Das Recht, die Geburt gut zu finden

„Wie geht es Dir denn jetzt, so ein Jahr nach der Geburt?“ wurde ich kürzlich gefragt. Ich bewegte den Kopf hin und her und überlegte, wie es mir aktuell so ginge als Mutter von drei Kindern und an der Schwelle vom Baby- zum Kleinkindalter. Aber die Fragende wollte gar nichts über mein aktuelles Allgemeinbefinden wissen, sondern meinte, ob ich die Geburt verarbeitet hätte. Verarbeitet?

Die Geburt verlief anders als geplant

Bald ist die Geburt meines dritten Kindes ein Jahr her. Anders als die Geschwister, die zu Hause oder im Geburtshaus geboren wurden, habe ich dieses Kind im Krankenhaus geboren. Es war eine Hausgeburt geplant, wir mussten aber nach 8 Stunden Wehen ins Krankenhaus. Diese Geburt war anders als ich sie mir vorgestellt hatte, aber es war eine gute Geburt. Sie war gut, weil ich wusste, wie eine Geburt ist, weil ich Menschen um mich hatte, denen ich vertraute und die beständig bei mir waren, mich unterstützten und umsorgten. Sie war gut, weil ich mich sicher fühlte und angenommen und richtig.

Vielleicht hätte ich mich anders gefühlt, wenn es meine erste Geburt gewesen wäre und ich nicht gewusst hätte, wie eine Geburt verläuft und was wirklich wichtig dabei ist. Sicher habe ich davon profitiert, dass ich auf Erfahrungen zurückgreifen konnte und so mancher Situation im Gesamtkontext eine weniger große Bedeutung zugewiesen habe. Und vielleicht würde eine andere Frau, die genau diese Geburt erlebt hätte, vielleicht nicht sagen, dass es für sie eine gute Geburt war. Aber für mich war sie es.

Das Recht auf persönliches Wohlbefinden

Ich bin und bleibe eine Verfechterin der selbstbestimmten Geburt. Ich denke, dass Geburten eine intime, wohlige Atmosphäre benötigen, ohne Störungen, achtsame und verbindliche Menschen. Die Geburt ist ein Fest, das in dem Rahmen begangen werden sollte, der der Gebärenden wohl tut – einige brauchen dabei mehr Menschen um sich, andere weniger. Geburt ist ein wunderbares, bewegendes, veränderndes Ereignis. Es ist etwas, das wir nie vergessen – unser ganzes Leben lang.

Und weil wir es nicht vergessen, ist es so wichtig, dass wir uns dabei wohl fühlen. Wir. Ich. Du. Womit Du Dich wohl fühlst, kann ganz anders sein als das, womit ich mich wohl fühle. Weil ich mich damit wohl fühle, wenn in der Luft Rosenduft liegt, musst Du das nicht. Aber auch wenn Du es anders siehst, gibt es Dir nicht das Recht, zu sagen, dass Rosenduft prinzipiell nicht gut sei. Jeder Mensch hat ein Recht auf die Geburt, die ihm gut tut. So, wie sie ihr gut tut. An dem Ort, der für diese Person gerade jetzt richtig ist.

Das Recht der freien Wahl

„Ja, aber vielleicht hättest Du ja nur zu Hause länger warten müssen.“, „Wenn Du geduldiger gewesen wärst, dann wäre es vielleicht doch eine Hausgeburt geworden.“ „Es tut mir so leid, dass er im Krankenhaus geboren wurde.“ – Wie oft habe ich solche Sätze im vergangenen Jahr gehört. Manchmal wollen Menschen ihre Anteilnahme damit ausdrücken und eigentlich sagen: „Ich weiß, Du hast Dir eine Hausgeburt gewünscht. Hoffentlich geht es Dir damit gut, wie es jetzt ist.“ Aber oft wird mit solchen Aussagen auch eine Grenze überschritten, die nicht überschritten werden sollte. Ja, Geburten sind natürlich und von sich aus sicher. Ja, Geburten in Krankenhäusern sind nicht per se besser und schon gar nicht heute in Zeiten des Hebammenmangels und der überfüllten Kreißsäle. Gerade heute können sie dort sogar das Gegenteil sein und so manche Krankenhausroutine kann langfristig negative Folgen haben. Aber es ist gut, dass es diese Option gibt. Es war gut in unserer Situation und es ist gut für all die Frauen, die sich nur an diesem Ort sicher fühlen.

Es wäre wünschenswert für uns alle, wenn sich alle Frauen an allen Orten sicher fühlen könnten. Wenn wir Frauen ein nicht wankendes Vertrauen in unseren Körper und in unsere Gebärfähigkeit hätten. Wenn wir alle keine negativen Vorerfahrungen in unserem Leben sammeln müssten, die Einfluss auf die Geburt nehmen könnten. Wenn wir nicht nur den Anspruch, sondern auch die Sicherheit hätten, dass wir durch liebevoll zugewandte und persönlich bekannte Hebammen die ganze Geburt über ohne Wechsel erleben könnten.

