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Ein Dankeschön an das Kind

Vielleicht sind auch bei euch gerade die Zeiten nicht so einfach: Vielleicht habt ihr viele Aufgaben und wenig Zeit, sie zu erledigen. Vielleicht ist der Tag gerade vollgestopft mit „Muss ich noch…“ und „Gleich, aber vorher noch schnell…“ – eine aufreibende Situation nicht nur für uns Erwachsene, sondern auch für die Kinder. Denn ja: Manchmal werden Bedürfnisse gerade jetzt übersehen. Aufgeschoben und dann vergessen, statt sich daran zu erinnern. Oder es wird ein „Oh ja, stimmt, aber jetzt schaffen wir das nicht mehr, vielleicht morgen…“ hinterher geschoben. Es ist viel gerade. Zu viel. Und es ist menschlich, dass wir all den Trubel nicht immer und jeder Zeit überblicken können.

Nicht das Kind ist das Problem!

Wichtig ist in dieser Zeit, dass wir unseren Kindern dennoch vermitteln, dass sie keine zusätzliche Last sind. Die Situation ist belastend, die Vereinbarkeit von Homeoffice und Kinderbetreuung zu Hause ist belastend. Finanzielle Nöte sind belastend. Die Balance von Bedürfnissen ist belastend und auch der Umstand, dass wir unter Stress weniger feinfühlig sind und weniger gut die Bedürfnisse und Signale unserer Kinder wahrnehmen können. Unter Stress fallen viele Dinge, gerade zwischenmenschliche, schwerer. Unter Stress wird der Rahmen enger, in dem sich unsere Kinder frei bewegen können, weil wir weniger Toleranz haben für die ganz natürlichen, kindgerechten Dinge, die eben im Leben mit Kindern so schief laufen: Dass hier mal das Waschbecken überläuft oder die Tasse umkippt oder das neue Shirt nun Tomatenflecken hat. Was wir in entspannten Zeiten mit einem Lachen hinnehmen können, ist in schwierigen Zeiten manchmal ein Problem. Aber nicht das Kind ist das Problem. Das Kind ist ein Kind. So, wie es immer ein Kind ist.

Ein kleines Ritual in einer stressigen Zeit

Es ist wichtig, dass sich unsere Kinder auch jetzt – gerade jetzt – geliebt und wertvoll fühlen. Dass sie sich als geliebter, wertvoller Bestandteil empfinden der Familie. Und gerade dann, wenn es vielleicht tagsüber zu wenig solcher Anerkennung und Zuwendung gab, tut es gut, ein Ritual zu haben, um dem Kind jeden Tag noch einmal eine positive Bestärkung mit auf den Weg zu geben. Ihm jeden Tag zu sagen, dass es wichtig ist, dass es geleibt ist. Nicht nur mit den Worten „Ich hab dich doch lieb!“, sondern mit echten und persönlichen Worten. Mit Worten wie „Heute habe ich gemerkt, dass du dich lange beschäftigt hast mit…“, „Du hast heute ein besonders buntes Bild gemalt!“ – Und wir können darüber nachdenken, welche besonders schönen Momente wir mit dem Kind hatten und vielleicht auch, was wir heute durch die Augen unserer Kinder anders gesehen haben, was uns selbst – jetzt, mit etwas Abstand betrachtet – bereichert hat. Wir können uns jeden Tag eine kleine Notiz darüber aufschreiben, was wir am Zusammensein mit unserem Kind wertschätzen, lieben, genießen. Gerade jetzt. Und für später. Für uns selbst und für unser Kind.

Eure

Zur Autorin:
Susanne Mierau ist Diplom-Pädagogin (Schwerpunkt Kleinkindpädagogik) und Familienbegleiterin. Sie arbeitete an der FU Berlin in Forschung und Lehre, bevor sie sich 2011 im Bereich bedürfnisorientierte Elternberatung selbständig machte. Ihr 2012 gegründetes Blog geborgen-wachsen.de und ihre Social Media Kanäle sind wichtige und viel genutzte freie Informationsportale für bedürfnisorientierte Elternschaft und kindliche Entwicklung. Susanne Mierau gibt Workshops für Eltern und Fachpersonal und spricht auf Konferenzen und Tagungen über kindliche Entwicklung, Elternschaft und Familienrollen.

Foto: Ronja Jung für geborgen-wachsen.de

Sollen wir Konflikte mit Kindern vermeiden?

Gerade in Zeiten, die für uns anstrengend und schwierig sind, versuchen wir, unnötige Steine aus dem Weg zu nehmen. Das ist ein sehr sinnvolles Vorgehen. Es entlastet uns und gibt und Kraft für die anderen Aufgaben. Manchmal sind wir versucht, so auch bei den Kindern zu handeln: Bevor es wieder Streit gibt, mache ich es lieber anders. Das kann eine gute Idee sein, muss es aber nicht:

Meine Überzeugungen leiten mich

Manchmal machen es uns bestimmte Annahmen schwer, die wir im Laufe unseres Lebens erworben haben. Überzeugungen, die vielleicht aus der eigenen Kindheit stammen und von denen wir, wenn wir ehrlich darüber nachdenken, nicht wissen, warum sie falsch sein sollten. Solche Überzeugungen können uns den Alltag wirklich manchmal schwerer machen, als er sein müsste und wir können sie entspannt einmal zur Seite legen. Beispiele dafür können sein: „Kuchen darf nicht zum Frühstück gegessen werden!“, „Eine warme Mahlzeit am Tag muss sein!“, „Wer sich nicht bewegt, darf heute nicht fernsehen!“, „Wenn wir den Ablauf einmal anders machen, dann klappt das nie wieder mit…“ … Natürlich hat jede Familie eigene Werte und Leitsterne. Aber an manchen Stellen ist es auch völlig in Ordnung, sie zu hinterfragen und von ihnen abzuweichen, wenn wir feststellen, dass sie uns mehr einengen, als dass sie uns helfen. Und gerade in schwierigen Zeiten wie jetzt gerade, ist es gut, einfache Lösungen zur Entspannung zu finden.

Meine erwachsene Grundannahme ist falsch

Manchmal geraten wir mit unseren Kindern in einen Konflikt, weil wir eine falsche Grundannahme haben: Wir denken beispielsweise, das Kind könne etwas noch nicht. Das Kind aber fordert dieses Handeln ein, denn es verfolgt den eigenen Entwicklungsfortschritt und möchte lernen. Als Eltern könnten wir nun diesem scheinbaren Problem aus dem Weg gehen, indem wir die Situation vermeiden, damit der Konflikt nicht auftritt. Wir wären den Konflikt los, gleichzeitig würde das Kind aber nicht seiner Entwicklungsaufgabe nachkommen und das Problem würde sich eventuell nur verschieben.

In diesem Fall würde es nicht hilfreich sein, dem Konflikt aus dem Weg zu gehen, sondern wir müssten verstehen, warum das Kind beispielsweise darauf beharrt, sich allein anzuziehen, den Teller abzuräumen etc. – weil es dadurch die eigenen Kompetenzen ausbaut.

