Erziehung ist doch ganz einfach!?!

Patsch, patsch, patsch – eine kleine Hand wischt am Morgen durch das Gesicht. Es ist noch dunkel, während die Stimme piepst „Ich mag spielen.“ Der Tag beginnt zu früh nach einer zu kurzen Nacht, denn abends musste noch gearbeitet und das Nötigste aufgeräumt werden. Nur das Nötigste, denn #gutgenug reicht. Und muss es auch, denn für mehr fehlt gerade die Zeit. „Hunger!“ tönt es kurz darauf, also wirklich aufstehen und nicht eben noch ein wenig im Bett spielen lassen. Frühstück machen. Gesund soll es sein, wo früher einfach auf den Tisch kam, was gerade noch da war. Anscheinend gesund, aber nicht lecker: Ein Teil des müde geschmierten Brotes landet auf dem Boden. Kind lacht und schiebt den Teller weg. Oder ist es einfach nur satt? Was heißt eigentlich dieses Runterwerfen von Essen? Vielleicht sollte ich es mal nachlesen oder jemanden fragen? Satt, eklig, Spaß, Machtkampf? Nicht ärgern, ist ja nur ein Kind. Aber als ich Kind war – lieber nicht drüber nachdenken. „Spielen!“ Schnell etwas wegräumen, dann Zähne putzen. Oje, will wieder nicht. Aber Karies! Soll ich das Kind festhalten? Nein, das fühlt sich nicht gut an, das zu denken. Aber Karies! Die Angst, dass das Kind krank werden würde. Manchmal ist sie so groß, dass darüber lange gegrübelt wird. Oder diskutiert. Ein weiterer Grund, um abends schlecht zu schlafen. Das Kind windet sich, mit einem lustigen Lied und Handpuppe geht es aber doch. Einfach allein auf die Toilette gehen wäre auch schön. Aber meistens sitzt da ein Kind daneben, mehr oder weniger interessiert. Und beim Duschen. Das Kind spielt mit dem kuscheligen Drachen-Waschlappen.

„Selber anziehen!“ Dann eben doch wieder nicht zusammenpassende Sachen – ist ja auch egal. Nur Oma würde es furchtbar finden. Geduld. So viel Geduld wie in kaum einem Job gebraucht wird. Oje, warum ist das Kind jetzt wütend? So früh am Morgen und trotzdem schon so viel Energie verbraucht für Gespräche, für Beruhigung – und eben Geduld. Es wäre toll, jetzt einfach mal auszuruhen, kurz durchatmen. Vielleicht mache ich mir doch einen Tee. In der Zwischenzeit räumt das Kind die unterste Küchenschublade aus. Sind extra nur Dosen, damit das kein Problem ist. Irgendwie muss ja auch mal gekocht werden und das Kind will in der Nähe sein. Kurz durchatmen bevor das Spiel doch langweilig wird. Kurz auf das Handy sehen. Gerade mal 10 Uhr. Fühlt sich an wie nachmittags.

„Spielen!“ Machen wir. „Nein nicht so, so ist doof. Du musst…“ Immer soll ich spielen, wie es das Kind mag. Versuche, Kompromisse auszuhandeln. Nebenher die Einkaufsliste im Kopf durchgehen, lieber doch auf Papier bringen. Das Kind findet das weniger schön und greift über den Tisch nach dem Stift. Leider fällt der Tee um. Zum Glück nicht mehr heiß. Trotzdem. „Verdammt nochmal!“ Oh nein. Geflucht. Und laut gewesen. Ich will das doch nicht. Es ist manchmal so schwer.

Zusammen einkaufen und darauf achten, dass wirklich nur im Wagen landet, was soll. Nicht die Nörgel-Dinge. Erklären, erklären, erklären. „Ja, würde ich kaufen, aber leider zu teuer.“/“Wir haben schon das andere im Wagen.“/“Okay, dieses, aber mehr auch nicht.“ Maske drauf lassen. Meine auch. Wieviele Worte habe ich heute schon gesprochen? Das Kind weint. Was ist passiert? In den Arm nehmen, trösten. Aber warum eigentlich? Kind sagt nichts und weint. Weiter trösten, auch wenn unklar ist, warum. Schließlich beruhigt doch weiter gehen. „Kannst du etwas schneller laufen, der Einkauf ist so schwer!“ Okay, dann eben eine Pause, um der Ameisenstraße zuzusehen. Immerhin: Heute keine Termine, also kein Zeitdruck. An anderen Tagen schon. Zu Hause stehen die Dosen noch in der Küche auf dem Boden, kann gleich weiter bespielt werden, während der Einkauf weggeräumt wird. Mittagessen kochen zusammen: Das Kind darf mitrühren, mitmachen. Geduld haben, Geduld. Es übt sich in der Motorik, nichts funktioniert von Anfang an. Zum Ende des Essens landen wieder Nudeln auf dem Boden.

