Kategorie: Gefühle begleiten

„Mit dir spiele ich nie wieder!“ – Konflikte unter Kindern begleiten

Die meisten Eltern kennen wohl diese Situation: Das Kind kommt zurück aus dem Kindergarten/aus der Schule/von einem Besuch bei Freund*innen und erzählt, dass das andere Kind gesagt hat, dass sie keine Freund*innen mehr sind. Oder schreit ein anderes Kind auf dem Spielplatz selbst an: „Mit dir spiele ich nie wieder!“. Ein Kind, das solche Sätze gesagt bekommt „Ich bin nicht mehr deine Freund*in!“ oder „Mit dir spiele ich nie wieder!“ ist oft traurig, weint, zieht sich vielleicht zurück, will getröstet werden. Als Erwachsene wissen wir zwar oft, dass die Situation schon morgen sehr wahrscheinlich anders aussehen wird, aber davon ist die aktuelle Not des Kindes nicht aufzuheben.

Das Kind braucht Trost und Verständnis

Selbst wenn wir wissen, dass dieser Streit schon morgen keinen Bestand mehr hat, braucht unser Kinder jetzt gerade unser Verständnis und unsere Zuwendung. Der Ausschluss aus einer sozialen Gruppe schmerzt das Kind, schließlich basiert unser menschliches Leben auf dem Zusammensein und dem Schutz durch die Gruppe. Der sogenannte soziale Schmerz des Ausschlusses, des Nicht-Dazugehörens oder auch Ignoriertwerdens schmerzt in einem Kind wie eine körperliche Wunde und aktiviert im Gehirn auch die gleichen Regionen.

Wenn Kinder sich also ausgegrenzt fühlen, brauchen sie Trost, Zuwendung und Verständnis. Auch wenn wir Erwachsene nicht direkt mitfühlen können und unser vorausschauender Blick diesen Streit anders einordnet, sollten wir uns auf das Empfinden des Kindes konzentrieren, es trösten und nach der individuellen Trostzeit gemeinsam Lösungen suchen.

Warum „Das wird schon wieder“ nicht hilfreich ist

Auch wenn wir denken, dass sich die Situation von allein einrenken wird, hat das Kind jetzt aktuell Schmerzen . Zudem wissen wir nicht, ob sich die Situation wirklich so einfach von allein einrenkt, sondern vielleicht über einen längeren Zeitraum bestehen bleibt oder sich sogar verschlimmert. Das Kind allein zu lassen mit einem „Das wird schon wieder“ vermittelt dem Kind, dass wir es mit einer Konfliktsituation, die es anscheinend nicht allein bewältigen kann, allein lassen. Zudem kann das Gefühl transportiert werden – auch durch Sätze wie „Da stehst du doch drüber, lass dich nicht unterkriegen“ – dass das Verhalten des anderen Kindes/der anderen Kinder einfach geduldet werden sollte. So kann sich eine Passivität entwickeln und ein Unterordnen unter eigentlich schmerzhafte und ausgrenzende Strukturen. Kein Kind sollte verinnerlichen, dass es okay ist, wenn andere schlecht mit ihm umgehen, es beleidigen oder ausstoßen.

Je jünger das Kind ist, desto dringender braucht es nicht nur die Regulation der aktuell schmerzhaften Gefühle, sondern auch Unterstützung in der Konfliktlösung. Als sichere Bindungspersonen ist es die Aufgabe der Eltern, dem Kind Sicherheit zu geben und es vor Gefahren zu schützen. Auch die psychische oder physische Gewalt (wozu auch der Ausschluss aus einer Gruppe gehört) durch andere ist eine solche Situation, in der sich das Kind auf die nahen Bezugspersonen verlassen muss. Eltern fungieren im Rahmen des Bindungssystem als Schutz, auch in Hinblick auf die emotionale Unversehrtheit.

Aber reagiere ich nicht über?

Manchmal ist es für Eltern schwer, diese Position des Schutzes einzunehmen: Vielleicht halten mich andere dann für ein Helikopter-Elternteil? Reagiere ich hier über? Es ist allerdings wichtig, dass sich Eltern hier vor Augen führen, dass es um ein Problem des Kindes geht und es dem Kind aktuell schlecht geht. Die persönlichen Unsicherheiten sollten an dieser Stelle nicht die Not des Kindes überschatten und sind ein Thema, dem sich Eltern gesondert von der aktuellen Situation stellen sollten.

Gegenüber Pädagog*innen, Lehrenden und anderen Eltern ist es wichtig, eine klare Haltung einzunehmen. Das ist nicht immer einfach, wenn das Kind beispielsweise von dem Kind einer Freundin ausgeschlossen wurde oder Pädagog*innen in der Schule erklären, das Kind hätte ja einfach selber kommen können, wenn es ein Problem hat. Es kann viele Gründe geben, warum sich das Kind anderen nicht anvertraut hat, aber den eigenen Eltern. Auch hier ist es wichtig, die Schutzfunktion einzunehmen und dafür einzustehen, lösungsorientiert und respektvoll mit der Problemsituation umgehen zu wollen.

Gemeinsam Lösungen suchen

Viele Eltern denken, dass Kinder ihre Probleme schon unter sich lösen können. Leider ist dies nicht immer der Fall: Kinder sind unterschiedlich, haben unterschiedliche Temperamente. Einige Kinder sind extrovertierter, andere introvertierter. Konflikte nicht zu begleiten und gute Konfliktlösungsstrategien nicht aufzuzeigen, würde die Dominanz der stärkeren, extrovertierteren Kindern stärken. Kinder müssen jedoch lernen, Konflikte gerecht auszutragen und müssen Konfliktlösungsstrategien verinnerlichen. Das bedeutet, dass introvertiertere Kinder durch Begleitung lernen dürfen, wie sie ihre Meinung einbringen können und für ihre Bedürfnisse und Gefühle einstehen dürfen, während andere Kinder lernen müssen, anderen auch Raum für deren Meinung zu überlassen und manchmal einen Schritt zurück zu treten und sich zu beruhigen. Dies lernen Kinder durch unser Vorbild, aber auch durch Anleitung. Kinder brauchen Konfiktbegleitung durch ihre Bezugspersonen, um nach und nach über Jahre zu lernen, wie sie gut mit Problemen und Konflikten umgehen zu können.

Wenn Ausgrenzungen oder Beleidigungen immer wieder auftreten

Wenn Ausgrenzungen, Beleidigungen oder auch körperliche Gewalt immer wieder auftreten, kann man von Mobbing sprechen. Da Mobbing oft erst recht spät von Erwachsenen als solches erkannt wird, ist es wichtig, dass schon bei obigen Problemen eingegriffen wird, damit sich die Gewalt gegenüber dem Kind nicht normalisiert. Kinder, die von anderen angegriffen werden, tragen keine eigene Schuld am übergriffigen Verhalten der anderen – der gegenteilige Gedanke ist Teil des Problems, dass das Mobbing erst spät in seiner Tragweite bemerkt wird: Wird dem Kind immer wieder vermittelt „Naja, wenn wir ehrlich sind, hast du ja auch…“ ist das eine Täter-Opfer-Verschiebung. Wichtig ist, dass das betroffene Kind von den nahen Bezugspersonen Verständnis, Sicherheit und Unterstützung erhält. Das Kind kann sich aus dieser Situation in der Regel nicht selbst befreien. Es ist gut, zunächst mit dem Kind in das Gespräch zu kommen darüber, was es selbst will. Darüber kann dann überlegt werden, welche weiteren Hilfen in Anspruch genommen werden sollten: Oft muss das pädagogische Personal in Kita/Schule einbezogen werden, das als Bezugsperson ebenso für den Schutz des Kindes zuständig ist. Eventuell gibt es vor Ort auch sichere Bezugspersonen, die das Kind schützen und unterstützen können. Darüber hinaus kann psychologische Unterstützung bis hin zu rechtlichem Beistand notwendig sein (je nach Schwere und Situation). Auch spezielle individuelle Mobbingberatung gibt es, wie auch Workshops für Schulklassen.

Eure

Zur Autorin:
Susanne Mierau ist Diplom-Pädagogin (Schwerpunkt Kleinkindpädagogik) und Familienbegleiterin. Sie arbeitete an der FU Berlin in Forschung und Lehre, bevor sie sich 2011 im Bereich bedürfnisorientierte Elternberatung selbständig machte. Ihr 2012 gegründetes Blog geborgen-wachsen.de und ihre Social Media Kanäle sind wichtige und viel genutzte freie Informationsportale für bedürfnisorientierte Elternschaft und kindliche Entwicklung. Susanne Mierau gibt Workshops für Eltern und Fachpersonal und spricht auf Konferenzen und Tagungen über kindliche Entwicklung, Elternschaft und Familienrollen.