Die Situation ist nur ein Auslöser

Ähnlich verhält es sich auch in einer anderen Situation: Das Kind zeigt beispielsweise immer wieder abends ein bestimmtes Verhalten und ist wütend oder schimpft oder schreit. Die Eltern versuchen mit immer anderen Tricks diesem Verhalten zuvor zu kommen, ändern hier und da etwas am Ablauf, versuchen es dem Kind auf jede Art recht zu machen, aber es klappt einfach nicht. Das Verhalten des Kindes liegt nämlich nicht an einer bestimmten Situation, sondern das Kind sucht einen Kanal, um noch einmal Gefühle loszuwerden. Hier ist es hilfreicher, als dem Konflikt aus dem Weg zu gehen, andere Strategien auszuprobieren oder zu suchen, wie das Kind noch Ärger, Frustration oder Energie loswerden kann.

Wir wünschen uns, dass unsere Kinder fröhlich sind und lachen. Wir kommen schnell in Versuchung, unser Kind abzulenken oder den Grund für seine Traurigkeit zu mildern: „Ach, sei nicht traurig, ich kauf dir ein neues Kuscheltier.“ Manchmal ist dies eine gute Lösung. doch oft brauchen Kinder einen Menschen an ihrer Seite, der die Situation begleitet und ihnen ihre Gefühle spiegelt, damit sie damit umgehen lernen.

S. Mierau (2017): Ich! Will! Aber! Nicht!

Dem Konflikt nicht aus dem Weg gehen

Manchen Konflikten können wir tatsächlich nicht aus dem Weg gehen. An vielen Stellen können wir – wie oben gesehen – unsere Annahmen hinterfragen über unsere Werte oder Annahmen über das Kind, wir können die Ursache hinterfragen, aber manchmal gibt es eben doch nur den Konflikt zwischen Eltern und Kindern. Und auch das ist nicht schlimm. Auch Konflikte gehören zum Alltag dazu und über sie lernt das Kind viel über zwischenmenschliche Beziehungen, Diskursfähigkeit und andere Bedürfnisse. Wir müssen auch als liebevolle, bedürfnisorientierte Eltern nicht allen Konflikten aus dem Weg gehen – gerade weil wir die Bedürfnisse des Kindes im Blick haben und diese Auseinandersetzungen zur Entwicklung dazu gehören. Im Konflikt lernen Kinder etwas über sich, andere, den Umgang mit Gefühlen. Sie lernen, Wut und Enttäuschung auszudrücken und wie diese beruhigt werden können.

Wichtig ist also, sich die Ursache und die eigenen Gedanken erst einmal in Ruhe anzusehen und dann zu entscheiden, in welche Richtung wir gehen.

Eure

Zur Autorin:
Susanne Mierau ist Diplom-Pädagogin (Schwerpunkt Kleinkindpädagogik) und Familienbegleiterin. Sie arbeitete an der FU Berlin in Forschung und Lehre, bevor sie sich 2011 im Bereich bedürfnisorientierte Elternberatung selbständig machte. Ihr 2012 gegründetes Blog geborgen-wachsen.de und ihre Social Media Kanäle sind wichtige und viel genutzte freie Informationsportale für bedürfnisorientierte Elternschaft und kindliche Entwicklung. Susanne Mierau gibt Workshops für Eltern und Fachpersonal und spricht auf Konferenzen und Tagungen über kindliche Entwicklung, Elternschaft und Familienrollen.

Foto: Ronja Jung für geborgen-wachsen.de

Toben und wild sein

Kinder sind Kinder. Sie hüpfen, rennen, balancieren und kugeln sich auf dem Boden. Je nach Temperament setzen sie das stärker oder schwächer um, sind dabei forscher oder schüchterner. Dass sie all das tun, ist aber Teil ihrer Entwicklung: Nachdem sie das Laufen erlernt haben, lernen sie auch die Feinheiten der Fortbewegung, die schnellen und ruhigen Arten und lernen, mit ihrem Körper auf ganz unterschiedliche Art umzugehen. Im Alltag suchen sie sich dafür ihre Räume und Möglichkeiten: Klettern auf kleine Mauern, um darauf zu balancieren, rollen sich einen Hügel seitwärts hinab im weichen Gras. Was aber, wenn diese Möglichkeiten wegfallen, weil die Kinder mehr zu Hause sind?

Das Bedürfnis nach Bewegung

Dass Kinder ein Bedürfnis nach Bewegung haben, ist normal. Auch wir Erwachsene haben es, auch wenn sich unser Bedürfnis nach Bewegung über die Jahrzehnte verändert hat, wie vielleicht durch die Erfahrungen des Stillsitzens und der langen Schreibtischarbeit, durch die wir diesem Bedürfnis weniger nachkommen (zum Teil mit gesundheitlichen Folgen). Wir können durch Bewegung Stress abbauen, die motorische Entwicklung unterstützen, ebenso wie die Gesundheit. Unsere Kinder kommen diesem Bedürfnis in ihrem Alltag nach, im Spiel, während wir Erwachsene dafür eigene Räume und Anlässe haben wie gezielte Sportangebote. Der Sport- und Bewegungswissenschaftler Dr. Dieter Breithecker erklärt, dass Kinder „zum Aufbau ihrer organischen Funktionen eine tägliche Belastungseinheit von mindestens (!) zwei Stunden“ benötigen.

Raum für Bewegung

Im Alltag haben die Kinder normalerweise eine Vielfalt an Möglichkeiten, um dieser körperlichen Belastung nachzugehen: Sie rennen mit Freund*innen, sie balancieren und klettern auf dem Weg zur Kita/Schule oder auf dem Spielplatz, sie hüpfen vor Freude oder rutschen ein Treppengeländer hinunter. Sie raufen und balgen mit Geschwistern und Freund*innen – nicht eines kriegerischen Kampfes wegen, sondern weil sie durch das Toben ihre Fertigkeiten ausbauen und wichtige Erfahrungen machen. Gerade das Toben unter Kindern ist für sie auch von besonderer Bedeutung: Hier erfahren sie, mal stark oder schwächer zu sein in Auseinandersetzung mit anderen Kindern, spüren Kraft und Ausdauer, Fairness, Regeln, Grenzen zu benennen und bei anderen zu bewahren, sich bei Grenzverletzungen zu streiten und wieder zu vertragen. Sie lernen, mit Impulsen umzugehen und Kanäle für Aggressivität zu finden. Es ist normal, dass Kinder miteinander toben und kämpfen und das auch einen Raum in ihrer Kindheit hat. Diese normalen Impulse der Kinder zu unterdrücken mit einem „Kämpfen/Toben ist doof!“, „Wir kämpfen/toben nicht.“ oder gar einer geschlechtsstereotypen Zuordnung wie „Mädchen kämpfen/toben nicht!“ kann Kinder in ihrer Entwicklung beeinträchtigen. Auch das Toben mit Erwachsenen kann für Kinder manchmal eine Bereicherung sein, wenn sie sich daran erproben und gelegentlich auch Oberhand gewinnen, die sonst vorherrschende Machtverteilung umkehren können.

