Baby-led Weaning aus ernährungswissenschaftlicher Sicht

Wie haben unsere Vorfahren ihre Babys ernährt? Sicherlich hatten die Menschen in der Steinzeit keinen Pürierstab, mit dem sie einen Süßkartoffel-Broccoli-Hähnchenbrei gezaubert haben. Für Babys gab es oftmals Getreidebrei oder sie wurden über Jahre gestillt, bis sie die feste Nahrung essen konnten. In den letzten Jahren ist das BLW in unseren Breitengraden durch die Hebamme Gill Rapley bekannt und populär geworden. Sie betont, dass diese Art und Weise der Beikost nicht neu sei, sondern seit Jahrhunderten auf der ganzen Welt praktiziert werde. Darüber hinaus profitiere die ganze Familie davon, weil durch die breifreie Ernährung für das Baby selbstbestimmtes Essen ohne Druck und Zwang möglich sei.

Welcher Leitgedanke steckt hinter dem Begriff BLW?

Das Baby-led Weaning, kurz die Baby- geführte Entwöhnung von der Muttermilch, ist eine Form der Beikost, bei der das Baby den Übergang von der Milch zur festen Nahrung selbst steuert. Zusätzlich zur Muttermilch tastet es sich im wörtlichen Sinne spielerisch an feste Nahrung heran. Dabei steht anfangs nicht im Vordergrund, WAS genau und WIEVIEL dein Baby isst, sondern vielmehr, dass die kleinen Wesen die Möglichkeit bekommen, selbstbestimmt in ihrem eigenen Tempo Lebensmittel zu erkunden. Langsam tastet sich dein Baby mit allen Sinnen an das Essen heran. Die Energie und Nährstoffe erhält es anfangs eher über die Mutter- bzw. Säuglingsmilch. 

Was ist der wesentliche Unterschied im Vergleich zur landesüblichen Breikost? Statt Breifütterungen gibst du deinem Baby Fingerfood. So werden Löffel und stetiges Anreichen der Mahlzeiten überflüssig. Wir als Eltern bieten die Mahlzeiten an und die Kinder bestimmen ganz individuell, was sie essen möchten. Es wird davon ausgegangen, dass Babys intuitiv das Essen auswählen, was sie für ihre Entwicklung brauchen. Wir als Eltern geben ihnen die Möglichkeit zu entscheiden WAS, WIEVIEL und in WELCHER GESCHWINDIGKEIT sie essen wollen. Deshalb ist die Zusammensetzung der breifreien Babyernährung schwer mess- und vergleichbar mit der landesüblichen Breikost. 

Wie sieht die Praxis des BLW aus?

Kurz gesagt, isst du beim BLW zur gleichen Zeit, am selben Tisch mit deinem Baby das gleiche Essen. Wie lässt sich die breifreie Alternative zur Babyernährung grob in 6 Punkten beschreiben?

  1. Es ist ein Baby-gesteuertes Konzept zur Beikosteinführung
  2. Es gibt Fingerfood statt Brei
  3. Du servierst Familiengerichte
  4. Die Hauptenergie bezieht dein Baby anfangs durch das Stillen
  5. Gestillt wird zwischen den Mahlzeiten
  6. Du entscheidest, was du deinem Baby anbietest, denn es gibt keinen vorgegebenen Speiseplan

BLW – nur ein Trend oder eine tatsächliche Alternative zum Brei?

Immer mehr Familien hierzulande entscheiden sich für die breifreie Babyernährung, wobei sich beide Konzepte – also Brei und Fingerfood, auch gut kombinieren lassen. Du musst dich nicht für die eine oder andere Variante endscheiden! Wenn du dir nicht sicher bist, welcher Weg für eure Familie der passende ist, könnt ihr euch Rat bei eurer Hebamme, Kinderärzt*in suchen oder mit Ernährungsfachkräften darüber reden.

  • Sofern du die Reifezeichen deines Babys berücksichtigst,
  • abwechslungsreiches Essen anbietest,
  • gezielt dem Verschlucken vorbeugst,
  • und die regulären ärztlichen Kontrollen wahrnimmst,
  • kannst du das BLW gut umsetzen.

