Schlagwort: Trotzen

Die wichtige Frage für Eltern: Warum ist mir das so wichtig?

Mit unseren Kindern werden wir als Eltern immer wieder an unsere Grenzen gebracht, sehen uns Herausforderungen gegenüber, müssen neue Wege gehen. Je größer die Kinder werden, desto mehr kommen wir auch damit in Berührung, dass sie andere Wege gehen als wir es uns wünschen. Das beginnt oft in der „Trotzphase“ oder „Autonomiephase“ und begleitet uns fortan als Eltern. Unsere Kinder wollen die Welt selbst erfahren, wollen ausprobieren und lernen. Manchmal steht allerdings das, was das Kind gerade möchte und das, was wir gerade wollen, in einem Konflikt: Unsere Bedürfnisse oder Wünsche unterscheiden sich. Und dann?

Elterliche Macht

Oft ist es unser Impuls, in diesen Momenten unseren eigenen Weg durchzusetzen: Wir wissen schließlich, wie die Dinge laufen, wir haben einen Plan von der Welt und kennen uns darin aus. Und wir wissen ganz genau – oder glauben zu wissen – was eben nicht geht. Und was nicht gehen soll oder darf. Und wir haben auch oft die Macht, unsere eigenen Wünsche einfach durchzusetzen, indem wir unseren Kindern Dinge verbieten, ihnen Sachen aus der Hand nehmen oder sie körperlich dazu bringen uns zu folgen, indem wir sie einfach hoch nehmen und weg tragen. Wir sind unseren Kindern in vielerlei Hinsicht überlegen. Wollen wir sie allerdings auf Augenhöhe begleiten, müssen wir das Denken aus der Machtposition heraus hinter uns lassen: Wir müssen uns zunächst dessen bewusst werden, dass wir eine Machtposition haben, dass wir in einigen Positionen versucht sind, sie unreflektiert zu gebrauchen und im nächsten Schritt hinterfragen, in welchen Situationen wir das tun und warum.

Autonomie und Selbstbestimmung treffen auf unsere Pläne

Doch betrachten wir die Situation einmal aus der Nähe: Worum geht es bei der Meinungsverschiedenheit wirklich? Das Kind möchte im Supermarkt noch einen weiteren Apfel in den Wagen legen, aber wir brauchen nur 5. Das Kind möchte nicht laufen, aber wir wollen es nicht tragen, weil es ja schon laufen kann. Das Kind möchte gerne zum Frühstück die Nudeln von gestern, aber wir wollen es nicht, weil Nudeln kein Frühstück sind. Das Kind möchte gerne das Prinzessinnenkleid im Kindergarten tragen, aber wir wollen das nicht, weil man Verkleidungen nunmal nicht jeden Tag oder nicht auf der Straße trägt.

Viele Situationen, die zu Konfliktsituationen mit unseren Kindern werden, sind eigentlich ganz kleine Dinge: Es geht hier nur um einen Apfel, könnten wir uns sagen. Es geht hier nur um 10 Meter tragen eines erschöpften Kindes. Es geht nur um Nudeln, die mittags sowieso aufgebraten werden. Es geht nur um ein Kleid. Es geht doch oft nur um kleine Dinge. Für das Kind allerdings steht hinter diesen Dingen die Autonomie: Teilhabe (ich kann mitbestimmen beim Einkauf, meine Wünsche werden gesehen), Bedürfniserfüllung (ich bin erschöpft und brauche nach einem langen Tag das Gefühl, umsorgt zu werden, brauche den Schutz meiner Eltern und möchte getragen werden), Eigenständigkeit (ich lerne, mich selbst anzuziehen und Sachen zusammen zu stellen). – Schauen wir auf die Gründe unseres Kindes werden wir bei genauem Hinsehen erkennen, dass das kindliche Verhalten sinnvoll ist. Es möchte emotionale oder materielle Ressourcen einfordern, es möchte lernen, teilhaben, sich ausprobieren. All dies sind Dinge, die wir eigentlich auch von unserem Kind wünschen. Und dennoch fällt es uns oft so schwer, dies zuzulassen.