Kinder brauchen diesen Raum für das wilde Spielen. In unserem Alltag geben wir dem manchmal wenig Raum – im wahrsten Sinne des Wortes, wenn Kinder sich in den Wohnungen nicht kindgerecht bewegen dürfen, wenn das Trampeln und Hüpfen verboten ist oder es keine Orte gibt, an denen balanciert und gesprungen werden darf. Gerade jetzt, wo die Bewegungsfreiheit und die Bewegungsmöglichkeiten eingeschränkt sind und auch das Toben mit anderen Kindern nur bedingt möglich ist, können Kinder darunter leiden, in ihrem Bewegungsbedürfnis eingeschränkt zu sein. Angeleitete Sportangebote unter elterlicher Aufsicht können nur bedingt das freie Bewegen und Ausprobieren ersetzen. Deswegen ist es wichtig, auch dafür Räume zu schaffen, beispielsweise durch:

  • die Möglichkeiten, sich zu Hause nach Bedarf bewegen zu können, beispielsweise auf dem Bett zu hüpfen oder einen Kletterparcours aufbauen zu können mit Stühlen
  • keine oder nur geringe Einschränkungen in Bezug auf die normalen Bewegungsbedürfnisse wie das Hüpfen und Rennen (ggf. mit den Nachbarn klären, Aushang im Haus und Ruhezeiten)
  • das Angebot des wilden Tobens mit Eltern, wenn andere Kinder hierfür nicht verfügbar sind,
  • Besuche im Wald oder der Natur, wenn Spielplätze geschlossen sind, damit Kinder sich ungezwungen bewegen können,
  • gemeinsame Bewegungsspiele, spontaner Tanz

Auch wenn es unserer erwachsenen Erwartungen und Vorstellungen manchmal nicht entspricht und ein wild tobendes Kind auch eine akustische Herausforderung ist, sind Toben und Bewegung für Kinder von besonderer Bedeutung und wir müssen dieses Bedürfnis in unserem Alltag berücksichtigen.

Eure

Zur Autorin:
Susanne Mierau ist Diplom-Pädagogin (Schwerpunkt Kleinkindpädagogik) und Familienbegleiterin. Sie arbeitete an der FU Berlin in Forschung und Lehre, bevor sie sich 2011 im Bereich bedürfnisorientierte Elternberatung selbständig machte. Ihr 2012 gegründetes Blog geborgen-wachsen.de und ihre Social Media Kanäle sind wichtige und viel genutzte freie Informationsportale für bedürfnisorientierte Elternschaft und kindliche Entwicklung. Susanne Mierau gibt Workshops für Eltern und Fachpersonal und spricht auf Konferenzen und Tagungen über kindliche Entwicklung, Elternschaft und Familienrollen.

Foto: Ronja Jung für geborgen-wachsen.de

Mit den starken Gefühlen meines Kindes umgehen

Die Gefühlswelt von Kindern ist groß und schillert in vielen Facetten. Anders als bei uns Erwachsenen, können sie die vielen unterschiedlichen und starken Gefühle aber noch nicht gut regulieren und sind auf uns und unsere Co-Regulation angewiesen: Anders als Säuglinge schaffen es Kleinkinder schon mehr, ihre Bedürfnisse etwas aufzuschieben, mehr zu kooperieren und fangen an, auch die Perspektive der Eltern einzunehmen, aber viele Gefühle werden noch sehr intensiv ausgelebt und können nicht gut eingeordnet und verarbeitet werden. Das liegt vor allem an der Gehirnentwicklung: Das Fühlen und überlegte Denken des Kindes ist noch nicht wie bei erwachsenen Menschen miteinander verbunden, weshalb sie noch impulsiv reagieren. Erst durch die Einordnung und Begleitung durch Erwachsene lernen Kinder nach und nach mit Gefühlen umzugehen und bilden ein Muster für den Umgang mit den einzelnen Gefühlen aus.

Gefühle wollen begleitet werden

Allein ist es dem Kind noch nicht möglich, die starken Gefühle, die es wahrnimmt, einzuordnen. Es braucht dafür andere erwachsene Bezugspersonen, die

So lernt es zunehmen, mit den Gefühlen umzugehen, sie wahrzunehmen, einzuordnen und einen passenden Ausdruck dafür zu finden. Hilfreich kann es auch sein, abseits von aktuellen Gefühlssituationen, passende Bücher über die Bandbreite von Gefühlen gemeinsam anzusehen. Lehnen wir hingegen bestimmte Gefühle bei dem Kind ab, unterdrückt es diese zunehmend und bildet keinen guten Zugang zu ihnen aus, lehnt sie bei sich selbst und anderen ab, was sich auf die Selbstwahrnehmung und Interaktion mit anderen auswirkt. Zeigen wir keine Umgangsmöglichkeiten mit Gefühlen auf und helfen dem Kind nicht, einen guten Umgang mit starken Gefühlen zu finden, hat das Kind Schwierigkeiten, selber gute Strategien auszubilden und kann somit schuldlos immer wieder an gesellschaftliche Konventionen anstoßen.

Gefühle übersetzen

Während es auf der Seite des Kindes wichtig ist, dass wir Eltern dem Kind die Gefühle erklären, sie begleiten und benennen, ist es auf der anderen Seite auch für uns Eltern wichtig, uns selbst das Verhalten des Kindes zu erklären und den Ausdruck der Gefühle zu übersetzen: Was zeigt mein Kind mit seinem Verhalten? Was braucht es gerade, wenn es wütend, traurig oder freudig ist?

Es ist ebenso wichtig, die Freude eines Kindes zu begleiten und sich mitzufreuen, wie Wut oder Angst zu begleiten. Allerdings erscheint es uns manchmal einfacher, die Freude zu teilen, als die Angst eines Kindes anzunehmen, zu verstehen, dass es jetzt ein Gefühl von Sicherheit braucht, auch wenn wir als Erwachsene die Situation nicht als ängstigend einschätzen. Auch hier gilt: Zunächst nehmen wir das Gefühl des Kindes respektvoll an, zeigen mit unserem Verhalten Beruhigungsstrategien auf und zeigen dadurch gleichzeitig, dass dies keine Situation ist, in der das Kind sich ängstigen muss. So erlernt es nach und nach Kompetenz im Umgang. Ist es doch eine Situation, in der Angst angebracht ist, lernt das Kind durch unser Vorbild einen respektvollen Umgang mit der Situation.

Gerade in Situationen, die Kinder noch nicht gut überblicken können, die neu sind, in denen Veränderungen eingetreten sind (vielleicht sogar plötzlich), können Kinder starke Gefühle zeigen. Das ist in einer solchen Situation, die vielleicht auch für die Eltern noch neu und übersichtlich ist, besonders anstrengend. Dennoch ist es aber wichtig, diese starken Gefühle des Kindes als Ausdruck dieser Verunsicherung oder Umgewöhnung zu sehen und sie weder abzulehnen/zu unterdrücken, noch ins Leere laufen zu lassen. Gefühle wollen begleitet werden, damit Kinder zunehmend gut selbständig damit umgehen können.

Eure

Zur Autorin:
Susanne Mierau ist Diplom-Pädagogin (Schwerpunkt Kleinkindpädagogik) und Familienbegleiterin. Sie arbeitete an der FU Berlin in Forschung und Lehre, bevor sie sich 2011 im Bereich bedürfnisorientierte Elternberatung selbständig machte. Ihr 2012 gegründetes Blog geborgen-wachsen.de und ihre Social Media Kanäle sind wichtige und viel genutzte freie Informationsportale für bedürfnisorientierte Elternschaft und kindliche Entwicklung. Susanne Mierau gibt Workshops für Eltern und Fachpersonal und spricht auf Konferenzen und Tagungen über kindliche Entwicklung, Elternschaft und Familienrollen.

Foto: Ronja Jung für geborgen-wachsen.de

Rückzug und Selbständigkeit im Nahbereich der Eltern

Wenn wir an Rückzug und Ruhe denken, denken wir oft an die Bedürfnisse von Eltern und weniger daran, dass das natürlich auch Bedürfnisse von Kindern sind. Auch Kinder brauchen Rückzugsräume und dann Ruhe, wenn sie es brauchen – was nicht immer mit unserem Urteil übereinstimmt. Und gerade dann, wenn Kinder sehr viel Zeit im Nahbereich der Eltern verbringen und sich „unter ihren Augen“ entwickeln, sind Räume für den Rückzug, für Heimlichkeit und Selbständigkeit besonders wichtig.

Im elterlichen Nahbereich

Kindheit findet heute ohnehin viel mehr im Nahbereich der Eltern statt: Kinder entfernen sich weniger weit von ihrem Zuhause ohne Eltern, es gibt mehr „Spielinseln“, zu denen Eltern ihre Kinder bewegen (Kindergarten, Sportvereine, Musikschule,…), als dass Kinder sich alleine und selbständig bewegen und auch zu Hause haben Kinder weniger Freiraum für ihr Tun. Dabei ist dieser Freiraum natürlich eigentlich ein wichtiger Bereich der kindlichen Entwicklung, denn hier findet ungehinderte Entwicklung und freies Lernen statt: Das Kind probiert sich aus, kann mit Ursache-Wirkung und Versuch-Irrtum lernen – Lernmöglichkeiten, die unter den Augen der Eltern nicht immer gegeben sind.

Als Eltern greifen wir aufgrund unseres persönlichen Wissens schnell ein: „Das passt nicht ineinander!“ oder aufgrund unserer Ängste: „Lass das lieber, sonst tust du dir noch weh!“ oder weil wir keine Zeit und/oder Ressourcen haben, um die Konsequenzen des kindlichen Handelns zu bewerkstelligen „Nein, sonst muss ich das nachher wieder aufräumen!“ – So verständlich dies aus der Erwachsenenperspektive ist, schränkt es kindliches Handeln und Erfahren ein.

Lernen und Entwicklung aber finden im Raum des Auseinandersetzens statt. Kinder lernen durch Erfahrungen und dem Be-Greifen der Welt. Es ist verständlich, dass wir unsere Kinder schützen wollen vor Gefahren, aber gleichzeitig müssen wir die vor der Gefahr schützen, dass wir ihnen den Zugang zur Welt nicht ermöglichen, indem wir sie einschränken und klein halten.

Kinder machen lassen

Gerade jetzt, wo der kindliche Aktionsradius noch mehr als ohnehin schon eingeschränkt ist und die meiste Zeit des Tages unter den Augen der Eltern agiert wird, sind Freiräume wichtig. Als Eltern können wir unseren Kindern zu Hause versuchen, diese Freiräume je nach Alter anzubieten: Indem wir sie in den Haushalt einbinden und sie beispielsweise bei der Essenszubereitung beteiligen und sie selber Entscheidungen treffen können oder das Essen verrühren. Im Alltag können wir uns bewusst zurücknehmen mit unserem Urteil und unseren Vorgaben und die Kinder dazu ermuntern, Dinge selber auszuprobieren und zu machen. Wir können Präsenz zeigen, anwesend sein und ansprechbar, aber den Kindern die Chance geben, selbst wirksam zu sein. Manchmal bedeutet das wirklich, dass dann gemeinsam am Abend mehr aufgeräumt werden muss, aber es gibt auf der anderen Seite mehr Freiräume und Zufriedenheit.

Rückzug

Und neben dem freien Tun und Entfalten ist es auch wichtig, dass Kinder ab Vorschulter auch Dinge im Verborgenen tun können, sich zurückziehen können. Vielleicht gibt es zu Hause nicht die räumlichen Möglichkeiten, um sich in ein eigenes Zimmer zurück zu ziehen, um den Gedanken nachzuhängen oder in Ruhe etwas zu bauen oder auch etwas zu tun, was in unseren erwachsenen Augen unsinnig ist. Vielleicht aber können wir dem Kind dann eine kleine Höhle tagsüber einrichten unter dem Esstisch, eine Rückzugsecke in einem Teil eines Zimmers hinter einem Vorhang oder einem Raumtrenner oder sogar kreativ einen Schrank mit Kissen und Decken ausstatten, in den sich das Kind mit einem Buch zurückziehen kann, wenn es das mag. Auch Kinder brauchen einen Wechsel von Anspannung und Entspannung und Möglichkeiten, dies selbst zu tun.

Eure

Zur Autorin:
Susanne Mierau ist Diplom-Pädagogin (Schwerpunkt Kleinkindpädagogik) und Familienbegleiterin. Sie arbeitete an der FU Berlin in Forschung und Lehre, bevor sie sich 2011 im Bereich bedürfnisorientierte Elternberatung selbständig machte. Ihr 2012 gegründetes Blog geborgen-wachsen.de und ihre Social Media Kanäle sind wichtige und viel genutzte freie Informationsportale für bedürfnisorientierte Elternschaft und kindliche Entwicklung. Susanne Mierau gibt Workshops für Eltern und Fachpersonal und spricht auf Konferenzen und Tagungen über kindliche Entwicklung, Elternschaft und Familienrollen.

Foto: Ronja Jung für geborgen-wachsen.de

„Aber ich will JETZT mit Dir spielen!“

Da steht das Kind auf einmal neben dem Schreibtisch. „Kommst Du spielen?“ „Nein, ich muss noch eben hier diesen Text zu Ende…“ „Aber ich will JETZT mit Dir spielen!“ Solche und ähnliche Situation finden sich viel – jeden Tag im Alltag von Familien und gerade jetzt in Zeiten des Homeoffice. „Aber ich muss jetzt noch das zu Ende machen. Kannst Du nicht kurz warten?“ – Und während wir noch auf eine Antwort warten, tippt das Kind schon verärgert auf die Tastatur und löscht vielleicht die letzten geschriebenen Worte. – Unser erwachsenes Denken übersieht manchmal die kindlichen Möglichkeiten und ein Streit zwischen Kind und Elternteil beginnt, denn mit dem Aufschieben von Bedürfnissen ist es oft gar nicht so einfach.

Natürlich ist es eine Frage des Alters, wie Kinder mit dieser Situation umgehen – und eine Frage der Entwicklung. Denn was wir eine einfache kleine Aufforderungen des arbeitenden Elternteils aussieht, erfordert vom Kind eine sehr komplexe Auseinandersetzung mit dem Gegenüber und lässt sich mit einem „einfach warten“ nicht abtun. Um „einfach warten“ zu können, muss das Kind folgende Leistungen erbringen: Es muss sich in sein Gegenüber hineinversetzen und verstehen, dass es gerade eine nicht aufschiebbare Arbeit verrichtet. Diese Art des Hineinversetzens findet sich bei Kindern etwa im Alter von 4 Jahren. Dazu braucht es ein Verständnis für die Erwerbsarbeit und das Konzept Erwerbsarbeit (bzw. im Falle einer anderen Tätigkeit im Haushalt oder ähnlichem darin). Es braucht ein Verständnis von Zeit, um den Zeitraum, den das Elternteil für die Erledigung der Arbeit angibt, zu verstehen. Bestenfalls lässt sich das erreichen durch den Einsatz von einem Wecker und einer Eieruhr: „Wenn die Uhr klingelt, bin ich fertig.“ Das Kind muss fähig sein, das Bedürfnis aufzuschieben und die Frustration über das Aufschieben kontrollieren können (Impulskontrolle).

Was für uns Erwachsene also wie eine kleine Bitte aussieht, ist für Kinder eine sehr komplexe Aufgabe mit Entwicklungsschritten, die erst zum Ende der Kleinkindzeit/im Vorschulalter entwickelt werden. Es ist nicht verwunderlich, dass es daher Unstimmigkeiten zwischen Eltern und Kinder gibt, wenn Kleinkinder genau jetzt etwas spielen wollen, aber Eltern jetzt noch etwas zu Ende machen müssen. Was helfen kann: Den Zeitraum des JETZT genau umreißen (siehe oben), das Kind in die Tätigkeit am Schreibtisch einbinden (ihm eine Aufgabe dort geben wie Stifte sortieren, stempeln,…) oder dem Kind für die Zeit der Überbrückung eine andere Aufgabe geben: „Wenn Du gleich mit mir spielen möchtest, hol doch bitte schon eimal die Bausteinkiste herüber.“ Wichtig ist vor allem, sich immer wieder in die noch begrenzten Möglichkeiten der Perspektivübernahme einzufühlen, damit wir das Kind nicht durch Überforderung frustrieren und so die weitere Entwicklung des gegenseitigen Verständnisses negativ beeinflussen.

Eure

Zur Autorin:
Susanne Mierau ist Diplom-Pädagogin (Schwerpunkt Kleinkindpädagogik) und Familienbegleiterin. Sie arbeitete an der FU Berlin in Forschung und Lehre, bevor sie sich 2011 im Bereich bedürfnisorientierte Elternberatung selbständig machte. Ihr 2012 gegründetes Blog geborgen-wachsen.de und ihre Social Media Kanäle sind wichtige und viel genutzte freie Informationsportale für bedürfnisorientierte Elternschaft und kindliche Entwicklung. Susanne Mierau gibt Workshops für Eltern und Fachpersonal und spricht auf Konferenzen und Tagungen über kindliche Entwicklung, Elternschaft und Familienrollen.

Foto: Ronja Jung für geborgen-wachsen.de

Fantasievoll gemeinsam als Team spielen – Andor Junior [Werbung]

Gesellschaftsspiele, in denen gegeneinander gespielt wird, haben lange Zeit den Markt an Brettspielen dominiert. Nun gibt es immer mehr kooperative Gesellschaftsspiele: Darin geht es nicht darum, dass die einzelnen Spieler*innen gegeneinander spielen und nur die schlauste/geschickteste/schnellste Person gewinnt, sondern dass als Team zusammen gespielt wird: Gemeinsam soll ein Ziel erreicht werden, gemeinsam wird gegen einen Gegner gekämpft.

Diese Art des Spiels passt auch wesentlich besser zu neuen Konzepten des Lernens und der Pädagogik, wobei die Kooperationsfähigkeit und Kreativität von Kindern gestärkt wird, anstatt das Gewinnen oder Verlieren einzelner zu befördern. Kinder lernen bei kooperativen Brettspielen, gemeinsam zu planen, sich abzusprechen und zusammen ein Ziel zu verfolgen. – Für Kinder unterschiedlichen Alters gibt es dazu Spiele in unterschiedlichen Schwierigkeitsgraden.

Das kooperative Fantasy-Brettspiel „Die Legenden von Andor“ haben wir bereits seit einiger Zeit in unserer Sammlung an Gesellschaftsspielen. Dieses Spiel, das mittlerweile mit verschiedenen Preisen ausgezeichnet wurde wie „Kennerspiel des Jahres 2013“ ist allerdings aufgrund seiner Komplexität erst ab einem Alter von 10 Jahren empfohlen – u.a. da es auch eine durchaus abendfüllende Beschäftigung ist über mehrere Stunden. Nun hat es endlich ein kleineres Geschwisterkind bekommen, das die Fantasiewelt und das Eintauchen in ein kooperatives Rollenspiel auch für jüngere Kinder ermöglicht: Andor Junior ist bereits für Kinder ab 7 Jahren geeignet mit einer deutlich geringeren Spieldauer und innerhalb eines kleineren Gebietes.

Aufgebauter Spielplan „Andor Junior“

Geschichte

Die Geschichte im Andor Junior ist trotz ihrer möglichen Vielfalt leicht zu umreißen: Alle Spieler*innen suchen sich eine Rolle aus, die sie spielen: Krieger*in, Magier*in, Zwerg*in oder Bogenschütz*in – jeden Charakter gibt es in einer weiblichen und männlichen Option, was dieses Spiel schon einmal besonders macht im Vergleich zu anderen Rollenspielen. Jeder Charakter hat dabei eigene Fertigkeiten, die ihn oder sie von den anderen Charakteren unterscheiden – gebraucht wird im Spiel die Vielfalt. Auch die Gestaltung der Figuren ist an der kindlichen Zielgruppe orientiert: Die Figuren wirken nicht betont kämpferisch, sondern sind optisch eher Kindervariationen der Rollen. Ziel des Spiels ist es, die verschollenen Wolfsjungen zu retten, bevor der Drache die Burg erreicht, wobei in jeder Runde gemeinsam Herausforderungen gemeistert werden müssen.

