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Wildnispädagogik – Altes Naturwissen neu entdeckt

„Die Alten wussten, dass das Herz eines Menschen, der sich der Natur entfremdet,
hart wird.
Sie wussten, dass mangelnde Ehrfurcht, Wertschätzung von allem Lebendigen und allem,
was da wächst, bald auch die Ehrfurcht und Wertschätzung vor den Menschen absterben
lässt.
Deshalb war der Einfluss der Natur, der die jungen Menschen feinfühlig machte, ein
wichtiger Bestandteil ihrer Erziehung.“

Luther Standing Bear, Lakota, 1868 – 1939

Die Natur als wichtiger Bestandteil der Erziehung – ist sie das auch heute noch? Werfen wir einen Blick auf die Gesellschaft von heute, so scheint das nicht mehr der Fall zu sein. Und das „einen Blick darauf werfen“ ist bereits ein Indiz dafür. In den Pisa-Wunderländern in Asien sind über 90% der Kinder kurzsichtig. Das ist kein Zufall. Sie sind im Schnitt weniger als eine halbe Stunde draußen. Und draußen, im Sonnenlicht passiert etwas mit den Augen der Kinder, was wie eine Bremse für Kurzsichtigkeit wirkt: Intensives Licht wirkt dem Wachstum des Auges entgegen. Das kindliche Auge braucht pro Tag mehr als 2 bis 3 Stunden helles Licht (kein helles Tablet-Licht, sondern natürliches, helles Licht!), damit es sich nicht in die Länge streckt und weiterhin in die Ferne scharf sehen kann. Das scharfe Auge gehört zu einem Leben draußen in der Natur dazu. Und schlechtere Augen sind nur eine von vielen gesundheitlichen und psychischen Auswirkungen, die eine Abkehr von der Natur zur Folge hat.

Altes Wissen zugänglich gemacht

Doch es gibt eine Bewegung, die immer größer wird und die die Natur als Bestandteil der Erziehung wieder entdeckt: Die Wildnispädagogik.

Wildnispädagogik tauchte als Begriff erstmals 2002 auf und ist immer noch relativ unbekannt. Mit ihren Inhalten beschäftigen sich jedoch immer mehr Wildnisschulen, die Seminare und Camps anbieten, um das Wissen und die Zusammenhänge der Natur weiterzutragen.

Sie alle orientieren sich an den traditionellen Lehrmethoden der nordamerikanischen Ureinwohner. Die Linie der Wildnispädagogik lässt sich direkt zu einem der letzten Scouts der nordamerikanischen Ureinwohner zurückverfolgen. Es waren drei Männer, die mit der Wildnispädagogik von heute das Wissen und die Kenntnisse der Ureinwohner von damals einer breiteren Masse zugänglich machten.

Einer der drei war der wohl letzte nordamerikanische Ureinwohner, der ein Leben in völliger Freiheit außerhalb der Reservate des »Weißen Mannes« lebte. Er tat dies noch Jahrzehnte nachdem die Bundesbehörden den Tod des „letzten“ frei lebenden Ureinwohners – Ishi, dem letzten Überlebenden der Yana – 1916 beklagt hatten. Sein Name war Stalking Wolf. Er lebte ein Leben abseits der Zivilisation und war dennoch nah dran. Er beobachtete die Weißen, wusste um ihren Lebensstil, beherrschte alle möglichen Überlebenstechniken, und hatte ein umfassendes Wissen um die verschiedensten amerikanischen Ökosysteme, weshalb er in keinerlei Weise auf die Zivilisation angewiesen war.

Stalking Wolf war in seinen 70er Jahren, als er auf seinen Schüler und geistigen Erben Tom Brown jr. traf. Tom war gerade am Fluss spielen und suchte nach uralten Versteinerungen, als Stalking Wolf in sein Leben trat. Er war zu diesem Zeitpunkt ein Junge von sieben Jahren, und die Verkörperung einer Vision, die Stalking Wolf über seinen legitimen Erben viele, viele Jahre vorher, erschienen war. Tom und ein verwandter Junge von Stalking Wolf im gleichen Alter wie er, erhielten in den folgenden zehn Jahren eine umfassende Ausbildung zum Scout, wie sie seit Jahrhunderten viele Kinder dieser Erde erhielten.

Sie hatten wohl Glück, dass ihre Eltern ihr Tun draußen nicht als „Unsinn“ abtaten und sie gewähren ließen. Tom Brown wurde ein junger Wilder. Nach seiner zehnjährigen Lehre bei Stalking Wolf wanderte er weitere zehn Jahre durch Amerika – fernab von dem Hamsterrad und den Zwängen der amerikanischen Zivilisation des späten 20. Jahrhunderts. Schließlich wurde er zum besten Freund der Polizei. Denn nur er schaffte es, die spurlos verlorenen Vermissten zu finden, die Verbrecher aufzuspüren sowie scheinbar unklärbaren Kriminalfällen zu lösen.

Im Südosten der USA gründete er schließlich eine Schule „The Trackerschool“, mit der er den Grundstein einer weltumgreifenden Bewegung legte. Seinen Schüler Jon Young leitete er auf die gleiche Weise wie Stalking Wolf einst ihn selbst zum Scout an. Young ist der dritte im Bunde, dem wir heute diese Bewegung zu verdanken haben. Er hat die Wildnispädagogik schließlich gesellschaftskonform werden lassen. Sein Handbuch „Mit dem Coyote-Guide zu einer tieferen Verbindung zur Natur“ enthält die notwendigen Grundlagen der Wildnispädagogik und ist das Standardwerk für alle, die sich mit diesem Thema näher beschäftigen wollen.  

Uraltes Naturwissen in die heutige Gesellschaft einbringen

Wichtig ist aber, dass die Wildnispädagogik nicht zum Ziel hat, Kinder und Erwachsene zu wilden Wesen werden zu lassen, die fernab der Zivilisation im Untergrund leben. In den zahlreichen Wildnisschulen, von denen es in Deutschland mit die größte Bewegung in Europa gibt, wird lediglich an das alte Wissen angeknüpft. Es werden nicht nur Überlebenstechniken gelehrt, sondern vor allem die Vermittlung eines ökologischen Bewusstseins; eine Weltanschauung, die Respekt und Ehrfurcht vor der Natur bewahrt und ein Leben mit der Erde lehrt.

Mit ihrer Arbeit sorgen sie dafür, dass Eltern und Erziehungsberechtigte das an die Hand bekommen, was abhanden gekommen ist. Ein Gefühl und ein Gespür, wie die Natur ein Bestandteil der Beziehung zu den Kindern sein sollte. Damit die Wertschätzung für alles Lebendige, für unseren Planeten, weitergetragen werden kann. Von unseren Kindern, für unsere Enkel.

„Deshalb war der Einfluss der Natur, der die jungen Menschen feinfühlig machte, ein wichtiger Bestandteil ihrer Erziehung.“

Ich blicke mich um in dieser Gesellschaft und sehe, dass die Natur kein selbstverständlicher Teil der Erziehung/Beziehung zu den Kindern mehr ist. Ich blicke auf mich selbst und meine Familie und sehe, dass auch hier bei uns die Natur noch keinen genügenden Platz in unserem Familienleben hat. Ich lese viel, bilde mich fort, eigne mir theoretisches Wissen an. Doch in der Praxis, im alltäglichen Leben, fällt es mir schwer, dieses Wissen umzusetzen und an mein Kind weiterzugeben. So kam es zu meiner Recherche über Wildnisschulen. Ich suche nach einem Ort, an dem wir alle, groß und klein, Erfahrungen machen dürfen. Wo wir unseren Weg finden dürfen, um eine noch stärkere Verbindung zur Natur zu erleben.

Ich glaube, dieser Sommer führt uns in eine Wildnisschule. Um zu lernen, was die Natur für uns bereithält und wie wir sie in unseren Alltag und in die Beziehung mit unserem Kind noch besser mit einbinden können.

Habt ihr bereits Erfahrungen mit Wildnisschulen gemacht? Welche Programme haben euch gut gefallen, was würdet ihr weiterempfehlen?

Veronika hat Biologie, Naturschutz und Landschaftsplanung studiert und ist Mutter einer Tochter. In ihrer Kolumne „Naturorientiertes Aufwachsen“ berichtet sie von Wegen, auf denen Kindern die Liebe und der Respekt zur Natur als Samenkorn mitgegeben werden können.  Mehr über Veronikas Arbeit und ihre aktuellen Texte zu grünen Themen findet ihr auf ihrer Homepage, Instagram oder Twitter.

Zauberwelt der Knospen – Auf Entdeckungsreise mit den Kindern

Der Winter in Deutschland kann ganz schön lang sein. Gerade dann, wenn der Spaß mit
Schnee und Eis vorüber ist und der Frühling trotzdem noch so lange auf sich warten lässt. Von vielen Eltern habe ich in den letzten Tagen Nachrichten gelesen, dass die Kinder gerade so ungern nach draußen gehen. Gleichzeitig tut es der Familie gut, wenn sich die Kinder an der frischen Luft austoben können und alle einmal tief durchatmen können.
In der Wildnispädagogik gibt es den Ansatz, jeden Tag eine Frage mit nach draußen zu nehmen. Diese Frage bildet den Kern des Naturaufenthalts und soll dazu anregen, die Aufmerksamkeit bei jedem Mal auf unterschiedliche Aspekte der Natur zu lenken. Auch in dieser scheinbar unspektakulären Zwischen-Jahreszeit im Februar und März, in der der kalte Winter schon vorüber ist, aber der Frühling noch auf sich warten lässt, gibt es einige Fragen, denen man nachgehen kann. In der Natur gibt es nämlich schon einiges zu entdecken.

Schlafen Knospen im Familienbett oder alleine?

Die heutige Frage, der dieser Artikel nachforscht, lautet: Was machen die Blätter und Blüten der Bäume im Winter?
Wer die Äste der Bäume genauer ansieht, entdeckt sie: Sie halten Winterschlaf, sind dick
eingemuckelt und fest eingepackt, damit Kälte und Frost ihnen keinen Schaden zufügen.
Ihre Betten sind mal lang und schmal, mal kurz und knollig. Die Einen schlafen zu mehreren in gewissen Abstand nebeneinander, andere drängen sich dicht an dicht und wärmen sich wie Pinguine in einer Kolonie. Andere schlafen lieber alleine, brauchen mehr Platz und teilen nicht gerne.

Knospen drängen sich nicht auf. Sie zu entdecken vermag nur der, der mit offenen Augen durch die Natur läuft. Erst wenn die Blätter austreiben und ihr Knospenbett verlassen, bemerken die meisten Menschen: Oh, der Frühling ist da! Eure Kinder können dieses Jahr einen Schritt voraus sein. Mit eurer Anleitung können sie die Zauberwelt der Knospen entdecken und kennenlernen. Denn zauberhaft ist die Welt der Blätter und Blüten im Winterschlaf wirklich. Ihr wisst bestimmt, wie groß so ein Kastanienblatt im Sommer mal sein wird, oder? Und vielleicht habt ihr auch ein Bild von den riesigen weißen Blütenständen der Kastanie vor Augen, an denen sich im Sommer die Hummeln und Bienen tummeln. All das ist in den Knospen bereits vorbereitet. Jetzt ist eine Kastanienknospe nicht unbedingt die kleinste aller Knospen. Aber dennoch finde ich es so erstaunlich und be-wunder-nswert, dass all diese Anlagen bereits in den vielen Schuppen der Knospe vorhanden sind und ihren Winterschlaf halten, bis ihre Zeit gekommen ist.

Äste zum Sammeln schneiden

Auf Knospen-suche zu gehen bedarf keiner besonderen Vorbereitung. Dort, wo es Laubbäume gibt, gibt es auch Knospen. Ihr könnt also eure ganz gewöhnliche Spazierroute wählen und sie neu entdecken. Geht mit den Kindern los und erzählt ihnen vorher eine kurze Geschichte über den Winterschlaf der Blätter. Wie sie sich warm eingepackt in ihre Betten gekuschelt haben, um auf den Frühling zu warten. Und wie jede Baumart ein anderes Bettchen für seine Blätter vorbereitet hat.

Mit einer Gartenschere ausgerüstet, könnt ihr verschiedene Äste sammeln. Mit solchen Aussagen bin ich vorsichtig, denn als studierte Naturschützerin (ihr schmunzelt vielleicht, aber das kann man tatsächlich studieren), weiß ich natürlich, dass das Ausreißen von Pflanzen und Pflanzenteilen in vielen Fällen nicht erlaubt ist. Ich bin aber der Meinung, dass Natur für Kinder etwas be-greifbares sein muss. Sie müssen durch einen Wald laufen dürfen, um zu begreifen, was ein Wald ist. Sie müssen einen Ast fühlen, anfassen, auch damit auf den Boden schlagen dürfen, die Rinde abpulen und ihn schnitzen dürfen, um ihn zu be-greifen. Man kann nur dann eine Verbindung mit der Natur aufbauen, wenn man sie begreifen darf. Deshalb denke ich, es ist viel mehr gewonnen, wenn ihr ein paar Äste abschneidet und sie zum Sammeln mit nach Hause nehmt, als wenn die Kinder einmal auf den Ast schauen und beim zweiten schon gelangweilt nach Hause wollen. Sammeln ist immer eine gute Idee mit Kindern; und wir brauchen die Äste für unsere Nachbereitung der Knospenwelt zu Hause.

Welche Knospen zu welchen Tieren?

Die gesammelten Äste (ihr braucht pro Baumart eigentlich nur einen) werden zuhause nebeneinander auf dem Tisch ausgebreitet. So nebeneinander aufgereiht sieht man die
Unterschiede der verschiedenen Knospen besonders gut. Je nach Altersgruppe kann mit unterschiedlichen Ansätzen an die Knospen herangegangen werden.

Kleine Kinder können die Knospen mit Tiergruppen vergleichen, so wie ich es oben getan habe. Beispiele: Die Knospen der Kirschen stehen so dicht gedrängt wie Pinguine in einer Kolonie. Die Kastanienknospe schläft lieber alleine, sie thront groß am Ende des Zweiges und ist furchtbar klebrig. Da kann man sich die Frage stellen, warum sie so klebrig ist: Weil sie Besucher damit abschrecken will? Oder weil sie eigentlich gar nicht so gerne alleine schläft und gerne jemanden bei sich hätte?

Eine andere Idee ist das Lesen von Emotionen und Gesichtern in den Knospen. So sehen
die Knospen von Walnuss und Esche wie breit grinsende Gesichter aus. Der Essigbaum ist dicht behaart, sein Ast fühlt sich an wie von einem dichten Winterfell überzogen. Seine Knospenbetten sind besonders kuschelig. Für den Anfang ist es nicht wichtig, welcher Ast zu welcher Baumart gehört. Einen spielerischer Zugang zu ermöglichen, macht den Kindern viel mehr Freude an der Sache. Und für die, die es genauer wissen wollen, gibt es jede Menge Bestimmungsliteratur im Netz.

Die gesammelten Materialien zum Basteln und Lernen verwenden

Außerdem können die Äste nach dem Begutachten noch für weitere Aktivitäten genutzt werden: Auf Papier dienen sie als Schablonen beim Malen. Die Kinder können dann auf dem Bild den Frühling bereits willkommen heißen und Blüten und Blätter an die Äste malen.
Und wer wissen will, was er sich da alles ins Haus geholt hat, stellt die Äste ins Wasser auf die Fensterbank. Jetzt habt ihr ein kleines Forschungslabor im Wohnzimmer. Innerhalb der nächsten Tage und Wochen können die Knospen beobachtet werden: Welche Schuppenschicht öffnet sich zuerst, welches Blatt spitzt heraus? Zusammen mit den Blättern lassen sich dann auch die Baumarten leichter bestimmen.

Wer den Kindern Materialien zur Verfügung stellt, mit ihnen in die Bibliothek zum Ausleihen von (kindgerechten) Naturführern geht oder im Internet die ein oder andere Quelle bereit stellt, gibt ihnen die Möglichkeit ihre Neugierde zu vertiefen. Als ersten Schritt jedoch müssen sie gepackt werden von den kleinen Wundern der Natur. Denn mit der vielen möglichen Ablenkung heutzutage durch die neuen Medien, die scheinbar viel größere Wunder am laufenden Band liefern, hat die Natur einen schweren Stand.

Es liegt an uns Eltern, den Kindern die kleinen Wunder des wahren Lebens zu zeigen.
Dafür müssen wir selbst sie wieder sehen lernen. Dieser Frühlingsbeginn ist ein guter
Zeitpunkt dafür.

Veronika hat Biologie, Naturschutz und Landschaftsplanung studiert und ist Mutter einer Tochter. In ihrer Kolumne „Naturorientiertes Aufwachsen“ berichtet sie von Wegen, auf denen Kindern die Liebe und der Respekt zur Natur als Samenkorn mitgegeben werden können.  Mehr über Veronikas Arbeit und ihre aktuellen Texte zu grünen Themen findet ihr auf ihrer Homepage, Instagram oder Twitter.

Stadtkinder entdecken das Wunderland Natur vor der Haustür

„Aber wie mache ich das denn konkret, mit der Natur in der Stadt?!“, fragte mich eine Leserin vor kurzem. „Wenn die Spielplätze voller Dreck sind, wenn man die Kinder wegen viel befahrener Straßen draußen nicht alleine rennen lassen kann?“ Sie klang ein bisschen verzweifelt und auch ein bisschen verärgert. So, als wäre mein Aufruf, Kindern mehr Erlebnisse in der Natur zu ermöglichen, eine absurde Idee. Ich dachte an die asphaltierten Straßen in der Stadt, an die hohen Häuserwände und die viel zu eng betonierten Straßenbäume und musste erstmal zwei Tage darüber nachdenken, was diese konkrete Natur in der Stadt für mich eigentlich ist.

Was ist „Natur“ in einer Großstadt?

Das, nach dem die Mutter andeutungsweise suchte, waren Grünflächen, ein kleiner Wald. In manchen Städten gibt es das, in anderen nicht. Aber nicht nur das ist Natur. In Berlin gibt es neben 3,5 Millionen Menschen auch 53 Säugetierarten und 180 Vogelarten. Die Stadt ist voller Leben, voller „Natur“, wenn man so will.

Auch in Wohnsiedlungen, in denen kein Park gleich um die Ecke ist, kann man Natur finden. Es ist dann keine Natur, in der man über Grünflächen rennen kann und auf Bäume klettern kann (wobei – das klettern funktioniert vielleicht trotzdem). Man muss genauer hinsehen, doch wenn man das schafft, eröffnet sich einem eine nicht minder spannende und schöne Seite der Natur.

Und das ist die Natur, die für mich auch die Stadt als Naturraum ausmacht. Es sind kleine Wunder, die man mit Kindern vor der Haustür entdecken kann. Kleine Wunder, die aber großes bewirken können. Kinder sind noch viel offener für Wunder und fasziniert von den Farben, Formen, Gerüchen und Objekten, die die Natur hervorbringt. Mit den richtigen Fragen wird die Faszination vergrößert und die Kinder bekommen Lust, sich mit der Natur zu beschäftigen. Fragen entfachen das Interesse, Antworten müssen wir ihnen keine geben.

Naturwunder in der Großstadt

Die Wunder in der Stadt können die nachfolgenden Beispiele sein. Ich habe zu jedem Beispiel ein paar Fragen gesammelt, mit denen das Interesse geweckt wird und Lust gemacht wird, die Natur weiter zu entd

ecken. Man lässt sich quasi treiben, von einem Thema zum nächsten, von einer Frage zu einer anderen. Am Ende des Tages kann man das Erlebte in Büchern nachschlagen, ein Bild dazu malen oder die gesammelten Objekte an einem besonderen Ort aufbewahren.

