Vertrauen ins Kind

Vertrauen

Vertrauen. Vertrauen ist das, was uns modernen Eltern wohl am meisten verloren gegangen ist. Vertrauen darin, dass wir eine gute Schwangerschaft haben, dass es unserem Kind im Bauch gut geht. Wir hören nicht auf unser Bauchgefühl, sondern müssen es sehen, müssen es von Ärzten bestätigt bekommen. Je genauer, desto besser: Mit Bild und Herzschlag und Nackenfalte. Wir vertrauen auch nicht mehr darauf, dass wir Kinder gebären können, sondern lieber darauf, dass uns irgendjemand durch die Geburt bringt. Doch es ist nicht die Hebamme oder Ärztin, die das Kind gebären muss, sondern die Mutter. Ist das Kind dann da, dann vertrauen wir nicht mehr darin, dass wir das Gefühl haben, dass es satt ist und sich gut entwickelt. Wir messen nach, wir haben Angst und füttern zu, weil das Gewicht nicht ganz auf der Kurve liegt. Wir versuchen, dem Baby Brei zu geben, weil wir nicht darauf vertrauen, dass die Muttermilch genügend sättigt – schließlich lässt sich nur schwer sehen und messen, wie viel das Kind wirklich trinkt. Wir vertrauen auch nicht darauf, dass es sich schon nach seinem eigenen Tempo entwickelt, sondern gehen mit ihm zu Babykursen, damit es Impulse bekommt, sich auf den Bauch zu drehen oder zu krabbeln. Wir lassen unserem Kind nicht mehr den Raum, sich selbst zu entwickeln, weil wir ängstlich sind, weil wir von allen Seiten vermeintlich wichtige Ratschlägen erhalten. Wer ein Kind bekommt, scheint das Vertrauen schon ganz früh abzugeben.

Dabei ist das Vertrauen in uns und unser Kind so wichtig. Wenn wir einmal in die Falle des fehlenden Vertrauens hineingetappt sind, fällt es schwer, dort wieder hinaus zu kommen. Nicht, weil wir zu faul sind, sondern weil es mit einem ganz wichtigen Gefühl zu tun hat, dass alle Eltern kennen: Angst. Wir sorgen uns um unsere Kinder und ihr Wohlergehen. Doch haben wir erst einmal einen ängstlichen Blick entwickelt, ist es schwer, ihn wieder los zu werden. Vielleicht fällt das fehlende Vertrauen am Anfang noch nicht auf in der Schwangerschaft und zur Geburt. Doch irgendwann müssen sich Eltern ihm stellen, denn das Kind fordert mehr und mehr ein, dass wir ihm vertrauen. Irgendwann merken Eltern, dass das Gras nicht schneller wächst, auch wenn man daran zieht und Kinder sich in ihrer Entwicklung nur schwer beeinflussen lassen. Denn wenn wir versuchen, einzugreifen, stören wir in Wirklichkeit den feinen Plan der Entwicklung, den jedes Kind hat.

Wir müssen vertrauen, dass sich unsere Kinder selber entwickeln, dass wir ihnen eine anregende und schöne Umgebung bieten können, aber sie nicht anders dazu bringen sollten, schneller zu krabbeln oder zu laufen als sie es von sich aus wollen. Manche Kinder sind schneller, manche sind langsamer. Wir müssen unseren Kindern auch vertrauen darin, dass sie negative Erfahrungen machen können, damit sie lernen, es besser zu machen: Wir können nicht jeden Sturz abfangen und jedes Mal die schützende Hand hinhalten. Kinder müssen lernen, wie man richtig fällt, wie man sich abrollt und so vor schlimmeren Verletzungen schützt. Sie dürfen frei mit anderen Kindern interagieren und wir müssen ihnen vertrauen, dass sie sanft ein anderes Kind anfassen und ihnen nicht von Anfang an unterstellen, sie würden einem anderen weh tun und dürften ihn deswegen nicht berühren.

