Alle Artikel von Susanne Mierau

New Parents for Rebel Boys

Wir haben ziemlich feste Vorstellungen davon, wie sich Mädchen und Jungen, Frauen und Männer in unserer Gesellschaft zu verhalten und zu bewegen haben. Auch wenn immer wieder betont wird, dass wir schon längst gleichberechtigt wären, sprechen Statistiken eine andere Sprache. Männlichkeits- und Weiblichkeitsnormen sind festgelegt und wirken sowohl auf Jungen, als auch Mädchen in vielfacher Weise negativ. In ihrem kürzlich erschienenen Buch „Gegen Frauenhass“ beschreibt Rechtsanwältin und Aktivistin Christina Clemm nachdrücklich, wie Mädchen und Frauen weltweit, aber auch hierzulande unter ökonomischer, psychischer und physischer Gewalt leiden und welche patriarchalen Strukturen und Männlichkeitsbilder dahinter stehen. Sie betont (2023, S.226) „Gegen Sexismus und Frauenhass muss auf allen Ebenen, so früh wie möglich und mit vielen Ressourcen, Fantasie und Mut gekämpft werden. Dabei reicht es nicht, sich den Unterdrückungsmechanismen entgegenzustellen, Menschen müssen befähigt werden, Geschlechtergerechtigkeit zu verstehen und dafür einzutreten. Dies fängt bei der Erziehung, der Bildung an.“

Was wir in jungen Jahren lernen, ist wichtig für die folgende Generation. Wir müssen also nicht nur Mädchen anders begleiten, stärken und den Weg für Gleichberechtigung ebnen, sondern auch unsere Söhne anders erziehen. Zugegeben: Es wird dauern, bis eine neue Generation Männer herangewachsen ist. Deswegen müssen wir mehrgleisig fahren: unsere Töchter stärken, den Gewaltschutz und die Strafverfolgung von Gewalttaten erhöhen und die Bilder von „Männlichkeit“ verändern.

Susanne Mierau „New Moms for Rebel Girls“, S. 214f.

Schluss mit Abhärtung gegenüber Gefühlen

Noch immer dominieren Vorstellungen von einer bestimmten Art von Männlichkeit die Erziehung. Oft ist es uns nicht einmal bewusst, dass wir versuchen, Jungen eher „abzuhärten“, indem wir ihnen den Zugang zu bestimmten Emotionen verwehren. „Jetzt stell dich nicht so an!“, „Jungs heulen nicht!“, „Du musst dich eben mehr durchsetzen, wenn du etwas willst!“ sind typische Sätze, die wir Jungen entgegenbringen. Auch dass wir bei ihnen viel bereitwilliger annehmen, dass sie Konflikte gewaltvoll lösen und ihnen deswegen bei Konflikten weniger Begleitung und gewaltfreie Alternativen aufzeigen, ist weit verbreitet: „Jungs sind eben so, die regeln das unter sich schon!“

Gerade die Gefühlsregulation ist aber ein wichtiger Baustein der Entwicklung: Wenn wir lernen, dass es hilfreich ist, dass bestimmte Gefühle von anderen Menschen mitreguliert werden, dass man überhaupt alle Gefühle haben darf und wie man gesund mit ihnen umgeht, können wir diese Offenheit für uns selbst nutzen, aber auch anderen Menschen entgegen bringen. Gefühle sind ein Ausdruck von Bedürfnissen, die dann zu Handlungen führen: Wenn Menschen nicht lernen, welche Bedürfnisse in welchen Gefühlen zum Ausdruck kommen (und andersherum), wenn sie nicht lernen können, die passenden, sozialverträglichen Handlungen daraus abzuleiten, damit sie ihre Bedürfnisse befriedigen können, stellt das für den Einzelnen, aber auch die Gruppe, ein Problem dar, weil diese Handlungen uns alle betreffen.

Was bedeutet das also? Wir müssen aufhören, Jungen den Zugang zu wesentlichen Gefühlen zu verwehren und ihnen erlauben, alle Gefühle zuzulassen und sie passend begleiten. Anlässe, um über Gefühle zu sprechen, gibt es jeden Tag: Nach jeder Auseinandersetzung (die zwischen Kindern durchaus normal sind), können wir darüber sprechen, was wohl die andere Person gefühlt haben mag. Darüber hinaus können wir – Mütter wie Väter – über unsere eigenen Gefühle sprechen und zeigen und erklären, wie wir mit ihnen umgehen.

Kooperation statt Konkurrenz

Gerade der Konfliktbereich ist ein wichtiges Themenfeld in der Begleitung von Jungen. Wie schon erwähnt, sollten sie Konfliktlösungen jenseits von verbaler und körperlicher Gewalt erfahren können. Dafür brauchen sie Unterstützung und Anleitung. Gleichzeitig werden sie oft auch bewusst in Wettbewerbs- und Konkurrenzsituationenn gebracht, die bei Jungen als selbstverständlich betrachtet werden. Nicht selten werden in Wettbewerbssituationen zudem gleichgeschlechtliche Gruppen gebildet, die das Gegeneinander der Geschlechter betonen „Jungs gegen Mädchen!“ anstatt mit gemischten Gruppen ein besseres Miteinander zu gestalten und diese Konkurrenzsituation aufzuheben. Durchaus müssen Wettbewerbssituationen nicht gänzlich ausgeschlossen werden, aber durch eine Balance von Wettbewerb und Kooperation, gepaart mit gemischten Wettbewerbsgruppen, kann ein anderes Miteinander gestaltet werden als in aufgeteilten und ausschließlichen Wettbewerbsangeboten.

Das Kümmern erlernen

Eng zusammen mit der emotionalen Entfremdung steht die Entfremdung des Umsorgens. Schon in der Auswahl von Spielmaterialien legen viele Eltern früh fest, was geeignetes Spielzeug für Jungen und Mädchen wäre. Oft wird dabei argumentiert, Mädchen und Jungen würden „von Natur aus“ mit bestimmten Sachen lieber spielen. Die Neurowissenschaftlerin Lise Elliot hat die Unterschiede zwischen den Geschlechtern untersucht und erklärt in ihrem Buch „Wie verschieden sind sie?“, dass es durchaus Unterschiede zwischen den Geschlechtern gibt, diese aber sehr gering und der Einfluss der Kultur wesentlich größer ist: Es müssen nicht alle Kinder gleichermaßen mit Puppen und Autos spielen und sie dürfen persönliche Vorlieben haben, aber wir sollten sie nicht per se aufgrund unserer Geschlechtszuschreibung von einem Spielbereich fernhalten: „Geh mal zu den anderen Jungen in die Bauecke!“.

Das Entfremden vom Umsorgen erstreckt sich zudem über wesentlich mehr als „nur“ die Spielzeugauswahl. Es betrifft auch die Frage, ob wir Jungen eher aus den sozialen Nahräumen wegschicken – „Los, geh draußen was spielen!“ oder ihnen die Chance geben, zu Hause beteiligt zu sein bei Care-Arbeiten wie der Essenszubereitung, die gleichzeitig auch soziale Interaktion und Kooperation bedeuten. Wir wissen, dass das Einbinden von Kindern in die Hausarbeit ein Aspekt der Entwicklung psychischer Widerstandsähigkeit (Resilienz) sein kann, da sich Kinder als selbstwirksam und wichtig für die Gruppe erleben, wenn sie innerhalb der Gruppe (altersentsprechend) für wichtige Aufgaben eingebunden werden. Gleichzeitig werden Jungen aber weniger in Hausarbeiten involviert als Mädchen. Gerade wenn es mehrere Kinder unterschiedlichen Geschlechts in einer Familie gibt, ist es sinnvoll, die Verteilung von Aufgaben noch einmal genauer anzusehen und zu überprüfen, ob diese tatsächlich gerecht verteilt sind.

Vorbilder in der Familie

Zentral für eine neue Art der Erziehung ist nicht nur das, was wir mit den Kindern tun, sondern auch das, was sie von uns als Vorbild erfahren. New Girls und New Boys brauchen nicht nur New Moms, sondern ganz besonders auch New Dads, die ihnen ein Vorbild darin sind, über Gefühle zu sprechen, die sie beim Kümmern um andere sehen und erleben, die Care-Arbeit selbstverständlich und bereitwillig übernehmen, die andere Menschen nicht wegen ihres Geschlechts abwerten und sich aktiv gegen die Abwertung anderer stellen. Hier gibt es noch erheblichen Spielraum, da Väter weiterhin – obwohl sie statistisch betrachtet mehr Sorgearbeit übernehmen wollen – es doch nicht tun und auch weiterhin weniger Elternzeit nehmen.

Gerade das Verhalten von Eltern einander gegenüber – ob nun innerhalb einer Paarbeziehung oder bei getrennten Eltern – ist ein wichtiges Vorbild für Kinder: Gehen diese nahen Bezugspersonen respektvoll miteinander um? Wie streiten und versöhnen sie sich? In der Kindheit erlernen wir Muster von Schuldzuweisungen, Rache, Bestrafung etc. in Konfliktsituationen, die unser Bild von nachhaltig prägen können. Werden Konflikte konstruktiv gelöst, ist das für Kinder nachhaltig hilfreich.