Vogelfedern

Vogelfedern  findet man auch in der Stadt oft, vor allem im Spätsommer und Herbst, wenn die Zeit der Mauser ist. Aber auch das ganze Jahr über verlieren Vögel Teile ihres Federkleids. Die Federn können gesammelt werden, als kostbare Schätze aufbewahrt werden und Lust machen, die Welt der Vögel zu entdecken.

Fragen dazu können sein:
Wie groß ist wohl der Vogel, zu dem die Feder gehört? Gehört sie zum Unterkleid oder ist es eine Flugfeder? Warum denkst du, dass es eine Feder vom Unterkleid/eine Flugfeder ist?
Was muss die Feder in ihrer Eigenschaft machen/können? Muss sie wärmen/stabil sein/schwimmen können? Wie viele Federn hat so ein Vogel? Wie sieht der Vogel wohl aus, zu dem diese Feder gehört? Wie hört er sich wohl an?

Der Vogel kann in einem Bestimmungsbuch gesucht werden und seine Stimme danach im Internet nachgehört werden. Anschließend kann wieder nach draußen gegangen werden: Auf Stimmensuche, oder mit einem Fernglas, um den Vogel zu beobachten.

Ritzenbewohner

Kaum tut sich irgendwo ein Stückchen Erde auf, steht schon ein Pflänzchen darauf. Ist es nicht ein Wunder, dass in jeder kleinen Ritze etwas wächst? Ob in der Dachrinne im fünften Stock oder am viel betretenen Bürgersteig.

Über dieses Wunder schauen (und laufen) wir tagtäglich hinweg. Doch es lohnt sich die Frage an uns und an unsere kindliche Begleiter zu stellen: Wie geht das eigentlich? Wie kommen die Samen in die Dachrinne? Wie halten die Pflanzen die Tritte am Bürgersteigt aus? (Wachsen sie hoch oder niedrig?) Wie sehen wohl ihre Wurzeln aus?

Ackerkratzdisteln beispielsweise, die sich gerne dort ansiedeln, wo jede andere Pflanze nur angewidert den Kopf schütteln würde, bilden 2,80 m (!) lange Pfahlwurzeln aus. Löwenzahn hat immerhin 1 m lange Wurzen. Wie lange sind 2,80 m? Wie viele Kinder müssten sich übereinander stellen, um zu sehen wie lange die Wurzeln sind? Und wie sieht diese Ackerkratzdistel aus? Wie der Löwenzahn?

Eichhörnchen

sind Mitbewohner in Städten, die auch Erwachsene in der Hast des Alltags kurz staunen lassen. Wie machen die das nur, dass sie so flink und wendig von Ast zu Ast hüpfen können? Wo finden sie Nahrung? Begebt euch auf Eichhörnchen-Niveau: Wo könnte man hier wohl eine Nuss verstecken?

Eine lustige Anekdote ist, dass sich Eichhörnchen gar nicht merken, wo sie ihre Nüsse verstecken. Sie suchen einfach dort, wo man als Eichhörnchen gerne Vorräte hält: Am Fuß von Bäumen, in Lücken unter Wurzeln, in Baumhöhlen. Dass sie mit ihren Nasen so gut riechen können, wie sie mit ihren Beinen springen können, ist auch von Vorteil.

Nadelbäume

Gerade jetzt im Winter, taucht sie häufiger auf: Die Frage nach dem Nadelbaum im Winter und dem Unterschied zum Laubbaum. Nadelbäume können ihre Nadeln im Winter behalten. Sie haben gelernt, mit der Durststrecke der kalten Jahreszeit zu leben. Aber wodurch unterscheiden sich seine Nadeln von den Blätter der Laubbäume? Gibt es einen Nadelbaum in eurer Nachbarschaft? Was fällt auf, wenn man sich die Nadeln ganz genau ansieht? Welche anderen Pflanzen gibt es, die im Winter ihre Blätter behalten? Findet ihr solche Pflanzen auch bei euch in der Nachbarschaft? (Bspw. Buchs oder Stechpalme. Sie alle schützen ihre Blätter bzw. Nadeln mit einer dicken Wachsschicht)

Diese Aufzählung an Naturwundern in der Stadt lässt sich endlos erweitern. Wir müssen unseren Blick wieder ein bisschen besser schulen. Dann merken wir, “Natur“ ist nicht eine bestimmte Sache. Sie bezieht sich nicht nur aufs freie Rumlaufen draußen. Natur umgibt uns im Kleinen immer noch.

Mit „Natur erleben“ ist „Wunder erfahren“ gemeint

Natur erfahren bedeutet, sich faszinieren zu lassen. Fragen zu stellen. Nach Antworten zu suchen. Das können Spuren im Matsch sein, das können aber auch Vogelfedern, Kastanienmännchen und Bärtierchen im Moos an der Hauswand sein. Um aufmerksamer zu werden für diese kleinen Wunder der Natur, die die Stadt – und natürlich auf die Natur auf dem Land – für uns bereithält, gibt es hier noch eine kleine Achtsamkeitsübung.

Dabei müsst ihr “einfach” mehrmals am Tag kurz innehalten und euch die Frage stellen:

„Was entgeht mir hier gerade, genau jetzt?“

Durch diese Frage nehmen wir unsere Umwelt automatisch aufmerksamer wahr. Wir schalten vom Autopiloten, durch den wir gedankenversunken altbekannte Wege abschreiten, in einen Modus der Achtsamkeit und Aufmerksamkeit.
Auch hier ist es eine Mischung aus Wahrnehmen und auf die verschiedenen Sinneseindrücke achten und der Aufgabe, sich selbst Fragen zu den Beobachtungen stellen. Natürlich kann diese Übung auch zu zweit oder mit Kind(ern) gemacht werden.

  • Was entgeht mir gerade genau jetzt?
  • Höre ich Vogelstimmen? Wie viele?
  • Auf welchem Untergrund laufe ich? Wie fühlt sich das an? Spüre ich das Moos zwischen den Pflastersteinen, wenn ich bedacht laufe?
  • Welche Tiere krabbeln in der Mauer neben mir? Was tun sie? Wohin laufen sie?
  • Welche Spuren finde ich am Boden?
  • Welcher Baum wächst neben mir? Hat er schon Knospen ausgebildet? Ist er belaubt oder nicht?

Mehrmals am Tag auf die unmittelbare Umwelt zu achten, fördert nicht nur die Verbundenheit mit der Natur. Es lädt auch dazu ein, sich mehr mit den Prozessen und Vorgänge der lebendigen Welt zu beschäftigt. Und ganz nebenbei lässt es uns auch für einen kurzen Moment zur Ruhe kommen. Diese Übung schafft Achtsamkeit in mehreren Bereichen. Sie lässt uns verschnaufen.

Mit der Luft, die wir einatmen und uns der Natur um uns herum bewusst werden, halten wir einen Moment inne und entschleunigen unseren Alltag. Eine einfache Frage, die es vermag, so viel miteinander zu verbinden, was wir uns oft im Alltag wünschen: Entschleunigung, Achtsamkeit, Selbstfürsorge, Naturverbundenheit.

Was entgeht dir, genau jetzt?

Veronika hat Biologie, Naturschutz und Landschaftsplanung studiert und ist Mutter einer Tochter. In ihrer Kolumne „Naturorientiertes Aufwachsen“ berichtet sie von Wegen, auf denen Kindern die Liebe und der Respekt zur Natur als Samenkorn mitgegeben werden können.  Mehr über Veronikas Arbeit und ihre aktuellen Texte zu grünen Themen findet ihr auf ihrer Homepage, Instagram oder Twitter.

Beikost in Indien – von Papaya, Linsen und Knoblauch zum Beikoststart

Anka ist 37 Jahre als, als sie mit ihrem Mann, der als Wissenschaftler dort forscht, nach Indien zieht und ein neues Leben beginnt in einer anderen Kultur. Nach der Geburt in Deutschland kehrt sie nach Indien zurück und lebt dort mit ihrer Familie. Heute berichtet sie von ihrem Beikostweg in Indien:

Als ich in Indien schwanger wurde, dachte ich anfangs mit Sehnsucht an all die schönen Hafer- und Dinkelbrei-Packungen in deutschen Bio-Supermärkten mit. Ich dachte an Gläschen mit Apfel und Aprikose. An Pastinaken und Topinambur. Ich überlegte sogar kurz, wie ich diese Dinge hierher nach Indien bringen könnte. Schließlich musste ich einsehen, dass das keinen Sinn macht. Dann aber las ich über Baby Led Weaning und meine Sorgen waren zerstreut. Ich wusste sofort, dass sich das für mich stimmig anfühlte.

Und so war es dann auch. Als meine Tochter etwa sechs Monate war und alle Anzeichen für Beikostreife sich zeigten, starteten wir mit einem Stückchen Papaya. Weitere Obstsorten folgten, dann Gemüse und Brot. Von Anfang an war meine Tochter eine unkomplizierte Esserin. Sie probierte fast alles und mochte auch fast alles. Ich stillte nebenher weiter und tue es bis heute. Dafür bin ich sehr dankbar, weil ich mir unterwegs nie Sorgen um Hygiene oder sauberes Wasser machen musste.

Von Anfang an ließen wir das Mädchen auch mit Besteck experimentieren. Die lustige Verteilung von Essen rund um ihren Platz konnte ich ganz gelassen hinnehmen. In Indien ist es üblich, täglich alle Böden zu wischen, wegen Staub und Ungeziefer. Das ist einer der Gründe, warum es üblich ist, Unterstützung im Haushalt zu haben. Von den Gutverdienenden und Privilegierten wird geradezu erwartet, dass wir andere an unserem Wohlstand teilhaben lassen, in dem wir Angestellte haben. In der Babyzeit ist das natürlich ein großer Vorteil.

