Tag: 11. Dezember 2018

trans Kinder – Wenn Dein Kind eine andere Geschlechtsidentität hat

Was, wenn das Kind eine andere Geschlechtsidentität hat, als zunächst angenommen? Warum ist es wichtig, Kinder auf diesem Weg einfühlsam zu begleiten und gerade auch hier einen geborgenen Weg zusammen zu gehen? Buchhändler Linus gibt im Interview Antworten und informiert über Beratungsstellen und geeignete Kinderbücher zum Thema:

1.) Obwohl es noch immer anders behauptet wird und zu lesen ist, ist Transidentität keine Störung, sondern eine Variante von Geschlechtsidentität, die schon im Kindesalter bemerkt werden kann. Was sind Aspekte, auf die Eltern achten können?

Ehrlicherweise muss ich gestehen, dass es sich ein wenig seltsam anfühlt, für ein Eltern-Onlinemagazin interviewt zu werden. Ich bin kein Vater, und es ist sehr wahrscheinlich, dass ich niemals Kinder haben werde. Ich bin Linus – ich bin ein trans Mann, der sich sein ganzes Leben lang verzweifelt wünschte, seinen Eltern ein Sohn sein zu dürfen. Für die Kinder, die heutzutage aufwachsen und für alle Generationen, die noch folgen werden, wünsche ich mir, dass ihnen die Freiheit geschenkt wird, sein zu dürfen, wer sie sind.

Wie Eltern bemerken können, dass das eigene Kind trans ist, ist eine schwierige Frage – es gibt keine Diagnoseliste, die man abhaken könnte. Aber natürlich kann es Verhaltensmuster oder Auffälligkeiten geben, aus denen Eltern möglicherweise Anhaltspunkte gewinnen können. Was es auf jeden Fall gibt, sind viele Kinder, die ihren Eltern irgendwann sagen, dass sie trans sind – es ist wichtig, diesen Kindern zuzuhören, sie ernst zu nehmen und ihnen zu glauben.

In deiner Frage klingt die Befürchtung, die viele Eltern sicherlich haben, ja schon an: leidet mein Kind an einer Störung? Ist es psychisch erkrankt? Wie wird das Umfeld reagieren? Ich kann nur versuchen, Eltern diese Ängste zu nehmen – trans zu sein, sollte heute etwas völlig Normales sein. Ist es aber leider noch nicht. Ich glaube, dass es unsere Aufgabe als Gesellschaft sein muss, trans Kinder, trans Jugendliche und trans Erwachsene irgendwann als einen völlig normalen Bestandteil unserer Lebensrealität zu sehen.

2.) Warum ist es wichtig, die Geschlechtsidentität des Kindes zu erkennen und so anzunehmen, wie sie besteht?

Bei meiner Arbeit im Buchladen stelle ich immer wieder fest, wie starr unsere Geschlechterrollen bei Kindern geworden sind: es gibt ganz klare Vorstellungen davon, was Mädchen und Jungen sein dürfen, tragen sollen und spielen können. Wenn eine Mutter mir erzählt, dass ihr fünf Jahre alter Sohn gerne ein Kleid im Kindergarten trägt, ist das für mich noch lange kein Hinweis darauf, dass dieses Kind trans ist – dieses Kind trägt einfach nur gerne ein Kleidungsstück, das ihm gefällt. Ich glaube, wir würden allen Kindern in ihrer Entwicklung einen großen Gefallen tun, wenn wir diese veralteten Rollen und Stereotype endlich hinter uns lassen würden.

Wenn ein Kind sich bei den Eltern als trans outet, haben viele wahrscheinlich erst einmal Angst: was wird jetzt passieren? Wie wird die Zukunft meines Kindes aussehen? Wird es vielleicht gemobbt? Ich glaube, schlimmer als jedes Mobbing ist für trans Kinder das Verstecken der eigenen Identität. Wenn du ein Junge bist, dann möchtest du auch als Junge gesehen und angesprochen werden.

Bei mir selbst war es so, dass ich immer so sein wollte wie mein Bruder – doch spätestens als ich Brüste bekam, durfte ich vieles nicht mehr (zum Beispiel oberkörperfrei schwimmen gehen). Was ich mir damals von meinen Eltern gewünscht hätte: Akzeptanz, Unterstützung, Verständnis für meine Wünsche und Bedürfnisse – trans zu sein ist kein schmutziges Geheimnis. Alle Eltern, deren Kinder trans sind, dürfen laut, selbstbewusst und stolz damit umgehen.

3.) Wo können Eltern Hilfe finden, wenn sie denken, dass ihr Kind trans ist und sie nicht wissen, wie sie damit umgehen sollen?

Wenn sich ein Kind als trans outet, sind viele Eltern vielleicht erst einmal überfordert – es gibt mittlerweile aber wirklich viele gute Anlaufstellen, an die man sich wenden kann. In Berlin gibt es zum Beispiel die Einrichtung Queer Leben und TRiQ. Es gibt auch das Angebot von trans-ident e.V., die in vielen Städten Selbsthilfegruppen anbieten und eine abendliche telefonische Sprechstunde eingerichtet haben. Eltern, die auf der Suche nach Hilfe sind, finden dort bestimmt kompetente Ansprechpartner.

4.) Du bist Buchhändler: Gibt es Kinderbücher, die Du empfehlen kannst, um einerseits schon bei Kindern auch eine Offenheit zu schaffen und die andererseits auch Kinder und Eltern begleiten können?

Leider ist die Auswahl an Büchern zu diesem Thema bisher noch sehr begrenzt. Doch es gibt ein paar empfehlenswerte Bücher, die bei Kindern Offenheit und Interesse für das Thema wecken können:

1.) Luzie Loda hat ein Buch geschrieben, das nichts mit trans zu tun hat und dennoch in diesem Kontext empfehlenswert ist. „PS: Es gibt Lieblingseis“ ist ein kluges, wichtiges und liebevolles Bilderbuch zum Thema Intergeschlechtlichkeit, durch das viele Kinder einen ersten Zugang dazu bekommen können, dass das Geschlecht von Menschen nicht immer ein starres und binäres Konstrukt sein muss.

2.) „Teddy Tilly“ ist ein relativ simples aber nett gemachtes Bilderbuch über eine Teddybärin, die sich als trans outet und feststellt, dass es ihrem besten Freund egal ist, weil sie zusammen immer noch all das machen können, was sie vorher gerne gemacht haben. Ich glaube, dass „Teddy Tilly“ Kinder stärker und selbstbewusster machen kann, denn es geht darin um Mitgefühl, Akzeptanz und Toleranz.

3.) Für ältere Kinder empfehle ich immer gerne „Nenn mich Kai“, eine Graphic Novel in der die Geschichte eines trans Manns erzählt wird – leider ist das Buch nur noch antiquarisch erhältlich.

Auf meinem Blog versuche ich regelmäßig Bücher rund um das Thema trans vorzustellen und Entdeckungen zu teilen, schaut also immer gerne bei mir vorbei.

5.) Wie sehen weitere Wege aus, auf denen die Eltern ihre Kinder dann begleiten können? Gerade in Hinblick auf Kita, Schule und andere Ort kann es durch mangelnde Aufklärung/Akzeptanz schwierig werden. Wie können Eltern ihre Kinder langfristig gut begleiten und unterstützen?

Ich erlebe selbst immer wieder, wie wenig die Gesellschaft weiß und vor allem auch, wie wenig Institutionen, Mediziner*innen oder Behörden wissen. Es ist – glaube ich – wichtig, sich nicht entmutigen zu lassen und das Kind zu unterstützen. In Luzie Lodas Bilderbuch kommt zum Beispiel der Vater von Bella mit in ihre Schulklasse, um ihren Mitschüler*innen zu erklären, was Intergeschlechtlichkeit eigentlich bedeutet. Für die Kinder ist es ganz wichtig, nicht alleine zu sein – gerade auf Twitter lese ich immer wieder davon, dass Lehrer*innen weiter den Deadname (also den alten abgelegten Namen verwenden) verwenden, da wünsche ich mir von Eltern, dass sie aktiv werden und an Kitas, Schulen oder in den Vereinen ihrer Kinder für Akzeptanz und Verständnis werben.

Irgendwann wünschen sich trans Kinder und Jugendliche häufig auch medizinische Veränderungen. Ich erinnere mich noch sehr gut daran, wie belastend die Pubertät für mich gewesen ist – es besteht deshalb z.B. die Möglichkeit, Hormonblocker zu verschreiben, um die pubertären Veränderungen zu stoppen. Bei all dem ist es wichtig, sich zu informieren, mit Ärzten, Beratungsstellen und Endokrinologen zu sprechen – und dabei immer die Wünsche des Kindes an erste Stelle zu setzen.

Linus ist Germanist, Blogger und Buchhändler. Auf seinem Blog buzzaldrins.de gibt er einen Einblick in seine Bücherwelt und stellt dabei auch immer wieder lesenswerte Kinderbücher vor. Er selbst ist ein Trans Mann und setzt sich für Aufklärung in Hinblick auf das Thema Transidentität ein.

mamaarbeitet: Mein Leben mit meinem autistischen Kind

Wir alle sehen immer wohlwollend und verständnisvoll auf unsere Kinder. Wir nehmen sie an, wie sie sind und begleiten sie. Manchmal zeigt sich aber, dass hinter einem sehr ausgeprägtem Verhalten in die ein oder andere Richtung doch etwas mehr steht als wir vermuten oder zunächst annehmen wollen – oder andere uns einreden, dass es nichts sei und wir nur überforderte Eltern wären oder unsere Kinder nicht richtig behandeln würden.
In der Arbeit erlebe ich nicht selten, dass es oft sehr lange Weg zu einer Diagnose. So war es auch bei Christine und ihrem Kind: „Nur hörte die Trotzphase nicht auf, sondern wurde scheinbar immer ausgeprägter.“ Nun, nach Jahren, hat sie eine Diagnose und berichtet ab jetzt über ihren Weg. Der Auftakt einer interessanten und wichtigen Serie ist hier zu lesen.