Tag: 19. Februar 2019

Windelfrei in Indien

Auf das Windelfrei-Konzept stieß ich während meiner Schwangerschaft zum ersten Mal. Ich hatte davon noch niemals gehört und war sehr überrascht und begeistert. Da ich mir aber nicht sicher war, ob das auch immer und überall klappen würde, wollte ich mich zunächst mit Stoffwindeln eindecken. Für 500 Jahre einen Plastikmüllberg von über einer Tonne zu hinterlassen kam für mich nicht in Frage. Klar war aber auch, dass es im tropischen Klima leichter sein würde, das Baby ohne Windeln zu lassen.

Wir begannen vom ersten Tag an mit dem Abhalten, hatten aber immer auch Windeln als Backup. Einige in meinem Umfeld in Deutschland schüttelten den Kopf. Andere waren begeistert, so wie auch wir. Es ist so unfassbar schön, wenn man auch diese Bedürfnisse des Babys erkennt und darauf reagieren kann! Mein Mann und ich hatten beide das Gefühl, dass dies die Bindung und Beziehung zu unserer Tochter positiv verstärkte.

Der Mythos: In Indien machen alle windelfrei

In der Windelfrei-Literatur wird Indien gerne als Beispiel dafür herangezogen, dass an vielen Orten der Welt windelfrei der Normalfall ist und nicht die Ausnahme. Wie also sieht die Realität aus? Wie immer wenn ich aus unserem Leben in Indien erzähle gilt, dass ich natürlich nur einen winzigen Ausschnitt erlebe. Einige Frauen in meinem Umfeld habe ich auf das Thema angesprochen:

Eine sagte mir, sie ziehe den Kindern nur dann Windeln an, wenn sie das Haus verlasse. Und sie verwende Stoffwindeln. Welcher Art konnte sie mir nicht recht erklären, denn sie sprach nur wenig Englisch und ich kein Telugu (die bei uns übliche Sprache). Eine andere hielt ihr erstes Kind ab, benutzte beim zweiten aber teilweise Windeln, weil es mit zwei Kindern nicht mehr möglich schien, komplett abzuhalten. Ein Vater, mit dem ich sprach, benutzte keine Windeln, beklagte sich aber, dass sein Kind überall hin pinkeln würde. Viele Mütter der oberen Mittelschicht habe ich ausschließlich Plastikwindeln verwenden sehen. Arme Kinder sieht man oft vom Nabel abwärts unbekleidet auf der Straße. 

Es gibt also alles! Die Darstellung Indiens in der Literatur erscheint mir im Nachhinein ein wenig romantisiert.

Töpfchentraining“ ohne Töpfchen und Wickeln im Kindergarten

Viele beginnen hier mit dem sogenannten „toilet training“ schon mit sechs Monaten, wie mir eine Mutter erzählte. Töpfchen und Kloverkleinerungen sind dabei nicht so verbreitet. Es braucht eben oft gar nicht so viele Dinge…
Und es gibt auch Kindergärten, die Windelfrei praktizieren. Vom ersten Tag an kommen die Zweijährigen dort ohne Windel. Andere Einrichtungen wiederum handhaben das flexibler. Was aber anders ist, ist dass hier zum Teil nicht die Erzieherinnen wickeln, sondern Frauen, die auch für die Sauberkeit der Räume zuständig sind. Das hängt mit dem indischen Verständnis von Hierarchie zusammen. Wer saubermacht ist weiter unten in der Hierarchie. Wickeln für die Erzieherinnen wäre daher nicht angemessen. Das ist für uns seltsam, aber zu respektieren. Die Frauen die wickeln, sind die ganze Zeit anwesend, denn sie kümmern sich während des gesamten Kita-Tages, fegen zum Beispiel nach dem Frühstück oder dem Spiel im Sandkasten. Die Kinder nennen sie „Auntie“, also Tante. 

Windeln in Indien kaufen

Pampers und Co gibt es hier inzwischen überall. Das sah vor 10-15 Jahren noch anders aus. Plastikwindeln waren lange sehr teuer hier und sind es für große Bevölkerungsteile weiterhin. Es gibt auch Feuchttücher, aber da hier sowieso überall kleine Krüge mit Wasser vorhanden sind werden auch Kinderpopos meist direkt mit Wasser gereinigt. Servietten, Toilettenpapier, Taschentücher und ähnliche Papierprodukte sind hier insgesamt sehr viel weniger verbreitet. Damit entsteht auch weniger Müll. 

Heute kann man über amazon auch hier hübsche und praktische Stoffwindeln beziehen. Als wir vor fast vier Jahren hier ankamen sah das noch anders aus. Ich brachte die Stoffwindeln aus Deutschland mit als ich zur Geburt dort war. Ich finde amazon furchtbar, hier ist es allerdings oft die einzige Möglichkeit, an viele Dinge überhaupt irgendwie zu kommen. 

Inzwischen findet man online sogar Papierwindeln! Die habe ich für den Notfall und für Reisen zu Hause. Bei den langen Flugreisen und endlosen Reisetagen nach Deutschland erwiesen sich Stoffwindeln nicht als praktikabel. Wenn ich längere Zeit blieb, schleppte ich meine Stoffwindeln aber immer mit. Und abgehalten habe ich überall auf unseren Reisen.

Lange Reisen können sich aufs Abhalten auswirken

Von anderen Familien, die auch in sehr unterschiedlichen Kulturen leben, wurde mir mehrfach das Folgende berichtet: Kinder, die abgehalten wurden, „vergaßen“ nach einer langen Reise in die andere Welt plötzlich, Signale zu geben. Von einem Tag auf den anderen war die Elimination Communication einfach weg, als hätte man es nie probiert. Manchmal wurde das Abhalten wieder möglich, manchmal nicht.

Für mich ist das nachvollziehbar. Ich vergesse nämlich auch oft Geheimzahlen, Passwörter und ähnliches, wenn ich gerade wieder von der einen Kultur in die andere gereist bin. Es kann ganz schön herausfordernd sein, zwischen den Welten zu wechseln. Und gerade die ganz kleinen Menschen meistern das oft erstaunlich gut.

Anka Falk hat einen Magister in Rhetorik und Pädagogik und ist Körperpsychotherapeutin, Coach und Dozentin. Von 2007-2017 arbeitete sie in Lehre und Forschung an einem experimentellen Design Institut in der Schweiz. Sie ist im Alter von 37 Jahren mit ihrem Mann nach Indien gegangen. Ihr Kind hat sie in Deutschland geboren, ist dann aber zurück gegangen nach Indien und berichtet von ihrem Alltag dort. Zudem bloggt sie auf ljuno.de und gibt einen Einblick in ihr Alltagsleben in Indien hier auf Instagram 

7 Dinge, die Du schon in der Schwangerschaft wissen solltest für einen guten Start mit Baby

Geburtsvorbereitung ist wunderbar, denn in einem Kurs bekommen wir vermittelt, worauf wir bei der Geburt achten können, was uns unterstützt oder was den Geburtsverlauf auch hemmen kann. Wir erfahren, welche Bewegungen gut tun und was wir aktiv tun können, damit das Baby im Weg durch das Becken unterstützt wird. Wenn eine spontane Geburt nicht möglich ist, wird besprochen, wie eine Geburt auch auf andere Weise für alle beteiligten gut erlebt werden kann. Doch neben der Vorbereitung auf die Geburt und das konkrete Ankommen des Babys ist es genauso wichtig, den Weg der Bindung schon in der Schwangerschaft zu ebnen durch Aufklärung über die Fähigkeiten und Bedürfnisse des Babys, um den Start in das Elternleben leicht zu gestalten.

1. Du kannst Dein Baby nicht verwöhnen

Wir hören und lesen es noch immer überall: „Verwöhn das Baby nicht, sonst wird es dich tyrannisieren!“ „Erzieh das Baby von Anfang, damit du nicht bei jedem Mucks springen musst!“ Diese kleinen, hilfsbedürftigen Wesen werden nicht selten als große Bedrohung unseres Lebensstils dargestellt. Tatsächlich aber ist es so, dass du dein Baby mit liebevoller Zuwendung nicht verziehen kannst. „Verwöhnen“ ist wunderbar, wir alle werden gerne verwöhnt, wenn damit gemeint ist, dass einfach unsere Bedürfnisse auf angenehme Weise erfüllt werden. Das Baby bringt eigene Bedürfnisse ins Leben mit: Es hat ein Bedürfnis nach Nähe und Schutz, nach Nahrung, nach Schlaf, nach Pflege und nach sozialem Miteinander. Es möchte mit zunehmendem Alter Die Welt erkunden und dabei aber auch einen sicheren Hafen haben, zu dem es zurück kommen kann. Mit Liebe, die auch Freiraum lässt für eigenständiges Entdecken, verwöhnst du dein Baby nicht.

2. Mütter sind nicht allein verantwortlich

Wir bekommen es an so vielen Stellen vermittelt: Der gebärende Elternteil ist in besonderer Weise verantwortlich für das Kind und muss sich nun primär um die Bedürfnisse des Kindes kümmern. Nicht selten wird dabei auch vermittelt: Und die eigenen Bedürfnisse immer hinten an stellen! Lieselotte Ahnert, Professorin für Angewandte Entwicklungspsychologie, bringt es aber sehr schön in ihrem Buch „Wieviel Mutter braucht ein Kind?“ auf den Punkt: „Mit Ausnahme des Stillens gibt es kaum Hinweise, dass Frauen drauf vorbereitet sind, der befähigtere Elternteil zu werden.“ Ein Kind zu begleiten, braucht nicht selten viel Kraft. Oft mehr, als wir allein aufbringen können neben all den anderen Dingen, die unseren Alltag mitbestimmen. Es ist sehr wichtig, auch die eigenen Kraftreserven immer wieder aufzufüllen. Das geht besonders gut, wenn das Baby auch schon an andere nahe Bezugspersonen übergeben werden kann und von ihnen liebevoll begleitet wird. Das kann der andere Elternteil sein, aber auch Großeltern, Freunde etc. Die primären Bezugspersonen haben einen wesentlichen Einfluss auf die Entwicklung des Kindes, aber sie sind nicht allein verantwortlich für alles und müssen es auch nicht sein.

3. Das Wochenbett heißt nicht umsonst so

Kraft sammeln, das ist oft auch gerade nach der Geburt wichtig. Manche Wöchnerin hat gerade jetzt auch das Gefühl, besonders viel Kraft zu haben und möchte zu Hause ausruhen, umräumen, Besuch empfangen. Auch bei einem solchen Hoch ist es wichtig, die eigenen Ressourcen im Blick zu halten: Das Wochenbett ist eigentlich eine Phase, in der die Wöchnerin tatsächlich zunächst mit dem Baby im Bett bleibt und sich umsorgen lässt.

Idealerweise kann auch der andere Elternteil darauf teilhaben und diese Zeit des Neubeginns und Kennenlernens nicht nur mit Besorgungen und Haushalt auffüllen, sondern vielmehr auch mit Kuschelzeiten und Annäherung an das Familienleben. Jetzt ist vor allem Zeit wichtig vor allen anderen Dingen und es tut gut, sie sich für einen sicheren Start zu nehmen. Nach der Woche im Bett kann langsam damit begonnen werden, die Wohnung gemeinsam zu erobern – aber Schritt für Schritt. Gerade jetzt finden auf so vielen Ebenen Änderungen statt und so viel Neues tut sich auf, dass Langsamkeit besonders wichtig ist. Und wenn Besuch erwartet wird, kann dieser sich gerne an den Wochenbettbesuchsregeln orientieren.

4. Babys reifen noch nach

Der Schweizer Anthropologe Adolf Portmann prägte die Bezeichnung „physiologische Frühgeburt“ in Bezug auf die menschlichen Babys: Sie kommen aufgrund unserer Entwicklung des aufrechten Gangs und den damit veränderten Strukturen im Becken noch relativ „unreif“ zur Welt, damit sie in der Regel gut Becken und Gebärkanal passieren können. Dafür aber brauchen sie im Anschluss an die Geburt noch Zeit, um „nachzureifen“. Besonders die ersten drei Monate sind eine Zeit, in der Babys langsam in der Welt ankommen und noch sehr viel Hülle und Schutz brauchen. Besonders in dieser Zeit brauchen viele Babys noch gebärmutterähnliche Rahmenbedingungen, um sich sicher und geborgen zu fühlen: viel Körperkontakt und Wärme, gewiegt werden, beruhigende Töne und das Gefühl, in Symbiose zu sein mit einer sich um die Bedürfnisse kümmernden Bezugsperson.

5. Das Weinen des Babys ist normal und will begleitet werden

Babys kommen schon mit vielen Möglichkeiten der Kommunikation zur Welt und haben eigene Signale, mit denen sie sich mitteilen: Die können Hunger mit Saugen an den Händen oder einer Suchbewegung des Mundes anzeigen, drücken aus, wenn sie Ruhe brauchen durch abwenden des Kopfes und haben auch meistens eigene Fähigkeiten der Regulation. Dennoch ist auch das Weinen Teil der Sprache des Kindes. Manchmal können wir die Signale des Babys nicht wahrnehmen oder das Baby weint einfach ohne dass wir erahnen können, warum. Nicht nur Lachen und Freude sind im Leben mit Kindern wichtig und willkommen, sondern Kinder bringen eine ganze Palette an Gefühlen mit ins Leben ein und dürfen diese auch ausdrücken. Dies gilt auch für das Weinen: Wenn wir die Ursache nicht finden, brauchen sie eine liebevolle Begleitung des Weinens, bis dieses letztlich wieder abebbt. Auch wenn wir die Ursache nicht beheben können, vermitteln wir ihnen damit, dass die mit ihren Problemen nicht allein sind. Weinende Babys sollten nicht allein gelassen werden.

6. Stillen sollte nicht langfristig Schmerzen

Es ist eine ganz persönliche Entscheidung, ob gestillt wird oder nicht und jede Familie geht hier und in anderen Bereichen einen eigenen Weg. Wer sich für das Stillen entscheidet, sollte aber wissen, dass es kein Weg ist „durch den man eben durch muss“. Während es anfangs durchaus zu Schmerzen kommen kann bei der neuen Beanspruchung, und vielleicht auch noch Unsicherheiten in Bezug auf das richtige Anlegen des Babys gibt, sollten sich Probleme nicht über einen längeren Zeitraum hinziehen. Stillen muss manchmal erst geübt werden und hierzu braucht es vor allem Unterstützung: Anerkennung, Verständnis aber nicht selten auch einen fachkundigen Blick mit einigen Tipps. Sollte das Stillen langfristig schmerzen, ziehe schnell Hilfe hinzu.

7. Um Hilfe bitten ist in Ordnung

Es ist in Ordnung, um Hilfe zu bitten! Leider haben wir es an vielen Stellen verlernt oder es wurde uns aberzogen. Wir bekommen nicht selten das Gefühl vermittelt: Familienleben bedeutet, sich um alles selbst zu kümmern. Aber damit sind wir schnell überfordert und Stress ist etwas, das sich negativ auf den Familienalltag und die Interaktion mit dem Baby auswirkt. Daher: Egal was du hörst, um Hilfe bitten ist in Ordnung! Bitte Freund und Familie darum, für die erste Zeit für Dich zu kochen. Bitte darum, dir Einkäufe mit- oder vorbeizubringen. Frag andere, wie sie bestimmte Dinge erledigen und tausche dich mit anderen aus, bilde ein eigenes Netz. Es ist zu viel verlangt, Familie, Job, Haushalt und all die anderen Dinge selbst zu stemmen – und das gerade am Anfang, wenn das Baby erst einmal kennengelernt werden will in seinem Temperament und Bedürfnissen.

Susanne Mierau ist u.a. Diplom-Pädagogin (Schwerpunkt Kleinkindpädagogik)Familienbegleiterin und Mutter von 3 Kindern. 2012 hat sie „Geborgen Wachsen“ ins Leben gerufen, das seither zu einem der größten deutschsprachigen Magazine über bindungsorientierte Elternschaft gewachsen ist. Sie ist Autorin diverser Elternratgeber, spricht auf Konferenzen und Tagungen, arbeitet in der Elternberatung und bildet Fachpersonal in Hinblick auf bindungsorientierte Elternberatung mit verschiedenen Schwerpunkten weiter.