Bio gibt’s auch in Indien

Als wir mit der Beikost begannen, etablierte sich zudem ein Bioladen in unserer Stadt mit einem recht guten Sortiment an hiesigen Lebensmitteln. Dort fand ich zum Beispiel verschiedene Sorten an Hirse und Hirsegrieß. Hirsebrei gehörte schnell mit zu unserem Speisezettel. Auch Hirsemehl ist hier leicht erhältlich und wird vielfach verwendet. Diese Hirsevielfalt finde ich toll. Heute erhalten wir den größten Teil unserer Lebensmittel aus diesem Bioladen, insbesondere Obst, Gemüse und Eier. Der Hof, auf dem produziert wird liegt nicht weit von uns. Wir haben ihn erst kürzlich besucht und ich bin froh, zu wissen wo unser Essen herkommt. Es gibt hier nicht dieselbe Sicherheit durch Zertifizierungen und Richtlinien. In der Tierhaltung führt das zum Beispiel zu maßlosem Einsatz von Antibiotika. Zum Glück fand ich auch eine Milch, die vernünftig produziert wird. Ich war schon in Deutschland überzeugte Bio-Käuferin und bin froh, dass wir hier eine Möglichkeit gefunden haben, diesen Werten soweit wie möglich treu zu bleiben.

Was und wie Kinder in Indien essen

Indische Kinder bekommen oft als erstes eine Mischung aus Reis, Dal und Joghurt. Vielfach wird ja mit der Hand gegessen, genauer gesagt mit den Fingerspitzen. So werde auch die Kleinsten gefüttert. Die Schärfe des Essens lässt sich durch die Menge an Reis und Joghurt gut regulieren. Hier werden Linsen als leicht verdaulich angesehen, ebenso Zwiebeln und Knoblauch. Apfel oder Gurke hingegen hält man für nicht so geeignet. Was wir als Beikost geeignet finden, ist also auch stark kulturell geprägt. 

Das Essen der Kinder ist ein großes Thema hier. Fast jede Mutter scheint Angst zu haben, dass ihr Kind nicht isst. Jedenfalls sehe ich oft, dass Mütter mit Schüsselchen in der Hand ihrem Kind beim Spielen hinterherrennen um ihm wann immer es geht etwas in den Mund zu schieben. Die Kinder werden zum Teil bis zur Schulreife gefüttert. Unsere Einjährige mit Löffel hantieren und selbständig essen zu sehen hat einige ziemlich erstaunt und zum Nachdenken angeregt.

Abgesehen davon, dass ich mir für mein Kind mehr Selbstbestimmung wünsche, hat mich das Thema aber auch sehr nachdenklich gemacht. Schließlich ist Indien ein Land, in dem nach wie vor viele Menschen Hunger leiden. Vielleicht gibt es so etwas wie eine unbewusste kollektive Angst, die Mütter antreibt, dieses Thema mit so viel Anspannung anzugehen. Weil die Gefahr der Unter- und Mangelernährung einfach viel realer ist hier.

Wie wir essen

Morgens und abends essen wir zu Hause meist deutsch. Mittags essen wir oft in der Kantine, weil es da leckeres indisches Essen gibt und wir als Familie zusammen sein können. Mein Mann arbeitet nur ein paar Minuten zu Fuß von unserem Haus.

Unsere Tochter hat von Anfang an fast alle probiert. Inzwischen isst sie fast lieber indisches Essen. Jedes Curry, das man ihr vorsetzt, jedes Dal wird sie mit Reis oder Chapati gerne zu sich nehmen. Ein einziges Mal habe ich erlebt, dass meine Tochter ein rotes Gesicht bekam, weil sie etwas zu scharfes gegessen hatte. Das vergleichsweise wenig gewürzte Gemüse, das ich zubereite hingegen lässt sie auch gerne mal liegen. Ich finde ja, dass das Gemüse hier oft nicht so intensiv schmeckt wie bei uns, vermutlich weil es in ganz anderer Erde wächst. Die indischen Gerichte schmecken vor allem nach Gewürzen. Die haben dafür allerlei heilsame Wirkungen auf den Organismus.

Seit unsere Tochter gut ein Jahr alt ist und laufen kann, begleitet sie auch gerne unsere Haushaltshilfe , wenn diese ihr mitgebrachtes Mittagessen isst. Die beiden tragen die Lunchboxen in den Garten, wo sie auf dem Boden sitzend mit den Händen essen. Es ist ein schönes Ritual geworden, dass beide genießen und dass ihre Beziehung stärkt.

Auch Essen ist Geborgenheit

Für ein Gefühl der Geborgenheit im Ausland spielt Essen eine ziemlich große Rolle. Deshalb ist es für mich wichtig, auch gewohnte Gerichte zu kochen und ich weiß, dass das auch anderen so geht. Ab und zu indisch zu essen ist etwas ganz anderes, als plötzlich nur noch indisch zu essen. Am wichtigsten ist tatsächlich gutes Brot. So haben wir in der Zeit hier gelernt, Sauerteigbrot zu backen.

Ich muss immer wieder lächeln, wenn unsere Tochter auch deutsche Pfannkuchen als Chapati bezeichnet und sie in Apfelmus stippt wie in ein scharfes Chutney. Es ein schönes Gefühl zu wissen, dass die indische Küche so selbstverständlich zu ihrer frühen Kindheit gehört. Ich bin gespannt, was sie später einmal mit Chili, Kurkuma, Kumin und Ingwer verbinden wird.

Anka schreibt auch auf ljuno über ihren Alltag in Indien mit ihrem Kind, wo sie jetzt seit 3 Jahren leben. Bilder aus ihrem Alltag findest Du auch auf Instagram hier.

Alte Weihnachtsbräuche wiederentdecken – mit der Natur ein Fest des Lichts feiern

Weihnachten rückt näher und während man mehr und mehr mit Adventsbasteleien, Plätzchen backen und Einkäufen für den Heilig Abend beschäftigt ist, beschleicht die/den ein oder andere/n vielleicht auch das Gefühl, dass es nicht so ganz passt, dieses Fest.

Heilig Abend, die Geburt Jesu, der traditionelle Kirchgang am Weihnachtsabend – für Familien, die wie meine Familie nicht an den christlichen Glauben gebunden sind, fühlt sich das Fest vielleicht etwas falsch an. Doch auf Weihnachten ganz verzichten? Auf die Kindheitserinnerungen an diese „staade Zeit“, auf die schönen, aber auch anstrengenden Familientreffen, auf glänzende Kinderaugen?

Nein, ganz auf Weihnachten verzichten kann man sich auch schwer vorstellen. Auch meine Familie und ich hatten diesen Zwiespalt – einmal im Jahr ein kirchliches Fest zu feiern und den Rest der Zeit mit Kirche und Glauben nicht viel zu tun zu haben, erschien uns falsch. Auch lassen wir den Konsumwahn in der Vorweihnachtszeit uns außen vor. Die wenigen Geschenke werden selbst gemacht oder sorgfältig ausgewählt und wir selbst haben keine seitenlangen Wunschzettel. Es gibt  also Seiten an diesem Fest, auf die ich verzichten kann.

Gleichzeitig liebe ich die Vorweihnachtszeit. Der Duft von Plätzchen, das Basteln mit Zweigen, Zapfen, Hausmusik und die Abende bei Kerzenschein über Weihnachtsgeschichten – das alles wollte ich beibehalten. Doch worauf steuern wir dann zu, mit einer verzauberten Adventszeit, wenn nicht auf den Heiligen Abend?

Der Ursprung des Weihnachtsfestes als Anhaltspunkt nehmen

Vielleicht wollt ihr auch versuchen, den Lauf der Jahreszeiten bewusster zu erleben und haltet euch viel in der Natur auf. So lernen wir wieder mehr und mehr, mit dem Kreislauf der Natur zu leben.

Nur ein paar Tage vor Weihnachten, am 21. Dezember, schließt sich der Jahreskreis. Mit dem Tag der Wintersonnwende fand nach heidnischer Sage die Wiedergeburt der Sonne mit all ihrer Lebensfreude statt. Nach dem 21. Dezember werden die Tage wieder länger. Unter der Erde sammeln sich die Kräfte zu neuem Leben und bereiten sich unter den täglich erstarkenden Sonnenstrahlen auf das Frühjahr vor.

Für uns moderne Menschen mag das heute von geringer Bedeutung sein. Die Wohnungen sind in den meisten Haushalten angenehm temperiert, an Nahrung mangelt es uns nicht. Vielleicht macht uns der Mangel Licht und Vitamin D etwas zu schaffen.

Für die Menschen in der Antike jedoch war das Fest der Wintersonnwende ein bedeutender Feiertag ihrer Sonnengottheiten. Und bis ins 20. Jahrhundert war das Ende der kurzen Tage ein wichtiger Ausblick im harten Winter.

Heidnische und christliche Bräuche ins Familienleben einbinden

Es ist nicht so, dass wir in meiner Familie den Heiligen Abend jetzt drei Tage vorverlegen. Wir nehmen die Weihnachtsgeschichte mit Christi Geburt weiterhin mit in unsere Feierlichkeiten auf  und lassen ihr, wie der Wintersonnwende, einen Platz in unserer Weihnachtszeit. Die beiden Festlichkeiten stehen auch geschichtlich in engem Zusammenhang. Die Wintersonnwende wurde als heidnisches Brauchtum 400 Jahre nach Christi Geburt von der Kirche verboten. Da sich die Menschen das beliebte Fest jedoch nicht nehmen ließen, widmete die Kirche das Fest der Geburt Jesu, dessen genaues Geburtsdatum wohl im September oder Oktober liegt.
Die genauen Ursprünge des Weihnachtsfestes sind für mich persönlich nicht relevant. Für mich bedeutet die zeitliche Nähe von Wintersonnwende und Weihnachten lediglich, dass wir auch in der Weihnachtszeit eine weitere Verbundenheit zur Natur herstellen können.

So feiern wir in der Weihnachtszeit nicht nur Jesus, der im christlichen Glauben das Licht in die Welt bringt. Wir feiern auch das Licht, die Sonne, an sich.

In den früheren Bräuchen zur Wintersonnwende gab es kein großes, rauschendes Fest. Vielmehr wurde früher durch bestimmte Rituale um die Sonne getrauert, um danach ihre Wiedergeburt zu feiern. Es war die Zeit des Loslassens und der Besinnung. Das alte Jahr wird verabschiedet, um sich auf das neue Jahr einzustimmen.

Ein Sonnenwunsch-Rad für das neue Jahr

Ein kleines Ritual, mit denen Kinder sich dem Wandel der Dunkelheit zu längeren Tagen und der Kraft der Sonne bewusst werden können, möchte ich euch kurz vorstellen:

Diese Idee lässt sich bei einem Spaziergang in der Natur umsetzen. Gemeinsam als Familie oder auch allein werden Materialien gesammelt, die ein Sonnenrad ergeben.

  • Steine für den Kreis der Sonne
  • Stöcke oder Äste, die von den Steinen zur Mitte hin zeigen und ein Sonnenrad ergeben

Anschließend können noch die Elemente dargestellt werden:

  • eine Feder für die Luft
  • etwas Erde oder Pflanze/ein Zweig für die Erde
  • eine Schale mit Wasser oder Schnee für das Wasser
  • eine Kerze für das Feuer

Wenn ihr vor dem Spaziergang an eine Kerze denkt, kann das jüngste Familienmitglied (evtl. mit Hilfe) die Kerze entzünden. Die Kerze steht in der Mitte eures Sonnenrades. Alle fassen sich an den Händen.

Gemeinsam wird überlegt: Was war gut an diesem Jahr?

Was lassen wir los?

Gibt es etwas, was jeder einzelne als Licht in die dunkle Welt hinaustragen möchte?

Die Wünsche und Gedanken werden laut geteilt und wenn gewünscht, kann mit einem abschließenden Satz (zum Beispiel „Das Licht leuchtet in uns, gemeinsam tragen wir es hinaus in die Welt“) das Sonnenrad umrundet werden.

Naturmaterialien in die Vorweihnachtszeit einbinden

Auch in der Vorweihnachtszeit kann die Natur ein wichtiger Bestandteil sein. Draußen findet sich Moos für die Krippe oder Zweige für die Weihnachtsdeko. Dekoration aus Naturmaterialien kann eine schöne Alternative für gekaufte Deko-Artikel sein. Grüne Zweige, die zu einem Kranz gebunden werden. Zapfen, die mit einer roten Schleife einen Platz an unserem DIY-Weihnachtsbaum finden.

Nicht alles passt, nicht alles muss passen

Weihnachten wird, wie es jeder Tag im Jahr bei jeder Familie ist, bei uns allen ein bisschen anders sein. Manche verbringen ihn traditionell mit Christkind, Gottesdienst und Weihnachtsessen am 24. Dezember. Andere in der großen Familienrunde, oder mit dem Weihnachtsmann und seinen Rentieren am 25. Dezember. Und in anderen Ländern wird gar erst am 06. Januar gefeiert. Jede Familie geht dabei ihren Weg, nimmt die Traditionen auf, die passend erscheinen und versucht zum Jahresausklang Besinnlichkeit und Ruhe in die eigenen vier Wände zu holen.


Ganz gleich, ob ihr Weihnachten mit christlichen oder heidnischen Bräuchen verbringt: Ich wünsche euch vor allem ein friedliches Fest, das euren Wünschen und Bedürfnissen entspricht. Und wenn ihr eine Auszeit vom Familientrubel braucht: Ein Waldspaziergang wirkt oft Wunder…

Eure



Veronika hat Biologie, Naturschutz und Landschaftsplanung studiert und ist Mutter einer Tochter. In ihrer Kolumne „Naturorientiertes Aufwachsen“ berichtet sie von Wegen, auf denen Kindern die Liebe und der Respekt zur Natur als Samenkorn mitgegeben werden können.  Mehr über Veronikas Arbeit und ihre aktuellen Texte zu grünen Themen findet ihr auf ihrer Homepage, Instagram oder Twitter.


Das große UND

Ich bin jetzt Großvater. Als ich vor vielen Jahren Vater wurde, waren die pädagogischen Verhaltensweisen, die mir und meiner Frau empfohlen wurden, von Einspurigkeiten geprägt. Es hieß zum Beispiel:

„Du musst immer konsequent sein!“
„Es darf keine Ausnahmen geben!“
„Wer A sagt, muß auch B sagen!“
„Es muss aufgegessen werden, was man sich auf den Teller legt!“
Und so weiter.

Einspurigkeit macht unglücklich

All meine Erfahrungen als Vater, Pädagoge und Therapeut zeigen, dass solche Einseitigkeiten und Einspurigkeiten in der Pädagogik nicht weiterhelfen. Kinder wissen schon, woran sie bei ihren Vätern, Müttern oder Großeltern sind. Sie lernen schon, was die Erwachsenen für richtig und für wichtig halten und was nicht. Darüber brauchen wir uns keine Sorgen machen. Kinder sind hochkompetente Wesen, die in sehr kurzer Zeit unglaublich viel lernen, nicht nur an Sprache und Wissen, sondern auch an sozialen Kompetenzen. Und Kinder wollen ihre Eltern lieben und von ihnen geliebt werden. Sie versuchen sich deshalb auf die Erwartungen der Eltern einzustellen. Wenn das nicht gelingt, müssen wir nach den konkreten Gründen suchen. Die Ursachen liegen nicht darin, dass die aufgezählten Einspurigkeiten nicht „durchgezogen“ werden, im Gegenteil: die genannten Einspurigkeiten führen dazu, dass Kinder (und Eltern) unglücklich werden können.

Mit dem großen UND leben

Ich empfehle mit dem großen UND zu leben. Selbstverständlich sollten Regeln konsequent durchgehalten werden UND Sie dürfen Ausnahmen machen: Selbstverständlich sollte mit Nahrungsmitteln sorgsam umgegangen werden UND ich halte es für völlig falsch, ein Kind zu zwingen, alles aufzuessen, wenn es satt ist oder das Essen nicht mag. Selbstverständlich geben Sie dem Kind Freiheiten und vertrauen darauf, dass es diese vertrauensvoll nutzt UND Sie stecken den Rahmen und die Grenzen ab. Selbstverständlich müssen Sie meistens den Tag planen und durchorganisieren, UND Sie dürfen offen sein für Überraschungen und Ausnahmen.

Wenn ein Verhalten eines Kindes Sie ärgert, dann dürfen Sie und sollten Sie den Ärger zeigen. Wahrhaftigkeit ist angemessen. UND Sie sollten gleichzeitig deutlich machen, dass Ihr Ärger dem konkreten Verhalten des Kindes gilt und nicht seiner Person: „Ich ärgere mich über das, was du getan hast, UND ich liebe dich!“

Auch für die Haltung der Eltern sich selbst gegenüber ist das große UND eine Hilfe, kann es zumindest sein. Vielleicht sind Sie müde und überfordert und wollen und müssen doch gleichzeitig für Ihr Kind dieses oder jenes unternehmen. Gestehen Sie sich beides zu: „Ich bin überfordert und auch etwas genervt UND ich tue dies und jenes für das Kind.“

Die eigene Widersprüchlichkeit anerkennen

Sich die eigenen Widersprüchlichkeiten zuzugestehen, ist hilfreicher als sich selbst mit „Muss-Sätzen“ zu traktieren: „Ich muss mich doch jetzt eigentlich viel mehr zusammenreißen, damit ich für mein Kind da bin. Meine Müdigkeit, mein Genervt-Sein, darf doch gar nicht sein …!“ Solche Selbstbezichtigungen und Selbstschelte machen alles nur schlimmer. Sie können sicher sein, dass auch Ihr Kind das merkt, zumindest, dass Sie genervt sind und mit sich hadern.

Eine Mutter erzählte mir, dass sie sich so schämte. Ich fragte nach und sie erzählte, dass ihr Kind plötzlich immer wieder von einer „bezaubernden“ Lehrerin schwärmte. „Meine Tochter hörte gar nicht auf. Da wurde ich eifersüchtig. Aber das darf ich doch nicht sein.“ Ich sagte ihr: „Selbstverständlich dürfen Sie liebevoll eifersüchtig sein, UND Sie dürfen sich weiterhin der Zuneigung Ihrer Tochter sicher sein UND Sie dürfen sich auch ein wenig über die Schwärmerei Ihrer Tochter amüsieren. Sie können sicher sein, dass die Schwärmerei für die Lehrerin bald durch die Schwärmerei für eine Sängerin oder einen Filmstar oder ein Pferd abgelöst werden wird. Gestehen Sie sich Ihre Eifersucht zu.“

Probieren Sie das große UND!

Dr. Udo Baer ist Diplom-Pädagoge, Kreativer Leibtherapeut AKL und u.a. Vorsitzender der Stiftung Würde. Auf Geborgen Wachsen schreibt er über die (Gefühls-)Welt der Kinder, ihre Gedanken und die sich ergebenden Herausforderungen. Mehr über dieses Thema findet sich in seinem neuen Buch „Die Weisheit der Kinder

 

Ob in der Stadt oder auf dem Land: Naturerlebnisse warten vor jeder Haustür

Wehende Blätter im Wind, knorrige Äste und wuselnde Ameisen auf dem Boden. Dazwischen sitzt ein Kind, versunken in der Welt des Begreifens. Die Fingernägel sind schwarz von der Erde, in der es gewühlt hat. Die Hose ist schmutzig, in den Schuhen drücken kleine Steinchen. Die Mütze ist über die Ohren gerutscht und die Backen sind rot. Vor Aufregung? Vor Konzentration? Oder doch vor Kälte? Das Kind fragt nicht. Es spielt und lernt. Es pult Rinde von einem Ast ab und taucht dadurch in den Aufbau der Pflanzen ein. Es beobachtet eine Ameisenstraße und nimmt Teil am Leben der Insekten.

Wo ist dieser Ort, an dem ein Kind in und mit der Natur lernen kann?