Foto: Ronja Jung für geborgen-wachsen.de

New Parents for Rebel Boys

Wir haben ziemlich feste Vorstellungen davon, wie sich Mädchen und Jungen, Frauen und Männer in unserer Gesellschaft zu verhalten und zu bewegen haben. Auch wenn immer wieder betont wird, dass wir schon längst gleichberechtigt wären, sprechen Statistiken eine andere Sprache. Männlichkeits- und Weiblichkeitsnormen sind festgelegt und wirken sowohl auf Jungen, als auch Mädchen in vielfacher Weise negativ. In ihrem kürzlich erschienenen Buch „Gegen Frauenhass“ beschreibt Rechtsanwältin und Aktivistin Christina Clemm nachdrücklich, wie Mädchen und Frauen weltweit, aber auch hierzulande unter ökonomischer, psychischer und physischer Gewalt leiden und welche patriarchalen Strukturen und Männlichkeitsbilder dahinter stehen. Sie betont (2023, S.226) „Gegen Sexismus und Frauenhass muss auf allen Ebenen, so früh wie möglich und mit vielen Ressourcen, Fantasie und Mut gekämpft werden. Dabei reicht es nicht, sich den Unterdrückungsmechanismen entgegenzustellen, Menschen müssen befähigt werden, Geschlechtergerechtigkeit zu verstehen und dafür einzutreten. Dies fängt bei der Erziehung, der Bildung an.“

Was wir in jungen Jahren lernen, ist wichtig für die folgende Generation. Wir müssen also nicht nur Mädchen anders begleiten, stärken und den Weg für Gleichberechtigung ebnen, sondern auch unsere Söhne anders erziehen. Zugegeben: Es wird dauern, bis eine neue Generation Männer herangewachsen ist. Deswegen müssen wir mehrgleisig fahren: unsere Töchter stärken, den Gewaltschutz und die Strafverfolgung von Gewalttaten erhöhen und die Bilder von „Männlichkeit“ verändern.

Susanne Mierau „New Moms for Rebel Girls“, S. 214f.

Schluss mit Abhärtung gegenüber Gefühlen

Noch immer dominieren Vorstellungen von einer bestimmten Art von Männlichkeit die Erziehung. Oft ist es uns nicht einmal bewusst, dass wir versuchen, Jungen eher „abzuhärten“, indem wir ihnen den Zugang zu bestimmten Emotionen verwehren. „Jetzt stell dich nicht so an!“, „Jungs heulen nicht!“, „Du musst dich eben mehr durchsetzen, wenn du etwas willst!“ sind typische Sätze, die wir Jungen entgegenbringen. Auch dass wir bei ihnen viel bereitwilliger annehmen, dass sie Konflikte gewaltvoll lösen und ihnen deswegen bei Konflikten weniger Begleitung und gewaltfreie Alternativen aufzeigen, ist weit verbreitet: „Jungs sind eben so, die regeln das unter sich schon!“

Gerade die Gefühlsregulation ist aber ein wichtiger Baustein der Entwicklung: Wenn wir lernen, dass es hilfreich ist, dass bestimmte Gefühle von anderen Menschen mitreguliert werden, dass man überhaupt alle Gefühle haben darf und wie man gesund mit ihnen umgeht, können wir diese Offenheit für uns selbst nutzen, aber auch anderen Menschen entgegen bringen. Gefühle sind ein Ausdruck von Bedürfnissen, die dann zu Handlungen führen: Wenn Menschen nicht lernen, welche Bedürfnisse in welchen Gefühlen zum Ausdruck kommen (und andersherum), wenn sie nicht lernen können, die passenden, sozialverträglichen Handlungen daraus abzuleiten, damit sie ihre Bedürfnisse befriedigen können, stellt das für den Einzelnen, aber auch die Gruppe, ein Problem dar, weil diese Handlungen uns alle betreffen.

Was bedeutet das also? Wir müssen aufhören, Jungen den Zugang zu wesentlichen Gefühlen zu verwehren und ihnen erlauben, alle Gefühle zuzulassen und sie passend begleiten. Anlässe, um über Gefühle zu sprechen, gibt es jeden Tag: Nach jeder Auseinandersetzung (die zwischen Kindern durchaus normal sind), können wir darüber sprechen, was wohl die andere Person gefühlt haben mag. Darüber hinaus können wir – Mütter wie Väter – über unsere eigenen Gefühle sprechen und zeigen und erklären, wie wir mit ihnen umgehen.

Kooperation statt Konkurrenz

Gerade der Konfliktbereich ist ein wichtiges Themenfeld in der Begleitung von Jungen. Wie schon erwähnt, sollten sie Konfliktlösungen jenseits von verbaler und körperlicher Gewalt erfahren können. Dafür brauchen sie Unterstützung und Anleitung. Gleichzeitig werden sie oft auch bewusst in Wettbewerbs- und Konkurrenzsituationenn gebracht, die bei Jungen als selbstverständlich betrachtet werden. Nicht selten werden in Wettbewerbssituationen zudem gleichgeschlechtliche Gruppen gebildet, die das Gegeneinander der Geschlechter betonen „Jungs gegen Mädchen!“ anstatt mit gemischten Gruppen ein besseres Miteinander zu gestalten und diese Konkurrenzsituation aufzuheben. Durchaus müssen Wettbewerbssituationen nicht gänzlich ausgeschlossen werden, aber durch eine Balance von Wettbewerb und Kooperation, gepaart mit gemischten Wettbewerbsgruppen, kann ein anderes Miteinander gestaltet werden als in aufgeteilten und ausschließlichen Wettbewerbsangeboten.

Das Kümmern erlernen

Eng zusammen mit der emotionalen Entfremdung steht die Entfremdung des Umsorgens. Schon in der Auswahl von Spielmaterialien legen viele Eltern früh fest, was geeignetes Spielzeug für Jungen und Mädchen wäre. Oft wird dabei argumentiert, Mädchen und Jungen würden „von Natur aus“ mit bestimmten Sachen lieber spielen. Die Neurowissenschaftlerin Lise Elliot hat die Unterschiede zwischen den Geschlechtern untersucht und erklärt in ihrem Buch „Wie verschieden sind sie?“, dass es durchaus Unterschiede zwischen den Geschlechtern gibt, diese aber sehr gering und der Einfluss der Kultur wesentlich größer ist: Es müssen nicht alle Kinder gleichermaßen mit Puppen und Autos spielen und sie dürfen persönliche Vorlieben haben, aber wir sollten sie nicht per se aufgrund unserer Geschlechtszuschreibung von einem Spielbereich fernhalten: „Geh mal zu den anderen Jungen in die Bauecke!“.

Das Entfremden vom Umsorgen erstreckt sich zudem über wesentlich mehr als „nur“ die Spielzeugauswahl. Es betrifft auch die Frage, ob wir Jungen eher aus den sozialen Nahräumen wegschicken – „Los, geh draußen was spielen!“ oder ihnen die Chance geben, zu Hause beteiligt zu sein bei Care-Arbeiten wie der Essenszubereitung, die gleichzeitig auch soziale Interaktion und Kooperation bedeuten. Wir wissen, dass das Einbinden von Kindern in die Hausarbeit ein Aspekt der Entwicklung psychischer Widerstandsähigkeit (Resilienz) sein kann, da sich Kinder als selbstwirksam und wichtig für die Gruppe erleben, wenn sie innerhalb der Gruppe (altersentsprechend) für wichtige Aufgaben eingebunden werden. Gleichzeitig werden Jungen aber weniger in Hausarbeiten involviert als Mädchen. Gerade wenn es mehrere Kinder unterschiedlichen Geschlechts in einer Familie gibt, ist es sinnvoll, die Verteilung von Aufgaben noch einmal genauer anzusehen und zu überprüfen, ob diese tatsächlich gerecht verteilt sind.

Vorbilder in der Familie

Zentral für eine neue Art der Erziehung ist nicht nur das, was wir mit den Kindern tun, sondern auch das, was sie von uns als Vorbild erfahren. New Girls und New Boys brauchen nicht nur New Moms, sondern ganz besonders auch New Dads, die ihnen ein Vorbild darin sind, über Gefühle zu sprechen, die sie beim Kümmern um andere sehen und erleben, die Care-Arbeit selbstverständlich und bereitwillig übernehmen, die andere Menschen nicht wegen ihres Geschlechts abwerten und sich aktiv gegen die Abwertung anderer stellen. Hier gibt es noch erheblichen Spielraum, da Väter weiterhin – obwohl sie statistisch betrachtet mehr Sorgearbeit übernehmen wollen – es doch nicht tun und auch weiterhin weniger Elternzeit nehmen.

Gerade das Verhalten von Eltern einander gegenüber – ob nun innerhalb einer Paarbeziehung oder bei getrennten Eltern – ist ein wichtiges Vorbild für Kinder: Gehen diese nahen Bezugspersonen respektvoll miteinander um? Wie streiten und versöhnen sie sich? In der Kindheit erlernen wir Muster von Schuldzuweisungen, Rache, Bestrafung etc. in Konfliktsituationen, die unser Bild von nachhaltig prägen können. Werden Konflikte konstruktiv gelöst, ist das für Kinder nachhaltig hilfreich.

Wir brauchen nicht nur „New Moms for Rebel Girls“, wir brauchen auch ein Umdenken in Hinblick auf die Erziehung von Jungen. Wir brauchen New Dads, die sich um Jungen wie Mädchen modern, gefühlvoll und achtsam kümmern und ihnen ein Vorbild sind im Alltag. Hierdurch kann es uns gelingen, Gesellschaft zu verändern und Kindern ein gesünderes Aufwachsen zu ermöglichen jenseits von festen Rollenzuschreibungen, die ihnen auf allen Seiten schaden.

Eure

Zur Autorin:
Susanne Mierau ist Diplom-Pädagogin (Schwerpunkt Kleinkindpädagogik) und Familienbegleiterin. Sie arbeitete an der FU Berlin in Forschung und Lehre, bevor sie sich 2011 im Bereich bedürfnisorientierte Elternberatung selbständig machte. Ihr 2012 gegründetes Blog geborgen-wachsen.de und ihre Social Media Kanäle sind wichtige und viel genutzte freie Informationsportale für bedürfnisorientierte Elternschaft und kindliche Entwicklung. Susanne Mierau gibt Workshops für Eltern und Fachpersonal und spricht auf Konferenzen und Tagungen über kindliche Entwicklung, Elternschaft und Familienrollen.

Foto: Ronja Jung für geborgen-wachsen.de

Wie Kinder lernen, respektvoll eigene Grenzen zu benennen

Zunächst vorab, damit deine Erwartungen nicht zu hoch sind: Es dauert JAHRE den Umgang mit Gefühlen zu erlernen und gesellschaftsverträgliche Umgangsformen damit zu entwickeln. Gerade deswegen ist es aber wichtig, dass wir unsere Kinder Schritt für Schritt darin begleiten – angepasst an ihren Entwicklungsstand. Je jünger Kinder sind, desto schwerer fällt es ihnen, ihre Grenzen sprachlich aufzuzeigen statt körperlich, frühzeitig zu erkennen, dass eine andere Person dabei ist, die Grenzen zu überschreiten (und dementsprechend früh einzugreifen) und dann überlegt, statt impulsiv zu handeln. Dies hängt auch damit zusammen, dass das Gehirn in der Kleinkindzeit diese Aufgaben noch gar nicht bewältigen kann. Die Reifung dauert viele Jahre. Wichtig ist es, dass nahe Bezugspersonen diese Reifung begleiten und Impulse geben, wie gut mit schwierigen Situationen umgegangen werden kann. Denn: Wie wir bestimmte Dinge ausdrücken, wird zu großen Teilen erlernt.

Wertschätzen, dass Grenzen erkannt werden

Wenn Kinder eigene Grenzen aufzeigen, dann tun sie das oft unmittelbar „Lass mich!“, „Ich will das nicht!“, „Fass mich nicht an!“, „Lass mich in Ruhe!“, „Du bist so kacke!“, „Ich hasse dich!“ – Es ist gut, dass Kinder ihre Grenzen kennen und aufzeigen, dass hier eine Grenze in Gefahr ist. Das Wissen um ihre eigenen Grenzen hilft ihnen, ein Bild von sich auszubilden und stärkt das sich entwickelnde Selbstbild, weil sie lernen, dass sie als Mensch wichtig sind und ihre Integrität schützenswert ist. Dies ist für unser gesamtes weiteres Leben bedeutsam: Wir sollten verinnerlicht haben, dass andere Menschen unsere Grenzen nicht überschreiten dürfen und wie wir dann selbst vorgehen können und wo wir uns Hilfe suchen sollten. Deswegen ist es gut, Kindern das Feedback zu geben: „Hier ist deine Grenze erreicht. Gut, dass Du sie kennst und das mitteilst!“

Ursache verstehen

Wichtig ist auch, dass wir verstehen, worum es eigentlich geht. Gerade wenn das Kind nur aufschreit oder schimpft, müssen wir versuchen, die Ursache zu verstehen, um dem Kind andere Strategien aufzuzeigen. Deswegen ist es gut, nachzufragen oder (wenn man sicher ist) es auszusprechen: „Oh, hier ist deine körperliche Grenze erreicht, du möchtest nicht, dass dich das Kind anfasst!“ Oder „Findest du das gerade doof von mir, weil du das eigentlich selber machen wolltest und dich jetzt eingeschränkt fühlst?“ – Wir versuchen, als Bezugspersonen zu verstehen, was der Anlass für die Reaktion des Kindes ist und geben dem Kind gleichzeitig durch das Benennen Worte und stärken die Selbstwahrnehmung.

Anderes Beispiel nennen

Kinder lernen die Umgangsformen ihrer Umgebung nach und nach. Dazu brauchen sie uns als Vorbilder. Natürlich sehen sie, wie ihre Bezugspersonen mit ihren eigenen Grenzen umgehen: Wie wir sie benennen, wie wir darauf achten, dass sie gewahrt werden. Unter anderem deswegen ist es auch so wichtig, dass wir unsere persönlichen Grenzen auch gegenüber unseren Kindern klar formulieren und darauf achten, dass sie eingehalten werden – emotionale wie körperliche Grenzen. In den den Situationen, in denen das Kind nun eine Grenze von sich wahren möchte, aber dies noch wenig respektvoll und feinfühlig tut, können wir Beispiele für alternatives Verhalten benennen: „Ich habe verstanden, dass du das hier selber machen wolltest. Du kannst das auch genau so sagen: ‚Ich möchte das lieber alleine machen, Papa!“, „Das war zu nah für dich. Statt das Kind wegzuschubsen, kannst du sagen: ‚Stopp, das will ich nicht!“

Gemeinsam ausprobieren

In manchen Situationen kann diese Alternative dann gleich noch einmal ausprobiert und damit eingeübt werden. Wir können das Kind dazu anregen, noch die eigene Grenze nocheinmal anders zu formulieren und klar zu machen, worum es gerade ging: „Jetzt habt ihr euch beide beruhigt, du kannst dem anderen Kind nochmal sagen, dass du das nicht möchtest, dass es deine Haarspangen anfasst.“

Geduld haben

Es muss noch einmal betont werden: Es dauert viele Jahre, bis das Gehirn nicht mehr impulsiv reagiert, sondern wir bedacht mit Situationen umgehen können. Auch dauert es, bis das Kind Handlungen anderer schon früh einschätzen und vorausschauend Grenzen aufzeigen kann. Viele Eltern erwarten tatsächlich zu viel von ihren Kindern im Kleinkind-, Vorschul- und Schulalter, wenn sie denken, dass das Kind souverän mit Konfliktsituationen umgehen können sollte. Auch ein „Aber ich habe Dir doch schon tausendmal gesagt, du sollst vorher bescheid sagen, wenn…“ können wir uns sparen, denn wir müssen tausendmal und mehr immer wieder Beispiel sein, wiederholen, unterstützen. Hilfreich kann zudem sein, gut gelöste Situationen noch einmal wertschätzend zu benennen: „Ich hab gesehen, dass ihr das Problem gut zusammen gelöst habt!“ So lernen Kinder nach und nach, Sprache wertschätzend und respektvoll einzusetzen.

Eure

Zur Autorin:
Susanne Mierau ist Diplom-Pädagogin (Schwerpunkt Kleinkindpädagogik) und Familienbegleiterin. Sie arbeitete an der FU Berlin in Forschung und Lehre, bevor sie sich 2011 im Bereich bedürfnisorientierte Elternberatung selbständig machte. Ihr 2012 gegründetes Blog geborgen-wachsen.de und ihre Social Media Kanäle sind wichtige und viel genutzte freie Informationsportale für bedürfnisorientierte Elternschaft und kindliche Entwicklung. Susanne Mierau gibt Workshops für Eltern und Fachpersonal und spricht auf Konferenzen und Tagungen über kindliche Entwicklung, Elternschaft und Familienrollen.

Foto: Ronja Jung für geborgen-wachsen.de

Warum „Weil ich das sage!“ keine geeignete Erklärung für Kinder ist

Zweifellos gibt es gefährliche Situationen, in denen Eltern keinen großen Handlungsspielraum haben: Es muss schnell gehandelt werden, wenn Kinder beispielsweise im Straßenverkehr in Gefahr sind. Und manchmal haben wir auch schon gefühlt einhundert Mal einen Sachverhalt erklärt und wollen nicht noch einmal genau dasselbe sagen. Jenseits davon aber gibt es viele Situationen, in denen Eltern zwar die Machtkarte ausspielen könnten, aber nicht sollten: Es ist wichtig, dass Kinder nachvollziehen können, warum wir etwas wollen oder nicht wollen.

