„Beruhig Dich doch!“ sind wir manchmal verleitet zu sagen zu anderen Menschen: Zu Erwachsenen, die aufgebracht sind, zu kleinen Kindern, die wüten, zu Babys, die auf unserer Schulter liegen und weinen. „Beruhig Dich doch!“ sagt: Du sollst Dich selbst beruhigen. Oder auch: Du kannst Dich selbst beruhigen. Wir alle wissen, dass das nur bedingt geht. Manchmal brauchen wir die Hilfe eines anderen Menschen, um uns zu beruhigen: liebevolle Worte, Verständnis, jemanden, der uns in den Arm nimmt und uns und die Sorgen hält. Genau so geht es auch unseren Kindern: Sie bringen Fähigkeiten zur Selbstberuhigung mit ins Leben. Manche Kinder haben diese Fähigkeit als Babys bereits ausgeprägter, andere weniger ausgeprägt. Manche Babys brauchen handfeste Unterstützung über einige Monate hinweg, um sich zu beruhigen, andere sind von Anfang an in diesem Bereich weiter entwickelt.
Bei manchen Babys dauert es länger…
Manche Babys kommen auf die Welt und haben Schwierigkeiten damit, sich selbst zu beruhigen. Die Ursachen hierfür können verschieden sein. Wichtig für die Eltern ist zunächst zu wissen und gesagt zu bekommen: Entspannte Eltern, entspannte Kinder – das muss nicht zusammen hängen. Manche Kinder haben von Anfang an größere Schwierigkeiten damit, sich zu beruhigen und auch damit, beruhigt zu werden. Was bei einigen Kindern so einfach an Selbstberuhigungsfähigkeiten mit in die Wiege gelegt wird, erlernen andere erst im Laufe der Zeit und durch die Unterstützung der Bezugsperson(en).
Was das Baby mitbringt
Viele Babys, aber eben nicht alle, bringen einige Methoden mit, um sich selbst zu beruhigen. Denn selbst dann, wenn wir das Wochenbett wirklich als solches zelebrieren, wenn wir das Baby vor zu vielen Reizen zunächst abschirmen und nicht überfordern, ist der Alltag und das Leben außerhalb der Gebärmutter aufregend und voller Herausforderungen. Das ist normal und richtig. Wir können und müssen unsere Babys nicht vor allem bewahren. Sie haben die Fähigkeit, von Anfang an auch aktiv für sich selbst zu sorgen in dem Rahmen, der ihnen möglich ist. Manchmal reichen diese eigenen Fähigkeiten aus, um mit einer anstrengenden Situation umzugehen, manchmal brauchen sie trotz des eigenen Versuchs Unterstützung.
Wenn wir uns die Zeit nehmen, das Baby zu beobachten, können wir auch die vielen kleinen Signale und Momente beobachten und die Kompetenzen, die viele Babys mit sich bringen, um mit Anspannung umzugehen:
Beruhigungsstrategien des Babys
- Das Baby wendet sich ab, wenn es erschöpft ist: Es dreht den Kopf zur Seite im Spiel mit dem Erwachsenen oder nachdem es lange Zeit etwas beobachtet hat. Oder das Baby starrt vor sich hin ins Leere.
- Das Baby führt die Hände zum Mund, um daran zu saugen (nicht immer ein Hungerzeichen!)
- Das Baby zieht die Beine an und führt die Füße zueinander oder stemmt die Füße gegen den Körper des Gegenüber.
Ist das Baby angespannt und versucht durch diese Beruhigungsstrategien zur Ruhe zu kommen, sollten wir ihm ermöglichen, diese Art auszuprobieren. Das bedeutet: Ein Baby, das sich abwendet mit dem Blick oder Kopf, möchte nicht, dass wir dem Kopf mit unserem Gesicht oder einem Spielzeug folgen, um es weiter beim Spiel zu halten. Es möchte ruhen und braucht diesen Moment der Ruhe gerade jetzt. Ein Baby, das vielleicht beim Wickeln unruhig wird, die Beine anzieht und deren Fußsohlen sich berühren oder das die Füße gegen unseren Bauch drückt, möchte nicht unsanft davon abgehalten werden und möchte uns sicherlich nicht aus Ärger treten oder wehrt sich gegen das Wickeln: Es ist gerade aufgeregt und angespannt durch die Situation und braucht einen Moment der Ruhe. In diesem Moment bietet es sich an, einen Moment beim Wickeln inne zu halten, bis sich die Situation wieder gelöst hat.
Das Baby unterstützen
Wenn es Babys manchmal schwer fällt, sich selbst zu beruhigen – weil sie es prinzipiell noch nicht gut können oder gerade jetzt nicht – können wir sie aktiv darin unterstützen: Wir können ihnen helfen, sich an die Sachen zu erinnern, die es gerne macht, um sich zu beruhigen. Das kann das Führen der Faust zum Mund sein, damit es daran nuckeln kann. Das kann auch das Halten der Füße sein. Braucht es Wärme, Ruhe oder Nähe, ist es auch auf uns angewiesen und unser Zutun. Und manchmal ist es auch wichtig, das Weinen eines Babys anzunehmen und da zu sein.
Diese Unterstützung ist es, die sich durch das Elternleben zieht: Nicht nur als Babys brauchen sie so manches Mal unsere Unterstützung, um mit Anspannung umgehen zu können. Auch in den späteren Jahren brauchen sie Begleitung, um mit Wut umzugehen und oft auch, um einen guten Weg für die Wut zu finden und nicht zu hauen oder zu beißen, sondern durch uns Alternativen zu finden. Manches Mal brauchen sie Unterstützung, um mit einem Streit unter Geschwistern oder Freunden umgehen zu können – manches Mal schaffen sie es allein. Manche Kinder anfangs mehr, andere weniger. Je nach Temperament und Möglichkeiten. Im Laufe der Zeit aber bildet sich durch die Unterstützung immer mehr die Fähigkeit aus, selbst mit schwierigen Situationen umzugehen und auch die Fähigkeit, aktiv Hilfe einzufordern: „Es geht mir schlecht, bitte hilf mir.“ Ist ein wunderbarer Satz, der zustande kommt, wenn wir unserem Kind vermitteln, dass wir die eigenen Fähigkeiten achten und dann helfend zur Seite stehen, wenn wir benötigt werden.
Eure
Ach spannend. Das Abstossen mit den Füssen habe ich bisher nur als Anzeichen von Anspannung wahrgenommen, aber nicht als Neruhigungsstrategie ansich. In welcher Weise funktioniert denn diese Strategie?
Vielen Dank für den spannenden Artikel.
Der Druck mit den Beinen gegen etwas ist ein vertrautes Gefühl aus dem Mutterleib, diese Enge und das Umschließen. Bei kleinen Babys werden daher auch manchmal die Beine noch mit dem Tragetuch eingefasst, wenn sie getragen werden. Wenn das Baby die Füßsohlen zueinander führt oder sie an jemanden stützt, versucht es, den Körper wieder zu stabilisieren. Ein Gegendruck an den Füßen ist in vielen Situationen bei Kindern angenehm, beispielsweise auch am Tisch, wenn die Kinder die Füße aufstellen können anstatt sie in der Luft baumeln zu lassen.
Mein Sohn hat mit 3 Jahren noch gern beim Einschlafstillen diese Enge. Er Braucht es wie im Mutterleib. Wir haben mit der Zeit eine bestimmte Kuschel Position gefunden das ich ihn mit meinen Oberschenkel die Stütze geben kann.
Danke
Wie interessant! Jetzt wird ein Schuh draus! Meine Maus schläft am liebsten mit ihren Füßen an oder auf meinen Oberschenkeln ein. Oft auch tretend. Das ist also ihre Art sich zu entspannen und in den Schlaf zu finden. So ein schlaues Mädel…. und ich fragte mich immer was das zu bedeuten hat. ?
Danke, liebe Susanne! Unsere jüngere Tochter, 8 Monate, schlägt ständig beim Wickeln nach mir aus mit den Füßen und bis dato habe ich mich nur darüber geärgert, weil ich nicht wusste, was das bedeutet. Und danke für das Aufheben des Märchens: Entspannte Eltern, entspannte Kinder. Einige versuchen mir schlechtes Gewissen einzureden, weil ich nicht entspannt bin. Und dann sei es ja kein Wunder, das das Baby gereizt sei….
Susanne, kann das bei 3jährigen auch noch so sein, das sie zur Beruhigung /Ent-Spannung die Hände in den Mund stecken? Ist mir wiederholt aufgefallen und die Zähne könnens ja nicht mehr sein.
Danke
Ja, es gibt wirklich ganz verschiedene Beruhigungsstrategien. Manche haben auch die Angewohnheit, mit den Fingern an Sachen (Ohren) zu knibbeln oder mögen es, Arm oder Bein wiederholt auf die Matratze fallen zu lassen.
Hallo Susanne,
Ich fand die Erklärung für das Stützen der Füßchen so so gern gelesen. Würdest du auch erklären, warum Knibbeln, Hände auf die Matratze fallen lassen und in die Schulter beißen beim Weinen, beruhigend ist.
Vielen Dank schon mal so oder so, dass du mir bewusst gemacht hast, dass mein Baby so viele Mechanismen hat, sich selbst zu beruhigen. Besonders das klare Benennen der Beruhigungsmechanismen hat mir sehr geholfen.
Entspannte Eltern = entspannte Kinder, das ist ein Zusammenhang, den man nicht kleinreden sollte.
doch, den sollte man ganz dringend kleinreden, weil es nicht stimmt. Kinder kommen mit eigenen Temperamenten und Regulationsfähigkeiten zu uns, können durch die Geburt ein Trauma haben, das verarbeitet werden muss oder eine Anpassungsstörung. – Es gibt sehr viele Gründe, warum auch grundsätzlich entspannte Eltern Kinder haben können, die für sie zu einer Herausforderung werden.