Er ist vor der Tür.
In unserer Vorstellung ist diese Tür vielleicht irgendwo auf dem Land. Denn auf den ersten Blick erscheint die Natur für Kinder, die auf dem Land aufwachsen, viel greifbarer, viel realer. Mit einem Wald vor der Tür und dem Bachlauf hinterm Haus. Tatsächlich ist das aber ein veraltetes, romantisches Bild vom Landleben. Heute ist das Landleben in vielen Landkreisen durch die ausgeräumte Agrarlandschaft sogar weniger natürlich, als es die Umgebung in der Stadt durch grüne Parks und wilde Brachen ist. Und der Weg zum nächsten natürlichen Wald ist von beiden Orten eine Autofahrt entfernt. Die Haustür, vor der die Kinder spielt, ist laut einer Studie der Friedrich Ebert Stiftung immer häufiger in einer Stadt. Denn immer mehr Kinder wachsen im städtischen Raum auf. Die Stadt ist Lebensraum für viele Familien. Zugleich ist sie ein Naturraum und stellt einen wichtigen Lebensraum für Tiere und Pflanzen dar, dient dem Klimaschutz und der Sicherung von Lebensqualität.

Naturspiele für alle

Damit Kinder Natur erleben können, ist es unwichtig, ob die Haustür in der Stadt oder auf dem Land ist. Damit ihr seht, das sich Natur überall finden lässt, stelle ich euch heute vier kleine Naturspiele vor, die sich vor jeder Haustür durchführen lassen und die je nach Alter der Kinder in ihrem Schwierigkeitsgrad angepasst werden können:

  1. ein Naturmandala gestalten
  2. ein Pflanzenmemory spielen
  3. einen Baumfreund finden
  4. einen Wetterort festlegen

1. Ein Naturmandala aus allerlei Materialen legen

große und kleine Steine für die äußere Umrandung,
Blätter und Samen,
eine Feder als besonderer Schmuck,
Stöcke,
Beeren und Früchte,
oder auch all das, was sich sonst so finden lässt: ein Flaschendeckel, der danach im Müll entsorgt wird (und durch den das Thema „Müll“ und „Umweltverschmutzung“ angeschnitten werden kann), ein gefundenes Schild oder anderer Müll.

2. Ein Pflanzenmemory,

bei dem Sie Äste, Früchte, Samen oder Blätter vom Boden sammeln und zu einem „Bild“ anordnen.
Die Kinder haben dann eine Minute Zeit, um sich die Materialien und ihre Anordnung einzuprägen. Danach werden die Materialien mit einem Tuch verdeckt.
Die Kinder können jetzt (je nach Alter der Kinder mit unterschiedlich vielen/schwereren Anforderungen) nach den Materialien suchen. (Sie sollten dabei die Möglichkeit haben, diese, wie Sie, am Boden zu finden. Bitte machen Sie sie darauf aufmerksam, keine Pflanzen auszureißen).
Mit den gesammelten Objekten fertigen die Kinder dann eine Kopie des Bilder an.
Danach wird das Tuch gelüftet und die Kopien mit dem Original verglichen. Es kann besprochen werden oder in Bestimmungsliteratur, die auch schon für Kinder eingängig ist, nachgeschlagen werden, welche Pflanzen gefunden wurden. Die Kinder können reflektieren: Was hat geholfen, um die Pflanzen zu finden? Welche Sinne wurden benutzt?

3. Suchen Sie mit den Kindern einen persönlichen Baumfreund aus.

Er sollte nah an ihrer Haustür sein, sodass sie ihn jeden Tag besuchen können und er zu einem Begleiter durch die Jahreszeiten wird.
Jetzt im Herbst lässt sich beobachten, wie die Blätter ihre Farbe wechseln und wie der Baumfreund schließlich die Blätter abwirft.
Im Winter werden die Knospen genau betrachtet – und mit anderen Knospen verglichen. Sind sie groß, oder klein? Haarig oder glatt? Stehen sie dicht gedrängt wie Pinguine einer Kolonie (wie bei den Kirschen) oder einzeln und kräftig (wie beim Berg-Ahorn) oder sind sie klebrig wie Kaugummi (wie bei den Kastanien)?
Im Frühjahr dann treibt der Baumfreund aus. Jetzt erwacht er aus seiner Winterruhe. Meistens verpassen wir diesen Moment. Uns fällt dann plötzlich auf, dass alles grün ist. Aber mit unserem Baumfreund sehen wir die langsame Veränderung und können das Erwachen des Frühlings bewusst miterleben.
Im Sommer spendet er uns Schatten, und wir spenden ihm eine Gießkanne Wasser. Wir beobachten, wer alles mit unserem Baumfreund befreundet ist. Welche Tiere kommen herbei, welche Blüten gibt es zu bestäuben? Welche Früchte gibt es zu ernten?

4. Ein Wetterort, der sich je nach Witterung verändert.

Auch dieser Ort sollte nah am Wohnort liegen. Er bietet den Kindern das wichtige Erleben von Regen, Kälte, Wärme und Sonne. Hier können sie das Wetter kennenlernen und mit allen Sinnen aufnehmen.
Dafür braucht es einen Ort, der regelmäßig aufgesucht wird, beispielsweise ein Spielplatz, oder eine Grünanlage.
Ab jetzt gibt es kein schlechtes Wetter mehr: Denn ihr solltet diesen Ort auch dann besuchen, wenn es das nächste Mal aus Eimern schüttet. Ihr solltet ihn besuchen, wenn es im Winter schneit, und auch, wenn die Sonne dann wieder scheint und der Schnee taut und alles matschig wird.
Euer Wetterort ist ein immer gleicher Ort, der durch die Witterung und die Jahreszeiten doch jedes Mal ganz anders ist.
Fragt die Kinder: Was verändert sich? Wie gehen die Pflanzen und Tiere damit um? Woran sehen wir, dass sich dieser Ort verändert? Was lässt sich dort finden? (Im Regen die Regenwürmer, in der Sonne die Insekten.) Und fragt die Kinder warum sie denken, dass es mal die Insekten und mal die Schnecken sind, die sich doch an diesem immer gleichen Ort abwechselnd zeigen…. Welche Lebensgewohnheiten haben diese Tiere oder auch Pflanzen?

Natur ist überall

Ihr seht, Natur ist überall. Sie ist über uns, in den Baumkronen. Sie ist unter uns, auf der Erde, auf der wir stehen. Sie ist in uns, durch die Bakterien, ohne die wir nicht lebensfähig wären. Wir Menschen sind ein Teil der Natur. Allerdings fühlen wir uns durch die moderne Welt, in der wir in geheizten Wohnungen leben und mit klimatisierten Autos umher fahren, nicht mehr wie ein Teil dieser Natur. Es ist aber wichtig, dass wir wieder zu mehr Natur zurückkehren.

Denn für unsere Kinder ist Natur zum Wachsen elementar. Und uns tut sie gut. Wir sollten ihr also trotz aller Bequemlichkeiten unserer Welt wieder vermehrt Einlass gewähren. Weit müssen wir dafür nicht gehen: Vor unserer Haustür (auch in der Stadt) können wir mit unseren Kinder Natur erleben. Auf einem gut gewählten Sitzplatz können wir morgendlichen Vogelkonzerten lauschen. Abends können wir in Decken gehüllt auf dem Balkon sitzen und auf den Fuchs oder den Waschbär warten, der nachts in Städten gerne die Mülltonnen plündert.

Klingt das nicht nach einem spannenden Abenteuer für eine Übernachtung unter Stadtkindern?

Eure

Veronika hat Biologie, Naturschutz und Landschaftsplanung studiert und ist Mutter einer Tochter. In ihrer Kolumne „Naturorientiertes Aufwachsen“ berichtet sie von Wegen, auf denen Kindern die Liebe und der Respekt zur Natur als Samenkorn mitgegeben werden können.  Mehr über Veronikas Arbeit und ihre aktuellen Texte zu grünen Themen findet ihr auf ihrer Homepage, Instagram oder Twitter.

Mit Baby in Indien leben – unsere Erfahrungen

Anka ist 37 Jahre alt, als sie mit ihrem Mann, der als Wissenschaftler dort forscht, nach Indien zieht und ein neues Leben beginnt in einer anderen Kultur. In einem früheren Artikel erzählte Anka hier wie es war, in Indien schwanger zu werden und hier über ihr Wochenbett in Deutschland und Indien. Über ihre Wahrnehmung von Mutterschaft und dem Bild vom Kind in Indien erzählt sie folgendes:

Unsere Tochter war 10 Wochen alt, als wir nach Indien zurückkehrten. Als Mutter mit Baby erlebte ich Indien auf einmal anders. Ich wurde jetzt „Amma“ genannt, was Mutter bedeutet. Mein Baby wurde mit unglaublich viel Liebe und Herzlichkeit begrüßt, gerne auch getätschelt oder in die Wange gekniffen. Diese körperliche Art, Zuneigung auszudrücken kann schnell mal zu viel werden, aber im Tragetuch konnte ich das kleine Mädchen gut schützen.

In der Kantine, wo wir oft mittags essen, hielt man mir die Tür auf, trug mir das Tablett. Plötzlich begegnete man mir mir anderem Respekt. Oft bot man mir Hilfe an, ließ mich vor, wo andere warten mussten. In den Flughäfen wurde ich an langen Schlangen vorbei gewunken, meine Taschen wurden getragen.

Mütter erfahren hier viel Wertschätzung

Mütter sind in Indien viel angesehener als kinderlose Frauen. Und sie erfahren sehr viel mehr Wertschätzung als ich das in Deutschland erlebt habe. Indien selbst wird als Mother India genannt. Man stellt sich Indien als eine Muttergöttin vor, die die Nation geboren hat. Weibliche Gottheiten gibt es in Indien ja jede Menge.

So gefährdet und benachteiligt Frauen und Mädchen in Indien oft sind, so mächtig sind oftmals die Mütter. Auch wenn äußerliche patriarchale Strukturen dominieren, so sind es in traditionellen Familien in den Häusern oft die Mütter, die die meiste Macht innehaben.

In kleinen Mädchen wird das Göttliche verehrt

Aber nicht nur ich als Mutter, auch mein Baby wurde behandelt wie eine kleine Göttin. Und tatsächlich werden kleine Mädchen verehrt als Wesen, in denen das Göttliche wohnt. Gerade erst wurde das Fest einer mächtigen weiblichen Gottheit hier gefeiert. Zu diesem Anlass war unser Mädchen bei einer Nachbarsfamilie eingeladen. Der Mann des Hauses wusch ihr liebevoll die Füße, führte die Hände vor dem Herzen zusammen in der für Indien so typischen Geste, die ausdrückt: Ich verneige mich vor dem Göttlichen in Dir. Dann bekam sie als erste, vor allen anderen ein Festessen zum Frühstück: würzige Kichererbsen, Halva aus Grieß mit Rosinen und Mandeln und in Fett ausgebackenes Fladenbrot.

Dass dennoch schrecklich viele Mädchen abgetrieben werden gehört zu den Widersprüchlichkeiten dieser Kultur: Einerseits werden Kinder geliebt und gerade Mädchen oft besonders innig. Dennoch werden Eltern zum Teil bedauert, wenn sie ein Mädchen bekommen. Die Jungen werden bevorzugt, das ist in Indien seit Jahrtausenden so. Sie werden häufiger gestillt, sie bekommen das bessere Essen. In traditionellen Familien bleibt der Sohn der Familie erhalten, die Tochter hingegen zieht zu den Schwiegereltern. Dafür muss oft eine hohe Mitgift bezahlt werden. Manch indische Familie verschuldet sich auf Lebenszeit, um eine solche Hochzeit zu finanzieren. Dies betrifft nicht nur die Armen, sondern gerade jetzt auch die Mittelschicht. Die Mittelschicht ist es, die im Moment vom wirtschaftlichen Aufschwung in Indien profitiert. Das weckt jedoch auch eine große materielle Gier und die äußert sich in nicht selten absurden Mitgiftforderungen. Deshalb werden Mädchen abgetrieben. Obwohl es verboten ist. In indische Krankenhäusern hängen große Plakate an den Wänden, auf denen davon die Rede ist: Wer versucht, das Geschlecht seines Kindes zu erfahren, muss mit hohen Strafen bis zu hin zu Gefängnis rechnen. 

Kinder stören hier nie

Dennoch gibt es eine grundsätzlich liebevolle Haltung hier gegenüber Kindern, die mich immer wieder überrascht und berührt. Kinder werden nicht als störend empfunden. Vor allem, wenn ich mich in Gruppen bewege, spüre ich das. Dann fühlt es sich an, als werde das Kind von der Gruppe getragen, als hänge das Wohlbefinden des kleinen Menschen von allen ab. Als seien alle zuständig, nicht nur ich. Das erlebe ich in Deutschland anders. Viel schneller habe ich dort Angst, mein Kind könnte stören. Viel öfter habe ich das Gefühl, dass Kinder nicht erwünscht sind. Ich habe sowohl hier als auch im deutschsprachigen Raum mit Baby an Hochschulen gearbeitet, Workshops gegeben und Vorträge gehalten. Ich habe viel Wohlwollen erlebt, trotzdem gibt es da einen Unterschied, jenseits von Worten. Hier habe ich darüber ausführlicher geschrieben. 

In diesen Tagen denke ich viel darüber nach, wie sehr Kinder, Eltern, und wahrscheinlich die meisten Menschen überhaupt ein Bedürfnis danach haben, eingebunden zu sein. Wir wollen als Menschen in Beziehungsgeflechten zu leben, die gegenseitige Anteilnahme und Unterstützung ermöglichen. Susanne hat über die Bedeutung von Unterstützung im Zusammenhang mit der Diskussion um die Elternschule gerade erst geschrieben.

In Indien erlebe ich, dass Kinder vom Kollektiv mitgetragen werden. Dass alle um ihr Wohl bemüht sind. Real sind wir als Eltern natürlich trotzdem zuständig. Und trotzdem sind es manchmal kleine Gesten, die einen Unterschied machen. Fragen, die uns gestellt werden, wie das Kind isst und schläft. Das spontane liebevolle Lächeln, das sich auf den Gesichtern zeigt. Die Art, wie sich Menschen meinem Kind hier zuwenden, sich über das Wunder freuen, das jedes Kind ist.

Dennoch sind Kinder extrem gefährdet

Natürlich ist Indien kein Paradies, was Kinder angeht. Vielmehr ist das Leben vieler Kinder hier auf grausamste Art gefährdet und bedroht, durch Kinderarbeit, Hunger, Umweltverschmutzung, Missbrauch und Gewalt. Indien ist widersprüchlich und sehr schwer zu beschreiben. Der Ausschnitt, den ich erlebe, ist winzig klein. Denn Indien ist riesig und ungeheuer vielfältig. Ich lebe in einer recht privilegierten Situation und habe zu vielen Lebenswelten wenig Zugang. Ich bin zudem nur zu Gast und meine Beobachtungen sind dementsprechend nicht verallgemeinerbar.  Zu allem, was ich erzähle, könnte man auch das Gegenteil berichten. Unsere Nachbar zum Beispiel haben sich sehnlichst eine Tochter gewünscht und waren eher enttäuscht, als sie einen zweiten Jungen bekamen. Im Nordosten und Südwesten Indiens gibt es zudem noch Matriarchat, in dem die Geburt von Mädchen stärker begrüßt wird. Doch da wir über Indien in Deutschland oft nur die Negativschlagzeilen lesen, finde ich es wichtig, auch das Gute zu beschreiben. Und zum Guten gehört, wie Kinder hier oft im Kollektiv geborgen und gehalten sind. Etwas, das wir uns in Deutschland ja oft wünschen. 

Was ich hier erlebe macht mich nachdenklich: Wie können wir Eltern und Kindern an möglichst vielen Orten signalisieren, dass sie willkommen sind? Wie können wir auch in ganz alltäglichen Situationen mitteilen, dass uns das Wohl aller am Herzen liegt? Und wie setzen wir das konkret um?

 

Anka schreibt auch auf ljuno über ihren Alltag in Indien mit ihrem Kind, wo sie jetzt seit 3 Jahren leben. Bilder aus ihrem Alltag findest Du auch auf Instagram hier

Frag Dich: Was hätte ich gebraucht? – Eigene Kindheitserfahrungen als Ressource nutzen

Manchmal sind Eltern unsicher, wie sie sich gegenüber ihren Kindern verhalten sollen. Oder sie befinden sich in Schwierigkeiten in der Beziehung zu den Kindern oder dem Kind. Die Unsicherheit wird zur Sorge oder gar zur Selbstabwertung: Ich bin keine gute Mutter! Ich bin kein guter Vater!

Ein Beispiel

Ivonne N. zum Beispiel war immer gut mit ihrer Tochter Daniela zurechtgekommen. Doch nun ist die Tochter sieben und in der Schule und irgendwie wird alles anders. Die Tochter verändert sich. Sie hat nicht mehr so viel Interesse an der Mutter (so kommt es zumindest der Mutter vor) und zieht sich mehr zurück. Sie spielt mehr mit Freundinnen. Sie erzählt nicht mehr alles, was sie am Tag erlebt hat. Wenn die Mutter sie zur Schule bringt und ihr ein Abschiedsküsschen geben möchte, dann ist das ihrer Tochter peinlich …

Solche Veränderungen der Kinder geschehen häufig und in unterschiedlichen Altersphasen. Manchmal kommen wir Eltern dabei nicht mit. Es verunsichert uns und kann zu Selbstzweifeln oder Selbstabwertungen führen.

Wie war das bei mir?

Mein Vorschlag ist dann: Fragen Sie sich, wie es Ihnen in dem Alter erging, in dem sich jetzt Ihr Kind befindet. Danielas Mutter fragte sich: Wie ging es mir eigentlich, als ich sieben war und zur Schule ging? Sie erinnerte sich, dass sie einerseits selbst sehr unsicher war und andererseits ihr ganz wichtig war, dass sie guten Kontakt in der Schulklasse fand. Sie wollte dazugehören. Das war jetzt am wichtigsten. Wichtiger noch als die Begegnungen mit der Mutter oder dem Vater. Die waren ihr ja sicher. Das war selbstverständlich. Aber mit den anderen Kindern in der Schulklasse, das war neu und das war aufregend.

Als Danielas Mutter dies klar wurde, hatte sie gleich mehr Verständnis für ihre Tochter. Sie merkte, dass diese sich nicht von ihr abwandte, sondern anderen zuwandte, und dass diese Veränderung anscheinend nun angestand und notwendig ist.

Und nun stellte sie sich die zweite Frage: Was hätte ich damals gebraucht?

Was hätte ich gebraucht?

Diese Frage war für sie schwieriger zu beantworten. Denn ihre eigene Mutter, Danielas Großmutter, war damals über längere Zeit krank und dies beanspruchte alle Energien in der Familie. Und doch fragte sie sich: Was hätte ich gebraucht? Ihr fiel ein: in jedem Fall hätte sie gebraucht, dass sie an der „langen Leine“ sein dürfte. Sie brauchte nicht das ständige Nachfragen, wie es denn in der Schule gewesen sei und wie sie mit diesem oder jenem Kind oder der Lehrerin zurechtgekommen sei. Das war doch ihre Sache. Da hätte sie ihren Freiraum gebraucht. Sie hätte sich gewünscht, dass die Eltern weniger fragen, sondern mehr tun, zum Beispiel mal einige Kinder aus der Klasse einladen. Da müsste man doch nicht bis zum Geburtstag warten. Das geht doch auch mal so… . Als Danielas Mutter dies deutlich wurde, machte sie ihrer Tochter den Vorschlag, die Klasse oder einen Teil der Klasse einzuladen. Danielas Familie hatte einen großen Garten und der wäre doch geeignet für ein kleines Sommer- oder Herbstfest … Sie fragte ihre Tochter. Die zögerte erst und antwortete dann: „Warten wir noch ein paar Wochen und dann machen wir das!“ Und sie lächelte. Die Tochter wollte selbst bestimmen, wie das Fest ablief, aber sie nahm den Rat und die Unterstützung der Eltern an.