Eltern haben mehr Macht – und sollten sie mit Bedacht einsetzen

„Weil ich das sage!“ überbringt dem Kind eine deutliche Botschaft: Ich bin die machtvollere Person und treffe die Entscheidungen. Tatsächlich befinden sich Erwachsene gegenüber Kindern in einer machtvolleren Position: Sie verfügen in der Regel über mehr Kraft, einem Wissensvorsprung, können langfristiger und weitsichtiger planen und verfügen über mehr (finanzielle) Ressourcen. Es vermittelt Kindern Sicherheit, dass ihre Bezugspersonen darüber verfügen. Dennoch ist es eine bedeutsame Frage, wie wir mit dieser Position umgehen: Denn nur weil wir überlegen sind und diese Art der Überlegenheit auch bedeutsam ist, müssen wir sie nicht gegenüber dem Kind ausspielen und als Druckmittel einsetzen. Im Gegenteil: Gerade weil wir überlegen sind, sollten wir achtsam sein in unserem Tun und dem Kind die Möglichkeit geben, von eben jenem Vorsprung zu profitieren.

Profitieren kann das Kind dann, wenn es nicht stumpf Anweisungen befolgen soll, sondern wenn es lernen kann, warum in welchen Situationen wie gehandelt wird. Das lernt es durch Vorbild und Erklärungen. Wir sollten unser Tun im Alltag sprachlich begleiten – dies unterstützt auch den Ausbau des Wortschatzes von kleinen Kindern -, und Handlungen vorher ankündigen und auch begründen, warum wir wie handeln. Das müssen keine ausschweifenden Ausführungen, sondern können durchaus kurze und verständliche Erklärungen sein. Durch Erklärungen schaffen wir die Möglichkeit, Zusammenhänge zu verstehen und zeigen Respekt gegenüber der anderen Person: Auch wenn du jünger bist, nehme ich dich als Menschen ernst mit deinem Bedürfnis nach Lernen und Entwicklung und deinem Bedürfnis, dich als selbstwirksam zu erfahren.

Ich habe dein Bedürfnis wahrgenommen

Dem Kind zu erklären, warum es jetzt gerade etwas nicht tun darf, vermittelt dem Kind: Ich sehe deinen Wunsch/dein Bedürfnis eigentlich und erkläre dir, warum es jetzt gerade nicht erfüllbar ist. Aber ich habe es wahrgenommen und dir mit meiner Antwort zurückgemeldet, dass ich es wahrgenommen habe.

Wenn Eltern dem Kind auf diese Art zeigen, dass das Bedürfnis wahrgenommen wurde, wird es vielleicht dennoch noch nachfragen „Aber warum darf ich denn jetzt nicht?“/“Aber warum?“, weil es noch Kind ist und von seinem Bedürfnis oder Wunsch nicht so schnell abweichen will. Vielleicht kann es sich auch noch nicht in die Argumentation des Gegenüber hineinversetzen und versteht die Erklärung nicht. Aber es versteht, dass es Erklärungen gibt. Dass nicht willkürlich entschieden wird, dass es als Mensch gesehen wurde.

Erklärungen helfen auch Eltern

Auch den Erwachsenen hilft es, sich zu erklären: So erhalten sie den Raum, um über das eigene Denken und Handeln zu reflektieren: Ja, warum will ich das eigentlich? Warum mache ich das eigentlich so und nicht anders? Mache ich das, weil es selbst so mit mir gemacht wurde oder weil ich es immer so gemacht habe und ergibt mein Handeln wirklich Sinn? Oder gibt mein Kind mir hier gerade einen Impuls, um über mein routinierten Handlungen nachzudenken und vielleicht doch etwas zu ändern?

„Weil ich das so sage!“ erscheint uns oft als Abkürzung. Das Kind soll mal schnell machen, wie wir das so wollen. Tatsächlich ist es keine Abkürzung, weil wir verhindern, dem Kind beizubringen, selbst entscheiden und einschätzen zu können. Wie oft wünschen wir uns von Kindern, dass sie selbst machen, nicht immer nachfragen, handlungskompetent sind – dafür müssen wir ihnen von Anfang an auch Raum geben. Und auch dafür, das „Nein“ des Kindes auszuhalten und ihm respektvoll zu begegnen, auch wenn wir gerade jetzt nicht nachgeben können.

Eure

Zur Autorin:
Susanne Mierau ist Diplom-Pädagogin (Schwerpunkt Kleinkindpädagogik) und Familienbegleiterin. Sie arbeitete an der FU Berlin in Forschung und Lehre, bevor sie sich 2011 im Bereich bedürfnisorientierte Elternberatung selbständig machte. Ihr 2012 gegründetes Blog geborgen-wachsen.de und ihre Social Media Kanäle sind wichtige und viel genutzte freie Informationsportale für bedürfnisorientierte Elternschaft und kindliche Entwicklung. Susanne Mierau gibt Workshops für Eltern und Fachpersonal und spricht auf Konferenzen und Tagungen über kindliche Entwicklung, Elternschaft und Familienrollen.

Foto: Ronja Jung für geborgen-wachsen.de

Zur Autorin:
Susanne Mierau ist Diplom-Pädagogin (Schwerpunkt Kleinkindpädagogik) und Familienbegleiterin. Sie arbeitete an der FU Berlin in Forschung und Lehre, bevor sie sich 2011 im Bereich bedürfnisorientierte Elternberatung selbständig machte. Ihr 2012 gegründetes Blog geborgen-wachsen.de und ihre Social Media Kanäle sind wichtige und viel genutzte freie Informationsportale für bedürfnisorientierte Elternschaft und kindliche Entwicklung. Susanne Mierau gibt Workshops für Eltern und Fachpersonal und spricht auf Konferenzen und Tagungen über kindliche Entwicklung, Elternschaft und Familienrollen.

Foto: Ronja Jung für geborgen-wachsen.de

Freundschaften sind wichtig für Kinder

Freund*innen sind uns wichtig. Eine Studie an Erwachsenen im Jahr 2022 ergab, dass für 84 Prozent der befragten Personen gute Freunde und enge Beziehungen zu anderen Menschen der wichtigste Aspekt in ihrem Leben sind. Freundschaften beeinflussen u.a. unsere Gesundheit, unser Wohlbefinden und die Lebenserwartung. Obwohl wir als erwachsene Menschen um die Bedeutung von Freundschaften wissen, messen wir ihnen bei Kindern oft einen geringeren Wert bei. Wir betrachten zwar generell den Einfluss der Gleichaltrigen auf unsere Kinder, aber die Bedeutung individueller Freundschaften in der Kindheit ist oft weniger im Fokus.

Erwachsene geben den Raum für Freundschaften

Zwar kommunizieren und interagieren schon Babys miteinander, aber dies kann noch nicht als Freundschaft betrachtet werden. Erst in der Kleinkindzeit wird das Nebeneinander des Spiels nach und nach zu einem Miteinander und die Spielpartner*innen werden bedeutsamer. Für die Regulation von starken Gefühlen und Konflikten brauchen Kleinkinder ihre Bezugspersonen – im Alltag ebenso wie im Spiel mit anderen. Durchaus gibt es auch Probleme, bei denen man den Kindern die Möglichkeit geben sollte, eigene Lösungen zu finden – auch im Miteinander -, aber wenn dies nicht gelingt oder nicht fair stattfindet, ist noch eine Begleitung durch ältere Bezugspersonen notwendig, damit Kinder lernen, wie Konflikte gut und fair gelöst werden können. Für das Erlernen von Werten, Sozialkompetenzen und auch Empathie ist das Miteinander mit anderen Kindern (und Erwachsenen) sehr bedeutsam.

Empathie muss gelernt werden, und die Rahmenbedingungen von Kindheit sind hierfür ausschlaggebend. Verinselung und Entfremdung vom Umsorgen können sich negativ auf die Empathiefähigkeit unserer Gesellschaft auswirken

Susanne Mierau (2023): Füreinander sorgen, S.134

Auch für das Aufrechterhalten von Kontakten sind Kinder auf ihre Bezugspersonen angewiesen: Freundschaften brauchen Zeit, um sich zu intensivieren. Da Kinder über ihre Zeit und Beschäftigungen nicht frei verfügen können, sind sie darauf angewiesen, dass die Bezugspersonen das Bedürfnis nach sozialem Miteinander wahrnehmen und diesem Raum geben, indem Spielverabredungen getroffen werden oder Plätze aufgesucht werden, an denen sich Freund*innen befinden. So entwickeln sich im Laufe der Kindheit nach und nach feste Beziehungen zu anderen Kindern und im Vorschulalter bzw. beginnendem Grundschulalter gibt es oft bereits feste Freund*innenschaften.