Danach: Mittagsschlaf. Buch vorlesen – wieder das gleiche Buch wie seit einer Woche. An der selben Stelle wird gelacht, die selben Fragen gestellt. Und schließlich schläft das Kind ein. Kurz der Stille zuhören. So gerne einfach mitschlafen wollen. Aber eigentlich muss unter dem Esstisch gewischt werden. Und Mails beantworten. Fenster putzen? Nur kurz unter dem Esstisch wischen und sich dann doch neben das Kind legen. Eingeschlafen. Oje, so spät! Das wird ein langer Abend.

Ein wenig draußen spielen auf dem Spielplatz mit langem Spaziergang. Das macht vielleicht auch müde? Lachen über ein Bild an der Wand, verkleckertes Eis auf dem Shirt und glückliches Kindergesicht. Auf dem Spielplatz auf Abstand achten und trotzdem dem Kind ein gutes Gefühl geben. Hochgezogene Augenbrauen, weil ich zu lange auf das Smartphone starre und google „Kind wirft immer essen runter“. „Komm wir gehen nach Hause!“ „Ich kann nicht mehr laufen!“ Okay, es ist ja noch klein. Aber doch ganz schön schwer, so ohne Trage. Abendessen: „Wenn du satt bist, sag einfach Stopp.“ Hat heute noch nicht geklappt, vielleicht morgen. Zähne putzen mit Zahnputzlied. Vielleicht leihe ich ein neues Zahnputzbuch in der Bibliothek aus. Nachher mal online sehen, ob ich es reservieren kann.

Das Kind ist nicht müde. Im Bett spielen und kuscheln und lesen. Ein wenig in einer Zeitschrift blättern, während das Kind spielt. Und schließlich kuschelt es sich ein. Es ist spät. Das Kind ist warm und weich und duftet nach meinem Kind. Wie sehr ich es liebe. Und wie anstrengend manche Tage sind. Noch schnell das Buch reservieren, ein paar Mails checken und neue T-Shirts fürs Kind bestellen, damit man nicht in den Laden muss. Jetzt. Wer weiß wie lange. Den Kalender durchgehen, Sachen für morgen bereit legen. Kurz mit der Freundin chatten. Tee trinken. Und einschlafen, neben dem kleinen Kind. Und morgen? Da probieren wir es mal weiter mit dem „Nicht auf den Boden werfen.“. Und lachen und trösten und lieben und weinen und hüpfen und tragen. Und sind Familie.

Eltern sein kann wunderschön sein. Und manchmal auch so schwer. Eltern sein besteht aus vielen Handgriffen jeden Tag. Es besteht aus Körperlichkeit und Nähe: einen anderen Menschen ganz nah an sich heranlassen – innerlich und äußerlich. Und ihn – selbst wenn er schon scheinbar groß ist – auf den Arm nehmen, einzukuscheln und körperlich zu zeigen: Ich bin da. Es besteht darin, die Signale eines kleinen Menschen zu lesen, zu interpretieren, zu verstehen und richtig umzusetzen. Manchmal schleichen sich Fehler ein. Das ist normal, macht es aber nicht einfach. Und die eigenen Bedürfnisse damit auch zu vereinbaren, ist manchmal eine Herausforderung. Nicht in Schieflage zu geraten auf der einen oder anderen Seite. Denn wenn die Eltern erschöpft sind, können auch Bedürfnisse des Kindes nicht erfüllt werden. Und dann mit den Stimmen der eigenen Kindheit umgehen, die es manchmal ganz anders anraten: „Nein, du verwöhnst das Kind!“ flüstern sie zu. „Das Kind wird ein Tyrann!“ oder „Dir hat ja auch nicht geschadet…“ Es ist Arbeit, mit diesen Stimmen umzugehen. Es ganz bewusst anders zu machen. Manchmal braucht es eine fachliche Begleitung und Zeit. Und auch das Begleiten der kindlichen Gefühle ist nicht immer einfach: ein wütendes Kind begleiten, ein trauriges Kind lange trösten. Ein müdes Kind, das nicht einschlafen kann, begleiten.

Kinder sind wunderbar, mit all ihren Facetten. Aber es ist dennoch nicht einfach, all das zu begleiten. Es braucht Kraft, Mut, Vertrauen, Verständnis, Unterstützung, Selbstfürsorge, Selbstvertrauen, Reflexionsfähigkeit, Zeit, Nähe, Kommunikationsfähigkeiten – und noch viel mehr. Je nach Familie, je nach Kind. Es ist jeden Tag eine ganz besondere Tätigkeit, Kinder zu begleiten.

Eure

Zur Autorin:
Susanne Mierau ist Diplom-Pädagogin (Schwerpunkt Kleinkindpädagogik) und Familienbegleiterin. Sie arbeitete an der FU Berlin in Forschung und Lehre, bevor sie sich 2011 im Bereich bedürfnisorientierte Elternberatung selbständig machte. Ihr 2012 gegründetes Blog geborgen-wachsen.de und ihre Social Media Kanäle sind wichtige und viel genutzte freie Informationsportale für bedürfnisorientierte Elternschaft und kindliche Entwicklung. Susanne Mierau gibt Workshops für Eltern und Fachpersonal und spricht auf Konferenzen und Tagungen über kindliche Entwicklung, Elternschaft und Familienrollen.

Foto: Ronja Jung für geborgen-wachsen.de

11 Kommentare

  1. Neele784

    Genau so. Gestern. Heute. Morgen? Aber dieses Mal mit mehr Erfahrung (und oft etwas mehr Geduld und Nachsicht) als beim ersten Kind. Jetzt weiß ich schon, dass all das ganz begrenzte und im Rückblick kurze Phasen sind – und ich einen Teil vermisse! Dieses ausgiebige Kuscheln, das noch ungetrübte (und noch zahnlose ?) Lächeln…

    • Ja, aber bleibt es nicht furchtbar unfair, dass das Große das Versuchskaninchen bleibt, das eigentlich alles besser können sollte, für dessen heldenhaftes Fortschreiten man aber gar nicht mehr dieselbe Zeit zur Beobachtung und Wertschätzung hat, auf die es anfangs geeicht wurde? Und für dessen Kämpfe und immer neue Marotten auch nicht mehr die Massen an Geduld oder auch nur Aufmerksamkeit zur Verfügung steht, weil da ein kleines Geschwiszerchen konkurriert, das gar nichts besser können muss, aber manches von alleine schon besser hinkriegt, weil es seinen Ehrgeiz ganz entspannt im Fahrwasser des Vorgängers entfalten darf? Diese Schieflage habe ich selbst abgekriegt und gebe es seit vier Jahren zunehmend an die Große weiter, sehe mir hilflos und entsetzt dabei zu. Stetes Motzen höhlt das Selbstbewusstsein. Any ideas?

      • Nein, finde ich nicht!
        Das Große hatte andere Dinge, als das Kleine. Und die Welt wird immer unfair bleiben. Das wichtigste ist, dass es dir auffällt, und du es nicht einfach geschehen lässt 🙂 und auch akzeptierst, dass das große Kind von seinem Thron gestoßen wurde und nun damit umgehen lernen muss. Das heißt ja nicht, dass du es weniger liebst <3

  2. Mandoline

    Vielen Dank für diesen wunderbaren Text. Der Tag spricht mir aus der Seele. Ebenso die Gedanken des Elternteils. Eltern sein ist wunderbar und soooo anstrengend. Für jeden anders und doch fallen wir abends alle gleich müde und zu spät ins Bett. In Gedanken schon beim nächsten Tag

  3. Tausend Herzen für diesen wunderbaren und echten Text. Genau so fühlt es sich gerade an, voller Erschöpfung und voller Liebe. Du sprichst uns aus der Seele und das fühlt sich so gut an, vielen Dank Susanne. ❤️

  4. Anna-Maria

    Danke ❤ du hast es sehr treffend in Worte gefasst, was so los ist an einem ganz normalen Tag!
    Ich liege mit Migräne im Bett und weiß noch nicht wie ich den Tag mit zwei Kindern wuppen soll. Aber irgendwie klappt es bestimmt und der nächste Tag wird bestimmt besser.

  5. Danke Dir für einen so treffenden Text.
    Er beschreibt so viel, und ist passend. Alles Gute

  6. Britta Ri

    Danke, Susanne.
    Genau so fühle ich mich so oft. Eigentlich jeden Tag im Moment. Erst 10 Uhr, schon 10 Uhr, so wenig gemacht, aber auch so viel.
    Ich hoffe, dass sich all die emotionale Arbeit und das dabei liegen gebliebene Chaos irgendwann auszahlen. Für unsere Kinder, und für uns :-)p

  7. Josephine

    Liebe Susanne, vielen Dank für diesen ehrlichen Text!
    Es tut so gut zu lesen, dass es anderen auch so geht. Das hilft, versöhnlich mit sich zu sein. Wir versuchen jeden Tag unser Bestes. Und manchmal ist es wahnsinnig schwer. Oft ist es wahnsinnig schwer. Sich verbunden fühlen hilft.

  8. Josephine

    Liebe Susanne, vielen Dank für diesen ehrlichen Text!
    Es tut so gut zu lesen, dass es anderen auch so geht. Das hilft, versöhnlich mit sich zu sein. Wir versuchen jeden Tag unser Bestes. Und manchmal ist es wahnsinnig schwer. Oft ist es wahnsinnig schwer. Sich verbunden fühlen hilft.

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