Kinder wollen gesehen werden, statt gelobt

„Papa, schau mal was ich kann!“ – „Ja, super!“ „Schau mal Papa, schau mal!“ „Ja, ich hab ja gesagt, das hast Du toll gemacht!“ „Schau mal jetzt, Papa!“ – „Ja, immer noch toll!“ – wahrscheinlich kennen viele solche oder ähnliche Gespräche mit Kindern. Auf dem Spielplatz, zu Hause beim Spielen, beim Malen, beim Bauen. Nach dem zweiten „Ja, toll!“ sind wir Eltern vielleicht schon ein wenig erschöpft, vielleicht ein wenig genervt. Wir haben doch gesagt, dass es toll es, kann das Kind jetzt in Ruhe weiter spielen? Aber das Kind möchte gar nicht gelobt werden. Es ruft nicht nach einem „Toll!“, sondern nach Beziehung.

Verschiedene Botschaften

„Schau mal, Mama/Papa!“ – was könnte das bedeuten? Lassen wir uns diese Worte einmal wirklich durch den Kopf gehen. Ruft das Kind hier nach einem Lob? Oder interpretieren wir vielmehr, dass das Kind gelobt werden möchte? Und welche Intention hat unser Lob als Eltern? Ist es ein aufrichtig gemeintes „Oh, wow, toll! Ich bin beeindruckt!“ oder ist es manchmal nicht doch eher ein „Ja, ja, nun spiel schön weiter.“?

Unsere Kinder bekommen von uns Eltern nicht selten Antworten aus einem überschaubaren Eltern-Antwort-Katalog: „Das ist ja toll!“, „Hast Du gut gemacht!“, „Ja, weiter so!“ – Nutzbar in verschiedenen Situationen, zu verschiedenen Anlässen. Ob nun oben auf dem Klettergerüst sitzend, ein neues Bild vorzeigend oder einen Turm gebaut. Dabei gehen wir nicht auf das ein, was das Kind eigentlich wünscht, nach dem es ruft, was es möchte. Mit einem „Schau mal!“ sagt es uns das, was diese Worte genau sagen: „Schau einmal her zu mir und dem, was ich getan habe/tue.“

Kinder wollen gesehen werden

Kinder wollen in ihrer Entwicklung, in ihrem Tun, in ihrem Entdecken der Welt gesehen werden. Nicht immer: Manchmal wollen sie auch still und leise etwas tun, heimlich. Manchmal, um Dinge zu tun, die wir ihnen sonst nicht erlaubt hätten und manchmal, um dann erst das Ergebnis zu präsentieren. Oft aber wollen sie in ihrem Alltag einfach in einem sozialen Austausch, in Kontakt sein. Sie sind soziale Wesen, so wie wir. Sie wollen erkannt werden in ihrer Art, ihrem Sein, ihrem Tun.

Statt Lob: Beziehung

Statt also eine Antwort aus unserem Eltern-Antwort-Katalog zu ziehen, können wir bei einem „Schau mal!“ kurz anhalten in unserem Tun und Denken und uns wirklich dem Kind zu wenden. Gerade jetzt ruft das Kind nach Beziehung, nach einem Miteinander. Es braucht kein Lob in Form von Worten wie „toll“, „schön gemacht“ oder „oh super“, sondern es möchte erfahren, gesehen worden zu sein. „Du bist alleine ganz nach dort oben geklettert!“, „Dieses Bild hast du aber bunt gemalt!“, „Ich habe gesehen, dass du dir ganz allein das Glas Wasser eingeschüttet hast!“ – Diese Sätze und Beschreibungen geben unseren Kindern in einer solchen Situation viel mehr als ein bloßes „toll gemacht“. Sie zeigen, dass das Kind in seinem Tun gesehen wurde. Sie zeigen, dass wir aufmerksam sind und uns Zeit nehmen für das Kind und sein Handeln. Und dies drückt viel mehr Wertschätzung aus als ein pauschales Lob, das in so vielen Situationen belanglos über die Lippen kommt. Und es führt dazu, dass das Kind eben nicht wieder und wieder nachfragen muss, ob wir es vielleicht doch noch wirklich sehen wollen in seinem Handeln, sondern weiß, dass es mit dem, was ihm gerade wichtig war, wahrgenommen wurde.

Deswegen: Wenn ihr das nächste Mal versucht seid, eine Antwort aus eurem persönlichen Eltern-Antwort-Katalog abzuspulen, haltet doch einen kurzen Moment inne und erinnert euch daran, dass euer Kind vielleicht gerade jetzt etwas anderes gemeint hat. Und dann umschreibt, was gerade passiert ist und wartet ab, welchen Beziehungsraum diese Antwort öffnet.

