“NEIN!” – Was das Nein uns sagt und warum es wichtig ist

“Nein!”, “Nein!”, “Nein!” – Nein ist dein liebstes Wort gerade jetzt. Es ist kein einfaches Wort für dich und mich und uns: Es sagt etwas über mein Kind, sein empfinden und seine Beziehung zu mir. Es macht etwas mit mir, wenn das Nein meines Gegenüber auf mein persönliches Ja stößt. Es ist nicht immer gut zu händeln, das Nein eines Kindes gegenüber den eigenen Wünschen, weil das kindliche Nein oft so viel intensiver ist – und manchmal auch sein muss, um nicht übergangen zu werden.

Das Nein als Zeichen der Eigenständigkeit

Nein! Du grenzt dich ab, denn du hast gelernt, dass du ein eigener Mensch bist mit eigenen Gefühlen, Bedürfnissen und Wünschen. Ein wenig probierst du manchmal dieses Gefühl auch aus, experimentierst damit, wie es sich anfühlt, so selbständig zu sein. Über sich zu bestimmen. Manchmal merkst du: “Ach, das passt jetzt doch nicht so richtig” und änderst deine Meinung. Oder weißt nicht so recht, wie und was genau du gerade fühlst. Denn das Überlegen, das Reflektieren fällt dir gerade noch schwer. Manchmal weißt du nach dem “Nein” nicht so richtig weiter, wohin der Weg gehen soll. Erst einmal das “Nein” – und dann mal sehen.

Ohne Nein kein Ja

Sich abgrenzen zu können und eine Position gegen etwas einzunehmen macht den Weg auch frei für ein Ja. Dafür, bestimmte Dinge aus vollem Herzen annehmen zu können und ganz darin aufzugehen. Sich aus ganzem Herzen über etwas freuen, Glück zu erleben. Sich einer Sache anschließen, weil man dies genau jetzt genau richtig findet. Das Nein beinhaltet auch das Spiel mit dem Gegensatz und ist wichtig dafür. Es ist gut, das Nein aussprechen zu können, fühlen zu können.

Das Nein als wichtige Erfahrung des Sozialen

Ein Nein ist nicht schlimm. Es sagt nichts über elterliches Versagen. Es sagt nicht, dass wir Eltern unsere Sache falsch machen würden. Im Gegenteil: Unser Kind hat die Möglichkeit, sich ganz klar zu positionieren. Es darf sagen, was es fühlt und was es will. Es darf sich auflehnen und spürt vielleicht eine Grenze im Gegenüber. Genau dafür ist das Nein ganz wunderbar: Kinder spüren aus sich heraus die Grenzen des sozialen Miteinander und lernen, damit umzugehen.

Das Nein in der Beziehung zwischen Eltern und Kind

Das Nein sagt auch etwas über uns: dich und mich. Nein, ich sehe die Welt anders als du. Ich habe andere Bedürfnisse und ich bin auch hier und will damit gesehen werden. Manchmal ist unser Alltag so sehr auf uns erwachsene Menschen ausgerichtet, dass wir zu wenig Rücksicht nehmen auf die kindlichen Bedürfnisse und das, was das Kind gerade jetzt leisten kann. Das Nein des Kindes kann auch sagen: “Meine Kraft ist nun zu Ende.” oder “Ich habe schon so viel gegeben und bin Dir so weit entgegen gekommen, dass ich nun nicht mehr kann.”

Ein Nein ist oft nicht nur die Ablehnung einer Sache, sondern bezieht sich auch auf die Beziehung: “Nein, diesen Vorschlag von dir mag ich nicht.” Nein, dein Zeitplan passt mir nicht.” Das Nein eines Kindes bezieht sich oft auf das, was zwischen uns passiert und das Aufeinandertreffen von unterschiedlichen Gedanken und Erwartungen. Es spiegelt uns zurück: Hier bist du als Elternteil zu weit abgekommen vom Weg: Du verlangst zu viel, zu wenig, gerade jetzt das Falsche.

Der Umgang mit dem Nein

Trotz allem Verständnis ist der Umgang mit dem Nein nicht immer einfach. Denn nicht immer können wir dem Wunsch entgegen kommen. Und nicht immer lässt es sich verhandeln oder ein anderer Weg finden. Manchmal können wir nur annehmen, dass vor uns eben ein eigenständiger Mensch steht, der die eigenen Bedürfnisse entdeckt und ausdrücken will. Wir können sagen: “Ich verstehe, dass Du das nicht willst.” oder “Ich verstehe, dass du etwas anderes möchtest.” oder “Ich verstehe, dass Du zu erschöpft bist dafür.” Manchmal tut dieses Verständnis der Situation gut und es können zusammen Alternativen gefunden werden: “Du kannst nicht mehr laufen, komm ich trage dich.” oder “Du möchtest dein Lieblingsbuch heute nicht vorgelesen bekommen, komm such dir ein anderes aus.”

Manchmal aber gibt es auch Situationen, in denen keine Lösung gefunden werden kann und wir als Eltern nicht Rücksicht nehmen können, weil die Zeit zu knapp ist, weil es keine Alternative gibt. Unsere Bemühungen um Erklärungen laufen ins Leere, denn das Kind kann nicht vom eigenen Plan abweichen. Dann können wir nur erklären: “Ich verstehe, aber heute können wir das nicht tun.” Wir können Alternativen anbieten mit “Jetzt können wir nicht am Spielplatz halten, aber auf dem Rückweg.” Vielleicht kann das Kind dieses Angebot in der Situation nicht annehmen, weil es zu sehr im Gefühl der Wut gefangen ist. Aber wir können diesen Vorschlag beherzigen und dann wieder anbringen, wenn wir in der Situation sind, in der wir das Versprechen einlösen können: “Vorhin mussten wir weiter gehen, aber jetzt können wir noch zum Spielplatz gehen. Magst du?”

Aus diesem Umgang mit dem Nein lernt das Kind Alternativen. Es erfährt, dass Dinge manchmal aufgeschoben werden müssen und auch aufgeschoben werden können. Es lernt, dass es eine eigene Stimme hat, die gehört wird und die wichtig ist – auch wenn ihr nicht immer nachgegeben werden kann, wird sie immer gehört. Es lernt, dass es sich mit einem Nein vertrauensvoll an die Bezugspersonen richten kann und nicht alleine damit umgehen muss. Das Nein ist ein ganz wichtiger Teil der Entwicklung unseres Kindes. Kein bequemer, das stimmt. Aber manche Dinge sind gerade wegen ihrer Unbequemlichkeit wichtig.

Susanne Mierau ist u.a. Diplom-Pädagogin (Schwerpunkt Kleinkindpädagogik)Familienbegleiterin und Mutter von 3 Kindern. 2012 hat sie “Geborgen Wachsen” ins Leben gerufen, das seither zu einem der größten deutschsprachigen Magazine über bindungsorientierte Elternschaft gewachsen ist. Sie ist Autorin diverser Elternratgeber, spricht auf Konferenzen und Tagungen, arbeitet in der Elternberatung und bildet Fachpersonal in Hinblick auf bindungsorientierte Elternberatung mit verschiedenen Schwerpunkten weiter.  

1 Kommentare

  1. Michaela Knabl

    Ich lese den Beitrag im positiven Zurückdenken an meine ? ?

    Mein Motto war immer: „Kinder müssen zuhause „nein“-sagen lernen“.
    Das war anstrengend, denn sowohl ich als auch meine Kinder mussten ein „nein“ argumentieren (lernen)
    Das war spanned, anstrengend aber bereichernd. Durch nachvollziehbare Argumente konnte manchmal ein „Ja“ erreicht werden.

    Klar, wenn Gefahr in Verzug war, war „Nein“ ein klares Wort, das auch Sicherheit gab.

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