Kategorie: Elternschaft

Bin ich noch ich? – Über Elternrollen und persönlich richtige Wege

Heute wissen wir so viel von dem, was gut ist für Kinder. Und dem, was nicht gut ist für Kinder. An manchen Stellen sind die Informationen auch verwirrend: Denn was in einem Ratgeber angepriesen wird, wird im anderen vehement verboten. Als Eltern bewegen wir uns nicht selten in einem Gebiet all der Informationen, Ratschläge und Elternthemen. Und wenn sie nicht medial auf uns einstürmen, dann kommen sie zumindest irgendwo aus dem Umfeld: von Familie, Freundschaften, Nachbar*innen. Es ist gar nicht so einfach, darin den eigenen Weg zu finden. Denn der eigene Weg ist nichts, was wir uns einfach wie eine Jacke nach Bedarf überziehen oder ablegen. Er muss zu uns passen und weniger von Außen kommen, als von Innen. Er sollte Haut sein, statt Jacke. Denn: Wir müssen uns wirklich mit dem identifizieren, was wir leben und weitergeben wollen.

Auch die Pädagogik hat in diesen Bildungskanon Einzug gehalten, und Eltern bekommen nicht mehr nur ein Kind, kuscheln, versorgen es und halten es am Leben, sondern sie kümmern sich in besonderer Weise um seine Entwicklung. Mit der Erkenntnis der Bedeutung der Pädagogik, dem Wissen um Zeitfenster der Entwicklung und dem hohen Bildungsanspruch an Kinder im Sinn einer guten Entwicklung in der Zukunft sind Eltern zu eigenen Hauspädagogen und -pädagoginnen geworden – und erwarten einen pädagogisch wertvollen Umgang auch von den anderen Menschen ihres sozialen Umfeldes.

Susanne Mierau (2019): Mutter.Sein S.184f.

Es gibt meist mehrere Antworten auf Bedürfnisse

Aus all den Informationen, die wir beständig sammeln und vermittelt bekommen, müssen wir Eltern das herausfiltern, das persönlich zu uns und unserem Leben passt. Wir wissen um die körperlichen und psychischen Grundbedürfnisse von Kindern, aber wie wir sie konkret umsetzen, ist die Frage unserer individuellen Familie. Betrachten wir beispielsweise das Bedürfnis nach Nahrung des Kindes: es kann gestillt werden, mit Muttermilch aus der Flasche gefüttert werden, mit künstlicher Säuglingsnahrung gefüttert werden oder mit einer Mischform. – All dies beantwortet das Bedürfnis. Und auch wenn die Beikostzeit anbricht, gibt es verschiedene Möglichkeiten: Brei oder Baby-Led-Weaning mit festen Speisen? Selbstgekocht oder gekauft? Extra gekocht oder dem Familientisch entnommen? – Es gibt auf verschiedene Bedürfnisse unterschiedliche Antworten und wir können und sollten jene aufwählen, die individuell zu unserem Kind und zu unserer Familie passt.

Sich nach Trends zu richten, ist manchmal stressig

Manchmal siegt in der Entscheidung, welcher Weg gegangen werden soll, nicht der Blick auf das Kind und die Familie, sondern durch Verunsicherung und Sorge der Weg, der scheinbar am meisten angepriesen wird aktuell und die besten aktuellen „Kritiken der Elternbranche“ zeigt. Aber nicht jedes Kind schläft entspannt und gut lange im Familienbett und nicht jedes Kind erfreut sich an stückiger Beikost. Wir fügen uns selbst und unseren Kindern viel Stress zu, wenn wir uns zu sehr von Trends und anderen Wegen leiten lassen und dabei den Blick für die eigene Familie verlieren. Denn dieser Blick ist wichtig und das feinfühlige Wahrnehmen der Bedürfnisse: Was brauche ich, um mich wohl zu fühlen? Was brauchen die anderen in der Familie, um sich wohl zu fühlen? Und die Schnittmenge dieser Antworten bildet unseren persönlich richtigen Weg.

Sei keine Maske, sondern authentisch

Manchmal werden wir als individuelle Eltern unsichtbar hinter den Masken an Theorien und Trends, die wir uns aufsetzen: Wir lesen, welche Sätze in Wutsituationen gut sein sollen oder wie Konflikte moderiert werden können. Wir studieren Methoden der Selbstberuhigung und rattern sie in schwierigen Situationen herunter, anstatt wirklich zur Beruhigung zu kommen: „Ich hab gelesen, rückwärts zählen hilft. Klappt nicht, Mist, jetzt trink ich schnell ein Glas Wasser,…“ So gut diese Gedanken auch gemeint sind und so wertvoll der dahinter stehende Impuls, unsere Familiensituation zu verbessern, ist, helfen vielen Eltern keine Methoden nach Schema F. Und auch für die Kinder ist es schwierig, wenn Eltern nicht mehr authentisch, sondern wächsern und steif werden durch all die Theorien, die sie versuchen, anzuwenden.

Deswegen ist es wichtig, bei all unseren guten Wünschen, Absichten und Impulsen, dass wir sehen, wie wir Theorien wirklich gut so umsetzen können, dass sie zu uns passen. Vielleicht treffen nicht alle angepriesenen Methoden auf unsere Vorlieben und Möglichkeiten. Wir dürfen filtern und das anwenden, was wirklich gut ist. Und was nicht passt, können wir weglassen. Es gibt sehr viele Wege, gewaltfrei, liebevoll und bedürfnisorientiert mit Kindern umzugehen und zu leben. – Und jede Familie sucht ihren eigenen richtigen Weg, mit dem sie sich wirklich identifizieren kann. damit Worte von Herzen kommen, Handlungen authentisch und nachvollziehbar sind und Kinder in uns echte, liebenswerte Menschen mit allen Facetten des Menschseins sehen.

Eure

Zur Autorin:
Susanne Mierau ist Diplom-Pädagogin (Schwerpunkt Kleinkindpädagogik) und Familienbegleiterin. Sie arbeitete an der FU Berlin in Forschung und Lehre, bevor sie sich 2011 im Bereich bedürfnisorientierte Elternberatung selbständig machte. Ihr 2012 gegründetes Blog geborgen-wachsen.de und ihre Social Media Kanäle sind wichtige und viel genutzte freie Informationsportale für bedürfnisorientierte Elternschaft und kindliche Entwicklung. Susanne Mierau gibt Workshops für Eltern und Fachpersonal und spricht auf Konferenzen und Tagungen über kindliche Entwicklung, Elternschaft und Familienrollen.

Foto: Ronja Jung für geborgen-wachsen.de

Hilfe, ich schaffe es nicht, anders zu handeln!

Wir alle kennen jene anstrengenden Situationen, in denen wir eigentlich einen ganz genauen Plan davon haben, wie wir sein wollen, wie wir handeln wollen gegenüber unserem Kind, aber es einfach nicht klappt. Situationen, in denen wir von unseren Gefühlen überrollt werden, oder Situationen, in denen wir einfach keinen anderen Handlungsweg finden, als etwas zu tun, was wir nicht tun wollen. Diese Situationen sind auf vielfältige Weise anstrengend für uns: Weil sie uns aus der Situation heraus schon unter Stress setzen, aber auch, weil wir fortan mit dem schlechten Gewissen umgehen müssen und der Frage: Habe ich jetzt meinem Kind geschadet? Gab es eine Alternative, die ich übersehen habe? Was kann ich beim nächsten Mal tun, wenn…?

Wenn Gefühle uns überrollen

Wir alle haben unterschiedliche Erfahrungen gemacht in unserer Kindheit und in unserem weiteren Leben, die sich in uns festgesetzt haben: Sie prägen unseren Blick auf die Welt und auch, wie wir mit schwierigen Situationen umgehen. Gerade dann, wenn wir in einer stressigen Situation sind, übernehmen manchmal die in uns eingebrannten Erfahrungen die Führung und wir verhalten uns auf eine Art und Weise, die wir aus früher Kindheit als sinnvoll und problemlösend erfahren haben – das aber muss nicht unbedingt eine gute, bindungs- und bedürfnisorientierte Lösung sein. Es ist, was wir abgespeichert haben als Problemlösungsstrategie. Manchmal ist das Schreien, der Impuls zu körperlicher Gewalt oder auch Rückzug und/oder Liebesentzug. Je nach eigenen Erfahrungen können wir erschreckt feststellen: „Ich höre mich ja an wie meine Mutter/mein Vater!“ Und auch wenn wir eigentlich nicht so handeln wollen, ist dieser Impuls in uns vorhanden.

Es ist – je nach Erfahrungen – schwer, damit umzugehen. Gerade dann aber, wenn wir psychische oder physische Gewalt als Problemlösungsstrategie verinnerlicht haben, ist es besonders wichtig, andere Methoden zu erlernen, um mit Konfliktsituationen mit Kindern umzugehen, um den Kreis aus Gewalt zu durchbrechen. So können wir in den Köpfen unserer Kinder andere Lösungsstrategien verankern, als wir selber verankert haben.

Der Weg dorthin ist nicht immer einfach. Während es einigen Eltern reicht, Beruhigungsstrategien zu nutzen, um sich selbst kurz herunterzufahren, bis wieder ein überlegtes und ruhiges Handeln möglich ist (tief atmen, ruhig zählen, ein Glas Wasser trinken, sich auf die Körperwahrnehmung konzentrieren,…), haben andere Eltern mehr Schwierigkeiten damit und brauchen ggf. auch therapeutische Hilfe, um mit der Wut/Hilflosigkeit/Angst in Konfliktsituationen gut umgehen zu können. Es ist nicht schlimm, solche Hilfen in Anspruch zu nehmen und zeugt nicht von elterlichem Versagen, sondern ist im Gegenteil ein Zeichen von Verantwortung.

Wenn wir keine andere Lösung sehen

Neben jenen Situationen, in denen wir gut mit unserem Stress umgehen müssen, gibt es im Alltag mit Kindern aber auch solche, in denen wir nicht wegen unserer verinnerlichten Muster Probleme haben, sondern deswegen, weil uns keine guten Lösungswege einfallen: Wir sind bei uns, verstehen das Kind, verstehen die Situation und können ruhig reflektieren, aber uns fällt keine gute Lösung ein bzw. unser Kind reagiert einfach nicht in der von uns gewünschten Weise auf unsere Vorschläge.

Ein klassisches Beispiel dieses Problems: das Kind will nicht weiter gehen. Wir waren gemeinsam einkaufen, auf einmal bewegt sich das Kind keinen Zentimeter weiter, setzt sich hin und erklärt, dass es nicht weiter geht. Der noch immer oft zu hörende Satz „Dann geh ich eben alleine!“ ist keine gute und zielführende Lösungsstrategie. Was aber können wir sonst tun?

Hilfreich ist es, die eigenen Möglichkeiten in den Blick zu nehmen: Wir können in erster Linie unser Verhalten und unser Angebot ändern, aber nicht das Empfinden des Kleinkindes jetzt gerade. Hilfreich ist deswegen oft ein Ressourcencheck:

  • Habe ich gerade Zeit und Kraft, um mein Kind in Ruhe zu begleiten?
  • Wenn ich Zeit und Kraft habe: Kann ich einfach abwarten?
  • Wenn das Warten schwerfällt: Liegt es an umstehenden Personen? Wenn ja: Kann ich sie ausblenden und mir vorstellen, dass mein Kind und ich allein sind?
  • Welche Lösungsstrategien fallen mir ein? Vielleicht habe ich schon von anderen Eltern tolle Ideen für diese Situation erfahren
  • Lässt sich mein Kind auf mein Angebot ein? Kann ich ihm – im Falle des Einkaufs – anbieten, dass wir uns kurz ausruhen oder ich es an die Hand nehme und über die Hand etwas Kraft schicke oder können wir ein Spiel spielen beim Laufen, beispielsweise das „Hüpf bis zur nächsten Laterne, schleich bis zur nächsten Einfahrt“-Spiel

Aber manchmal funktioniert all das nicht: Weil wir in Zeitnot sind und dringend los müssen ohne Verhandlungsspielraum. Weil wir heute schon so viel Stress hatten, dass wir keine Energie mehr haben für eine entspannte Begleitung. Weil dort der ewig nörgelnde Nachbar steht und uns beobachtet und wir heute damit nicht umgehen können. – Es gibt diese Situationen, in denen wir es nicht schaffen, nicht in der Weise gut mit einer Situation umzugehen, wie wir sie eigentlich als gut bewerten würden. Und auch dann können wir wieder abwägen:

  • Wie können wir die Situation jetzt lösen mit den Rahmenbedingungen, die mir zur Verfügung stehen?
  • Wie kann ich das Kind zwar gegen dessen Willen, aber dennoch mit geringem Maß an Übergriffigkeit bewegen?
  • Wenn ich übergriffig bin: Wie kann ich diese Übergriffigkeit (beispielsweise Wegtragen gegen den Willen des Kindes) gut sprachlich begleiten? Denn wir können in jedem Moment mit unseren Kindern sprechen und ihnen erklären: „Es tut mir leid, ich weiß, dass du jetzt gerade nicht weiter gehen möchtest, aber ich muss dringend nach Hause. Beim nächsten Mal planen wir das anders.“
  • Wie kann ich Informationen aus dieser Situation ziehen, die uns zukünftig helfen: Vielleicht können wir beim nächsten Einkauf einplanen, einen Bollerwagen mitzunehmen und der Situation vorbeugen, in dem das Kind gleich darin fahren darf. Oder das Kind kann beim nächsten Einkauf mit einer anderen Person zu Hause bleiben, oder…

Manchmal läuft es anders als geplant

Manchmal schaffen wir es nicht, so zu handeln, wie wir wollen. Oft liegt es daran, dass uns Ressourcen und Unterstützung fehlen, um Kinder entspannt und ohne Zeitdruck zu begleiten. Die gute Nachricht aber ist, dass wir nicht immer perfekt sein müssen. Kinder brauchen keine Supereltern. Es reicht, gut genug zu sein und in der Mehrheit unseres Alltags unserem Kind zu zeigen, dass es respektiert, wertgeschätzt und geliebt wird. Die Psychotherapeuten Kent Hoffmann, Glen Cooper und Bert Powell beschreiben so passend in Bezug auf das von ihnen entwickelte Konzept „Kreis der Sicherheit“:

Eine gesunde psychische Entwicklung wird nicht dadurch gefördert, dass wir Brüche vermeiden, sondern dadurch, dass wir für Wiedergutmachung sorgen. […] Ihre Reflexionsfunktion ermöglicht Ihnen, einen Bruch als solchen zu erkennen – nämlich anhand dessen, wie Ihr Kind sich in der Situation gefühlt hat – und daher auch die Notwendigkeit einer Wiedergutmachung zu sehen, sowie zu verstehen, welche Art Reaktion in einer bestimmten Situation den Bruch tatsächlich wiedergutmachen kann.

Kent Hoffmann, Glen Cooper & Bert Powell „Aufwachsen in Geborgenheit“, S. 182f.

Das Gute daran, dass Kinder uns nicht als „nur gut“ erfahren ist laut ihnen auch, dass Kinder erfahren, dass ein und derselbe Mensch „gut“ und „böse“ (aus Sicht der Wahrnehmung des Kindes in dieser Situation) sein kann und dies für alle Menschen, also auch es selbst gilt. Dies unterstützt die Entwicklung des Selbst, aber auch gelingender Beziehungen zu anderen, wenn nicht erwartet wird, dass alle Menschen immer nur gut oder böse sind. Wir alle machen Brüche in unseren Beziehungen, aber wichtig sind dabei die Arten und vor allem die verlässliche Wiedergutmachung. Natürlich können wir unser Handeln nicht darauf aufbauen, beständig andere Grenzen zu überschreiten, weil wir uns schließlich entschuldigen oder Situationen wiedergutmachen können. Aber in so einigen Situationen unseres Alltags mag uns dieses Wissen helfen und beruhigen.

Wenn wir also keinen anderen Ausweg sehen, als dass Kind wegzutragen in einer bestimmten Situation oder es an der Hand über die viel befahrene Straße gehen muss oder wir ein bestimmtes Spiel verbieten müssen, sollten wir nicht zu hart mit uns ins Gericht gehen. Es gibt Situationen, in denen es aktuell keinen wirklichen Kompromiss gibt. Das können wir anerkennen und später durch Gespräche, Nähe, gemeinsame Zeit aufarbeiten.

Eure

Zur Autorin:
Susanne Mierau ist Diplom-Pädagogin (Schwerpunkt Kleinkindpädagogik) und Familienbegleiterin. Sie arbeitete an der FU Berlin in Forschung und Lehre, bevor sie sich 2011 im Bereich bedürfnisorientierte Elternberatung selbständig machte. Ihr 2012 gegründetes Blog geborgen-wachsen.de und ihre Social Media Kanäle sind wichtige und viel genutzte freie Informationsportale für bedürfnisorientierte Elternschaft und kindliche Entwicklung. Susanne Mierau gibt Workshops für Eltern und Fachpersonal und spricht auf Konferenzen und Tagungen über kindliche Entwicklung, Elternschaft und Familienrollen.

Foto: Ronja Jung für geborgen-wachsen.de

„Jetzt sei aber mal lieb zu dem anderen Kind!“ – Wie Kinder soziales Verhalten lernen

„Jetzt sei mal schön lieb zu dem anderen Kind!“ schallt es über den Spielplatz. Das Kleinkind, das gemeint ist und einem anderen gerade den Eimer wegnehmen möchte, erscheint es wenig verunsichert, streckt den Arm aus, streichelt das andere Kind und nimmt dann den Eimer an sich. Das Konzept von „lieb sein“ wie es seine Bezugsperson gemeint hat, hat es noch nicht genau verstanden und verinnerlicht. Es denkt, es soll ein bestimmtes, erlerntes Verhalten zeigen und weiß nicht, dass dieses „lieb sein“ eher eine Haltung ist, denn eine Handlung. Und diese Haltung hat es als bewusste Haltung nicht verinnerlicht. Der eben noch rufende Elternteil kommt über den Spielplatz gespurtet, reißt den Eimer aus der Hand und stellt ihn dem anderen Kind wieder hin. „Du solltest den Eimer zurückgeben, hab ich gesagt!“ – Das Kind schaut wieder verwundert, denn natürlich wurde das nicht gesagt, auch wenn es gemeint wurde. WAS aber gemeint wurde, hat das Kind nicht verstanden.

Eltern wünschen sich einfühlsame, „liebe“ Kinder

Kinder sind von sich aus kooperativ und sozial. Allerdings sind Kinder auch Kinder und der kindlichen Entwicklung unterworfen, weshalb ihr kooperatives und soziales Verhalten Grenzen hat (was übrigens auch bei uns Erwachsenen so ist, nur dass unsere Grenzen meistens weiter sind) und beispielsweise ausgeschöpft oder erschöpft sein kann bzw. auch den eigenen Bedürfnissen unterliegt und dem Umstand, sich noch nicht gut in andere Personen hineinversetzen zu können und die Gefühle anderer immer richtig einschätzen oder vor-einschätzen zu können.

Als Eltern nehmen wir die Kooperation des Kindes und sein soziales Verhalten im Alltag oft nicht als solches wahr, bis zu dem Zeitpunkt, wo es gerade nicht auftritt und wir uns wünschen, dass das Kind sich aber „gut“ verhalten soll. Oft sind das Situationen, in denen wir gestresst sind durch Zeitdruck oder durch beobachtende Dritte und nicht als Eltern schlecht bewertet werden wollen. Dann fordern wir von unseren Kindern ein „liebes“ Verhalten ein oder versuchen, dem Kind das „lieb sein“ aktiv vorzuführen: Streichel mal das andere Kind, teil doch mal dein Spielzeug, begrüße mal lieb die Tante,… Manchmal fordern wir dabei mehr ein, als das Kind eigentlich gerade in diesem Alter leisten kann, beispielsweise wenn wir Kleinkinder zum Teilen ihrer Lieblingsspielsachen auffordern.

Viele Eltern übersehen bei dem Wunsch nach einem „lieben“ Kind auch, dass das Kind ein Mensch ist. So wie Erwachsene auch. Wir alle haben jeden Tag eine Vielzahl unterschiedlicher Gefühle und niemand ist „nur freundlich“, ganz besonders Kinder nicht, die noch Schwierigkeiten haben, ihre Gefühle zu regulieren. Es ist wichtig, dass Kinder die breite Palette an Gefühlen erfahren dürfen, denn sie gehören zum Leben dazu und jedes Gefühl hat auch einen anderen Gefühlspart: wütend – zufrieden, traurig – munter,… Durch die Wahrnehmung des einen ist bewusster Raum für die Wahrnehmung des anderen vorhanden. Kein Kind muss „lieb sein“, wenn es sich nicht danach fühlt und kein Kind muss beständig freundlich und zuvorkommend sein. Kinder lernen zunehmend, ihre Gefühle in einer Gesellschaft passend auszudrücken. Mit zunehmenden Alter lernen sie, was sie tun können, wenn sie auf einer Familienfeier schlechte Laune haben, ohne sich dabei verstellen zu müssen. Sie lernen Kompetenz im Umgang mit unterschiedlichen Gefühlen und diese Kompetenz bedeutet nicht zwangsweise Anpassung an Erwartungen, sondern einen guten Umgang damit: Niemand sollte fröhlich sein müssen, obwohl er gerade extrem traurig ist.

Wie Kinder wirklich lernen, sich sozial zu verhalten

All diese freundlichen, lieben Verhaltensweisen lernen Kinder aber viel weniger durch direkte Anleitung oder Aufforderungen, als durch Vorbildverhalten von uns Erwachsenen: wie wir mit anderen umgehen und auch mit dem Kind selbst. Die Art, wie andere Menschen dem Kind begegnen, mit ihm interagieren und es behandeln, prägt das Bild über soziales Verhalten. Wenn wir wollen, dass unsere Kinder freundlich zu anderen sind, nicht übergriffig und langfristig sozial agieren, müssen wir uns fragen, wie wir diese Werte im Alltag transportieren. Wir können uns Fragen stellen wie:

  • Wie begegne ich dem Kind respektvoll?
  • Wie fasse ich es an?
  • Wie reagiere ich auf Fragen, Wünsche, Bedürfnisse?
  • Wie spreche ich mit dem Kind und lasse ich es ausreden oder fahre ich ihm über den Mund? In welchem Tonfall und welcher Lautstärke rede ich mit meinem Kind?
  • Reiße ich meinem Kind die Dinge aus der Hand, wenn ich etwas haben möchte, oder bin ich geduldig?
  • Erkläre ich Dinge ruhig, oder handle ich einfach anstatt zu reden?

Wenn wir uns die Frage stellen, wie unsere Kinder sind und sein sollen, sollten wir zunächst darauf schauen, wie wir sind.
Eure

Zur Autorin:
Susanne Mierau ist Diplom-Pädagogin (Schwerpunkt Kleinkindpädagogik) und Familienbegleiterin. Sie arbeitete an der FU Berlin in Forschung und Lehre, bevor sie sich 2011 im Bereich bedürfnisorientierte Elternberatung selbständig machte. Ihr 2012 gegründetes Blog geborgen-wachsen.de und ihre Social Media Kanäle sind wichtige und viel genutzte freie Informationsportale für bedürfnisorientierte Elternschaft und kindliche Entwicklung. Susanne Mierau gibt Workshops für Eltern und Fachpersonal und spricht auf Konferenzen und Tagungen über kindliche Entwicklung, Elternschaft und Familienrollen.

Foto: Ronja Jung für geborgen-wachsen.de

„Jetzt beruhig dich und denk mal drüber nach!“ – Warum Auszeiten Kindern nicht helfen

Da ist es, das wütende Kleinkind: es schreit und schimpft und stampft. Und letztlich wirft es noch ein Spielzeug durch den Raum in seiner Wut. Die Ursachen für dieses Verhalten können so vielfältig sein: die Jacke geht nicht zu, es soll losgehen, aber will noch spielen, es hat den falschen Becher angeboten bekommen. Manchmal wissen wir nicht einmal, warum genau das Kind so wütet. Während wir Erwachsenen in solchen Wutsituationen vielleicht manches Mal kurz innehalten können und überlegen, ob unsere Reaktion gerade angemessen ist und uns selbst beruhigen können, ist dies für das Kleinkind nicht möglich: es kann jetzt gerade weder logisch nachdenken, noch kann sich allein beruhigen. Und vielleicht können auch wir Erwachsenen gerade nicht helfen, fühlen uns hilflos und genervt. In genau dieser Situation ist es verlockend, das Problem einfach wegzuschieben – im wahrsten Sinne der Wortes: „Ab in dein Zimmer!“, „Denk auf dem stillen Stuhl mal über Dein Verhalten nach!“, „Komm erst wieder raus, wenn du dich beruhigt hast!“ – Aber das hilft weder Kindern, noch Eltern

Verantwortung für unsere Gefühle übernehmen

Zuerst einmal ist es wichtig, dass wir in dieser Situation die Verantwortung für unsere eigenen Gefühle übernehmen. Das ist ein kleines Kind vor uns, das wütend ist und schreit. Vielleicht wirft es sich auch auf den Boden oder trampelt. Aber es ist weiterhin ein kleines Kind, unser kleines Kind! Warum haben wir Erwachsene so ein Problem damit, wenn dieses Kleinkind sich gerade so verhält? Warum können wir nicht über das Verhalten hinwegsehen und daran denken, dass dieses kleine Kind gerade nicht anders kann, dass dieses Verhalten auch für das Kind anstrengend ist? Warum werden wir wütend/verletzt/traurig/gestresst vom normalen Verhalten des Kindes?

Anders als unser Kind, sind wir erwachsen und können mit stressigen Situationen eigentlich schon anders umgehen. Eigentlich – denn manchmal werden durch das Verhalten des Kindes in uns Erinnerungen getriggert, die es nicht so leicht machen, entspannt mit dem Kind und der Situation umzugehen. Wir machen es uns aber (langfristig) leichter, wenn wir zu einem entspannten Umgang mit solchen Situationen kommen. Wir müssen deswegen Verantwortung übernehmen für unsere eigenen Gefühle: Sich kurz auf die eigene Wahrnehmung fokussieren, eine Strategie nutzen, um uns selbst zu beruhigen und langfristig ergründen, warum uns diese Situationen so schwer fallen. Es geht also darum, erst einmal uns selbst zu beruhigen, damit wir im nächsten Schritt das Kind begleiten können.

Verantwortung für Kindergefühle übernehmen

Viele Situationen, die wir nicht als problematisch einschätzen, sind für Kinder noch schwer zu händeln. Sie sind frustriert, weil etwas nicht funktioniert, weil sie etwas anders machen wollten oder wir etwas anders machen sollten und manchmal erfahren wir auch gar nicht, was genau das Problem war. Wir sehen nur, dass unser Kind ein Problem hat. Wenn das Kind eine Auszeit nehmen soll, in der es selbst das Problem lösen soll bzw. das Verhalten abstellen soll, nehmen wir uns als Eltern auch die Chance, das eigene Kind und die Gefühlswelt zu verstehen, eventuelle generelle Probleme des Kindes zu sehen und im Alltag vermeiden zu können. Wenn das Kind beispielsweise immer wieder am Esstisch wütend wird und wir es immer wieder deswegen in sein Zimmer schicken, werden wir recht wahrscheinlich nicht herausfinden, was genau das Problem ist und die Situation so lange immer wieder mit dem Kind durchspielen, bis es selbst frustriert und unverstanden aufhört. Gelernt hat es aber nicht, mit dem Problem umzusgehen, sondern nur, dass sein Problem nicht gesehen und behoben wird.

Wichtig ist es hier, das Problem und das Verhalten des Kindes nicht auf die Beziehung zu übertragen: „Weil du dieses oder jenes gemacht hast, hab ich dich nicht mehr lieb.“ oder „Wenn du dich so verhältst, mag ich nicht mit dir zusammen sein!“. Das Kind mag ein für uns problematisches Verhalten gezeigt haben, deswegen aber ist das Kind nicht schlecht. Und vor allem sind wir als Erwachsene in der wichtigen Position, uns erwachsen verhalten zu müssen und reflektiert mit dem Kind umzugehen.

In der Kleinkindzeit ist das Kind noch nicht bzw. nur bedingt fähig, sich selbst zu beruhigen. Es benötigt an vielen Stellen noch Co-Regulation, d.h. eine erwachsene Person gegenüber, die die Gefühle des Kindes aufnimmt, verarbeitet und quasi „vorverdaut“ zurückgibt, so dass das Kind damit besser umgehen kann. Durch die regelmäßige Begleitung von Gefühlen lernen Kinder zunehmend besser, damit umzugehen. In vielen Wutsituationen sind Kinder in der konkreten Situation nicht schnell beruhigbar, viele Kinder vermeiden auch Körperkontakt. Das ist in Ordnung und als Eltern ist es unsere Aufgabe, den Moment abzuwarten und auszuhalten, bis das Kind langsam wieder ansprech- und beruhigbar ist.

Verantwortung übernehmen für die kindlichen Handlungen

Manchmal bleibt es nicht nur bei einem Stampfen oder Schreien. Manchmal fliegen auch Dinge durch die Gegend oder das Kind haut oder beißt. Auch hier ist es auf uns Erwachsene angewiesen. Wir sollten nicht sagen „Tja, selber Schuld, wenn du jetzt dein Lego vor Wut zertrampelt hast!“ oder „Wenn du jetzt etwas kaputt machst, dann ziehe ich dir das vom Taschengeld ab/bekommst du weniger Weihnachtsgeschenke.“ Das Kleinkind kann die Folgen der Handlungen noch nicht absehen und es ist wichtig, dass als weitsichtige Person nach Möglichkeit vorab eingreifen. Das bedeutet beispielsweise, Dinge oder Personen aus der „Gefahrenzone“ zu nehmen und vor einem unüberlegten Übergriff zu schützen. Danach können wir dann die Gefühle des Kindes weiter begleiten bzw. weiter abwarten, bis das Kind wieder für Worte/Berührung etc. zugänglich ist. Manchmal ist unser Handeln auch „einfach nur“ abwarten: Warten, bis das Kind aus dem Wutsturm heraus kommt und dabei dafür sorgen, dass es nichts kaputt macht und sich oder andere nicht verletzt. Auch das Warten in der Nähe ist ein Begleiten.

Was passiert, wenn das Kind sich allein beruhigen soll

Was passiert nun aber, wenn das Kind in ein anderes Zimmer geschickt wird, damit es sich allein beruhigen soll oder an einem bestimmten Ort sitzen soll, damit es dort „nachdenkt“? Diese Methode ist vielen Eltern noch aus früheren Fernsehformaten bekannt und wurde als „Auszeit“ propagiert. Der dahinter stehende Gedanke ist, dass sich das Kind an die Familienregeln erinnert, das falsche Verhalten einsieht, sich beruhigt und quasi „geläutert“ in den Alltag zurückkehrt. Allerdings „funktionieren“ Kinder nicht so.

Was das Kind in solchen Situationen tatsächlich lernt, ist etwas Anderes: Es erlebt sich selbst als falsch, da die Bezugsperson es mit seinem Verhalten ablehnt und das Kind somit die Erfahrung macht, dass es, wenn es wütend/trotzig/ungehalten ist, nicht geliebt wird und diese Gefühle daher vermeiden soll. Das kann sich langfristig negativ auf die Entwicklung auswirken. Kinder (und Erwachsene) müssen über die breite Palette an Empfindungen verfügen und mit allen Gefühlen umgehen können. Hier lernt das Kind jedoch durch die Abwehr dieses Gefühls, dass beispielsweise Wut nicht erlaubt ist. Es lernt hingegen nicht, wie es mit Wut besser umgehen kann (außer sie zu vermeiden), beispielsweise wie es sie anders umsetzen kann, dass es in Ordnung ist, sich Hilfe zu holen oder mit anderen darüber zu sprechen. Auch die Hintergründe hinter der Wut werden durch Auszeiten nicht besprochen und Kinder erlernen keine Konfliktlösungsmöglichkeiten, die sie auf spätere Situationen übertragen können.