Unsere eigene Kindheit als Ressource

Wir Eltern lernen mit unseren Kindern viel Neues. Und wir müssen lernen. Doch wir haben schon Erfahrungen mit Eltern- und mit dem Kind-Sein. Unsere eigene Kindheit ist eine Ressource. Wir können sie nutzen. Wir können uns erinnern, was uns gut getan hat und was wir gerne gemacht haben, allein oder mit unseren Eltern. Und wir können uns erinnern, was wir damals gebraucht hätten. Deswegen sind die beiden Fragen eine wichtige Hilfe:

Wie ging es mir damals, als ich so alt war, wie mein Kind jetzt ist?
Was hätte ich damals gebraucht?

Nutzen Sie sie.

Dr. Udo Baer ist Diplom-Pädagoge, Kreativer Leibtherapeut AKL und u.a. Vorsitzender der Stiftung Würde. Auf Geborgen Wachsen schreibt er über die (Gefühls-)Welt der Kinder, ihre Gedanken und die sich ergebenden Herausforderungen. Mehr über dieses Thema findet sich in seinem neuen Buch „Die Weisheit der Kinder

Ein Naturkind begleiten – So wirst Du Naturmentor*in für Dein Kind

„Buphthanum sanif… wie heißt das nochmal?“, frage ich zum zehnten Mal. „Buph-thal-mum salici-folium“, antwortet mein Papa und spricht die Silben überdeutlich aus. Immer wieder wiederhole ich das schwerste Wort der Welt. Ja nicht vergessen, fest verwurzeln soll es sich in meinem Kopf. Und am Ende der Wanderung klappt es: „Mama, wir haben Buphthalmum salicifolium, das Ochsenauge gefunden!“, rufe ich begeistert. Und damit war ich verzaubert von der Magie botanischer Pflanzennamen.

Gesucht: Mentoren mit Liebe statt Wissen

Mein Vater war der erste Mentor auf meinem Weg zum Naturkind. Danach folgten weitere. Jetzt ist mein Mann mein Mentor, denn Naturmentoren braucht man auch als Erwachsene immer wieder. Sie alle demonstrierten ihre Wertschätzung für die Natur nicht nur in Worten, sondern in ihrem Auftreten der Natur gegenüber.

Mein Vater zum Beispiel hielt immer wieder inne. Er machte uns auf den besonders schönen Gesang einer Nachtigall, auf die versteckten Honigblätter der Hahnenfüße oder auf die Hüpffähigkeiten eines Schnellkäfers aufmerksam. Und das mit völliger Verzückung und Staunen. Er staunte über die Wunder der Natur. Durch diese Fähigkeit – und nicht etwa durch seine Artenkenntnis – Nein, durch die Gabe, die Natur zu bestaunen, war er ein wunderbarer Mentor.

Kinder lernen durch Begeisterung. Laufen die Bezugspersonen mit dem Handy vor der Nase durch den Wald und fühlen sich fehl am Platz, wird das Kind die Wunder des Waldes kaum wahrnehmen. Wer Kindern die Liebe zur Natur mit auf ihren Lebensweg geben möchte, muss selbst anfangen, sich mit der Natur verbunden zu fühlen.

Die Verbundenheit mit der Natur liegt in unseren Genen. Bis die Menschen in Mittel- und Nordeuropa vor 4.000 bis 5.000 Jahren sesshaft wurden, lebten wir Menschen in und mit der Natur. Vieles davon haben wir vergessen. Die Natur ist nicht mehr ein selbstverständlicher Teil unseres Alltag. Die Naturverbundenheit in uns schlummert und wir müssen sie wecken, um zu guten Mentoren für unsere Naturkinder zu werden.

Zielloses Herumstrolchen als Weg zur Natur

Um Kinder draußen spielen zu lassen, müssen wir Erwachsenen lernen, uns in der Natur wohlzufühlen. Wir müssen wissen, was dort draußen lebt, um angstfrei loslassen zu können. Wir müssen uns das Unbekannte bekannt machen. Das kleine Wäldchen am Stadtrand kennenlernen. Im Park die „unordentlichen“, wilden Ecken erkunden. Rausgehen, jeden Tag. Das Minimalziel sollte drei bis fünfmal die Woche sein. Es braucht ein ganzheitliches und immer wiederkehrendes Erleben, um die Natur kennen zu lernen. Es braucht mehr, als einmal wöchentlich in den Park zu gehen, um eine wahre Verbundenheit mit der Natur zu schaffen.

Die Grundwerkzeuge zum Naturmentor

Und was machen wir als Mentoren draußen? Naturspiele? Bestimmungsliteratur wälzen? Nein, ganz im Gegenteil! Wir strolchen herum. Ziellos und zeitlos. Weichen vom Weg ab, wenn wir es wollen und können (außer wir sind in einem Naturschutzgebiet). Wir bewegen uns langsam, schärfen unsere Sinne. Wir lauschen Vogelstimmen (wie viele verschiedene sind es?) und lassen uns von mysteriösen Fährten, von sternförmig gewachsenen Moosen und runzlig geformten Baumrinden ablenken. Wir sind das, wonach wir im Alltagstrubel streben und häufig doch versagen: Achtsam. Das Kind ist natürlich an unserer Seite, entdeckt mit uns und wird uns höchstwahrscheinlich auf viel mehr aufmerksam machen, als wir für uns selbst wahrgenommen hätten. Es wird Fragen stellen. Und wir werden versuchen, keine Antworten zu liefern.

Keine Antworten? Richtig, selbst wenn wir die Antwort kennen. Denn eine Frage mit einer Antwort zu beantworten, erstickt das Interesse des Kindes oftmals im Keim. Obwohl es für uns vielleicht nicht eingängig ist, versuchen Kinder mit einer Frage mehr unser Interesse für einen Austausch zu wecken, als eine Antwort zu erhalten. Sie hoffen, dass ihre Aufmerksamkeit zu unserer Aufmerksamkeit wird. Indem wir die Frage offen lassen und mit einer weiterführenden Frage an sie zurückreichen, lassen wir sie an der Lösung des Mysteriums teilhaben.

Die Fährte zu den Antworten aufnehmen

Nehmen wir zum Beispiel eine Fährte, die gefunden wurde. Das Kind möchte wissen, von welchem Tier die Pfotenabdrücke im Waldboden stammen. Es sind Hasenspuren. Die zwei Hinterpfoten haben hintereinander zwei Abdrücke in den Boden gedrückt. Die zwei Vorderpfoten sind etwas weiter nach vorne versetzt und zeigen zwei Abdrücke nebeneinander. Anstatt zu sagen: „Das war ein Hase“, wird das Kind vom Mentor mit einfachen Fragen zur Antwort geleitet: „Sind alle Pfotenabdrücke gleich?“ oder „Die Vorder- und die Hinterpfoten sehen verschieden aus. Kannst du das nachmachen?“.

Das Kind wird aufgefordert, die Spur nicht nur genau zu betrachten, sondern zu erleben: „Wie müsste sich das Tier bewegen, damit das Muster bleibt?“. Gehen oder Schleichen wird nicht funktionieren, das Kind wird hüpfen und schnell auf die Antwort kommen, dass das ein Hase war. Es hätte die von uns gegebene Antwort vielleicht schnell wieder vergessen. Mit den Gegenfragen wurde aus einer einfach Frage ein Naturerlebnis. Als Bonus gibt es einen Selbstvertrauens-Booster, weil die Antwort selbst herausgefunden wurde.

Mit einem kleinen Ritual wird der Besuch in der Natur abgerundet. Von den Streifzügen können kleine Naturfunde mitgenommen werden, die Zuhause in eine Schachtel gelegt werden oder auf einem kleinen Tischchen dekoriert werden. Beim Abendessen wird zusammen überlegt, was erlebt wurde: „Was ist heute draußen passiert?“, oder „Was war das tollste, was du gefunden hast?“, animiert die Kinder zum Antworten. Die Erlebnisse des Tages können in ein kleines Büchlein gemalt werden oder die schönsten und aufregendsten Erfahrungen mit einem kleinen Satz beschrieben werden. Das Büchlein wird nach und nach mit wertvollen Erlebnissen gefüllt und ist so auch später eine wunderbare Erinnerung an die Zeit als Naturkind.

Rausgehen, Fragen stellen und Geschichten aufnehmen

 


Die wichtigsten Handwerkszeuge für Mentoren sind:

– Täglich Zeit draußen verbringen
– Zeitlos und Ziellos herumwandern und sich von den Wundern der Natur leiten lassen
– Fragen stellen, statt Antworten geben
– Das Erlebte am Ende des Tages festhalten

Das Codewort zum Naturmentor lautet nicht Buphtalmum salicifolium. Es ist ein Rezept: Geht mit Kindern in die Natur, lasst sie die Magie des Morgentau auf Spinnweben entdecken und das Mysterium von Tierspuren auf den Grund gehen. Gebt einen großen Löffel Liebe für unsere Natur dazu und einen der Verbundenheit dazu. Seid für die Kinder da, wenn sie nach Hause kommen. Stellt gute Fragen und dokumentiert ihre Antworten.

Mit diesem einfachen Rezept werdet ihr zu wunderbaren Naturmentoren.
Eure

Veronika hat Biologie, Naturschutz und Landschaftsplanung studiert und ist Mutter einer Tochter. In ihrer Kolumne „Naturorientiertes Aufwachsen“ berichtet sie von Wegen, auf denen Kindern die Liebe und der Respekt zur Natur als Samenkorn mitgegeben werden können.  Mehr über Veronikas Arbeit und ihre aktuellen Texte zu grünen Themen findet ihr auf ihrer Homepage, Instagram oder Twitter.