Was ist eigentlich das Problem?

Oft haben wir wenig Geduld für diese Situationen und das Bedürfnis nach Autonomie des Kindes, wenn wir gestresst sind, wenn wir Termine einhalten müssen, wenn wir einen anstrengenden Tag hinter uns hatten und wünschen, dass nun einfach alles „funktioniert“. Natürlich gibt es solche Tage. Und es gibt Tage, an denen wir die Bedürfnisse des Kindes einfach nicht gut erfüllen können.

Darüber hinaus gibt es aber auch Situationen, in denen wir genauer hinsehen können und uns fragen können: Warum geht mir das eigentlich so nah? Warum ist mir das so wichtig? Oft lautet die Antwort: Weil man das eben so macht. Weil die Gesellschaft das so will. Weil das schon immer so ist. Weil ich nicht nachgeben darf, weil ich der/die Erwachsene bin.

Die Antworten sind leer, gehen nicht in Beziehung mit unseren Kindern. Es sind Anforderungen von Außen. Vielleicht solche, hinter denen wir selber nicht einmal wirklich stehen, doch wir denken, dass es so sein müsste.

Die wichtigste Frage im Umgang mit unseren Kindern und mit Menschen überhaupt in Konfliktsituationen wie diesen ist deswegen: Warum ist es mir so wichtig? Wenn wir näher darüber nachdenken, kommen wir vielleicht bei der ein oder anderen Sache zu dem Schluss: Eigentlich ist es gar nicht wichtig. Oder es ist mir nur wichtig, weil ich vor anderen nicht schlecht dastehen möchte. Aber zu „den anderen“ gehören auch unsere Kinder und mit gerade denen sollten wir ehrlich, authentisch, einfühlsam und oft auch undogmatisch sein. Es ist nicht schlimm, abzuweichen von anderen. Es ist nicht schlimm, den Bedürfnissen des Kindes nachzugeben. Die wichtige Frage ist: Mit wem sind wir eigentlich in Beziehung? Mit den fremden Menschen, die unser Verhalten verurteilen, oder unserem Kind?

Wenn die Antwort auf die Frage „Warum ist es mir so wichtig?“ nicht heißt „Weil es das Beste für mein Kind und mich ist“ ist es vielleicht nicht die richtige Antwort.
Eure

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Mit 2 Jahren

Wenn man von den 2jährigen spricht, dann kommt schnell das Thema „Trotzalter“ auf. Es wird davon berichtet, wie anstrengend Kinder in diesem Alter seien, wie große Konflikte es geben würde und wie schwer sich manchmal der Alltag gestalten ließe. Ich habe schon einmal darüber geschrieben, dass es meiner Meinung nach kein Trotzen gibt, sondern eher den Willen des Kindes, es einfach selbst zu tun. Kinder mit 2 Jahren wollen sich erproben, sie wollen die Welt begreifen mit allen Sinnen, wollen Dinge erfahren, Neues ausprobieren. Sie wollen sich ein Bild machen von dem, was sie umgibt und dazu müssen sie ihre Umgebung verstehen. Weiterlesen

Lass mich nicht stehen, Mama/Papa!

Wir kennen sie alle: Situationen unterwegs, in denen einfach nichts mehr geht. Nach dem Kindergarten, auf dem Weg vom Spielplatz nach Hause, direkt nach dem Supermarkt. Auf einmal sagt das Kind „Ich kann nicht mehr laufen!“ oder setzt sich einfach auf den Boden und ruht sich aus. Dabei stehen wir da mit vollen Tüten, haben einen engen Zeitplan und/oder sind einfach erschöpft vom bisherigen Tag. Und wir wollen nach Hause. Jetzt. Auch wenn das Kind gerade nicht will. Aber ist es eine gute Idee, dem Kind anzudrohen, jetzt einfach weiter zu gehen und zu hoffen, dass es deswegen folgt?

