Welche Grenzen gibt es in unserer Familie?

Um das Thema der Grenzen in Familien gibt es immer wieder Diskussionen: Wieviele und welche Grenzen sind notwendig? Sind sie es überhaupt? Oder brauchen Kinder dringend Grenzen? Müssen Eltern sogar ganz bewusst Grenzen setzen, um dem Kind zu zeigen, dass sie sich unterzuordnen haben und nicht zu sehr verwöhnt werden?

Feststehende Grenzen

Grenzen ergeben sich in vielen Themenbereichen ganz natürlich im Alltag aus bestimmten Gegebenheiten: Das Kind darf nicht auf die Straße rennen oder mit Stricknadeln in die Steckdose pieken oder andere Dinge tun, die andere oder es selbst gefährden. Ebenso erstrecken sich solche natürlichen Grenzen auch auf bestimmte soziale Aspekte des Miteinanders: Wie beispielsweise miteinander oder mit anderen gesprochen werden kann, ohne dass diese sich respektlos behandelt fühlen. Diese Art von wichtigen Grenzen, die das Kind für das eigene Wohlergehen erlernen muss, auch in Hinblick auf seine Position im sozialen Miteinander, stehen fest.

Das Kind rührt durch sein normales, kindgerechtes Verhalten an diesen Grenzen: Es eckt hier und da an und bekommt erklärt, dass es sich hier um eine unverschiebbare Grenze handelt. Dass es nicht beim ersten Mal sofort diese Grenze verinnerlicht, ist normal. Als Elternteil müssen solche Grenzen deswegen immer wieder aufgezeigt und erklärt werden, bis das Kind diese Grenze verinnerlicht hat. Die Verantwortung liegt dabei lange bei den Eltern: Nicht das Kleinkind ist schuld, weil man doch schon x-mal gesagt hat, es soll nicht zu nah an die Straße gehen, sondern die Eltern müssen vorausschauend planen und entsprechend eingreifen. Dies beispielsweise auch, wenn sie wissen, dass das Kind eine Phase hat, in der es besonders viel beißt oder schlägt und deswegen eine nahe Begleitung braucht, um andere Kinder nicht zu verletzen.

Individuelle Grenzen

Neben diesen Grenzen gibt es individuelle Grenzen von Menschen, die das individuelle Zusammenleben festschreiben. Das sind Dinge, die für eine Person „nicht gehen“ und können von Person zu Person unterschiedliche sein. Sie sind eine Form feststehender individueller Grenzen, beispielsweise wenn ein Elternteil es absolut nicht ertragen kann, wenn das Kind beim Einschlafen an der Haut des Erwachsenen gnibbelt. Vielleicht mag das für einige Eltern in Ordnung sein, für dieses Elternteil aber geht es nicht. Auch ganz bestimmte Umgangsformen können darunter fallen. Ebenso wie bei den feststehenden Grenzen oben lernt das Kind hier durch Zusammenleben und Wiederholung, dass dies eine nicht überschreitbare Grenze dieser Person ist. Eltern sind dabei in der Verantwortung, zu überprüfen, wie viele solcher persönlichen Grenzen sie haben und ggf. auch zu sehen, woher sie kommen und ob und wie sie mit dem Alltag vereinbar sind. Bestehen sehr viele individuelle Grenzen, kann das die Interaktion erschweren.

Variable Grenzen

Es gibt Grenzen, die im Familienalltag auch variabel auftreten können: Was heute so gemacht werden musste wegen der Rahmenbedingungen, ist am anderen Tag mit anderen Rahmenbedingungen anders: Heute gab es ein Eis auf dem Weg nach Hause, weil die Stimmung schlecht war und alle Lust auf Eis hatten, deswegen gibt es nicht jeden Tag ein Eis. Variable Grenzen setzen sich aus den Möglichkeiten und Ressourcen der Familienmitglieder zusammen. Nicht nur die Eltern haben dabei das Recht, Grenzen zu verschieben, sondern auch Kinder können sich mit ihren Wünschen und Argumenten einbringen. Es entsteht ein demokratischer Aushandlungsprozess, der das Familienleben gestaltet. Auch in einer Familienkonferenz kann über bestimmte Regelungen in der Familie diskutiert werden. Eltern verlieren dadurch keinen Respekt ihrer Kinder: Im Gegenteil zeigt es Respekt auf beiden Seiten, sich bei verschiedenen Themen näher zu kommen und Möglichkeiten auszuhandeln.

Grenzen setzen, um nicht zu verziehen?

Die Kinder erleben also natürlicherweise Grenzen in ihrem Alltag. Viele stehen fest und ergeben sich aus unserem sozialen Miteinander und der Fürsorge füreinander. Andere können verhandelt werden. Zusätzliche Grenzen im Sinne von „Jetzt zeig ich dir, wer hier das Sagen hat und du darfst das aus Prinzip nicht“ ergeben für Kinder keinen Sinn: Die Zusammenhänge sind oft nicht erkennbar, zumal das Kind nicht weiß, dass der Erwachsene im Verhalten des Kindes ein Machtspiel sieht, da das nicht die Intention des Kindes ist. Willkürlich gesetzte Grenzen behindern die Verbindung, das Sicherheitsgefühl des Kindes und wirken sich langfristig nachteilig auf die Beziehung aus. Die Grenzen, die das Kind aus oben genannten Gründer erfährt, reichen völlig aus, damit es sich in der Welt gut orientieren kann. Dabei wird es verständnisvoll von den Bezugspersonen begleitet, erinnert und motiviert, so dass diese Grenzen als Regeln nach und nach verinnerlicht werden.

Eure

Zur Autorin:
Susanne Mierau ist Diplom-Pädagogin (Schwerpunkt Kleinkindpädagogik) und Familienbegleiterin. Sie arbeitete an der FU Berlin in Forschung und Lehre, bevor sie sich 2011 im Bereich bedürfnisorientierte Elternberatung selbständig machte. Ihr 2012 gegründetes Blog geborgen-wachsen.de und ihre Social Media Kanäle sind wichtige und viel genutzte freie Informationsportale für bedürfnisorientierte Elternschaft und kindliche Entwicklung. Susanne Mierau gibt Workshops für Eltern und Fachpersonal und spricht auf Konferenzen und Tagungen über kindliche Entwicklung, Elternschaft und Familienrollen.

Foto: Ronja Jung für geborgen-wachsen.de

Foto: Ronja Jung für geborgenwachsen.de

3 Kommentare

  1. Danke für diesen Artikel! Ich finde ihn sehr gut und finde mich und uns sehr wieder. Zum x-ten Mal was sagen empfinde ich mittlerweile als anstrengend und es passiert uns schon auch, dass wir dann unangemessen reagieren. Aber wir reflektieren uns und versuchen uns immer wieder zu vergegenwärtigen, welche Möglichkeiten eine 2 1/2 jährige hat und oft sind wir es, die etwas einfach blöd geplant oder übersehen haben. Und von Außen kommen leider oft Forderungen wie im letzten Absatz…. da halte ich immer dagegen.

  2. Danke liebe Susanne für den wertvollen Beitrag. Ich finde, er erklärt gut, dass es einfach Grenzen im Zusammenleben gibt und es diese auch braucht. Ich mag das Bild von einem Geländer da ganz gerne – Regeln und Grenzen die es auch erleichtern können durchs Leben / den Alltag zu gehen weil nicht immer aufs neue Ausgehandelt werden muss was geht und was nicht. Aber Grenzen halt als Geländer und nicht als Labyrinth in dem man sich vor lauter Grenzen und Regeln nicht mehr frei bewegen kann. Und das ist ja auch das positive an Grenzen / Regeln, sie ermöglichen Freiheit in dem Sinne, dass man loslegen kann mit Spielen / Entdecken weil die Kinder ein Stück wissen was möglich ist und wo die Grenze ist.

  3. Hallo Susanne,
    Du weist nicht wie wichtig dieser Artikel gerade für mich ist. Ich war letzte Woche bei der U Untersuchung meines fast 3jährigen. Der Kinderarzt meinte ich müsse stärker Grenzen setzten. (Ich weis nicht wie er darauf kam, mein Mann hat ihn erzählt das Sohnemann unsere Wände anmalt… das war 1Mal!)
    Er meint ich solle ihn mal in sein Zimmer schicken. Da sagte ich: da müsse ich ihn schon einsperren.
    Da meinte der Kinderarzt dann soll ich das tun. Ich soll ihn erst mit offener Tür rein schicken, dann mit geschlossener und wenn er dann wieder käme soll ich eben abschließen.
    Ich bin immernoch ganz geschockt von seiner Aussage(ich habe selbst Erzieherin gelernt).
    Natürlich werde ich das nicht tun. Ich empfinde mich selbst schon als recht strenge Mutter aber sowas geht doch gar nicht. Jetzt überlege ich mir den Arzt zu wechseln :/
    Liebe Grüße
    Nine

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