Wie Kinder lernen, Dinge zu teilen

Das Teilen ist ein positiver Wert, den viele Eltern in ihren Kindern verinnerlichen wollen. Dieser Wert erscheint so wichtig, dass Eltern manchmal beschämt sind, wenn das eigene Kind jetzt gerade nicht teilen möchte. So wird das Kind dazu gedrängt, „jetzt doch mal was abzugeben“ oder „auch nett zum anderen Kind“ zu sein. Es wird sich beim Gegenüber entschuldigt, wenn das Kind trotz Druck einfach nicht zum Teilen bewegt werden kann. Manchmal wird sogar in oder nach der erfolglosen Teil-Situation mit dem Kind geschimpft. Aber ist das ein guter Weg, um Kinder zum Teilen zu bringen?

Teilen ist weiterhin wichtig für Menschen

Das Teilen ist ein wichtiger Bestandteil unseres menschlichen Seins, da sich unser Mensch-Sein im Miteinander und gegenseitiger Unterstützung ausgebildet hat: Erst durch das Zusammenarbeiten von Menschen und gegenseitige Unterstützung ist es dem Menschen gelungen, sich über die ganze Welt auszubreiten und Regeln für das Zusammenleben zu gestalten, die eine Gemeinschaft stützen und schützen. Dass wir also auch weiterhin das Teilen und Kooperation als wichtige Werte einschätzen, die an die folgende Generation weitergeben werden sollen, ist verständlich. Doch der Weg dorthin führt nicht über Strenge und das Einfordern von Freundlichkeit, sondern über empathische Zuwendung und Vorbild.

Soziales Verhalten entwickelt sich über die Zeit und wird mit zunehmendem Alter komplexer. Etwa im zweiten Lebensjahr zeigen Kinder bereits ein erstes soziales Verhalten, wie verschiedene Studien zeigen, indem sie anderen helfen, andere unterstützen, teilen und kooperieren – allerdings ist dieses noch recht spezifisch ausgerichtet und nicht allgemein. Für die Ausbildung eines umfassend sozialen Verhaltens sind vielfältige soziale und emotionale Erfahrungen wichtig.

Kein Druck, sondern Einfühlung

Wesentlich für das Teilen ist die Entwicklung von Empathie. Kinder brauchen ihre nahen Bezugspersonen, um sie mit der Gefühlswelt des Gegenüber vertraut zu machen. Das bedeutet, zusammen mit dem Kind darüber zu sprechen: „Wie fühlt sich das andere Kind?“, „Wie fühlt es sich, wenn du mit dem Kind teilst?“ Auch Kinderbücher können eine gute Möglichkeit sein, um über Gefühl und gegenseitige Unterstützung zu sprechen „Was fühlt das Kind im Buch? Warum fühlt es sich so?“ In zwei Untersuchungen mit kleiner Stichprobengröße an Kleinkindern und ihren Eltern konnte gezeigt werden, dass Kleinkinder sich sozialer verhielten, wenn Eltern mit ihnen über die Gefühle der Personen in Kinderbüchern sprachen und sie anregten, selbst über die Gefühle anderer nachzudenken.

Auch in sozialen Alltagssituationen ist es bedeutsam, Kindern nicht nur zu erklären, wie andere sich fühlen, sondern sie zur Reflexion anzuregen: Wie fühlen sich andere Menschen? Woran erkennt das Kind, dass der andere Mensch so fühlt? Wie lässt sich dieses Empfinden verändern?

Vorbild sein

Neben aller Begleitung und Anregung kommt es auch bei der Entwicklung sozialen Verhaltens und des Teilens darauf an, wie sich die nahen Bezugspersonen selbst verhalten und welches Vorbildverhalten sie zeigen: Wann kann das Kind die Bezugspersonen beim Teilen beobachten? Wie reagieren die Erwachsenen darauf, wenn von ihnen das Teilen eingefordert wird durch andere, beispielsweise am Familientisch oder in der Öffentlichkeit? Wie verhalten sich die Eltern untereinander, aber auch gegenüber den eigenen Kindern in Bezug auf das Teilen? Gibt es Rituale des Teilens, die das Kind bei den Erwachsenen erlebt, beispielsweise wenn Kleidung gespendet wird oder wird thematisiert, dass die Familie an gemeinnützige Einrichtungen spendet?

Wie in allen anderen Bereichen der kindlichen Entwicklung sollte auch bei der Entwicklung des Sozialverhaltens und des Teilens nicht mit Druck und Strafen gearbeitet werden. Vielmehr sollte die emotionale Entwicklung unterstützt werden durch Gespräche über die eigenen und fremde Gefühle, sowie ein gutes Vorbildverhalten.

Eure

Zur Autorin:
Susanne Mierau ist Diplom-Pädagogin (Schwerpunkt Kleinkindpädagogik) und Familienbegleiterin. Sie arbeitete an der FU Berlin in Forschung und Lehre, bevor sie sich 2011 im Bereich bedürfnisorientierte Elternberatung selbständig machte. Ihr 2012 gegründetes Blog geborgen-wachsen.de und ihre Social Media Kanäle sind wichtige und viel genutzte freie Informationsportale für bedürfnisorientierte Elternschaft und kindliche Entwicklung. Susanne Mierau gibt Workshops für Eltern und Fachpersonal und spricht auf Konferenzen und Tagungen über kindliche Entwicklung, Elternschaft und Familienrollen.

Foto: Ronja Jung für geborgen-wachsen.de

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