Versetzen wir uns einmal in die Situation, stehen gelassen zu werden…

Vielleicht kennen wir es selbst: In einem Streitgespräch wendet sich auf einmal eine Person ab, dreht sich um und geht. Wortlos oder vielleicht mit den Worten „Dann bleib eben hier, ich gehe!“ Wie fühlen wir uns? Allein, verlassen, vielleicht ausgeschlossen aus der Beziehung. Vielleicht spüren wir diesen Ausschluss sogar als innerlichen Schmerz. Es verletzt uns, wenn sich eine andere Person von uns abwendet. Dabei sind wir erwachsen, können uns vielleicht sogar in die Gefühlswelt der anderen Person hineinversetzen und auch wenn wir die Situation anders sehen und fühlen, können wir die Handlung des anderen Menschen ansatzweise nachvollziehen. Vielleicht sind wir enttäuscht und finden es nicht besonders nett, stehen gelassen zu werden. Aber wir sind erwachsen, finden uns in dieser Umgebung zurecht, sind handlungsfähig.

Alleinsein setzt Kinder unter Stress und löst Ängste aus

Für Kinder hingegen sieht die Situation anders aus, wenn sie nicht weiter können, wir aber wollen und ihnen erklären, dass wir auch ohne sie gehen würden. Ein Kleinkind kann sich noch nicht vollständig in uns und unsere Absichten und Wünsche hineinversetzen. Es fühlt noch nicht nach, dass wir so erschöpft sind und uns einfach nur darauf freuen, zu Hause nach dem Arbeitstag und anschließendem Einkauf mit Kind die Füße hochzulegen. Es versteht auch nicht, wenn wir verabredet sind und hat noch kein so ausgeprägtes Zeitgefühl, um einschätzen zu können, ob und wann wir zu spät kommen. Es spürt gerade, dass die eigenen kleinen Beine erschöpft sind, dass es heute schon sehr viel kooperieren musste und nun „einfach“ nicht mehr kann. Vielleicht laufen wir auch zu schnell oder es wollte doch eigentlich noch balancieren üben oder der Ameise bei ihrer Arbeit zusehen und hat schlechte Laune, weil wir dafür keinen Blick haben. Jetzt gerade geht es nicht mehr, keinen Schritt. Aus Erschöpfung oder Wut oder Enttäuschung oder irgendeinem anderen Gefühl, das gerade die Oberhand nimmt.

Wenn wir jetzt gehen oder ein Gehen androhen, entsteht bei vielen Kindern Angst: Angst vor dem Alleingelassenwerden. Die Straße ist laut und gefährlich – das jedenfalls erfahren sie täglich von uns, wenn wir sie ermahnen, dass sie nicht zu nah an die Fahrbahn gehen sollen, weil dort die Autos fahren. Nun werden sie an diesem gefährlichen Ort allein gelassen? Von ihrer schützenden Bezugsperson?

Wesentlich für den Aufbau der Bindungsbeziehung in den ersten drei Jahren, aber auch danach, ist die Schutzfunktion der Bezugspersonen: Als Eltern schützen wir das Kind vor Gefahren, sorgen für eine grundlegende Bedürfnisbefriedigung und das Wohlergehen des Kindes. Dem Kind diesen Schutz und die Sicherheit vorzuenthalten, kann sich auf die Beziehung auswirken. Ein „Dann geh ich eben ohne dich!“ bedeutet für das Kind: Ich lasse dich schutzlos zurück, ich sorge mich nicht um dich, ich verlasse dich. Während wir Erwachsene zu großen Teilen für das Sicherheitsgefühl selber sorgen können, sind Kinder auf uns angewiesen, damit sie sich sicher fühlen. Für die Beziehung zwischen Eltern und Kind ist es wichtig, dass sich das Kind darauf verlassen kann, dass diese Sicherheit bedingungslos eingehalten wird: Bindung ist auf Seiten des Kindes ein Sicherheitssystem. Dieses System wird gestört, wenn wir das Gefühl Sicherheit vorzuenthalten als Erziehungsmaßnahme.