Wir brauchen nicht nur „New Moms for Rebel Girls“, wir brauchen auch ein Umdenken in Hinblick auf die Erziehung von Jungen. Wir brauchen New Dads, die sich um Jungen wie Mädchen modern, gefühlvoll und achtsam kümmern und ihnen ein Vorbild sind im Alltag. Hierdurch kann es uns gelingen, Gesellschaft zu verändern und Kindern ein gesünderes Aufwachsen zu ermöglichen jenseits von festen Rollenzuschreibungen, die ihnen auf allen Seiten schaden.

Eure

Zur Autorin:
Susanne Mierau ist Diplom-Pädagogin (Schwerpunkt Kleinkindpädagogik) und Familienbegleiterin. Sie arbeitete an der FU Berlin in Forschung und Lehre, bevor sie sich 2011 im Bereich bedürfnisorientierte Elternberatung selbständig machte. Ihr 2012 gegründetes Blog geborgen-wachsen.de und ihre Social Media Kanäle sind wichtige und viel genutzte freie Informationsportale für bedürfnisorientierte Elternschaft und kindliche Entwicklung. Susanne Mierau gibt Workshops für Eltern und Fachpersonal und spricht auf Konferenzen und Tagungen über kindliche Entwicklung, Elternschaft und Familienrollen.

Foto: Ronja Jung für geborgen-wachsen.de

Umsorgen wird gelernt

„Mütter können das eben besser!“, „Mütter haben das im Gefühl!“ Diese und ähnliche Sätze kennen viele Eltern. Sie zementieren den Glauben daran, dass Mütter ihre Kinder besser versorgen könnten, weil sie eben Mütter sind. Tatsächlich aber ist das Umsorgen etwas, das wir zu großen Teilen erlernen. Durchaus gibt es einige in uns angelegte Verhaltensweisen, die quasi instinktiv erfolgen: Dass wir in der Regel auf das Weinen eines Babys mit Zuwendung reagieren etwa oder dass wir Babys mit einer höheren Stimmlage mit längeren Pausen ansprechen, der Augenbrauengruß. – Aber selbst dies sind keine Verhaltensweisen, die insbesondere Mütter zeigen, sondern Verhaltensweisen von Menschen. Selbst Kinder reagieren auf weinende Babys und zeigen eine Veränderung ihrer Sprache, wenn sie sich ihnen zuwenden.

Jedes Kind ist anderes

Dass wir erst lernen müssen, wie wir Kinder versorgen, ist durchaus sinnvoll: Schließlich kommen Kinder schon mit unterschiedlichen Ausdrucksarten und Bedürfnissen zu uns. Sie unterscheiden sich in Merkmalen wie der Erregbarkeit, der Tröstbarkeit und ihrem Ausdruck – bei jedem einzelnen Kind müssen wir erst lernen, wie genau es sich ausdrückt und wie wir es begleiten und co-regulieren können, um seine Bedürfnisse zu erfüllen. Hätten wir eine Standardeinstellung des Umsorgens, könnten wir den unterschiedlichen Bedarfen nicht gerecht werden. Da wir das Umsorgen des Kindes aber lernen, ist es möglich, sich nach und nach auf das Kind einzustellen. Hilfreich ist es natürlich, wenn wir schon einige praktische Handgriffe und Vorgehensweisen bei anderen abschauen konnten. Das Leben in Gemeinschaft hilft uns normalerweise, damit wir nicht ganz unvorbereitet in die Elternschaft gehen: Wir können etwas über den Umgang mit Babys und Kindern lernen, indem wir dies direkt in der Umgebung erleben, beispielsweise durch Geschwisterkinder, aber auch durch andere Familien mit Babys und Kindern im nahen Umfeld. Gerade das Stillen von Babys und Kleinkindern ist ein gutes Beispiel für erlerntes Verhalten von Eltern: Bestenfalls können wir bei anderen schon erfahren, wie ein Baby (auf vielfältige Weise) angelegt werden kann und wie das Stillen aussieht. Zumindest dann, wenn ein Elternteil selbst stillen möchte, braucht es oft Unterstützung durch eine andere erfahrene Person, Hebamme oder Stillbegleiterin.

Wir lernen es durch das Tun – geschlechtsunabhängig

Aber sind nun Mütter lernfähiger und stimmen die Mythen rund um den Mutterinstinkt vielleicht doch? Untersuchungen aus der Neurowissenschaft zeigen uns das Gegenteil: Wichtig für das Erlernen des Umsorgens ist, dass wir es tun, die Möglichkeit dazu haben und passende Rahmenbedingungen für das Umsorgen geschaffen werden. Je nachdem wie stark schon in der Schwangerschaft die Veränderungen des Gehirns sind, gelingt das Umsorgen später leichter oder schwerer, erklären Annika Rösler und Evelyn Höllrigl Tschaikner in ihrem Buch „Mythos Mutterinstinkt“. Einige Mütter brauchen mehr Unterstützung und Hilfe als andere. Sie schreiben (2023, S.73f.): „Die Sensibilisierung [für das Umsorgen durch Schwangerschaft und Geburt] bedeutet aber nicht, eine besondere Kompetenz qua Geburt (der eigenen oder des Kindes) erlangt zu haben oder instinktiv zu wissen, was zu tun ist. Und schon gar nicht auf Knopfdruck zu lieben. Aber in der Tat erhalten gebärende Frauen eine Art garantierte Eintrittskarte für das Abenteuer Elternschaft. Während sich nicht biologische Mütter, Väter, Adoptiveltern etc. diese Eintrittskarte erst einmal aktiv besorgen müssen. Also auch gewillt sein müssen, sich in dieses Abenteuer zu stürzen.“

Das Geschlecht spielt für den Lernprozess des Umsorgens keine erhebliche Rolle, auch wenn es einige Vorteile durch die bereits in der Schwangerschaft entstehenden Prozesse gibt. Während der Schwangerschaft, aber ganz besonders danach, verändert sich unser Gehirn – auch bei nicht-gebärenden Personen kommt es zu Veränderungen. Die tiefgreifenden neurologischen Veränderungen entstehen unter Einsatz von Zeit und Energie, wie die Wissenschaftsjournalistin Chelsea Conaboy in ihrem Buch „Mutterhirn“ beschreibt. Auch auf der hormonellen Ebene finden Veränderungen durch das Umsorgen statt: Auch Väter schütten mehr Oxytocin und Prolaktin aus, ihr Testosteronspiegel sinkt. Einige werdende Väter erleben sogar das Couvade-Syndrom, bei dem es zu Symptomen kommt, die denen der Schwangerschaft sehr ähneln (Gewichtszunahme, Schlaflosigkeit,…).

Muttertät

Schon in den 70er Jahren wurde von der Anthropologin und Doula Dana Raphael die Bezeichnung Matrescence für die Phase der Veränderung geprägt, der erst in den 2000er Jahren wieder aufgegriffen wurde im Bereich der Psychologie. Die Doulas Natalia Lamotte und Sarah Galan aus München haben für den Umwandlungsprozess des Mutterwerdens, der ein Lern- und Veränderungsprozeß in unserem Gehirn ist, den Begriff Muttertät erfunden: Er bezieht sich darauf, dass mit Beginn der Schwangerschaft ein teilweise mehrjähriger Prozess stattfindet, ähnlich der Pubertät, in dem Veränderungen auf körperlicher, psychischer und emotionaler Ebene stattfinden, die sich auf Beziehungen, Beruf und Weltsicht auswirken. Keineswegs ist das Muttersein also ein Prozess, der innerhalb der Schwangerschaft stattfindet und mit der Geburt abgeschlossen wird.

Eltern brauchen Zeit

Elternschaft ist ein Veränderungs- und Lernprozess. Leider herrscht noch immer der Gedanke vor, dass Eltern und insbesondere Mütter durch die Geburt sofort perfekte Eltern sein könnten. Das ist nicht nur unrealistisch, sondern lässt einen Druck entstehen, der sogar noch nachteilig wirken kann und zu Verunsicherung und Schuldgefühlen führt. Was Eltern brauchen, sind Verständnis, Unterstützung und vor allem Zeit. Gerade letzteres ist aber in unserer schnelllebigen Gesellschaft Mangelware, in der erwartet wird, dass Eltern sofort alles können sollten und ihnen gleichzeitig wenig Zeit gegeben wird, um sich wirklich dem Kümmern widmen und sich mit den eigenen Veränderungsprozessen auseinandersetzen zu können. Mütter wie Väter brauchen Zeit, um das Umsorgen des Kindes zu erlernen und sich selbst umsorgen und in der Veränderung annehmen und sich mit ihr auseinandersetzen zu können.

Eure

Zur Autorin:
Susanne Mierau ist Diplom-Pädagogin (Schwerpunkt Kleinkindpädagogik) und Familienbegleiterin. Sie arbeitete an der FU Berlin in Forschung und Lehre, bevor sie sich 2011 im Bereich bedürfnisorientierte Elternberatung selbständig machte. Ihr 2012 gegründetes Blog geborgen-wachsen.de und ihre Social Media Kanäle sind wichtige und viel genutzte freie Informationsportale für bedürfnisorientierte Elternschaft und kindliche Entwicklung. Susanne Mierau gibt Workshops für Eltern und Fachpersonal und spricht auf Konferenzen und Tagungen über kindliche Entwicklung, Elternschaft und Familienrollen.

Foto: Ronja Jung für geborgen-wachsen.de

Wie Kinder lernen, respektvoll eigene Grenzen zu benennen

Zunächst vorab, damit deine Erwartungen nicht zu hoch sind: Es dauert JAHRE den Umgang mit Gefühlen zu erlernen und gesellschaftsverträgliche Umgangsformen damit zu entwickeln. Gerade deswegen ist es aber wichtig, dass wir unsere Kinder Schritt für Schritt darin begleiten – angepasst an ihren Entwicklungsstand. Je jünger Kinder sind, desto schwerer fällt es ihnen, ihre Grenzen sprachlich aufzuzeigen statt körperlich, frühzeitig zu erkennen, dass eine andere Person dabei ist, die Grenzen zu überschreiten (und dementsprechend früh einzugreifen) und dann überlegt, statt impulsiv zu handeln. Dies hängt auch damit zusammen, dass das Gehirn in der Kleinkindzeit diese Aufgaben noch gar nicht bewältigen kann. Die Reifung dauert viele Jahre. Wichtig ist es, dass nahe Bezugspersonen diese Reifung begleiten und Impulse geben, wie gut mit schwierigen Situationen umgegangen werden kann. Denn: Wie wir bestimmte Dinge ausdrücken, wird zu großen Teilen erlernt.

Wertschätzen, dass Grenzen erkannt werden

Wenn Kinder eigene Grenzen aufzeigen, dann tun sie das oft unmittelbar „Lass mich!“, „Ich will das nicht!“, „Fass mich nicht an!“, „Lass mich in Ruhe!“, „Du bist so kacke!“, „Ich hasse dich!“ – Es ist gut, dass Kinder ihre Grenzen kennen und aufzeigen, dass hier eine Grenze in Gefahr ist. Das Wissen um ihre eigenen Grenzen hilft ihnen, ein Bild von sich auszubilden und stärkt das sich entwickelnde Selbstbild, weil sie lernen, dass sie als Mensch wichtig sind und ihre Integrität schützenswert ist. Dies ist für unser gesamtes weiteres Leben bedeutsam: Wir sollten verinnerlicht haben, dass andere Menschen unsere Grenzen nicht überschreiten dürfen und wie wir dann selbst vorgehen können und wo wir uns Hilfe suchen sollten. Deswegen ist es gut, Kindern das Feedback zu geben: „Hier ist deine Grenze erreicht. Gut, dass Du sie kennst und das mitteilst!“

Ursache verstehen

Wichtig ist auch, dass wir verstehen, worum es eigentlich geht. Gerade wenn das Kind nur aufschreit oder schimpft, müssen wir versuchen, die Ursache zu verstehen, um dem Kind andere Strategien aufzuzeigen. Deswegen ist es gut, nachzufragen oder (wenn man sicher ist) es auszusprechen: „Oh, hier ist deine körperliche Grenze erreicht, du möchtest nicht, dass dich das Kind anfasst!“ Oder „Findest du das gerade doof von mir, weil du das eigentlich selber machen wolltest und dich jetzt eingeschränkt fühlst?“ – Wir versuchen, als Bezugspersonen zu verstehen, was der Anlass für die Reaktion des Kindes ist und geben dem Kind gleichzeitig durch das Benennen Worte und stärken die Selbstwahrnehmung.

Anderes Beispiel nennen

Kinder lernen die Umgangsformen ihrer Umgebung nach und nach. Dazu brauchen sie uns als Vorbilder. Natürlich sehen sie, wie ihre Bezugspersonen mit ihren eigenen Grenzen umgehen: Wie wir sie benennen, wie wir darauf achten, dass sie gewahrt werden. Unter anderem deswegen ist es auch so wichtig, dass wir unsere persönlichen Grenzen auch gegenüber unseren Kindern klar formulieren und darauf achten, dass sie eingehalten werden – emotionale wie körperliche Grenzen. In den den Situationen, in denen das Kind nun eine Grenze von sich wahren möchte, aber dies noch wenig respektvoll und feinfühlig tut, können wir Beispiele für alternatives Verhalten benennen: „Ich habe verstanden, dass du das hier selber machen wolltest. Du kannst das auch genau so sagen: ‚Ich möchte das lieber alleine machen, Papa!“, „Das war zu nah für dich. Statt das Kind wegzuschubsen, kannst du sagen: ‚Stopp, das will ich nicht!“

Gemeinsam ausprobieren

In manchen Situationen kann diese Alternative dann gleich noch einmal ausprobiert und damit eingeübt werden. Wir können das Kind dazu anregen, noch die eigene Grenze nocheinmal anders zu formulieren und klar zu machen, worum es gerade ging: „Jetzt habt ihr euch beide beruhigt, du kannst dem anderen Kind nochmal sagen, dass du das nicht möchtest, dass es deine Haarspangen anfasst.“

Geduld haben

Es muss noch einmal betont werden: Es dauert viele Jahre, bis das Gehirn nicht mehr impulsiv reagiert, sondern wir bedacht mit Situationen umgehen können. Auch dauert es, bis das Kind Handlungen anderer schon früh einschätzen und vorausschauend Grenzen aufzeigen kann. Viele Eltern erwarten tatsächlich zu viel von ihren Kindern im Kleinkind-, Vorschul- und Schulalter, wenn sie denken, dass das Kind souverän mit Konfliktsituationen umgehen können sollte. Auch ein „Aber ich habe Dir doch schon tausendmal gesagt, du sollst vorher bescheid sagen, wenn…“ können wir uns sparen, denn wir müssen tausendmal und mehr immer wieder Beispiel sein, wiederholen, unterstützen. Hilfreich kann zudem sein, gut gelöste Situationen noch einmal wertschätzend zu benennen: „Ich hab gesehen, dass ihr das Problem gut zusammen gelöst habt!“ So lernen Kinder nach und nach, Sprache wertschätzend und respektvoll einzusetzen.

Eure

Zur Autorin:
Susanne Mierau ist Diplom-Pädagogin (Schwerpunkt Kleinkindpädagogik) und Familienbegleiterin. Sie arbeitete an der FU Berlin in Forschung und Lehre, bevor sie sich 2011 im Bereich bedürfnisorientierte Elternberatung selbständig machte. Ihr 2012 gegründetes Blog geborgen-wachsen.de und ihre Social Media Kanäle sind wichtige und viel genutzte freie Informationsportale für bedürfnisorientierte Elternschaft und kindliche Entwicklung. Susanne Mierau gibt Workshops für Eltern und Fachpersonal und spricht auf Konferenzen und Tagungen über kindliche Entwicklung, Elternschaft und Familienrollen.

Foto: Ronja Jung für geborgen-wachsen.de

Zeitmangel und Erziehung – Warum nicht alles „nur“ an den Eltern liegt

Wenn wir uns Familien und besonders Probleme innerhalb von Familien ansehen, blicken wir viel auf das Verhalten von Eltern und Kindern. Wir betrachten Temperamentsdimensionen von Kindern, wir fragen nach den eigenen Erziehungserfahrungen und der Kindheit der Eltern. Wir suchen Probleme besonders im zwischenmenschlichen Bereich. Viel weniger achten wir auf andere Einflussfaktoren. Aus dem Bereich der institutionellen Begleitung von Kindern ist vielleicht einigen die Bezeichnung „der Raum als Erzieher“ bekannt: Die Reggio-Pädagogik betrachtet den Raum und die Raumgestaltung als dritten Pädagogen (der erste Pädagoge ist das Bild vom Kind, der zweite die Fachkraft), der Bildungsprozesse und Interaktionen beeinflusst. So, wie in der außerfamiliären Betreuung, müssen wir aber auch innnerhalb der Familie beachten, dass noch viel mehr Faktoren neben den eigentlichen Personen Einfluss nehmen auf Erziehung: Räume, finanzielle Ressourcen, Stadtplanung etc. – und eben Zeit.

Zeit beeinflusst unsere Handlungen

Die Zeit, die wir haben – oder eben nicht haben – nimmt erheblichen Einfluss darauf, wie wir mit unseren Kindern umgehen können: Wieviel Zeit haben wir, um einen Wutanfall zu begleiten? Und wie verhalten wir uns, wenn wir viel Zeit haben und wie verhalten wir uns, wenn wir wenig Zeit haben, unter Termindruck stehen? Wahrscheinlich werden viele Eltern unter Termindruck weniger geduldig sein, das Kind eher drängen, vielleicht auch schimpfen, um das Kind zu bewegen. Wie gehen wir mit Körperpflegesituationen um unter Zeitdruck? Wie begleiten wir unsere Handlungen sprachlich und wie achtsam und langsam gehen wir mit dem kleinen Körper um, wenn wir Haare kämmen morgens unter dem Stress, losgehen zu müssen und wie wechseln wir die Windeln, wenn wir „schnell machen“ müssen? Aufmerksamkeit, sprachliches Begleiten unserer Handlungen, Vorankündigung des nächsten Schrittes und die Art der Berührung ändern sich, wenn wir weniger Zeit haben für Handlungen. Je grober und weniger achtsam wir sind, desto eher wird das Kind sich dagegen aufbäumen, desto mehr Zeit brauchen wir, desto ungehaltener werden wird.