Pauschal gibt es auch aus dem Blickwinkel der Ernährungswissenschaften keine festgefahrenen Empfehlungen zur „optimalen“ Beikostmethode, weil vergleichende Langzeitanalysen fehlen. Der Vorteil der Breiernährung liegt darin, dass die Rezepturen auf den Nährstoffbedarf deines Babys abgestimmt sind. Für die Nährstoffe Fluorid, Jod, Vitamin D und K (Nährstoffe, die auch bei der Breiernährung zu kurz kommen) gibt es deshalb Empfehlung zur Nahrungsergänzung. Welche Nährstoffe beim BLW kritisch werden können, ist noch nicht hinreichend erforscht.

Was sind die diskutierten Vor- und Nachteile?

Vorteile

  • Das BLW kann einen positiven Einfluss auf die Hunger- und Sättigungs-Regulation haben.
  • Die motorischen Fähigkeiten des Babys werden geschult.
  • Der Beziehungsaufbau und Interaktion zwischen Eltern und Kind wird durch gemeinsame Mahlzeiten gefördert.
  • Ein abwechslungsreicher Speiseplan ist durch eine Vielfalt von Geschmack und Konsistenz möglich.
  • Es bietet für Eltern den Anreiz, sich gesünder zu ernähren.
  • Baby- und Familienmahlzeiten werden gemeinsam gestaltet.

Nachteile

  • Möglicherweise ist die Gefahr des Verschluckens höher.
  • Tendenziell ist die Versorgung mit Eisen geringer.
  • Die Gefahr des zu hohen Salzkonsums besteht, sofern Eltern die Speisen nicht explizit salzfrei gestalten.
  • Es bestehen höhere Tendenzen zur Energieunterversorgung, aber auch nährstoffreiche Gerichte sind beim BLW schwieriger umzusetzen.
  • Babygerechte Fingerfoodgerichte sind aufwändiger zuzubereiten.

Wie du siehst, bringt das BLW viele Vorteile, aber auch einige Risiken mit sich. Was sagen unsere Fachgesellschaften dazu? Die Mehrheit der Expert*innen und auch die Vereinigung nennenswerter Fachgesellschaften von Hebammen, Ärzt*innen und Ernährungsfachkräften (Netzwerk „Gesund ins Leben“) sprechen kein eindeutiges „Ja“ zum BLW aus, weil sie fürchten, dass sich die kleinen Wesen an den groben Stücken verschlucken können, und weil sie das Risiko für einen Nährstoffmangel als potenzielle Gefahr sehen. Schließlich wählt im Gegensatz zur Breikost das Baby frei, was es essen möchte und was nicht. Andererseits sind die genannten Risiken nicht eindeutig wissenschaftlich belegt. Die Forschungslage steckt hier im wahrsten Sinne des Wortes noch in den Kinderschuhen. Derzeit beschreiben jüngste Fachartikel, wie du die Sicherheit erhöhen und das Risiko für einen Nährstoffmangel reduzieren kannst:

Wie die Sicherheit erhöhen?

  • Beachte die Reifezeichen deines Kindes: Ist es nach 6 Monaten wirklich bereit dafür?
  • Tagesstruktur: Versuche extreme Müdigkeit oder extremen Hunger vor der Mahlzeit zu verhindern!
  • Erhöhe die Sicherheit: lass dein Baby nie allein beim Essen, sorge für eine aufrechte Sitzposition und dass die Hände frei sind.
  • Biete das Essen in einer babygerechten Konsistenz an: Nicht nur an harten, runden Lebensmitteln, sondern auch an Schalen kann sich ein Kind verschlucken!

Was kommt beim Baby-led Weaning konkret auf den Teller? Was tun, um einen Nährstoffmangel zu verhindern?

