Was wir von unseren Babys über das Essen lernen können

Manchmal denken wir, dass wir unseren Kindern alles beibringen müssen, obwohl sie voller Kompetenzen in das Leben kommen. Sie entwickeln sich nach ihrem eigenen Tempo innerhalb eines recht festgelegten Ablaufplans und eine Kompetenz baut auf der nächsten auf. Genau so ist es auch beim Essen: Sie beginnen dann zu essen und Interesse an Nahrung zu zeigen, wenn sie so weit sind und körperlich dazu in der Lage sind. Unsere Aufgabe ist es, ihre Signale wahrzunehmen und darauf zu reagieren. Wie in vielen anderen Bereichen müssen sie nicht von uns „essen lernen“, sondern wir begleiten sie auf ihrem eigenen Weg. Wenn wir sie bei der Erkundung des Essens beobachten, sehen wir sogar, dass sie sich äußert sorgsam mit dem Essen verhalten. Anstatt zu denken, dass wir unseren Kindern etwas über das Essen beibringen sollten, können wir uns vielleicht eher ein paar Aspekte von ihnen absehen.

Essverhalten im Laufe des Lebens

Stefanie Stahl schreibt in ihrem Buch „Das Kind in Dir muss Heimat finden“ (2015): „Wird das Kind in seinem Lustbedürfnis und damit gleichsam in seinem Autonomiebedürfnis zu stark reglementiert, so kann dies dazu führen, dass der Erwachsene […] – angepasst an den elterlichen Erziehungsstil – genussfeindliche Normen und zwanghaftes Verhalten entwickelt. Oder – in Abgrenzung zu den Eltern – undiszipliniert und maßlos seinem Lustempfinden nachgibt.“ Wie wir mit der Ernährung unseres Kindes umgehen, ist also für die weitere Entwicklung des Kindes sehr wichtig. Auch die KIGGS Studie des Robert Koch Instituts zeigte, dass ein Fünftel der Kinder und Jugendlichen zwischen 11 und 17 Jahren Hinweise auf ein gestörtes Essverhalten zeigen, Mädchen fast doppelt so häufig wie Jungen. Mahlzeiten und der Umgang damit sind mehr als „nur“ Nahrungsaufnahme.

 

Babys bringen von sich aus Kompetenzen mit

Lustbedürfnis und Autonomiebedürfnis müssen bei der Ernährung mit berücksichtigt werden. Unsere Babys zeigen uns von sich aus noch sehr gut, wie der Umgang mit gesundem Essen funktioniert. Wir als Eltern geben dabei einen gewissen Rahmen vor mit der Auswahl an Nahrungsmitteln, die wir ihnen anbieten. Aus dieser gesunden (!) Auswahl können sie sich frei bedienen und zeigen uns dabei wichtige Aspekte der Ernährung:

  • Babys essen dann, wenn sie Hunger haben
    Unsere Kinder zeigen sehr direkt, wenn sie Hunger haben, schon als Neugeborene: Sie wenden den Kopf, um nach der Brust zu suchen, sie nuckeln an ihren kleinen Fäusten, sie beginnen zu schreien, wenn wir ihre leiseren Hungersignale nicht beantworten. Auch bei der Beikost merken wir dies: Ihr Rhythmus der Mahlzeiten ist noch anders als unserer und nur weil für uns gerade Mittagessenszeit ist, muss das für sie noch nicht stimmen. Es ist gut, die Signale zu beachten und einfach später noch einmal etwas anzubieten.
  • Babys hören auf zu essen, wenn sie gesättigt sind
    Stillkinder hören mit der Stillmahlzeit auf, wenn sie satt sind. Manchmal nuckeln sie noch ein wenig, aber sie haben ein eigenes Gefühl der Sättigung. Auch wenn sie mit der Beikost beginnen, zeigen sie uns eindeutig, ob sie Hunger haben oder satt sind und wenden sich ab, wenn sie nicht mehr möchten. Sie bringen die Kompetenz mit, selbst zu entscheiden und das ist eine sehr wichtige Eigenschaft, die wir berücksichtigen sollten.
  • Babys nehmen Nahrung mit allen Sinnen wahr
    Wenn die Beikost eingeführt wird, möchten sie die Nahrung mit allen Sinnen begreifen: Sie riechen daran, sie befühlen sie mit Händen und Mund und nehmen wahr, wie sie sich verhält: weich,matschig, hart, flüssig – wie muss ich es anfassen, um es zum Mund zu befördern? Der Ansatz des Baby-Led Weaning ist hierfür besonders praktisch.
    Gerade dies ist ein Aspekt, der uns oft beim Essen verloren geht: Das genussvolle Wahrnehmen, genau nachschmecken, wonach eine Speise schmeckt und wie sie sich anfühlt.
  • Babys probieren aus
    Anfangs probieren Babys gerne noch unterschiedliche Sachen vorurteilsfrei aus. Alles wird zum Mund geführt und damit ertastet und es wird probiert, ob es essbar ist oder nicht. Später führen sie Essen gerne auch zum Mund der Bezugsperson wie eine Frage:  „Beißt Du ab und zeigst, dass es genießbar ist?“ Auch hier sind wir Vorbilder.
    Neophobien, die Angst vor dem Neuen, entwickeln sich erst ab der Zeit, wenn die Kinder weiter entfernt  von uns sind, um den 18. Monat, sagt Dr. Herbert Renz-Polster. Wenn wir ihnen geduldig immer wieder (8-10 Mal) eine Speise anbieten, probieren sie es doch irgendwann. Wie ist das bei uns Erwachsenen? Wann probieren wir etwas Neues aus?
  • Babys essen langsam
    Während wir manchmal schnell zwischen den Terminen einen Bissen einschieben, nehmen sich Babys und Kleinkinder noch Zeit: Sie fühlen, wenden Stücke in der Hand hin und her, probieren, kauen und zerkleinern mit der Zunge. Sie brauchen Zeit und nehmen sie sich für ihr Essen.
  • Babys reicht Wasser als Getränk
    Babys und Kleinkindern reicht Wasser als Getränk zum Essen vollkommen aus. Sie brauchen keine Fruchtsäfte, keine (gesüßten) Tees, keine (Kinder)milch. Sie sind zufrieden mit einem kleinen Glas Wasser und später einem kleinen Krug, mit dem sie sich selbst nachschenken können.

Unsere Babys und Kinder sind toll. Sie bringen alle wichtigen Kompetenzen zur Ernährung schon selbst mit. Wir Eltern sollten ihnen ihre achtsame Ernährungsform nicht abtrainieren. Und an vielen Stellen können wir uns sogar etwas von ihnen abschauen.

Eure

 

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8 Kommentare

  1. Ich hatte das Buch schon in deinem bebeilderten Wochenende gesehen. Das gleiche lese ich nämlich auch gerade (bzw. arbeite ich gerade durch). Ich finde es wie du sehr gut geschrieben, leicht zu lesen und erhoffe mir jede Menge positive Veränderungen im Alltag durch die Ansätze aus dem Buch. Aber es ist wirklich interessant wie unterschiedlich die Wahrnehmung geht. Den gleichen Satz den du zitierst habe ich überhaupt nicht auf das Thema Essen bezogen. Danke also für die Blickwinkelerweiterung 🙂

  2. Hallo,
    besonders den Zeitaspekt führt mir meine Babytochter (1 Jahr) gerade immer wieder vor Augen. Während ich schon lange aufgegessen habe, dreht sie noch Krümel oder Stückchen in ihren Händen und probiert immer wieder 🙂 Ich beobachte sie zu gern dabei.
    Was mir dagegen mächtig auf die Nerven geht, ist das ständige Herunterwerfen der Lebensmittel. Egal, ob hungrig oder nicht, es landet immer erstmal alles nach dem ersten Bissen auf dem Boden. Ich biete es ihr schon nur häppchenweise an.
    Sie weiß auch schon genau, dass wir das nicht mögen und schüttelt fleißig den Kopf, während wieder etwas umherfliegt. Wohlgemerkt Speisen, die sie mag 😉 .
    Hat jemand einen Tipp oder gehört das einfach dazu und hört irgendwann auf?

    Liebe Grüße
    Susanne

    • Oh Mann, das hat uns auch tierisch genervt, aber ich glaube, das machen sie alle. Ich hatte das Gefühl, die Phase sei endlos, auf jeden Fall waren es mehrere Monate. Aber ja, bei uns hat es von allein aufgehört, vielleicht, als genügend erforscht war, was wie wo auf den Boden platscht. Die Kleinen sehen ja, dass die Großen das nicht machen. Mit so ca 1 3/4 hat es sich bei uns ins Gegenteil verkehrt. Es wird nicht nur nichts mehr geworfen, sondern wenn hin und wieder aus Versehen was fällt, lässt es ihr keine Ruhe, bis es aufgehoben/aufgewischt ist. Aber ich kann mich gut erinnern, an dem Punkt echt gezweifelt zu haben, weil ich auch vermitteln wollte/will, das Nahrungsmittel etwas wertvolles sind.

  3. Liebe Susanne,
    danke für diesen Artikel. Es bestärkt mich darin, wie es bei uns am Familientisch „abläuft“. Es war gar nicht so leicht, meine Mutter zu überzeugen, dass man einem Kind nicht das Essen in den Mund „schwindeln“ muss und dass es nicht verhungert, wenn man das nicht tut. Außerdem ist es auch nicht leicht, klar zu machen, dass das Essen erkundet werden muss. Schließlich ist Essen ja was lustvolles. Sollte es zumindest sein.
    Schöner Artikel!
    LG Bianca

  4. JA!

    Ich wünschte, alle Erwachsenen würden so essen, wie kleine Kinder – anfangen, wenn sie Hunger haben und aufhören, wenn sie satt sind.
    Was eigentlich so leicht ist, geht so schnell verloren.

  5. Und jetzt sollten auch bitte noch alle Kinderärzte sich darauf besinnen, dass die Kinder ein natürliches Essprogramm haben… was muss ich mich rechtfertigen bei Arzt, dass unsere Beiden (3 und 6) zart sind und immer jenseits der ersten Stillmonate waren. Ja, sie dürfen jederzeit essen, ja ich biete auch fettreiche Nahrungsmittel an, nein wir sind keine Vegetarier, nein ich werde nicht überall Sahne und Butter dran machen, ja sie dürfen auch süßes essen, nein sie lieben von sich aus Obst und Gemüse… usw… überall werden nur übergewichtige Kinder thematisiert und dann machen die Ärzte mit unsinnigen Tipps Druck!

  6. Super Beitrag. Ich lass unsere kleine auch ganz frei entscheiden was sie möchte. Wenn sie an die Brust möchte, bekommt sie die und wenn sie was von unserem Teller mitessen möchte, dann darf sie das auch.

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