Eure

Zur Autorin:
Susanne Mierau ist Diplom-Pädagogin (Schwerpunkt Kleinkindpädagogik) und Familienbegleiterin. Sie arbeitete an der FU Berlin in Forschung und Lehre, bevor sie sich 2011 im Bereich bedürfnisorientierte Elternberatung selbständig machte. Ihr 2012 gegründetes Blog geborgen-wachsen.de und ihre Social Media Kanäle sind wichtige und viel genutzte freie Informationsportale für bedürfnisorientierte Elternschaft und kindliche Entwicklung. Susanne Mierau gibt Workshops für Eltern und Fachpersonal und spricht auf Konferenzen und Tagungen über kindliche Entwicklung, Elternschaft und Familienrollen.

Foto: Ronja Jung für geborgen-wachsen.de

Weiterführende Literatur zum Thema:
Mierau, Susanne (2017): Geborgene Kindheit. Kinder vertrauensvoll und entspannt begleiten. – München: Kösel.
Kohn, Alfie (2015): Liebe und Eigenständigkeit. Die Kunst bedingungsloser Elternschaft, jenseits von Belohnung und Bestrafung. – Freiburg: Arbor Verlag.
Pikler, Emmi/Tardos, Anna (1997): Miteinander vertraut werden. Wie wir mit Babies und kleinen Kindern gut umgehen – ein Ratgeber für junge Eltern. – Freiburg: Herder.

5 Kommentare

  1. Ich glaube, ich muss mir nicht immer das Gehirn zermartern, ob ich mein „Lob“ oder „Nichtlob“ richtig ausdrücke. Das wichtig ist die Grundhaltung und das hinschauen. Dann kommt das schon. Ich finde dieses komische Paradigma furchtbar: Du darfst dein Kind nicht loben, sonst nimmt es Schaden. Deshalb hat mir dein Artikel richtig gut gefallen. Danke!

  2. Mom of two

    Danke für den Artikel. Ich habe letztens folgende Situation beobachtet: mein Sohn und ich waren zu Besuch bei Freunden mit einem Kind im gleichen Alter. Die Kinder haben eine Höhle gebaut. Das befreundete Kind bekam bei „schau mal Mama….“ als Antwort „toll, super Schatzi“. Ich bin bei meinem Kind näher drauf eingegangen „ihr habt eine kuschelige Höhle gebaut usw.“. Mir kam es bei meinem Kind gerade so vor, als wäre es mit der Antwort nicht zufrieden gewesen und lechtzte geradezu nach einem „toll, super Schatzi“. Erst dann konnte ich richtige Freude in seinen Augen sehen. Da kam mir natürlich die Frage auf, ob Kinder nicht auch einfach mal ein „toll“ oder „super“ hören wollen. Freut es uns denn nicht auch über ein „der Kuchen sieht richtig toll aus“ o.ä.? Was meinen Sie dazu?

    • Ich glaube nicht einmal das es darum geht klar freuen die sich auch über Lob ganz klar !?ich denke eher das es darum geht das Kind auch zu sehen wirklich hinzuschauen und zu erkennen was das Kind geleistet hat und das dem Kind mitzuteilen /zu bestätigen .Und in unserem tun nicht nur eine kurzen Blick hinzuschmeißen und ein super toll gemacht auszusprechen damit das Kind ,,zufrieden“ist und weiter spielt weil man eigentlich gerade gar keine Lust oder Zeit hat

  3. Danke! Danke, dass Du das in so schöne Worte gefasst hast. Und mal wieder zum Hinterfragen meines Verhalten anregst.

  4. Liebe Mom of two,
    nichts ist falsch an einem ehrlich gemeinten „Oh, toll!“ – wenn es die eigene Freude und Begeisterung ausdrückt, von Herzen kommt. Und eben keine abgespulte Floskel ist. Mach lieber eine individuelle Ich-Botschaft daraus à la „Oh, toll! Mir gefällt Eure Höhle so gut, dass ich am liebsten selbst dort drin verschwinden würde“, oder „Wow, ich bin begeistert!“ – DAS schafft Verbindung.
    Und ja: wir freuen uns, wenn jemandem unser Kuchen ehrlich gefällt. Wüssten wir, dass es sich um eine leere Floskel handelt wie „Hast du ganz fein gemacht“, könnten wir auch darauf verzichten. Mir geht es jedenfalls so. Und ich merke es viel stärker an der Reaktion, ob der Kuchen gefällt bzw. schmeckt, als an dem, was eine Person sagt.

Kommentar verfassen

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert