Unser Weg mit einem Schreibaby – Julia von familiengarten berichtet

Schreibabys, Babys mit starken Bedürfnissen, High Need Babys – noch immer sind diese Themen oft mit Scham besetzt, es gibt viele Vorurteile und falsche Informationen. In der Reihe „Unser Weg mit einem Schreibaby“ wollen wir dieses Thema aus der Nische holen, Menschen sensibilisieren und betroffene Eltern unterstützen.
Hier berichtet Julia von familiengarten über ihren Weg mit einem Schreibaby vor 4,5 Jahren. Wenn Du über Deine Erfahrung berichten möchtest, schreib an [email protected]

1. Wann hast Du gemerkt, dass Dein Baby mehr Zuwendung braucht als andere Babys?
Unser Baby hat von der ersten Sekunde an geschrien. Sie war eine Zangengeburt und hat sich lange gar nicht beruhigt. Schon im Krankenhaus hat sie die Nächte durchgeschrien, allerdings war sie die ersten beiden auch allein. Ich war so kaputt und naiv genug zu glauben, dass man ein schreiendes Baby wohl zur Mama bringt. Da habe ich mich aber leider getäuscht. Noch heute treibt mir der Gedanke daran Tränen in die Augen. Das zusammen mit der gesamten Geburtsgeschichte hat uns den Start mit Sicherheit nicht erleichtert.
Obwohl das Schreien schon im Krankenhaus auffallend viel war, wurden wir nicht wirklich ernst genommen bzw. wurde es damit abgetan, dass ich eben was falsches gegessen habe. Auch bekam ich doch tatsächlich den Tipp, mein drei Tage altes Baby tagsüber wach zu halten. Dann würde es nämlich auch schlafen und nicht schreien… 

Obwohl ich die ganze Zeit gespürt habe, dass das nicht „normal“ ist, dachten wir dadurch lange Zeit, dass das eben mit Babys so ist. Das wurde uns ja auch von Außen so suggeriert. Irgendwann schrie das Wirbelmädchen beim Arzt so laut, dass wir uns nicht mehr verstehen konnten. Als ich anmerkte, dass das Normalzustand bei uns sei, wurde er endlich hellhörig. Wir bekamen die schon häufig erbetene Empfehlung zur Osteopathie. Da war sie allerdings auch schon 6 Monate alt.

2. Wie bist Du damit umgegangen, dass Dein Baby andere Bedürfnisse hatte und wie ist Deine Umgebung damit umgegangen?
Die anfänglichen Versuche nach Zeit zu stillen, haben wir bereits im Krankenhaus über Bord geworfen und auch der Kinderwagen musste recht bald dem Tragetuch weichen. Wir haben dauergestillt und dauergetragen. Auch haben wir windelfrei entdeckt und sie recht schnell abgehalten. Das alles hat es erheblich erleichtert, auch wenn sie weiter geschrien hat. Gerade am Anfang habe ich den Großteil des Tages mit ihr drinnen verbracht. War sie endlich an meiner Brust eingeschlafen, habe ich mich nicht mehr bewegt. Im Grunde drehte sich unser gesamter „Alltag“ nur darum, dass sie irgendwie in den Schlaf findet und möglichst viel schläft. Der Schlaf ist auch heute noch unser Hauptthema…
Unser Umfeld hat das natürlich nicht verstanden. Erst wurde alles abgetan und belächelt, dann kamen die großen Einwände, die mit zunehmenden Alter immer mehr und lauter wurden. Wir könnten das ja nicht immer so machen. Das könne ja so nicht weitergehen. Nur wie es anders gehen soll, hat uns leider niemand verraten (abgesehen vom Schrein lassen…). Gut ein paar Tipps hatten sie natürlich schon auf Lager. Leider war das wenig hilfreich, sondern meist eher verletzend. Denn natürlich waren wir schon mal auf die Idee gekommen, sie einfach mal hinzulegen oder mal ordentlich auszupowern…

3. Gab es Faktoren, Momente, Situationen, die es Dir im Alltag besonders schwer gemacht haben? Wo hat es bei Dir an Hilfe und Unterstützung gefehlt?
Welcher Alltag? Wir hatten wirklich extrem lange keinen. Im Grunde ist das auch heute häufig noch so. Sie braucht bis heute sehr viel Aufmerksamkeit und macht sehr laut und sehr vehement deutlich, was sie gerade braucht. Das finde ich prinzipiell toll, es ist aber auch unglaublich fordernd und kann ganz schön Kräftezehrend sein. Auch ist das Schlafthema bis heute sehr präsent. Glücklicherweise braucht sie heute nicht mehr so viel davon wie ein Baby.

Unterstützung und Verständnis haben eigentlich überall gefehlt. Eigentlich hat nie jemand wirklich zugehört, nur die „guten Ratschläge“ hatten alle immer sofort parat. Ich hatte und habe oft das Gefühl, dass ich einfach zu empfindlich bin oder eben alles falsch mache. Im Grunde weiß ich natürlich, dass dem nicht so ist. Es wird einem aber permanent vermittelt.
Besonders schwierig finde ich bis heute Familientreffen. Da unser Umgang mit unseren Kindern eben deutlich von der Norm abweicht. Dass sie als Baby praktisch die ganze Zeit im Tuch war, hat beispielsweise kaum jemand verstanden. Aber so konnte ich ihre Grenzen wahren und ihr ihren nötigen Rückzugsort geben. Heute sind ist es vor allem ihre „Wildheit“, die auf Unverständnis stößt. 

4. Was findest Du, muss unsere Gesellschaft prinzipiell ändern?
Oh, da gibt es so einiges. In Hinblick auf die Problematik mit Schreibabys bräuchte es deutlich mehr Unterstützung, Akzeptanz und Aufklärung. Mir hat zum Beispiel die Definition im Internet überhaupt nicht geholfen. Denn ich dachte dadurch, ich sei eben einfach nur übermäßig empfindlich. „So viel schreit sie ja gar nicht…“ Auch haben wir uns einfach komplett alleine gefühlt. Dann las ich von Schreiambulanzen und Osteopathie. Aber ich war kaum dazu in der Lage irgendetwas zu unternehmen. Zudem hatte ich immer das Gefühl zu übertreiben.
Neben einer standartmäßigen Untersuchung beim Osteopathen bzw. noch besser einer Untersuchung auf KISS, sollten sich vor allem grundlegende Dinge ändern: eine andere Geburtskultur, wirkliche Stillfreundliche Krankenhäuser (unseres war angeblich eins. Eine Stillberaterin habe ich dort nie zu Gesicht bekommen. Bei jedem Problem kamen sie sofort um zu zufüttern, gegenteilige Sachen wurden erzählt und für die Wahrheit schlechthin verbreitet…). Und vor allem die Akzeptanz, dass nicht jedes Baby und nicht jedes Kind gleich sind und somit auch nicht jedem die gleichen Dinge helfen.
Generell brauchen Familien meiner Meinung nach viel mehr Zeit und Verständnis. Zeit um sich zu finden, um an und miteinander zu wachsen. Das geht aber über das Babyalter deutlich hinaus. Auch braucht es viel mehr Zeit für Kinder im Allgemeinen. Zeit die man als Familie verbringen kann, Zeit für kranke Kinder.
Es braucht meiner Meinung nach viel mehr Empathie und Rücksichtnahme.
Auch den generellen Blick aufs Kind finde ich sehr problematisch. Das absprechen jeglicher Kompetenz, das nicht wahrnehmen ihrer Gefühle. Aber auch das ständige vergleichen und fördern. Ich empfinde unsere Gesellschaft als absolut nicht kindgerecht und von einem breiten bedürfnisorientierten Umgang sind wir leider noch gefühlte Lichtjahre entfernt. Auch das Wegorganisieren der Kinder halte ich für problematisch. Sie leben faktisch in einer Parallelwelt und kommen kaum mit anderen Altersgruppen in Berührung. Und so könnte ich noch lange weiter aufzählen.