Freund*innenschaften sind Räume für Erfahrungen und Gefühle

Innerhalb einer Freund*innenschaft wird soziales Miteinander gelernt, Diskursfähigkeit geübt und Freund*innen können sich gegenseitig in verschiedenen Entwicklungsbereichen zur Weiterentwicklung anregen: Vielleicht kann das eine Kind besser klettern und zeigt dem anderen seine Tricks dafür, während das andere vielleicht schon Armbänder knüpfen kann etc. Auch wenn Kinder sehr viel Zeit in homogenen Altersgruppen verbringen, weil unsere Strukturen in der außerfamiliären Betreuung und in der Schule das so vorgeben, profitieren sie sehr von Altersmischungen: hier können jüngere von älteren Kindern Kompetenzen erwerben und ältere Kinder Rücksichtnahme erproben. Auch in emotionalen Themen werden Freund*innen im Laufe der Zeit immer bedeutsamer für einen Austausch über Gefühle und gegenseitige Unterstützung.

Die Zugehörigkeit zu einer Gruppe ist sowohl für uns Erwachsene wichtig, als auch für Kinder. Ausschluss aus dem Gruppengeschehen schmerzt: Auch wenn es keine körperliche Verletzung ist, kann sozialer Ausschluss ein reales Schmerzgefühl hervorrufen. Kinder weinen, wenn sie „nicht mehr die Freundin von xy“ sind oder ihnen gesagt wird, dass yz nie wieder mit dem Kind spielen will, weil genau das tatsächliche Schmerzen in ihnen hervorruft. Ein „Jetzt stell dich nicht so an“ ist hier nicht hilfreich. Auch ein „Na warte mal ab, das wird schon wieder“ kann kleinen Kindern, die noch nicht über ein gutes Zeitgefühl verfügen, nicht helfen. Hilfreicher ist es, den Schmerz des Kindes erst einmal anzunehmen, sich die Situation erzählen zu lassen und dann (mit Kind) zu überlegen, wie die Kinder wieder zueinander geführt werden können. Manchmal enden Freundschaften auch in der Kindheit: Weil sich die Wege durch einen Umzug trennen oder die Kinder durch die Entwicklung unterschiedlicher Interessen immer weniger Zeit miteinander verbringen und an Gemeinsamkeit verlieren. Ist dies für ein Kind schmerzhaft, braucht auch dieser Schmerz Anerkennung und Trost. Freundschaften sind nicht einfach so austauschbar und ein Abbruch oder langsames Ende einer Freundschaft ist für Kinder oft eine emotionale Herausforderung.

Freundschaften sind wichtig für Kinder. Um sie aber auszubilden und aufrecht zu erhalten, sind Kinder einige Jahre auf ihre nahen Bezugspersonen angewiesen. Diese Berücksichtigung des Bedürfnisses nach sozialen Miteinander ist ebenso wichtig wie andere Bedürfnisbereiche, bekommt aber von Erwachsenen leider oft nicht den Stellenwert zugeschrieben, den es eigentlich benötigt. Wir sollten mehr darauf achten, mit wem unsere Kinder gern Zeit verbringen und verbringen wollen und wie dieser Wunsch umgesetzt werden kann, wenn auch das Gegenüber ein Interesse daran hat. Ebenso sollten wir feinfühliger mit emotionalem Schmerz durch Streit unter Freund*innen umgehen und den Erhalt der so wichtigen Freundschaften unterstützen.

Eure

Zur Autorin:
Susanne Mierau ist Diplom-Pädagogin (Schwerpunkt Kleinkindpädagogik) und Familienbegleiterin. Sie arbeitete an der FU Berlin in Forschung und Lehre, bevor sie sich 2011 im Bereich bedürfnisorientierte Elternberatung selbständig machte. Ihr 2012 gegründetes Blog geborgen-wachsen.de und ihre Social Media Kanäle sind wichtige und viel genutzte freie Informationsportale für bedürfnisorientierte Elternschaft und kindliche Entwicklung. Susanne Mierau gibt Workshops für Eltern und Fachpersonal und spricht auf Konferenzen und Tagungen über kindliche Entwicklung, Elternschaft und Familienrollen.

Foto: Ronja Jung für geborgen-wachsen.de

Zur Autorin:
Susanne Mierau ist Diplom-Pädagogin (Schwerpunkt Kleinkindpädagogik) und Familienbegleiterin. Sie arbeitete an der FU Berlin in Forschung und Lehre, bevor sie sich 2011 im Bereich bedürfnisorientierte Elternberatung selbständig machte. Ihr 2012 gegründetes Blog geborgen-wachsen.de und ihre Social Media Kanäle sind wichtige und viel genutzte freie Informationsportale für bedürfnisorientierte Elternschaft und kindliche Entwicklung. Susanne Mierau gibt Workshops für Eltern und Fachpersonal und spricht auf Konferenzen und Tagungen über kindliche Entwicklung, Elternschaft und Familienrollen.

Foto: Ronja Jung für geborgen-wachsen.de

Aber Jungs sind eben so! – Warum Wut- und Konfliktverhalten Begleitung braucht

„Nein, nein, das ist schon okay, dass die so raufen. Jungs sind eben so!“ Diese und ähnliche Sätze begegnen uns immer wieder. Zweifellos ist das Raufen und Balgen für Kinder ein wichtige Bestandteile des Spiels: hier wird Grobmotorik ausgebildet, es geht um Absprachen, um das Erkennen von Grenzen – für alle Kinder jeden Geschlechts. Und zweifellos gibt es zwischen Geschlechtern auch statistisch belegbare Unterschiede. Die Neurobiologin Lise Eliot führt in ihrem Buch „Wie verschieden sind sie wirklich?“ dazu aus: „Selbst im Erwachsenenalter sind die meisten Geschlechterdifferenzen bei kognitiven Fähigkeiten und Persönlichkeitsmerkmalen kleiner, als gemeinhin angenommen. Bei Kindern sind sie noch kleiner, wie ihre Körper erst alle Unterschiede entwickeln müssen, so brauchen auch ihre geistigen Funktionen Zeit, um die männliche und weibliche Denkweise auszubilden. Wie sich bei kognitiven Fähigkeiten, Schulleistungen, Motivation, Emotionen und Beziehungsstilen zeigte, weisen Jungen und Mädchen leichte Unterschiede auf, sind aber keineswegs durch Welten getrennt.“

Jungen und Mädchen sind verschieden – aber nicht so sehr, wie wir denken

Kinder zeigen also geringfügige Unterschiede, aber keine enormen. Dennoch unterbinden wir bei Mädchen Streit eher, gehen stärker gegen Wut vor, während Jungen fast zügellos im Namen des freien Spiels ihre Wut austragen dürfen. Manchmal sehen wir den teilweise fließenden Unterschied zwischen Balgen und Raufen aus Wut nicht, manchmal ignorieren wir ihn auch bewusst aufgrund bestimmter Rollenbilder in unseren Köpfen. Während das Unterbinden von Ärger und Wut bei Mädchen negative Folgen hat, hat auch die fehlende Co-Regulation der Wut von Jungen negative Folgen für sie selbst und andere.

Trauer begleiten wir, bei Wut haben wir Probleme

Viele Eltern sind mit der Begleitung und Co-Regulation von Gefühlen wie Trauer und Hilflosigkeit von Kindern mittlerweile vertraut: Wir nehmen in den Arm, sagen liebe Worte. Je nach Kind unterscheidet sich die Art, wie Trost gegeben werden sollte und auch die Dauer, die Kinder für ihre Beruhigung benötigen. In Hinblick auf den Umgang mit der Wut sind viele Eltern hingegen noch immer hilflos: Wie begleite ich hier richtig? Gerade dann, wenn mich diese Wut des Kindes selber wütend macht, wenn ich mich persönlich angegriffen fühle? Auch Glaubenssätze spielen in die Begleitung von Wut hinein, wie beispielsweise „Mädchen dürfen nicht wütend sein“ oder „Jungen müssen lernen, sich durchzusetzen, nur starke Kinder haben im Leben Vorteile“. Gerade bei als Jungen gelesenen Kindern sind Erwachsene oft geneigt, die Wut „einfach laufen“ zu lassen im Namen von Spiel oder Wettbewerbsfähigkeit.

Wut will begleitet werden

Doch auch Wut will begleitet werden – bei Mädchen wie Jungen. Und auch hier gibt es Unterschiede im Bedarf der Art der Begleitung, wie es auch schon Unterschiede gibt in der Aggression: einige Kinder sind aggressiver als andere. Gerade Kinder, die aggressiver sind als der Durchschnitt brauchen Co-Regualtion und Begleitung, anstatt „Laufenlassen“ oder Strafen. Wird die Co-Regulation von Wut verwehrt, lernt das Kind keinen gesunden Umgang damit. Während sie bei Mädchen eher generell unterdrückt wird, dürfen Jungen der Wut freien Lauf lassen. Was sie dadurch aber nicht lernen: Rücksichtnahme, Empathie, Diskursfähigkeit, Konfliktstrategien jenseits von Gewalt.

Der Kampf wird dann als Spiel angesehen, und diese Art der Auseinandersetzung daher als normal legitimiert und nicht reguliert. Das, was wir bereits als wichtigen Einfluss auf die Weiterentwicklung empathischer Fähigkeiten erfahren haben, wird in der Sozialisation von Jungen oft weniger berücksichtigt. Geschlechtsunterschiede in der Empathie gehen besonders auf die Sozialisation zurück: Nur 10 Prozent unserer Empathiefähigkeit sind insgesamt genetisch festgelegt, der Rest beruht auf nicht-genetischen Faktoren.

Susanne Mierau 2023: Füreinander sorgen, S.145

Diese fehlende Regulation von Wut wirkt sich negativ auf das Kind im Jetzt aus, hat aber auch langfristig negative Folgen, weil der Umgang mit Wut nicht erlernt werden kann und weiteres gewaltvolles Handeln daher als Lösungsstrategie verinnerlicht wird gegenüber anderen, das Kind/der spätere Jugendliche/Erwachsene sich aber auch selbst damit gefährdet, weil andere Konfliktlösungsstrategien nicht erlernt werden konnten.

Sowohl Mädchen als auch Jungen brauchen daher eine Begleitung beim Umgang mit ihren Gefühlen – auch mit der Wut. Es ist weder gesund, Wut zu unterdrücken, noch ihr freien Lauf zu lassen und so ungesunde Verhaltensmuster zu verinnerlichen. Auch bei der Wut ist es wichtig, das Gefühl zu benennen und nach der großen Wut-Gefühlswelle die Ursachen zu ergründen, die hinter dem Gefühl stehen: Welches Bedürfnis ist nicht erfüllt, das zu Wut führt? Fühlt sich das Kind beispielsweise ausgeschlossen, ist es traurig, hat es Schmerzen, fühlt es sich nicht gesehen oder gewertschätzt, war es in seinem Gefühl von Sicherheit verletzt? Auf Basis des Wissens um diese Ursache kann dann besprochen werden, wie mit einer solchen Ursache umgegangen werden kann, statt zu hauen/beißen/schubsen/werfen.

Eure

Zur Autorin:
Susanne Mierau ist Diplom-Pädagogin (Schwerpunkt Kleinkindpädagogik) und Familienbegleiterin. Sie arbeitete an der FU Berlin in Forschung und Lehre, bevor sie sich 2011 im Bereich bedürfnisorientierte Elternberatung selbständig machte. Ihr 2012 gegründetes Blog geborgen-wachsen.de und ihre Social Media Kanäle sind wichtige und viel genutzte freie Informationsportale für bedürfnisorientierte Elternschaft und kindliche Entwicklung. Susanne Mierau gibt Workshops für Eltern und Fachpersonal und spricht auf Konferenzen und Tagungen über kindliche Entwicklung, Elternschaft und Familienrollen.

Foto: Ronja Jung für geborgen-wachsen.de

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Susanne Mierau ist Diplom-Pädagogin (Schwerpunkt Kleinkindpädagogik) und Familienbegleiterin. Sie arbeitete an der FU Berlin in Forschung und Lehre, bevor sie sich 2011 im Bereich bedürfnisorientierte Elternberatung selbständig machte. Ihr 2012 gegründetes Blog geborgen-wachsen.de und ihre Social Media Kanäle sind wichtige und viel genutzte freie Informationsportale für bedürfnisorientierte Elternschaft und kindliche Entwicklung. Susanne Mierau gibt Workshops für Eltern und Fachpersonal und spricht auf Konferenzen und Tagungen über kindliche Entwicklung, Elternschaft und Familienrollen.

Foto: Ronja Jung für geborgen-wachsen.de

Kinder „richtig“ motivieren

Unsere Kinder sind unterschiedlich und gehen auch verschieden offen und gern auf neue Situationen und Herausforderungen zu. Manche Kinder sind zurückhaltender, während sich andere freudig in ein Abenteuer stürzen. Generell sind leichte Herausforderungen für Kinder ein Motor ihrer Entwicklung: Wenn eine Tätigkeit ein wenig außerhalb ihrer aktuellen Fähigkeiten liegt und sie sich daran erproben können und vielleicht die Erfahrung machen, dass sie hier selbst wirksam werden können und ein Ziel erreichen oder eine Fähigkeit ausbauen, ist das motivierend und stärkt die Wahrscheinlichkeit, auch künftig positiv Herausforderungen zu begegnen. Manche Kinder aber scheuen sich, den ersten Schritt zu machen und auf eine Herausforderung überhaupt erst zuzugehen. Sie brauchen ein wenig Unterstützung und Zuspruch von ihren nahen Bezugspersonen.

Beziehung als Basis für Motivation

Im Mittelpunkt unseres menschlichen Motivationssystems stehen Beziehung, Zuwendung, Wertschätzung und Miteinander – das soziale Miteinander ist Antrieb unseres Handelns und nicht etwa externe Belohnungen, wie wir oft denken. Um unsere Kinder für eine Herausforderung zu interessieren und zu ermutigen, ist es deswegen bedeutsam, dass diese Herausforderung auf dem Boden unserer Beziehung und im Schutz dieser erfolgt. Positives Miteinander fühlt sich für uns gut an und macht uns glücklich.

Wichtig für dieses positive Miteinander ist deswegen das Vertrauen der Bezugsperson in das Kind und seine Fähigkeiten: Durch unsere Gestik, Mimik und Sprache vermitteln wir dem Kind, dass wir daran glauben, dass es hier in dieser Situation handlungsfähig ist und wir davon überzeugt sind, dass die Herausforderung schaffbar ist. Wichtig ist dabei, dass dies wirklich realistisch eingeschätzt wird und das Kind weder über- noch unterfordert wird.

Sprachlich motivieren

Aus der sicheren Basis des Miteinander heraus können wir Kinder mit Worten darin unterstützen, sich einer herausfordernden Aufgabe zuzuwenden: Wir können sie im Tun bestärken („Ich glaube, du hast den richtigen Weg schon gefunden.“), Hinweise geben, wie sie die Aufgabe wahrscheinlich lösen können („Und jetzt richtig doll drehen.“), unsere Wahrnehmung teilen („Das sieht sehr rutschig aus.“), Sicherheit vermitteln („Ich bin gleich hier neben dir und seh dir zu.“) und Hilfe anbieten, wenn das Kind wirklich nicht allein weiterkommt. Oft ist es auch wichtig, dass wir nicht unser eigenes Handeln, unsere Strategien und Zeitpläne als Basis für das Handeln des Kindes betrachten, sondern uns von unserer Vorstellung ein Stück weit lösen und dem Kind Raum und Zeit für eigene Lösungswege geben („Wir haben Zeit, probier es ruhig aus.“).

Gerade bei Kindern, die weniger offen und selbstverständlich auf neue Herausforderungen zugehen, ist es wichtig, sie zu ermutigen und zu bestärken und nicht durch (vielleicht auch unbewusste) Aussagen noch mehr von der Entdeckung der Welt abzuhalten, indem wir ihnen beispielsweise sagen, dass eigentlich im Rahmen des Machbaren liegende Aktivitäten doch zu gefährlich wären/das Kind es nicht schaffen könne/noch zu klein sei/das doch gar nicht das Interessensgebiet des Kindes wäre oder das Kind das einfach ohne weitere Erklärung lassen soll.

Sprachliche Motivation mit Bedacht einsetzen

Beständiges Antreiben und Auffordern ist allerdings ebenso ungünstig wie mangelnde Unterstützung: Werden Kinder beständig zum Handeln gedrängt, kann sich dies negativ auf ihr Selbstbild und die Motivation auswirken. Es kommt also auf ein gesundes Mittelmaß an, um das eher zurückhaltende Kind zu motivieren und auf den Weg des Erkundens zu bringen.

Eure

Zur Autorin:
Susanne Mierau ist Diplom-Pädagogin (Schwerpunkt Kleinkindpädagogik) und Familienbegleiterin. Sie arbeitete an der FU Berlin in Forschung und Lehre, bevor sie sich 2011 im Bereich bedürfnisorientierte Elternberatung selbständig machte. Ihr 2012 gegründetes Blog geborgen-wachsen.de und ihre Social Media Kanäle sind wichtige und viel genutzte freie Informationsportale für bedürfnisorientierte Elternschaft und kindliche Entwicklung. Susanne Mierau gibt Workshops für Eltern und Fachpersonal und spricht auf Konferenzen und Tagungen über kindliche Entwicklung, Elternschaft und Familienrollen.

Foto: Ronja Jung für geborgen-wachsen.de

Auch Kinder haben Grenzen

Der Blick von Erwachsenen auf Kinder ist oft defizitär: Kinder können noch nicht so viel, Kinder wissen noch nicht so viel, Kinder gehen nicht „erwachsen“ mit Herausforderungen und Problemen um. Schnell passiert es, dass Erwachsene sich deswegen in einer beständigen Deutungshoheit über das Erleben und Empfinden des Kindes fühlen: „Das kann nicht wehgetan haben!“, „Jetzt stell dich mal nicht so an!“, „Das ist doch nicht schlimm!“. Dabei ist es nicht nur so, dass Kinder durchaus eine andere Wahrnehmung haben können, ein anderes Temperatur- oder Schmerzempfinden, sondern dass sie auch Grenzen haben, die von Erwachsenen respektiert werden sollten und nicht aufgrund des Denkens, dass „Kinder ja nur Kinder sind“ beständig übergangen werden sollten.

Die Grenzen um uns

Wir können uns persönliche Grenzen wie eine Hülle um uns herum vorstellen, eine Art unsichtbare Seifenblase, die sowohl unseren Körper umhüllt und körperliche Grenzen aufzeigt, als auch unser Innerstes umhüllt und schützt, also unsere psychischen Grenzen. Persönliche Grenzen schützen unsere Autonomie, unsere Selbstbestimmung, unsere körperliche Unversehrtheit. Dabei sind unsere Grenzen durchaus auch individuell unterschiedlich und ergeben sich aus persönlichen Erfahrungen, dem Temperament, der Kultur, in der wir eingebettet sind: Was für eine Person grenzüberschreitend ist, ist für eine andere Person vielleicht in Ordnung. Die Deutungshoheit darüber, was als Grenzüberschreitung wahrgenommen wird, liegt bei jeder Person selbst und sollte von anderen respektiert werden.

Werden unsere Grenzen überschritten, fühlen wir uns unwohl und reagieren mit Abwehr – je nach Situation in unterschiedlicher Weise. Kinder zeigen beispielsweise oft mit körperlichen Signalen und ihrem Verhalten, dass eine Grenze überschritten wurde: sie weichen zurück oder rennen sogar weg, signalisieren ein Nein mit vorgestreckten Händen oder Kopfschütteln, ziehen sich innerlich zurück durch Verstummen oder Erstarren, vielleicht zeigen sie auch Aggression und schubsen, beißen oder schlagen. All diese Signale zeigen: Hier ist eine Grenze von mir erreicht – sowohl bei körperlichem Grenzübertritt, als auch be psychischem können diese (oder andere) Signale eingesetzt werden.

Körperliche Grenzen von Kindern achten

Auf die körperlichen Grenzen von Kindern treffen wir jeden Tag in vielen Situationen: in allen Bereichen der Pflege wie dem Zähneputzen, Windeln wechseln, Toilettengang, Anziehen, Haare bürsten, Waschen, aber auch beim Essen, wenn wir das Kind füttern, wie wir Nahrung anbieten und welche Regeln am Tisch gelten (gerade auch dann, wenn sich ein Kind beispielsweise ekelt, was ein deutliches Zeichen für eine Grenze ist). Es gibt aber auch Situationen, in denen uns oft nicht bewusst ist, dass es hier um eine körperliche Grenze des Kindes geht wie beispielsweise bei Begrüßungen und Verabschiedungen, wenn das Kind aufgefordert wird, die Hand zu geben oder sogar einen Kuss oder im Spiel, wenn einige Kinder nicht das Geschwisterkind/Besuchskind/andere Erwachsene anfassen wollen oder körperliche Spiele als unangenehm empfunden werden. Auch Geräusche im Familienalltag können Grenzen berühren oder überschreiten, besonders, wenn das Kind besonders geräuschempfindsam ist.

Es ist hilfreich, einmal in Ruhe zu reflektieren, welche Grenzen das eigene Kind in welchen Bereichen aufzeigt und wie es auf Grenzüberschreitungen reagiert. Manchmal erleben wir nur ein Verhalten des Kindes im Alltag, das uns vielleicht sogar ärgert, nehmen aber nicht wahr, dass hinter diesem Verhalten die Verletzung einer Grenze des Kindes stehen könnte. Wir reagieren dann auf das Handeln statt auf die Ursache, was oft weitere Streitigkeiten und Probleme mit sich bringt.

Psychische Grenzen achten

Auch auf die Verletzung psychischer Grenzen reagieren Kinder und auch hier sehen wir manchmal den Zusammenhang zwischen Verhalten und Ursache nicht. Psychische Grenzen schützen das Selbstbild und das Selbstwertgefühl – jede Form psychischer Gewalt wie Beleidigung, Beschämung, Herabwürdigung ist eine Grenzverletzung. Auch hier liegt die Deutungshoheit bei der betroffenen Person: Jeder Mensch entscheidet selbst, was verletzend ist und innerlich schmerzt.

Über Grenzen sprechen

Da Grenzen auch einen individuellen Anteil haben, ist es besonders wichtig, über die Grenzen zu sprechen. Mit kleinen Kindern können wir in Alltagssituationen wie der Pflege nachfragen, was sie mögen und was nicht. Wir können beim Essen darüber reden, was lecker ist und was weniger und beachten, wenn ein Kind etwas als eklig empfindet. Vor allem sollten wir die Signale des Kindes beachten und auch in Worte fassen „Du ziehst dich zurück, magst du das nicht mehr?“, „Du bist wütend, weil xy an deinen Haaren gezogen hat.“ Indem wir über die Grenzen des Kindes sprechen, können wir es dafür sensibilisieren, die eigenen Grenzen zu erkennen und zunehmend auch zu versprachlichen. So kann das Kind im Vertrauen zu den Bezugspersonen kommen und sagen: „Ich möchte auf der Familienfeier Onkel xy keinen Kuss geben!“ Gemeinsam kann dann nach einer Alternative gesucht werden.

Die Aufgabe der nahen Bezugspersonen ist es, die Grenzen des Kindes da zu schützen, wo es dies noch nicht selbst kann: Das betrifft sowohl das eigene auf das Kind ausgerichtete Handeln, als auch den Schutz gegenüber anderen Personen. Das Kind sollte verinnerlichen, dass es schützenswerte Grenzen hat, die von anderen Menschen respektiert werden und deren Schutz es einfordern darf, ohne beschämt oder übergangen zu werden.

Eure

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Susanne Mierau ist Diplom-Pädagogin (Schwerpunkt Kleinkindpädagogik) und Familienbegleiterin. Sie arbeitete an der FU Berlin in Forschung und Lehre, bevor sie sich 2011 im Bereich bedürfnisorientierte Elternberatung selbständig machte. Ihr 2012 gegründetes Blog geborgen-wachsen.de und ihre Social Media Kanäle sind wichtige und viel genutzte freie Informationsportale für bedürfnisorientierte Elternschaft und kindliche Entwicklung. Susanne Mierau gibt Workshops für Eltern und Fachpersonal und spricht auf Konferenzen und Tagungen über kindliche Entwicklung, Elternschaft und Familienrollen.

Foto: Ronja Jung für geborgen-wachsen.de

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Beschütze mich – warum es für Kinder wichtig ist, hinter ihnen zu stehen

Eigentlich ist es klar, dass wir als Elternteil hinter unseren Kindern stehen, sie beschützen und umsorgen. Und dennoch gibt es immer wieder Situationen, in denen es uns schwerfällt, wirklich für das Kind einzustehen. Insbesondere dann, wenn andere Personen unser Verhalten oder das des Kindes bewerten oder ein bestimmtes Verhalten vom Kind einfordern. Auf einmal verschwinden unsere Vorsätze und Forderungen oder Verhaltensweisen, die wir eigentlich nicht zulassen wollen, werden doch erlaubt. Vielleicht denken wir, dass sich das nur auf die Beziehung des Kindes zu dieser anderen Person auswirkt, aber als Bezugsperson sind wir auch hier involviert.

Das Bindungssystem ist ein Schutzsystem

Das Bindungssystem ist aus Sicht des Kindes ein Schutzsystem: Es dient dazu, dass die Bedürfnisse des Kindes, das sich noch nicht selbst versorgen kann, erfüllt werden. Durch diese Bedürfniserfüllung bildet das Kind ein Vertrauen aus in andere Menschen und erlebt sich als wirksam und wertvoll, weil auf seine Signale und Bedürfnisse entsprechend eingegangen wird. Dieses Vertrauen in sich und andere legt einen Grundstein dafür, wie das Kind auch zukünftig mit der Umwelt und sich umgeht. Zu den Bedürfnissen gehören dabei nicht nur beispielsweise Nahrung und Schlaf, sondern auch das Bedürfnis nach Sicherheit und der Schutz vor Gewalt in ihren verschiedenen Formen. Die Bezugspersonen sind dafür zuständig, diesen Schutz zu bieten.

Wann Bezugspersonen schützen und begleiten sollten

Wenn das Kind eine Situation erlebt, in der es Schutz beansprucht, weil es sich beispielsweise ängstigt, sollte daher eine Bezugsperson zur Seite stehen und diesen Schutz anbieten. – Und zwar unabhängig davon, ob die erwachsene Person diese Situation selbst als bedrohlich oder ängstigend empfindet.

Die Bewertung der erwachsenen Person kann sich durchaus auf das Kind auswirken: Allein durch die Körpersprache vermitteln wir, ob wir eine Situation ebenfalls als bedrohlich wahrnehmen, oder nicht. Das Kind nimmt diese Signale wahr und reagiert auf unsere Einschätzung der Situation. Negativ ist allerdings, wenn wir dem Kind die Angst oder das Schutzbedürfnis absprechen: „Jetzt stell dich aber mal nicht so an!“ oder sogar über die Angst des Kindes lachen „Haha, der will doch nur spielen!“

Es ist hilfreich, die Angst des Kindes in einer Situation, in der sie nicht begründet ist, anzunehmen und dem Kind zu vermitteln, dass es sich nicht sorgen muss. Dies aber zunächst auf dem Boden der Annahme: „Ich merke, dass du Angst hast, ich gehe mal voran.“ oder „Du möchtest nicht, dass der Hund so nah an dich herankommt, ich nehm dich auf den Arm und er darf an meiner Hand schnuppern.“

Auch in Bezug auf das übergriffige Verhalten anderer Personen ist es wichtig, dass wir gegenüber dem Kind die für die Beziehung so wichtige Schutzposition einnehmen: Wenn das Kind nicht gekitzelt werden möchte, dies der anderen Person klarmachen. Das Kind vor Körperkontakt schützen, den es nicht will wie „Küsschen geben“ oder Händeschütteln. Und auch vor psychischer Gewalt verdient das Kind Schutz, wenn andere Menschen übergriffig sind, es beispielsweise als „Heulsuse“ bezeichnen oder „Angsthasen„.

Schutz kostet manchmal Überwindung

Es ist manchmal nicht einfach, diesen Schutzauftrag zu erfüllen, der für die Beziehung so wichtig ist. Dies insbesondere dann, wenn wir als Bezugsperson selber einer unseren Bezugspersonen gegenüberstehen, die wir als Instanz erlebt haben: eigene Eltern, ältere Familienangehörige und wir uns nun, obwohl es immer eine Hierarchie gab, in der ihre Entscheidungen über unseren standen, nun entgegentreten müssen. Auch in anderen sozialen Kontexten in der Öffentlichkeit erscheint es manchmal schwer, die eigene Haltung zu vertreten und das Kind zu schützen: Zu groß ist die Angst, als schlechtes Elternteil bewertet zu werden, das in den Augen der anderen falsch erzieht. Schließlich ist das Gefühl, zur Gemeinschaft zu gehören, so wichtig für Menschen.

Dennoch: Als Bezugsperson müssen wir diese Schamgrenzen überwinden und für das Kind einstehen. Es braucht uns als sicheren Hafen, als Schutzinstanz, aus deren Sicherheit heraus es die Welt entdecken kann. Es muss darauf Vertrauen können, dass wir für dieses Kind einstehen – denn wer sollte es sonst, wenn nicht die nahen Bezugspersonen?

Eure

Zur Autorin:
Susanne Mierau ist Diplom-Pädagogin (Schwerpunkt Kleinkindpädagogik) und Familienbegleiterin. Sie arbeitete an der FU Berlin in Forschung und Lehre, bevor sie sich 2011 im Bereich bedürfnisorientierte Elternberatung selbständig machte. Ihr 2012 gegründetes Blog geborgen-wachsen.de und ihre Social Media Kanäle sind wichtige und viel genutzte freie Informationsportale für bedürfnisorientierte Elternschaft und kindliche Entwicklung. Susanne Mierau gibt Workshops für Eltern und Fachpersonal und spricht auf Konferenzen und Tagungen über kindliche Entwicklung, Elternschaft und Familienrollen.

Foto: Ronja Jung für geborgen-wachsen.de

Weinende Kleinkinder brauchen Unterstützung

Manchmal wissen wir nicht einmal den Grund für das scheinbar untröstliche Weinen des Kindes: Auf einmal steht es vor uns, ruft und weint. Das Weinen eines Babys oder Kleinkindes signalisiert uns, dass eine Not vorhanden ist. Aber manchmal fällt es Eltern gar nicht so leicht, angemessen zu reagieren: Soll ich trösten oder verwöhne ich es damit nur? Ist das nicht gerade völlig übertrieben vom Kind? Sollte es nicht besser lernen, allein mit dem Weinen aufhören zu können?

Weinen ist ein Signal, auf das wir reagieren sollten

Gerade bei Babys ist das Weinen ein spätes Warnsignal, beispielsweise wenn das Baby Hunger hat und die früheren Signale wie die Suchbewegungen des Kopfes oder das Saugen an der Faust nicht wahrgenommen und/oder beantwortet wurden. Auch im späteren Alter ist das Weinen ein Signal und Ausdruck für ein Empfinden und/oder eine Not und löst in uns Bezugspersonen ein entsprechendes Verhalten aus. Das angemessene Verhalten der Bezugsperson beim Weinen des Kindes ist die Co-Regulation: „Ich (als erwachsene Person mit einem reichen Erfahrungswissen) helfe dir, mit deinem Empfinden zurechtzukommen. Ich biete dir Schutz und Hilfsstrategien, um mit deinen Gefühlen umzugehen. Ich weiß, dass kindliches Weinen aus einer Not heraus erfolgt und nicht, um mich zu ärgern.“ Allerdings haben viele Erwachsene die Erfahrung gemacht, selbst als Kind nicht ausreichend getröstet worden zu sein und der eigentlich in uns angelegte Impuls, das Kind zu trösten und zu begleiten, kann durch eine Abwehrhaltung überdeckt werden.

Ist das jetzt nicht etwas viel Geweine?

Haben wir selbst negative Erfahrungen gemacht mit dem Getröstetwerden, kann es uns schwerfallen, den Bedarf des Kindes nachzuempfinden. Zudem haben wir Menschen auch in Bezug auf Schmerzwahrnehmung, Reizschwellen und Tröstbarkeit unterschiedliche Ausprägungen: Was mir weh tut, muss einer anderen Person keinen Schmerz bereiten, der die Tränen in die Augen treibt. Und nur weil eine Person sich leicht mit einer Berührung beruhigen lässt, gilt das nicht für alle Menschen gleichermaßen: einige Kinder brauchen wesentlich länger Zuwendung und Trost als andere.

Wenn wir das kindliche Weinen abwerten und erklären, das Kind würde nun aber (wieder einmal) übertreiben, wird das Kind zunächst sein Signal verstärken, damit wir vielleicht doch erkennen, dass es wirklich Hilfe braucht. Wird weiterhin darauf nicht reagiert mit der eigentlich im Kleinkindalter noch benötigten Co-Regulation, hat das Kind auch keine Chance, geeignete Beruhigungsstrategien zu erlernen, die es später ggf. selber anwenden kann. Es ist in einem Zustand der Angst/Sorge/Schmerz und hat keine Unterstützung. Langfristig kann sich das negativ auf die Eltern-Kind-Beziehung auswirken und auch auf das kindliche Selbstbild, da es beständig eine Zurückweisung erfährt in Situationen, in denen es eigentlich Schutz und Nähe sucht.

Wichtig ist daher, dass die Bezugspersonen das Weinen des Kindes nicht bewerten und nicht von ihren eigenen Empfindungen ausgehen, sondern sich wirklich fragen, wie es dem Kind jetzt gerade geht, welche Signale es sendet und diese dann bedarfsgerecht beantworten.

Co-Regulation stärkt die Beziehung

Wenn die Bezugspersonen hingegen auf das Weinen des Kindes reagieren, wird damit signalisiert: „Ich nehme deine Signale wahr, ich reagiere darauf. Als Bezugsperson schütze ich dich und stehe mit meinem Wissen zur Verfügung, um dir zu helfen. Du kannst auf mich vertrauen.“ Durch diese Signale an das Kind wird der Aufbau einer guten Beziehung gestärkt.

Auch wenn es manchmal anstrengend ist, ist es also durchaus sinnvoll, auf das Weinen des Kindes nicht abwehrend zu reagieren. Durch die aktive Zuwendung vermindern wir das Leid des Kindes. Manchmal braucht das Trösten Zeit – weil die Tröstbarkeit unterschiedlich ist zwischen den Menschen, aber auch, weil durch das Weinen Spannung abgebaut wird.

Und manchmal brauchen auch die Eltern später Trost, weil das Trösten ihnen viel Kraft abverlangt und sie mit alten Wunden konfrontiert, denen sie sich nicht gewahr waren. Emotionsarbeit kann Eltern viel Kraft abverlangen.

Eure

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Susanne Mierau ist Diplom-Pädagogin (Schwerpunkt Kleinkindpädagogik) und Familienbegleiterin. Sie arbeitete an der FU Berlin in Forschung und Lehre, bevor sie sich 2011 im Bereich bedürfnisorientierte Elternberatung selbständig machte. Ihr 2012 gegründetes Blog geborgen-wachsen.de und ihre Social Media Kanäle sind wichtige und viel genutzte freie Informationsportale für bedürfnisorientierte Elternschaft und kindliche Entwicklung. Susanne Mierau gibt Workshops für Eltern und Fachpersonal und spricht auf Konferenzen und Tagungen über kindliche Entwicklung, Elternschaft und Familienrollen.

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