Das Kind erlebt sich als bestraft, machtlos ausgeliefert gegenüber der Maßnahme und fügt sich in ein Bild, dass es selbst unterlegen und nicht wirksam ist. Während es die Auszeit hat, wird es als Kleinkind nicht über die „falsche Handlung“ nachdenken, denn dafür fehlt die Reifung des Gehirn, aber auch Erfahrungen für andere Handlungsstrategien, die in der scheinbar falschen Situation hätten angewendet werden können. Da es aber diese nicht kreativ vorgelebt bekommt, wird es sie auch zukünftig nicht erlernen und nicht reflektieren können, sondern das Verhalten auf Befolgen der Anweisungen ausrichten, ohne langfristiges kreatives Lösungsmangement.

Oft wird die Situation sogar noch verschärft, wenn das Kind in ein anderes Zimmer gehen oder sich auf einem stillen Stuhl ausruhen soll, da das Kind ja ohnehin in einer aktuell schwierigen Situation ist und dazu noch Trennungsangst/Frustration über den Bindungsentzug/die Ablehnung stattfindet.

Aber das Kind will alleine sein!

Wenn Kinder größer werden, oft ab etwa 4 Jahren, hören Eltern in Wut- und Streitsituationen auch öfters Sätze wie „Lass mich in Ruhe!“ oder „Ich will alleine sein!“ Es ist etwas anderes, wenn das Kind sich selbst aus der Situation nimmt und mit der Selbstberuhigung allein experimentiert. Hier kann es sich dann selbst als wirksam erfahren, wenn es gelingt – oder eben zurückkommen zum Elternteil, der es dann unterstützt und emotional da abholt, wo es allein nicht weiter kommt.

Gemeinsam die Situation wechseln

Statt einer Auszeit allein für das Kind ist es manchmal sinnvoll, gemeinsam mit dem Kind zusammen die Situation zu verlassen, um das Problem zunächst zur Seite zu legen und sich allein auf die Begleitung der Gefühle zu konzentrieren. Zu einem späteren Zeitpunkt, wenn sich das Kind wieder beruhigt hat, besteht dann die Möglichkeit, sich gemeinsam dem Problem zuzuwenden und alternative Handlungen durchzusprechen oder zu thematisieren, was überhaupt das Problem des Kindes war.

Auch für größere Kinder ist eine Auszeit kein passendes Mittel

Auch für größere Kinder sind Auszeiten und „Stubenarrest“ keine sinnvollen Methoden, um eine Verhaltensänderung herbeizuführen. Natürlich können größere Kinder gebeten werden und es kann ihnen erklärt werden: „Magst du mal kurz ein wenig entspannen gehen und dann reden wir weiter?“ oder in Bezug auf Streit mit kleineren Geschwistern: „Ich glaube, es wäre gut, wenn ihr mal kurz auseinander geht, damit sich die Situation entspannt.“ Kinder jenseits des Kleinkind- und Vorschulalters können mit Konfliktsituationen schon anders umgehen und viel mehr reflektieren als die kleineren Kinder.

Strenger Beziehungsabbruch oder -verweigerung durch die Eltern hilft aber auch größeren Kindern nicht, mit Konfliktsituationen sinnvoll und kreativ umzugehen. Hier gilt eine Auszeit dann lediglich als Strafe. Zielführender ist es auch dort, mit dem Kind, das schon die Gefühle besser regulieren kann als ein Kleinkind, in das Gespräch zu kommen und Ursachen und alternative Handlungsmethoden gemeinsam zu benennen, oder, wenn das Kind das wünscht, nach einer Zeit der Selbstberuhigung ins Gespräch zu kommen.

Eure

Zur Autorin:
Susanne Mierau ist Diplom-Pädagogin (Schwerpunkt Kleinkindpädagogik) und Familienbegleiterin. Sie arbeitete an der FU Berlin in Forschung und Lehre, bevor sie sich 2011 im Bereich bedürfnisorientierte Elternberatung selbständig machte. Ihr 2012 gegründetes Blog geborgen-wachsen.de und ihre Social Media Kanäle sind wichtige und viel genutzte freie Informationsportale für bedürfnisorientierte Elternschaft und kindliche Entwicklung. Susanne Mierau gibt Workshops für Eltern und Fachpersonal und spricht auf Konferenzen und Tagungen über kindliche Entwicklung, Elternschaft und Familienrollen.

Foto: Ronja Jung für geborgen-wachsen.de

Das Zeugnis für die Eltern

Liebe*r_________,

dein erstes Schuljahr mit Homelearning ist nun vorüber. Es war eine aufregende Zeit, in der du dich stets für neue Themen begeistern musstest. Über diese Monate hinweg hast du eine hohe Lernbereitschaft gezeigt. Es fiel dir zunächst etwas schwer, dich in die neuen Themen einzuarbeiten und einen Platz in der Gruppe der Zuhauselernenden zu finden. Der Kontakt zu den Lehrer*innen war vielleicht nicht immer einfach für dich, aber du hast verantwortungsbewusst eine Position in diesem Gefüge eingenommen. Vielen Dank dafür!

Im Lernverband Zuhause hast du eine führende Position übernommen und im Laufe der Zeit deutlich an Sicherheit gewonnen. Es war nicht immer einfach, eigenständig, motiviert und sorgfältig die geforderten Aufgaben zu bewältigen und weiterzugeben. Dabei hast du großes Geschick bewiesen und nicht nur die zu erledigenden Aufgaben im Blick behalten, sondern auch große emotionale Kompetenz bewiesen in der Begleitung deines Kindes. Nicht immer ist alles reibungslos verlaufen. Flexibel hast du abgewägt zwischen Erfordernissen und Möglichkeiten. Das war sicherlich nicht immer eine leichte Entscheidung, aber du hast in der Mehrheit der Fälle sehr sicher reagieren können.

In den vergangenen Wochen hast du Kreativität bewiesen, Organisationsfähigkeit, emotionale Stärke, Flexibilität, Ausdauer und Empathie. Deine Leistungen lagen über dem Erwarteten und an manchen Stellen auch über dem Möglichen. Wir sind uns alle dessen bewusst, welche enormen Anstrengungen du erbracht hast, um dein Kind durch diese Zeit zu führen. Gewaltfrei und verständnisvoll zu handeln unter den gegebenen Rahmenbedingungen ist für die Atmosphäre im Familienalltag besonders wichtig – dies hast du gut gemeistert, auch wenn es an einigen Stellen manchmal zu Streitigkeiten gekommen ist. Du hast Konfliktfähigkeit und Kompromissbereitschaft bewiesen.

Liebe*r______________, wir danken dir für dein Engagement. Leider wurde deine Tätigkeit im Gesamtsystem noch zu wenig und zu selten bemerkt, berücksichtigt und honoriert. An dieser Stelle können wir aktuell nichts daran ändern außer zu sagen: Du hast Großes geleistet und es tut uns leid, dass es der Politik noch schwer fällt, das zu sehen. Wir hoffen, es ist nicht nötig, dich in ein weiteres Schuljahr zu versetzen. Aber wir danken dir – wenn es schon sonst niemand anderes tut – aus ganzem Herzen.

Der Verbund der Homelearning-Eltern

Hier kannst Du Dir Dein Zeugnis herunterladen und ausdrucken

Hier gibt es bei grossekoepfe auch ein Elternzeugnis oder hier bei Nils Pickert

„Ich brauche eine Pause“ – Selbstfürsorge für Eltern

Der Alltag mit Kindern ist oft herausfordernd, denn er bringt auf einmal einen Menschen in unser Leben mit eigenen Bedürfnissen und es gilt fortan, nicht nur auf uns und unser eigenes Wohlergehen zu achten, sondern dieses in Balance zu bringen mit einem anderen, nicht erwachsenem Menschen. Während wir Erwachsenen nämlich unsere Bedürfnisse oft recht gut wahrnehmen, formulieren und für die Erfüllung selbst sorgen können, sind Kinder auf uns in vielfacher Hinsicht angewiesen: Wir nehmen die Signale der Kleinsten wahr und übersetzen sie, um sie zu verstehen und gleichzeitig auch den Kindern gegenüber zu erklären und zu formulieren, was sie gerade wahrnehmen. Wir beantworten Bedürfnisse und lehren dabei, wie das Kind sie selbst irgendwann beantworten kann. Und während wir all das tun, müssen wir darauf achten, dass in dieser Arbeit um Emotionen und Bedürfnisse des Kindes nicht unsere eigenen Bedürfnisse aus dem Blick geraten.

Eltern müssen auf ihre Bedürfnisse achten

„Die Bedürfnisse des Kindes haben immer Vorrang!“ so denken viele Eltern. Und natürlich sind kleine Kinder darauf angewiesen, dass wir ihre Bedürfnisse prompt erfüllen: Dadurch bildet sich ein Gefühl der Sicherheit aus. Das Kind weiß, dass wir da sind, für es sorgen und es verstehen. So kann eine sichere Beziehung aufgebaut werden.

Dennoch haben die Bedürfnisse von Kindern nicht per se Vorrang, wenn das bedeutet, dass wir die Erwachsenenbedürfnisse aus dem Blick verlieren und immer wieder hinter den Kinderbedürfnissen anstellen und so selber in einen Mangel kommen. Denn: Ohne die eigenen Bedürfnisse zu erfüllen, können wir die Bedürfnisse der Kinder nur bedingt erfüllen. Wir können nicht feinfühlig mit ihnen umgehen, wenn wir selbst gestresst, erschöpft, schlecht versorgt sind. Wenn wir hungrig sind, müde oder gestresst, fällt es uns schwerer, ruhig, empathisch und entspannt auf kindliche Bedürfnisse zu reagieren. Wir sind angespannter, lauter, ungeduldiger gegenüber den für Kindern ganz normalen kindlichen Verhaltensweisen.

Schlafen wir zu wenig, wird der Hirnbereich inaktiver, der uns Intentionen und Handlungen anderer verstehen lässt. Wir können uns weniger gut in andere hineinversetzen. Gerade diese Feinfühligkeit ist aber im Familienleben und auch generell im sozialen Kontext von großer Bedeutung.

S. Mierau (2019): Mutter.Sein, S. 130

Im Alltag auf sich achten – wie soll das gehen?

Es ist nicht so einfach, im vollen Familienalltag mit Kindern zu Hause, die viel Aufmerksamkeit auf sich ziehen und besonders in emotional aufwühlenden Zeiten besonders zuwendungsbedürftig sind, auf sich zu achten. Manchmal fällt es uns ohnehin schwer, die eigenen Bedürfnisse überhaupt wahrzunehmen und richtig zu beantworten. Was helfen kann, um in Balance mit eigenen Bedürfnissen zu bleiben:

  • Bedürfnisse verschriftlichen: Trage in deinen Kalender einen Tracker ein für die unterschiedlichen Bedürfnisse und bewerte am Ende des Tages, wie gut du auf sie geachtet hast: Genug getrunken? Gut gegessen? Ausreichend Schlaf? Sozialkontakte? Gefühl von Wertschätzung heute? Selbstverwirklichung? Pausen zum Durchatmen gehabt? Was an einem Tag fehlt, am nächsten besonders in den Blick nehmen und Zeitfenster dafür einbauen.
  • Mantra verinnerlichen: Die Bedürfnisse meines Kindes sind wichtig, aber meine auch! Oft leiten uns Glaubenssätze, die uns den Alltag schwer machen. Es ist okay, die eigenen Bedürfnisse in den Blick zu haben. Wir sind nicht schlechte Eltern oder selbstsüchtig, weil wir auf unsere ganz normalen Bedürfnisse achten.
  • Multitasking vermeiden: Verinnerliche und sage dir selber und deinem Kind „Eins nach dem anderen!“ – Mach eine Aufgabe in Ruhe zu Ende, bevor du die nächste beginnst, damit du das Gefühl hast, eine Sache wirklich abgeschlossen zu haben und dich darauf auch konzentrieren kannst. Das gilt auch für die Kinder: Sei in der Zeit, in der du etwas mit ihnen machst, wirklich geistig und körperlich anwesend, damit du dich danach wieder einer anderen Sache zuwenden kannst.
  • Feste Pausenzeiten in den Tagesablauf einbauen: Gerade wenn wir beständig mit Kindern zusammen sind, sind Pausen wichtig. Um kurz abzuschalten, um sich auszuruhen, um sich einen Moment mit etwas anderem zu beschäftigen als Kinderthemen. Das ist in Ordnung. Plane solche Pausen in Deinen Alltag ein mit festen Zeiten, an die du dich hältst. Vielleicht ist es anfangs für dein Kind ungewohnt, aber es wird diese Pausen akzeptieren. Du kannst beständig, liebevoll und klar formulieren, dass du gerade eine Pause machst und danach wieder zur Verfügung stehst.
  • Es ist praktisch und sinnvoll, sich die Care-Arbeit mit anderen Personen teilen zu können, um ausreichend Zeiten für eigene Pausen und Bedürfnisbefriedigung zu haben. Ist das nicht möglich, sind feste Pausen besonders wichtig.
  • Du merkst, dass du erschöpft bist und deine Nerven dünn werden: Nun musst du in den Ruhemodus kommen und nicht noch mehr aufdrehen. Gönn dir eine kurze Auszeit in einem anderen Zimmer, wenn die Kinder gefahrlos in einem anderen Raum sein können. Atme mehrmals tief durch, ruf ggf. eine befreundete Person an oder ein Familienmitglied, mach dir einen Tee und/oder versuche dich auf die Wahrnehmung deines Körpers zu fokussieren, um dich darüber zu beruhigen. Es ist in Ordnung, jetzt eine Pause zu machen!

Eure

Zur Autorin:
Susanne Mierau ist Diplom-Pädagogin (Schwerpunkt Kleinkindpädagogik) und Familienbegleiterin. Sie arbeitete an der FU Berlin in Forschung und Lehre, bevor sie sich 2011 im Bereich bedürfnisorientierte Elternberatung selbständig machte. Ihr 2012 gegründetes Blog geborgen-wachsen.de und ihre Social Media Kanäle sind wichtige und viel genutzte freie Informationsportale für bedürfnisorientierte Elternschaft und kindliche Entwicklung. Susanne Mierau gibt Workshops für Eltern und Fachpersonal und spricht auf Konferenzen und Tagungen über kindliche Entwicklung, Elternschaft und Familienrollen.

Foto: Ronja Jung für geborgen-wachsen.de

Als Elternteil mit Sorgen und Angst umgehen

Angst ist kein schlechtes Gefühl. Angst ist ein Gefühl, das uns in vielen Situationen schützen kann und uns davor warnt, wenn wir in eine für uns schwierige Situation kommen könnten, in der wir oder andere Personen Schaden nehmen könnten. Spüren wir Angst, versuchen wir meistens, den Angstauslöser zu vermeiden oder wir schützen uns durch ein Fluchtverhalten. Gerade neue, ungewohnte, fremde Situationen können Angst in uns auslösen. Die Angst gehört zu der breiten Palette all unserer Gefühle und wir müssen uns für sie nicht schämen, müssen sie nicht vertuschen oder ignorieren. Angst entsteht aus einem Zusammenspiel verschiedener Faktoren, unter anderem den chemischen und molekularen Vorgängen in unserem Gehirn. Wir gehen unterschiedlich mit Ängsten um: Der Psychologe Prof. Dr. Borwin Bandelow erklärt*: „Kein Mensch ist ohne Angst“, aber unsere Ängste liegen in unterschiedlichen Bereichen. Und: „Ein bisschen Angst muss jeder haben – diese allgemeine Weisheit trifft zu. Wer vorsichtig Auto fährt, die Türen gut abschließt oder sich auf Prüfungen aus Angst vor dem versagen lange vorbereitet, hat durchaus Vorteile im Leben.“ Die Angst kann uns sogar beflügeln und helfen.

Es lohnt sich – gerade als Eltern – die Angst einmal genauer anzusehen und ihr zu begegnen, damit wir überprüfen können, woher sie kommt, und unterscheiden können, ob wir ängstlich sind, ob diese Angst einer Sorge entspringt oder auf dem Weg zu einer Panik ist.

Sorge oder Panik?

Die Sorge ist eine sanfte Art der Angst: ein mulmiges Gefühl in Bezug auf die Zukunft und eine Auseinandersetzung mit eventuell auf uns lauernden Problemen. Wenn wir uns sorgen, spielen wir verschiedene Szenarien in unseren Köpfen durch, setzen uns mit einem Thema auseinander, um mögliche Lösungsstrategien vorab zu durchdenken. Das kann uns durchaus für die Zukunft helfen, denn wir stolpern nicht unbedacht in eine schwierige Situation hinein, sondern haben bereits Lösungsansätze entwickelt oder Informationen gesammelt.

Manchmal sind unsere Ängste jedoch außerhalb der realistischen Erklärungen. Sie sind übertrieben, schränken uns ein, stören den Alltag. So haben sie keine Schutzfunktion mehr. Fühlen wir uns allerdings akut bedroht, spüren wir Panik. Wir können nicht mehr objektiv Informationen einholen, nicht abwägen und überlegen, sondern sind extrem angespannt und in einem Alarmmodus, der unser rationales Handeln behindert.

„All diese Meldungen verändern unsere Wahrnehmung. Wir beginnen, die Welt durch eine negative Brille zu sehen und uns hilflos zu fühlen angesichts all der Schrecklichkeiten, denn die klassische Medienberichterstattung basiert auf den Schreckens- und Problemmeldungen, dem sogenannten Negativitätsbias.“

S. Mierau (2019): Mutter.Sein

Die Sorge vor der Ansteckung mit einer Krankheit oder bei anderen nicht beeinflussbaren Veränderungen ist zunächst normal: Wir überlegen, wie das passieren könnte, was passieren könnte und wie wir uns schützen können. Führt diese Sorge allerdings zu Panik und einer Zwangskrankheit, sind wir über das Ziel hinaus gegangen. Es kann deswegen beruhigen, uns immer wieder die Fakten vor Augen zu führen: Wie stellt sich die Situation wirklich jetzt gerade für uns da? Wie gefährlich ist die Situation wirklich? Was kann ich tun, um mich/die Familie zu schützen? Wenn wir uns konkret mit diesen Fragen auseinander setzen, erleben wir uns als handlungsfähig und aktiv gegenüber unserer Angst. Wichtig ist dabei, bei Informationen auf offizielle Informationen und Angaben zu vertrauen und nicht inoffizielle Tipps aus Foren, WhatsApp Gruppen oder anderen als vertrauenswürdig einzustufen. Merken wir, dass unsere Ängste zu groß werden, uns einschränken oder aggressiv werden lassen, sollten wir therapeutische Hilfe in Anspruch nehmen.

Delegierte Angst

Kinder spüren unsere Ängste. Auch wenn wir sie nicht aussprechen, stehen sie im Raum und umgeben uns. Sie können sich dann auf unsere Kinder übertragen, ohne dass sie diese Angst wirklich verstehen oder begreifen können. Es legt sich eine unbestimmte, verunsichernde Angst auf die Kinder. Sie werden ängstlich und manchmal dann wiederum von Eltern wegen der allgemeinen Ängstlichkeit verurteilt. Besser ist es deswegen, mit unseren Kindern zu reden: „Ich habe Angst/Sorge mich, es ist meine Angst, nicht deine. Deswegen bin ich gerade angespannt, aber du musst das nicht sein.“ Wichtig ist, hier altersangemessen mit den Informationen umzugehen. Es kann schon reichen, zu erklären, dass man selbst gerade durch bestimmte Umstände angespannt ist, ohne sie genauer auszuführen.

Größere Kinder kommen über andere Kinder, Kitas, Schulen und Medien vielleicht selbst in Kontakt mit dem ängstigenden Thema, nehmen dabei vielleicht sogar falsche Informationen auf. Deswegen ist es wichtig, dass wir unsere Ängste nicht nur nicht versuchen zu verbergen, sondern mit ihnen altersangemessen darüber sprechen. Sofern das Kind selbst Angst hat, soll es sich nicht alleingelassen fühlen. „Kinder brauchen Unterstützung, Solidarität, Parteilichkeit und Trost, wenn sie sich bedroht fühlen.“ erklären Gabriele Frick-Baer, Pädagogin und Therapeutin, und Dr. Udo Baer, Pädagoge und Therapeut**. Das Bindungssystem ist ein Schutzsystem von Seiten der Eltern für die Kinder und es unsere Aufgabe, ihnen einen Schutzraum auf körperlicher und psychischer Ebene zu sichern.

Wenn wir weiterhin offen sind, wenn wir Interesse an den Themen unserer Kinder haben und zeigen (ohne sie zu überwachen), dann stehen wir mit ihnen in einem Dialog über das Leben. Und egal ob Computerspiel, Mobbing, Schneeball-Whats-App-Nachrichten: Wenn wir eine gute Basis geschaffen haben, können unsere Kinder damit zu uns kommen und mit uns reden. Sie wissen, dass wir sie ernsthaft begleiten und ihnen zur Seite stehen, denn auch größere Kinder brauchen Schultern zum Anlehnen, wenn es mal anstrengend ist.“

S. Mierau (2019): Mutter.Sein

Positiven Alltag fokussieren

Eine Angst, besonders vor einer neu aufgetretenen Krankheit oder anderen neuen Umständen, kann auf einmal viel Raum einnehmen: Ständig ändern sich Angaben, Richtlinien und Informationen. Gerade durch moderne Medien werden wir im Minutentakt mit diesen Informationen konfrontiert und kommen so in die Gefahr, dass sich nur noch dieses Angst-Thema in den Fokus unseres Alltags schiebt und wir die zwischenmenschliche Kommunikation in der Familie aus den Augen verlieren.

Es ist deswegen gut, etwas Abstand zum Geschehen zu bekommen und nicht beständig das Internet und Nachrichtensendungen nach neuen Informationen abzusuchen, sondern eine feste Routine für die Informationssammlung einzunehmen, beispielsweise morgens und abends. So, dass wir das Gefühl haben, gut über die aktuelle Lage informiert zu sein, aber dennoch der Fokus auf den Beziehungen im Alltag ausgerichtet ist. Gerade auch Kinder brauchen Eltern, die ihnen zugewandt sind in dieser Zeit, in der die Eltern sich sorgen. Zuwendung, Beziehung und Bindung geben den Kindern ein Gefühl von Sicherheit, das sie jetzt gerade benötigen. Deswegen sind Pausen von der Informationsflut und ein bewusster normaler Familienalltag in den aktuellen Rahmenbedingungen wichtig.

Es ist normal, dass wir uns sorgen, wenn sich Rahmenbedingungen verändern. Und es ist wichtig, dass wir aktiv mit unseren Gefühlen umgehen und Kindern einen Schutzraum geben.

Eure

Zur Autorin:
Susanne Mierau ist Diplom-Pädagogin (Schwerpunkt Kleinkindpädagogik) und Familienbegleiterin. Sie arbeitete an der FU Berlin in Forschung und Lehre, bevor sie sich 2011 im Bereich bedürfnisorientierte Elternberatung selbständig machte. Ihr 2012 gegründetes Blog geborgen-wachsen.de und ihre Social Media Kanäle sind wichtige und viel genutzte freie Informationsportale für bedürfnisorientierte Elternschaft und kindliche Entwicklung. Susanne Mierau gibt Workshops für Eltern und Fachpersonal und spricht auf Konferenzen und Tagungen über kindliche Entwicklung, Elternschaft und Familienrollen.

Foto: Ronja Jung für geborgen-wachsen.de

Weiterführende Literatur:
*Bandelow, Borwin (2006): Das Angstbuch. Woher Ängste kommen und wie man sie bekämpft. – Reinbeck: Rowohlt Verlag.
**Baer, Udo/ Frick-Baer, Gabriele (2018): Wie Kinder fühlen. – Weinheim: Beltz.
Mierau, Susanne (2019): Mutter.Sein. Von der Last eines Ideals und dem Glück des eigenen Wegs. Weinheim: Beltz.

Familienalltag zu Hause gestalten

Während es einige Eltern gibt, die ihre Kinder generell zu Hause betreuen, ist es für andere eine große Veränderung, wenn langfristig die Betreuung außerhalb der Familie wegbricht – dies umso mehr, wenn sie bereits über einen längeren Zeitraum fester Bestandteil des Alltags geworden ist und die Familie nun emotional und auch strukturell in einer Umbruchphase steckt.

Sich jetzt gestresst und überfordert zu fühlen, ist normal

Dass Eltern dies als Herausforderung empfinden können, ist normal und sollte nicht diskutiert werden: Die Belastungsgrenzen, Ressourcen und Möglichkeiten einzelner Personen sind höchst individuell. Gerade Ängste, finanzielle Probleme bzw. finanzielle Ungewissheit, Kontrollverlust, gesundheitliche Einschränkungen oder fehlende Unterstützung können das persönliche Empfinden verschlechtern und unseren Stress erhöhen. Die Folge ist davon oft negatives Erziehungsverhalten: wir haben schlechte Laune, schimpfen mehr, schreien vielleicht oder überschreiten auf andere Weise die persönlichen Grenzen der Kinder.

Das kannst du für dich als erwachsene Person tun

Um dem vorzubeugen und das Konfliktpotential aus dem Alltag soweit möglich heraus zu nehmen, sollten wir zunächst auf persönlicher Ebene unser Sicherheitsgefühl stärken und die Belastungen minimieren. Dafür ist es wichtig, sich nicht für diese Gefühle zu schämen, sie nicht zu verstecken mit der Überforderung, sondern diese aussprechen zu dürfen, ohne dafür verurteilt zu werden. Eltern dürfen sich überlastet fühlen. Die aktuelle Situation kann anstrengend sein und je nach persönlicher Situation besondere Herausforderungen mit sich bringen, die ebenfalls benannt werden sollten. Sofern ein anderer Elternteil verfügbar ist, sollte gerade auch das Gefühl von Überforderung angesprochen werden. Dennoch sollten wir uns jedoch nicht diesem Gefühl der Überforderung ausliefern, sondern neben dem Benennen der Gefühle in Aktion kommen: Was kann ich konkret tun, um mir in meiner Situation zu helfen? Was kann/muss der andere Elternteil tun? Wo kann ich mich gut und objektiv informieren, welche Menschen sind gute Ansprechpartner*innen, wer kann mich aktiv unterstützen und verurteilt meine Situation nicht? Der Austausch mit anderen Eltern in einer ähnlichen Situation ist wichtig und hilfreich, weshalb der Auf- oder Ausbau eines verlässlichen Netzwerkes so wichtig ist: in der Umgebung, aber vor allem auch digital, wenn die persönlichen Kontaktmöglichkeiten gerade eingeschränkt sind. Eltern brauchen andere erwachsene Personen zum Austausch, zum Anlehnen, zum Reden und Lachen. Wer merkt, dass er nachhaltig überfordert ist von der Situation, sollte sich professionelle Hilfe holen.

Den Alltag neu gestalten

Mit einer Stärkung der persönlichen Sicherheit im Rücken, können wir dann den Alltag betrachten und in die Handlung kommen: Wir gestalten nun um, sind aktiv, legen neue Rahmenbedingungen in Zeiten der Veränderung vor für unsere Familie. Auch wenn es um uns gerade schwierig ist, haben wir einen Handlungsspielraum innerhalb unseren neuen Umfeldes.

In diesem Rahmen ist es wichtig, die Bedürfnisse aller Beteiligten ausreichend zu berücksichtigen: Zwar haben Erwachsene und Kinder gleiche Bedürfnisse, aber sie sind unterschiedlich ausgestaltet. Haben wir zwar beide das Bedürfnis nach Bewegung, kann dieses bei Kindern aber ganz anders aussehen als bei Erwachsenen: Kinder bewegen sich anders, brauchen andere Bewegungsmöglichkeiten und möchten beispielsweise hüpfen, springen, balancieren – weil das auch ihrem Entwicklungsbedürfnis entspricht, während wir Erwachsene vielleicht mit einer Yoga-App und langen Spaziergängen zufrieden sind. Es ist deswegen wichtig, dass wir Angebote aus verschiedenen Perspektiven und durch Kinderaugen betrachten.

Folgende Ideen können deswegen Inspirationen sein für den Alltag. Ob und wie es in euren Alltag passt, zu euren Temperamenten und Möglichkeiten, kann unterschiedlich sein.

Kinder wollen sich bewegen

  • Sofern möglich: Ausflüge unternehmen an der frischen Luft. Besonders Wald, weitläufige Parks und Felder bieten sich an.
  • Zu Hause brauchen Kinder ebenfalls Bewegungsmöglichkeiten. Das Bett kann nun zum Trampolin werden, wenn sonst zu wenig Bewegungsmöglichkeiten bestehen, aber auch andere Bewegungsformen können fehlen. Das Spiel „Wasser, Feuer, Erde, Luft“ kann Abwechslung bringen oder der Aufbau eines Balancier- und Kletterparcours: Vom Stuhl auf den Tisch über den Stuhl… Oder mit Matratzen wird eine Tobehöhle gebaut.
  • Auch die Klassiker können ein Revival erleben: Springseil, Hula-Hoop-Reifen,…
  • Musik entspannt uns und reduziert Ängste: Deswegen Musik an, gemeinsam tanzen. Auch Stopptanz ist bei Kindern immer wieder beliebt. Musik tut auch uns Eltern oft gut in angespannten Situationen.

Struktur

  • Vielen Eltern und Kindern tut es gut, eine Struktur für den Tag zu haben und relativ feste Zeiten zu benennen für die Mahlzeiten, für Ausruhzeiten, für gemeinsame Spiele. Gerade Eltern, die im Homeoffice arbeiten mit älteren Kindern, können feste Zeiten vereinbaren für gemeinsame Tätigkeiten oder für Kinder im Vorschulbereich auch die Eieruhr stellen: Wenn sie klingelt, spielen wir wieder zusammen.
  • Wenn Eltern im Homeoffice arbeiten mit Kindern zu Hause, ist es wichtig, die Erwartungshaltung zu minimieren: Arbeiten zu Hause mit Kindern ist nicht wie das Arbeiten im Büro. Die Kinder tragen nicht die Schuld daran, sondern verhalten sich einfach normal kindgerecht, wenn sie uns zwischendurch ansprechen, Zuwendung haben wollen, gemeinsames Spiel wünschen. Gerade für diese Tätigkeiten ist deswegen eine Struktur besonders wichtig und Eltern sollten genau einplanen, wann sie welche Arbeiten erledigen, Arbeiten aufteilen in absolut notwendig, die viel Konzentration erfordern und solche, die weniger Aufwand und Konzentration bedeuten. Die schwierigen Aufgaben sollten nach Möglichkeit nicht auf den Nachmittag/Abend gelegt werden, wenn die Kooperationsfähigkeit von Kindern natürlicherweise nachlässt, da das zu mehr Streit führt.

In den Alltag einbinden

  • Kinder sind soziale Wesen und wollen an unserem Alltag beteiligt sein. Sie sind kooperativ und wollen mitmachen, Teil der Gemeinschaft sein und sich aktiv einbringen. Manchmal haben wir im Alltag zu wenig Zeit dafür – nun können wir aber mit Kindern putzen, abwaschen, kochen etc. Alle Socken werden im Quadrat auf dem Boden ausgelegt als Sockenmemory.
  • Manchmal finden sich beim gemeinsamen Aufräumen auch tolle Ideen zum Spielen: der Pappkarton, der eigentlich in den Müll sollte, wird zum Puppenhaus/Auto/Rakete. Die ausrangierten Kleidungsstücke sind auf einmal tolle Verkleidungssachen. Bohnen und Linsen werden zum Schüttspiel.
  • Und auch im Kinderzimmer kann „Haushalt“ erledigt werden: Zusammen die Spielsachen sortieren und ordnen, alte, unbespielte Spielsachen aussortieren und in den Keller oder auf den Dachboden bringen (in ein paar Wochen können sie wieder hervorgeholt werden und werden meistens begeistert neu bespielt).
  • Größere Kinder können auch Mahlzeiten zubereiten und sich hierfür erst einen Plan machen und dann nach einfachen Kinderrezepten kochen und zubereiten. Vielleicht ist es anfangs noch ungewohnt und vielleicht schmeckt es auch noch nicht perfekt, aber auch dies ist ein Lernprozess und Kinder sind dann aktiv beteiligt und fühlen sich selbstwirksam und hilfreich. Auch das Backen ist eine tolle Alternative und das Verzieren von Keksen mit bunten Perlen etc. kann Kinder lange Zeit beschäftigen.

Medien? Medien!

  • Medien stehen immer wieder in der Kritik in Bezug auf Kinder. Dabei können sie eine kreative Möglichkeit für den Alltag sein und/oder eine Entspannungszeit einläuten oder ermöglichen – und auch das ist okay. Behalten wir einen ausgewogenen Alltag im Blick mit genügend Zeit für das Miteinander, müssen wir uns nicht an strengenden Zeitregeln orientieren (empfehlenswert hierzu dieser Podcast)
  • Mit dem Fotoapparat oder Handy können Bilder gemacht werden für eine eigene Bilder-Geschichte, die später als Buch zusammengeheftet werden kann oder in einem kleinen Fotobuch verewigt werden kann. Das kann auch an Freund*innen geschickt werden.
  • Die Freunde aus der Kita oder Schule fehlen, können aber gerade nicht getroffen werden? Dann ist es Zeit für Videotelefonate. Auch Briefe und Postkarten können geschrieben und gemalt werden. Mit der Post können auch Bücher ausgetauscht werden.
  • Hörspiele, Hörbücher, Musik – das sind wunderbare Möglichkeiten für Kinder, um zu lauschen, sich auszuruhen oder auch zur Bewegung anzuregen. Viele Bibliotheken ermöglichen auch die Online-Ausleihe von Kinderbüchern, wie beispielsweise hier in Berlin.
  • Zudem gibt es auch tolle Möglichkeiten, die das Netz aktuell bietet: Zum Beispiel gibt es Museen, die virtuelle Führungen anbieten, auf Instagram bieten einige Eltern an, aus Kinderbüchern vorzulesen und man kann die eigenen Kinder dann einfach „dazusetzen“.
  • Medien können auch tolle Anregungen bieten für den Alltag: ein Bullerbü-Tag kann mit Zimtschnecken zelebriert werden oder am Sams-Tag bekommen alle blaue Flecken, es gibt (vegetarische) Würstchen und können sich etwas wünschen…
  • Größere Kinder können sich auch in das Programmieren vertiefen und damit viele Erfahrungen machen. Hier haben wir einmal einige Anregungen für den Einstieg in das Programmieren zusammengefasst.

Kreativität und Spiel

  • Kinder eignen sich im Spiel die Welt an und wollen beständig lernen und ihre Erfahrungen ausbauen. Im Spiel tun sie dies, indem sie kreativ damit umgehen. Wenn die Rahmenbedingungen einschränkend sind, ist es besonders wichtig, dass Kinder ihre Fantasie ausleben können und Kreativität entfalten können. Gute Materialien dafür sind beispielsweise (Holz-)Bausteine, Lego, Bügelperlen, Wasserperlen, Murmeln, Bastelmaterialien (bunte Papiere, Kleber, Pfeifendraht, Washi-Tape, Farbstifte, Fingerfarben, Wasserfarben, Scheren, Knete) – also all jene Materialien und Spielzeuge, die Vielfalt an Handlungen und Spielen zulassen und die Fantasie nicht begrenzen.
  • Viele kreative Spielmaterialien lassen sich auch selbst herstellen: selbstgemachte Knete, Salzteig, Farben, Papier schöpfen aus Altpapier. Einige einfache Ideen findet Ihr hier. Größere Kinder lieben es, Schleim selbst herzustellen. Auch Seifen können selbst gemacht werden in unterschiedlichen Farben, mit Düften und mit Spielfiguren darin – auch das ist ein schönes Geschenk, das mit der Post versendet werden kann an Familie und Freund*innen.
  • Es gibt viele schöne Brettspiele für Kinder. Seit einigen Jahren erscheinen auch immer mehr kooperative Brettspiele für Kinder: In diesen geht es nicht darum, dass eine Person gewinnt und sich gegen andere durchsetzt, sondern um das Miteinander, um Kooperation und das gemeinsame Erreichen eines Ziel. Diese Spiele regen das Miteinander an und sind deswegen gerade jetzt besonders passend und können die aktuellen Werte unterstützen. Über einige kooperative Spiele haben wir hier berichtet.

Schule

  • Viele Schulen bieten an, den Kindern Aufgaben zukommen zu lassen und diese auch zu kontrollieren. Andere haben bereits Online-Lernplattformen für die eigenen Schüler*innen. Zudem gibt es diverse private Lernplattformen, teilweise kostenpflichtig allerdings.
  • Kinder können daneben allerdings auch privat Projekte durchführen und kreativ umsetzen. Beispielsweise das Thema Frühling kann aufgegriffen werden und es werden in der Natur die Pflanzen betrachtet, abgezeichnet, dann kann mit Büchern oder über das Netz herausgesucht werden, wie die Pflanzen heißen, es können Steckbriefe geschrieben werden oder Briefe an Familie/Freund*innen über die Naturbeobachtungen. Auf diese Weise können verschiedene Themen bearbeitet werden.

Habt Ihr noch weitere Ideen? Weitere Inspirationen findet Ihr auch hier auf Twitter in den Antworten. Auf Instagram biete ich hier abends regelmäßig Live-Gespräche an, in dem wir uns über den Alltag austauschen können.

Eure

Zur Autorin:
Susanne Mierau ist Diplom-Pädagogin (Schwerpunkt Kleinkindpädagogik) und Familienbegleiterin. Sie arbeitete an der FU Berlin in Forschung und Lehre, bevor sie sich 2011 im Bereich bedürfnisorientierte Elternberatung selbständig machte. Ihr 2012 gegründetes Blog geborgen-wachsen.de und ihre Social Media Kanäle sind wichtige und viel genutzte freie Informationsportale für bedürfnisorientierte Elternschaft und kindliche Entwicklung. Susanne Mierau gibt Workshops für Eltern und Fachpersonal und spricht auf Konferenzen und Tagungen über kindliche Entwicklung, Elternschaft und Familienrollen.

Foto: Ronja Jung für geborgen-wachsen.de

Unterschiedliche Erziehungsstile als Elternpaar? – Erziehung gemeinsam gestalten und sich wertschätzen

„Natürlich sind wir einer Meinung, was die Erziehung unserer Kinder betrifft!“ denken wahrscheinlich viele Eltern, die die Sorge und Pflege der Kinder in der ein oder anderen Form teilen. Auf den zweiten Blick tun sich dann aber doch hier und da Unterschiedlichkeiten auf und an manchen Stellen kommt es gelegentlich auch zum Streit: „Ich habe doch aber gesagt, wir sollen es so tun und nicht anders!“ oder auch „Lies doch endlich mal die Bücher, die ich Dir gegeben habe, wir wollen unsere Kinder doch modern begleiten!“ oder „Nie hörst Du Dir meine Gedanken zur Erziehung an!“ – Elternschaft ist nicht nur deswegen manchmal schwierig, weil die Begleitung der Kinder Kraft und Energie kostet, sondern auch, weil sie nicht in einem luftleeren Raum stattfindet und wir uns mit Freunden, Verwandtschaft und eben auch dem anderen Elternteil verständigen müssen.

Der gegenseitige Schutzhafen

In Bezug auf unsere Kinder sprechen wir oft davon, dass wir der sichere Hafen für sie sind. Wir stellen Bindung her, indem wir ihnen Schutz, Fürsorge und Freiheit geben und sie durch schwierige und schöne Momente begleiten und sie dabei annehmen, wie sie sind. Sie wissen: Auch wenn ich meine Flügel ausbreite, kann ich in das Nest zurückkehren. Auch in einer Beziehung mit einem erwachsenen Menschen gehen wir eine Bindung ein und auch dort ist es wichtig zu wissen, dass wir aufgefangen werden können und der andere Elternteil ein sicherer Hafen sein kann. Es ist wichtig, dass wir als Person gesehen werden mit unseren Werten, Bedürfnisse, unseren (Lebens-)vorstellungen und Ideen. Es ist wichtig, dass wir wertgeschätzt werden als Personen in unserem Handeln und Sein.

Werten wir die andere Person ab, nehmen wir ihre Vorstellungen und Bedürfnisse nicht ernst, stören wir das Beziehungsgefüge. Das kann passieren, wenn wir uns nicht mit den Werten der anderen Person auseinander setzen wollen. Oder wenn wir uns in unserem Tun überlastet und nicht wertgeschätzt fühlen: „Selber Schuld, dass das Kind immer so an Dir klebt und abends so lange braucht zum Einschlafen!“ In einem solchen Konflikt wird nicht gesehen, wie anstrengend die Begleitung von Kindern sein kann und dass es nicht eine Frage der Schuld ist, dass das Kind nicht allein einschläft, sondern eine Frage der Erziehungshaltung.

Ganz besonders schwierig wird es bisweilen in ohnehin schon angespannten Situationen: Das Kind ist wütend – eine oftmals anstrengende Situation für Eltern. Vielleicht kann ein Elternteil mit der Wut des Kindes nicht gut umgehen, das belastet den anderen Elternteil und auch die Beziehung. Oder sie haben gleiche oder unterschiedliche Lösungsstrategien (Wut und/oder Ohnmacht) und behindern sich dadurch im Umgang, sind also keine Sparringspartner in schwierigen Situationen. Die große Frage, die sich daraus ergibt, heißt also: Wann sollten Eltern übereinstimmen, und müssen sie es in Hinblick auf Erziehung überhaupt – oder ist es egal?

S. Mierau (2019): „Mutter.Sein. Von der Last eines Ideals und dem Glück des eigenen Wegs.“ S. 193

Unterschiedliche Wege gemeinsam betrachten und anerkennen

Es ist in Ordnung, wenn wir nicht immer einer Meinung sind als Eltern. Und auch dass wir unterschiedlich mit einzelnen Situationen der Kinder umgehen, ist ganz normal: Ein Elternteil kuschelt mit dem Kind bis es eingeschlafen ist, das andere liegt daneben und liest etwas. Ein Elternteil spielt gerne Gesellschaftsspiele, der andere bastelt lieber mit den Kindern. Ein Elternteil singt dem weinenden Kind etwas vor, der andere hält es „nur“ im Arm. Wir können unterschiedliche Wege gehen und dennoch zugewandt und liebevoll sein in den verschiedenen Wegen. Kinder lernen hiervon auch, dass es unterschiedliche Wege gibt, um Gefühle auszudrücken oder mit Situationen umzugehen. Es ist eine Bereicherung für sie, dass Eltern nicht immer alles gleich machen müssen.

Wichtig ist allerdings, dass wir in den grundlegenden Punkten übereinstimmen und in den Austausch kommen, wenn wir große Unterschiede feststellen, denn diese Unterschiede können auf Dauer zu Problemen werden. Wenn ein Elternteil die Kinder stärker bedürfnisorientiert begleitet, fordern die Kinder selbstverständlich von diesem Elternteil auch mehr Begleitung ein: Die Lastenverteilung kommt in ein Ungleichgewicht und ein Elternteil wird mit der Begleitung der Kinder mehr belastet.

Auch wenn Eltern grundlegend in ihrer Ausrichtung übereinstimmen, kann es zu unterschiedlicher Bevorzugung der Eltern kommen und zeitweise wird ein Elternteil (oft jenes, das mehr anwesend ist oder in einem konkreten Fall eher die konkreten Bedürfnisse erfüllt) bevorzugt. Stimmen beide Eltern in der grundlegenden Haltung jedoch überein, haben sie Verständnis dafür und fangen sich gegenseitig auf und teilen Lasten. Wendet sich ein Elternteil nun an den anderen, um aufgefangen zu werden, die eigene Not zu teilen und wertgeschätzt zu werden, kann dieser positiv darauf eingehen, wertschätzen und versuchen, zu entlasten.

Es kann aber auch passieren, dass der andere Elternteil kein Verständnis für die Bedürfniserfüllung des anderen zeigt, diesen zurückweist und mit der Last allein lässt. So erfolgt weder eine Entlastung, noch eine Wertschätzung. Der Elternteil, der das Kind begleitet, ist mit der emotionalen Last der Begleitung allein und bekommt hierfür keine Wertschätzung oder Anerkennung. Das Gefühl, in der Beziehung aufgefangen zu werden, ist nicht gegeben. Weiterer ungünstiger Effekt kann sein, dass der Elternteil, der von den Kindern weniger beansprucht wird, sich abgelehnt und ausgegrenzt fühlt und dafür die andere Erwachsenenperson mit ihrer Erziehungshaltung verantwortlich macht: Ein ungünstiger Kreislauf, der zu gegenseitigen Vorwürfen und Überlastungen führt.

Miteinander reden

Es klingt so einfach, und ist doch so schwer: Als Eltern müssen wir miteinander reden. Und nicht nur das: Wir sollten versuchen, gleichermaßen die Bedürfnisse von Kindern zu begleiten und zu erfüllen. In der Ausgestaltung kann das durchaus unterschiedliche sein, aber in der gleichwertigen Beantwortung sollten wir uns austauschen. Und auch wenn es manchmal einfacher erscheinen mag, sitzen zu bleiben, weil der andere Elternteil gerade angefragt wird, sollten wir dennoch aufstehen und das Bedürfnis des Kindes begleiten, wenn die andere erwachsene Person schon beim letzten Mal dran war/gerade erschöpft ist/einfach auch mal eine Pause macht. Wir können uns ergänzen und gegenseitig halten. Beide Elternteile können für alle Bedürfnisse Ansprechpartner*in sein und sich abwechseln, um einer Überforderung einer Person vorzubeugen und gleichzeitig die Wertschätzung des anderen nicht aus den Augen zu verlieren. Gerade im oft anstrengenden Leben mit Kindern tut es gut, sich anlehnen zu können an andere Menschen und aufgefangen zu werden, wenn wir es brauchen. Auch als Erwachsene brauchen wir einen sicheren Hafen, den wir ansteuern können, wenn es gerade schwierig ist.

Eure

Zur Autorin:
Susanne Mierau ist Diplom-Pädagogin (Schwerpunkt Kleinkindpädagogik) und Familienbegleiterin. Sie arbeitete an der FU Berlin in Forschung und Lehre, bevor sie sich 2011 im Bereich bedürfnisorientierte Elternberatung selbständig machte. Ihr 2012 gegründetes Blog geborgen-wachsen.de und ihre Social Media Kanäle sind wichtige und viel genutzte freie Informationsportale für bedürfnisorientierte Elternschaft und kindliche Entwicklung. Susanne Mierau gibt Workshops für Eltern und Fachpersonal und spricht auf Konferenzen und Tagungen über kindliche Entwicklung, Elternschaft und Familienrollen.

Foto: Ronja Jung für geborgen-wachsen.de

Weiterführende Literatur*:
Mierau, Susanne (2019): Mutter.Sein. Von der Last eines Ideals und dem Glück des eigenen Wegs. Weinheim: Beltz.
Becker-Stoll, Fabienne (2018): Bindung. Eine sichere Basis fürs Leben. München: Kösel.
Mik, Jeannine/Teml-Jetter, Sandra (2019): Mama, nicht schreien! Liebevoll bleiben bei Stress, Wut und straken Gefühlen. München: Kösel.

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Alleine-Zeit: Quality-Time für Geschwisterkinder

„Ich will etwas mit Dir alleine machen!“ – Wer mehrere Kinder hat, kennt diesen Satz wahrscheinlich. Alleine-Zeit: Zeit mit einem Elternteil ohne andere Geschwister. Die Aufmerksamkeit nicht teilen, mal (wieder) im Mittelpunkt stehen, nicht von einem jüngeren Geschwisterkind belästigt werden, die Sachen beschützen müssen, aufpassen.

Wenn Eltern von ihren Kindern hören, dass diese sich „Alleine-Zeit“ wünschen, beschleicht sie manchmal ein schlechtes Gewissen: „Ich kümmere mich doch zu wenig.“ „Ich kann einfach nicht beiden/mehreren gleichzeitig gerecht werden.“ „Vielleicht geht doch eines der Kinder unter, weil es mehrere sind?“ – Natürlich können wir mehreren Kindern nicht in der Art gerecht werden, wie wir es bei nur einem Kind konnten. Aber dennoch haben Kinder auch in dieser Konstellation mit Geschwistern besondere Momente und die Chance, andere Dinge zu lernen, als wenn sie die Geschwister nicht hätten. Das Leben mit Geschwisterkindern ist anders als als Einzelkind und beide Möglichkeiten haben ihre Vor- und Nachteile. Grämen wir uns also als Eltern nicht, wenn wir mehrere Kinder haben, dass wir sie nicht alle als Einzelkind wachsen lassen können, sondern fokussieren wir uns auf das, was sie an positiven Erfahrungen aus diesem Alltag gewinnen. – Und gönnen wir ihnen ab und zu ganz besondere Aufmerksamkeitszeiten.

Muss es eine besondere Aktivität sein?

Wir denken oft, dass wir unseren Kindern etwas besonders schön machen, wenn wir uns etwas ganz Besonderes einfallen lassen: Ein besonderes Ausflugsziel, ein teurer Kinonachmittag, ein Ausflug mit einer besonderen Attraktion. Fragen wir das Kind aber nach einem Wunsch, bekommen viele Eltern die Antwort, dass das Kind gar keiner besonderen Tätigkeit nachgehen möchte, sondern einfach Zeit zu zweit sucht zu Hause. Denn die Frage nach Alleine-Zeit ist meistens nicht die Frage nach einer besonderen Attraktion, sondern nach Beziehung. Sie kann nicht mit Geld bezahlt werden, sondern nur mit Aufmerksamkeit. Sie sagt aus: „Ich möchte Zeit mit Dir alleine haben, in der Du nur mich siehst und Dich nur mit mir beschäftigst.“ Gehen wir ins Kino, steht der Film im Fokus und wir beschäftigen uns wenig miteinander. Gehen wir auf den Spielplatz, sind dort vielleicht andere Kinder und das gemeinsame Eltern-Kind-Spiel tritt in den Hintergrund. Alleine-Zeit meint deswegen mit Vorschulkindern meistens: Verbringe einfach ganz normal zu Hause Zeit mit mir und spiel mit mir, was ich gerne mag.

Spiel in Beziehung

Bleiben wir also zu Hause und gehen wir in Beziehung mit unserem Kind. Jetzt haben wir die Chance, uns mitteilen zu lassen, was das Kind gerade bewegt: Wo die Entwicklungsschwerpunkte gerade sind, was es bedrückt und erfreut, welche Themen es gerade besonders gerne mag. Lassen wir also das Kind bestimmen, was in der Alleine-Zeit stattfindet und halten wir unsere eigenen Spielwünsche für diesen Moment zurück. Jetzt, heute darf das Kind allein bestimmen und wir wertschätzen die Wahl des Kindes und drücken bereits damit aus, dass es gesehen wird, dass seine Wünsche wichtig sind und berücksichtigt werden.

Qualität vor Quantität im Alltag

Es ist im Familienalltag nicht immer einfach, Alleine-Zeit einzuplanen. Gerade dann nicht, wenn es mehr als zwei Kinder sind. Ist der Altersabstand groß, bietet sich der Abend oft für eine kurze tägliche Alleine-Zeit an: Das größere Kind kann sich mit dem anderen Elternteil (sofern vorhanden) Alleine-Zeit genießen und das kleine Kind mit dem anderen. Gut ist es, auch hier zu variieren. Gibt es nur einen Elternteil, kann das größere Kind vielleicht einer Beschäftigung allein nachgehen, während das kleinere Kind spielen kann, ins Bett gebracht wird und danach das größere Kind noch einmal Alleine-Zeit bekommt. Diese abendliche Zeit muss nicht besonders lang sein. Dafür lassen wir auch hier das Kind bestimmen. Routinen wie Zähneputzen und Schlafanzug-Anziehen, die ja oft Elternregeln unterliegen, zählen allerdings nicht in die Zeit.

Manchmal ist es auch möglich, eine solche Zeit am Nachmittag einzuplanen, wenn ein Geschwisterkind gerade in eine Tätigkeit versunken ist und wir uns dem anderen intensiv widmen können. Wichtig dabei ist: Wirklich abzuschalten und den Fokus darauf zu legen, dass jetzt wirklich der Wunsch des Kindes im Mittelpunkt steht. Auch andere Störfaktoren sollten während der Alleine-Zeit beiseite gelassen werden: Smartphone, Telefon und anderes sind jetzt zur Seite zu legen.

Jedes Kind will gesehen werden, muss in seiner Individualität betrachtet werden und braucht ab und zu die Chance, die Akkus an Zuwendung wieder ganz aufzufüllen. Mit einer festen Planung von solchen Zeiten, können wir dem Bedürfnis des Kindes nachkommen.

Eure

Zur Autorin:
Susanne Mierau ist Diplom-Pädagogin (Schwerpunkt Kleinkindpädagogik) und Familienbegleiterin. Sie arbeitete an der FU Berlin in Forschung und Lehre, bevor sie sich 2011 im Bereich bedürfnisorientierte Elternberatung selbständig machte. Ihr 2012 gegründetes Blog geborgen-wachsen.de und ihre Social Media Kanäle sind wichtige und viel genutzte freie Informationsportale für bedürfnisorientierte Elternschaft und kindliche Entwicklung. Susanne Mierau gibt Workshops für Eltern und Fachpersonal und spricht auf Konferenzen und Tagungen über kindliche Entwicklung, Elternschaft und Familienrollen.

Foto: Ronja Jung für geborgen-wachsen.de