5. Dein „High Need Baby“ ist nun schon 4,5 Jahre alt. Welche positiven Aspekte nimmst Du aus der Zeit mit? Was hat sich positiv verändert und was hat sich auch an Dir verändert?
Zum einen sind wir verdammt stolz, dass geschafft zu haben. Denn es gab einige Momente, an denen wir daran wirklich gezweifelt haben. Diese Zeit hat uns alle sehr zusammengeschweißt und uns sehr gestärkt. Wir sind aber vor allem dankbar, dass uns unsere Tochter gezeigt hat, wie wunderschön so viel Nähe sein kann. Klar, das war nicht immer nur schön und vor allem ich musste mich durchaus erst daran gewöhnen so ganz und gar kein eigenständiger Mensch mehr zu sein. Denn was sie eingefordert hat, hat uns schon sehr oft an unsere Grenzen gebracht. Aber rückblickend möchte ich die ganze intensive Kuschelzeit absolut nicht missen. Ich bin ein absoluter Tragefan geworden und auch ihr kleiner Bruder hat praktisch im Tuch gewohnt. Unsere Tochter hat uns zum bedürfnisorientierten bzw. unerzogenen Weg geführt. Und es fühlt sich absolut gut an. Auch wenn dieser Weg mitunter ganz schön steinig sein kann, da wir häufig anecken, viel hinterfragen und reflektieren und es eben auch ganz schön harte Arbeit sein kann. Wir sind heute gänzlich andere Menschen (wir waren davor allerdings auch schon relativ alternativ unterwegs..) und sind sehr froh darum.

 

Julia schreibt auf familiengarten.org über den Alltag mit Kindern und das Leben ohne Kindergarten. Sie ist Mutter einer mittlerweile 4,5 jährigen Tochter und eines 2jährigen Sohns.

14 Kommentare

  1. Wow danke! Ich hab mich in sovielem wieder gefunden 🙂 mein willensstarker Bub ist jetzt 5 Jahre alt. Und auch ist das Schlafen und die Wilde, Impulsive art immer noch unsere grösste Herausforderung im Alltag!
    Danke an Geborgen Wachsen, dass du hier die Plattform gibst- es ist so heilsam zu lesen das es anderen auch so geht. Denn immer wieder zweifle ich noch immer an meiner wahrnehmung- zweifle ich, an mir, an meinem kind… und das ist weder hilfreich noch gesund für uns.
    Danke- um den familien die ihr bestes geben und so an ihre grenzen kommen, ein gesicht zu geben.
    Liebe Grüsse Anouk

  2. Hey! Meine Tochter ist auch 4 und unsere Geschichte recht ähnlich. Heute weiß ich, dass unsere Tochter zudem hochsensibel ist. Vielleicht trifft das auch auf eure Tochter zu?
    LG Gertraud

  3. Ich kann jede Zeile, jede Erläuterung sooo gut nachvollziehen. Bei uns war es 1:1 genau so.
    Auch wir sind dankbar für unsere Willensstarke Tochter.

  4. Du sprichst mir aus der Seele Julia,
    genau so wie deine Tochter ist meine Mia auch. High Need von der ersten Minute an bis heute mit 3 1/2 Jahren. Immer noch braucht sie unendlich viel Nähe und Aufmerksamkeit. Erst jetzt mit ihrer Schwester die jetzt 4 Monate alt ist weiß ich dass es auch entspanntes Mutter sein gibt. Die ist das völlige Gegenteil. Und dennoch habe ich sicherlich aus dem Grund eine so enge Bindung zu meiner Großen wie andere vielleicht nicht. Seit dem ich sie und die Situation einfach angenommen hatte anstatt ändern zu wollen sind wir eins geworden. Und seit da wurde alles für mich trotz der Anstrengung die es trotzdem blieb einfacher und ich konnte mein Kind ab da erst „genießen „. Da war sie aber auch schon mindestens ein halbes Jahr und ich bedaure, dass die Zeit davor so negativ belastet war wo doch jedes Kind ein Wunder ist.

    • Wunderschön geschrieben, liebe Birte! Das spricht mir aus dem Herzen!
      Unser bald 3-jähriger Sohn war und ist auch ein High Need Kind und erst heute, rückblickend, kann ich sagen, dass es trotz allem eine lehrreiche und schöne Zeit war. Von dem Punkt an, wo ich die Situation akzeptiert habe, wurde vieles besser und einfacher. Danke für deine Worte! Liebe Grüße, Miriam

  5. Ja eine Akzeptanz für diese besonderen Kindern gibt es nicht und soll ich was sagen? Noch viel weniger, wenn es Kind Nummer acht ist. Ich habe das ein oder andere High Need Baby. Unsere Nummer acht braucht uns noch ein bisschen mehr. Das ist natürlich im Großfamilienalltag herausfordernd und da die Nächte so wahnsinnig unruhig sind, auch anstrengend. Manchmal frage ich mich, ob ich den nächsten, der mir mit auf den Weg gibt, das Nummer acht so einfach mitläuft und man es ja so gewollt hat, einfach mal umhaue 😉

    Anstrengend ist es doch vorallendingen auch, das man sich immer rechtfertigen muss und das es keine echte Hilfe gibt. Schlaue Ratschläge ja, aber Hilfe? Ernst gemeinte gute Hilfe? Die suche ich dann immer noch und finde sie nur in meiner Familie, die unser Baby so schön mit trägt.

    Alles Liebe !

    • Liebe Andrea,
      würdest Du mir vielleicht auch ein Interview geben über Euren Weg mit Schreibaby in der Großfamilie? Da gibt es dann ja noch viele andere wichtige Aspekte, besonders die Gestaltung des Alltags mit allen Kindern.
      Liebe Grüße
      Susanne

  6. Vielen Dank – du beschreibst es sehr gut. Auch unsere Älteste war 5 Monate so ein Baby, das mich extrem gefordert hat, bis zur Erschöpfung von uns und sich selbst. Schlimm ist es, wenn man sich eben nicht mehr traut, ins Cafe zu gehen, da man das Gefühl hat wie eine „Rabenmutter“ das Kind nicht beruhigen zu können. Da sollte mehr Aufklärung stattfinden, damit sich die Mütter weniger Gedanken machen, was sie nicht alles falsch machen… manche Babys sind eben so und wie können sie nur bestmöglichst begleiten. Viel Hilfe ist wichtig… immer mal – wenn auch nur 5 Minuten abgeben, zur Oma oder so…. Liebe Grüße

  7. AngieK.92

    Ich selbst war ein Schreibaby. Meine Eltern oft am Rande der Verzweiflung, Mama hat oft schon mitgeweint weil nichts half. Von Kind auf begleiteten mich Erzählungen von Familienmitgliedern, die mich herumgetragen haben. Sogar in einem Chinesischen Restaurant erbarmte sich damals eine Dame vom Personal, die mich einige Zeit nahm um meinen Eltern Ruhe beim Essen zu gönnen. Es gibt viele ähnliche Geschichten…
    Für mich, die immer schon von allen als das weinende Kind gesehen wurde, war es nicht leicht diese Vergangengeit „vorgehalten“ zu bekommen – als hätte ich etwas daran ändern können. Bis heute bin ich sehr sensibel, „nah am Wasser gebaut“ oder wie auch immer man es nennen möchte. Von Freudentränen übers mit anderen mitweinen bis zum einfach weinen…. mittlerweile hab ich gelernt meine Emotionen zu akzeptieren und mich nicht mehr zu schämen – wie es mir von allen immer einetrichtert wurde… Anscheinend ist das Weinen irgendwo ganz tief in mir verankert, als würde ich für alle anderen mitweinen. Warum auch immer…

    Lg angie

  8. Liebe Andrea,
    Du schreibst mir aus der Seele! Unsere Erfahrungen mit unserer jetzt 2,5 Jahre alten Tochter waren sehr sehr ähnlich. Ein Jahr lang gab es keinen Alltag, und ich trug sie Nacht um Nacht und Tag für Tag durch die Wohnung und die Welt. Nichts konnte sie beruhigen, und oft weinte ich mit aus Schlafmangel und Verzweiflung. Auch nagte es an mir, mein eigenes Kind nicht beruhigen zu können – was machte ich nur falsch?! -Aufklärung und Hilfe gab es keine: nicht im Krankenhaus, nicht von der Hebamme, dem Kinderarzt etc.

    Auch heute noch ist unser Mädchen wie Du es beschreibst: Sehr laut und hartnäckig fordert sie unsere Aufmerksamkeit, ist sehr willensstark und der Schlaf ist Hauptthema.

    Noch immer finde ich es schade, dass ich unsere gemeinsame Babyzeit nicht „genießen“ konnte- „überleben“ beschreibt diese Phase besser.

    Vielen vielen Dank, dass Du mit Deinem Artikel für mehr Aufklärung sorgst, und danke, dass ich mich in Deinen Worten wiederfinden konnte. Mir war nicht klar, dass die Situationen so ähnlich verlaufen können. Zu wissen, dass man damit nicht alleine ist, tut gut!

    Dankeschön und alles Liebe Dir und Deiner wilden Tochter von einer Mutter mit ebensolchen Kind

  9. Was für ein wichtiger Beitrag! Ähnliches haben wir mit unserem Schreibaby evor 3 Jahren erlebt. Alle Stellen vom Personal im KH, über den Kinderarzt, die Hebamme, die Familie, Freunde, selbst die nächste Schreiambulanz, haben uns nicht wirklich ernst genommen, abgewiegelt, da völlig überlaufen, alles verharmlost oder uns zu den einzig Schuldigen erklärt. Hilfe haben wir leider keine erhalten, nur „gute“ Tipps?. Das wir das gemeinsam gut überstanden haben, macht uns froh. Aber ein high need baby bleibt auch ein später ein high need Kind. So etwas verwächst sich unserer Erfahrung nach nicht. Entgegen aller Prophezeiungen anderer. Ja, Kinder sind unterschiedlich und dürfen es auch sein, aber manches Baby schreit nun einmal wirklich viel mehr und ist dauererregt. Das ehrlich einzugestehen als Eltern, wie auch ausserfamiliär bereit zu sein, das festzustellen, heisst sich einem Mehr an Arbeit und Aufwand zu stellen und wirklich daraus auch Hilfe und Verantwortung zu übernehmen. Daran fehlt es leider! LG Biddy

  10. Hallo an ALLE, wir haben auch ein Baby mit besonderen Bedürfnissen. Von der ersten Sekunde an hat unser Kind geschrien. Die Nächte im KH waren der Horror – gerade, weil wir so unmöglich behandelt wurden. Mehr als „Zufüttern“ gab es nicht als Tipp, was Schwachsinn war, denn wenn eines sofort funktionierte, dann war es das Stilllen. Unser Baby würde schreien, weil es „hungern müsste“, weil ich nicht zufüttern wollte. Es täte der Schwester „in der Seele weh, zu sehen“ wie ich mein „Baby hungern“ ließe…Ja solche Worte schlugen mir entgegen. 7h hatte ich mein Kind im Zimmer schreiend hin und her getragen und mich schon gar nicht mehr getraut zu klingeln, bekam ich doch eh nur niederschmetternde Sätze an den Kopf geknallt. Als es dann soweit war, dass ich Panik bekam, weil meine Tochter blau anlief und kaum noch Luft bekam, kam die neue Schicht – schon von den Kollegen informiert, über mich – die unbequeme Rabenmutter – und meinte nur, sie hätte schon gehört, wenn ich nicht zufüttern wollte müsste ich mich mit dem Schreien arrangieren. Das war die Hilfe von den Schwestern im KH. Ich sage euch, schlechter hätte es nicht laufen können. Meine Unsicherheit wurde so immer mehr geschürt und meine mütterliche Intuition gebrochen. Verzweifelt gab ich mein Baby zur „Nabelpflege“ mit, zu der ich nicht mitgehen durfte. Dass ich nicht stark blieb und darauf bestand mitzugehen, bereue ich nach wie vor. In ein jedes Geburtshaus gehört jemand, der sich solchen Familien annimmt und sie von Beginn an aufklärt, begleitet und vor allem stärkt und beruhigt. Nachdem wir regelrecht aus dem KH geflohen waren nahmen wir selbst die Lage in die Hand, fuhren zu Spezialisten, ließen mögliche Blockaden abklären und gingen währenddessen weit über unsere physischen und psychischen Kräfte hinaus. Am schlimmsten haben wir es immer empfunden, dass unser Baby so sehr schrie, dass man dachte es würde sich in einem Überlebenskampf befinden. Wir hatten oft Panik, dass etwas schlimmes (ich möchte es gar nicht beim Namen nennen) passieren würde. Hebamme nahm unser Problem nicht als solches wahr. Babys schreien eben und schlafen schlecht. Als wir nach Monaten so verzweifelt waren und mein Gesundheitszustand nicht der beste war (Colitis Ulcerosa), rief ich dann doch noch bei einer Schreiambulanz an, obwohl wir zuvor schon so einige „Fachleute“ ohne erwünschten Erfolg auf unser Kind ansetzten. Aber nachdem mir die Dame am Telefon dann auch noch sagte „entweder das Schreien liegt an einer Blockade oder an Ihnen“ war ich endgültig geheilt. Wir nahmen die Situation immer mehr an und versuchten uns selbst zu helfen. Irgendwann fanden wir heraus, dass das Schlafen in direkter Verbindung mit dem Schreien stand. Und überhaupt das „Abgelegtwerden“ löste bei unserer Tochter Panik aus. Auch das Baden war problematisch. Besonders die Prozedur nach dem Baden. So las ich viel über Geburtstrauma, Säuglingsheilbäder, Entwicklung von Emotionen im Säuglingsalter und wurde und werde immer mehr Experte, was das Einfühlen in mein Kind betrifft. Und darin liegt der Schlüssel. Das Schreien und all die besonderen Merkmale, die diese Kinder mit auf die Welt gebracht haben, nicht als „Symptome“ um jeden Preis „einfach“ beseitigen zu wollen (auch wenn das absolut nachzuempfinden und auch nötig ist) sondern aber eben genau über die Ursache nachzudenken. Schreit mein Baby vielleicht weil es Angst hat? Und wie kann ich dafür sorgen, dass sich die „negativen“ aber unabdingbaren Ängste für die Entwicklung in positive Geschehnisse umwandeln kann, damit mein Baby Urvertrauen und Bindung aufbauen kann, damit es lernt in seine Mutter, seinem sicheren Hafen, der einen angstfreien Zugang zur Welt darstellen soll, zu vertrauen. Ich finde es super und wichtig, dass darüber öffentlich kommuniziert wird. Jedes Kind ist andres. Und es ist nicht komisch, weil es in den ersten Monaten nur in Mama’s Arm sein möchte. Aber es driftet von der Vorstellung von Eltern ab, weil über „solche“ Babys eben kaum gesprochen wird und die Familien als „komisch“ abgestempelt und ausgegrenzt werden. Es bedarf einer kompetenten Begleitung der Eltern mit Kind. Und ein gesamtes Umdenken in der Gesellschaft. Denn wie kann es denn normal sein, schon so große Erwartungen an Säuglinge zu stellen und sie für seltsam oder zu „empfindlich“ zu halten wenn sie eben ein bisschen länger brauchen mit der Welt und sich zurechtzukommen.
    Ob Schreikind oder nicht – ich empfehle jedem, der mit Kindern zu tun hat, das Buch „Vom Urvertrauen zum Selbstvertrauen“ von Rüdiger Posth zu lesen um Einblick und Verständnis für die Gefühlswelt von Säuglingen und Kleinkindern zu gewinnen.

