Alle Artikel von Susanne Mierau

Ich möchte es gern anders machen…

Viele Eltern haben in ihrer Kindheit Erfahrungen gemacht, die sie heute nicht an die eigenen Kinder weiter geben wollen. Und obwohl dieser Gedanke fest in ihnen verankert ist, fällt es ihnen oft gar nicht so einfach, dieses Vorhaben in die Tat umzusetzen. Dies kann dann als besonders quälend erfahren werden: Ich will es doch eigentlich anders machen, aber warum nur gelingt es mir nicht?

Der Gedanke ist schon der erste Schritt

Bindung ist in erster Linie ein Schutzsystem für das Kind: Das feinfühlige Zuwenden und Umsorgen der Bedürfnisse des Kindes dient der gesunden Entwicklung und dem Überleben. Es ist in uns Menschen verankert, dass wir uns um unsere Kinder kümmern. Durch eigene Erfahrungen kann aber die Ausgestaltung des Kümmerns beeinflusst werden: Werden Bedürfnisse von Kindern nicht feinfühlig wahrgenommen, richtig interpretiert und letztlich passend beantwortet, lernt das Kind durch diese Behandlung etwas in Bezug auf die Beziehung, den eigenen Selbstwert und über sich. Wenn ein Kind immer wieder die Erfahrung macht, dass die Bedürfnisse in dieser eigentlich nicht gewünschten Weise beantwortet werden, verinnerlicht es diese Handlungen und Verhaltensweisen. Ist es später selber Elternteil, fällt es diesem ehemaligen Kind oft schwer, genau diese Bedürfnisse, die bei sich selbst nicht gesehen/nicht erfüllt wurden, beim eigenen Kind angemessen umzusetzen. Wir reagieren scheinbar reflexhaft auf das kindliche Verhalten mit dem erlernten Muster.

Eltern, die nun aber bewusst wahrnehmen: „Ich will das eigentlich gar nicht!“ haben den ersten Schritt für eine Änderung bereits gemacht: Sie reflektieren den eigenen Alltag mit Kind und nehmen wahr, dass es eine Diskrepanz gibt zwischen dem, was sie tun und dem, was sie eigentlich wollen bzw. was sich das Kind eigentlich wünscht. Dieses Erkennen des Unterschieds ist ein erster Schritt auf einem Weg, der für viele Eltern nicht einfach ist.

Erkennen allein reicht aber noch nicht

Selbst wenn Eltern sich vornehmen, das eigene Kind anders zu behandeln und nicht so viel zu schreien, das Kind nicht zu schlagen, ihm nicht zu drohen oder es mit Liebesentzug zu bestrafen, kann dieses Vorhaben dennoch schwer fallen. Erschrocken stellen wir fest, dass Wörter aus unserem Mund kommen, die sich doch nach den eigenen Eltern anhören. Gerade in stressigen oder emotional aufgeladenen Situationen, im Streit mit dem Kind oder scheinbaren Notsituationen können Eltern in die Situation kommen, nicht dem gerade Erlebtem umgehen zu können und von den eigenen Gefühlen von Zurückweisung, Beschämung, Bedrohung überflutet zu werden, die durch das entsprechend erlernte Verhalten abgestellt werden sollen.

Das, was wir erleben, hinterlässt Spuren in den Nervenverbindungen unseres Gehirns. Nicht nur in der Kindheit entstehen synaptische Verschaltungen, sindern unser ganzes Leben lang. Nerven verbinden sich durch die Erfahrungen, die wir machen, und diese Verbindungen prägen unser Denken und Handeln.

S. Mierau (2019): Mutter.Sein S.80

Schritte neben dem Wunsch, es anders zu machen

Neben dem Wunsch, es anders machen zu wollen, ist es deswegen wichtig, sich bewusst mit der eigenen Kindheit auseinander zu setzen: Wie wurden welche Bedürfnisse beantwortet und wurden sie es überhaupt zuverlässig? Woran hat es gemangelt? Daneben sind es oft konkrete Situationen, die Eltern immer wieder besonders schwer fallen und sie können sich fragen: Welche Gefühle wehre ich ab? Welche Situationen überfordern mich heute immer wieder? Gibt es verbindende Elemente? Diesen Fragen auf den Grund zu gehen, ist manchmal nicht einfach und es kann sein, dass dafür therapeutische Hilfe notwendig ist.

Wichtig ist dann, diese Situationen im Alltag nach Möglichkeit vorher zu erkennen (beispielsweise „Gleich wird es wieder schwierig, wenn mein Kind anfängt wütend zu sein.“) und dann entweder konkret die Hilfe einer anderen Person einzufordern (anderer Elternteil: „Kannst Du das übernehmen?“) oder sich bewusst zu machen, dass wir in dieser für uns schwierigen Situation sind, aber dieses Geschehen im Hier und Jetzt stattfindet und nicht in der Vergangenheit und eigenen Kindheit. Vielen Eltern hilft es, wenn sie sich erst selbst beruhigen durch zählen, atmen, bewusste Körperwahrnehmung, bevor sie mit dem Kind reden in einer Wutsituation. Sind sie ruhiger, fällt es ihnen auch wieder leichter, bewusst die Bedürfnisse des Kindes wahrzunehmen, zu interpretieren und zu beantworten. Mit der Zeit können sich so neue Handlungsmuster einprägen und es wird leichter, mit schwierigen Situationen umzugehen.

Dieser Weg mag nicht immer einfach sein. Tatsächlich ist aber schon ein riesiger und wunderbarer Schritt damit getan, sich sicher zu sein, es anders machen zu wollen.

Eure

Zur Autorin:
Susanne Mierau ist Diplom-Pädagogin (Schwerpunkt Kleinkindpädagogik) und Familienbegleiterin. Sie arbeitete an der FU Berlin in Forschung und Lehre, bevor sie sich 2011 im Bereich bedürfnisorientierte Elternberatung selbständig machte. Ihr 2012 gegründetes Blog geborgen-wachsen.de und ihre Social Media Kanäle sind wichtige und viel genutzte freie Informationsportale für bedürfnisorientierte Elternschaft und kindliche Entwicklung. Susanne Mierau gibt Workshops für Eltern und Fachpersonal und spricht auf Konferenzen und Tagungen über kindliche Entwicklung, Elternschaft und Familienrollen.

Foto: Ronja Jung für geborgen-wachsen.de

Weiterführende Literatur*:
Becker-Stoll, Fabienne/Beckh, Kathrin/Berkie, Julia (2018): Bindung. Eine sichere Basis fürs Leben. – München: Kösel.
Hüther, Gerald (2015): Die Macht der inneren Bilder. Wie Visionen das Gehirn, den Menschen und die Welt verändern. – 9. Aufl. Goettingen: vandenhoeck & Ruprecht.
Mierau, Susanne (2019): Mutter.Sein. Von der Last eines Ideals und dem Glück des eigenen Wegs. – 2. Aufl. Weinheim: Beltz.
Müller-Münch, Ingrid (2016): Die geprügelte Generation. Kochlöffel, Rohrstock und die Folgen. – 5. Aufl. München: Piper.

Die Literatursammlung enthält Affiliate-Links zu Amazon, durch die Geborgen Wachsen im Falle einer Bestellung eine Provision erhält ohne dass für dich Mehrkosten anfallen. Die vorgeschlagenen Bücher haben wir selbst gekauft, geschrieben oder es waren Rezensionsexemplare.

Bild von skalekar1992 auf Pixabay

Spielkästen und Spielwelten für Kinder anbieten

Gerade ist es nass-kalt und das Wetter lädt wenig dazu ein, Zeit draußen zu verbringen. Auch wenn es gut ist, jeden Tag ein wenig hinaus zu gehen, ist in vielen Familien der Schwerpunkt der gemeinsamen Zeit aktuell zu Hause zu finden. Manchmal schleicht sich dann hier oder da Langeweile ein oder die Anreize für das vertiefte Spiel gehen aus, wenn das Kind nicht aktuellen Entwicklungsbedürfnissen für Grob- und Feinmotorik nachkommen kann.

Eine immer wieder schöne Idee für Kinder sind vorbereitete Spieltabletts oder -kisten. Mit ihnen können sich viele Kinder intensiv über einen längeren Zeitraum beschäftigen. Oft kommen sie in einen Flow-Zustand beim Umfüllen, Schütten, Rühren, Harken.

Wie ein solches Tablett oder Kiste gestaltet sein kann, ist ganz verschieden: Es kann ein Wald gebaut werden oder eine kleine Murmelstrecke aufgebaut werden. Mit Linsen, Couscous oder Reis kann die Landschaft weiter gestaltet werden. Oder es wird von vorn herein ein Tablett angeboten, bei dem der Schwerpunkt mit Trichtern und Kellen und Löffeln auf dem Umverteilen liegt.

