Sandra und Christian Brunner haben sich auf das Nähen von besonderer Kinderkleidung spezialisiert: Sie fertigen maßgeschneiderte Kleidung aus Wolle und Seide für Kinder mit Behinderung an, individuell angepasst an die Bedürfnisse des jeweiligen Kindes: Nahrungssonden, Stoma, Ports und andere Zu- und Abgänge am Körper stellen besondere Herausforderungen an Kleidung für Kinder, damit sie es bequem haben und der Alltag erleichtert wird. Wie sie zu ihrem Projekt einzigNaht kamen und wie dieses unterstützt werden kann, berichtet Sandra:
Sandra, wie kam es zur Gründung von einzigNaht?
Wir sind Eltern von zwei tollen Mädchen. Unsere kleine Tochter Laura wurde mit dem seltenen Williams Beuren Syndrom geboren. Obwohl sie bereits 14 Tage über ET war, war sie wie ein Früchten ganz zart, dünn und irgendwie nicht fertig. Das Thema Kleidung zog sich also von Geburt an durch unser Leben. In den gängigen Geschäften fanden wir einfach nichts zum Anziehen für sie. Es ist ein absolutes Grundbedürfnis von Eltern ihre Kinder einkleiden zu können. Wir waren wirklich verzweifelt. Hinzu kommt, dass uns Nachhaltigkeit sehr wichtig ist und wir auch Kleidung wollten, die frei von Chemikalien ist und fair produziert. Mit der Erkenntnis nichts zu bekommen, habe ich begonnen mir das Nähen selbst beizubringen und die Garderobe aus Bio Wolle und Bio Wolle Seide für Laura selbst zu designen vom Schnitt bis zur Stoffauswahl.
Vom Eigenbedarf zum Unternehmen: Wie seid Ihr auf die Idee gekommen, Kleidung auch für andere herzustellen?
In den Therapien mit Laura lernten wir auch andere Familien kennen und ich erkannte, dass unser Kleidungsproblem nur die Spitze des Eisberges war. Ich konnte nicht glauben, wie schwer es Familien mit chronisch erkrankten Kindern haben individuelle und passgenaue Kleidung zu bekommen. In den zarten Körpern stecken oft so viele Schläuche, Kabel, Kanülen und und und…. Hinzu kommt für alle sichtbar. Auch haben sie oftmals außergewöhnliche Körperproportionen. In diesem Moment war mir klar, dass muss nicht so sein. Ich wurde immer mehr von anderen Eltern angesprochen passgenaue Kleidung für ihre Kinder zu nähen. Uns ist Vor allem der Schutz der Intimität der Kinder wichtig. Unsere Schnitte sind so aufgebaut, dass die Funktion der Versorgung bzw. Pflege der Kinder im Einklang mit dem Design stehen. Eine Mama sagte mir mal: Keiner sieht’s, keiner zieht! Wir möchten den Eltern ein Stück Normalität und Leichtigkeit zurück geben.
Wie berücksichtigt Ihr die Bedürfnisse der Kinder bei der Auswahl der Stoffe und Schnitte?
Bio Wolle Seide ist ein Wunder der Natur, so wie die Kinder mit Behinderung und chronischen Erkrankungen. Insbesondere gleicht Wolle Seide die Körpertemperatur aus. Kinder mit einer Magensonde schwitzen oft sehr heiß, wenn sie ihre Nahrung sondiert bekommen. Kinder mit Herzerkrankungen schwitzen kalt und frieren sehr schnell. Das natürliche Wollfett (Lanolin) schützt davor, dass sich die Wolle mit Flüssigkeit vollsaugt. Das ist ein super Vorteil, wenn die Kinder viel Spucken. Es kann abgewischt werden und ein Umziehen bleibt erspart. Zudem kann Wolle das dreifache seinen Volumens an Feuchtigkeit aufnehmen, ohne sich nass anzufühlen. Lanolin wirkt antibakteriell und ist schmutzabweisend. Ein Lüften der Kleidung reicht oftmals aus und sie wieder frisch. Das reduziert den Wäscheberg enorm und Zeit ist kostbar. Der Stoff ist ganz weich und so leicht wie eine Feder, er schützt die empfindliche Haut und beugt Reizungen vor. Besonders, wenn die Kinder viel liegen und sich kaum bewegen. All diese Eigenschaften unterstützen unser Wohlbefinden. Fühlen wir uns gut und behaglich, dann spiegelt sich das auch in unserer Gesundheit wieder.
