Am Samstag wird in Berlin wieder demonstriert für den Erhalt des Berufsstandes der Hebammen. Gerade in der letzten Zeit hat sich jedoch eine Kluft unter den Frauen aufgetan in Bezug auf den Hebammenprotest. Das Projekt „Selbstgeboren“ hat nur verdeutlicht, welche Emotionen beim Einsatz für die Hebammen mitschwingen. Oft liest oder hört man auch kritische Stimmen, man solle sich nicht für einen Berufsstand einsetzen, der längst modernisiert werden sollte oder der nur noch Multiplikator für esoterische Behandlungskonzepte sei. Doch beim Protest für die Hebammen geht es eigentlich weder darum, ob nun ein Kaiserschnitt oder eine spontane Geburt zu Hause besser sei und es geht auch nicht darum, ob Frauen irgendwelche Kügelchen oder Umschläge benötigen, um bei Problemen in der Schwangerschaft Linderung zu erhalten: Es geht um ein Recht aller Frauen, frei zu entscheiden. Jede Frau muss selbst entscheiden können, wo und wie sie ein Kind gebären möchte, wenn sie sich entschieden hat, eines zu bekommen.
Frauen müssen wählen dürfen, wie sie gebären und haben ein Recht auf Medikamente
An manchen Stellen wird beschrieben, dass man heute im Besitz aller medizinischen Möglichkeiten nicht mehr gezwungen ist, sich dem Geburtsvorgang zu unterwerfen, sich auf sein Stammhirn zu besinnen und trotz Schmerzen auf Schmerzlinderung durch Medikamente zu verzichten. Medizinische Interventionen erscheinen als Machtmittel, auf die Frauen heute Zugriff haben und sich dessen bedienen dürfen. Das ist auch vollkommen richtig. Frauen haben Zugriff auf diese Mittel und dürfen sich nach freier Entscheidung daran bedienen: Keine Frau sollte und muss heute natürlich gebären, wenn sie Ängste hat oder das Schmerzempfinden ihr gebietet, schmerzstillende Medikamente zu nutzen. Ich persönlich finde es vollkommen richtig, dass jede Frau ein Recht auf Wahlfreiheit hat. Dies ist insbesondere vor der Geburt wichtig, um für sich zu klären, welche Maßnahmen man wünscht und welche nicht.
Wahlfreiheit oder doch Fremdbestimmung durch Ärzte und Konzerne?
Nicht zu verwechseln mit dieser Freiheit der Entscheidung ist jedoch die Fremdbestimmung im Krankenhaus durch medizinisches Personal, das nicht unbedingt im Sinne der Frau und ihrem persönlichen Bedarf handelt, sondern im Sinne eines großen Klinikkonzerns, bei dem es um Bettenbelegungen, Arztkosten und Krankenkassenabrechnungen geht. Medizinische Intervention ist eben nicht zwangsläufig ein Ausdruck der Selbstbestimmung. Gerade im Rahmen der Proteste um das Projekt Selbstgeboren wurde deutlich, wie viele Frauen unter fehlender Selbstbestimmung bei Geburten leiden mussten. Traumatische Geburtserfahrungen können zu schwerwiegenden (psychischen) Erkrankungen führen. Australische Studien zeigen, dass dort Selbstmord eine der Haupttodesursachen in der perinatalen Phase ist.