Bei der Vorbereitung eines Spieltabletts oder einer Kiste können wir uns fragen: Womit beschäftigt sich mein Kind gerade gerne? Was sind die Schwerpunkte seiner aktuellen Entwicklung? Mit welchen Kleinteilen kann es gefahrlos spielen? Füllt es gerne um? Baut es gerne? Auch eine Kiste mit Hirse oder Kinetischem Sand und Bagger kann eine schöne Idee sein. Oder eine Kiste mit ungekochten Spirelli-Nudeln und Kindertöpfen und Besteck.

Natürlich geht bei diesen Spielen auch etwas daneben. Das kann anschließend aufgekehrt und wieder verwendet werden für das nächste Tablett. Übrigens sind auch Schüssel mit hartem, gefärbten Reis eine schöne Spielidee wie hier oder selbst hergestellter kinetischer Sand aus Mehl und Öl wie hier. Wer keine Lebensmittel verwenden möchte zum Umfüllen, kann auch ein Tablett mit Knöpfen anbieten.

Als Unterlage/Gefäß für das Spiel bieten sich kleine Kisten, Tabletts oder auch eine alte Holzschublade aus einer Kommode an.

Der Fantasie für Spieltabletts und -kisten sind keine Grenzen gesetzt.
Probiert es doch einmal aus.
Eure

Zur Autorin:
Susanne Mierau ist Diplom-Pädagogin (Schwerpunkt Kleinkindpädagogik) und Familienbegleiterin. Sie arbeitete an der FU Berlin in Forschung und Lehre, bevor sie sich 2011 im Bereich bedürfnisorientierte Elternberatung selbständig machte. Ihr 2012 gegründetes Blog geborgen-wachsen.de und ihre Social Media Kanäle sind wichtige und viel genutzte freie Informationsportale für bedürfnisorientierte Elternschaft und kindliche Entwicklung. Susanne Mierau gibt Workshops für Eltern und Fachpersonal und spricht auf Konferenzen und Tagungen über kindliche Entwicklung, Elternschaft und Familienrollen.

Foto: Ronja Jung für geborgen-wachsen.de

Elterliche Präsenz – Anwesend sein ohne zu leiten

Zwischen dem Bedürfnis nach Schutz, Nähe und Fürsorge haben Kinder das Bedürfnis nach Exploration: Sie wollen die Welt erkunden, lernen, sich darin bewegen und sich so Stück für Stück die Welt aneignen. Zwischen diesen beiden Bedürfnissen bewegen sie sich jeden Tag an vielen Stellen hin und her. Wir sehen das daran, wenn das Kleinkind ein Stück voran läuft, freudig das Rennen übt und auf etwas neugierig zuläuft und plötzlich stehen bleibt, um sich zu versichern, dass die schützende Person noch anwesend ist. Auch in anderen Situationen nehmen wir wahr, dass es immer wieder ein Hin und Her gibt zwischen Erkundung und Nähe – je größer die Kinder werden, desto ausgedehnter werden die einzelnen Phasen.

Manchmal fallen Nähe und/oder Freiheit schwer

Für das Kind ist es deswegen wichtig, dass es beides hat und erfährt: die Nähe der Eltern und zugleich die Möglichkeit, zu erkunden. Manchmal erscheint gerade das aber gar nicht so einfach, wenn Eltern in Bezug auf die Nähe und/oder das Zulassen der Erkundung Schwierigkeiten haben. Wie kann es aussehen, das Kind in Bezug auf den Erkundungsdrang einzuschränken? Beispielsweise indem wir immer wieder die Betonung auf Gefahren lenken und dem Kind nicht altersgerechte Erkundung ermöglichen: „Nein, lieber nicht klettern!“, „Das Brot darfst du dir nicht schmieren, du könntest dich am Messer schneiden!“… Aber auch in Bezug auf die Nähe können wir Schwierigkeiten haben, wenn wir das Kind länger versuchen zu trösten, obwohl es schon wieder los möchte. Vielleicht, weil wir selbst verängstigt sind und weniger das Kind trösten, sondern mehr uns selbst. Oder – das Gegenteil -indem wir die Nähe nicht zulassen, wenn das Kind sie gerade einfordert: „Sei nicht immer so ängstlich!“

Es ist manchmal ein schmaler Grad und gerade für Eltern, die vielleicht selber Schwierigkeiten mit Nähe und Distanz haben und diese selber nicht beide gut ausleben konnten, ist es schwer, einzuschätzen, was das Kind gerade braucht, was angemessen oder auch altersgerecht ist. Auch Erlebnisse im Laufe unseres Lebens oder gehörte Geschichten können es uns schwer machen.

Der Gedanke von „Präsenz“ kann es erleichtern

Es hört sich so einfach an und ist dennoch oft so schwer: Wir müssen gar nicht so viel tun, um unsere Kinder zu begleiten. Wir müssen vor allem da sein. Der Gedanke daran, als Elternteil „präsent“ zu sein, kann vielen Eltern helfen, die Situation besser einzuschätzen.

Wir sind präsent, wenn wir anwesend sind, wenn das Kind etwas erkundet. Wir müssen nicht vormachen, wie man mit einem Spielzeug umgeht oder mit einem ungefährlichen Haushaltsgegenstand. Wir können anwesend sein und bei Bedarf des Kindes als Ansprechperson zur Verfügung stehen. Wenn das Kind uns auffordert, zu helfen, etwas anzusehen, zu erklären, sind wir da.

Wir sind präsent, wenn das Kind sich von uns entfernt und bleiben in einer angemessenen Entfernung, die Sicherheit bietet, wenn es sich von uns weg bewegt in einem sicheren Umfeld. Viele Kinder pausieren in der Erkundung, um sicherzustellen, dass die Erwachsenen noch in der Nähe sind. In gefährlichen Situationen wie dem Straßenverkehr, die ein kleines Kind noch nicht überblicken kann, sind wir in der präsenten Schutzfunktion und verdeutlichen, dass jetzt keine Erkundung möglich ist. Es fällt dem Kind einfacher, wenn es weiß, dass es später wieder in die Erkundung gehen kann.

Wir sind präsent, wenn das Kind wütend ist. Manchmal lässt es im ersten Moment oder den ersten Minuten keine Nähe zu, sondern lebt diese Wut aus, entlädt das Gefühl, das in ihm aufgekommen ist. Mit einem Abwarten in der Nähe sind wir präsent und drücken mit Anwesenheit oder auch sprachlich aus: „Ich bin hier, wenn du bereit bist. Ich tröste dich, wenn du es brauchst.“

Wir sind präsent, wenn das Kind Zuwendung braucht: Gerade jetzt braucht es Schutz und Nähe – nach einem Wutanfall. nach einem Streit, weil es sich verletzt hat. In diesem Moment sind wir für das Kind da und können körperlich und sprachlich ausdrücken: „Ich bin dein sicherer Hafen. Ich schütze dich, ich halte dich, wenn du es brauchst.“ Und wir bemerken, wenn das Kind von der Nähe und dem Schutz gesättigt ist und lasses es wieder gehen. Bei einigen Kindern geht es schneller, bei anderen dauert es länger.

Wenn wir also im Alltag manchmal Schwierigkeiten haben damit, ob wie zu nah oder zu weit weg sind, denken wir an den Begriff der Präsenz und erinnern uns daran, dass wir zugänglich sein sollten für das Kind und seine Bedürfnisse, ohne dabei aufdringlich zu sein und unser eigenes Denken und Handeln in den Vordergrund zu stellen.

Eure

Zur Autorin:
Susanne Mierau ist Diplom-Pädagogin (Schwerpunkt Kleinkindpädagogik) und Familienbegleiterin. Sie arbeitete an der FU Berlin in Forschung und Lehre, bevor sie sich 2011 im Bereich bedürfnisorientierte Elternberatung selbständig machte. Ihr 2012 gegründetes Blog geborgen-wachsen.de und ihre Social Media Kanäle sind wichtige und viel genutzte freie Informationsportale für bedürfnisorientierte Elternschaft und kindliche Entwicklung. Susanne Mierau gibt Workshops für Eltern und Fachpersonal und spricht auf Konferenzen und Tagungen über kindliche Entwicklung, Elternschaft und Familienrollen.

Foto: Ronja Jung für geborgen-wachsen.de

Unterschiedliche Erziehungsstile als Elternpaar? – Erziehung gemeinsam gestalten und sich wertschätzen

„Natürlich sind wir einer Meinung, was die Erziehung unserer Kinder betrifft!“ denken wahrscheinlich viele Eltern, die die Sorge und Pflege der Kinder in der ein oder anderen Form teilen. Auf den zweiten Blick tun sich dann aber doch hier und da Unterschiedlichkeiten auf und an manchen Stellen kommt es gelegentlich auch zum Streit: „Ich habe doch aber gesagt, wir sollen es so tun und nicht anders!“ oder auch „Lies doch endlich mal die Bücher, die ich Dir gegeben habe, wir wollen unsere Kinder doch modern begleiten!“ oder „Nie hörst Du Dir meine Gedanken zur Erziehung an!“ – Elternschaft ist nicht nur deswegen manchmal schwierig, weil die Begleitung der Kinder Kraft und Energie kostet, sondern auch, weil sie nicht in einem luftleeren Raum stattfindet und wir uns mit Freunden, Verwandtschaft und eben auch dem anderen Elternteil verständigen müssen.

Der gegenseitige Schutzhafen

In Bezug auf unsere Kinder sprechen wir oft davon, dass wir der sichere Hafen für sie sind. Wir stellen Bindung her, indem wir ihnen Schutz, Fürsorge und Freiheit geben und sie durch schwierige und schöne Momente begleiten und sie dabei annehmen, wie sie sind. Sie wissen: Auch wenn ich meine Flügel ausbreite, kann ich in das Nest zurückkehren. Auch in einer Beziehung mit einem erwachsenen Menschen gehen wir eine Bindung ein und auch dort ist es wichtig zu wissen, dass wir aufgefangen werden können und der andere Elternteil ein sicherer Hafen sein kann. Es ist wichtig, dass wir als Person gesehen werden mit unseren Werten, Bedürfnisse, unseren (Lebens-)vorstellungen und Ideen. Es ist wichtig, dass wir wertgeschätzt werden als Personen in unserem Handeln und Sein.

Werten wir die andere Person ab, nehmen wir ihre Vorstellungen und Bedürfnisse nicht ernst, stören wir das Beziehungsgefüge. Das kann passieren, wenn wir uns nicht mit den Werten der anderen Person auseinander setzen wollen. Oder wenn wir uns in unserem Tun überlastet und nicht wertgeschätzt fühlen: „Selber Schuld, dass das Kind immer so an Dir klebt und abends so lange braucht zum Einschlafen!“ In einem solchen Konflikt wird nicht gesehen, wie anstrengend die Begleitung von Kindern sein kann und dass es nicht eine Frage der Schuld ist, dass das Kind nicht allein einschläft, sondern eine Frage der Erziehungshaltung.

Ganz besonders schwierig wird es bisweilen in ohnehin schon angespannten Situationen: Das Kind ist wütend – eine oftmals anstrengende Situation für Eltern. Vielleicht kann ein Elternteil mit der Wut des Kindes nicht gut umgehen, das belastet den anderen Elternteil und auch die Beziehung. Oder sie haben gleiche oder unterschiedliche Lösungsstrategien (Wut und/oder Ohnmacht) und behindern sich dadurch im Umgang, sind also keine Sparringspartner in schwierigen Situationen. Die große Frage, die sich daraus ergibt, heißt also: Wann sollten Eltern übereinstimmen, und müssen sie es in Hinblick auf Erziehung überhaupt – oder ist es egal?

S. Mierau (2019): „Mutter.Sein. Von der Last eines Ideals und dem Glück des eigenen Wegs.“ S. 193

Unterschiedliche Wege gemeinsam betrachten und anerkennen

Es ist in Ordnung, wenn wir nicht immer einer Meinung sind als Eltern. Und auch dass wir unterschiedlich mit einzelnen Situationen der Kinder umgehen, ist ganz normal: Ein Elternteil kuschelt mit dem Kind bis es eingeschlafen ist, das andere liegt daneben und liest etwas. Ein Elternteil spielt gerne Gesellschaftsspiele, der andere bastelt lieber mit den Kindern. Ein Elternteil singt dem weinenden Kind etwas vor, der andere hält es „nur“ im Arm. Wir können unterschiedliche Wege gehen und dennoch zugewandt und liebevoll sein in den verschiedenen Wegen. Kinder lernen hiervon auch, dass es unterschiedliche Wege gibt, um Gefühle auszudrücken oder mit Situationen umzugehen. Es ist eine Bereicherung für sie, dass Eltern nicht immer alles gleich machen müssen.

Wichtig ist allerdings, dass wir in den grundlegenden Punkten übereinstimmen und in den Austausch kommen, wenn wir große Unterschiede feststellen, denn diese Unterschiede können auf Dauer zu Problemen werden. Wenn ein Elternteil die Kinder stärker bedürfnisorientiert begleitet, fordern die Kinder selbstverständlich von diesem Elternteil auch mehr Begleitung ein: Die Lastenverteilung kommt in ein Ungleichgewicht und ein Elternteil wird mit der Begleitung der Kinder mehr belastet.

Auch wenn Eltern grundlegend in ihrer Ausrichtung übereinstimmen, kann es zu unterschiedlicher Bevorzugung der Eltern kommen und zeitweise wird ein Elternteil (oft jenes, das mehr anwesend ist oder in einem konkreten Fall eher die konkreten Bedürfnisse erfüllt) bevorzugt. Stimmen beide Eltern in der grundlegenden Haltung jedoch überein, haben sie Verständnis dafür und fangen sich gegenseitig auf und teilen Lasten. Wendet sich ein Elternteil nun an den anderen, um aufgefangen zu werden, die eigene Not zu teilen und wertgeschätzt zu werden, kann dieser positiv darauf eingehen, wertschätzen und versuchen, zu entlasten.

Es kann aber auch passieren, dass der andere Elternteil kein Verständnis für die Bedürfniserfüllung des anderen zeigt, diesen zurückweist und mit der Last allein lässt. So erfolgt weder eine Entlastung, noch eine Wertschätzung. Der Elternteil, der das Kind begleitet, ist mit der emotionalen Last der Begleitung allein und bekommt hierfür keine Wertschätzung oder Anerkennung. Das Gefühl, in der Beziehung aufgefangen zu werden, ist nicht gegeben. Weiterer ungünstiger Effekt kann sein, dass der Elternteil, der von den Kindern weniger beansprucht wird, sich abgelehnt und ausgegrenzt fühlt und dafür die andere Erwachsenenperson mit ihrer Erziehungshaltung verantwortlich macht: Ein ungünstiger Kreislauf, der zu gegenseitigen Vorwürfen und Überlastungen führt.

Miteinander reden

Es klingt so einfach, und ist doch so schwer: Als Eltern müssen wir miteinander reden. Und nicht nur das: Wir sollten versuchen, gleichermaßen die Bedürfnisse von Kindern zu begleiten und zu erfüllen. In der Ausgestaltung kann das durchaus unterschiedliche sein, aber in der gleichwertigen Beantwortung sollten wir uns austauschen. Und auch wenn es manchmal einfacher erscheinen mag, sitzen zu bleiben, weil der andere Elternteil gerade angefragt wird, sollten wir dennoch aufstehen und das Bedürfnis des Kindes begleiten, wenn die andere erwachsene Person schon beim letzten Mal dran war/gerade erschöpft ist/einfach auch mal eine Pause macht. Wir können uns ergänzen und gegenseitig halten. Beide Elternteile können für alle Bedürfnisse Ansprechpartner*in sein und sich abwechseln, um einer Überforderung einer Person vorzubeugen und gleichzeitig die Wertschätzung des anderen nicht aus den Augen zu verlieren. Gerade im oft anstrengenden Leben mit Kindern tut es gut, sich anlehnen zu können an andere Menschen und aufgefangen zu werden, wenn wir es brauchen. Auch als Erwachsene brauchen wir einen sicheren Hafen, den wir ansteuern können, wenn es gerade schwierig ist.

Eure

Zur Autorin:
Susanne Mierau ist Diplom-Pädagogin (Schwerpunkt Kleinkindpädagogik) und Familienbegleiterin. Sie arbeitete an der FU Berlin in Forschung und Lehre, bevor sie sich 2011 im Bereich bedürfnisorientierte Elternberatung selbständig machte. Ihr 2012 gegründetes Blog geborgen-wachsen.de und ihre Social Media Kanäle sind wichtige und viel genutzte freie Informationsportale für bedürfnisorientierte Elternschaft und kindliche Entwicklung. Susanne Mierau gibt Workshops für Eltern und Fachpersonal und spricht auf Konferenzen und Tagungen über kindliche Entwicklung, Elternschaft und Familienrollen.

Foto: Ronja Jung für geborgen-wachsen.de

Weiterführende Literatur*:
Mierau, Susanne (2019): Mutter.Sein. Von der Last eines Ideals und dem Glück des eigenen Wegs. Weinheim: Beltz.
Becker-Stoll, Fabienne (2018): Bindung. Eine sichere Basis fürs Leben. München: Kösel.
Mik, Jeannine/Teml-Jetter, Sandra (2019): Mama, nicht schreien! Liebevoll bleiben bei Stress, Wut und straken Gefühlen. München: Kösel.

Dieser Artikel enthält Affiliate-Links zu Amazon, durch die Geborgen Wachsen im Falle einer Bestellung eine Provision erhält ohne dass für dich Mehrkosten anfallen. Die vorgeschlagenen Bücher haben wir selbst gekauft, geschrieben oder waren Rezensionsexemplare.

Essen mit Kleinkindern – 4 typische Probleme und ihre Lösungen

Mit einem Kleinkind können Mahlzeiten manchmal zu einer Herausforderung werden. Gemütlich möchte man sich zusammen an den Esstisch setzen und das gekochte Essen verzehren, aber dann will das Kind nicht essen/schimpft/wirft das Essen hinunter/spielt mit der Mahlzeit. Schnell können die gemeinsamen Mahlzeiten dann zu einem Dauerproblem werden. Doch was können wir gegen die schwierigsten Tischprobleme unternehmen?

1. Mein Kind will nicht essen

In der Kleinkindzeit ist es nicht selten, dass gesunde Kinder nicht so essen wollen, wie wir es uns manchmal vorstellen. Auf einmal schmeckt dieses oder jenes nicht und sie haben auch keine Lust, davon zu probieren. Das als „Neophobie“ bezeichnete Ablehnen von neuen Speisen ist gar nicht so selten und sogar eine ganz sinnvolle Eigenschaft kleiner Kinder: Sie schützt davor, Unbekanntes unbedacht in den Mund zu stecken. Eigentlich eine wirklich gute Eigenschaft für die sonst abenteuerlustigen Kleinkinder. Nur gerade jetzt, beim gesunden Essen auf dem Tisch, macht das doch eigentlich keinen Sinn? Es hilft aber auch nichts, dem gerade mäkeligen Kind das Essen aufzuzwingen: Besser ist es, das Nahrungsmittel immer wieder anzubieten, auch mal in unterschiedlichen Arten (püriert, ganz, klein geschnitten, vermengt mit andere, geliebten Dingen,…) bis das Kind doch einmal probiert.

Es kommt auch vor, dass Kinder rund um eine Erkältung herum weniger essen oder gerade dann bestimmte Nahrungsmittel bevorzugen und beispielsweise besonders viele Proteine zu sich nehmen wollen oder in Zeiten, in denen sie besonders körperlich aktiv sind, Kohlehydrate bevorzugen. Nehmen wir also in den Zeiten, in denen nur bestimmte Dinge auf den Tisch kommen sollen, die aktuelle Entwicklung des Kindes in den Blick und nicht nur das Essverhalten. Oft gibt dies einen Aufschluss über das Essverhalten. Es kann auch helfen, die tatsächlichen Nahrungsmengen und -bestandteile in einem Protokoll festzuhalten – manchmal essen Kinder über den Tag verteilt so viele kleine Snacks, dass sie zu den Mahlzeiten keinen Hunger haben. Wird das Kleinkind noch gestillt, gibt es manchmal rund um Erkrankungen auch Phasen, in denen die Muttermilch wieder zur Hauptnahrungsquelle wird und anschließend wieder mit gutem Appetit zurückgedrängt wird. Die Beikostaufnahme erfolgt nicht linear, d.h. erst gibt immer wieder auch mal Rückschritte in der Beikostzeit.

2. Mein Kind spielt mit dem Essen

Beikost ist erstmal eine spielerische Annäherung an eine neue Ernährungsform. Kinder lernen neue Nahrungsmittel kennen und lernen nach und nach, dass auch diese sättigen. Dabei erfahren sie ganz neue Konsistenzen und Geschmäcker. Nahrungsaufnahme ist deswegen lernen und lernen erfolgt im Spiel. Kinder gehen deswegen oft neugierig an neue Speisen heran: sie riechen darin, befühlen sie, testen ihre Konsistenz mit den Händen und erst später mit dem Mund. All das ist normal und bedeutet nicht, dass das Kind niemals Tischmanieren entwickeln wird. Tischmanieren lernt es mit der Zeit nach und nach durch unser Vorbild, denn auch hier lernt es im natürlichen Alltag und eignet sich mehr und mehr das an, was es in seiner Umgebung sieht. Spielt das Kind besonders zum Ende der Mahlzeit mit dem Essen, nachdem es zunächst „normal“ gegessen hat, könnte es auch einfach satt sein (siehe Punkt 4).

3. Mein Kind „trotzt“ beim Essen

Auch das Essen ist ein Teil der wichtigen Lernerfahrungen der Kleinkindzeit. Kinder wollen auch hier ihre Fertigkeiten ausbauen. Mit dem Essen kann ganz besonders gut die Feinmotorik verbessert werden. Wichtig ist natürlich auch hier, dass Kinder wirklich beteiligt werden und sich aktiv einbringen können. Bieten wir ihnen nicht die Möglichkeit dazu, führt das oft zu Frustration und Ärger.

Konkret bedeutet das: Kleinkinder sollten nach ihren Möglichkeiten an der Zubereitung, am Tischdecken und Essen beteiligt werden: Sie können beim Zubereiten des Essens helfen, indem sie Bestandteile davon schneiden oder zusammen mischen können. Sie können helfen, den Tisch zu decken und später ihren Teller und das Besteck abräumen und in die Küche bringen. Sie können mit Kinderbesteck (Messer, Gabel, Löffel) essen und aus einem kleinen Glas selbst trinken. Mit einem kleinen Krug können sie sich selbst Wasser einschenken und mit einer kleinen Kelle auftun. Kleinkinder brauchen kein spezielles Kindergeschirr, sondern können von normalen Tellern essen. So vermitteln wir ihnen, dass sie ebenso sicher und gut am Essen teilnehmen können wie alle anderen. Vielleicht geht gelegentlich etwas kaputt, oft aber fallen dort, wo echtes Geschirr verwendet wird, seltener Teller und Gläser zu Boden als dort, wo Kinder erfahren, dass das Werfen keinen Einfluss auf die Dinge nimmt.

4. Das Kind wirft Dinge auf den Boden

Und wenn das Kind nun doch Teller, Besteck oder Essen auf den Boden wirft? Wir kennen es manchmal aus der Babyzeit: Die Freude daran, zu sehen, dass Dinge nach unten fallen. Kleinkinder haben dieses Spiel aber eigentlich schon überwunden. Oft werfen sie deswegen nicht wegen des Interesses an der Physik, sondern weil sie etwas anderes ausdrücken möchten mit ihrem Verhalten: Ich will nicht mehr! Für Kleinkinder ist es oft noch schwer, sich sprachlich auszudrücken und auch am Tisch fehlen noch oft noch so einige Worte. Während das Kind beim Füttern durch Abwenden zeigt, dass es fertig ist, ist es beim selbständigen Essen manchmal schwierig. Nehmen die Eltern nicht wahr, dass das Kind eigentlich satt ist, und bleibt das Kind vor dem Teller sitzen, wird ihm langweilig: es beginnt zu spielen und eventuell damit, Essen oder Besteck auf den Boden zu werfen. Lernt es nach wiederholtem Herunterwerfen vielleicht sogar, dass Teller und Besteck abgeräumt werden, wenn es Dinge herunter geworfen hat, erscheint diese Handlung dem Kind logisch, um das Essen zu beenden und endlich weiter spielen zu können. Ein ungünstiger Kreislauf. Deswegen ist es auch beim Essen wichtig, auf die Signale des Kindes zu achten: Ist es satt, isst es nicht weiter, spielt auf dem Teller mit dem Essen herum, sollte das Essen beendet werden. Wir können noch einmal nachfragen und dann abräumen. Alternativ kann dem Kind auch ein Signal beigebracht werden, damit es auch ohne Sprache äußern kann, dass es satt ist. Das kann ein Signal mit den Händen sein (wie aus der Babyzeichensprache) oder einfach das Wegschieben des Tellers zur Tischmitte.

Essen ist eine sinnliche Erfahrung, die Kindern Freude machen sollte. Sie lernen gerade am Esstisch sehr viel in der Kleinkindzeit: Feinmotorik bildet sich aus, sie lernen Tischmanieren und das Essen ist immer auch ein soziales Miteinander. Eine positive Stimmung am Familientisch ist deswegen ein guter Baustein zum Ausbau dieser Fertigkeiten.

Eure

Zur Autorin:
Susanne Mierau ist Diplom-Pädagogin (Schwerpunkt Kleinkindpädagogik) und Familienbegleiterin. Sie arbeitete an der FU Berlin in Forschung und Lehre, bevor sie sich 2011 im Bereich bedürfnisorientierte Elternberatung selbständig machte. Ihr 2012 gegründetes Blog geborgen-wachsen.de und ihre Social Media Kanäle sind wichtige und viel genutzte freie Informationsportale für bedürfnisorientierte Elternschaft und kindliche Entwicklung. Susanne Mierau gibt Workshops für Eltern und Fachpersonal und spricht auf Konferenzen und Tagungen über kindliche Entwicklung, Elternschaft und Familienrollen.

Foto: Ronja Jung für geborgen-wachsen.de

Hilfe, mein Kind will nicht die Zähne putzen! – Gewaltfreie Wege der Zahnpflege

Pflegesituationen sind gerade mit größer werdenden Kindern oft nicht einfach und auch das Zähneputzen kann zu einem Konfliktthema zwischen Eltern und Kind werden, wenn das Kind kein Interesse am Zähneputzen hat oder es gar verweigert. Gerade das Zähneputzen ist für viele Eltern eine angstbehaftete Situation, vielleicht aus den eigenen Erfahrungen mit Karies und Zahnbehandlungen heraus, vielleicht aus der Angst um die Unversehrtheit des Kindes heraus oder möglicher Folgeprobleme durch Karies. Tatsächlich ist die Zahnpflege des Kindes wichtig und es sollte von Anfang an ein Zahnpflegeritual etabliert werden – aber auf eine entspannte Art.

Angst ist ein schlechter Berater

Es ist normal, dass Eltern sich um die Gesundheit ihrer Kinder sorgen und ihnen beste Rahmenbedingungen schaffen wollen für die Entwicklung – gerade auch in Hinblick auf die gesundheitliche Entwicklung. Karies ist eine Erkrankung, die sich nachhaltig auswirken und zu größeren Eingriffen führen kann, die gerade bei Kindern vermieden werden wollen. Auch die immer häufiger auftretende Erkrankung der Kreidezähne ängstigt viele Eltern. Obwohl wir darum wissen, dass es in Bezug auf die Vorbeugung von Karies viele Aspekte zu beachten gibt rund um Ernährung, Vermeidung von Ansteckung und dem Nuckeln an Getränken, ist besonders das Zähneputzen bei vielen Eltern der Faktor, der die größte Aufmerksamkeit bekommt.

Angst ist jedoch in vielen Situationen ein schlechter Berater für alltägliches Handeln. Leitet uns Angst in Bezug auf die Körperpflege, sind wir eher verleitet, übergriffig zu reagieren und die Signale des Kindes nicht nur zu übersehen, sondern auch bewusst zu ignorieren. Gerade der Blick auf die Bedürfnisse des Kindes ist es aber, der die Zahnputzsituation entspannen kann. Natürlich dürfen wir das Wissen um Karies nicht aus den Augen verlieren, aber die Angst davor sollte nicht den Blick für das Kind und Alternativen verstellen.

Gewöhnung von Anfang an

Die Zähen des Babys sollten geputzt werden, sobald die ersten kleinen Zähne erscheinen. Doch auch schon vorher können wir das Baby an die Reinigung gewöhnen. Gerade in Zahnungszeiten ist es für einige Kinder angenehm, wenn die Zahnleisten mit Finger oder einem Zahnputzfingerling massiert werden. Die ersten kleinen Zähnchen können dann auch mit einem Zahnbürstenaufsatz für den Finger gereinigt werden und es wird langsam auf eine Zahnbürste umgestiegen. Hier gibt es unterschiedliche Modelle, die auch von Babys schon gut gehalten werden können und Teilhabe ermöglichen.

Wenn das Kind nicht möchte

Aber auch wenn das Zähneputzen schon scheinbar ewig als Ritual etabliert ist, kann es immer wieder vorkommen, dass das Kind sich gegen das Zähneputzen wehrt und gerade jetzt und heute nicht möchte. Und vielleicht auch an einem anderen Tag nicht. Manchmal brechen neue Zähne durch und das Zähneputzen schmerzt, manchmal liegen andere Gründe vor. Anstatt das Kind aber mit Gewalt zum Zähneputzen zu zwingen, können wir die Rahmenbedingungen durchgehen. Das Zähneputzen ist ein wesentlicher Bestandteil der täglichen Körperpflege und hat es deswegen verdient, einen entspannten Platz im Tagesablauf zu finden.

Nur abends geht es nicht

Manche Kinder verweigern abends das Zähneputzen, lassen sich aber morgens bereitwillig die Zähne putzen. Häufig ist dann am Ende des Tages die Kooperationsbereitschaft des Kindes einfach aufgebraucht, vielleicht ist es müde und erschöpft vom Tag. Hier kann es helfen, den Ablauf des Abends noch einmal genauer anzusehen, ggf. das Essen etwas nach vorn verschieben oder das Kind schon im Schlafanzug an den Esstisch setzen, damit nach dem Essen nicht noch weitere Zeit verstreicht, in der das Kind immer weniger Lust auf das Zähneputzen hat. Manchmal kann aber auch eine kreative Zahnputzsituation (siehe unten) die Müdigkeit kurz überdecken.

Manchmal liegt der eigentliche Grund der Verweigerung auch darin, dass das Kind das Zähneputzen als Schwelle zum Schlafengehen betrachtet und noch spielen und den Tag nicht beenden möchte. Auch hier ist es gut, den Ablauf noch einmal genauer anzusehen und das Zähneputzen vom direkten Schlafen zu entkoppeln, so dass das Kind beides nicht in Abhängigkeit voneinander sieht, beispielsweise durch eine kleine Spielsequenz nach dem Zähneputzen vor dem Zubettgehen.

Das empfindsame Kind

Wir alle nehmen Reize unterschiedlich wahr: Gerüche, Geschmäcker, Berührungen und haben auch unterschiedliche Arten, darauf zu reagieren. Einige Kinder sind empfindsamer als andere und/oder drücken ihre Empfindsamkeit besonders stark aus. Das ist normal und richtig. Vielleicht macht sich das auch an anderen Stellen bemerkbar, nicht nur beim Zähneputzen: Das Kind reagiert besonders empfindsam auf Textilien, mag keine Nähte oder Tags an Kleidung, ist sehr empfindsam bei Berührungen. Gerade das Zähneputzen kann für ein empfindsames Kind sehr anstrengend sein, weil das Zähneputzen durch eine andere Person vielleicht schmerzt, der Geschmack der Zahnpasta zu intensiv ist, die Bürsten zu hart.

Hier hilft es, mit dem Kind ins Gespräch zu kommen: „Zeig mir, wie du es magst! Wie soll ich die Zähne schrubbeln oder lieber sanft fegen?“, „Schmeckt dir die Zahnpasta zu stark? Wir können einen anderen Geschmack ausprobieren.“ Manchmal ist es auch die Körperhaltung, die das Kind einnehmen muss: 2 Minuten lang stehen und den Kopf nach oben strecken ist unangenehm und anstrengend. Beim Zähneputzen auf dem Wickeltisch oder der Waschmaschine sitzen und auf Augenhöhe sein mit der putzenden Person in entspannter Körperhaltung ist wesentlich angenehmer. Wenn das Kind uns mitteilt, dass das Zähneputzen unangenehm ist, sollten wir Verständnis entgegen bringen und sehen, an welchen Rahmenbedingungen wir etwas ändern können anstatt zu erklären: „Stell dich nicht so an, tut mir ja auch nicht weh.“

Selbständigkeit ermöglichen

In der Zeit nach dem ersten Geburtstag macht sich das Kind mehr und mehr mit der Welt vertraut und versucht darin eigene Wege zu gehen: selbständig zu werden und zu sein. Die Dinge lernen, die es für das Leben benötigt. Die Körperpflege ist einer dieser Bereiche und auch hier möchte das Kind immer mehr selber machen. gerade dann, wenn wir merken, dass die Selbständigkeit dem Kind wichtig ist und dieser Wunsch zum Gegenwillen führt, wenn wir Erwachsenen „einfach schnell selber machen“ wollen lohnt sich ein Blick auf die Rahmenbedingungen: Kann das Kind gut am Waschtisch stehen und sich vielleicht selber Wasser in den Zahnputzbecher füllen? Kann es sich im Spiegel ansehen beim Putzen? Wer kreativ ist, kann auch einen kleinen Waschtisch nach Montessori improvisieren. Auch das Zähneputzen möchte natürlich selbst durchgeführt werden: Einige Kinder finden es gut, wenn sie zuerst putzen dürfen, andere mögen es, wenn sie die abschließende Reinigung übernehmen und gerade niemand mehr „nachputzt“.

Vorbilder sind wichtig

Unsere Kinder ahmen uns und andere nach und finden auch darüber den Weg in die Selbständigkeit. Wie in vielen anderen Bereichen (beispielsweise Töpfchen/Toilette) ist es auch beim Zähneputzen wichtig, dass das Kind auch andere Menschen dabei beobachten kann und nachahmen darf. Deswegen sind Eltern als Zahnputzvorbilder wichtig: gemeinsam können die Zähne geputzt werden. Das Kind kann dabei auch einmal in die Rolle des Erwachsenen schlüpfen und diesem die Zähne putzen und der Erwachsene dann dem Kind. In der Rolle des Kindes kann die erwachsene Bezugsperson dann auch erfahren, wie sich das Zähenputzen anfühlt und an welchen Stellen es vielleicht aus der Sicht des Kindes Probleme gibt. Vorbilder können Kinder aber auch in Büchern und Videos finden. Es ist viele Bücher rund um das Zähneputzen, die Kindern nicht Angst machen, sondern auch Freude am Zähneputzen wecken.

Kreative Ideen

Und wenn nichts von den genannten Ursachen in Frage kommt? Dann hilft uns manchmal nur ein kreativer Umgang mit dem Zähneputzen mit Hilfe von

  • Zahnputzlieder singen oder Zahnputzgedichte aufsagen
  • Eine Geschichte ausdenken zum Zähneputzen: Jeden Abend müssen die Zahnputzmonster erst lockergeschrubbt und dann herausgefegt werden…
  • Kuscheltiere oder Handpuppen/Waschlappen die Zähne putzen lassen. Ein einfacher Waschlappen kann mit zwei angenähten Knöpfen und etwas Wolle zu einer Zahnputzfee werden, die abends die Zähne säubert
  • Zahnputzvideos ansehen
  • Es gibt elektrische Zahnbürsten mit Apps, bei denen dann die Bakterien aus dem Mund geputzt werden
  • Zähneputzen an unterschiedlichen Orten: „Weißt du, wo wir noch nie die Zähne geputzt haben?“
  • Färbetabletten aus der Apotheke benutzen: Zahnfärbetabletten färben den Plaque blau und es ist sichtbar, wo besser geputzt werden sollte

Manche Eltern denken, es sei absurd, einen großen Aufwand um das Zähneputzen zu betreiben, wenn das Kind doch auch festgehalten werden könnte. Dabei wird aber die körperliche Integrität des Kindes übergangen, was langfristige Folgen haben kann. Auch Zahngesundheit ist ein wesentlicher Bestandteil der körperlichen Gesundheit und es ist wichtig, Kindern nicht das Engagement und die Bereitschaft zu nehmen, sondern das Zähneputzen als gutes Ritual zu etablieren, das Kinder ihr ganzes Leben lang begleiten wird. Die Zeit, in der Kinder vielleicht überredet oder kreativ begleitet werden müssen, ist vergleichsweise kurz in Bezug darauf, für wie lange wir ihnen mit diesem Aufwand ein gutes Vorbild und Gefühl mitgeben können. Gewaltfreiheit ist ein Recht des Kindes und mit Kreativität, geänderten Rahmenbedingungen und Ablenkung schaffen wir es, das Vertrauen des Kindes in uns zu erhalten, dass wir die schützenden Bezugspersonen sind, die unterstützen, helfen und auf dem Weg in das Großwerden begleiten.

Eure

Zur Autorin:
Susanne Mierau ist Diplom-Pädagogin (Schwerpunkt Kleinkindpädagogik) und Familienbegleiterin. Sie arbeitete an der FU Berlin in Forschung und Lehre, bevor sie sich 2011 im Bereich bedürfnisorientierte Elternberatung selbständig machte. Ihr 2012 gegründetes Blog geborgen-wachsen.de und ihre Social Media Kanäle sind wichtige und viel genutzte freie Informationsportale für bedürfnisorientierte Elternschaft und kindliche Entwicklung. Susanne Mierau gibt Workshops für Eltern und Fachpersonal und spricht auf Konferenzen und Tagungen über kindliche Entwicklung, Elternschaft und Familienrollen.

Foto: Ronja Jung für geborgen-wachsen.de

Kinderbücher rund um „Monster“

Wie Kinder auf Monster aufmerksam werden, kann ganz unterschiedlich sein: sie hören davon im Kindergarten/auf dem Spielplatz/von anderen Kindern im Freudeskreis, sehen einen Film oder finden ein Buch in der Bibliothek. Gerade in der magischen Phase der Kinder, in der ohnehin alles möglich ist, kann der Gedanke an Monster auch Angst machen. Manchmal können es auch größere Kinder oder andere Erwachsene sein, die Kindern mit dem Gedanken an Monster oder Geister bewusst Angst machen wollen. Natürlich sollten solche Gruselgeschichten nicht als Erziehungsmittel genutzt werden, dennoch finden sie immer wieder einen Eingang in die Kinderzimmer. Glücklicherweise gibt es aber zahlreiche schöne Kinderbücher, die das Thema „Monster“ aufgreifen, damit aber liebevoll und kreativ umgehen und Kindern vermitteln: Du musst vor Monstern keine Angst haben, selbst wenn du an sie glaubst.

aus: Millie und das Einschlafmonster

Millie und das Einschlafmonster

„Millie und das Einschlafmonster“ von Brigitte Luciani und Eve Tharlet (Amazon* | Buch 7* | Buchhandel) behandelt ein recht typisches Angstthema kleiner Kinder im Kleinkind- und Vorschulalter: Angst beim Einschlafen davor, dass ein Monster erscheinen könnte: Millies Eltern gehen aus und ihre Geschwister passen auf Millie auf. Aber nachdem Millie eingeschlafen ist, wacht sie doch ängstlich auf. Die Geschwister gehen liebevoll auf sie ein und haben dann doch auch ein wenig Angst. Gemeinsam finden sie heraus, dass das Monster eigentlich nur auch ein gemütliches Kuschelbett haben möchte und bereiten deswegen ein Monsterbett außerhalb des Dachsbaus, damit Millie gut schlafen kann.

aus: Warum Monster Zähne putzen

Warum Monster Zähne putzen

Im Buch „Warum Monster Zähne putzen“ von Jessica Martinello und Grégoire Mabire (Amazon* | Buch 7* | Buchhandel)  kommt gleich eine ganze Reihe von Monstern vor, die überall wohnen. Angst haben muss dennoch kein Kind davor, denn die Monster sind alle sehr nett oder ängstlich. Sie alle fürchten sich allerdings vor den schlimmsten Monstern überhaupt: Kariesmonster. Deswegen putzen auch alle Monster ihre Zähne. Das Monster unter dem Bett ist so empfindsam, dass es dafür eine ganz besonders feine Zahnbürste benötigt aus Kinderhaaren. Das ist der einzige Grund, warum es immer unter dem Bett hockt und dort die herumliegenden Haare aufsammelt. Die Hauptfigur im Buch lernt jedenfalls, dass alle Monster sich die Zähne putzen und der Zahnarzt ein Super-Held ist, der nur deswegen einen Mundschutz trägt, damit die Kariesmonster ihn nicht erkennen. Wir haben bei diesem Buch schon oft gelacht und mein persönliches Lieblingsmonster ist seither das Monster unter dem Bett.

aus: Monsta

Monsta

Das Buch „Monsta“ von Dita Zipfel und Mateo Dineen  geht einen anderen Weg. Auch hier lebt ein Monster unter einem Kinderbett, aber es ist sehr klein und möchte das Kind eigentlich gerne ein wenig gruseln, aber „leider“ nimmt das Kind dieses kleine Monster einfach nicht wahr und schläft einfach jede Nacht. Das Monster beschließt deswegen, auszuwandern und sich einen anderen Job zu suchen in einer Monster-Show, in der es schließlich glücklich wird. Schade an dem Buch ist allerdings, dass es versucht, kindgerecht zu wirken im Text und der Geschichte, dabei aber der Text bewusst voller Rechtschreibfehler gehalten wurde (beispielsweise wird „Kind“ „Kint“ geschrieben). Das ist für die erwachsenen Vorleser unnötig und anstrengend beim Vorlesen und für Kinder, die vielleicht erste Worte schreiben, ungünstig für den Schriftspracherwerb. Auch die Geschichte ist nur bedingt gegeignet für Kinder, denn das kleine Moster ist erst wütend, dann traurig darüber, dass es gar nicht wahrgenommen wird und auch die Beschreibung „Eine Nacht hab ich nachgeguckt. In dir drinnen. Hab den Grusel gesucht, den Schreck und die Angst.“ kann empfindsame Kinder eher verstören mit dem Gedanken, dass ein Monster in ihnen nachsieht. Auch die Formulierung „Du bist unreparierbar, Kint“ ist weniger kindgerecht. Deswegen: Dieses Buch würde ich bei Monster-Ängsten nicht empfehlen.

aus: Knietsche und die Angst

Knietzsche und die Angst

Das kleine Heftchen „Knietzsche und die Angst“ (Amazon* | Buch 7* | Buchhandel) ist eher für Kinder ab dem (Vor)schulalter geeignet, denn es behandelt das Thema Angst schon etwas tiefgründiger: Mit wenigen Sätzen erklärt es, dass unsere Angst wie ein innerer Tiger ist, der manchmal in Alarm gerät. Es erklärt, was bei Angst im Körper passiert und wovor viele Menschen Angst haben. Dass wir Ängste haben, ist völlig normal, bekommen Leser*innen erklärt. Abschließend ruft es zum gemeinsamen Gespräch auf darüber, wovor das Kind Angst hat und welche Angst es vielleicht loswerden möchte.

Wichtig ist: Wenn sich unsere Kinder ängstigen, sollten wir das Ernst nehmen. Ängste sollten nicht verlacht, nicht veralbert oder ignoriert werden. Wie auch bei anderen Gefühlen lernt das Kind gerade, wie es mit ihnen umgehen kann und dafür braucht es noch unsere Unterstützung. Wir können Traumfänger basteln, auf Monstersuche gehen oder ein Monsterspray nutzen, um sie fernzuhalten. Gleichzeitig können wir unseren Kindern versichern und zeigen, dass wir da sind, Schutz geben und bei allen Ängsten Ansprechpartner*innen sind. Bücher können ein Anlass sein, um über Ängste zu sprechen und Ideen zu finden, damit umzugehen.

Dieser Artikel enthält Affiliate-Links zu Amazon und Buch7, durch die ich im Falle einer Bestellung eine Provision erhalte ohne dass für Euch Mehrkosten anfallen. Die vorgestellten Bücher sind Rezensionsexemplare (Millie und das Einschlafmonster + Knietzsche und die Angst) oder selbst gekauft (Warum Monster Zähne putzen + Monsta)

Du kannst mit deiner Wut zu mir kommen

Für viele Eltern ist es gar nicht so einfach, ein wütendes Kleinkind zu begleiten. In einem Moment war die Welt noch in Ordnung, im nächsten Moment ist das Kind erzürnt. Vielleicht hat etwas nicht so funktioniert, wie das Kind es sich vorgestellt hat. Vielleicht kann es etwas nicht erreichen, was es erreichen wollte. Vielleicht hat ein anderer Mensch nicht verstanden, was das Kind eigentlich sagen wollte. Oder ein anderes Kind hat das Spielzeug, mit dem es selber gerade spielen wollte.

Die Zeit des „alleine“ ist wichtig, aber herausfordernd für das Kind

Die Anlässe dafür, dass ein kleines Kind wütend wird, können vielfältig sein in der Kleinkindzeit. Denn gerade jetzt macht es sich auf den Weg, in der Welt zurecht zukommen. Es lernt Selbständigkeit und muss sie lernen, weil dies auf dem Entwicklungsplan des kleinen Menschen liegt. Nachdem das Kind im ersten Jahr in der Welt angekommen ist und die grundlegenden Fertigkeiten ausgebildet hat, sich darin zu bewegen, will es nun aktiv mit der Welt umgehen und alles lernen und erfahren, was es für das Leben braucht: von Gesprächen über motorische Handlungen bis zu den kleinen Details des sozialen Miteinanders. Klappt etwas nicht wie geplant, können die Gefühle ein kein Kind schnell überrollen. Denn auch wenn auch dieser Bereich in der Kleinkindzeit weiter ausgebaut wird, ist das Kleinkind an vielen Stellen noch nicht fähig, Gefühle allein zu regulieren und mit ihnen selbständig umzugehen. Es benötigt die Bezugspersonen als Partner in der Regulation.

Das Annehmen der Gefühle des Kindes ist wichtig

Die Beziehung zum Kind zu gestalten in dieser Zeit, wenn die Kinder manchmal so ganz von ihren Gefühlen überrollt werden, ist nicht immer einfach. Besonders nicht, wenn sie ein Verhalten zeigen, das für die Eltern besonders anstrengend ist, weil es an die eigenen körperlichen oder seelischen Grenzen stößt, wenn das Kind aus der Wut heraus beißt, spuckt oder Schimpfworte benutzt, um diesen Gefühlen einen Raum zu bieten, um sie umzusetzen, wenn sie sich so stark in ihnen zu Wort melden. In diesen Momenten hinter das Verhalten des Kindes zu sehen und zu erkennen, dass das Beißen oder Spucken vielleicht eine Form des Widerspruchs ist, weil das Kind sich sonst machtlos uns unterlegen fühlt oder dass Schimpfworte genutzt werden, um einen Superlativ von Gefühlen und Verärgerung auszudrücken, den es anders nicht in Worte fassen kann, ist nicht immer einfach.

Dennoch ist es gerade jetzt wichtig. Denn das Kind braucht die Bezugspersonen noch immer als sicheren Hafen. Als Schutz. Es braucht das Gefühl, dass es mit allen Gefühlen bei der Bezugsperson einen Anlaufpunkt hat und Hilfe erhält bei den Herausforderungen des Alltags. Und der Umgang mit diesen starken Gefühlen ist eine Herausforderung, die das Kind nur mit uns bewältigen kann. Und darüber dann lernt in den nächsten Jahren, diese Gefühle auch allein bewältigen zu können. Wir geben mit unserer Zuwendung eine Anleitung, einen Fahrplan, eine Richtschnur. Durch uns lernt das Kind, die eigenen Gefühle zu verstehen, zu interpretieren und dann mit ihnen umzugehen: Kann es sie alleine bewältigen oder braucht es Hilfe von anderen? Und wie genau kann es das so große Gefühl auf eine Weise ausdrücken, die die Grenzen einer anderen Person nicht übertritt?

Was wir tun können in Momenten der großen Gefühle – und was wir lassen sollten

Nehmen wir also die Gefühle unseres Kindes an, wenn es mit ihnen zu uns kommt – bedingungslos. Die Gefühle der Freude und Heiterkeit wollen ebenso geteilt werden die Wut und Trauer. Und auch wenn es anstrengend sein mag an einigen Tagen, blocken wir nicht ab durch Worte der Ablehnung, der eigenen Verärgerung über das kindliche Verhalten oder auch der Überheblichkeit, dass das Problem des Kindes gerade lächerlich sei. Das, was das Kind gerade fühlt, ist für dieses Kind jetzt gerade real. Es braucht keinen Spott, keine Ablehnung, sondern Verständnis. Das Verständnis und die Annahme sind der erste Baustein, bevor wir in eine Begleitung übergehen können: Manchmal sind unsere Kinder in der konkreten Situation nicht ansprechbar, können nicht reagieren auf unsere Ansprache und wir können erst später die Situation und mögliche Handlungsalternativen besprechen. Manchmal sind die Kinder zugänglich für Sprache und Unterstützung. Und manchmal haben sie schon selbst einen guten Weg des Umgangs mit dem Gefühl gefunden, den wir genau so annehmen können.

Dieses Verständnis, das wir dem Kind und seiner Gefühlswelt entgegen bringen, lässt das Vertrauen in uns weiter wachsen und stärkt die Beziehung. Das Angenommenwerden unterstützt auch weiterhin auf dem Weg, eine sichere Bindung aufzubauen und zu erhalten.

Eure

Zur Autorin:
Susanne Mierau ist Diplom-Pädagogin (Schwerpunkt Kleinkindpädagogik) und Familienbegleiterin. Sie arbeitete an der FU Berlin in Forschung und Lehre, bevor sie sich 2011 im Bereich bedürfnisorientierte Elternberatung selbständig machte. Ihr 2012 gegründetes Blog geborgen-wachsen.de und ihre Social Media Kanäle sind wichtige und viel genutzte freie Informationsportale für bedürfnisorientierte Elternschaft und kindliche Entwicklung. Susanne Mierau gibt Workshops für Eltern und Fachpersonal und spricht auf Konferenzen und Tagungen über kindliche Entwicklung, Elternschaft und Familienrollen.

Foto: Ronja Jung für geborgen-wachsen.de

Weiterführende Literatur*:
Mierau, Susanne (2017): Ich! Will! Aber! Nicht! Die Trotzphase verstehen und gelassen meistern. – München: GU.
Mierau, Susanne (2017): Geborgene Kindheit. Kinder vertrauensvoll und entspannt begleiten. – München: Kösel.
Prehn, Anette (2017): Hirnzellen lieben blinde Kuh. Was die Hirnforschung über starke Kinder weiß. – Weniheim: Beltz.
Becker-Stoll, Fabienne/Beckh, Kathrin/Berkic, Julia (2018): Bindung. Eine sichere Basis fürs Leben. Das große Elternbuch. – München: Kösel.

Dieser Artikel enthält Affiliate-Links zu Amazon, durch die Geborgen Wachsen im Falle einer Bestellung eine Provision erhält ohne dass für dich Mehrkosten anfallen. Die vorgeschlagenen Bücher haben wir selbst gekauft, geschrieben oder waren Rezensionsexemplare.

Worte des Begleitens lernen – Wie wir unsere Kinder trösten und beruhigen können

Der Umgang mit dem Weinen, mit Wut und Ängsten von Kindern ist für Eltern nicht immer einfach. Gerade dann nicht, wenn sie selber nicht gelernt haben, dass diese Gefühle nicht gestoppt, nicht ausgeblendet, nicht sofort beendet werden müssen, sondern eine Berechtigung haben und begleitet und/oder ausgelebt werden wollen. Für einige Eltern ist es schwer, mit diesen Gefühlen generell umzugehen: Sie fühlen sich überfordert, ausgeliefert, hilflos, ärgerlich, wütend… Kommen sie in eine Situation, in der das Kind eine solche Emotionalität zeigt, fühlen sie sich hilflos und haben nicht selten das Gefühl, machtlos zu sein: Obwohl wir rational wissen, dass solche Situationen mit Kindern vorbei gehen, fühlen wir uns in den Momenten vielleicht gefangen und haben das Gefühl, sie würden nie zu Ende gehen.

Es ist nicht einfach, an die Ursache dieser eigenen Unbehaglichkeit zu kommen: Woher rührt das Gefühl, dass das Weinen sofort beendet werden muss? Woher kommt der Gedanke, Kinder dürften nicht wütend sein und ihre Wut nicht zeigen? Warum denken wir, Kinder dürften nicht ärgerlich sein, weil wir ihnen vorschreiben, wie ihr Tag ablaufen soll und sie in einen Zeitplan fügen, den auch wir nicht immer gut finden, aber dennoch einhalten müssen? Warum fühlen wir uns hilflos im Angesicht großer Emotionen? Sich diesen Fragen zu stellen, wenn wir Probleme mit den Gefühlen unserer Kinder haben, ist langfristig gut, denn wir werden über viele Jahre mit Wut, Trauer, Ärger, Missmut, Langeweile etc. der Kinder umgehen müssen.