Spiel

Das Spiel ist angelehnt an die ursprüngliche Geschichte, aber deutlich für jüngere Kinder heruntergebrochen, was sich optisch und auch inhaltlich zeigt und für Grundschulkinder das Spiel wesentlich einfacher, aber dennoch spannend und vielseitig macht. Die Schwierigkeitsstufe kann dabei noch beeinflusst werden je nach Auswahl der Herausforderungen – es gibt also auch innerhalb dieses Spiels die Möglichkeit, es einfacher oder schwieriger zu gestalten. Insgesamt werden fünf Kapitel durchgespielt, wobei zu jedem Kapitel zwei Aufgaben gehören, beispielsweise müssen die Abenteurer*innen bestimmte Kräuter suchen, die sich unter eckigen Spielplättchen auf dem Spielfeld verbergen. Wird unter den Nebelplättchen auf dem Spielfeld ein Spielplättchen mit einem Drachen aufgedeckt, kann sich dieser weiter fortbewegen in Richtung Burg – was die Abenteurer*innen ja eigentlich verhindern wollen. Glücklicherweise kann der Drache aber auch wieder zurückgedrängt werden durch Lagerfeuer, die die Abenteurer*innen entfachen oder indem die anderen Bösewichte vertrieben werden. – Insgesamt also ein durchaus vielfältiges Spiel mit vielen Handlungsmöglichkeiten pro Runde.

Ziel des Spiels: Rettet gemeinsam die Wolfskinder

Gemeinsam spielt die Gruppe von Abenteuer*innen gegen den Drachen: Erreicht dieser das Schloss, ist das Spiel verloren. Während die verschollenen Wolfsjungen gerettet werden sollen, werden gemeinsam Feinde bekämpft (auch diese sind hier im Spiel optisch freundlicher gestaltet als in der Variante für größere Kinder) und die Herausforderungen begangen.

Fazit

Das Spiel dauert ca. 45 Minuten insgesamt und bietet dabei Kindern im Grundschulalter einen guten und leichten Zugang in die Welt der Rollenspiele – was durchaus auch für Eltern mal eine Abwechslung ist im Vergleich zu anderen Gesellschaftsspielen. Als Rollenspiel ist es durchaus aufregend, sich zu verbünden, um die Wolfskinder zu retten und gegen den Drachen ins Rennen zu ziehen, aber dabei auf eine angenehme Weise aufregend, ohne zu überfordern oder zu sehr zu ängstigen. Niemand kann in diesem Spiel sterben, sondern es werden – je nach Ausgang des Spiel – entweder die Spieler*innen oder die Feinde verjagt. Auch die angepassten Illustrationen machen das Spiel kinderfreundlich. Ein reines Kinderspiel ist es dennoch eher nicht, sondern durchaus für eine Spieler*innengruppe aus Kindern und Erwachsenen gedacht, da es einen höheren Komplexitätsgrad hat als andere reine Kinderbrettspiele. Diese Komplexität ist aber – wie schon erwähnt – besonders für Erwachsene sehr angenehm. Im Hause Kosmos füllt „Andor Junior“ damit an kooperativen Spielen die Alterslücke zwischen „Die Schule der magischen Tiere“ (ab 6 Jahren) und „Harry Potter – Kampf um Hogwarts“ (ab 11 Jahren) auf sehr gelungene Weise. Ein absolut empfehlenswertes Familien-Brettspiel, das in eine fantasievolle Welt führt.

Einen Einblick in das Spiel bekommt Ihr auch hier in diesem Video:

Wenn Geschwister streiten – Teil 4: „Meine Mama, mein Papa!“ – mit Rivalität umgehen

Geschwisterbeziehungen sind besonders: Kinder sind sich so nah, verbringen sehr viel Zeit miteinander und oft sind die Beziehungen zwischen Geschwistern die längsten Beziehungen des Lebens. Und dennoch sind sie nicht immer einfach und harmonisch: Geschwister streiten, balgen und nicht selten – gerade bei geringen Altersabständen – kommt es zu einem Streit um Aufmerksamkeit und Zuwendung: „Meine Mama!“, „Mein Papa!“ oder „Das ist nur meine Oma!“ – Denn neben aller Verbundenheit geht es immer auch darum, die eigene Versorgung sicherzustellen. Und „Versorgung“ meint nicht nur die Versorgung mit Nahrungsmitteln, Spielsachen und Kleidung – wobei auch darum gestritten wird, sondern ganz besonders die Versorgung mit Zuwendung.

Rivalität unter Geschwistern – muss das sein?

Eltern denken nicht selten, wenn ihre Kinder sich streiten: „Meine Güte, muss das sein? Die haben doch alles!“ Aber aus der Perspektive von Kindern stimmt das nicht zwangsweise: Es kann durchaus sein, dass wir unterschiedliche Beziehungen zu unseren Kindern eingehen und unterschiedliche Bindungsmuster ausbilden. Der Satz „Ich liebe jedes meiner Kinder gleich“ ist schön, muss aber nicht zutreffen. Daher kann es durchaus sein, dass sich ein Kind tatsächlich benachteiligt fühlt, auch wenn den Eltern nicht bewusst ist, dass sie vielleicht ein anderes bevorzugen.

Auch wenn Eltern immer wieder sagen: „Ich liebe jedes Kind gleich stark“ ist das nicht unbedingt wahr. Auch hier treffen wir auf eine gesellschaftliche Erwartung, dass Eltern alle Kinder gleich lieben sollten, doch gerade zwischen Geschwistern wird verglichen. Wir können uns einem Kind wegen seines Temperaments, Aussehens, Geschlechts, der Geburts- oder Entstehungsgeschichte oder wegen den unseren ähnelnden Interessen näher fühlen als einem anderen Kind. Manchmal besteht eine Bevorzugung nur über einen bestimmten Zeitraum oder in bestimmten Situationen, manchmal tritt sie konstant auf.

aus: Mierau, S. (2019): Mutter.Sein, S. 69

Aber auch außerhalb dieser Möglichkeit kann ein Kind das Gefühl haben, weniger Zuwendung zu bekommen und mit dem anderen Kind in Konkurrenz zu stehen, beispielsweise kurz nach der Geburt eines Geschwisterkindes, wenn das Baby nun besonders viel Zuwendung, Körperkontakt und Aufmerksamkeit bekommt. Oft wird dann von der so genannten „Entthronung“ gesprochen, dabei muss sich das ältere Kind nicht zwangsweise „vom Thron gestoßen“ fühlen und bei einem gut begleiteten Übergang muss diese Art der negativen Umstellung nicht auftreten. Je geringer aber der Altersabstand ist zwischen den Geschwistern, desto höher ist die Wahrscheinlichkeit, da jüngere ältere Geschwister noch sehr viel mehr Zuwendung, Coregulation und Pflege benötigen als ältere Kinder, die Geschwister werden und beispielsweise gut selber essen können, windelfrei sind und ihre Gefühle schon besser regulieren können.

Es geht also – wie so oft – um Bindung, Schutz und Zuwendung. Durch das enge Umsorgen des kleineren Kindes können sich die größeren Kinder ausgeschlossen fühlen aus ihrer sozialen Gruppe – dieses Gefühl ist nicht nur emotional schwierig, sondern kann tatsächlich als Schmerz empfunden werden im Gehirn. Das Kind, das so empfindet, reagiert mit Wut und der Suche nach Aufmerksamkeit. Es möchte Zuwendung einfordern und sicherstellen, dass es weiterhin gut und ausreichend umsorgt wird. Dabei reagiert es aus kindlicher Sicht völlig normal, indem es versucht, das rivalisierende Kind außen vor zu lassen. Auch sonst kann sich das Gefühl dieser Rivalität und Vernachlässigung im Verhalten des Kindes abzeichnen durch stärkere Aggressivität, Ängste oder auch dem Umstand, auf einmal für viele Dinge, die eigentlich schon allein bewerkstelligt werden konnten (anziehen, allein auf Toilette gehen) wieder Hilfe zu brauchen.

Was tun, wenn die Kinder sich um Aufmerksamkeit streiten?

Es ist schwer bei mehreren Kindern, gleichmäßig Aufmerksamkeit zu verteilen. Wir müssen das auch nicht in Zeiteinheiten gleichmäßig machen, aber angepasst an das Alter und den Entwicklungsstand des Kindes. Wie oben schon geschrieben: Je kleiner der Altersabstand, desto mehr direkte Zuwendung ist auch für das „ältere“ Geschwisterkind notwendig.

Wichtig ist generell, die Gefühle des Kindes erst einmal ernst zu nehmen und anzunehmen. Ein „Ich behandle Euch doch gleich!“ hilft dem Kind in seinem Gefühl nicht. Ebensowenig wie die bloße Aufforderung, das Kind solle es anders machen oder gar Beschimpfung. Liebe für das Geschwisterkind kann nicht eingefordert werden, aber kann begleitet und gestützt werden. Vor allem dadurch, dass sich das andere Kind nicht benachteiligt fühlt. Das Kind benötigt nun das Gefühl, dazu zu gehören, sicher versorgt zu sein und nicht benachteiligt zu werden. Dies bekommt es durch aktive Zuwendung: Extra Zeiten nur für dieses Kind, am besten von beiden Eltern gleichermaßen. Spielzeiten mit dem Kind, in denen es selbst das Spiel bestimmen kann und der mitspielende Elternteil dem Wunsch folgt. Zeigt das Kind eine Rückentwicklung und zieht sich beispielsweise nicht mehr allein an, sollte das angenommen werden und das Kind die Zuwendung bekommen, die es hier gerade so dringend einfordert, damit es sich dadurch wieder umsorgt fühlt. Das Kind ist traurig und braucht Trost, Zuwendung und Liebe – keine Anklage.

Auch später kann im Laufe der Geschwisterbeziehung immer wieder mal Rivalität auftreten, nicht nur am Anfang. Das gerade auch in angespannten Situationen, wenn die Kinder merken, dass vielleicht Ressourcen gerade generell weniger vorhanden sind, es ökonomische Engpässe gibt oder die Eltern besonders angespannt sind und deswegen weniger auf die Bedürfnisse der Kinder eingehen können und sich alle Kinder deswegen versuchen, in den Vordergrund zu schieben. In Rivalitätszeiten sollten wir deswegen immer wieder daran denken, um was es eigentlich geht und was das Kind mit seinem Verhalten sagt: „Ich will Zuwendung, grenz mich nicht aus, ich gehöre auch dazu, zeig mir das. Ich habe Angst, nicht mehr genug geliebt und versorgt zu werden.“ Und mit dieser Sichtweise ist uns oft schon ein Stück weit geholfen, denn die Antwort ist immer Zuwendung.

Eure

Zur Autorin:
Susanne Mierau ist Diplom-Pädagogin (Schwerpunkt Kleinkindpädagogik) und Familienbegleiterin. Sie arbeitete an der FU Berlin in Forschung und Lehre, bevor sie sich 2011 im Bereich bedürfnisorientierte Elternberatung selbständig machte. Ihr 2012 gegründetes Blog geborgen-wachsen.de und ihre Social Media Kanäle sind wichtige und viel genutzte freie Informationsportale für bedürfnisorientierte Elternschaft und kindliche Entwicklung. Susanne Mierau gibt Workshops für Eltern und Fachpersonal und spricht auf Konferenzen und Tagungen über kindliche Entwicklung, Elternschaft und Familienrollen.

Foto: Ronja Jung für geborgen-wachsen.de

Weiterführende Literatur:
Mierau, Susanne (2017): Geborgene Kindheit. Kinder vertrauensvoll und entspannt begleiten. München: Kösel.
Mierau, Susanne (2019): Mutter.Sein. Von der Last eines Ideals und dem Glück des eigenen Wegs. Weinheim: Beltz.

In dieser Artikelserie auch erschienen:
Wenn Geschwister streiten – Teil 1: Streit als Entwicklungsressource betrachten
Wenn Geschwister streiten – Teil 2: Hauen, kämpfen, balgen – Ist das noch normal?
Wenn Geschwister streiten – Teil 3: Wann muss ich eingreifen?

3 Ideen, um emotional aufzutanken im Alltag

Gerade dann, wenn unser Alltag angefüllt ist mit vielen Dingen und vielleicht etwas weniger Zeit und Energie für die Kinder vorhanden ist, ist es gut, ganz bewusste Pausen für und mit Kindern einzubauen. Nicht erst, wenn sie durch ihr Verhalten oder Bitten darauf hinweisen, dass sie jetzt unbedingt Nähe und Zuwendung brauchen, sondern bereits früher, um zu signalisieren: „Ich bin da. Ich sehe Dich und Dein Bedürfnis nach Zuwendung. Du kannst Dir sicher sein, dass ich mich auch in stressigen Zeiten um Dich kümmere.“ Jede Familie findet – je nach Temperament und Bedürfnissen – ihren eigenen Weg für passende Rituale. Hier gibt es einige Anregungen für mögliche „Auftank-Momente“:

Vorlesen

Klassiker der gemeinsam verbrachten Zeit ist das Vorlesen einer Geschichte, die das Kind ausgewählt hat. Manchmal ist es gar nicht so einfach, bei einem Buch, das vielleicht schon viele Male vorgelesen wurde, gedanklich nicht abzuschweifen, sondern wirklich im Hier und Jetzt beim Kind zu bleiben. Kinder aber lieben Wiederholungen und die Vorhersagbarkeit von Geschichten, weshalb sie Lieblingsbücher immer und immer wieder vorgelesen haben wollen und das gerade auch in emotional schwierigen Zeiten für sie eine gute Ressource sein kann. Es ist also völlig in Ordnung und sogar gut, wenn die gleiche Geschichte immer und immer wieder gewünscht wird. Wenn das Kind doch kleine Planänderungen zulässt, können die Bilderbuchbetrachtungen auch mal variiert werden, beispielsweise indem die Tiere, die im Buch abgebildet sind, in der Spielzeugkiste gesucht werden oder Fragen das Geschehen im Buch erweitern.

Bindungsspiele

Gemeinsames Spielen kann jetzt eine gute Ressource für Kinder sein. Für Kinder ist es gut, wenn sie das Spiel wirklich selbst bestimmen können. Gerade jetzt sind sie in ihrer Selbstbestimmung an so vielem Stellen eingeschränkt, dass es gut ist, ihnen an den Stellen, an denen es möglich ist, das Gefühl zu geben, selbst wirksam zu sein: Was in einem gemeinsamen Auftank-Moment gespielt wird, bestimmt also das Kind. Die Entwicklungspsychologin Aletha J. Solter empfiehlt in ihrem Buch „Spielen schafft Nähe – Nähe löst Konflikte“ das Huckepackspielen für Eltern und Kinder, wobei die Kinder die Richtung angeben, in die sich die Eltern bewegen sollen. Bei solchen „Kontingenzspielen“ bei Traumata und Naturkatastrophen befolgen die Eltern die Regeln des Kindes, so dass das Kind nach und nach das Gefühl der Kontrolle über seine eigene kleine Welt zurückerlangt. Auch das Nachspielen mit Puppen oder Spielfiguren kann für Kinder hilfreich sein.

Massage/Streichelspiele

Liebevoller, respektvoller Körperkontakt ist eine Wohltat für Körper und Seele. Gerade dann, wenn Körperkontakt insgesamt weniger erfolgen kann, wie gerade jetzt, sind alle Momente für positiven Körperkontakt willkommen und das Kuscheln, Streicheln und Massieren kann Kinder beruhigen und entspannen, u.a. durch das dadurch ausgeschüttete Oxytozin. Oxytozin, das Kuschel- oder Bindungshormon, führt zu Entspannung, einem Gefühl der sozialen Verbundenheit, mildert Ängste, senkt den Blutdruck, verringert den Kortisolspiegel, verbessert die Wundheilung, regt (Nerven-)Wachstum an – genau das, was wir jetzt gerade brauchen.

Babys profitieren von einer regelmäßigen Massage am Morgen oder Abend, aber auch größere Kinder können die Streicheleinheiten genießen. Kindergartenkinder finden es oft toll, wenn eine Massage in eine kleine Geschichte verpackt wird, beispielsweise wenn auf dem Rücken ein neues Beet angelegt wird und erst einmal die Erde aufgelockert werden muss, dann werden die Samenkörner darauf mit zappelnden Fingern verteilt, dann wird alles mit beiden Händen zugedeckt und durch die Wärme gehen dann die einzelnen Blüten auf. Ein schöner Duft im Massageöl kann zusätzlich entspannen oder auch die Stimmung heben.

Und was sind Eure Strategien zum Auftanken?
Eure

Zur Autorin:
Susanne Mierau ist Diplom-Pädagogin (Schwerpunkt Kleinkindpädagogik) und Familienbegleiterin. Sie arbeitete an der FU Berlin in Forschung und Lehre, bevor sie sich 2011 im Bereich bedürfnisorientierte Elternberatung selbständig machte. Ihr 2012 gegründetes Blog geborgen-wachsen.de und ihre Social Media Kanäle sind wichtige und viel genutzte freie Informationsportale für bedürfnisorientierte Elternschaft und kindliche Entwicklung. Susanne Mierau gibt Workshops für Eltern und Fachpersonal und spricht auf Konferenzen und Tagungen über kindliche Entwicklung, Elternschaft und Familienrollen.

Foto: Ronja Jung für geborgen-wachsen.de

Weiterführende Literatur:
Solter, Aletha J. (2015): Spielen schafft Nähe – Nähe löst Konflikte. Spielideen für eine gute Bindung. – München: Kösel.
Mierau, Susanne (2017): Geborgene Kindheit. Kinder vertrauensvoll und entspannt begleiten. – München: Kösel.

Woran du dich erinnern wirst und woran du dich erinnern sollst

Du wirst dich erinnern an diese Zeit. An die Zeit, in der die Menschen Abstand gehalten haben. Daran, dass Du über einen – für dich in deinem Alter – langen Zeitraum deine Freunde und Freundinnen nicht gesehen hast. Du wirst dich daran erinnern, dass du auf einmal nicht mehr einkaufen gehen durftest, wie du es früher getan hast – allein. Dass du nicht einmal mehr mit den Einkaufsladen kommen durftest. Du wirst dich daran erinnern, dass Menschen auf der Straße Masken getragen haben und irgendwann der Zeitpunkt kam, an dem auch du eine bekommen hast. Zum Schutz der anderen, wie wir dir gesagt haben. Du wirst dich daran erinnern, dass du deine Großeltern nur noch auf Bildschirmen gesehen hast eine Weile. An Pakete, die wir an Freunde und Familie geschickt haben, weil wir sie nicht besuchen durften. Du wirst dich daran erinnern, dass wir keine Spielplätze mehr besucht haben, sondern allein als Familie durch die Natur gestreift sind. An Abenteuer, aber auch an eine kleine Einsamkeit abseits des sonst immer da gewesenen Stadttrubels. Du wirst dich daran erinnern, dass wir Eltern etwas angespannter waren, weniger und bewusster gekauft wurde. An „Nein, jetzt gerade nicht, bestimmt später wieder.“ Du wirst dich erinnern an die kleine, leise Angst, die immer dann spürbar war, wenn du oder eines deiner Geschwisterkinder von Halsschmerzen berichtet hast. Du wirst dich erinnern, an all das. All das ist nun Teil von deinem Leben.

Hoffentlich wirst du dich daran erinnern, dass wir versucht haben, diese Zeit so gut es eben ging zu gestalten. Daran, dass wir dich jeden Abend extra lange ins Bett gebracht haben und über den Tag gesprochen haben. Dich zugedeckt haben mit Decke und lieben Worten. Dass es viel mehr Lieblingsessen gab als sonst – und zu den unterschiedlichsten Uhrzeiten. Daran, dass wir uns Zeit genommen haben für deine Fragen und gemeinsam Antworten gesucht haben. Daran, dass wir versucht haben, neue Wege zu gehen, um dich in Verbindung zu bringen mit denen, mit denen du eigentlich verbunden bist. Hoffentlich wirst du dich daran erinnern, dass wir in angespannten Momenten versucht haben, uns zu erklären. Dass wir immer und immer wieder Lösungen gesucht haben. Dass wir zwar viele Dinge hinter uns gelassen haben, aber eines nicht: uns. Dass wir da waren. Zusammen. Und zusammen durch diese Zeit gegangen sind mit Liebe, mit Vertrauen. Dass wir jeden Tag versucht haben, zu verstehen: dich und uns und die Welt. Hoffentlich wirst du nach all dem, trotz all dem, das Gefühl im Herzen tragen, dass wir immer da sind für dich. Dass wir in schweren Zeiten beieinander stehen und auch im kleinsten Raum, in Schwierigkeiten und Angst, die Liebe, Sicherheit und Bindung zu uns Eltern nicht verloren geht. Wir sind da. Jetzt und immer. In guten und schlechten Zeiten. Als Eltern.