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Wenn Geschwister streiten – Teil 1: Streit als Entwicklungsressource betrachten

Konflikte gibt es in allen sozialen Gruppen und auch in Familien. Und gerade dann, wenn verschiedene Bedürfnisse aufeinander treffen und wenn Kinder mit unterschiedlichen Fähigkeiten, sich in andere Personen hinein zu versetzen, zusammen sind und vielleicht auch noch jedes für sich versuchen, die vorhandenen Ressourcen an Materialien und auch an emotionalen Ressourcen größtmöglich zu beanspruchen, kann es zu Streit kommen. Manchmal sind es auch äußere Ursachen, die in Geschwisterstreit entladen werden. Konflikte sind normal, auch wenn wir in einem romantisierten Bild von Kindheit und Familie immer davon ausgehen, Geschwister sollten sich nicht streiten und Familie sollte rein harmonisch sein. Die Wahrheit aber ist: Geschwister streiten sich. Und sie dürfen sich auch streiten. Die Frage lautet daher nicht: Geschwisterstreit ja oder nein. Sondern: Geschwisterstreit ja, aber wie?

Die falsche Grundannahme der Eltern: Streit ist schlecht

Die meisten Eltern kennen den Impuls, sofort einzugreifen, wenn sich Geschwister streiten: Eine Alternative wird vorgeschlagen, eine Ablenkung geboten, das Streitobjekt einfach kurzerhand entfernt, das ältere/stärkere Kind zur Rücksicht ermahnt… Wenn sich Kinder streiten, ist das anstrengend für uns: Es ist laut, es zehrt an uns. Dies umso mehr, wenn wir selber keine Streitkultur hatten und als Kinder zur Stille und Anpassung ermahnt wurden. Das ist die eine Seite des Streits. Betrachten wir den Streit aber aus der anderen Perspektive, aus dem Blickwinkel der Entwicklungsmöglichkeiten, die dahinter stehen, sehen wir mehrere Möglichkeiten:

  • Ein Streit gibt die Möglichkeit, Emotionen zu offenbaren und auszuleben, Wut auszudrücken. Kinder dürfen wütend sein, Kinder müssen wütend sein dürfen.
  • Ein Streit gibt Kindern die Chance, sich mit den Wünschen anderer auseinander zu setzen: Zwei Meinungen, zwei Bedürfnisse prallen aufeinander. Kinder erfahren: Mein Gegenüber denkt nicht wie ich.
  • Ein Streit gibt Kindern die Chance, Verhandlungen zu üben: Erst ich, dann Du – oder umgekehrt. Natürlich geht das erst, wenn die Beteiligten in einem Alter sind, in dem einige Bedürfnisse aufgeschoben werden können.
  • Ein Streit gibt Kindern die Chance, Kompromisse zu finden: Auf Deine Weise nicht, auf meine Weise nicht, also brauchen wir eine andere Lösung. Auch hier gilt: Das ist erst dann möglich, wenn beide Teilnehmer*innen dazu kognitiv fähig sind.
  • Ein Streit gibt kleinen Kindern die Chance, durch die Begleitung der Eltern dazu befähigt zu werden, die oben angeführten Kompetenzen für spätere Streitsituationen zu erwerben – wenn sie von Anfang an gut begleitet werden.
  • Ein Streit gibt den Eltern die Chance, aktuelle Bedürfnisse der Kinder zu sehen: Gibt es immer wieder Streit um das Spielzeug des großen Geschwisterkindes und zeigt das vielleicht, dass das kleine Geschwisterkind den aktuellen Spielangeboten entwachsen ist und neue Angebote braucht? Gibt es immer wieder Streit um die Aufmerksamkeit und Zuwendung von Eltern und ein Kind fühlt sich zu wenig gesehen?

Streit zulassen und richtig interagieren

Geschwisterstreit ist daher nicht per se schlecht. Problematisch wird er dann, wenn eine Auseinandersetzung immer sofort unterbunden wird und Gefühle und Probleme nicht wirklich verbalisiert werden dürfen: „Du sollst Dich nicht immer mit Deinem Bruder streiten!“ „Jetzt vertragt Euch sofort wieder!“

Konflikte sind deswegen normal, auch wenn wir in einem romantisierten Bild von Kindheit und Familie immer davon ausgehen, Geschwister sollten sich nicht streiten und Familie sollte rein harmonisch sein

Und auch dann, wenn wir als Eltern ungünstig in den Streit eingreifen und auf eine falsche Weise vermitteln wollen: In einer Konfliktsituation sehen wir schnell, dass das größere Kind dominiert – geistig oder körperlich und sind schnell dazu verleitet, einzugreifen zugunsten des kleineren Kindes: „Nun gib ihm doch schon kurz Dein Spielzeug, das kannst Du ja wohl mal kurz teilen!“ Schnell entwickeln sich Muster, dass das größere Kind immer zurückstecken muss. Oder es dominiert der Gedanke: „Das müssen die unter sich klären, damit sie was lernen!“ Wenn jedoch ein schwächeres Kind auf ein überlegenes Kind trifft, befördert dieses Verhalten nur das Gewinnen des Stärkeren und ein vermittelnder Lerneffekt und Empathie bleiben zugunsten des „Recht des Stärkeren“ auf der Strecke.

Wenn Kinder streiten und in solch unterschiedlichen Entwicklungsphasen sind, dass ein Kind immer unterlegen ist, oder die kognitive Entwicklung beider Kinder noch sehr unterschiedlich ist, benötigen sie deswegen eine Begleitung im Streit, die nicht verurteilt, nicht wertet, sondern in der Vermittlung unterstützt:

  1. Situation nicht bewerten: Als Erwachsener waren wir vielleicht nicht bei der Entwicklung des Streits dabei, wir kennen die Vorgeschichte nicht. Es ist wichtig, nicht Partei für eines der beiden Kinder zu ergreifen. Besser: „Ich war nicht dabei, erzählt mir jeder, was passiert ist.“
  2. Keine Vorverurteilung: „Hast Du wieder Streit angefangen mit Deiner großen Schwester?“
  3. Wiederholen dessen, was die Kinder sagen: „Du sagst, er hat dein Heft mit Absicht heimlich angemalt. Er sagt, er hat es angemalt, weil er es so schöner findet.“
  4. Anregen zur Perspektivübernahme: „Was glaubst Du, warum hat er/sie das gemacht?“ „Was glaubst Du, wie geht es ihm/ihr jetzt?“ Bei Kindern, die das noch nicht können, die Reaktionen des anderen Kindes oder dessen Gefühle übersetzen: „Ich sehe, dass er jetzt ganz traurig ist und weint, weil er das nicht wollte.“
  5. Lösungsideen finden lassen, Kompromisse vorschlagen, die die Rechte beider Kinder respektiert, nicht urteilen, weil ein Kind älter/größer/stärker ist, sondern objektiv bleiben. Nicht einfordern, dass ein Kind unbedingt nachgeben muss, weil es ja größer ist/schon verstehen muss, dass…
  6. Nicht vom Konflikt ablenken oder versuchen, ihn lustig zu machen. Manchmal können Situationen spielerisch umschifft werden, aber nicht immer. Und es sollte auch nicht immer sein. Die Kinder haben ein für sie ernstes Thema zu besprechen.
  7. Manchmal finden sich keine für alle zufrieden stellenden Lösungen. Und zu einem Streit gehört es auch dazu, mit Frustration umzugehen. „Dein Bruder möchte Dir das Buch nicht geben, es ist seins. Komm doch her, ich nehm Dich in den Arm, wenn Du magst.“ Die Wut und Trauer begleiten, so lange sie anhält und dann zusammen Alternativen finden. „Jetzt geht es Dir besser? Wir können jetzt Dein Bagger-Buch ansehen.“

Und wie macht Ihr das in Konfliktsituationen?
Eure

Demnächst: Wenn Geschwister streiten Teil 2 – Kampf oder Balgen?

Vorbereitung auf die Geburt durch Yoga

Yoga und Schwangerschaft passen so wunderbar zusammen. Körper und Yoga insgesamt, Geist und Yoga und einfach Mensch und Yoga, aber das würde nun zu weit führen.
Ich habe in meiner zweiten Schwangerschaft meine regelmäßigen Besuche im Yogastudio geliebt. Jedes mal kam ich ein wenig leichtfüßiger, entspannter und vor allem ohne den für Schwangere oft typischen Watschelgang dort raus.
Nun bin ich nicht mehr schwanger und liebe aber das Schwangerenyoga noch immer heiß und innig und zwar dann, wenn ich es unterrichte. Warum ich finde, dass Schwangerschaft und Yoga so gut zusammenpassen und warum ich Schwangerenyoga zusätzlich als gute Vorbereitung für die Geburt sehe, davon berichte ich Euch.

Vorteile von Yoga auf körperlicher Ebene

Erst einmal: im Schwangerenyoga geht es um Lockerung, Dehnung, Entspannung und das Abmildern eventueller Beschwerden. Übungen, mittels derer Lockerung im Beckenbereich erzielt wird, bringen mehr Beweglichkeit zurück in den Körper von Anfang an. Eine Rücken schonende Ausrichtung kann das typische Ziehen im unteren Rücken abmildern oder verhindern. Mit den Beinen an der Wand können Schwellungen durch Wassereinlagerungen zurückgehen, das Herz-Kreislauf-System wird entlastet und überhaupt kann das Ganze sehr entspannend sein.
Mit Übungen zur Öffnung des Brustraums wird das tiefe Atmen unterstützt, das mit Wachsen des Bauches ja gern mal einer eher flachen Atmung weicht. Das ist besonders am Ende der Schwangerschaft oft eine Wohltat.
Auf körperlicher Ebene ist da also schon einmal so Einiges zu holen. Ich glaube aber, eine gute Yogastunde geht tiefer.

Der Fokus auf das Innere

In einer guten Schwangerenyoga-Stunde wirst du dazu angehalten, ganz genau nachzuspüren, deinen Fokus nach innen zu richten und deine Aufmerksamkeit für dich und deinen Körper zu schulen. Unter der Geburt ist es gut, in einen Zustand zu kommen, an dem das Außen nicht mehr wahrgenommen wird: Du fühlst Dich sicher und frei und kannst Dich nun ganz auf Dich konzentrieren, Dich fokussieren. Außerdem erfährst Du, Deinen Impulsen und ebenso den Signalen deines Körpers nachzugehen, die dir sagen „bis hierhin und nicht weiter“. Du wirst vielleicht an der ein oder anderen Stelle auch mal das Aushalten trainieren.

Wenn du regelmäßig Entspannung erfahren hast, wird es dir leichter fallen, dich zu entspannen, denn auch Entspannung kann man lernen.

Und ebenso das Entspannen und Loslassen. Dies sind wichtige Aspekte der Geburt: Einer Wehe standhalten, sie veratmen und loslassen. Es ist für eine Geburt essenziell, den Körper gut zu spüren – Grenzen, aber auch Möglichkeiten wahrzunehmen und Entspannung ganz bewusst herstellen zu können.

Gelernte Übungen auf die Geburt übertragen

Eine regelmäßige Praxis – ob angeleitet oder zuhause im Wohnzimmer – kann ungemein unterstützen: Wenn du erfahren hast, dass sich dein Körper in bestimmten Positionen oder Bewegungsabläufen besser anfühlt als in anderen, kannst du das unter der Geburt beachten.
Wenn du regelmäßig Entspannung erfahren hast, wird es dir leichter fallen, dich zu entspannen, denn auch Entspannung kann man lernen. Ein entspannter Körper und ein entspannter Geist helfen ungemein beim Loslassen – und deine Schwangerschaft loszulassen, den Weg zu eröffnen, dass dein Baby nun zu dir kommt, das ist ein wichtiger Punkt unter der Geburt.

Yogaübung: Das Aushalten

Eine einfache Alltagsübung zum Ausprobieren

Vielleicht hast du auch das (Aus)halten in deinen Yogastunden gelernt.
Ich mache sehr oft eine Übung, in der ich gemeinsam mit meinen Schülerinnen die Arme auf eine bestimmte Art weit ausstrecke und wir das halten – für 90 Sekunden erst einmal. Ich weise immer wieder daraufhin, den Rest des Körper zu entspannen, den Atmen bewusst weiter tief zu lenken statt ihn wohlmöglich anzuhalten und vor allem auch den Kiefer zu lockern. Denn ein angespannter Kiefer führt zu einem angespannten Beckenboden – diesen wollen wir aber unbedingt weit und entspannt unter der Geburt.

Nach dieser ersten Runde von 90 Sekunden geht’s in eine zweite, längere Runde. Für diese Runde biete ich das Tönen an. Wenn dir Yoga bekannt ist, dann kennst du das typische „Om“ zu Beginn und Abschluss der Stunde. Das Tönen hat im Wesentlichen zwei Vorteile: Der erste ist, dass das Tönen helfen kann, Anspannung abzuleiten, sie quasi durch diesen Ton aus dem Körper zu leiten. Hört sich komisch an? Probier’s aus! Oder vielleicht kennst du das, wenn du (nicht schwanger!!!) etwas Schweres hochhebst – das ist oft von einem Ächzen, einem Stöhnen begleitet. Oder? Genau das ist es!

Der zweite Vorteil des Tönens ist, dass dabei der Mund leicht geöffnet ist, dadurch der Kiefer entspannt. Du erinnerst dich? WEITE!

SAVASANA – Die Entspannung

Und nun zu dem Teil, der – unabhängig von Schwangerschaft – für viele das Highlight der Yogastunde ist: SAVASANA. Savasana ist die Entspannung am Ende der Stunde. Dafür nimmst du dir alle Hilfsmittel, die dich unterstützen – eine Decke, ein Augenkissen (ein kleines, mit Reis oder ähnlichem und Lavendel befülltes Kissen, dass durch die Schwere auf den Augen hilft, diese ruhig zu halten und zusätzlich durch den Lavendel die Entspannung unterstützt), etwas unter das Knie, den Kopf – all das, was dir hilft, es dir maximal gemütlich zu machen. Dann wirst du je nach Studio oder Lehrer/Lehrerin hineingesprochen, das heißt, mittels Worten in die Entspannung begleitet oder direkt in Stille gelassen, vielleicht folgt eine ruhige Musik oder auch nicht, das ist ganz individuell.

Und mal einen Moment einfach nur liegen, nichts erledigen, nichts halten – das ist doch für uns alle schön. Und wenn du nun gerade schwanger bist, dann erlaube dir solche Pausen doch einfach öfter. Kleine Momente, in denen du innehältst und versuchst, dich zu entspannen.
Denn dein Körper nährt und trägt dein Baby, du leistest Unglaubliches. 

Und weil ich geschrieben habe, dass es wichtig ist, den eigenen Impulsen nachzugehen, ist natürlich nicht nur jene Yogastunde gut, die ähnlich abläuft wie ich es hier geschildert habe. Wenn du dich gern auspowerst und schweißtreibend praktizierst – go for it 😉 Meine Worte über eine „gute Yogastunde“ spiegeln mein persönliches Befinden wider.
Was dir gut tut, weißt du selbst am besten. Und wenn du es noch nicht weißt – teste es doch aus. Es lohnt sich, das zu wissen.


Linda ist Yogalehrerin, Coach und Hypnobirthing-Lehrerin und Mutter von drei Kindern. Mehr über Yoga und Hypnobirthing könnt Ihr auf ihrem Blog theurbannature.de lesen. Einen weiteren Einblick bekommt ihr auch hier auf Instagram.

Manchmal läuft es nicht rund – Ist das schlimm?

„Ich kann nicht immer…“, „Heute habe ich es nicht geschafft…“, „Gerade geht es mir nicht so gut, dass ich immer…“ Diese Sätze höre ich immer wieder und sage sie auch selbst. Manchmal schaffe ich es nicht, die Bedürfnisse meiner Kinder ausgewogen wahrzunehmen und darauf zu reagieren. Manchmal übersehe ich Bedürfnisse, manchmal beantworte ich Bedürfnisse nicht richtig. Und manchmal mache ich es auch falsch, obwohl ich es eigentlich besser weiß, weil ich gerade nicht anders kann, weil meine Energiereserven nicht mehr ausreichen und Handlungsmuster in Stresssituationen frei werden, die ich aus meiner eigenen Kindheit verinnerlicht habe.

„Manchmal“, „gerade“ und „heute“ sind nicht immer

In der Erkenntnis des „Falschmachens“ schwingt oft ein Bedauern mit. Und das ist auch gut, denn wenn wir wahrnehmen, dass gerade etwas schief läuft in der Beziehung zum Kind, dann bedeutet es auch, dass wir es eigentlich richtig wissen – oder wissen, dass es so jedenfalls nicht richtig ist. Wenn wir sagen „gerade“, „heute“, „momentan“, dann bedeutet das: Jetzt gerade, aber es gibt auch andere Tage. Das ist es, an dem wir uns festhalten können und sollten: Es gibt andere Tage. Wir wissen ja, dass es gerade schlecht läuft und sonst anders. Und oft formulieren wir auch die Gründe, warum es gerade nicht rund läuft: „Ich kann gerade nicht so sensibel sein, weil ich so gestresst bin“. Oft können wir direkt formulieren, woran es gerade hapert, warum es gerade schwer ist. 

Stress führt oft zu negativem Verhalten – in der Beziehung zu unseren Kindern, wie auch in anderen sozialen Interaktionen.

Dies eröffnet uns den Blick darauf, was wir ändern können, damit es wieder besser geht. Wir wissen: Stress führt oft zu negativem Verhalten – in der Beziehung zu unseren Kindern, wie auch in anderen sozialen Interaktionen. Es gilt, genau diesen Stress zu vermeiden langfristig. Wir hören unsere Worte, wir fühlen das Bedauern. Manchmal ist es aber schwer, die Situation zu ändern – zumindest kurzfristig, um wieder auf den ursprünglichen Weg zu kommen. Dann müssen wir uns nach Hilfen und Unterstützung umsehen, um Situationen langfristig ändern zu können. Wir brauchen Entlastung – denn ja: Familien sind einfach oft überlastet mit zu vielen Aufgaben und zu vielen Bedürfnissen, um die sich nur ein oder zwei Erwachsene kümmern.

Die Reaktion unserer Kinder als Zeichen

„… und dann ist auch noch mein Kind…“ Wenn es uns nicht gut geht und wir wenig Einfühlungsvermögen haben und wenig auf die Bedürfnisse unserer Kinder eingehen können, zeigen sie uns das oft direkt in ihrem Verhalten: es entstehen negative Kreisläufe. Das Kind zeigt uns, dass es mit der Art, wie wir mit ihm umgehen, nicht zufrieden ist und reagiert auf seine Weise empört. Vielleicht, indem es besonders anhänglich ist und besonders Kuscheleinheiten einfordert, um sich unserer wieder sicher zu sein. Vielleicht auch mit Wut, weil es verärgert ist über unser Eingreifen, über unsere ruppige Art. Wenn wir gestresst sind, schnell machen wollen und unserem Kleinkind nicht die Möglichkeit geben, selbst aktiv zu sein, wird es verärgert und wütend reagieren, weil sein Bedürfnis nach Selbständigkeit übergangen wird. Vielleicht reagiert unser größeres Kind auch mit Rückzug und Abwehr, wenn es ausdrücken möchte, dass diese Situation nicht in Ordnung ist. Wie es reagiert, ist abhängig vom Alter und auch Temperament des Kindes und der jeweiligen Situation. Und auch wenn es uns zunächst noch mehr stresst, ist es gut, denn das Verhalten unseres Kindes kann ein Zeichen sein und wenn wir unsere Kinder als „anstrengend“ wahrnehmen, können wir uns fragen, ob es vielleicht auch etwas mit uns zu tun hat.

Bedauern aber nicht Gram

Es ist gut, wenn wir unser Verhalten bedauern und reflektieren. Es ist gut, sich beim Kind zu entschuldigen und sich zu erklären in dem Maße, in dem es Kinder verstehen können. Aber es ist eben auch normal, dass es manchmal nicht rund läuft, dass wir schlechte Tage oder auch mal eine schlechte Woche haben. Bedauern ist gut und wichtig und das Wahrnehmen dessen. Aber manches Mal sind wir auch zu hart mit uns und messen einer kleinen Situation im Alltag oder einer kleinen Phase der zu geringen Feinfühligkeit eine zu große Bedeutung zu. Wir sind heute schnell darin, uns selbst zu verurteilen als „schlechte Mutter“ oder „schlechter Vater“.

Wenn aus „manchmal“ „immer“ wird

Schwierig wird es da, wenn aus einem „manchmal“ ein „immer“ wird: Wenn wir immer wieder gestresst sind, wenn wir  nur noch in einem Kreis des Schimpfen stecken. Und auch dann, wenn wir merken, dass wir immer wieder in ganz bestimmten Situationen negativ auf unser Kind reagieren: Immer schimpfen, wenn es sich bekleckert hat. Immer schimpfen, wenn es weint. Immer schimpfen, wenn es sich überschwänglich freut. Wenn wir dies wahrnehmen, lohnt es sich, genauer hinzusehen: Warum ist das eigentlich so? Warum berühren mich die immer gleichen Situationen und warum reagiere ich immer genau dann mit Abwehr und negativem Verhalten? Hier lohnt es sich, hinein zu spüren: An was rüttelt das in mir, an meiner eigenen Vergangenheit, an meiner Kindheit und dem, was ich selbst gelernt habe? Manchmal können wir selber diesen Situationen auf den Grund gehen, manchmal brauchen wir dazu aber auch professionelle Hilfe von außen, die uns aufzeigt, warum wir wie handeln und einen Weg hinaus ermöglicht zu einer neuen Wahrnehmung und neuen Handlungsansätzen.

Wichtig ist die Grundstimmung

Für unsere Kinder, unsere Bindung und unser Familienklima ist es wichtig, dass unsere Grundtendenz richtig ist. Dass wir Bedürfnisse wahrnehmen und darauf angemessen nach Alter des Kindes reagieren. Es ist wichtig, dass wir den Alltag angemessen gestalten und unserem Kind Sicherheit geben darin, dass wir für sie da sind und für ihr Wohlergehen sorgen in den vielen kleinen Momenten des Alltags. Es ist wichtig, dass sich unsere Kinder bei uns umsorgt, geliebt und geschützt fühlen und wir ihnen das in einem Grundgefühl vermitteln.

Manchmal gibt es Tage, an denen es nicht gut läuft, an denen wir etwas übersehen, an denen wir nicht feinfühlig sind. Ich glaube, diese Tage gibt es in jeder Familie. Auf jeden Fall gibt es sie auch hier. Es ist gut, sie wahrzunehmen, diese Tage, und den Finger darauf zu legen und es anders machen zu wollen morgen. Aber heute dürfen wir uns auch selbst verzeihen.