Aufgewühltes Kind allein lassen bedeutet, ihm noch mehr Probleme aufzubürden

Gerade in einer Situation, in der das Kind sowieso Schwierigkeiten hat mit sich und der Umgebung, einem Moment, in dem die Synapsen im Gehirn vielleicht in alle Richtungen Informationen aussenden und das Kind einfach nicht weiß, was es eigentlich will, ein Moment, in dem es in einem Konflikt ist, wird ihm zu dem bestehenden Konflikt ein weiterer aufgedrängt: Du hast ein Problem und nun gebe ich Dir ein zweites hinzu, indem ich Dich einfach stehen lasse. Dass Kinder in diesen Situationen dann erst recht zu weinen und zu schreien anfangen und sich vielleicht auf den Boden werfen ist klar: Das Kind ist mit viel zu vielen Problemen überfrachtet und weiß keinen Ausweg. Und es schreit, um nicht allein gelassen zu werden, um beschützt zu bleiben.

Wenn das Kind dann doch kommt – was hat es dann gelernt?

Natürlich kommt das Kind dann irgendwann hinterher. Es kommt, weil es kommen muss, weil es auf Erwachsene angewiesen ist um zu überleben. Es kommt, weil es die Bezugsperson braucht. Es wird hinterher laufen, weil es nicht anders kann. Doch was hat der Erwachsene, der sich seinem Kind gegenüber so verhält, eigentlich gewonnen? Er hat seinem Kind demonstriert, dass er bestimmt, dass das Kind kommen muss und wenn es nicht hört, sich selbst in der „Wildnis“ überlassen wird. Er zeigt: Höre auf mich oder du bist verloren. Blinder Gehorsam statt Zuhören und Verstehen. Und was soll das Kind davon für sein eigenes Verhalten lernen?

Dabei ist dies keine Situation, in der es um einfache Handlungen geht, um Nachhamung, sondern eine Situation, in der es um Gefühle geht: Erschöpfung, Müdigkeit, Wut vielleicht. Und Situationen, in denen es um Gefühle geht, können wir nicht durch Strafen und Gehorsam nachhaltig gut lösen, sondern durch Empathie. Das Kind sollte langfristig lernen, sich in andere hinein zu versetzen und nachzufühlen und zu verstehen, warum wir nun weiter müssen und mit welcher Strategie dies möglich ist. Gelernt werden kann in Stresssituationen aber kaum etwas: Stress behindert das Lernen. Durch Bestrafung werden wir langfristig nichts am Verhalten des Kindes ändern: Es wird nicht beim nächsten Spielplatzbesuch freiwillig sofort mitkommen oder nach dem Supermarktbesuch nicht getragen werden wollen.

Die Alternative

Ja, es gibt Tage, die sind anstrengend. Und wir haben Termine oder das Wetter ist schlecht oder der Einkauf schwer. Oder wir müssen vom Spielplatz aufbrechen, weil es eben schon spät ist. Wir Eltern wünschen uns, dass die Kinder mitkommen und auf uns hören. Und natürlich ist es auch wichtig, dass sie das tun. Besonders in gefährlichen Situationen müssen Kinder wissen, dass sie auf die Stimme der Erwachsenen hören müssen. Ein „Halt!“ an der Straße ist ein „Halt!“ und kein „Ach, ich tapse mal weiter.“

Doch in den meisten Situationen geht es nicht darum. Es geht um Kinder, die vielleicht müde sind vom Tag oder vom Kindergarten. Kinder, die vielleicht einen Marienchenkäfer entdeckt haben und ihn beobachten möchten. Kinder, die gerade selber nicht wissen, was sie wollen oder ihre Grenzen erproben. Es geht ganz einfach um KINDER, keine kleinen Erwachsenen. Wenn unser Kind also nicht hinterher kommt, können wir uns zu ihm beugen und fragen, warum. Vielleicht hat es einen guten Grund und wir nehmen uns einen Moment Zeit dafür. Und wenn es keinen Grund hat, der uns klar ist, dann sehen wir, was wir tun können. Und ja, wir können unsere Kinder auch gegen ihren Willen (respektvoll) auf den Arm nehmen und nach Hause tragen, weil es gerade notwendig ist. Wir müssen sie schützen vor dem Straßenverkehr und die Verantwortung übernehmen dafür, gut nach Hause zu kommen. Noch besser ist es, wenn wir uns einfach daneben setzen und sie durch das, was sie durchmachen, begleiten. Aber wir müssen sie nicht stehen lassen allein auf der Straße. Wir sollten sie nicht stehen lassen allein auf der Straße. Es sind unsere kleinen Kinder und sie haben es verdient, mit dem Respekt behandelt zu werden, den wir uns alle wünschen.

Und darum sollten wir unsere Kinder nicht stehenlassen.
Wie geht Ihr mit diesen Situationen um? Ich bin gespannt auf Eure Meinungen,
Eure

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Ich weiß auch nicht, was ich will – und ich will nicht, was Du willst

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Kürzlich war ich einkaufen mit meinem Sohn. Einkaufen, das bedeutet oftmals, dass ich sehr genau acht geben muss dass nicht irgendwelche Dinge auf dem Boden landen und zerbrechen ODER Dinge im Einkaufswagen landen, die ich nicht kaufen möchte ODER Dinge aus dem Einkaufswagen wieder heimlich ins Regal gestellt werden, die ich kaufen möchte. Nachdem wir jedoch diesen Teil des Einkaufes gemeistert hatten, ging es an den Nachhauseweg. „Willst Du laufen oder getragen werden?“ war die einfache Frage, auf die das Chaos folgte.

Das Chaos bestand nämlich darin, dass der Sohn nicht laufen wollte. Er wollte aber auch nicht getragen werden. Tja. Also versuchte ich meine ziemlich schlauen Argumente, dass wir aber nach Hause müssen, um die Einkäufe in den Kühlschrank zu bringen/die Tochter vom Kindergarten abholen müssen/mal auf Toilette gehen wollen. Nein, es blieb bei weder tragen noch laufen. Zeit verging, der Sohn wurde ärgerlich und ich ratlos. Also nahm ich ihn hoch – gegen Protest und trug ihn schreiend und steif mit mir Richtung Heim. Auf dem Weg dorthin – und es war kein einfacher Weg – hielt eine Mutter neben mir und fragte, ob sie mir für ein Stück des Weges meine Einkaufstüte tragen solle. Liebe fremde Mutter, vielen lieben Dank dafür und Deinen verstehenden Blick! Ich habe Deine Hilfe nicht angenommen, aber allein Deine Frage hat die Situation für mich unheimlich entspannt. Nach etwa 600m des Aufbäumens und Schreiens erklärte ich dem Sohn einfach: „Kannst Du damit jetzt bitte aufhören? Ich kann nicht mehr.“ „Ja.“ sagte er und war ruhig.

Dass ich kein Freund des Wortes „trotzen“ bin, habe ich ja bereits einmal ausgeführt. Kinder kommen in eine Phase, in der sie zunehmend eigene Entscheidungen treffen möchten: Welche Kleidung am Morgen angezogen wird, ob Windel oder Unterhose, was zum Frühstück gegessen wird und welches Kuscheltier es heute begleitet auf seinen Abenteuern. Eigene Entscheidungen. Diese Entscheidungen stehen nur manchmal in Konflikt mit den Entscheidungen anderer Menschen, die vielleicht die gewünschte Hose gerade waschen wollen oder ein anderes Mittagessen geplant haben. Und dann stehen diese Entscheidungen manchmal auch noch im Konflikt mit sich selbst. Es ist Kindern manchmal nahezu anzusehen, welcher enorme Sturm in ihrem Kopf stattfindet, wie sie hin und her gerissen sind und selbst nicht wissen, was sie wollen und in einem Moment eine Sache unbedingt wollen und im nächsten Moment schon wütend auf Abstand davon gehen als hätten sie niemals damit in Kontakt kommen wollen.

Es ist nicht einfach. Nicht für uns und auch nicht für die Kinder in diesem Alter. Was hilft uns allen in diesem Situationen? Nehmen wir es einfach, wie es ist: Wir können nichts an der Situation ändern. Wenn das Kind einen Wunsch hat, dem wir nachkommen können, können wir das tun. Warum sollte es heute nicht im Faschingskostüm auf die Straße gehen dürfen? Oder verschiedene Socken tragen? Oder eben versuchen, selber die Jacke zu zu machen? Geben wir ihm ein wenig Zeit, um seinem Wunsch nachzukommen. Und wenn es nicht geht, wenn es etwas Gefährliches ist, erklären wir, warum es nicht geht und verstehen das Kind in seinem Wunsch und seiner Traurigkeit. Und wenn das Kind selbst nicht weiß was es eigentlich will, dann sind wir da. So wie wir immer da sind. Es ist ein Lernen. Für das Kind und auch für uns. Für uns, dass das Leben mit Kindern Unplanbares bereit hält, dass wir einen Menschen geboren haben mit einem eigenen Willen – von Anfang an.

Vielleicht ist gerade das das Schwierigste an dieser Situation: Zum ersten Mal sehen, dass wir nicht über unsere Kinder bestimmen können. Dass nicht wir es nur sind, die sie in eine Richtung lenken, sondern dass ihre Entwicklung aus ihnen selbst kommt, aus ihrem Inneren und wir sie nur auf ihrem Weg begleiten können. Wir bestimmen nicht über sie und können nur in geringem Maße den Weg vorgeben, den sie gehen wollen. Sie haben ihren eigenen Weg, ihren inneren Bauplan, ihre Ideen. Wir nehmen sie an ihre kleinen, noch unsicheren Hände und begleiten sie. In anderen Worten:

Eure Kinder sind nicht eure Kinder.
Sie sind die Söhne und Töchter der Sehnsucht des Lebens nach sich selber.
Sie kommen durch euch, aber nicht von euch,
Und obwohl sie mit euch sind, gehören sie euch doch nicht.
Ihr dürft ihnen eure Liebe geben, aber nicht eure Gedanken,
Denn sie haben ihre eigenen Gedanken.
Ihr dürft ihren Körpern ein Haus geben, aber nicht ihren Seelen,
Denn ihre Seelen wohnen im Haus von morgen, das ihr nicht besuchen könnt, nicht einmal in euren Träumen.
Ihr dürft euch bemühen, wie sie zu sein, aber versucht nicht, sie euch ähnlich zu machen.
Denn das Leben läuft nicht rückwärts, noch verweilt es im Gestern.
Ihr seid die Bogen, von denen eure Kinder als lebende Pfeile ausgeschickt werden.

Khalil Gibran, arabischer Dichter, 1883-1931

Wie geht Ihr damit um, wenn Eure Kinder nicht wollen, was Ihr wollt oder selber uneins sind, was sie wollen?
Ich bin gespannt auf Eure Ideen.
Alles Liebe,

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Trotzen? Gibt es nicht.

Trotzen

Laut Duden bedeutet Trotz „hartnäckiger [eigensinniger] Widerstand gegen eine Autorität aus dem Gefühl heraus, im Recht zu sein“. Doch ist es das wirklich, was sich in den Reaktionen der Kinder zeigt?

Das Kind zeigt in seiner Äußerung seine Vorstellung, seinen Willen oder Wunsch. Manchmal auch eine starke Gefühlsreaktion auf ein Verbot oder ein Verhalten einer anderen Person, das das Kind einschränkt. Es tut das nicht in erster Linie als Widerstand gegen eine Autorität (sofern man die Beziehung zwischen Kind und Eltern überhaupt mit diesem Machtgefälle bezeichnen möchte). Es lehnt sich nicht in erster Linie gegen einen anderen Menschen auf, sondern zeigt seine eigenen Vorstellungen, die sich eben von denen eines anderen Menschen unterscheiden. Der Widerstand ist die Konsequenz dessen, dass das Kind selbst auf einen Widerstand stößt und darauf auf kindliche Weise reagiert. – Denn Kleinkinder sind Kinder. Ihr Gehirn funktioniert noch anders als unseres. Sie wägen nicht lange ab, sie können ihre Gefühle noch nicht so gut regulieren wie wir Erwachsene.