    • Katharina D.

      Bei den drei Beiträgen oder high Need Babys aber auxh besonders bei diesem Kommentar kommen mir gerade die Tränen. Genauso war es bei unserem großen Sohn ( 2 3/4 Jahre alt) auch. Nach der zu frühen und für uns beide traumatischen Geburt sowie fehlenden Bindung und zu späten anlegen nach der Geburt ( trotz stillfrejndlichem KH!) musste er noch auf die Neugeborenen intensiv Station. Ich habe oft erst nach Untersuchungen blutabnahme etc erfahrne dass die gemacht wurden. Ich war nie dabei. Da im KH die Mütter nixht mit im gleichen Zimmer sondern ganz am oberen anderen Ende des KH ihre Zimmer hatten und ich ja auch mal essen und etwas schlafen sowie abpumpen musste, weiß ich nicht was er da alles alleine hat über sich ergehen lassen müssen. Wir waren so überfordert, daheim hat er so viel geschrien, ich habe alleine zwei Monate darum gekämpft dass wir es mit dem stillen problemlos hin bekommen. Wenn er wach geworden ist hat er bevor die Augen auf gingen schon geschrien als wäre er im Überlebenskampf und musste sofort trinken. Wenn er schlief klingelte es vom schreien in meinen Ohren und ich hatte schon Panik vor der nächsten wachphase, vor dem schreien, dem Gefühl wieder nichts richtig zu machen. Und die Kommentare von außen, die sagten Kinder schreien nun mal, sie müssen Mai schreien, warum wir oder gerade ich uns so anstellen, warum der Tagesablauf und Verabredungen jetzt nur nach ihm gerichtet ablaufen ,…. die Liste ist ewig. Ich habe mich so alleine in dieser Zeit gefühlt. Es wurde nach und nach besser je mehr er sich fortbewegen konnte und je selbstständiger er wird, je mehr er sich mit Worten ausdrücken kann, je mehr ich ihn in so vielen Dingen wie möglich selbst entscheiden lassen kann, umso besser wird es. Er ist dennoch sehr willensstark, sehr gefühlsstarl aber auxh sehr empathisch, lernt schnell, ist kreativ, ist oft sehr kooperativ und hilfsbereit, bewegungsfreudig und hat ein gutes Körpergefühl. Nur das Thema Schlaf wird uns wohl auxh noch eine Weile beschäftigen. Ich merke, je mehr ich es annehme wie es halt nun mal ist, ihn wertschätze, desto besser geht es auch.

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