Zeitmangel führt zu Schlafmangel führt zu Interaktionsproblemen

Doch nicht nur in den konkreten Handlungen wirkt sich der Mangel an Zeit auf unsere Interaktionen aus: Wenn wir zu wenig schlafen, weil wir endlich dann, wenn das Kind schläft, Dinge nachholen wollen, die sonst nicht möglich sind – Partnerschaftszeit, Hobbys, Entspannung -, die ja auch wichtig für uns sind und die wir sonst ansiedeln hinter Arbeit, Haushalt und Kind, dann wirkt dieser Schlafmangel, der eigentlich aus einem Zeitmangel entsteht, wieder auf die Interaktion innerhalb der Familie: Schlafmangel führt zu verschiedenen körperlichen und psychischen Problemen bis Erkrankungen und wirkt sich auch auf unsere soziale Interaktion und Feinfühligkeit aus: Wer müde ist, ist weniger aufmerksam für Feinsignale und insgesamt gereizter. Wie reagieren wir an einem Tag, an dem wir unausgeschlafen sind, auf ein wütendes Kind und wie an einem Tag, an dem wir ausschlafen konnten?

Es kostet Zeit, um neue und andere Wege zu gehen

Selbst der oben genannte Aspekt der Auseinandersetzung mit der eigenen Kindheit und den eigenen Erziehungserfahrungen leidet unter unserem Zeitmangel: Die Auseinandersetzung, vielleicht sogar im Rahmen einer Therapie, benötigt Zeit. Wir brauchen Zeit, um die eigene Kindheit aufzuarbeiten, moderne Erziehungsliteratur mit alternativen Handlungsweisen zu lesen, uns beraten zu lassen und/oder uns mit anderen Eltern auszutauschen.

Zeit ist eine Ressource, die erheblichen Einfluss nimmt auf die Ausgestaltung unserer Beziehung: Wie viel Zeit haben wir, um entspannt mit unseren Kindern umzugehen? Wie viel Zeit haben wir für die verschiedenen Facetten unserer Persönlichkeit – neben dem Muttersein? Und wie viel Zeit haben wir für Selbstfürsorge und Verarbeitung psychischer Verletzungen, die sich manchmal auch erst aus dem Zeitmangel ergeben? Wir bekommen oft vermittelt, wir müssten alles gleichzeitig machen – und können. Als hätten wir Mütter einen Zeitumkehrer wie Hermine Granger in Harry Potter. Die Wahrheit aber ist: Wir brauchen keinen Zeitumkehrer, der dafür sorgt, dass wir eine Stunde zweimal nutzen können. Wir brauchen vor allem das Zugeständnis, dass es Zeit braucht, um für uns selbst und für unsere Kinder da sein zu können.

Susanne Mierau (2022): New Moms for Rebel Girls, S. 174

Erziehungsstil ist nicht nur eine Frage des Wollens. Es ist auch eine Frage der Rahmenbedingungen und der Zeit. Vielleicht sollten wir viel mehr Zeit dafür verwenden, Zeit als „vierten Pädagogen“ zu beachten und dafür sorgen, dass Eltern genug Zeit haben, um ihre Kinder entspannt und bedürfnisorientiert begleiten zu können. Über Zeit zu verfügen, ist leider nicht nur eine Frage der persönlichen Anstrengung und des persönlichen Willens, sondern eine strukturelle Frage unserer Zeit und Gesellschaft.

Eure

Zur Autorin:
Susanne Mierau ist Diplom-Pädagogin (Schwerpunkt Kleinkindpädagogik) und Familienbegleiterin. Sie arbeitete an der FU Berlin in Forschung und Lehre, bevor sie sich 2011 im Bereich bedürfnisorientierte Elternberatung selbständig machte. Ihr 2012 gegründetes Blog geborgen-wachsen.de und ihre Social Media Kanäle sind wichtige und viel genutzte freie Informationsportale für bedürfnisorientierte Elternschaft und kindliche Entwicklung. Susanne Mierau gibt Workshops für Eltern und Fachpersonal und spricht auf Konferenzen und Tagungen über kindliche Entwicklung, Elternschaft und Familienrollen.

Foto: Ronja Jung für geborgen-wachsen.de

Zur Autorin:
Susanne Mierau ist Diplom-Pädagogin (Schwerpunkt Kleinkindpädagogik) und Familienbegleiterin. Sie arbeitete an der FU Berlin in Forschung und Lehre, bevor sie sich 2011 im Bereich bedürfnisorientierte Elternberatung selbständig machte. Ihr 2012 gegründetes Blog geborgen-wachsen.de und ihre Social Media Kanäle sind wichtige und viel genutzte freie Informationsportale für bedürfnisorientierte Elternschaft und kindliche Entwicklung. Susanne Mierau gibt Workshops für Eltern und Fachpersonal und spricht auf Konferenzen und Tagungen über kindliche Entwicklung, Elternschaft und Familienrollen.

Foto: Ronja Jung für geborgen-wachsen.de

Warum „Weil ich das sage!“ keine geeignete Erklärung für Kinder ist

Zweifellos gibt es gefährliche Situationen, in denen Eltern keinen großen Handlungsspielraum haben: Es muss schnell gehandelt werden, wenn Kinder beispielsweise im Straßenverkehr in Gefahr sind. Und manchmal haben wir auch schon gefühlt einhundert Mal einen Sachverhalt erklärt und wollen nicht noch einmal genau dasselbe sagen. Jenseits davon aber gibt es viele Situationen, in denen Eltern zwar die Machtkarte ausspielen könnten, aber nicht sollten: Es ist wichtig, dass Kinder nachvollziehen können, warum wir etwas wollen oder nicht wollen.

Eltern haben mehr Macht – und sollten sie mit Bedacht einsetzen

„Weil ich das sage!“ überbringt dem Kind eine deutliche Botschaft: Ich bin die machtvollere Person und treffe die Entscheidungen. Tatsächlich befinden sich Erwachsene gegenüber Kindern in einer machtvolleren Position: Sie verfügen in der Regel über mehr Kraft, einem Wissensvorsprung, können langfristiger und weitsichtiger planen und verfügen über mehr (finanzielle) Ressourcen. Es vermittelt Kindern Sicherheit, dass ihre Bezugspersonen darüber verfügen. Dennoch ist es eine bedeutsame Frage, wie wir mit dieser Position umgehen: Denn nur weil wir überlegen sind und diese Art der Überlegenheit auch bedeutsam ist, müssen wir sie nicht gegenüber dem Kind ausspielen und als Druckmittel einsetzen. Im Gegenteil: Gerade weil wir überlegen sind, sollten wir achtsam sein in unserem Tun und dem Kind die Möglichkeit geben, von eben jenem Vorsprung zu profitieren.

Profitieren kann das Kind dann, wenn es nicht stumpf Anweisungen befolgen soll, sondern wenn es lernen kann, warum in welchen Situationen wie gehandelt wird. Das lernt es durch Vorbild und Erklärungen. Wir sollten unser Tun im Alltag sprachlich begleiten – dies unterstützt auch den Ausbau des Wortschatzes von kleinen Kindern -, und Handlungen vorher ankündigen und auch begründen, warum wir wie handeln. Das müssen keine ausschweifenden Ausführungen, sondern können durchaus kurze und verständliche Erklärungen sein. Durch Erklärungen schaffen wir die Möglichkeit, Zusammenhänge zu verstehen und zeigen Respekt gegenüber der anderen Person: Auch wenn du jünger bist, nehme ich dich als Menschen ernst mit deinem Bedürfnis nach Lernen und Entwicklung und deinem Bedürfnis, dich als selbstwirksam zu erfahren.

Ich habe dein Bedürfnis wahrgenommen

Dem Kind zu erklären, warum es jetzt gerade etwas nicht tun darf, vermittelt dem Kind: Ich sehe deinen Wunsch/dein Bedürfnis eigentlich und erkläre dir, warum es jetzt gerade nicht erfüllbar ist. Aber ich habe es wahrgenommen und dir mit meiner Antwort zurückgemeldet, dass ich es wahrgenommen habe.

Wenn Eltern dem Kind auf diese Art zeigen, dass das Bedürfnis wahrgenommen wurde, wird es vielleicht dennoch noch nachfragen „Aber warum darf ich denn jetzt nicht?“/“Aber warum?“, weil es noch Kind ist und von seinem Bedürfnis oder Wunsch nicht so schnell abweichen will. Vielleicht kann es sich auch noch nicht in die Argumentation des Gegenüber hineinversetzen und versteht die Erklärung nicht. Aber es versteht, dass es Erklärungen gibt. Dass nicht willkürlich entschieden wird, dass es als Mensch gesehen wurde.

Erklärungen helfen auch Eltern

Auch den Erwachsenen hilft es, sich zu erklären: So erhalten sie den Raum, um über das eigene Denken und Handeln zu reflektieren: Ja, warum will ich das eigentlich? Warum mache ich das eigentlich so und nicht anders? Mache ich das, weil es selbst so mit mir gemacht wurde oder weil ich es immer so gemacht habe und ergibt mein Handeln wirklich Sinn? Oder gibt mein Kind mir hier gerade einen Impuls, um über mein routinierten Handlungen nachzudenken und vielleicht doch etwas zu ändern?

„Weil ich das so sage!“ erscheint uns oft als Abkürzung. Das Kind soll mal schnell machen, wie wir das so wollen. Tatsächlich ist es keine Abkürzung, weil wir verhindern, dem Kind beizubringen, selbst entscheiden und einschätzen zu können. Wie oft wünschen wir uns von Kindern, dass sie selbst machen, nicht immer nachfragen, handlungskompetent sind – dafür müssen wir ihnen von Anfang an auch Raum geben. Und auch dafür, das „Nein“ des Kindes auszuhalten und ihm respektvoll zu begegnen, auch wenn wir gerade jetzt nicht nachgeben können.

Eure

Zur Autorin:
Susanne Mierau ist Diplom-Pädagogin (Schwerpunkt Kleinkindpädagogik) und Familienbegleiterin. Sie arbeitete an der FU Berlin in Forschung und Lehre, bevor sie sich 2011 im Bereich bedürfnisorientierte Elternberatung selbständig machte. Ihr 2012 gegründetes Blog geborgen-wachsen.de und ihre Social Media Kanäle sind wichtige und viel genutzte freie Informationsportale für bedürfnisorientierte Elternschaft und kindliche Entwicklung. Susanne Mierau gibt Workshops für Eltern und Fachpersonal und spricht auf Konferenzen und Tagungen über kindliche Entwicklung, Elternschaft und Familienrollen.

Foto: Ronja Jung für geborgen-wachsen.de

Zur Autorin:
Susanne Mierau ist Diplom-Pädagogin (Schwerpunkt Kleinkindpädagogik) und Familienbegleiterin. Sie arbeitete an der FU Berlin in Forschung und Lehre, bevor sie sich 2011 im Bereich bedürfnisorientierte Elternberatung selbständig machte. Ihr 2012 gegründetes Blog geborgen-wachsen.de und ihre Social Media Kanäle sind wichtige und viel genutzte freie Informationsportale für bedürfnisorientierte Elternschaft und kindliche Entwicklung. Susanne Mierau gibt Workshops für Eltern und Fachpersonal und spricht auf Konferenzen und Tagungen über kindliche Entwicklung, Elternschaft und Familienrollen.

Foto: Ronja Jung für geborgen-wachsen.de

Zahnfee, Elfen, Wichtel und Co. – Schaden Fantasiefiguren meinem Kind und unserer Beziehung?

Kinder treffen an vielen Stellen auf magische Figuren: in Kinderbüchern, in Filmen, in der gelebten Kultur, wenn Weihnachtsmann, Christkind oder Osterhase Geschenke bringen, aber auch immer mehr außerhalb von Feierlichkeiten auf Figuren wie die Zahnfee oder Wichtel, die besonders zur Weihnachtszeit in vielen Wohnungen einziehen. Manche Eltern fragen sich, wie sie mit diesen Fantasiefiguren umgehen sollen: Soll die Zahnfee auch bei uns kommen? Wollen wir (Weihnachts-)Wichtel in der Wohnung haben? Sind solche Fantasiefiguren nicht eine Lüge? Und was passiert, wenn das Kind eines Tages herausfindet, dass es sie doch nicht gibt? Leidet darunter unsere Beziehung?

Magisches Denken und magische Phase bei Kindern

Besonders in der so genannten „magischen Phase“ sind Kinder zugänglich für all die Fantasiewesen, Monster und magische Zusammenhänge im Denken und Handeln: Von der Kleinkindzeit bis ins Vorschulalter (und manchmal auch in die Schulzeit) können sich Fantasie und Realität vermengen. Es wird mehr für möglich gehalten, als tatsächlich stattfinden kann. Manchmal gibt es nicht nur Monster unter dem Bett, sondern auch unsichtbare Fantasiefreundschaften oder -haustiere und Zusammenhänge, die eigentlich nicht in Verbindung stehen, werden zusammengedacht: „Wenn ich nicht aufesse, wird es regnen.“, „Papa hat sich das Bein gebrochen, weil ich meiner Freundin die Bonbons geklaut habe.“ – Erlebnisse werden so über eine magische Logik erklärt. Jetzt gerade sprechen Kinder besonders auf Fantasiefiguren wie Elfen, Einhörner und Monster an, sind aber auch besonders empfänglich in Bezug darauf, wenn diese Figuren oder magische Zusammenhänge als Erziehungsmethoden genutzt werden: Aufessen, damit die Sonne scheint, aufräumen, damit der Weihnachtsmann Geschenke bringt.

Und genau hier liegt der Knackpunkt der magischen Figuren und Denkweise: Sie werden schnell als Druckmittel eingesetzt, um das Kind zu beeinflussen. Eltern sollten ihre Erziehungsverantwortung allerdings nicht an magische Figuren abgeben. Kinder brauchen das Gegenüber der Bezugspersonen – auch in den Situationen, die anstrengend für Eltern sind und es so angenehm wäre, wenn man sie einfach lösen könnte durch die Abgabe von Verantwortung.

Die Auswirkungen der Weihnachtsmann-Lüge werden in der Forschung unterschiedlich bewertet: Es gibt durchaus Studien, die belegen, dass die Lüge der Eltern in Bezug auf den Weihnachtsmann der Eltern-Kind-Beziehung und dem Kind schaden kann. Gleichzeitig werden auch positive Auswirkungen berichtet.

Magisches Denken: nicht nur bei Kindern

Ganze Religionen und Weltanschauungen beinhalten auch heute noch magisches Denken: Der Glaube an Übernatürliches ist nicht nur bei Kindern zu finden. In einer Umfrage aus dem Jahr 2000 gaben 43 Prozent der befragten erwachsenen Personen beispielsweise an, dass ein vierblättriges Kleeblatt Gutes bedeute (Pdf). Und auch sonst glauben viele Menschen an Glücksbringer, Maskottchen und anderes. Animist*innen glauben an die Allbeseeltheit der Natur: Menschen, Tiere, Pflanzen, Felsen, Quellen etc. haben nach diesem Glauben eine Seele.

Wichtig: Wie Erwachsene damit umgehen

Kinder müssen nicht mit Fantasiefiguren aufwachsen. Wenn sie es aber tun, ist es wichtig, wie Eltern mit ihnen umgehen. Sie können die Fantasie in der magischen Phase begleiten. Im Sinne prosozialer Lügen kann das Aufgreifen der Fantasie des Kindes den Alltag etwas zauberhafter machen und Gemeinschaft unterstützen. Werden Fantasiefiguren allerdings als Druckmittel genutzt, beispielsweise wenn erklärt wird, dass die Zahnfee natürlich nur kommt, wenn alle Zähne gesund sind, der Nikolaus eine Rute bringt bei schlechtem Verhalten und sich der Weihnachtsmann genau jedes Fehlverhalten notiert oder sogar damit gedroht wird, die Monster unter dem Bett heute nicht zu verscheuchen, weil das Kind nicht artig genug gewesen sei, können die Fantasiefiguren negativ wirken, verängstigen und ungesunden Druck ausüben.

Der Fantasiezeit entwachsen

Wenn sich Eltern dazu entschließen, Fantasiefiguren in den Alltag zu integrieren, sollten sie damit der Entwicklung der Kinder folgen und die Entwicklung des Kindes annehmen. Fantasiefiguren sollten nicht dogmatisch bestehen, sondern der Raum für das Vielleicht geöffnet bleiben. Auch hier gibt das Kind das Tempo vor und Eltern sollten nicht darauf insistieren, dass es die Fantasiefiguren doch gibt, sondern das Kind in seiner eigenen Wahrnehmung bestärken und die vom Kind gewollte Loslösung unterstützen. Stellt das Kind die Fantasiefiguren in Frage, kann mit den Fragen offen und ehrlich umgegangen werden. Wir können erklären, warum wir die Geschichte um die Fantasiefigur mitgetragen haben, wie sie zu unserem Leben und vielleicht der in unserer Gemeinschaft gelebten Kultur gehört, und warum die Geschichte eine Verbindung zwischen Menschen herstellt. Vielleicht schließt sich daran eine Diskussion über Lügen und Wahrheit mit dem Kind an – auch das müssen wir als Eltern mit unseren Kindern diskutieren, die uns vielleicht öfter beim Lügen beobachten, als wir denken (beispielsweise wenn es darum geht, anderen Menschen davon zu berichten, wo und wie lange unsere Kinder schlafen, wieviel Medienzeit sie haben oder wieviele Süßigkeiten sie konsumieren).

Gerade dann, wenn in der magischen Phase des Kindes Fantasiefiguren als ängstigend wahrgenommen werden, ist ein respektvoller Umgang der Eltern damit wichtig: Hat das Kind Angst vor Monstern unter dem Bett, hilft es nicht, dem Kind zu erklären, dass es diese nicht geben würde. Hilfreicher ist es, sich auf die Gedankenwelt des Kindes einzulassen und diese Monster zu verscheuchen oder dem Kind auf andere Weise das Gefühl von Sicherheit und Schutz zu geben.

Eure

Zur Autorin:
Susanne Mierau ist Diplom-Pädagogin (Schwerpunkt Kleinkindpädagogik) und Familienbegleiterin. Sie arbeitete an der FU Berlin in Forschung und Lehre, bevor sie sich 2011 im Bereich bedürfnisorientierte Elternberatung selbständig machte. Ihr 2012 gegründetes Blog geborgen-wachsen.de und ihre Social Media Kanäle sind wichtige und viel genutzte freie Informationsportale für bedürfnisorientierte Elternschaft und kindliche Entwicklung. Susanne Mierau gibt Workshops für Eltern und Fachpersonal und spricht auf Konferenzen und Tagungen über kindliche Entwicklung, Elternschaft und Familienrollen.

Foto: Ronja Jung für geborgen-wachsen.de

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Susanne Mierau ist Diplom-Pädagogin (Schwerpunkt Kleinkindpädagogik) und Familienbegleiterin. Sie arbeitete an der FU Berlin in Forschung und Lehre, bevor sie sich 2011 im Bereich bedürfnisorientierte Elternberatung selbständig machte. Ihr 2012 gegründetes Blog geborgen-wachsen.de und ihre Social Media Kanäle sind wichtige und viel genutzte freie Informationsportale für bedürfnisorientierte Elternschaft und kindliche Entwicklung. Susanne Mierau gibt Workshops für Eltern und Fachpersonal und spricht auf Konferenzen und Tagungen über kindliche Entwicklung, Elternschaft und Familienrollen.

Foto: Ronja Jung für geborgen-wachsen.de

Freundschaften sind wichtig für Kinder

Freund*innen sind uns wichtig. Eine Studie an Erwachsenen im Jahr 2022 ergab, dass für 84 Prozent der befragten Personen gute Freunde und enge Beziehungen zu anderen Menschen der wichtigste Aspekt in ihrem Leben sind. Freundschaften beeinflussen u.a. unsere Gesundheit, unser Wohlbefinden und die Lebenserwartung. Obwohl wir als erwachsene Menschen um die Bedeutung von Freundschaften wissen, messen wir ihnen bei Kindern oft einen geringeren Wert bei. Wir betrachten zwar generell den Einfluss der Gleichaltrigen auf unsere Kinder, aber die Bedeutung individueller Freundschaften in der Kindheit ist oft weniger im Fokus.

Erwachsene geben den Raum für Freundschaften

Zwar kommunizieren und interagieren schon Babys miteinander, aber dies kann noch nicht als Freundschaft betrachtet werden. Erst in der Kleinkindzeit wird das Nebeneinander des Spiels nach und nach zu einem Miteinander und die Spielpartner*innen werden bedeutsamer. Für die Regulation von starken Gefühlen und Konflikten brauchen Kleinkinder ihre Bezugspersonen – im Alltag ebenso wie im Spiel mit anderen. Durchaus gibt es auch Probleme, bei denen man den Kindern die Möglichkeit geben sollte, eigene Lösungen zu finden – auch im Miteinander -, aber wenn dies nicht gelingt oder nicht fair stattfindet, ist noch eine Begleitung durch ältere Bezugspersonen notwendig, damit Kinder lernen, wie Konflikte gut und fair gelöst werden können. Für das Erlernen von Werten, Sozialkompetenzen und auch Empathie ist das Miteinander mit anderen Kindern (und Erwachsenen) sehr bedeutsam.

Empathie muss gelernt werden, und die Rahmenbedingungen von Kindheit sind hierfür ausschlaggebend. Verinselung und Entfremdung vom Umsorgen können sich negativ auf die Empathiefähigkeit unserer Gesellschaft auswirken

Susanne Mierau (2023): Füreinander sorgen, S.134

Auch für das Aufrechterhalten von Kontakten sind Kinder auf ihre Bezugspersonen angewiesen: Freundschaften brauchen Zeit, um sich zu intensivieren. Da Kinder über ihre Zeit und Beschäftigungen nicht frei verfügen können, sind sie darauf angewiesen, dass die Bezugspersonen das Bedürfnis nach sozialem Miteinander wahrnehmen und diesem Raum geben, indem Spielverabredungen getroffen werden oder Plätze aufgesucht werden, an denen sich Freund*innen befinden. So entwickeln sich im Laufe der Kindheit nach und nach feste Beziehungen zu anderen Kindern und im Vorschulalter bzw. beginnendem Grundschulalter gibt es oft bereits feste Freund*innenschaften.

Freund*innenschaften sind Räume für Erfahrungen und Gefühle

Innerhalb einer Freund*innenschaft wird soziales Miteinander gelernt, Diskursfähigkeit geübt und Freund*innen können sich gegenseitig in verschiedenen Entwicklungsbereichen zur Weiterentwicklung anregen: Vielleicht kann das eine Kind besser klettern und zeigt dem anderen seine Tricks dafür, während das andere vielleicht schon Armbänder knüpfen kann etc. Auch wenn Kinder sehr viel Zeit in homogenen Altersgruppen verbringen, weil unsere Strukturen in der außerfamiliären Betreuung und in der Schule das so vorgeben, profitieren sie sehr von Altersmischungen: hier können jüngere von älteren Kindern Kompetenzen erwerben und ältere Kinder Rücksichtnahme erproben. Auch in emotionalen Themen werden Freund*innen im Laufe der Zeit immer bedeutsamer für einen Austausch über Gefühle und gegenseitige Unterstützung.

Die Zugehörigkeit zu einer Gruppe ist sowohl für uns Erwachsene wichtig, als auch für Kinder. Ausschluss aus dem Gruppengeschehen schmerzt: Auch wenn es keine körperliche Verletzung ist, kann sozialer Ausschluss ein reales Schmerzgefühl hervorrufen. Kinder weinen, wenn sie „nicht mehr die Freundin von xy“ sind oder ihnen gesagt wird, dass yz nie wieder mit dem Kind spielen will, weil genau das tatsächliche Schmerzen in ihnen hervorruft. Ein „Jetzt stell dich nicht so an“ ist hier nicht hilfreich. Auch ein „Na warte mal ab, das wird schon wieder“ kann kleinen Kindern, die noch nicht über ein gutes Zeitgefühl verfügen, nicht helfen. Hilfreicher ist es, den Schmerz des Kindes erst einmal anzunehmen, sich die Situation erzählen zu lassen und dann (mit Kind) zu überlegen, wie die Kinder wieder zueinander geführt werden können. Manchmal enden Freundschaften auch in der Kindheit: Weil sich die Wege durch einen Umzug trennen oder die Kinder durch die Entwicklung unterschiedlicher Interessen immer weniger Zeit miteinander verbringen und an Gemeinsamkeit verlieren. Ist dies für ein Kind schmerzhaft, braucht auch dieser Schmerz Anerkennung und Trost. Freundschaften sind nicht einfach so austauschbar und ein Abbruch oder langsames Ende einer Freundschaft ist für Kinder oft eine emotionale Herausforderung.

Freundschaften sind wichtig für Kinder. Um sie aber auszubilden und aufrecht zu erhalten, sind Kinder einige Jahre auf ihre nahen Bezugspersonen angewiesen. Diese Berücksichtigung des Bedürfnisses nach sozialen Miteinander ist ebenso wichtig wie andere Bedürfnisbereiche, bekommt aber von Erwachsenen leider oft nicht den Stellenwert zugeschrieben, den es eigentlich benötigt. Wir sollten mehr darauf achten, mit wem unsere Kinder gern Zeit verbringen und verbringen wollen und wie dieser Wunsch umgesetzt werden kann, wenn auch das Gegenüber ein Interesse daran hat. Ebenso sollten wir feinfühliger mit emotionalem Schmerz durch Streit unter Freund*innen umgehen und den Erhalt der so wichtigen Freundschaften unterstützen.

Eure

Zur Autorin:
Susanne Mierau ist Diplom-Pädagogin (Schwerpunkt Kleinkindpädagogik) und Familienbegleiterin. Sie arbeitete an der FU Berlin in Forschung und Lehre, bevor sie sich 2011 im Bereich bedürfnisorientierte Elternberatung selbständig machte. Ihr 2012 gegründetes Blog geborgen-wachsen.de und ihre Social Media Kanäle sind wichtige und viel genutzte freie Informationsportale für bedürfnisorientierte Elternschaft und kindliche Entwicklung. Susanne Mierau gibt Workshops für Eltern und Fachpersonal und spricht auf Konferenzen und Tagungen über kindliche Entwicklung, Elternschaft und Familienrollen.

Foto: Ronja Jung für geborgen-wachsen.de

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Susanne Mierau ist Diplom-Pädagogin (Schwerpunkt Kleinkindpädagogik) und Familienbegleiterin. Sie arbeitete an der FU Berlin in Forschung und Lehre, bevor sie sich 2011 im Bereich bedürfnisorientierte Elternberatung selbständig machte. Ihr 2012 gegründetes Blog geborgen-wachsen.de und ihre Social Media Kanäle sind wichtige und viel genutzte freie Informationsportale für bedürfnisorientierte Elternschaft und kindliche Entwicklung. Susanne Mierau gibt Workshops für Eltern und Fachpersonal und spricht auf Konferenzen und Tagungen über kindliche Entwicklung, Elternschaft und Familienrollen.

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Aber Jungs sind eben so! – Warum Wut- und Konfliktverhalten Begleitung braucht

„Nein, nein, das ist schon okay, dass die so raufen. Jungs sind eben so!“ Diese und ähnliche Sätze begegnen uns immer wieder. Zweifellos ist das Raufen und Balgen für Kinder ein wichtige Bestandteile des Spiels: hier wird Grobmotorik ausgebildet, es geht um Absprachen, um das Erkennen von Grenzen – für alle Kinder jeden Geschlechts. Und zweifellos gibt es zwischen Geschlechtern auch statistisch belegbare Unterschiede. Die Neurobiologin Lise Eliot führt in ihrem Buch „Wie verschieden sind sie wirklich?“ dazu aus: „Selbst im Erwachsenenalter sind die meisten Geschlechterdifferenzen bei kognitiven Fähigkeiten und Persönlichkeitsmerkmalen kleiner, als gemeinhin angenommen. Bei Kindern sind sie noch kleiner, wie ihre Körper erst alle Unterschiede entwickeln müssen, so brauchen auch ihre geistigen Funktionen Zeit, um die männliche und weibliche Denkweise auszubilden. Wie sich bei kognitiven Fähigkeiten, Schulleistungen, Motivation, Emotionen und Beziehungsstilen zeigte, weisen Jungen und Mädchen leichte Unterschiede auf, sind aber keineswegs durch Welten getrennt.“

Jungen und Mädchen sind verschieden – aber nicht so sehr, wie wir denken

Kinder zeigen also geringfügige Unterschiede, aber keine enormen. Dennoch unterbinden wir bei Mädchen Streit eher, gehen stärker gegen Wut vor, während Jungen fast zügellos im Namen des freien Spiels ihre Wut austragen dürfen. Manchmal sehen wir den teilweise fließenden Unterschied zwischen Balgen und Raufen aus Wut nicht, manchmal ignorieren wir ihn auch bewusst aufgrund bestimmter Rollenbilder in unseren Köpfen. Während das Unterbinden von Ärger und Wut bei Mädchen negative Folgen hat, hat auch die fehlende Co-Regulation der Wut von Jungen negative Folgen für sie selbst und andere.

Trauer begleiten wir, bei Wut haben wir Probleme

Viele Eltern sind mit der Begleitung und Co-Regulation von Gefühlen wie Trauer und Hilflosigkeit von Kindern mittlerweile vertraut: Wir nehmen in den Arm, sagen liebe Worte. Je nach Kind unterscheidet sich die Art, wie Trost gegeben werden sollte und auch die Dauer, die Kinder für ihre Beruhigung benötigen. In Hinblick auf den Umgang mit der Wut sind viele Eltern hingegen noch immer hilflos: Wie begleite ich hier richtig? Gerade dann, wenn mich diese Wut des Kindes selber wütend macht, wenn ich mich persönlich angegriffen fühle? Auch Glaubenssätze spielen in die Begleitung von Wut hinein, wie beispielsweise „Mädchen dürfen nicht wütend sein“ oder „Jungen müssen lernen, sich durchzusetzen, nur starke Kinder haben im Leben Vorteile“. Gerade bei als Jungen gelesenen Kindern sind Erwachsene oft geneigt, die Wut „einfach laufen“ zu lassen im Namen von Spiel oder Wettbewerbsfähigkeit.

Wut will begleitet werden

Doch auch Wut will begleitet werden – bei Mädchen wie Jungen. Und auch hier gibt es Unterschiede im Bedarf der Art der Begleitung, wie es auch schon Unterschiede gibt in der Aggression: einige Kinder sind aggressiver als andere. Gerade Kinder, die aggressiver sind als der Durchschnitt brauchen Co-Regualtion und Begleitung, anstatt „Laufenlassen“ oder Strafen. Wird die Co-Regulation von Wut verwehrt, lernt das Kind keinen gesunden Umgang damit. Während sie bei Mädchen eher generell unterdrückt wird, dürfen Jungen der Wut freien Lauf lassen. Was sie dadurch aber nicht lernen: Rücksichtnahme, Empathie, Diskursfähigkeit, Konfliktstrategien jenseits von Gewalt.

Der Kampf wird dann als Spiel angesehen, und diese Art der Auseinandersetzung daher als normal legitimiert und nicht reguliert. Das, was wir bereits als wichtigen Einfluss auf die Weiterentwicklung empathischer Fähigkeiten erfahren haben, wird in der Sozialisation von Jungen oft weniger berücksichtigt. Geschlechtsunterschiede in der Empathie gehen besonders auf die Sozialisation zurück: Nur 10 Prozent unserer Empathiefähigkeit sind insgesamt genetisch festgelegt, der Rest beruht auf nicht-genetischen Faktoren.

Susanne Mierau 2023: Füreinander sorgen, S.145

Diese fehlende Regulation von Wut wirkt sich negativ auf das Kind im Jetzt aus, hat aber auch langfristig negative Folgen, weil der Umgang mit Wut nicht erlernt werden kann und weiteres gewaltvolles Handeln daher als Lösungsstrategie verinnerlicht wird gegenüber anderen, das Kind/der spätere Jugendliche/Erwachsene sich aber auch selbst damit gefährdet, weil andere Konfliktlösungsstrategien nicht erlernt werden konnten.

Sowohl Mädchen als auch Jungen brauchen daher eine Begleitung beim Umgang mit ihren Gefühlen – auch mit der Wut. Es ist weder gesund, Wut zu unterdrücken, noch ihr freien Lauf zu lassen und so ungesunde Verhaltensmuster zu verinnerlichen. Auch bei der Wut ist es wichtig, das Gefühl zu benennen und nach der großen Wut-Gefühlswelle die Ursachen zu ergründen, die hinter dem Gefühl stehen: Welches Bedürfnis ist nicht erfüllt, das zu Wut führt? Fühlt sich das Kind beispielsweise ausgeschlossen, ist es traurig, hat es Schmerzen, fühlt es sich nicht gesehen oder gewertschätzt, war es in seinem Gefühl von Sicherheit verletzt? Auf Basis des Wissens um diese Ursache kann dann besprochen werden, wie mit einer solchen Ursache umgegangen werden kann, statt zu hauen/beißen/schubsen/werfen.

Eure

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Susanne Mierau ist Diplom-Pädagogin (Schwerpunkt Kleinkindpädagogik) und Familienbegleiterin. Sie arbeitete an der FU Berlin in Forschung und Lehre, bevor sie sich 2011 im Bereich bedürfnisorientierte Elternberatung selbständig machte. Ihr 2012 gegründetes Blog geborgen-wachsen.de und ihre Social Media Kanäle sind wichtige und viel genutzte freie Informationsportale für bedürfnisorientierte Elternschaft und kindliche Entwicklung. Susanne Mierau gibt Workshops für Eltern und Fachpersonal und spricht auf Konferenzen und Tagungen über kindliche Entwicklung, Elternschaft und Familienrollen.

Foto: Ronja Jung für geborgen-wachsen.de

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Mit den Ausscheidungen von Babys und Kleinkindern umgehen

Oft ist das eigene Baby das erste Kind, das wir wickeln: Wir haben keine Übung im Umgang mit Windeln, mit dem richtigen Handling des Babys und der Umgang mit den Ausscheidungen eines anderen Menschen ist uns zunächst fremd, vielleicht erregt eine volle Windel sogar zunächst ein Gefühl von Ekel. Es ist gar nicht so einfach, respektvoll und achtsam mit der so ungewohnten Wickelsituation umzugehen. Dennoch ist es für das Baby und spätere Kleinkind wichtig, dass die Bezugspersonen einen guten Umgang damit finden, schließlich sind Windelwechsel und Körperpflege Routinesituationen, die jeden Tag vielfach stattfinden und als diese einen großen Teil des Tages in Anspruch nehmen.

Respektvoller Umgang ist wichtig

Ein respektvoller Umgang mit den Ausscheidungen des Kindes ist wichtig, damit das Kind ein gutes Körper- und Selbstbild aufbauen kann. Werden Wickelsituationen oder Hilfe bei der Toilettennutzung immer als eklig oder Zumutung beschrieben, können Babys und Kinder dies auf sich als Person beziehen und davon ein negatives Bild über sich ausbilden. Auch mangelnde Kommunikation in diesen Situationen oder Unvermögen des Benennens von Körperausscheidungen und Intimorganen ist für die Ausbildung des Selbstbildes ungünstig: Intimorgane sollten mit den passenden Worten benannt werden, damit Kinder von Anfang an erfahren, wie diese heißen, dass sie zu ihrem Körper dazu gehören und sie auch später selbst richtig benennen können. Im Gespräch sollten Handlungen angekündigt werden bevor sie ausgeführt werden, damit das Kind sich darauf einstellen kann. Schon für Babys ist es unterstützend, wenn ihnen mitgeteilt wird, was als nächstes passiert.

Neben dem Ankündigen der nächsten Handlung ist es hilfreich, Babys und Kleinkinder aktiv (nach ihren aktuellen Möglichkeiten) in die Körperpflege einzubinden: Sie können Windeln öffnen und schließen, können sich mit einem Lappen selbst abwischen/nachwischen, können helfen beim Auftragen von Creme. So wird ihre Selbstwirksamkeit gestärkt und sie werden darin unterstützt, zunehmend eigenständig mit der Körperpflege umzugehen.

Generell ist es hilfreich, sich für Pflegesituationen Zeit zu nehmen, damit alle Handlungen in Ruhe ausgeführt werden können, das Baby einbezogen und angesprochen werden kann. Durch einen derart achtsamen Umgang muss nicht gegen das Baby oder Kleinkind gearbeitet werden, sondern es wird gemeinsam eine Pflegeritual durchgeführt.

Veränderungen der Körperausscheidungen

Körperausscheidungen verändern sich über die Zeit, sowohl in Bezug auf die Menge, als auch in Bezug auf die Konsistenz. Der erste Urin innerhalb der ersten 24 Stunden nach der Geburt ist eine so geringe Menge, dass sie kaum wahrgenommen wird, während die erste Absonderung von Stuhl (Mekonium oder auch Kindspech genannt) wesentlich mehr auffällt: Die klebrige, zähe Ausscheidung ist am besten mit einem warmen, weichen und nassen Tuch zu entfernen, ggf. mit etwas Öl als Zugabe.

Durch die flüssige Nahrungsaufnahme ändert sich nach der Geburt Farbe und Konsistenz des Stuhls, er wird breiiger und gelblich bis hellbraun, nach der Einführung der Beikost können auch unverdaute Beikostbestandteile darin enthalten sein. Auch die Frequenz der Stuhlabsonderung ändert sich häufig über die Zeit: In den ersten Wochen sind es oft noch mehrmals täglich volle Windeln, später verringert sich die Frequenz und gestillte Babys haben manchmal Pausen über mehrere Tage. Für die empfindsame Babyhaut ist es wichtig, dass eine volle Windel möglichst schnell gewechselt wird. Für die Reinigung reicht meist ein nasser Lappen, ggf. mit etwas (Pflanzen-)Öl.

Tritt Durchfall auf, der oft eher grünlich ist und unangenehm riecht, ist die Hautpflege besonders wichtig. Eine Wunschutzcreme kann hier sinnvoll sein, um die Haut zu schützen. Hilfreich ist es auch, möglichst viel Luft an die angegriffene Haut zu lassen und Verständnis dafür zu haben, dass die Babyhaut gerade besonders empfindsam ist und achtsam behandelt werden will.

Wickeln ist mehr als Windelwechsel

Körperpflege und das Wickeln des Babys sind mehr als „nur“ Windelwechseln. Es sind Momente des Miteinanders, in denen Beziehung stattfindet. Gerade Routinesituationen in unserem Alltag sind für unsere Beziehungen wichtig, weshalb auch das Windelwechseln aus der Perspektive der Beziehung betrachtet werden sollte. Deswegen ist es wichtig, das Wickeln nicht als „Wickelkampf“ zu betrachten, sondern für alle Beteiligten möglichst angenehm zu gestalten. Mit zunehmendem Alter des Kindes tritt dabei die Selbstbestimmung immer weiter in den Vordergrund und Kleinkinder wollen wesentlich mehr selbst entscheiden, was mit ihnen wann gemacht wird, als das Baby bzw. wollen selbst die Kontrolle über die Situation übernehmen und Zeitpunkt und Ablauf bestimmen. Diese Veränderung ist für Bezugspersonen manchmal eine besondere Herausforderung. Von Anfang an auf die Signale und die Mithilfe des Kindes zu achten, macht den Übergang zur selbständigen Körperpflege leichter.

Eure

Zur Autorin:
Susanne Mierau ist Diplom-Pädagogin (Schwerpunkt Kleinkindpädagogik) und Familienbegleiterin. Sie arbeitete an der FU Berlin in Forschung und Lehre, bevor sie sich 2011 im Bereich bedürfnisorientierte Elternberatung selbständig machte. Ihr 2012 gegründetes Blog geborgen-wachsen.de und ihre Social Media Kanäle sind wichtige und viel genutzte freie Informationsportale für bedürfnisorientierte Elternschaft und kindliche Entwicklung. Susanne Mierau gibt Workshops für Eltern und Fachpersonal und spricht auf Konferenzen und Tagungen über kindliche Entwicklung, Elternschaft und Familienrollen.

Foto: Ronja Jung für geborgen-wachsen.de

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Foto: Ronja Jung für geborgen-wachsen.de

Warum es wichtig ist, auch wohlwollend auf sich selbst zu blicken als Elternteil

Elternschaft ist nicht immer einfach. So schön auch nasse Kinderküsse auf der Wange oder ein in den eigenen Armen langsam müde und weich werdender Babykörper sind, ist Elternschaft oft auch mit Herausforderungen verbunden – gerade in unserer Zeit, in der viele Eltern zu wenig Unterstützung haben und es zu wenig entlastende, aber viele belastende Rahmenbedingungen gibt. Als Belastung kommt oft noch hinzu, dass wir kritisch mit uns selbst umgehen, uns mit anderen vergleichen und an uns und unseren Fähigkeiten zweifeln.

Viele Eltern sind bei „Fehlern“ hart zu sich selbst

Wenn wir unser eigenes Handeln in Zweifel ziehen, gehen viele Eltern besonders kritisch und hart mit sich selbst um, statt verständnisvoll und freundlich auf sich zu blicken. Während wir bei unseren Kindern darum bemüht sind, die Gründe für das Verhalten nachvollziehen zu können und Verhalten auf (unerfüllte) Bedürfnisse zurückführen, vergessen wir das nur allzu oft bei uns selbst. Der eigene innere Kritiker mahnt und schimpft, statt Verständnis zu zeigen. Unsere Ziele sind hoch, unsere Erwartungen an unser eigenes Verhalten ebenso.

Ein wohlwollender Blick hat viele Vorteile

Doch die Art, wie wir mit uns selbst umgehen und auf uns blicken, beeinflusst uns nicht nur kurzfristig, sondern hat langfristige Wirkung: Wenn es uns gelingt, einen wohlwollenden, ressourcenorientierten Blick auf uns selbst anzuwenden, erlangen wir einen besseren Zugang zu unseren Bedürfnissen und Gefühlen und können hierdurch auch besser (drohende) Überforderung, Stress und Angst wahrnehmen, besser für uns selbst sorgen und so Stresssituationen mit Kind vermeiden, die dann auftreten, wenn es uns ohnehin nicht gut geht und das Kind mit seinem Verhalten das Fass zum Überlaufen bringt.

Ein wohlwollender Blick auf uns selbst ist damit einerseits hilfreich, damit wir besser mit uns selbst umgehen, uns pflegen und gut versorgen, und gleichzeitig ist er hilfreich für die Beziehung zum Kind. Zudem geben wir als Vorbild weiter, dass Achtsamkeit und Selbstfürsorge wichtige Bestandteile des Alltags sind.

Kleine Schritte zu einem wohlwollenden Blick

Wenn die eigene, kritische innere Stimme bisher immer sehr laut war, kann es schwerfallen, den Blick auf sich selbst zu verändern. Folgende Schritte können dabei unterstützen, den eigenen Blick auf sich sanfter zu gestalten:

  • Notiere jeden Tag, was du geschafft hast, worin du erfolgreich oder gut warst. Das können Kleinigkeiten sein wie das Einschlafen des Kindes gut begleitet zu haben.
  • Versuche, dir direkt nach einem gemeisterten Hindernis etwas Gutes zu sagen und anzuerkennen, was du gerade geschafft hast. Das kannst du laut oder leise tun.
  • Wenn doch etwas schief läuft: Versuche, dir selbst so verständnisvoll zu begegnen, wie du es bei Freund*innen oder Partner*innen tun würdest.
  • Nimm dir ganz konkrete Ziele vor, was du Positives für dich tun willst, trage das in deinen Kalender ein und mach es auch wirklich.

Wir sollten den wohlwollenden, liebevollen Blick, mit dem wir versuchen, unseren Kindern zu begegnen, auch viel öfter auf uns selbst anwenden und uns hier und da auf die Schulter klopfen für all das, was wir gut gemacht haben.

Eure

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