Gerade kleine Kinder, die sich noch nicht so gut in die Gedankenwelt des Gegenüber hineinversetzen können, sind manchmal selbst davon überrascht, dass die erwachsene Person gar nicht die gleichen Gedanken oder Ziele hat wie das Kind selbst. „Warum nur will Mama/Papa nicht auch, dass ich dieses Spielzeug jetzt bekomme? Ich verstehe die Welt nicht mehr!“

Nein, Kinder wollen sich nicht gegen Erwachsene auflehnen aus Respektlosigkeit oder einfach nur der Sache wegen. Sie lehnen sich auf, weil sie eigene Ideen von ihrem Leben haben. Sie wollen nicht mehr die Jacke von Mama oder Papa zu gemacht bekommen, sondern wollen es selbst probieren. Sie wollen wirksam sein, die Welt erkunden. Sie wollen lernen – durch das Be-greifen der Welt. Und manchmal überrollen sie dabei ihre Gefühle, denn auch die Regulation ist noch in Entwicklung. Manchmal ist das, was gerade gespürt wird, so groß, die Wut so riesig, dass sie hinausgeschrien oder -getrampelt wird. Manchmal ist die Wut darüber, dass andere bestimmen und man selbst so wenig tun darf, einfach riesig.

Warum Kinder sich so verhalten, wie sie sich verhalten

So wie wir Erwachsenen Gründe für unser Tun haben, haben es auch Kinder. Oftmals können oder wollen wir uns nur nicht mehr ausreichend in sie hinein versetzen oder denken zu sehr aus unserer erwachsenen Sicht heraus, als dass wir Kinder noch verstehen könnten. Denn: Auch wenn uns das Verhalten unseres Kindes in einer solchen Konfliktsituation nicht gefällt, hat es einen Sinn.

Kinder zeigen in solchen Situationen wichtige Aspekte ihrer Entwicklung: Sie befinden sich in einer Entwicklungsphase, in der sie natürlicherweise weiter von den Eltern Abstand nehmen und eigene Wege gehen, selbständiger werden (müssen). Vielleicht bekommen sie sogar gerade ein kleines Geschwisterkind und daher stellt sich diese Herausforderung besonders. Dafür benötigen sie bestimmte Fähigkeiten: Sie müssen ihre Jacken selber schließen können, ihre Schnürsenkel selber binden lernen, erfahren, wie man mit einer Schere oder einem Schnitzmesser richtig umgeht. Sie müssen lernen, eigene Entscheidungen zu treffen. Und das fordern sie tagtäglich ein. Sie rufen uns gerade zu: „Lass es mich selbst probieren! Ich muss das lernen!“

Ihr Gehirn lässt noch nicht zu, dass alle Entscheidungen wohl überlegt stattfinden: Dazu fehlen ihnen einerseits die Erfahrungen und Vergleichssituationen (die sie aber mit der Zeit immer mehr ausbauen und davon lernen) und andererseits tatsächlich auch die passenden Abläufe im Gehirn: In der Wutsituation regiert der Gefühlsbereich. Durch Entwicklung und unsere Begleitung lernen Kinder im Laufe der Zeit, ihren Gefühlen einen passenden Ausruck zu geben und sie „gesellschaftsfähig“ auszudrücken.

Gleichzeitig sind sie eben doch auch kleine Kinder und auf Zuwendung angewiesen. Manchmal sind jene Situationen, die wir als „Trotz“ bezeichnen Situationen, in denen sie Hilfe einfordern in Dingen, von denen wir glauben oder wissen, dass sie sie schon können. Dann drücken sie aus: „Hey, ich bin hier und ich bin zwar schon in vielen Dingen selbständig, aber verlier mich nicht aus den Augen und wende Dich mir weiterhin viel zu! Ich bin schon groß, aber ich bin auch noch klein!“ Unsere Kinder bewegen sich jeden Tag viele Jahre auf einem Kreis von Nähe und Erkundung. Manchmal kommen sie gerade von einem Abenteuer zurück und brauchen die Nähe.