Die Bedürfnisse von Kindern mit Behinderung sind verschieden, wie stimmt Ihr Schnitte individuell ab?
Gemeinsam mit den Eltern sprechen wir darüber, welche Wünsche sie an die Kleidung haben. Dabei steht die Erkrankung(en) nicht im Vordergrund. Es geht in diesem Moment wirklich ganz banal um die Bedürfnisse des Kindes und der Eltern an die Kleidung. Wir entwickeln seit zwei Jahren Schnitte für die unterschiedlichsten Anfragen. Dadurch habe ich schon einen großen Erfahrungsschatz sammeln können und stelle gezielte Fragen, das schafft Vertrauen. Hier ein paar Beispiele:
- Bündchen an den Armgelenken mögen super viele nicht.
- Sollen die Nähte lieber außen sein, was wieder wunderbar als ein cooles Design genutzt werden kann.
- Alles nur mit langen Armen und Beinen, da sich Kinder teilweise blutig kratzen, wenn die Haut nicht bedeckt ist.
- Nach Möglichkeit alles ganz weit zu öffnen, aber bitte auch wieder eng zu schließen.
Und noch Vieles mehr Ich schaue nach dem Wohlfühlfaktor als auch nach den praktischen Details für eine ungestörte und fast unsichtbare Pflege. Schnell merken die Eltern, dass ich keine ihrer Wünsche in Frage stelle und sie sich für keinen Wunsch rechtfertigen müssen. Ich nehme es so, wie es ist. In solchen Momenten gibt es oft kein Halt mehr bei den Eltern und sie sprudeln über vor Kreativität und lassen ihren Ideen freien Lauf. Einer der vielen schönen Situationen in meiner Arbeit.
Wie werden Eure Kleidungsstücke hergestellt?
Wir haben unseren Sitz in Hamburg und dort nähen wir auch alles in einem kleinen feinen Atelier bei uns zu Hause. Sobald ich alles mit den Eltern abgestimmt habe, mache ich mich ans Werk und erstelle den Schnitt für das individuelle Kleidungsstück. Das mache ich ganz klassisch mit Bleistift, Lineal und Papier wie ein Architekt ;-). Das beansprucht die meiste Zeit, gut und gerne 80% meiner Arbeit. Hier muss ich ganz genau arbeiten. Die fertigen Schnittteile werden dann auf den Stoff gelegt, dieser zugeschnitten und dann zusammen genäht. Klingt jetzt ganz einfach und kurz, aber je nach Kundenauftrag mache ich mir über viele viele viele Stunden Gedanken, den perfekten Schnitt zu erstellen. Es soll ja auch alles passen und hübsch aussehen.
Wie kann Euer Projekt unterstützt werden?
Bis zum 28.07.2019 läuft unsere Crowdfundingkampange unter www.startnext.com/einzignaht. Dort können Dankeschöns (unsere Produkte) gekauft werden. Es gilt das Alles-oder-Nichts-Prinzip. Nur bei erreichen des Fundingsziels bekommen die Unterstützerinnen und Unterstützer ihre Dankeschöns und wir das Geld. Zwei Fundingziele haben wir uns gesetzt: Mit dem ersten möchten wir eine richtige Kollektion realisieren und den Prozess der Erstellung der Schnittmuster digitalisieren. Dadurch können wir Aufträge effektiver abarbeiten und noch viel mehr individuelle Wünsche realisieren als wir es bisher schon tun 😉 Mit dem zweiten Fundingziel möchten wir unsere Vision eines Ateliers für Menschen, die sonst kaum Arbeit im regulären Arbeitsmarkt finden, wahr werden lassen. Es ist unser Herzenswunsch unsere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter ganz individuell zu fördern und zu fordern und das unabhängig von ihrem sozialen Stand, ihrer Herkunft und ihren Erkrankungen. Immer in enger Abstimmung mit einem Sozialpädagogen.
Es wäre ganz wunderbar, wenn mehr Menschen ein Teil von unserer Vision sein möchten und uns dabei unterstützen Inklusion nahtlos zu gestalten.