All das wäre wunderbar und würde uns Frauen unterstützen. Aber bis dahin ist es ein langer Weg, den wir uns zu einem großen Teil – gerade jetzt – erkämpfen müssen. Zurückerkämpfen. Wir müssen einfordern und einstehen für diese Rechte. Und es ist wichtig, dass wir das tun. Nicht nur für uns, sondern für jede Frau, die es will. Selbst dann, wenn es gar nicht unser persönlicher Wunsch ist. Doch jede von uns sollte die Möglichkeit haben, so zu gebären, wie sie es möchte. Denn keine von uns weiß, was für eine andere genau richtig ist und wo sie sich sicher und geborgen fühlt. Ich weiß heute nicht, wie meine Tochter später einmal gebären möchte. Ich habe eine Vorstellung davon, was ich mir für sie wünsche, aber letztlich ist mein Wunsch, dass sie das wählen kann, was ihr gut tut.

Das Recht, selbst zu entscheiden, was gut ist

So, wie niemand nachfühlen kann, welcher Ort und welche Situation für eine andere richtig sind, können wir auch nicht von Außen beurteilen, ob eine Geburt gut oder schlecht war. Es gibt keine Skala von Hausgeburt über PDA, Dammschnitt, Saugglocke bis Kaiserschnitt. Es gibt kein Ranking der besten Geburtstechniken. Geburt ist individuell, subjektiv. Geburt muss so sein, dass sie genau für die Frau richtig ist, die sie erlebt: Ob etwas gut oder schlecht ist, liegt allein in der Entscheidungsgewalt derjenigen, die es erlebt hat. Wir haben nicht das Recht, anderen zu erklären, was sie fühlen sollten und warum sie nach dieser Art des Gebärens oder jener Intervention fühlen müssen, dass sie gut oder schlecht geboren haben. Wir können daran arbeiten, dass Frauen bessere Bedingungen geboten bekommen, in denen sie so gebären können, dass sie sich damit wohl fühlen. Aber das erreichen wir nicht damit, andere zu verurteilen oder uns über sie zu erheben und zu erklären, es besser zu wissen. Bessere Bedingungen für alle erreichen wir durch Verständnis der Menschen, die gebären.

Was auch immer du gehört hast und von wem: Die Geburt, die du erleben wirst, ist einzigartig. Bei jedem Kind. Es wird die Geburt deines Kindes sein und wie auch  immer sie geplant ist und wie sie dann tatsächlich abläuft: Du wirst dein Bestes geben für diese Geburt, denn alle Mütter tun alles, was sie können, damit ihre Kinder gut und sicher geboren werden.

– Susanne Mierau „Geborgen Wachsen: Wie Kinder glücklich groß werden“

Ich habe das große Glück, alle Geburten meiner Kinder als wunderbar empfunden zu haben. Sie alle waren unterschiedlich, aber jede für sich ein Wunder und genau richtig. Sie waren richtig für mich. Wie es mir damit geht, jetzt nach einem Jahr? Ich erinnere mich gerne zurück. Und ich wünsche mir, dass jede Frau, die die Geburten ihrer Kinder gut fand – egal wie anders sie zu den Geburten meiner Kinder waren – genauso liebevoll-stolz zurück blicken kann. Und all jene, die wirklich unglücklich sind, keine Schuldzuweisungen, sondern Unterstützung bekommen.

Eure

7 Kommentare

  1. Liebe Susanne, danke, danke und nochmals danke für diesen Artikel! Er spricht mir aus der Seele und ich unterschreibe jedes Wort sofort.

    Gerade vor ein paar Wochen war ich in einer Situation, die sich in etwa so abspielt: Eine Bekannte unterhielt sich mit einer Schwangeren und erzählte ihr darüber, „wie schlimm Geburten im Krankenhaus sind“. Ich saß mit zwei anderen Müttern (alle im KH entbunden) daneben und wir guckten uns alle mit großen Augen an und wir flüsterten uns zu, dass wir eigentlich gute Erfahrungen gemacht haben.
    Das ist es nämlich, sich für andere, bessere Geburtsbedingungen einsetzen sollte nie gleichgesetzt werden, damit anderen Frauen ihre Geburtserfahrung (im Krankenhaus) schlecht zu reden.

    Liebe Grüße,
    Lara

  2. Mikeschka

    Liebe Susanne, ich hatte auch zwei gute Geburten. Die erste im Geburtshaus und die zweite mit Notkaiserschnitt in der 30. Woche. Ich empfinde beide Geburten als Geschenk, weil sie mir meine Stärken und Grenzen gezeigt haben, weil ich mich sicher fühlte und weil sie meine Intuition gestärkt haben.

    Nach dem Notkaiserschnitt und den Wochen im Krankenhaus war ich so glücklich und dankbar für alles in meinem Leben; es war, als wäre ich noch mal geboren worden.
    Aber manchmal habe ich auch Menschen getroffen, die mich und mein starkes Kind gar nicht mehr gesehen haben, sondern nur ihre eigenen Ängst und Befürchtungen auf uns projezierten. Die nicht gehört haben, wenn ich gesagt habe: Es geht uns gut, es ist alles in Ordnung, wir hatten so ein Glück mit unserem Krankenhaus und jetzt sind wir froh, wieder alle zusammen zu sein. Die haben mir nur bedauernd über den Arm gestreichelt, den Kopf geschüttelt, als könnte man mit uns nur Mitleid haben. Es war, als wären wir als Menschen unsichtbar geworden.
    Ich erzähle immer voller Stolz und Freude über meine beiden Geburten. Eine so, wie ich sie mir gewünscht habe und die andere so, wie sie sich keiner wünscht und trotzdem war sie gut.

  3. Stephanie

    Wie immer ein wunderbarer Artikel. Jeder der hört, dass ich einen Kaiserschnitt hatte, bedauert mich. Alle wollen möglichst einen noch zu einer Selbsthilfegruppe schicken. Ich fande meine Geburt wunderbar, nicht so wie erwartet aber ich habe alles gegeben und am Ende musste mir eben geholfen werden. Viele vergessen, wie viele Kinder es nicht gäbe, wenn es diesen Fortschritt nicht geben würde. Man sollte grundsätzlich nicht Pauschalisieren. Liebe Grüße an dich und deine Familie. Stephanie

  4. Damasco Verde

    Hallo, ich bin seit einiger Zeit stille Mitlesiern und mag deinen Blog sehr. Dieser Artikel jedoch stößt bei mir etwas an, was nicht nur schön ist. Ich habe quasi den „umgekehrten Fall“ – erst sek. Sec und beim 2. Kind HBAC – und ich hatte sooft die Worte: Naja, war bestimmt dennoch OK (beim KS), „ach was solls, wird schon gut sein, ihr lebt ja noch“. Das Recht eine Geburt einfach scheiße zu finden möchte ich auch haben und hätte mir sehr viel mehr Anteilnahme gewünscht. Gerade im Vergleich der beiden Geburten wird mir noch deutlicher, was ich beim 1. Mal „verpasst“ habe und es fällt mir mehr als schwer die vielen Stunden und Tage (zu hause, im GH, im KH; auf dem OP Tisch) als Geschenk zu betrachten. Ich weiß, dass du das nicht verneinst – vielleicht wären 1,2 Sätze dazu in einem Artikel schön gewesen. Auf bald, ich lese weiterhin gerne von dir und euch

  5. Hallo Susanne,
    ich bin auf deinen Blog gestoßen und dieser Artikel hat mich sehr angesprochen. Mich beschäftigt das Thema Geburt noch sehr. Meine Geburt war anders, als geplant, sogar besser für mein Empfinden – spontan zu Hause. Ich mag den Leuten fast gar nicht mehr erzählen, dass es zu Hause war. Dann bekomm ich nur eine Reaktion „du bist aber mutig, ich hätte mich das nicht getraut“. Habe ich deren Geburt verurteilt? Nein. Und man denkt sich, warum wird etwas rein positives negativiert und als gefährlich dargestellt?!
    Meine Geburt war wunderbar! Und das möchte ich auch sagen dürfen.

  6. Hallo Susanne,
    ich bin gerade auf Deinen Text gestoßen und auch wenn er schon ein paar Tage alt ist, ist er immer noch aktuell! Danke dafür!
    Ich bin auch seit etwa 14 Monaten Mama eines tollen Sohnes. Ich wollte damals eigentlich ins Geburtshaus gehen, was viele in meinem Bekanntenkreis eher etwas leichtsinnig fanden, und war im wahrsten Sinn guter Hoffnung, bis etwa vier Wochen vor Termin mich sämtliche Ärzte völlig verrückt gemacht haben, weil das Geburtsgewicht hoch geschätzt und mir sämtliche Horrorszenarien ausgemalt wurden. Man riet mir zum Kaiserschnitt, zu vorzeitiger Einleitung und was weiß ich noch… Die Hebammen im Geburtshaus waren zwar nach wie vor optimistisch, aber ich habe mich am Ende nicht mehr getraut, weil die Ärzte mir mein gutes Gefühl fast völlig zerredet haben… ich bin dann ins Krankenhaus und rückblickend doch froh darüber. Eine Woche über Termin wurde eingeleitet und ich hatte tatsächlich die natürliche Geburt, die ich wollte und nix Schlimmes ist passiert – zumindest bis der Kleine auf der Welt war. Danach gab es Komplikationen mit der Gebärmutter, ich habe viel Blut verloren und hatte am Ende keine Gebärmutter mehr, ein Tag Intensivstation und keine richtige Erinnerung an die ersten 1, 2 Tage… Freud und Leid haben so nah beieinander gelegen, aber ich bin rückblickend so froh, dass ich die Geburt hatte, die ich wollte und stolz auf mich, dass ich das durchgezogen habe. Es ist so wichtig, dass eine werdende Mama Menschen um sich rum hat, die sie bestärken und ihr gut tun, vor allem bei der ersten Geburt… vielleicht gibt es nur die eine.
    Liebe Grüße, Katrin

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