Eure

Elternschaft als Beziehung leben – Über den Tanz mit dem Kind

Von allen Dingen meines Lebens war ich wohl am wenigstens auf das Mutterwerden vorbereitet. Darauf, was es bedeutet, welche Aufgaben dazu gehören, welche Gefühle es hervorruft. Ich hatte keine konkreten Erwartungen an das Muttersein und dennoch war ich überrascht von dem, was kam. Denn obwohl konkrete Vorstellungen von der Mutterschaft fehlten, ging ich davon aus, dass ich den Weg eben nur vorgehen müsste und die Kinder würden folgen. Ich, die anführende Mutter. Was kam, war erst ein Mensch, dann der zweite und schließlich der dritte, die ihr eigenes Temperament und ihre Bedürfnisse in diese Familie einbrachten. Was kam, war die Erkenntnis, dass es gut ist, voran zu gehen und einen Plan und Gedanken zu haben. Aber dass das Leben mit Kindern eben kein ausschließliches Vorangehen ermöglicht, sondern eher, einen Rahmen vorzugeben, der gemeinsam gefüllt wird. Was kam, war die Erkenntnis, dass auch das Elternsein eine soziale Beziehung ist.

Den Rahmen vorgeben

Der Rahmen einer jeden Familie sieht anders aus: wie wir leben, wieviel Geld wir besitzen, wo wir wohnen, was wir essen, welche Werte wir mitbringen und wie wir selbst aufgewachsen sind – all das gehört zu dem Rahmen, den wir unseren Kindern bereiten. Im Laufe des Lebens ändert er sich beständig, wenn wir umziehen, neue Partnerschaften eingehen, an anderen Orten arbeiten, wenn wir unsere Werte in Frage stellen und neu ausrichten.

Auch wenn der Rahmen immer wieder mal wechselt oder erschüttert wird, zieht sich eine gleichbleibende Melodie durch das Leben.

Der Rahmen der Kindheit ist nur bedingt beständig. Er muss es auch nicht sein, denn das Leben bedeutet immer wieder Veränderung. Beständig sind wir als Menschen, mit unseren Reaktionen, unserer Zuwendung, unserer Liebe. Auch darin sind wir manchmal unterschiedlich, manchmal stressbedingt weniger zugewandt oder abgelenkt. Aber die Grundmelodie ist dieselbe. Sie ist es, die das Kind prägt und ein Leben lang begleitet. Auch wenn der Rahmen immer wieder mal wechselt oder erschüttert wird, zieht sich eine gleichbleibende Melodie durch das Leben. Diese ist das Beständige an uns. Das, was wir mitgeben, womit wir voran gehen. Das ist das Beispiel, das wir leben, darin sind wir Vorbild.

Das Kind sehen, wie es ist

In diesem Rahmen bewegt sich das Kind, das so zu uns kommt, wie es eben ist: Manche sind lauter, manche sind leiser. Manche aufbrausender, andere empfindsamer. Groß und klein, musikalisch oder sportlich oder wieder ganz anders. Jedes Kind wird nicht nur geprägt durch die Umgebung, sondern bringt in dieses Leben schon etwas ein: die eigene Persönlichkeit. Diese gilt es, zu erkennen. Sie nicht anzupassen, sie nicht hinein zu pressen in unsere Vorstellung, sondern dem Kind den Raum geben, zeigen zu können, wer es wirklich ist. Was es mag, was es nicht mag. Worin es uns ähnelt und worin es ganz anders ist. Das Kind lernt unsere Melodie des Lebens kennen und bringt seine eigene Melodie mit.

Der gemeinsame Weg – Beziehung

Das Ziel ist nicht, die Melodie des Kindes unserer Melodie anzupassen. Ziel ist es auch nicht, unsere Melodie dem Kind anzupassen. Ziel ist es, miteinander in Harmonie zu kommen, sich gegenseitig anzuerkennen und wertzuschätzen. Das ist es, was Beziehung ausmacht: Nicht der einzelne bestimmt, sondern beide gehen aufeinander zu, loten aus, erkennen an und richten sich so aus. Beziehung ist ein Tanz, Elternschaft ist ein Tanz: mal geht es voran, mal rückwärts, mal im Kreis. Wir bewegen uns gemeinsam zu unserer Melodie.