Eingriffe unter der Geburt können Auswirkungen haben, deren sich Frauen vorher nicht bewusst sind. Der hormonelle Kreislauf ist sehr empfindlich. Geburt ist ein normaler Vorgang, an dem es zunächst nichts Pathologisches gibt. Gibt es keine schwerwiegenden Vorerkrankungen, steht einer normalen Geburt zunächst nichts im Wege. So kommt es auch, dass Geburten traditionell von Hebammen begleitet werden und eben auch nicht unbedingt in Krankenhäusern stattfanden. Dass Geburten zunehmend jedoch in Krankenhäuser verlegt wurden, ist eine gesellschaftliche Entwicklung durch Einwirken der Pharma-, Medizinprodukte- und Ärztelobby. Geburt wurde in den vergangenen Jahrhunderten zunehmend pathologisiert. Es wurden Ängste geschürt, um Frauen dazu zu bewegen, Geburten in Krankenhäuser zu verlegen. Begründet wurde dies oft mit mehr Sicherheit für Frau und Kind. Betrachtet man allerdings die Datenlage, stimmt dies nicht. Die Einführung von Medizinprodukten führte in vielen Fällen zu einer Verschlechterung der Gebärsituationen: Das neu eingeführte CTG führte zu einer vermehrten Anzahl von Kaiserschnittgeburten, da dessen Angaben falsch interpretiert wurden: Naturgemäß sinken die Herztöne unter der Geburt durch die Wehen, was allein noch keine Indikation für einen Kaiserschnitt ist. Da aber für das CTG oft das Liegen im Bett erforderlich ist (und das CTG auch lange läuft, wenn Daten falsch interpretiert werden), kann sich das Kind aber womöglich nicht richtig im Becken einstellen. Auch sind die Wehen schmerzhafter. Um den Schmerz zu mindern, gibt es die PDA, die wiederum zahlreiche Nebenwirkungen haben kann und den Geburtsverlauf negativ beeinflusst. Da die Geburt hierdurch in die Länge gezogen wird, werden wiederum Wehenmittel zur Anregung verabreicht, die stärkere Kontraktionen hervor rufen und den Blutzufluss zum Kind stärker beeinträchtigen können. Auf diese Weise erhöht sich die Kaiserschnittrate, die in den letzten 10 Jahren um 10 Prozent auf derzeit ca. 30 Prozent angestiegen ist.
Der neutrale Partner an der Seite
Gerade deswegen ist es wichtig, dass Frauen eine Person an ihrer Seite haben, die sich loyal für sie einsetzt. Eine Person, die nicht selbst in die Geburt einbezogen ist wie die Gebärende oder ihr Partner/ihre Partnerin. Jemand, der Erfahrungen und emotional etwas Abstand hat. Jemand, der sich objektiv einsetzen kann. Diese Möglichkeit besteht, wenn man eine Hebamme hat, die man vorher kennt. Mit der man besprochen hat, welche Wünsche und Vorstellungen man hat, welche Interventionen in Ordnung sind und auf was bei Komplikationen geachtet werden soll. Eine Fachkraft, die sich unter der Geburt neutral einsetzt, medizinische Notwendigkeiten ggf. erklärt und „übersetzt“. Für manche Frauen kann das eine Hebamme sein, die Rescuecreme auf dem Bauch verschmiert und Globuli gegen Schmerzen gibt oder Akupunkturnadeln in den Fuß steckt. Für andere Frauen ist das eine Hebamme, die Bescheid gibt, wann die PDA gesetzt werden kann oder die verlässlich an der Seite steht bei einem geplanten Kaiserschnitt. Eine Begleitung, die auch schon in der Schwangerschaft zur Seite steht und zum Wohl der Gebärenden und Kinder handelt und nach der Geburt auf Basis des Wissens um die Schwangerschaft und Geburt optimal betreuen kann. So können Frauen bestärkt und unterstützt werden in der größten Umbruchphase des Lebens und auch gestärkt daraus hervor gehen, um ihren Weg weiter zu gehen. Psychischen Komplikationen nach der Geburt kann entgegen gewirkt werden. Geburt hat einen entscheidenden Einfluss auf die Wahrnehmung und weitere Entwicklung, auf Selbstbewusstsein und Mutterschaft, auf das gesamte Leben. Daher ist es von so großer Bedeutung, diese sensible Phase bei Frauen gut zu unterstützen. Die Wahlmöglichkeit der Frau, wo und wie sie gebären möchte ist ebenso wichtig wie die Wahlmöglichkeit, ob sie schwanger werden/sein möchte oder nicht.
Alle Frauen sind gefordert, sich für Frauen einzusetzen
Unsere Gesellschaft braucht Hebammen, damit Frauen frei gebären können. Wahlfreiheit bedeutet nicht nur, dass man auf medizinische Produkte und Dienstleistungen heute zurückgreifen kann, wenn man das wünscht. Wahlfreiheit bedeutet auch, dass man das lassen kann, wenn man es möchte. Wir sind dann frei, wenn uns alle Möglichkeiten offen stehen und wir auch auswählen können, ob wir die naturheilkundliche Begleitung oder die schulmedizinische wünschen.
In diesem Sinne sind alle Frauen dazu aufgefordert, sich für die Hebammen einzusetzen. Auch wer keine Kinder gebären möchte, wer sich dagegen entschieden hat oder das Alter der Gebärfähigkeit überschritten hat: Setzt Euch ein für Eure Schwestern, Nichten, Freundinnen. Setzt Euch ein für das Recht der Frauen auf eine freie Wahl und demonstriert für den Erhalt des Hebammenstandes.