Das, was so oft als „Trotz“ bezeichnet wird, ist eine ganz wichtige und bedeutende Aufgabe für unsere Kinder. Ein Meilenstein der Entwicklung – auch wenn es manchmal für uns anstrengend und kräfteraubend ist.

Was also soll man mit Kindern in dieser Entwicklungsphase tun?

Im Alltag bedeutet dies vor allem eins: Ruhe bewahren. Wenn das Kind seine Eigenständigkeit zeigen möchte oder auch gerade das Gegenteil davon, treten wir einen Schritt zurück und schimpfen nicht gleich oder sind verärgert, sondern sehen hin und sagen zu uns: „Aha, ich nehme das jetzt einfach so hin. Was will mein Kind eigentlich?“ Und allzu oft sehen wir es schon: Das Kind will etwas selber machen oder selber entscheiden. Es möchte ein besonderes Geschenk bekommen, das die Geschwister nicht haben oder die größte Portion Mittagessen (auch wenn es das nicht aufessen wird). Ruhe ist die wichtigste Eigenschaft in dieser Zeit. Hinreich ist es deswegen auch, wenn man von Anfang an für wichtige Dinge mehr Zeit einplant: Anziehen kann lange dauern, wenn ein Kleinkind sich selbst anziehen möchte oder selber die Kleider zusammen stellt. Kompromissbereitschaft ist ebenso wichtig. Ja, dann zieht das Kind eben heute mal verschiedene Socken an oder hat das T-Shirt verkehrt herum an. Sind wir ehrlich zu uns selbst: Wen kümmert das schon? Und wenn es doch Konsequenzen hat, dann ist es wichtig, dass Eltern ihren Kindern auch Dinge zutrauen mit dem Wissen, dass das Kind daraus etwas lernen wird. Das Kind wird lernen, dass es nicht zu viel rohen Teig essen darf, wenn ihm davon übel wird oder dass es vielleicht doch keine schlaue Idee ist, das Lieblingsshirt ohne Jacke an einem kalten Tag zu tragen. Wir müssen unseren Kindern zugestehen, Fehler zu machen und daraus zu lernen. Nur so können sich Kinder weiter entwickeln. Natürlich hat das einen Rahmen, aber gewisse eigene Entscheidungen, die wir nicht unbedingt gutheißen, sollten wir auch unseren Kleinkindern schon ermöglichen. Und wenn es schief läuft, dann sind wir da. Wir nehmen sie in den Arm, wir lieben sie. So, wie sie uns auch weiter lieben, wenn wir ihnen Dinge verbieten oder vorschreiben. Oder – wie meine Tochter es mit drei Jahren nach einem solchen Anfall des Eigensinns auf die Äußerung, dass dieses Verhalten nun aber ziemlich unangenehm war, sagte: „Mir war das auch unangenehm, Papa. Mir auch.“ Und damit meinte sie nicht den Umstand, dass sie sich auf den Boden warf und mit den Beinen strampelte, sondern dass das überhaupt notwendig war.

Rezension: Kinder verstehen


Es gibt so viele Bücher, die sich mit diesem oder jenem Aspekt in der frühen Kindheit beschäftigen: Unzählige Bücher über den kindlichen Schlaf und so genannte Schlafprogramme, die zum Durchschlafen beitragen sollen, Bücher über die Ernährung im ersten Lebensjahr und darüber hinaus, Bücher über das sauber werden… Auch umfassende Bände, in denen all diese Themen abgehandelt werden gibt es bereits in großer Anzahl. In Kinder verstehen. Born to be wild: Wie die Evolution unsere Kinder prägt. Mit einem Vorwort von Remo Largo finden wir nun aber eine neue Herangehensweise: Der Kinderarzt und Dozent am Mannheimer Institut für Public Health beschreibt, wie Kinder sich von Natur aus entwickeln und gibt damit die Basis für ein Verständnis des Kindes, auf dem die Erziehung aufgebaut werden kann.
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