Was wir zunächst aber tun können auf dieser Reise des Klärens, ist die Veränderung unseres unmittelbaren Verhaltens. Wir können in einem ersten Schritt für uns selbst sorgen und uns versichern, dass dies jetzt und hier eine für uns schwierige Situation ist, die wir meistern werden. Wir können uns wahrnehmen in dieser Situation und uns darauf fokussieren, wie sich unser Körper gerade anfühlt: Wie atmen wir? Wie fühlt sich unser Körper an? Und wir können versuchen, bewusst gegen die Anspannung, die sich in uns aufbaut, zu arbeiten: tiefer und ruhiger atmen, die Muskulatur wieder entspannen, beispielsweise durch Öffnen und Schließen der Hände Anspannung loslassen.

Und wir können die Worte, die wir nutzen, ändern: Anstatt unserem Kind zu sagen „Hör jetzt endlich auf!“ oder „Nun ist aber mal gut mit weinen!“ oder „Du hast gar keinen Grund, ärgerlich zu sein/zu weinen!“ können wir einfach sagen:

  • „Ich bin hier.“
  • „Ich begleite dich.“
  • „Ich tröste dich, wenn du mich brauchst.“
  • „Es ist okay, wenn du nicht in den Arm genommen werden willst. Ich bin aber hier, wenn du mich brauchst.“
  • „Erkläre mir, was dich verärgert.“
  • „Du bist nicht allein.“
  • „Es ist okay, wie du dich fühlst.“
  • „Du bist traurig/wütend/enttäuscht…“

Denn alle Gefühle dürfen gespürt werden, kein Gefühl muss verboten werden. Und wir begleiten unsere Kinder auf ihrem Weg, mit diesen Gefühlen umgehen zu können.

Eure

Zur Autorin:
Susanne Mierau ist Diplom-Pädagogin (Schwerpunkt Kleinkindpädagogik) und Familienbegleiterin. Sie arbeitete an der FU Berlin in Forschung und Lehre, bevor sie sich 2011 im Bereich bedürfnisorientierte Elternberatung selbständig machte. Ihr 2012 gegründetes Blog geborgen-wachsen.de und ihre Social Media Kanäle sind wichtige und viel genutzte freie Informationsportale für bedürfnisorientierte Elternschaft und kindliche Entwicklung. Susanne Mierau gibt Workshops für Eltern und Fachpersonal und spricht auf Konferenzen und Tagungen über kindliche Entwicklung, Elternschaft und Familienrollen.

Foto: Ronja Jung für geborgen-wachsen.de

Weiterführende Literatur*:
Mierau, Susanne (2017): Ich! Will! Aber! Nicht! Die Trotzphase verstehen und begleiten. München: GU.
Mierau, Susanne (2019): Mutter. Sein. Von der Last eines Ideals und dem Glück des eigenen Wegs. Weinheim: Beltz.
Harms, Thomas (2016): Körperpsychotherapie mit Säuglingen und Eltern. Gießen: Psychosozial Verlag.

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Die Entdeckungsfreude des Kleinkindes begleiten

Da sitzt das Kind versunken in sein Tun im Sand auf dem Spielplatz. Immer wieder lässt es den Sand ganz langsam aus der Höhe in von einer kleinen Schaufel in den Eimer rieseln. Die Hälfte des Sandes geht dabei daneben, aber das Kind macht unbeirrt weiter und rieselt vor sich hin. Bis zu dem Moment, an dem der Vater eingreift: „Schau mal, so geht doch alles daneben. Du musst die Schaufel tiefer halten, dann geht der ganze Sand auch in den Eimer.“ – Das Kind blickt auf. Ein lieb gemeinter Vorschlag des Vaters. Es lässt die Schaufel sinken. Der Vater nimmt sie, schaufelt den Eimer voll, drückt den Sand fest, kehrt den Eimer um und entleert ihn. Der Sandkuchen ist fertig, das Kind steht auf und geht zur Rutsche. Eine Szene, die nicht selten zu sehen ist und die auf viele andere Situationen übertragen werden kann: Das Kind spielt, Erwachsene bewerten das Spiel, greift ein, das Kind beendet das Spiel. Auch wenn das Eingreifen des Elternteils hilfreich und unterstützend gemeint ist an dieser Stelle, ist es ein Eingriff in das selbständige Erkunden.

Selbständig die Welt entdecken

Kinder sind neugierig und die Neugierde ist der Motor ihrer Entwicklung. Durch sie lernen Kinder die Welt kennen, interagieren mit ihr, stellen die Dinge in Frage und machen Erfahrungen. Sie lernen Zusammenhänge, Ursache-Wirkung und machen Fehler, aus denen sie wieder etwas lernen. Dafür brauchen sie die Möglichkeit, Erfahrungen ungestört machen zu können. Als Eltern verfügen wir selbstverständlich über viel mehr Erfahrung, haben schon viel erlebt und selber Fehler gemacht, aus denen wir gelernt haben. Um unsere Kinder vor diesen Fehlern zu bewahren, um sie zu bilden und zu unterstützen, sind wir machmal verleitet, in ihr Tun einzugreifen. Doch das Tun der Kinder ist wichtig für ihre Entwicklung.

Lassen wir das Kind tun, was es gerade machen möchte: balancieren lernen in einer noch sicheren Höhe, physikalische Experimente mit Wasser und Sand, Mengenexperimente durch das Schütten von einem Becher in den anderen, Steine stapeln, die immer wieder herunterfallen… Auch wenn das Ergebnis nicht unseren Vorstellungen entspricht, lernen Kinder davon: Sie lernen, ausdauernd bei einer Aktivität zu bleiben, sie lernen Konzentration, sie lernen Selbstvertrauen und sind stolz auf sich, wenn sie ihr eigenes Ziel erreicht haben. Wenn es nicht klappt, lernen sie, mit der Frustration umzugehen. Sie fühlen sich kompetent, wenn sie etwas machen dürfen und nicht von Erwachsenen darin unterbrochen werden, weil sie es scheinbar besser können. Sie lernen um Hilfe zu bitten, wenn sie Hilfe wirklich benötigen.

Unterbrechen wir das Spiel des Kindes, weil wir es scheinbar besser wissen, lernen die Kinder bestensfalls unseren Weg kennen. Schlechtestenfalls fühlen sie sich unterlegen, inkompetent und verlieren Vertrauen in ihr eigenes Tun. Sie geben das Explorieren auf und werden darauf angewiesen, „unterrichtet“ zu werden statt zu erkunden.

Statt eingreifen: Die Haltung der passiven Teilnahme

Lassen wir also unsere Kinder aktiv sein und die Welt bis zu dem Grad, an dem wir aus Schutz eingreifen müssen, selbst erkunden. Viele Kinder brauchen dennoch Erwachsene als sicheren Hafen im Hintergrund: Eltern, die anwesend sind, aber nicht eingreifen in das Spiel oder Erkunden. Die nicht beobachten, aber im Notfall zur Seite stehen. Diese Haltung der passiven Teilnahme gibt uns Eltern zugleich Raum, anderen Tätigkeiten in der Nähe nachzugehen. Es reicht für viele Kleinkinder aus, dass die Eltern in sicht- und hörbarer Nähe sind, damit sie in ein Spiel und Erkunden versinken können. Gelegentlich tauchen sie aus der Erkundung auf, um Nähe einzufordern: durch Körperkontakt, durch Sprache, manchmal auch nur durch einen Blick. Im Anschluss können sie, sicher in dem Gefühl, dass die vertraute Person da ist und im Notfall zur Verfügung steht, wieder in das Spiel eintauchen.

Braucht das Kind dann doch Hilfe und Unterstützung, kann es diese selbst einfordern. Aber auch dann müssen wir als Eltern nicht den richtigen Weg vorgeben, sondern können dem Kind helfen, sich selbst zu helfen: Wir können eine Idee geben, eine Anregung. Und dem Kind die Möglichkeit überlassen, von da an den Weg selbst zu finden oder nach weiterer Hilfe zu fragen.

Lassen wir unseren Kindern die Chance, die Welt nicht nur aus ihren Augen zu sehen, sondern auch mit ihren Händen und Ideen zu entdecken.

Eure

Zur Autorin:
Susanne Mierau ist Diplom-Pädagogin (Schwerpunkt Kleinkindpädagogik) und Familienbegleiterin. Sie arbeitete an der FU Berlin in Forschung und Lehre, bevor sie sich 2011 im Bereich bedürfnisorientierte Elternberatung selbständig machte. Ihr 2012 gegründetes Blog geborgen-wachsen.de und ihre Social Media Kanäle sind wichtige und viel genutzte freie Informationsportale für bedürfnisorientierte Elternschaft und kindliche Entwicklung. Susanne Mierau gibt Workshops für Eltern und Fachpersonal und spricht auf Konferenzen und Tagungen über kindliche Entwicklung, Elternschaft und Familienrollen.

Foto: Ronja Jung für geborgen-wachsen.de