Es ist gut und wichtig, dass wir Erwachsenen eine Idee vom Leben haben und von dem, was gut und richtig ist und in welche Richtung wir uns in etwa bewegen. Es ist gut und wichtig, dass wir Ziele haben und definieren. Aber wir müssen auch die Ruhepausen einplanen, die Schlenker – die Bedürfnisse des anderen. So, wie in jeder anderen Beziehung auch. Das ist es, was dieses Elternleben ausmacht. Darauf können wir uns nur bedingt vorbereiten, denn es ist immer wieder anders, wenn wir uns darauf einlassen. Das Ziel ist nicht das Vorbereiten, sondern das Erlernen des Einlassens und das Vertrauen.

Eure

 

Schwanger in Indien – Ankas Weg, sich eine geborgene Geburt zu organisieren

Anka ist 37 Jahre alt, als sie mit ihrem Mann, der als Wissenschaftler dort forscht, nach Indien zieht und ein neues Leben beginnt in einer anderen Kultur. Sie wird schwanger und merkt, wie sehr ihr gerade in dieser Zeit das Vertraute, die Familie, die Freunde fehlen. Hier berichtet sie von ihrem Weg durch die Schwangerschaft und warum es sie zur Geburt doch wieder nach Deutschland gezogen hat: Weiterlesen

Haushalt und Kinder – unser einfacher Weg zur Vereinbarung

Am Anfang des Elternseins hatte ich die Vorstellung, ich könnte das Kind zu den Aufgaben und Tätigkeiten, die ich ohnehin schon hatte, hinzufügen und wir würden als Familie damit zurecht kommen, einen weiteren „Baustein“ in der Bausteinsammlung des Lebens und Alltags zu haben. Mit einem Kind ging das noch einigermaßen gut. Dann kam das zweite Kind, das Kind mit wesentlich stärkeren Bedürfnissen, und es ging schon etwas schwerer. Und dann kam das dritte Kind und wir sahen: Es geht nicht um Vereinbaren, sondern um Prioritäten und um Umverteilung. Es gibt feste Bestandteile im Lebensalltag, die kombiniert werden müssen in einem System und es geht darum, es sich einfach zu machen: im Zusammensein mit den Kindern, in der Partnerschaft, im Job (so gut es geht) und im Haushalt. Weiterlesen

Unser Weg mit einem Schreibaby – Nina, ihr Baby und Reflux

Schreibabys, Babys mit starken Bedürfnissen, High Need Babys – noch immer sind diese Themen oft mit Scham besetzt, es gibt viele Vorurteile und falsche Informationen. In der Reihe „Unser Weg mit einem Schreibaby“ wollen wir dieses Thema aus der Nische holen, Menschen sensibilisieren und betroffene Eltern unterstützen.
Hier berichtet Nina von die (un)vereinbarkeit & ich über ihren Weg mit einem Schreibaby und ihrem langen Weg zu der Diagnose „Reflux“. Wenn Du über Deine Erfahrung berichten möchtest, schreib an [email protected] Weiterlesen

Selbstregulation: Die wunderbaren Fähigkeiten Deines Babys sehen und unterstützen

„Beruhig Dich doch!“ sind wir manchmal verleitet zu sagen zu anderen Menschen: Zu Erwachsenen, die aufgebracht sind, zu kleinen Kindern, die wüten, zu Babys, die auf unserer Schulter liegen und weinen. „Beruhig Dich doch!“ sagt: Du sollst Dich selbst beruhigen. Oder auch: Du kannst Dich selbst beruhigen. Wir alle wissen, dass das nur bedingt geht. Manchmal brauchen wir die Hilfe eines anderen Menschen, um uns zu beruhigen: liebevolle Worte, Verständnis, jemanden, der uns in den Arm nimmt und uns und die Sorgen hält. Genau so geht es auch unseren Kindern: Sie bringen Fähigkeiten zur Selbstberuhigung mit ins Leben. Manche Kinder haben diese Fähigkeit als Babys bereits ausgeprägter, andere weniger ausgeprägt. Manche Babys brauchen handfeste Unterstützung über einige Monate hinweg, um sich zu beruhigen, andere sind von Anfang an in diesem Bereich weiter entwickelt. Weiterlesen