So wie wir Vertrauen haben müssen in die eigenen Fähigkeiten unseres Kindes müssen wir ihm auch Raum geben, um sich selbst zu erfahren. Kinder müssen nicht rund um die Uhr unter den Augen der Eltern sein. Sie dürfen auch einmal aus dem Blickfeld rennen, wenn wir wissen, dass keine akuten Gefahren drohen. Sie dürfen auch in einem anderen Raum spielen oder im Garten versteckt unter den Hecken. Kleine Kinder brauchen Wurzeln und Nähe, aber ebenso sehr auch Platz für die eigene Entfaltung. Sie brauchen die Möglichkeit, auch „Dummheiten“ anzustellen: Himbeersaft pressen durch den guten Rock, die Wand heimlich bemalen, Erde essen, nackt in der Pfütze springen. Wenn wir nicht vertrauen und ihnen diese Dinge vorenthalten, werden sie nie lernen, wie sie sich anfühlen. Sie lernen nicht, dass sie Dinge lassen sein sollen, weil sie vielleicht nicht gut sind, sondern lernen nur, dass sie sie nicht machen sollen, weil wir es ihnen sagen. Wir müssen Vertrauen haben, dass unsere Kinder lernfähig sind, dass sie selbst lernen, nach ihrem Tempo und nach ihrem Bedürfnis. Und davon lernen wir selbst noch sehr viel.

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12 Kommentare

  1. Sooo ein toller Text! Du hast sowas von Recht! DANKE für die wundervollen Worte-sie berühren! <3

  2. Was für ein schöner Text, vielen Dank! Mein Sohn ist 9 Monate alt. Gerade dieser Punkt mit dem Anfassen von anderen kleinen Kindern hat mich aufhorchen lassen. Ich bin dann meistens unsicher, ob er dem anderen Kind nicht wehtut und halte ihn oft zurück. Hier könnte ich mehr Vertrauen haben. Danke, dass Du mich mit Deinem Blogpost darauf aufmerksam gemacht hast!

  3. Danke dafür. Das kann man nicht oft genug sagen, und ich würde den Text am liebsten auf allen Spielplätzen hier verteilen.

  4. Ja das stimmt. Ganz sicher. Ohne wenn und aber will ich das stehen lassen und gebe dir Recht.

    Und trotzdem…
    Manchmal wenn ich solche Texte lese muss ich schlucken.
    Meine Söhne kamen als Zwillingsfrühchen zur Welt, die Diagnose der plazentaren Unterversorgung und Minderwachstum wurde vom Arzt gestellt, wir haben es auf die letzte Minute hinausgezögert.

    Heisst das jetzt, dass ich zuwenig Bauchgefühl hatte??
    Hätte ich das verweigern sollen…?? Und was wäre gewesen, wenn ich das getan hätte und eines meiner Kinder wäre gestorben??
    Auch so konnte ich den Tod meines Erstgeborenen nicht verhindern.

    Ich wage zu behaupten, dass ich ein exzellentes Bauchgefühl für mich und meine inzwischen drei Kinder habe… und irgendwer fühlt sich wahrscheinlich immer auf den Schlips getreten, wenn man seine Meinung kundtut.

    Trotzdem sorgen solche Artikel gerne dafür, dass ich mich schuldig fühle.

  5. der Text ist wirklich wunderschön und wahr! Und im Grunde genommen sollte es so sein! Aber wie überall im Leben gibt es auch hier eine Kehrseite!
    Was ist denn mit den Müttern, die Fehl- und Todgeburten erleiden müssen – wie sollen diese denn noch Vertrauen haben? Woher sollen sie es nehmen, sie brauchen die Kontrolle der Ärzte, gerade nach mehreren Fehlgeburten – da is kein Vertrauen in den Körper mehr da! und bei der Geburt? wenn man stundenlang in den Wehen liegt und dann nur noch ein Notkaiserschnitt das Leben des Kindes rettet (und das der Mutter nebenbei gesagt auch noch höchstwahrscheinlich) – ich spreche aus Erfahrung, denn ich habe beides mitmachen müssen – und ehrlich? ich bin froh überhaupt EIN Kind an meiner Hand zu haben – da kann man wirklich nicht verlangen, dass ich so viel Vertrauen habe und man kann mir nicht vorwerfen, dass ich mein Kind eben etwas mehr beschütze als andere – und wenn da so ein Text auf dem Spielplatz hängen würde, fände ich das toll, aber niemand kann von mir verlangen, dass ich danach handle und ein bisschen Verständnis, das ich mehr Angst habe als andere – das möchte ich auch einmal erleben!
    Danke fürs lesen bis hierher!
    P.S. Ich habe ein Kind verloren und das zweite während der Geburt auch fast, daher sehe ich manche Sachen anders, ich hoffe es nimmt mir hier keiner böse
    LG, Katja

    • Hallo Katja,
      ich kann Deine Gefühle und Sorgen vollkommen nachvollziehen.
      Allerdings habe ich meinen Bruder überlebt und es war und ist für mich nicht einfach. So sehr ich meine Eltern, speziell meine Mutter, verstehen kann, so sehr hätte ich mir mehr Freiheit gewünscht, denn ich kann weder die Lücke füllen die mein Bruder hinterlassen hat, noch bin ich das Eigentum meiner Eltern, ich bin eine eigene Persönlichkeit und habe das Recht auf meine eigene Entwicklung.

      Ich fühle mich auch als Erwachsener von meiner Mutter erdrückt, nicht so, dass ich keinen Kontakt mit ihr mehr habe, aber schon so, dass ich auf genügend Abstand achte.

      Du kannst über deinen Schatten springen, auch wenn das nicht einfach ist, aber die Freude deines Kindes über die Erfolge, speziell nach Mißerfolgen, das erneute den Baum hochklettern obwohl es ein paar Tage vorher aus dem Baum herausgefallen ist und sich Gesicht und Knie verschrammt hat, das Lächeln, das tut euch beiden gut.
      Gruss,
      Markus

    • Liebe Katja, gerade zu der Fehlgeburt möchte ich dir gerne was sagen:
      Ganz viele Frauen erleiden eine Fehlgeburt. Super, macht es aber nicht leichter und tröstet auch nicht. Aber: Ich habe Vertrauen in meinen Körper, dass er mich nur mit einem gesunden und lebensfähigen Kind schwanger sein lässt. Und ja ich darf das sagen, weil ich das selber auch schon erleben musste. Aber tortzdem muss ich Vertrauen haben. Kein Ultraschall und kein Arzt kann verhindern, dass ich ein Kind verliere. Früher hiße Schwangerschaft auch mal „guter Hoffnung sein“. Heute sind wir alle eher „panischer Erwartung“. Wenn du die Sicherheit und Kontrolle durch einen Arzt brauchst, dann ist das doch gut. Letztendlich kannst du tortzdem nur Vertrauen habe, dass es klappt. Ich wünsche Dir alles gute!

      Anna

  6. Liebe Isabel,
    schade, dass Du Dich schuldig fühlst. Das ist natürlich nicht Absicht des Artikels. Denn schließlich hast Du Dich doch richtig entschieden – nach Deinem Bauchgefühl, dass sie früher geholt werden müssen? Bauchgefühl bedeutet ja nicht, dass man bestimmte Dinge verweigern muss. Auch kann es ganz richtig sein, einen Kaiserschnitt haben zu wollen oder eine PDA, weil es einem das Bauchgefühl eben sagt. Es geht einfach darum, mehr Vertrauen zu haben. Zu sich und zu den Kindern.
    Schön, wenn Du einen guten Weg für Euch gefunden hast.

  7. Diesen text konnte ich gestern als ich meinen schrieb noch gar nicht lesen, aber ich glaube wir haben ähnliches erlebt und daher ähnliche Ansichten – es gibt eben im Leben immer ein Pro und Kontra – man sollte immer 2 Seiten betrachten, es ist eben nicht immer so einfach wie es scheint – verläuft alles immer in geregelten Bahnen, is das schön, aber man sollte auch immer mal drüber nachdenken, was wäre, wenn genau das gegenteil passiert wäre, würde ich dann immer noch genau so denken!? Und würde dann dieser Text immer noch auf mich zutreffen?!
    Wie gesagt – super Text und super Einstellung – und ich gönne jedem das Glück, wer danach leben kann – aber manche können es eben nicht!

  8. Vertrauen ins Kind – DAS A & O. Ohne geht nichts oder nur halb. Mein Erfahrung ist, dass Vertrauen das Allerwichtigste ist: in mich, in meinen Partner, die Kinder, die Welt. Anders wird nur Angst produziert und das steht aller positiven Entwicklung kontraproduktiv entgegen.

    Danke für Deinen schönen Beitrag!
    Sh

  9. Vertrauen ist so wertvoll – baut Stress ab 🙂 gibt Raum zur Entfaltung … – Impulse sind auch wichtig – die Blume bekommt Impulse von der Sonne, dem Wind, den Sternen.

    ein Kind – von anderen Kinderm, dem lieben Lächeln der Eltern, dem Wind, der Sonne… nur muss dafür nicht v Kurs zu Kurs hetzen, das ist klar. Lieber ein natürliches Umfeld schaffen <3

  10. Vielen Dank für diesen tollen Text.
    Man kann dieses Thema (Vertrauen) übrigens auf jeden Lebensbereich übertragen. 🙂

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