studie der University of Toledo aus dem Jahr 2018, in der 36 Kleinkinder untersucht wurden, zeigte sich, dass weniger Spielzeug zu fokussiertem und kreativerem Spiel führte als viel Spielzeugangebot. Ein 10jähriges Kind in Großbritannien verfügt etwa über 238 verschiedene Spielzeuge (damit sind nicht einzelne Bausteine gemeint, sondern Spielzeugsysteme) im Wert von etwa £6,500, wobei eine Studie zeigte, dass 8 von 10 Kindern nur mit maximal 20 Spielzeugen aus der ganzen Auswahl an Material tatsächlich auch spielen. Einige Kinder werden von der großen Auswahl mehr abgelenkt, andere weniger. Tatsächlich brauchen Kinder aber keine riesige Auswahl.

Verschiedene Spielangebote

Wer viele Spielsachen zu Hause hat, kann die Materialien immer mal wieder austauschen: Ein Teil der Spielsachen kann im Keller gelagert werden oder mit anderen getauscht werden, so dass immer mal wieder neue Impulse kommen. Aussortiert kann dann (je nach Alter) mit dem Kind werden: Spielst du damit aktuell wirklich noch, oder können wir das zur Seite räumen, bis du wieder damit spielen magst? Wichtig ist dafür natürlich, dass das Kind wirklich darauf vertrauen kann, dass das Spielzeug auch zurück kommt. Wer damit droht, Spielsachen wegzuwerfen, weil beispielsweise nicht gut aufgeräumt wurde, kann ein solches Vertrauen nur schwer aufbauen. Generell sollte nicht damit gedroht werden, Spielsachen einfach zu verschenken oder zu entsorgen.

Bei den Angeboten, die im Kinderzimmer vorhanden sind, sollten wir viel weniger darauf achten, dass es 100 verschiedene Spielzeugautos oder viele verschiedene Kuscheltiere gibt, sondern vielmehr, dass es eine Varianz an Spielmöglichkeiten gibt: etwas zum Konstruieren, etwas für Rollenspiel (jenseits von Stereotypen), etwas für das Lernen von Regeln und Miteinander wie (kooperative) Brettspiele etc. So haben Kinder die Möglichkeit, die verschiedenen Entwicklungsbereiche im Spiel auszubauen und sich über das Spiel die Welt anzueignen.

Auch viele Kitas setzen immer wieder einmal auf spielzeugfreie Zeiten, Spielzeugfasten/Spielzeugferien und das Reduzieren von Spielsachen, um die Kinder im sozialen Spiel und der Fantasie anzuregen und zu ergründen, welche Materialien jetzt gerade wirklich interessant sind.

Die falsche Idee des beschäftigten Kindes

Viele Eltern denken, dass Kinder sich mit mehr Spielmaterialien endlich selbst beschäftigen würden. Aber Kinder sind soziale Wesen. Die Aneignung der Welt erfolgt durchaus über das Spiel, aber wesentlich auch in Zusammensein mit anderen Menschen – jeden Alters. Zu erwarten, dass Kinder über lange Strecken ganz allein und ruhig im Kinderzimmer spielen würden, ist bei vielen Kindern eine falsche Erwartung. Durchaus gibt es diese Phasen und durchaus gibt es auch Kinder, die lieber und solche, die weniger gern allein spielen, aber viele Kinder wünschen sich ein Miteinander und spielen nicht über lange Zeiträume entspannt allein.

Als Eltern können und müssen wir dabei nicht beständig die Position des Spielpartners übernehmen. Wir können auch nicht das Spiel mit anderen Kindern ersetzen, weil wir als Erwachsene anders denken und handeln. Wir können aber für ein Miteinander mit anderen Kindern sorgen und unsere Kinder in unsere Handlungen und unseren Alltag einbeziehen – auch das kann nämlich oft spielerisch sein.

Unser Alltag lässt uns oft zu wenig Raum für all die tausend Dinge, die wir als Eltern zu erledigen haben – und zu wenig Zeit für das Miteinander. Das ist ein strukturelles Problem. Gleichzeitig haben wir ein schlechtes Gewissen, dass wir nicht mitspielen (wollen) mit unseren Kindern. Wir denken manchmal, das x-te Spielzeug wäre eine Lösung. Mehr Spielzeug bedeutet aber nicht per se, glücklichere, schlauere oder intensiv spielendere Kinder zu haben.

Spielen ist von enormer Bedeutung für unsere Kinder: Sie brauchen dafür Zeit, Raum und die Chance, sich mit genau dem beschäftigen zu können, was gerade ihr Thema ist.

Eure

Zur Autorin:
Susanne Mierau ist Diplom-Pädagogin (Schwerpunkt Kleinkindpädagogik) und Familienbegleiterin. Sie arbeitete an der FU Berlin in Forschung und Lehre, bevor sie sich 2011 im Bereich bedürfnisorientierte Elternberatung selbständig machte. Ihr 2012 gegründetes Blog geborgen-wachsen.de und ihre Social Media Kanäle sind wichtige und viel genutzte freie Informationsportale für bedürfnisorientierte Elternschaft und kindliche Entwicklung. Susanne Mierau gibt Workshops für Eltern und Fachpersonal und spricht auf Konferenzen und Tagungen über kindliche Entwicklung, Elternschaft und Familienrollen.

Foto: Ronja Jung für geborgen-wachsen.de

Übergänge bewusst im Alltag wahrnehmen

Gastartikel von Janna Visser

Übergänge sind Teil unseres Lebens. Einerseits die großen, lebensverändernden Übergänge, wie Umzüge, Trennungen oder Schulwechsel. Andererseits die vielen kleinen Übergänge, die unseren Alltag strukturieren, z. B. das morgendliche Aufstehen, das Verlassen des Hauses oder der Abschied vom Spielplatz. Einige dieser Übergänge gelingen uns leicht und voller Freude, einige können uns belasten. Wir geraten in Stress und manchmal beginnen wir sie zu vermeiden.

Wahrnehmung von Übergängen

Viele Übergänge nehmen wir in unserem Alltag als Erwachsene nicht mehr bewusst wahr. Sie sind für uns unsichtbar geworden. Denn je öfter wir einen Übergang erleben, desto mehr wissen wir, was auf uns zu kommt. Wir können für uns sorgen, etwas vorbereiten und entwickeln Routinen.

Für Kinder können alle Übergänge, die für uns Erwachsene nebenbei ablaufen, neu, spannend und herausfordernd sein. Sie entwickeln in unserem gemeinsamen Alltag Strategien für diese Übergänge und haben diverse Ideen, wie sie diese oder jene Situation gestalten könnten. Diese Ideen passen nicht unbedingt zu unseren Plänen, den Verkehrsregeln oder den Grenzen anderen Menschen. Oft ergibt das Verhalten des Kindes für uns zunächst keinen Sinn und wir finden uns wiederholt in ähnlichen Konflikten wieder. Häufig wissen wir nachher gar nicht genau, was der Auslöser eines Streits war.

An der Seite des Kindes

Bei jedem Übergang werden Kinder, wie wir alle, mit unterschiedlichen, teilweise auch widersprüchlichen, Gefühlen von Freude bis Frustration konfrontiert. Deshalb brauchen sie unsere Unterstützung, um im sicheren Rahmen unserer Begleitung selbst zu erfahren, wie sie ihre Gefühle regulieren und mit welchem Verhalten sie ihre Bedürfnisse am besten erfüllen können.

Der erste Schritt für uns Erwachsene ist dabei die grundsätzliche Wahrnehmung von Übergängen, den dazugehörigen Gefühlen und dem eigenen Umgang damit. Dafür braucht es nicht unbedingt die komplexen und schwierigen Übergänge. Wir können von jedem Übergang lernen, welche Handlungen uns unterstützen. 

Es ist hilfreich sich bewusst zu machen, dass ein Übergang einen Anfang und ein Ende hat und alle Beteiligten Beginn und Abschluss ganz unterschiedlich wahrnehmen können. Das hängt unter anderem von Faktoren wie dem Wissen und der Verantwortlichkeit für Aufgaben rund um den Übergang ab: Beginnt der Übergang mit der Planung und Vorbereitung eines Ausflugs oder mit dem Verlassen des Hauses? Klare Absprachen bezüglich des Ablaufs und der Zuständigkeiten können Übergänge gleichberechtigt für alle sichtbar machen und Konflikte vorbeugen.

Übergänge und Erwartungen

Abhängig davon wie wir Übergänge wahrnehmen und unsere individuellen Rahmenbedingungen aussehen, bewerten wir Übergänge in ihrer Dringlichkeit, Intensität und Bedeutung. Es kann helfen zu schauen was genau wir über den jeweiligen Übergang wissen, woher diese Informationen stammen und was wir erwarten. Wer welchen Übergang für die Erfüllung der eigenen Bedürfnisse braucht, kann Klarheit für die empathische Gefühlsregulation bei uns Erwachsenen – und auch bei den Kindern – geben. Wenn wir lernen, während eines Übergangs unsere (eigenen) Bedürfnisse zu erfüllen, werden wir entspannter und kreativer bei der Lösung von Konflikten.

Nach dem Übergang ist vor dem Übergang

Wie im Projektmanagement oder Profi-Sport ist es während und nach Übergängen lohnenswert zu reflektieren. Kinder profitieren sehr davon, wenn sie beobachten dürfen, wie wir über Situationen nachdenken, alternative Handlungsmöglichkeiten entwickeln und sie daran aktiv teilhaben dürfen. Je nachdem wie unser Alltag gerade aussieht, gibt es mehr oder weniger Raum und Zeit um seine Gedanken zu sortieren. Hier eine Übung für zwischendurch:

Botschaft an mich selbst

Denke an einen kleinen, alltäglichen Übergang aus den letzten Stunden und erzähle deinem Vergangenheits-Ich in einer Nachricht, einer kurzen Notiz oder einer Sprachnachricht davon. Folgende Fragen können dabei helfen:

– Welches Wissen hätte ich gerne zu dem Zeitpunkt des Übergangs gehabt?

– Was hat mir an meinem Verhalten gut gefallen?

– Wer oder was hat mir in der Situation geholfen?

– Welche Tipps gebe ich meinem Vergangenheits-Ich mit auf den Weg?

Je öfter wir einen Übergang erlebt haben, desto mehr lernen wir für uns zu sorgen. Solche Übungen helfen uns dabei, unsere Anteile bei der Erfüllung der eigenen und kindlichen Bedürfnisse zu erkennen. Wir können so gezielt üben, Ideen und Strategien zu sammeln und dadurch mit Klarheit und Flexibilität Herausforderungen in zukünftigen Übergängen begegnen.

Eure

Janna Visser ist Sozialarbeiterin B.A., Erziehungs- und Bildungswissenschaftlerin M.A. und Mediatorin. Sie arbeitete in der Kinder- und Jugendhilfe, Schulsozialarbeit, Bildungsarbeit sowie Forschung und Lehre. Ende 2022 hat sie sich auf die bedürfnisorientierte Begleitung von Übergängen spezialisiert. Ihr Angebot richtet sich an Familien, Erwachsene und Jugendliche sowie pädagogische Fachkräfte & Firmen. Ein Teil ihres Konzepts ist die solidarische Bezahlung nach Ermessen. Mehr über ihre Arbeit erfährst du auf ihrer Seite oder bei Instagram .

„Mit dir spiele ich nie wieder!“ – Konflikte unter Kindern begleiten

Die meisten Eltern kennen wohl diese Situation: Das Kind kommt zurück aus dem Kindergarten/aus der Schule/von einem Besuch bei Freund*innen und erzählt, dass das andere Kind gesagt hat, dass sie keine Freund*innen mehr sind. Oder schreit ein anderes Kind auf dem Spielplatz selbst an: „Mit dir spiele ich nie wieder!“. Ein Kind, das solche Sätze gesagt bekommt „Ich bin nicht mehr deine Freund*in!“ oder „Mit dir spiele ich nie wieder!“ ist oft traurig, weint, zieht sich vielleicht zurück, will getröstet werden. Als Erwachsene wissen wir zwar oft, dass die Situation schon morgen sehr wahrscheinlich anders aussehen wird, aber davon ist die aktuelle Not des Kindes nicht aufzuheben.

Das Kind braucht Trost und Verständnis

Selbst wenn wir wissen, dass dieser Streit schon morgen keinen Bestand mehr hat, braucht unser Kinder jetzt gerade unser Verständnis und unsere Zuwendung. Der Ausschluss aus einer sozialen Gruppe schmerzt das Kind, schließlich basiert unser menschliches Leben auf dem Zusammensein und dem Schutz durch die Gruppe. Der sogenannte soziale Schmerz des Ausschlusses, des Nicht-Dazugehörens oder auch Ignoriertwerdens schmerzt in einem Kind wie eine körperliche Wunde und aktiviert im Gehirn auch die gleichen Regionen.

Wenn Kinder sich also ausgegrenzt fühlen, brauchen sie Trost, Zuwendung und Verständnis. Auch wenn wir Erwachsene nicht direkt mitfühlen können und unser vorausschauender Blick diesen Streit anders einordnet, sollten wir uns auf das Empfinden des Kindes konzentrieren, es trösten und nach der individuellen Trostzeit gemeinsam Lösungen suchen.

Warum „Das wird schon wieder“ nicht hilfreich ist

Auch wenn wir denken, dass sich die Situation von allein einrenken wird, hat das Kind jetzt aktuell Schmerzen . Zudem wissen wir nicht, ob sich die Situation wirklich so einfach von allein einrenkt, sondern vielleicht über einen längeren Zeitraum bestehen bleibt oder sich sogar verschlimmert. Das Kind allein zu lassen mit einem „Das wird schon wieder“ vermittelt dem Kind, dass wir es mit einer Konfliktsituation, die es anscheinend nicht allein bewältigen kann, allein lassen. Zudem kann das Gefühl transportiert werden – auch durch Sätze wie „Da stehst du doch drüber, lass dich nicht unterkriegen“ – dass das Verhalten des anderen Kindes/der anderen Kinder einfach geduldet werden sollte. So kann sich eine Passivität entwickeln und ein Unterordnen unter eigentlich schmerzhafte und ausgrenzende Strukturen. Kein Kind sollte verinnerlichen, dass es okay ist, wenn andere schlecht mit ihm umgehen, es beleidigen oder ausstoßen.

Je jünger das Kind ist, desto dringender braucht es nicht nur die Regulation der aktuell schmerzhaften Gefühle, sondern auch Unterstützung in der Konfliktlösung. Als sichere Bindungspersonen ist es die Aufgabe der Eltern, dem Kind Sicherheit zu geben und es vor Gefahren zu schützen. Auch die psychische oder physische Gewalt (wozu auch der Ausschluss aus einer Gruppe gehört) durch andere ist eine solche Situation, in der sich das Kind auf die nahen Bezugspersonen verlassen muss. Eltern fungieren im Rahmen des Bindungssystem als Schutz, auch in Hinblick auf die emotionale Unversehrtheit.

Aber reagiere ich nicht über?

Manchmal ist es für Eltern schwer, diese Position des Schutzes einzunehmen: Vielleicht halten mich andere dann für ein Helikopter-Elternteil? Reagiere ich hier über? Es ist allerdings wichtig, dass sich Eltern hier vor Augen führen, dass es um ein Problem des Kindes geht und es dem Kind aktuell schlecht geht. Die persönlichen Unsicherheiten sollten an dieser Stelle nicht die Not des Kindes überschatten und sind ein Thema, dem sich Eltern gesondert von der aktuellen Situation stellen sollten.

Gegenüber Pädagog*innen, Lehrenden und anderen Eltern ist es wichtig, eine klare Haltung einzunehmen. Das ist nicht immer einfach, wenn das Kind beispielsweise von dem Kind einer Freundin ausgeschlossen wurde oder Pädagog*innen in der Schule erklären, das Kind hätte ja einfach selber kommen können, wenn es ein Problem hat. Es kann viele Gründe geben, warum sich das Kind anderen nicht anvertraut hat, aber den eigenen Eltern. Auch hier ist es wichtig, die Schutzfunktion einzunehmen und dafür einzustehen, lösungsorientiert und respektvoll mit der Problemsituation umgehen zu wollen.

Gemeinsam Lösungen suchen

Viele Eltern denken, dass Kinder ihre Probleme schon unter sich lösen können. Leider ist dies nicht immer der Fall: Kinder sind unterschiedlich, haben unterschiedliche Temperamente. Einige Kinder sind extrovertierter, andere introvertierter. Konflikte nicht zu begleiten und gute Konfliktlösungsstrategien nicht aufzuzeigen, würde die Dominanz der stärkeren, extrovertierteren Kindern stärken. Kinder müssen jedoch lernen, Konflikte gerecht auszutragen und müssen Konfliktlösungsstrategien verinnerlichen. Das bedeutet, dass introvertiertere Kinder durch Begleitung lernen dürfen, wie sie ihre Meinung einbringen können und für ihre Bedürfnisse und Gefühle einstehen dürfen, während andere Kinder lernen müssen, anderen auch Raum für deren Meinung zu überlassen und manchmal einen Schritt zurück zu treten und sich zu beruhigen. Dies lernen Kinder durch unser Vorbild, aber auch durch Anleitung. Kinder brauchen Konfiktbegleitung durch ihre Bezugspersonen, um nach und nach über Jahre zu lernen, wie sie gut mit Problemen und Konflikten umgehen zu können.

Wenn Ausgrenzungen oder Beleidigungen immer wieder auftreten

Wenn Ausgrenzungen, Beleidigungen oder auch körperliche Gewalt immer wieder auftreten, kann man von Mobbing sprechen. Da Mobbing oft erst recht spät von Erwachsenen als solches erkannt wird, ist es wichtig, dass schon bei obigen Problemen eingegriffen wird, damit sich die Gewalt gegenüber dem Kind nicht normalisiert. Kinder, die von anderen angegriffen werden, tragen keine eigene Schuld am übergriffigen Verhalten der anderen – der gegenteilige Gedanke ist Teil des Problems, dass das Mobbing erst spät in seiner Tragweite bemerkt wird: Wird dem Kind immer wieder vermittelt „Naja, wenn wir ehrlich sind, hast du ja auch…“ ist das eine Täter-Opfer-Verschiebung. Wichtig ist, dass das betroffene Kind von den nahen Bezugspersonen Verständnis, Sicherheit und Unterstützung erhält. Das Kind kann sich aus dieser Situation in der Regel nicht selbst befreien. Es ist gut, zunächst mit dem Kind in das Gespräch zu kommen darüber, was es selbst will. Darüber kann dann überlegt werden, welche weiteren Hilfen in Anspruch genommen werden sollten: Oft muss das pädagogische Personal in Kita/Schule einbezogen werden, das als Bezugsperson ebenso für den Schutz des Kindes zuständig ist. Eventuell gibt es vor Ort auch sichere Bezugspersonen, die das Kind schützen und unterstützen können. Darüber hinaus kann psychologische Unterstützung bis hin zu rechtlichem Beistand notwendig sein (je nach Schwere und Situation). Auch spezielle individuelle Mobbingberatung gibt es, wie auch Workshops für Schulklassen.

Eure

Zur Autorin:
Susanne Mierau ist Diplom-Pädagogin (Schwerpunkt Kleinkindpädagogik) und Familienbegleiterin. Sie arbeitete an der FU Berlin in Forschung und Lehre, bevor sie sich 2011 im Bereich bedürfnisorientierte Elternberatung selbständig machte. Ihr 2012 gegründetes Blog geborgen-wachsen.de und ihre Social Media Kanäle sind wichtige und viel genutzte freie Informationsportale für bedürfnisorientierte Elternschaft und kindliche Entwicklung. Susanne Mierau gibt Workshops für Eltern und Fachpersonal und spricht auf Konferenzen und Tagungen über kindliche Entwicklung, Elternschaft und Familienrollen.

Foto: Ronja Jung für geborgen-wachsen.de