Unser Weg mit einem Schreibaby – Nina, ihr Baby und Reflux

Schreibabys, Babys mit starken Bedürfnissen, High Need Babys – noch immer sind diese Themen oft mit Scham besetzt, es gibt viele Vorurteile und falsche Informationen. In der Reihe „Unser Weg mit einem Schreibaby“ wollen wir dieses Thema aus der Nische holen, Menschen sensibilisieren und betroffene Eltern unterstützen.
Hier berichtet Nina von die (un)vereinbarkeit & ich über ihren Weg mit einem Schreibaby und ihrem langen Weg zu der Diagnose „Reflux“. Wenn Du über Deine Erfahrung berichten möchtest, schreib an [email protected]

1. Nina, wie hast Du die Schwangerschaft und Geburt mit Deinem ersten Kind erlebt?

Die Schwangerschaft war vor allem am Anfang nicht unbelastet. Als wir uns ein Kind wünschten, wurde ich sehr schnell schwanger, hatte dann aber nach zehn Wochen eine Fehlgeburt, die uns sehr unerwartet und heftig getroffen hat. Das hat zu Ängsten geführt, die uns begleitet haben, als ich wieder schwanger wurde, obwohl ich das Glück hatte, eine unkomplizierte und gesunde Schwangerschaft zu erleben. Geholfen hat uns die Unterstützung durch unsere Hebamme, sie hat uns viel Vertrauen vermittelt. So viel, dass wir am Ende eine Hausgeburt planten. Daraus wurde schliesslich nichts, unser Sohn war – ganz die Mama – von Anfang an ein eigensinniges Kerlchen. Er war ein Sterngucker, lag also mit dem Gesicht nach vorne statt nach hinten in meinem Becken und hatte sich, wie wir später erfuhren, ordentlich verkeilt. Die Geburt ging nicht gut voran und am Ende kam es zum Kaiserschnitt, allerdings ganz in Ruhe und nach guter Beratung. Wahrscheinlich hat das sowohl mir als auch unserem Sohn einiges erspart. Ich habe es nur einen Tag im Krankenhaus ausgehalten, danach bin ich nach Hause. Mein Mann ist Arzt, die Hebamme wollte aufgrund der eigentlich geplanten Hausgeburt ohnehin jeden Tag vorbeikommen, die Klinik ist fünf Minuten entfernt und mir ging es soweit gut. So bald nach Hause zu gehen war eine sehr gute Entscheidung – so konnte unser gemeinsames Leben doch zumindest fast in den eigenen vier Wänden starten.

2. Wie war es dann zu Hause mit dem Baby?

Unser Sohn ist im Juni 2017 geboren. Die ersten Wochen waren sehr intensiv, es ging mir zeitweise psychisch nicht besonders gut, zum Glück hatte mein Mann die ersten drei Wochen nach der Geburt Urlaub (in der Schweiz gibt es keine Elternzeit) und wir hatten die Begleitung durch unsere tolle Hebamme. An sich also gute Startbedingungen – nur, dass unser Sohn sehr oft geschrien hat. Wir waren schon nach drei Wochen das erste Mal bei der Osteopathin aufgrund des Kaiserschnitts und unsere Hebamme meinte, es komme vor, dass solche Kinder Blockaden im Nacken oder im Rücken haben und sich deswegen unwohl fühlen. Gebracht hat es nicht wirklich etwas. Das Geschrei wurde fortan von unserem Umfeld auf die „üblichen“ Koliken zurückgeführt, wir wurden bemitleidet, aber wirklich helfen konnte uns niemand. Als ganz frische Eltern hatten wir absolut keine Ahnung, wie viel Schreien normal ist, aber wir haben gegen die „Bauchschmerzen“ alles mögliche ausprobiert. Wirklich besser wurde es nicht, und irgendwie verlagerten wir uns dann auf das Durchhalten, weil es von allen Seiten hiess, es werde ja nach den ersten Monaten besser. Wenn ich heute zurückschaue weiss ich nicht, warum wir nicht früher viel deutlicher gesagt haben, dass uns die Situation furchbar belastet – wahrscheinlich einfach, weil wir dachten, wir müssen das doch schaffen, andere können das auch. Wir hatten sicher weniger Besuch als andere junge Eltern, haben weniger mit dem Kind unternommen, weil immer die Angst dabei war, er könnte schreien und sich nicht beruhigen lassen (manchmal über Stunden – im Rückblick weiss ich wirklich nicht, wie wir diese Zeit überstanden haben).

3. Wann und wie ist Euch dann zum ersten Mal der Gedanke gekommen, dass es vielleicht doch andere Gründe sind, die hinter dem weinen stecken?

Im August, zu Besuch bei Freunden in Deutschland, kamen die ersten richtigen Zweifel an der Bauchweh-Theorie, weil ein Freund von uns, der Physiotherapeut ist, meinte, das mit den Koliken betreffe nur ganz wenige Babys, die allermeisten, die schreien, hätten andere Probleme. Ich erinnere mich gut an das Gespräch, aber damals wussten wir nicht so richtig, was wir hätten anders machen sollen, schliesslich war laut Kinderarzt alles in Ordnung (man muss dazu sagen, dass wir den Kinderarzt da erst einmal gesehen hatten, wir waren für die ersten Termine bei einer anderen Ärztin, die uns als verantwortungslos ansah, weil wir ursprünglich eine Hausgeburt geplant hatten – wir haben dann die Praxis gewechselt).

4. Aber Euer Leidensweg war dort noch nicht zu Ende…

Ende August wurde es noch schlimmer. Wir waren mit den Nerven am Ende und beschlossen, es müsse endlich was passieren. Wir haben noch einmal alle Register gezogen, in der festen Absicht, herauszufinden, was unser Baby so quälte. Denn wir waren sicher, dass er Schmerzen hatte, nur konnte er uns nicht verständlich machen, was ihm weh tat. Wir recherchierten noch einmal, verstärkten die Routine in unserem Tag und lernten, noch viel besser auf die Müdigkeits-Zeichen zu reagieren, was ein bisschen Linderung brachte, aber nicht genug. Es folgten Termine bei der Familienberatung (wo uns mehr oder weniger unterstellt wurde, wir würden unser Kind gefährden, weil wir beide zugaben, zu wissen, wie sich der Moment anfühlt, in dem man aus dem Zimmer gehen muss, um das Baby nicht zu grob anzufassen), bei der Cranio-Therapeutin (für uns zu esoterisch und unpassend: das Kind schlief für einmal tief und fest, und als wir von seiner Geburt erzählten, schlief er weiter, was die Therapeutin dahingehend auslegte, dass er trotz der schwierigen Geburt nicht davon traumatisiert sei, denn sonst hätte er „reagiert“…), noch weitere Gespräche mit unserer Hebamme (die uns unendlich unterstützte, aber auch nicht wirklich Rat wusste) und schliesslich bei unserem Kinderarzt.

5. Der Kinderarzt brachte dann endlich einen neuen Gedanken ein?

Er war der bei weitem entspannteste Berater in der Runde. Hörte sich noch einmal ganz in Ruhe an, wie sich unser Sohn verhielt, untersuchte ihn gründlich und schlug uns schliesslich vor, einen Versuch mit einem Medikament zu machen, das eigentlich für so kleine Kinder gar nicht zugelassen ist. Dass Babys durch Reflux so starke Schmerzen haben, dass sie schreien, sei selten, aber den Kindern, die tatsächlich davon betroffen seien, könne man helfen. Wir waren skeptisch, haben aber schliesslich einem Versuch zugestimmt und – es hat funktioniert. Wir haben ihn daraufhin bis er knapp sechs Monate alt war mit diesem Medikament behandelt und es dann abgesetzt – er brauchte es nicht mehr. Durch die körperliche Entwicklung wächst sich bei den meisten Kindern in diesem Alter der Reflux aus.

Jedenfalls – nach knapp zwei Wochen damit hatten wir ein mehrheitlich ausgeglichenes, fröhliches Baby – und definitiv kein Schreibaby mehr. Inzwischen ist unser Sohn dreizehn Monate alt und ein toller kleiner Kerl, er schreit und weint selten, ist aufgeweckt und meistens unkompliziert.

6. Was würdest Du aufgrund Eurer persönlichen Erfahrung Eltern auf jeden Fall mit auf den Weg geben, die ein viel weinendes Baby haben?

Im Notfall, wenn ihr allein seid mit einem schreienden Baby, helfen Ohrstöpsel. Es klingt blöd, aber allein schon den Geräuschpegel zu dämpfen hilft, den Stress zu reduzieren. Ein schreiendes Baby kann eine enorme psychische Belastung darstellen, es ist völlig normal, davon überfordert zu sein – schämt euch nicht.

Bleibt mit eurem Partner, eurer Partnerin im Gespräch, redet darüber, was das Geschrei bei euch auslöst. Unterstützt euch gegenseitig, wechselt euch ab und sorgt dafür, dass beide während langen Schrei-Phasen zu ein bisschen Erholung kommen. Es ist in Ordnung, im Nebenraum Facebook zu checken um sich abzulenken, während der andere Elternteil beim Kind ist! Ausserdem: holt euch Hilfe, wenn ihr an eure Grenzen als Paar, als Menschen kommt. Die Gefahr, ein Baby beispielsweise zu schütteln weil man überfordert ist vom Geschrei ist absolut real. Es gibt Schrei-Ambulanzen, auch Kinderärzte kennen das Problem in der Regel und können Unterstützung vermitteln. Vielleicht habt ihr – so wie wir ganz lange – das Gefühl, dass euer Baby schreit, sei normal beziehungsweise das Geschrei sei auch nicht schlimmer als bei anderen. Das kann sein, aber wenn es euch belastet, ist der Zeitpunkt gekommen, sich Hilfe zu holen, sich eine Vertrauensperson zu suchen, mit der man darüber sprechen kann. Gerade wenn ihr den Gedanken nicht loswerdet, euer Kind könnte Schmerzen haben und daher schreien, solltet ihr das unbedingt mit der Kinderärztin besprechen um gewisse Ursachen (die man dann eben unter Umständen behandeln kann!) auszuschliessen. Eine davon ist Reflux. Mehr dazu findet man unter www.refluxkinder.de.

1 Kommentare

  1. hannenz

    Wir hatten genau die selbe Geschichte 2014 erlebt und nach ca. 8 Monaten dann endlich auch durch die Reflux-Diagnose und Behandlung mit Omeprazol hatten wir innerhalb weniger Tage (!!) ein ausgewechseltes Kind das nicht mehr schreien musste. Wir hatten allerdings schon einige Kinderarztbesuche (und natürlich auch den Ostheopat) hinter uns bei denen uns immer wieder versichert wurde es sei alles körperlich in Ordnung. Also, es lohnt sich evtl. hier gezielt auf die Möglichkeit Reflux anzusprechen und vielleicht auch den Kinderarzt immer wieder aufzusuchen, um auch wirklich alle Möglichkeiten abzuchecken, oft ist es dann eben vielleicht doch etwas körperliches und ― im Fall von Reflux ― sogar etwas recht banales was sich so einfach behandeln lässt.

Kommentar verfassen

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert