Lass das Kind mal machen! – Warum das Selbermachen so wichtig ist

Der Gedanke daran, das Kind „mal machen“ zu lassen, beinhaltet mehrere Herausforderungen: Die Herausforderung für das Kind, selber machen zu können und die Herausforderung für den Erwachsenen, dies aushalten zu können. Denn manchmal ist es nicht so einfach, das Kind eben „machen zu lassen“. Aber wenn wir es zulassen, können sowohl Eltern als auch Kinder davon profitieren.

Entwicklung: Fremd- oder Selbstgesteuert?

Eine der großen Fragen, mit denen wir als Eltern im Zusammenleben mit unseren Kindern konfrontiert werden, ist die Frage, ob wir eine selbstgesteuerte oder eine fremdgesteuerte Entwicklung anstreben. Das ist eine Frage, die oft nie direkt oder deutlich ausgesprochen wird. Es ist oft nicht einmal eine Frage, über die wir nachdenken. Es ist ein Ansatz, der sich im Alltag ergibt: Aus den Erfahrungen, die wir selbst gemacht haben. Aus unseren Annahmen über das Kind oder Kinder allgemein. Und auch durch das, was uns die Gesellschaft, die Medien, die Werbung erklärt. Es ist unser Bild vom Kind, das hier zutage tritt: Denken wir, dass wir als Eltern die Entwicklung unseres Kindes steuern müssen oder denken wir, dass es das gut selber kann und wir nur einen passenden Rahmen dafür geben müssen?

Konkret stellt sich die Frage nach einer fremd- oder selbstgesteuerten Entwicklung von Anfang an. Glauben wir, dass das (gesunde, termingerecht geborene) Kind die Fähigkeit hat, sich nach Bedarf mit Muttermilch sättigen zu können oder denken wir, das könne es nicht und müsse fremdgesteuert werden durch Überprüfungen wie Waagen oder durch Zeitpläne?* Wir sehen dies auch am Umgang mit der Bewegungsentwicklung: Glauben wir, dass sich das Kind selbständig drehen wird, mit der Fortbewegung beginnt und allein die Fähigkeit besitzt, laufen zu lernen? Oder sind wir darum bemüht, diese motorischen Meilensteine zu befördern, indem wir dem Kind spezielle Angebote machen, es „trainieren“, es an den Händen halten zum Laufen?

Jede Familie trifft ihre Wahl in Bezug auf fremd- oder selbstgesteuerte Entwicklung und geht ihren eigenen, individuellen Weg. Wenn wir uns aber wünschen, dass unsere Kinder am Alltag beteiligt sind und sich aktiv einbringen, ist ein Blick auf diese prinzipielle Frage sinnvoll, da wir durch unser Verhalten dem Kind gegenüber auch das Verhalten des Kindes uns gegenüber und die Interaktion mit der Umwelt prägen.

Selbstwirksamkeit lernen

Wenn Kinder eigene Erfahrungen machen können, lernen sie. Sie können gut lernen, wenn die Motivation aus ihnen selbst kommt: Wenn das, was sie gerade tun, ihrem Interesse entspricht, begeben sie sich ganz hinein in die Interaktion, in das Spiel, in die Auseinandersetzung. Der Professor für Psychologie und Glücksforscher Mihály Csíkszentmihályi bezeichnet diesen Zustand als flow: ein Zustand des Glücks, in den wir geraten, wenn wir ganz in einer Tätigkeit aufgehen. Dann können wir lernen und Dinge gut und tief verarbeiten.

Doch es wird nicht nur eine Fertigkeit gelernt, wenn sich Kinder aktiv mit einer Sache selbst auseinander setzen lernen. Sie lernen nicht nur, ihre Muskeln auszubilden, wenn sie vom Unterarmstütz langsam in das Sitzen kommen. Sie lernen nicht nur Feinmotorik, wenn sie wieder und wieder mit den Händen Kreise malen oder wenn sie sich darin erproben, mit dem Messer ein Brot zu beschmieren. Sie lernen neben der Fertigkeit, die sie anwenden, etwas ganz bedeutendes: Selbstwirksamkeit. Sie erfahren, dass sie selbst fähig sind, Dinge zu erreichen und ihr Leben selbst gestalten können. Sie sind stolz, wenn sie zum ersten Mal selbst geschafft haben, sich hinzusetzen oder den ersten eigenen Schritt zu gehen. Sie sind stolz auf die ersten Buchstaben, die sie selber schreiben können und stolz auf das selbst geschmierte Brot. Sie sind stolz über ihre eigene Leistung. Dieses Glück verbreitet sich dank der Endorphine im ganzen Körper. Der Psychoneuroimmunologe Joachim Bauer betont deswegen, wie wichtig es sei, dass sich Kinder frei einer Sache hingeben können. Die Erfahrung, selbst wirksam sein zu können, wird in die Zukunft getragen und prägt auch den Umgang mit zukünftigen Herausforderungen. Kinder erfahren so von Anfang an, dass sie selber Situationen beeinflussen können und lernen auf diese Weise schon spielerisch von Anfang an für die späteren großen Herausforderungen des Lebens. Die Ergebnisse einer kleinen Studie mit 84 Teilnehmer*innen der University of Minnesota scheinen in diese Richtung zu weisen: Das Ausmaß, in dem Kinder im Haushalt helfen konnten, wirkte sich demnach auf ihren Erfolg im frühen Erwachsenenalter aus.

Mehr Überwindung, weniger Stress – Eltern und Kinder profitieren

Wenn wir unseren Kindern die Möglichkeit geben, sich an den Alltagsaufgaben zu beteiligen, geben wir ihnen damit verschiedene Lernmöglichkeiten:

  • Sie entwickeln bestimmte Fertigkeiten,
  • lernen selbst wirksam zu sein,
  • haben das Gefühl, gebraucht zu werden und ein wichtiger Teil der Gemeinschaft zu sein,
  • haben die Möglichkeit, sich in die Bedürfnisse des Systems Familie einzufühlen und bekommen die Möglichkeit, das Einfühlungsvermögen auszubauen.

Von uns erfordert dies zunächst das Vertrauen ins Kind, dass es eine Aufgabe selber bewältigen kann und auch den Willen und die Fähigkeit, das Kind bei Bedarf darin zu unterstützen. Es scheint manchmal mehr Arbeit zu sein – besonders am Anfang – diesen Freiraum zu geben mit möglichen Konsequenzen in Hinblick auf Zeiteinteilung (kindliche Beteiligung ist oft zeitintensiver als es „schnell selber“ zu machen) und in Geduld (für die benötigte Zeit und auch den Umgang mit einer möglichen Fristration des Kinndes, wenn es nicht gleich funktioniert), aber diese Energie sparen wir an anderer Stelle wieder ein, wenn die Kinder gelernt haben, die Aufgaben selbständig zu lösen, wenn sie zukünftig selbstsicher an andere Aufgaben heran gehen und schließlich ganz besonders dadurch, dass wir nicht gegen den Willen des Kindes nach Selbständigkeit und Autonomie arbeiten müssen – denn gerade dies ist es, was uns Eltern im Alltag besonders stresst.

Deswegen: Es ist für Kinder eine wunderbare Möglichkeit, sich einbringen zu können und sie lernen dadurch auf verschiedenen Ebenen. Wir Eltern lernen, wie groß und kompetent unsere Kinder schon sind und können Stressituationen im Alltag durch zu viel Fremdbestimmung umgehen. Aktive Beteiligung von Kindern ist ein Gewinn für die gesamte Familie. Einige Inspirationen dazu, wie das in einzelnen Bereichen umgesetzt werden kann, gibt es hier:

Weite Anregungen zur Einbindung von Kindern im Alltag findest Du hier:

Kleine Küchenhelfer – Wie Kinder in der Küche helfen können

„Ich ziehe mich selber an!“ 5 Anzieh-Regeln für Eltern von Kleinkindern 

Selbermachen beim Down-Syndrom – Ein Erfahrungsbericht

Haushalt und Kinder – Anregungen zur Mithilfe im Haushalt nach Alter (demnächst)

Selbständige Körperpflege (demnächst)

Einen Kinderwaschtisch nach Montessori bauen für Kinder

Eure

*Es kann durchaus Umstände geben, bei denen eine Überprüfung und das regelmäßige Anlegen des Kindes sinnvoll und notwendig sind. Dies wird in der Regel durch Fachpersonen angeraten im Bedarfsfall. In diesem Text geht es jedoch um die persönliche Entscheidung und das Empfinden der Bezungspersonen außerhalb einer solchen Indikation.

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