  1. Die Grundlage bildet eine abwechslungsreiche Kost:
    Nutze die Vielfalt der Lebensmittel in Bezug auf Farben, Konsistenzen und Formen. Das heißt, du kannst nicht nur die Lebensmittel austauschen, sondern auch gleiches Essen in einer anderen Zubereitungsart (z. B. als Bratling) anbieten!
  2. Biete 3 bis 4 verschiedene Lebensmittel und jeweils 1 Stück von jedem auf dem Teller an. Es kann immer nachgenommen werden!
  1. Stelle mindestens ein energiereiches Lebensmittel (z.B. Brot mit Margarine) mit mindestens einem eisenreichen Lebensmittel (z. B. Bratenaufschnitt/Linsen-Aufstrich) pro Mahlzeit zusammen!
  2. Beobachtungen: Lasse die Entwicklung des Kindes ärztlich langfristig beobachten,
    u. a. auch, ob eine Nahrungsergänzung (z. B. mit Eisen) erforderlich ist?

Beispiele für BLW

Mahlzeiten-Ideen:

  • Eieromelette, z.B. mit Spinatfüllung
  • Pizza oder Flammkuchen mit Gemüse belegt
  • Risottobällchen mit Gemüse und Fisch
  • Lasagnemuffins
  • Ofengemüse + Ofenkartoffeln
  • eingerollte gefüllte Pfannkuchen
  • Gemüsebratlinge/ Frikadellen
  • Maiskölbchen/ Hähnchenkeule zum Abnagen

Snack-Ideen:

  • Grießschnitte
  • Bananenbrot
  • Brot- und Käsestreifen
  • Obststücke mit Nussmus
  • süße oder herzhafte Waffeln
  • süße oder herzhafte Muffins
  • Brokkoliröschen, Nektarinen- oder Avocadospalten
  • Gemüse/ Getreidestangen (z.B. Dinkelstangen) mit Dip
  • Maiswaffel mit pflanzlichem Aufstrich

Fazit

Das BLW kannst du alternativ zur Breikost oder zusätzlich praktizieren. Ansonsten ist es eine gute Ausweichmöglichkeit, wenn dein Baby das pürierte Essen verweigert. Mit 8 Monaten wird für Breibabys ohnehin empfohlen, Fingerfood anzubieten. So kannst du die breifreie Methode auch nutzen, um den Übergang zur Familienkost zu gestalten, sofern du Lebensmittel gezielt auswählst, Maßnahmen vornimmst und dem Verschlucken vorbeugst. Für die konkrete wissenschaftlich fundierte Bewertung des BLW sind allerdings noch Langzeitanalysen erforderlich.

Zur Autorin:
Nyara T. Gehringhoff ist Ernährungswissenschaftlerin (M. Sc.), arbeitet in einer ernährungsmedizinischen Abteilung im Krankenhaus und berät Familien rund um das Thema Ernährung. Für ihr Studium hat sie ein Stipendium der „Begabtenförderung Berufliche Bildung“ des Bundesministerium für Bildung und Forschung erhalten. 2014 hat sie den Wissenschaftspreis beim internationalen Kongress der DGEM (Deutsche Gesellschaft für Ernährungsmedizin erhalten. Mehr über ihre Arbeit erfährst du auf ihrem Blog nyarasfamilyfood.de und in ihrem Instagramkanal.

5 Kommentare

  1. Hallo Nyara, ein guter Artikel, jedoch finde ich die Auflistung der Nachteile nicht ganz in Ordnung. Die Möglichkeit des Verschluckens ist nämlich eher bei Breigabe höher, da die breiförmigen Lebensmittel nicht gut abgehustet werden können. Wenn Kinder Stücke abhusten, erfolgt das einfacher und sicherer (zumindest habe ich das so gelernt und auch bei meinem Kind erfahren ?)
    Für mich ist BLW auch „vom Familientisch mitessen“, weshalb das Argument des aufwändigeren Zubereiten auch nicht unbedingt zutrifft. LG

    • Hallo Johanna,
      Vielen Dank für deinen Einwand.
      Ich habe in dem Artikel die Argumente aus den wissenschaftlichen Artikeln zusammengefasst und in der Überschrift betont, dass es diskutierte Vor- und Nachteile sind. Fachverbände nennen oft genau diese Argumente als Nachteil. Studien haben tatsächlich nicht belegt, dass die Gefahr des Verschluckens höher ist. Zum 2. Punkt: Naja, es kommt auch darauf an wie du es vergleichst. Sofern Fertiggläser gekauft werden oder größere Mengen zubereitet und eingefroren, ist der Aufwand für die Breizubereitung überschaubar. Bei Fingerfood ist es zwar teilweise eine Mahlzeit die du kochst, jedoch auch separat, da sie nicht gesalzen werden soll und sofern du versuchst vielfältig vier verschiedene Lebensmittel pro Mahlzeit anzubieten, ist zumindest viel Kreativität gefragt. Darüber lässt sich auch je nach Situation diskutieren. Ich finde es aber gut, dass du eine andere Perspektive aufzeigst!

  2. Ich sehe das ähnlich wie Johanna. Es gibt meines Wissens nach sogar eine Studie, die gezeigt hat, dass sich BLW-Kinder am Anfang zwar etwas mehr verschlucken, aber nach kurzer Zeit deutlich weniger als Kinder, die mit Brei gefüttert werden. Und da Kinder, die nicht frei sitzen, eh noch auf dem Schoss essen bzw. gefüttert werden sollen, kann man auch immer schnell eingreifen.
    Auch das Argument, dass der Vorteil der Breiernährung darin liegt, dass die Rezepturen auf den Nährstoffbedarf des Babys abgestimmt sind, zieht nur solange das Kind brav die gesamte Menge isst. Meine Tochter hat das aber weder bei Finger Food gemacht, noch wenn es etwas püriertes gab, sondern hat noch lange Zeit auf Milch als Hauptnahrungsquelle gesetzt. Und genau das ist ja gerade der Ansatz von BLW: Beikost ist im ersten Lebensjahr wirklich nur BEIkost und es besteht gar nicht der Anspruche, eine Milchmahlzeit nach der anderen zu ersetzen. Und das entspannt die Ess-Situation für alle Beteiligten sehr.
    Und wenn die Familienkost schon vor Beikosteinführung ausgewogen und gesund ist, ist es auch kein wirklicher Mehraufwand. Man muß daran denken, vor dem Würzen eine Portion zur Seite zu tun und bei der Mahlzeitenplanung etwas darauf achten, dass die Dinge auch baby-geeignet sind – das ist aber für mich deutlich stressärmer und weniger arbeitsintensiver als immer zusätzlich zur Familienkost noch Brei zu kochen.

  3. Liebe Stefanie,
    Danke für deine Einblicke ins breifreie Familienleben. Klingt auf jeden Fall so als ob ihr für euch die entspanntere Lösung gefunden habt. Ich finde es gut, dass es eine Bewegung gibt, die den Breifahrplan in Frage stellt, gleichzeitig ist dieser immerhin an den Nährstoffbedarf internationaler Empfehlungen orientiert. Spannend wären Langzeitanalysen zum BLW zur ausreichenden Bedarfsdeckung, jedoch habe ich während meiner Masterarbeit vergebens nach Analysen gesucht. Ich würde es mir sehr wüschen, dass die Forschung auf dem Gebiet vorangetrieben. LG Nyara

  4. Ein bisschen Studium der menschlichen Geschichte hätte der Autorin ganz gut getan. Die Stei zeit endete nicht vor ca. 20 000 Jahren, als der Mensch anfing sesshaft zu werden und Ackerbau zu betreiben und somit Getreide zu einer Ernährungsoption wurde. Vorher aß der Mensch hauptsächlich Fleisch und ein paar Nüsse und Beeren, die er saisonal bedingt ab und an fand. Auch beim Thema Salz liegt die Autorin völlig daneben, unser Nervensystem benötigt Salz zum Funktionieren, Salz ist für den Menschen überlebensnotwendig und Deutschland ist so ziemlich das einzige Land, welches den Salzkonsum von Kindern und Erwachsenen beschränkt, ohne jegliche wissenschaftliche Grundlage. Gerade Salz, und nicht Zucker, sollte nach dem eigenen Bedürfnis konsumiert werden, ja, auch bei Kindern. Der Artikel ist voll mit den üblichen Lebensmittelmythen der DEG und somit wissenschaftlich betrachtet wertlos.

Kommentar verfassen

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert